Nathalia Brodskaya

 

 

 

 

 

POSTIMPRESSIONISMUS

 

 

 

 

 

 

Autor: Nathalia Brodskaya

Redaktion der deutschen Publikation: Klaus H. Carl

Layout: Baseline Co. Ltd.

Ho Chi Minh-City, Vietnam

© Confidential Concepts, worldwide, USA

© Parkstone Press International, New York, USA

© Pierre Bonnard, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Maurice Denis, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Ker Xavier Roussel, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

© Edouard Vuillard, Artists Rights Society (ARS), New York, USA/ ADAGP, Paris

Weltweit alle Rechte vorbehalten

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ISBN: 978-1-68325-611-3

Inhalt

Einleitung

Die postimpressionistische Epoche-Hintergrund und Atmosphäre

Paul Cézanne (1839-1906)

Die Neoimpressionisten

Vincent van Gogh (1853-1890)

Paul Gauguin (1848-1903)

Henri Rousseau („Der Zöllner Rousseau“) (1844-1910)

Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901)

Die Nabis

Index

Anmerkungen

Paul Cézanne, Berg Sainte-Victoire, 1902-1904. Öl auf Leinwand, 73 x 91,9 cm. Philadelphia Museum of Art, Philadelphia.

Einleitung

Postimpressionismus – Versuch einer Begriffsbestimmung

Der Begriff „Postimpressionismus“ hat nur die eine Bedeutung: „nach dem Impressionismus”. Postimpressionismus – das ist keine Strömung und keine Kunstrichtung, es ist eine kurze Zeitspanne, eine Phase in der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Da der Impressionismus eine Erscheinung der französischen Malerei war, bezieht sich der Postimpressionismus ebenfalls im Wesentlichen auf die Kunst Frankreichs. Der Beginn der Epoche des Postimpressionismus wird für gewöhnlich ab 1886, dem Zeitpunkt der achten und letzten gemeinsamen Ausstellung der Impressionisten, datiert. Sie endet kurz nach 1900, reicht also nur ein ganz kleines Stück in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hinein. Da der Begriff und sein zeitlicher Kontext relativ sind, überschreiten einige der mit dem Postimpressionismus verbundenen Künstler und ihre Werke die Grenzen dieses Zeitraums. Trotz der extremen Kürze dieser Periode wird sie dennoch häufig als die Epoche des Postimpressionismus bezeichnet. In der Tat entstanden in dieser Zeit so eindrucksvolle künstlerische Phänomene, zeigten sich so unterschiedliche Tendenzen in der Malerei und traten so wunderbare schöpferische Einzelpersönlichkeiten in Erscheinung, dass diese fünfzehn bis zwanzig Jahre direkt vor und nach der Jahrhundertwende zu Recht als Epoche gelten können.

Die Impressionisten waren immer noch aktiv: Auch nach 1886 schufen Edgar Degas, Claude Monet, Auguste Renoir, Alfred Sisley und Camille Pissarro zahlreiche neue Werke, aber die Zeit ihrer künstlerischen Einheit, ihrer gemeinsamen Suche und ihrer gemeinschaftlichen Auftritte gehörte bereits der Vergangenheit an. Allmählich erlangten sie Bekanntheit, so wie der 1883 verstorbene Édouard Manet, wenn auch die offizielle Anerkennung auf sich warten ließ. Es schien, als sei die Zeit gekommen, über das Wesen des Impressionismus und seinen Beitrag zur modernen Kunst nachzudenken.

Der Pariser Kritiker Félix Fénéon veröffentlichte 1886 die Artikelserie Die Impressionisten im Jahr 1886. Drei Jahre nach dem Tod Édouard Manets war Fénéon sich bereits darüber im Klaren, dass Manet kein Vertreter des Impressionismus war. Manet hatte die Impressionisten zwar viel gelehrt, umgekehrt erlag seine eigene, markante und unabhängige Malerei aber nach Meinung Fénéons zu einem bestimmten Zeitpunkt ebenfalls den Einflüssen Degas’, Renoirs und Camille Pissarros, vor allem aber Claude Monets. Sie waren die Anführer der Revolution, deren Herold er war” [1]. Im Titel ihrer letzten Ausstellung im Jahr 1886 gab es das Wort „Impressionisten“ bereits nicht mehr. Organisiert wurde diese Ausstellung von Berthe Morisot, ihrem Ehemann Eugène Manet und Edgar Degas. Seit den Anfängen der Künstlervereinigung widersetzte sich Degas dem Begriff „Impressionismus“, den der Kritiker Leroy dem Namen eines Bildes von Claude Monet entliehen hatte. Tatsächlich herrschte unter den ausstellenden Künstlern schon bei der ersten Ausstellung keine Einheit: Im Bestreben, ihre Gruppe zu stärken, luden sie all ihre Freunde ein, auch wenn diese von ihrer Ideologie oder Maltechnik her keinerlei Gemeinsamkeiten mit ihnen aufwiesen. Jedoch wurde der Ton der Ausstellungen von ihrem Kern angegeben, den drei Gleyre-Schülern – Monet, Renoir und Sisley – zusammen mit Degas und Pissarro, zu denen sich noch Berthe Morisot und einige ihrer Freunde gesellten. Die letzte Ausstellung war der Zusammensetzung der Aussteller nach bereits überhaupt nicht mehr impressionistisch. Es waren weder Claude Monet noch Renoir vertreten (sie zogen es vor, an der Fünften Internationalen Ausstellung Georges Petits teilzunehmen). Sisley und Caillebotte, der Freund der Impressionisten, weigerten sich auszustellen, verstimmt darüber, dass sie nicht zur Organisation der Ausstellung hinzugezogen worden waren. An ihrer Stelle kamen neue Aussteller hinzu, die keinerlei Bezug zum Impressionismus hatten: Odilon Redon, Georges Seurat, Paul Signac, Paul Gauguin mit seinem Freund Emil Schuffenecker und andere. Fénéon versuchte, die Teilnehmer der Ausstellung von 1886 in Gruppen aufzuteilen, die verschiedene Tendenzen vertraten. Seiner Meinung nach stand Degas abseits; der traditionelle, naturalistische Impressionismus war durch Berthe Morisot, Gauguin und Guillaumin vertreten; Pissarro repräsentierte zusammen mit Seurat und Signac die neue Richtung. Selbst Fénéon, einer der feinsinnigsten Pariser Kritiker, konnte den Impressionismus nicht von den Begleit- und Folgeerscheinungen trennen. Und das ist nicht verwunderlich: denn zu jener Zeit schien es, als gehörten einige Teilnehmer der Gruppenausstellungen wie Cézanne und Gauguin ebenfalls dem Impressionismus an.

Eine Zusammenfassung des Impressionismus

Dennoch war es Fénéon, der als Erster die Hauptmerkmale definierte, die die Grundlagen der Malerei der Impressionisten bildeten und sie von der traditionellen Kunst unterschieden. Er schrieb ebenfalls im Jahr 1886: „Der Impressionismus hat der Kunst eine neue Vision verliehen“ und fasste die Errungenschaften der Impressionisten zusammen: Verzicht auf alle historischen, allegorischen, mythologischen oder ausdrücklich literarischen Themen; Arbeitsweise: die Ausführung direkt von der Natur (Freilichtmalerei) und nicht im Atelier anhand von Skizzen, Erinnerungen und schriftlichen Aufzeichnungen; Betonung der emotionalen Bedeutung der Farben; Bemühen um die Annäherung an den strahlenden Glanz der Natur: „Die impressionistische Schule ist eine Schule der Farbkünstler.” [2]

Zum ersten Versuch, den Impressionismus in der Belletristik festzuhalten, wurde Émile Zolas 1886 in Paris erschienener Roman L’Œuvre. Als leidenschaftlicher Verteidiger Édouard Manets verfasste Zola die Geschichte des Strebens und des Scheiterns eines jungen Malers und „Impressionisten“. Die Lebensgeschichte seines Helden entsprach keinem der echten Impressionisten. Sein Bild erinnert in der Beschreibung Zolas vor allem an Édouard Manets Frühstück im Grünen. Der Protagonist des Romans lebt in dem ihnen allen gut bekannten Milieu der Pariser Bohème. Seine Kunst wird unter endlosen Zweifeln und Qualen geboren, schließlich verliert er den Verstand und begeht Selbstmord. Die Zeitgenossen rätselten darüber, wem dieser fiktive Künstler am meisten ähnelte: Édouard Manet oder Claude Monet? Allein Paul Cézanne, ein Freund Zolas seit Kindertagen, war davon überzeugt, dass er selbst als Prototyp des literarischen Helden gedient hatte Er betrachtete dies als Verrat und brach seine fast dreißig Jahre währende Freundschaft mit dem Schriftsteller ab. Letzten Endes beleidigte der Roman alle – zu pessimistisch war das von Zola gezeichnete Bild vom Schaffen des impressionistischen Malers und zu düster die Vorhersage seines Schicksals. Wahrscheinlich war es noch zu früh, war die Stunde noch nicht gekommen, in der außenstehende Beobachter, Kritiker, ja nicht einmal die Künstler selbst verstehen konnten, was der Impressionismus für die Kunst der damaligen Zeit bedeutete und welche Folgen er in der Entwicklung der Malerei nach sich ziehen würde.

Der erst wesentlich später auftauchende Begriff „Postimpressionismus“ wurde zum Beweis für die unerhört wichtige, mit nichts zu vergleichenden Rolle, die der Impressionismus für die Kunst der ganzen Welt spielte. Diese Strömung in der Malerei war von solcher Bedeutung, dass keiner der zeitgenössischen Maler, der nicht den Weg der klassischen Tradition ging, sich ihrem Einfluss vollkommen entziehen konnte. Unabhängig davon, ob ein Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein Befürworter des Impressionismus oder sein Gegner war, in seinem Schaffen setzte er sich mit dem auseinander, was Monet und seine Freunde taten. Der Impressionismus wurde ein starker Impuls für die Entwicklung der Malerei aller Strömungen, die sich dem Diktat des klassischen Systems der künstlerischen Schule widersetzten und die die in der Kunst Europas zur Zeit der Renaissance gelegten und von den italienischen und anschließend von den französischen Akademien im 17., 18. und 19. Jahrhundert in den Stand von Dogmen erhobenen Grundlagen zerschlugen. Der akademische Kanon zur Sicherstellung einer professionellen Ausbildung auf dem Gebiet der schönen Künste war durchaus logisch, rational und offenbar auch unersetzlich. Neues entstand nicht aus seiner Ablehnung, sondern in der Verwendung dieses Systems als Grundlage für die Weiterentwicklung der Malerei. Die Freiheit, die sich die Impressionisten nahmen, eröffnete die unterschiedlichsten Wege in der Kunst und gab jedem Künstler die Möglichkeit, selbst zu wählen.

Die Kraft der Impressionisten bestand in ihrer gemeinsamen Auffassung der Malerei. Dadurch, dass sie sich zu einer Gruppe zusammenschlossen, nahmen sie nicht nur Stellung gegen die offizielle Kunst, sondern verstärkten auch den Nachhall ihrer Entdeckungen. Die Impressionisten haben nie Manifeste veröffentlicht, ihre Erklärungen fanden ihren Ausdruck nicht in Worten und Theorien, sondern lediglich in ihrem Schaffen selbst. Sie waren konsequent und trieben ihr malerisches System bis an die Grenze seiner Entwicklungsmöglichkeiten. Ihre Kollegen aus gemeinsamen Ausstellungen und ihre unmittelbaren Nachfolger hatten eine Grundlage, um die Richtigkeit und die Mängel dieses Systems von ihrer jeweiligen Position aus zu beurteilen. Der eine verwendete bestimmte Elemente ihrer Malerei, ein anderer lehnte den Impressionismus ab und stellte ihm seine eigenen Entdeckungen gegenüber.

Claude Monet, Sonnenblumenstrauss, 1881. Öl auf Leinwand, 101 x 81,3 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.

Vincent van Gogh, Die Sonnenblumen, 1888. Öl auf Leinwand, 93 x 73 cm. The National Gallery, London.

Paul Gauguin, Wintertag, 1886. Öl auf Leinwand, 71,8 x 55,9 cm. Geschenk von Aaron M. und Clara Weitzenhoffer, Fred Jones Jr. Museum of Art, University of Oklahoma, Oklahoma City.

Alfred Sisley, Schnee in Louveciennes, 1878. Öl auf Leinwand, 61 x 50,5 cm. Musée d’Orsay, Paris.

Paul Cézanne, Quartier Four, Auvers-sur-Oise (Landschaft, Auvers), um 1873. Öl auf Leinwand, 46,3 x 55,2 cm. Philadelphia Museum of Art, Philadelphia.

Die Wirkung des Postimpressionismus

Die Epoche des Postimpressionismus war die Zeit der künstlerischen Einzelgänger. Sie fanden sich nur selten in Gruppen zusammen und wenn, dann nur für kurze Zeit. Der große Impressionismus-Forscher John Rewald (1912 bis 1994) berief sich auf eine scharfsinnige Formulierung des belgischen Dichters Émile Verhaeren(1855 bis 1916): „Es gibt nicht mehr die eine Schule“, schrieb er 1891, „es gibt nur noch ein paar Gruppen und die spalten sich ständig. All diese Strömungen erinnern mich an die beweglichen geometrischen Figuren in einem Kaleidoskop, die spontan zerfallen, um sich erneut zu verbinden, die sich mal zusammenziehen, mal sich in alle Winde zerstreuen, sich aber nichtsdestoweniger in ein und demselben Kreis – dem Kreis der neuen Kunst drehen.“ [3]

Sie hatten keine gemeinsame Auffassung der Kunst, keine gemeinsame Beziehung zur Natur und keinen einheitlichen Pinselstrich. Das Einzige, was diese Künstler verband, war die Wirkung, die der Impressionismus auf sie ausübte: Keiner von ihnen konnte so arbeiten, als gäbe es den Impressionismus nicht. All diesen Künstlern war ein bedauernswertes Schicksal bestimmt: Nicht einer von ihnen durfte erwarten, jemals in den Salon, die offizielle Ausstellung zeitgenössischer französischer Kunst in Paris, zu gelangen und dem Publikum irgendwann seine Arbeiten zu zeigen. Die Impressionisten wiesen einen alternativen Weg: Sie veranstalteten ihre eigene Ausstellung, aber alle, die nicht zu ihnen gehörten, mussten draußen bleiben. Unter ihnen waren ganz unterschiedliche Künstler: Der eine verfügte nicht über das von der Jury verbindlich geforderte Niveau der professionellen Kunstfertigkeit; ein anderer schockierte durch eine übermäßige Kühnheit des Malstils, seine bewusste „Nachlässigkeit“ oder durch die Farbintensität.

In Paris wurde 1884 eine neue Ausstellung eröffnet – der Salon der unabhängigen Künstler (Le Salon des Artistes Indépendents). Dieser neue Salon war für alle der Ausweg, denn in ihm gab es keine Jury, niemand wählte die Arbeiten für die Ausstellung aus. Jeder Künstler konnte mitbringen, was er wollte. Die einzige einschränkende Bedingung war die Anzahl der ausstellbaren Werke, die sich von Jahr zu Jahr änderte. An der Organisation des Salons der Unabhängigen war der Neoimpressionist Georges Seurat aktiv beteiligt. Die ungewöhnliche Position dieses Künstlers machte ihn für offizielle Ausstellungen zur unerwünschten Person. Die Unabhängigen verkündeten, was zur charakteristischen Errungenschaft der Epoche des Postimpressionismus wurde. Mit den Worten des naiven „Sonntagsmalers“ Henri Rousseau: „Jede Schaffensfreiheit muss dem Urheber vorbehalten bleiben.“ [4]

Bereits zwei Jahre vor der letzten Ausstellung der Impressionisten hatte jeder der Künstler die Möglichkeit, seine Werke einem breiten Publikum zu zeigen. Obwohl es unter den vielen hundert dort ausgestellten Arbeiten oft nicht leicht war, ein großes Talent zu entdecken, hat eben dieser Salon solch „ungebildeten“ Künstlern wie Henry Rousseau die Möglichkeit eröffnet, Eingang in die große Kunst zu finden. Damit war die Schulbildung nicht länger das unabdingbare Rüstzeug für einen guten Maler. Tatsächlich waren auch Vincent van Gogh und Paul Gauguin hartnäckige Autodidakten. Ihre eigenen Wege gingen auch der „Impressionist“ Cézanne, den der Stil der Impressionisten nicht zufrieden stellte; und der die klassische Professionalität beherrschende, aber den Weg des Verschmähten wählende Henri de Toulouse-Lautrec. All diese Künstler produzierten ihre Werke zur Zeit des Postimpressionismus und sie alle starben mit dem ausgehenden 19. oder direkt am Anfang des 20. Jahrhunderts: van Gogh 1890, Seurat 1891, Lautrec 1901, Gauguin 1903, Cézanne 1906 und Rousseau 1910.

Camille Pissarro, Landschaft in Chaponval, 1880. Öl auf Leinwand, 54,5 x 65 cm. Musée d’Orsay, Paris.

Vincent van Gogh, Bauern aufs Feld hinausgehend (nach Millet), 1890. Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm. Eremitage, St. Petersburg.