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Klaus Schamberger

Ich bitte um Milde

 

Band 2 – 60 neue Gerichtsglossen

 

 

 

ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1. Auflage April 2018)

 

© 2018 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Umschlaggestaltung: Karin Roth,

nach Motiven von Toni Burghart

Typografie und Ausstattung: ars vivendi

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-880-0

 

Inhalt

Der falsche Onkel Ludwig

Der Raub der Gänseliesl

Entführung eines Facharbeiters

Der Kirschkerngrapscher

Die Arschbomben-Meisterschaft

Der zwangsernährte Missionar

Der beste Elvis-Imitator des Universums

Der kürzeste Apfelbaum des Universums

Der Zwinkerer und sein Kurschatten

Ein Kiebitz mit Raucherhusten

Wer war der Lippenstift-Schmierer?

Frieda, der Toilettenschreck

Striptease vor der Wirtshaustür

Der Extrem-Stuhlhupfer

Saure Wanderniere mit Betonkloß

Der Parkhaus-Depp

Die Geisterhand unter der Abortwand

Das Schlossgespenst und sein Enkelsohn

Wie der Dieter einmal einen Holzdieb überführt hat

Das Schaschlikessen auf der Pyramide

Der pädagogische Papagei

Sexismus jetzt auch im Supermarkt

Willy, der Trockenhaubentaucher

Wie verfasst man ein Arbeitszeugnis?

Das falsche Elflein

Sigi Grimms Märchen

Schuttrutsching, die neue Fun-Sportart

Wenn der Wein korkelt

Obacht, auch ein Efeu hat Ohren!

Trinken auf Rädern

Die chinesische Aufbauanleitung

Der Kalchreuther Bier-Geysir

Die Briefkastenkackerbande

Wenn es dem Florian fünfzehnmal kommt

Verkaufsgespräche mit der Teflonpfanne

Die Anna und ihr heiliger Salmiakgeist

Tumult vor der Aborttür

Die mittelfränkische Wurstvielfalt

Dreißigfacher Pizza-Missbrauch

Ein Architekt auf Himmelfahrt

Der heimatlose Bereichsleiter

Kloß mit Chili-Soß

Kein Freispruch für die Freisprechanlage

Spargelsud und Bier und Schnaps

Zahn um Zahn …

Großvaters Diskothekenbesuch

Andreas, der Amoktaucher

Heinz, der Hüpfburg-Plattmacher

Der Nachthemdkrieg

Ein Schuhschränklein auf Himmelfahrt

Wie man einen Wasserfall erzeugt

Der Geheimdienst hinter der Mauer

Drei Tropfen täglich

Meuterei im Personenschifffahrtshafen

Werner, der Wackel-Dackel

Treffer, versenkt

Wilhelm, der Disco-Saurier

Wenn ein Mondkalb Zehennägel schneidet

Das eierlikörflaschenförmige Gewissen

Roh zu sein, bedarf es wenig

 

 

Der falsche Onkel Ludwig

Jetzt, nach Ausbruch des Fäißbuck-Zeitalters, kann es schon einmal vorkommen, dass zu einer Familienfeier zusätzlich zu den 20 eingeladenen Gästen noch circa 20 000 weitere Teilnehmer erscheinen. Diese sind dann meist nicht direkt persönlich eingeladen, sondern sowas ähnliches wie downgeloadet. Uneingeladene Gäste gibt es aber auch ohne Fäißbuck.

Herr Max S., ein namhafter Vertreter jener Nebenerwerbs-Nassauer und Mitesser, ist jetzt wegen vorsätz­lichen Einschleichens in eine Hochzeitsfeier vor Gericht gestanden. Selbstverständlich unschuldig. Und zwar ungefähr genau so unschuldig, wie er schon mehrfach einschlägig vorbestraft war, unter anderem wegen irrtümlichen Übernachtens in einem unbezahlten Hotelzimmer in Tateinheit mit Brunch-Betrug. Bei dem Brunch-Betrug ist es um den Schmuggel kostbarster Lebensmittel mittels einiger mitgeführter Tupper-Schüsseln gegangen. Jetzt um das rätselhafte Verschwinden von zwei Briefumschlägen.

»Ich hob dermiid ibberhabbs nix zum Dun«, versicherte der Max dem Richter, »ich bin in däi Hochzeitsfeier neikummer wäi es Kind in die Jungfrau, odder wäi mer dou sachd. Blouß wall anner vo däi Gnaller gmaand hodd, ich bin der Onkl Ludwich, den wou ich ibberhabbs nedd kenn. Geschweiche denn, dass ich der Onkl Ludwich bin!«

Der geheimnisvolle Zusammenhang zwischen einem Onkel Ludwig und dem Max erschließt sich erst, wenn man weiß, dass der »ursprüngliche« Max – zufällig oder auch nicht – damals an dem Haus mit der Hochzeitsfeier vorbeigekommen ist. Und angeblich habe ihm dort jemand plötzlich zugejubelt: »Ja dou schau her! Edzer kummd der Onkl Ludwich!« Und bevor er erklären habe können, dass es sich bei ihm in keiner Weise um einen Onkel Ludwig handle, sei er bereits mit einem Glas Prosecco in der rechten und einem Pappdeckeltellerlein voll ziemlich ungenießbarem Fingerfood in der linken Hand im Wohnzimmer gestanden. Allenthalben sei auch da wieder und wieder der Ruf erschollen »Der Onkl Ludwich is dou, der Onkl Ludwich is dou!«

»Ja, dou konnsd doch nou denni Laid nedd die Freid verderm, odder?!«, sagte der Max in der Verhandlung. »Und nou hobbi hald in Onkl Ludwich gmacht. Und nach suwos fünf odder acht Broseggo und a boor suu Moongdredzerla binni widder ganger. Des woor alles, Herr Richter.«

Gemäß Anklage war das aber bei Weitem noch nicht alles. Erstens soll ihn damals kein Mensch in freudiger Erregung als einen Onkel Ludwig begrüßt haben, zweitens gebe es in der gesamten Verwandtschaft von Braut und Bräutigam keinen Onkel Ludwig, drittens habe er sich selber als Onkel Ludwig vorgestellt. Und viertens sei er zur Prosecco-Einnahme stets auffällig nahe am Geschenktisch des Hochzeitspaares gestanden.

Dort sind nach übereinstimmender Aussage einiger Zeugen ursprünglich drei Briefumschläge gelegen. Nach dem eher stillen Abschied vom Onkel Ludwig hat sich am Gabentisch aber nur noch ein einziges Kuvert befunden, in dem ein Gutschein gesteckt ist für den Besuch eines Konzerts der Nürnberger Symphoniker. Jetzt hielt ihm der Richter folgenden angenommenen Tathergang vor: »Sie hom die Briefumschläge untersucht, die zwei mit insgesamt 500 Euro drin hom S’ eingschdeckt, und die Eintrittskarten für die Symphoniker hom S’ lieng lassn. Weil so Leut wie Sie keinen Sinn für Intresse vo irchndwos hom! Vo Kunstgenuss scho glei goornedd!« – »Des nehmer S’ zrigg, Herr Richter«, wütete der Max alias Onkel Ludwig, »wall, wenn ich die Kuwerddn ibberhabbs gseeng hädd und ich hädd rein deoredisch neigschaut – des Geld hädd ich nie im Leem gnummer! Allerhäigsdns die Eintrittskarten fiir die Sümbfononinger Dinger odder wäi däi hassn. Also rein deoredisch, nä. Bragdisch hobbi ibberhabbs nix gnummer, blouß dass Sie’s wissen!«

Und wieso dann nach seiner Festnahme ganz genau 500 Euro in Scheinen in seinem rechten Schuh gefunden worden seien? »Froong S’ doch nedd suu bläid! Wallis in linken Schouh nedd neibrachd hob! Graizkiesldunnerwedder numol nei! Weechern Broseggo, wou i in der Händ g’habt hob!«

Nach dem unerwarteten Geständnis ist der falsche Onkel Ludwig zu vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Außerdienstlich wollte der Amtsgerichtsrat nur noch wissen, wie der Max damals die Hochzeitsfeier ausgekundschaftet habe. »Ganz eimbfach, Herr Richter. Dou gäihd mer in die Kirch, und wenn die Hochzeit rum is, froochd mer, wo dass gfeierd werd, und nou gäihd mer hii. Wenn Sie’s aa amol brobiern wolln – die Hälft vo die Kuwerddn g’herrn obber nou mir, gell!«

 

Der Raub der Gänseliesl

Der Sinn der menschlichen Existenz auf Erden besteht bekanntlich darin, dass man schöne Sachen kauft und sammelt und diese daheim stapelt. Der freiberufliche Süßwarenvertreter Heinz R. und seine Frau Karola sind dieser Sinnerfüllung in 22 Jahren Ehe zufriedenstellend nachgekommen. Zum Beispiel stehen freie Sitzplätze für den eigenen Hintern in ihrem Häuschen nur dann zur Verfügung, wenn man Stofftiere, Puppen, Trockenblumengebinde, Schnitzereien aller Art, Kuhglocken, historische Trachtenhüte, Plastikhunde, Filzhüte und so weiter für die Dauer des Hinsetzens einstweilen in den Händen hält.

Gerichtlich ist jetzt festgestellt worden, dass sich die Liste des Sachen über alles schätzenden Ehepaares ohne Weiteres mit jedem Geschenkladen- und Baumarktkonzern messen kann. Allein der Ehemann Heinz R. sammelt Bierkrüge, Bierfilzla, Bierflaschen, Streichholzschachteln, Akkubohrer mit und Akkubohrer ohne Akku, Reagenzgläslein mit Sandproben der heimgesuchten Urlaubsstrände, Schrauben, Nägel, Dachpappe, Schnellbeton, Laminatbretter, Hirschgeweihe, Bronzestatuen, ausgestopfte Singvögel, Streugut und Marmeladengläser mit Muscheln aller Weltmeere, um nur eine kleine Auswahl aus dem Fundus des Graffl-Museums zu nennen.

In der Verhandlung ist es um zwei ebenfalls sehr interessante historische Gegenstände gegangen, um eine circa 20 Jahre alte Hilti-Schlagbohrmaschine und um die Hummelfigur »Gänseliesl«. »Also mir hom ja unser Haisla verkaafn wolln«, sagte der Heinz, »und einen Käufer hommer scho g’habt. Obber der hodd unser Haus bragdisch netto gwollt, also ohne Inhalt, nä. Und nou hom mir einen Garaaschenverkauf gmachd.«

Für ihren Garagenverkauf hätten die Eheleute R. eigentlich ein ganzes Parkhaus gebraucht, aber für einen kleinen Teil der Sammlung hat es gerade so gereicht. Interessenten sind damals auch erschienen. Unter ihnen der Hummelfigurensammler Willy L. Zielsicher hat er aus dem riesigen Müllmuseum die wunderbare Gänseliesl rausgezogen. »Wos soll nern däi kostn?« – »Wenn S’ is ganz schnell miidnehmer«, hat der Heinz hinter einem zwei Meter hohen Stapel Tapetenrollen vorgestöhnt, »an Zehner.« In freudiger Erregung hat der Willy die 10 Euro entrichtet und sich gerade mit der Gänseliesl davon machen wollen – als Frau Karola R. in der Garage aufgetaucht ist, mit dem Entsetzensschrei auf den Lippen: »Wos isn dou los? Brennt Ihner gwiss aweng der Kiddl?! Mei Gänseliesl! Däi bleibt dou! Ich glaab, ihr schbinnd alle zwaa aweng!« Und dann hat sie Herrn Willy L. die Porzellanfigur wieder entrissen. »Obber ich hobs doch scho zahlt g’habt«, sagte der Willy jetzt in der Verhandlung, »nou hodds mer doch aa g’herrd, odder? Und wäi ich dera Frau mei Gänseliesl widder wechnehmer hob wolln«, fuhr er fort, »dou sachds, ich soll an Moment warddn. Ich gräich fiir mein Zehner wos vill Bessers.«

Wenige Minuten später ist die Karola wieder erschienen und hat dem Hummelfigurensammler eine zwar alte, aber nahezu unbenutzte Schlagbohrmaschine in die Hand gedrückt. »Da, däi Hilti dou, däi kenner S’ miidnehmer.« Und dann schon wieder ein durch Mark und Bein dringender Hilfeschrei: »Wos is los?! Mei Hilti? Unter keinen Umständen wird däi verkaffd. Hosd du aweng zer haaß boodn, odder wos?! An wildfremdn Moo gebersd du mei Hilti! Fiir an Zehner! Wo hosdn däi ibberhabbs gfundn? Ich hobs doch extra verschdeckd g’habt.« Wahrscheinlich wird der Heinz seine über alles geliebte Hilti-Schlagbohrmaschine eines Tages nach Art der ägyptischen Könige mit ins Grab nehmen wollen. Ähnlich wie die Karola ihre Gänseliesl.

Soweit ist damals alles geklärt gewesen. Blöd ist es nur für den Willy ausgegangen, der für zehn Euro jetzt weder eine Hummelfigur noch eine Hilti erhalten hat, sondern praktisch nix. »Ich hob nou«, sagte er, »der Frau die Gänseliesl widder wechgnummer. Und dou derbei is am Garaaschnbuudn noogfluung und woor hii.« Der Richter entschied jetzt, dass der Kauf der Gänseliesl damals rechtens gewesen sei. Auch sei sie nicht zehn, sondern mindestens 150 Euro wert.

Im Namen des Volkes müssen die Karola und der Heinz diese Summe dem Willy zurückzahlen. Zusätzlich wurde die Karola zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt. Außergerichtlich erkundigte sich der Willy, ob er jetzt wenigstens die Hilti-Schlagbohrmaschine in Besitz nehmen könne. »Mei Hilti?«, zischte der Heinz, »nie im Lebm! Wassd du, wos du hoom konnsd? Einen aldn Oorsch konnst du hoom! Und zwar den vo der Gänseliesl …«

 

Entführung eines Facharbeiters

Momentan herrscht ein großes Rätselraten um den Facharbeitermangel. Mangel hätten wir in Hülle und Fülle, aber keine Facharbeiter. Verschiedentlich wird gemutmaßt, dass dieser Facharbeitermangel seinen Ursprung im Nichtausbilden von Facharbeitern haben könnte. Eine andere Ursache kann aber auch sein, dass manche Benützer von Facharbeitern diese begehrten Spezialisten irrtümlich für Zwangsarbeiter halten. Wie im Fall des Schreinermeisters Markus L.

Unter anderem fertigt der Markus sehr schöne Haustüren an, müsste für diese Produktion infolge des Facharbeitermangels aber an geeigneter Stelle beantragen, dass für ihn ein Arbeitstag 48, wenn nicht sogar 96 Stunden währt. Sein Seufzen um eine Vervierfachung der Tageszeit ist aber noch nicht erhört worden, sodass einer seiner Kunden, Herr Udo K., seit einem Dreivierteljahr auf eine neue Haustür gewartet hat.

»Meistens«, äußerte sich der Udo jetzt vor Gericht, »meistens hodder einen Magen-Darm-Firus g’habt, wenn­in gfrouchd hob, wo dass mei Haustür bleibt. Zwischnnei aa amol einen Migräne-Anfall odder a Meniskusoperation odder Hühnergrippe odder Rindermumps, odder er hodd si grood widder amol an Finger wechgsäächd g’habt.« Eines Tages aber, wie der Udo schon niemals mehr mit einer neuen Haustür gerechnet hat, jedenfalls nicht mehr in diesem Leben, hat der Schreinermeister Markus L. – wie durch ein Wunder von all seinen Verwundungen und Epidemien genesen – angerufen: »Ihr Tür is ferddich. Morng kumm i und baus ei.« Vor Freude hat der Udo ein Fläschlein Prosecco einlaufen lassen, einen Tag Urlaub genommen und am andern Vormittag die alte Haustür aus den Angeln gehoben und sie zum Recyclinghof auf den Haustürenfriedhof gebracht.

»Um elfer«, sagte er jetzt vor Gericht, »hodd unser Schreiner gsachd, dasser kummd. Also fräih ummer elfer. Ab zehner hobbi aff ihn gwardd. An der Haustür, wo obber ka Haustür mehr da war.« Um elf Uhr ist sodann kein Schreinermeister Markus L. erschienen. Um zwölf Uhr auch nicht, wie auch nicht um 13, 14 oder 15 Uhr.

Sanft hat sich die Dämmerung über die Nordvorstadt gelegt, die ersten Sternlein haben, wie es im Gutenachtlied heißt, begonnen zu prangen. Aber von einer guten Nacht hat beim Udo nicht im Entferntesten die Rede sein können. »Wall – mir hom ja ka Haustür mehr am Haus g’habt, nä. Häddi glei a Schild ba uns hiihänger kenner ›Liebe Ganoven, wenn ihr einbrechen wollt, bei uns geht es heute ganz einfach, die Tür is nicht nur offen, sondern überhaupts nicht da und liegt noch in der Werkstatt.‹ Seid fräih ummer Zehner binni ba uns an der Tür g’hockt, Herr Richter! Zwischndurch hodd mer mei Frau immer wos zum Essn bracht und aweng wos zum Trinken.« Und etwa alle 30 Minuten hat er beim Schreinermeister angerufen, um jedes Mal den Worten zu lauschen: »Wir sind zurzeit nicht erreichbar, Sie können jedoch eine Nachricht hinterlassen …« und so weiter.

Einige Nachrichten hat der Udo hinterlassen; sie haben aus Worten bestanden wie Hundsgribbl, elendicher, dumme Sau, Betrüger, Drecksack oder Schreinermeister-Zibfl, verbrunster. Kurz vor Mitternacht sind dem Türwächter ohne Tür der Schimpfwortschatz und die Geduld ausgegangen. Mit einer Wut sondergleichen im Bauch und sieben bis acht Türwächterbieren im Blut hat er seine Ehefrau als Haustürwachtel eingeteilt, sich ins Auto gesetzt und ist 20 Minuten später, kurz nach Mitternacht, an der Werkstatt und Wohnung seines säumigen Schreinermeisters angekommen. Unter Androhung von »Mordsdrimmer Fodzn«, wie sich der Markus erinnerte, hat er den im Tiefschlaf befindlichen Facharbeiter aus dem Bett in die Werkstatt gejagt, mit ihm die Haustür ins Auto gewuchtet und ist wieder gestartet.

»Kurz dernouch«, erinnerte er sich jetzt nebelhaft, »hom mi die Bolli oog’haltn. Däi hom mich gfrouchd, wos ich nachts ummer aans mit anner Haustür im Auto will. Und dann schreit der Depp vo Schreinermasder neber mir nu, dass er bragdisch entführt worn is. Homs mi nerdirli glei verhaft und zur Blutprobe miidgnummer.« Sinngemäß muss der Udo damals gebrüllt haben, dass er jetzt überhaupt keine Zeit für eine gschissne Blutprobe oder eine vorläufige Festnahme habe. Erst müsse das Rimbfiech von Schreinermeister bei ihm daheim die Tür einbauen, dann könne man über den weiteren Verlauf der Nacht reden. Aber die Beamten haben auf der Blutprobe bestanden. Für die dabei gemessenen 2,4 Promille, ein bisschen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Entführung einer Haustür und eines Schreinermeisters haben sich jetzt sechs Monate mit Bewährung, 2 400 Euro Geldbuße und 15 Monate Führerscheinentzug ergeben. Nicht zu vergessen eine Ordnungsstrafe von 300 Euro, für die noch im Sitzungssaal geäußerte Bemerkung: »Wenigstens mei Haustür hodder mer am andern Dooch hiig’hängt, des Oorsch­luuch …«

 

Der Kirschkerngrapscher

Seit es im Fernsehen fast alle zwei Tage live übertragen wird, ist Spotzen wieder salonfähig. Bald werden die Moderatoren bei einem Fußballspiel vielleicht auch dazu übergehen, Größe, Konsistenz, Geschwindigkeit des jeweiligen Mundauswurfs bekannt zu geben, und welche Weite der jeweilige Profispotzer mit seinem hierorts »Kudderla« genannten Geschoß erzielt hat.

Bei jedermann scheint das öffentlich-rechtliche Spucken aber nicht beliebt zu sein, denn jetzt ist der Präzisions-Spucker Andreas L. vor Gericht gestanden. Vollkommen unschuldig, wie sich denken lässt. Zumal er damals bei seiner angeblichen Attacke auf die Consulting-Assistentin Heidi K. nicht einmal eine herkömmliche, natürliche Spucke als Munition verwendet hat, sondern lediglich Kirschkerne. Aber Frau Heidi K. blieb auch jetzt in der Verhandlung bei ihrer Beschuldigung: eine Sauerei hoch zwei.

Der Andreas sei damals am Ufer der Pegnitz über ihr gestanden, mit einer Tüte Kirschen in der Hand, und habe mit affenartiger Geschwindigkeit erstens die Kirschen in sich hineingeworcht und zweitens die Kerne mittels ruckartiger Bewegung von Kopf und Hals ausgespuckt, als sei sein Mund ein ballistisch hochent­wickeltes Schnellfeuergewehr. »Ich bin unten aff der Bank g’hockt«, sagte die Heidi, »und dou sin die Kirschkern direkt runterbrassld auf mich. Und nou hobbi den Moo gfrouchd, ob er des dahamm aa suu macht, die Kirschkern ummernander schbodzn. Sachd der zu mir, naa, des machd er dahamm nicht suu, wall dou doud sei Frau die Kirschn vuurher entkernen.«

Zusätzlich soll der Andreas der Heidi noch das Angebot unterbreitet haben, sie könne den Rest der Kirschn mittels geschicktem Zulln entkernen und sie ihm anschließend zum Verzehr reichen. Dann würde das Kernespotzen entfallen.

»Ja, konn scho sei«, fuhr das Opfer des Kernschnuppenbefalls fort, »dassi nocherdla zu ihn gsachd hob, er soll sei Maul haldn. Des wird mer ja nu soong derfn ba suu an saubläidn Gwaaf, odder?« Nach dem Vorschlag seitens der Heidi, dass der Kirschkernweitspotzer ­Andreas das Maul halten soll, ist es dann passiert. »Hodd der Moo mir zwaa odder drei Kirschkern direkt in Ausschnitt vo meiner Blusn neigschbodzd! Des mäin S’ Ihner amol vuurschdelln, Herr Richter! Erschd zullders a halbe Stund in seiner Goschn rum, und nou schbodzder mers oomer in mein Ausschnitt nei! Also mich hoddsder vielleicht graust – direkt schlecht is mer worn.«

Wie der Racheengel persönlich ist die Heidi dann vor dem Schützenkönig gestanden und hat ihm zu seinem Volltreffer gut hörbar und anerkennend gratuliert: »Hom Sie in ledzder Zeit eine Gehirntransplantation g’habt odder wos?! Ihner brennt doch der Kiddl! Erschd wild in der Geengd ummernanderschbodzn, und dann mir aa nu in mei Dekolleté nei! Ich bin doch nedd Ihr Spucknapf! Bfui Deifl nu amol nei! Suu a Sau wäi Sie, däi g’herrd in Tiergarten! Vielleicht als Lama odder wos!«

Nach ihrem ersten Wutausbruch hat die Heidi vor sich hin gemurmelt, dass sie zu allem Überfluss jetzt auch noch die sorgfältig angeschnullten Kirschkerne aus der Bluse fischen muss. Die Äußerung hätte sie vielleicht besser unterlassen. Denn in dem Moment hat der mittelfränkische Weit- und Zielspotzmeister Andreas L. beweisen wollen, dass er durchaus auch ein Kavalier der alten Schule sein kann. Oder was er drunter versteht. »Des wer mer glei hoom«, hat er angekündigt und der Heidi blitzschnell in die Bluse gelangt, angeblich, um die Kirschkerne aufzuspüren.

»Ja fraali«, wetterte die Heidi, »Kirschkern hodd der gsouchd! Dassi fei nedd einen Lachanfall gräich! Rumgriffld hodd der in meiner Blusen drinner, suwos hobbi ibberhabbs nunni derlebt! Wo der überall hiiglangt hodd – Kirschkern woorn des gwieß nedd!« Aber der Andreas blieb dabei: Er habe aus der Heidi nur die Kirschkerne entfernen wollen, an anderen Fundgegenständen sei er in keiner Weise interessiert gewesen. »Und warum«, fragte die Heidi, »warum hom S’n nou dauernd an meine Gnebberla rumgschraubt?!« – »Walli gmaand hob, des sin Kirschkern.«

Für das Spotzen wurde Herr Andreas L., ähnlich wie dauerspuckende Fußballspieler, nicht belangt, das Eintauchen in eine Bluse aber gilt entschieden als sexuelle Belästigung. Für die schüttete das Gericht drei Monate mit Bewährung und eine Geldbuße von 800 Euro aus. Und am besten sei es bei seinen Umgangsformen, riet ihm der Richter noch, vom Verzehr von Stein- und Kernobst in der Öffentlichkeit ab sofort abzusehen. »Mach i«, sagte der Andreas. Und mit einem langen Blick auf die Oberweite der Heidi: »Von Fallobst lass i in Zukunft aa die Finger.«

 

Die Arschbomben-Meisterschaft

Ruhe ist eine ziemlich relative Sache. Manche Oberbürgermeister oder Ministerpräsidenten zum Beispiel empfinden dröhnende Triebwerke von Fliegern aller Art wie das Summen einer Stubenfliege, also als extrem ruhig. Wahrscheinlich deswegen, weil sie von den Flughäfen in der Regel sehr weit entfernt wohnen. Während jetzt hingegen der Ruheständler Manfred B. das Eintauchen in ein Wasser in Form einer sogenannten Arschbombe wie den Einschlag einer Mittelstreckenrakete wahrnimmt.

Von einer Ruhe, sagte jetzt der als Zeuge geladene Manfred aus, könne bei seinem Ruhestand nicht im Mindesten die Rede sein. Außerdem sei er im Verlauf seiner Demonstration gegen den Höllenlärm im Nachbarsgarten um ein Haar ersäuft worden. Praktisch Mordversuch.

Angeklagt war der Nachbar Martin R. mit seiner neuesten Errungenschaft – einem aufblasbaren Planschbecken, in dem immer am Wochenende sein vierjähriger Enkelsohn Alexander für die mittelfränkische Arschbombenmeisterschaft mit großer Hingabe trainiert hat. Angeblich ungefähr ab zehn Uhr früh bis zum Sonnenuntergang hat man den Alexander unablässig jauchzen hören »Opa, Oorsbombe, Oorsbombe!«, danach ein dumpfe Wasserexplosion und Sekunden später schon wieder »Opa, nu amol Oorsbombe, Oorsbombe!« Zwischendurch hat auch der Opa persönlich eine Oorsbombe vollführen müssen, zur größten Freude vom Alexander.

»Des hält doch kein normaler Mensch aus«, sagte der Manfred vor Gericht, »in ganzn Samsdooch und masdns aa nu in Sunndooch! Dauernd ›Oorsbombe, Oorsbombe, Opa, Oorsbombe‹. Dou wersd doch ganz bläid im Oors, äh, Entschuldichung, im Kubf.«

Kurz bevor der Manfred ganz blöd im Kopf zu werden drohte, ist er an einem Samstagnachmittag mit den Worten »Is edzer dou ball a Rouh mid dera scheiß Oorsbombe!!!« an der Arschbomben-Kampfbahn aufgetaucht. Falls keine Ruhe eintrete, alarmiere er umgehend die Polizei. »Jawoll, des machsd«, hat ihm der Opa Martin geraten, »am besdn glei die Wasserbollizei. Und edzer schausd, dassdi schleigsd! Suu a Deooder dou machen weecher den bissala Hubfm!«

Womöglich hätte sich der geräuschempfindliche Nachbar tatsächlich geschlichen, aber es ist nicht mehr möglich gewesen. Wie es genau passiert ist, hat man nicht mehr ermitteln können. Nur der Nachbar Manfred B. hat sich mit hundertprozentiger Sicherheit an einen Jubelruf des Enkelkindes erinnert. Und zwar hat der Alexander plötzlich, in freudiger Anteilnahme am Zwist der zwei Rentner, geschrien: »Opa Oorsluuch hubfen! Opa Oorsluuch hubfen! Oorsbombe! Hob edz, Oorsbombe, Opa Oorsluuch!« Und schon hat der zärtlich als »Opa Oorsluuch« gerufene Nachbar von hinten einen leichten Rempler erhalten, ist dadurch über den Gummiwulst des Planschbeckens gestolpert, hat, um sich zu retten, noch einen Schnalzerer nach Art älterer Karpfen vollführt und ist infolgedessen mit dem bei Kunstspringern gefürchteten eineinhalbfach gedrehten Auerbach voll auf die Wasseroberfläche geplatscht und dann untergegangen.

Eine Todesgefahr hat aber bei der Wassertiefe von circa 30 Zentimetern nicht bestanden. Der Anklagepunkt Mordversuch hat sich nicht halten lassen. Aber Sachbeschädigung. Denn der Manfred ist unter anderem mit einem kostbaren Designerjäcklein bekleidet gewesen, hat eine 1 000 Euro teure, jedoch nicht wasserdichte Uhr getragen, und sein iPhone ist bei der ­Oorsbombe ­ebenfalls über den Jordan beziehungsweise über den Gummiweiher gegangen. »Und beleidichn lou i mi vo den glann Ruuzleffl scho glei goornedd«, sagte der Kunstspringer. »Sachd der ›Opa Oorsluuch‹ zu mir! Dou wass mer doch, wäi der Nachber vuur sein Enkerla iiber mich reden doud, odder?! Den wer i scho soong, wer vo uns zwaa der Opa Oorschluuch is!«

Wer jetzt dem ursprünglichen »Opa Oorsluuch« den Schubser in den Plansching-Pool erteilt hat, wollte der Richter wissen. »Wassi nedd«, antwortete der Martin. »Ich woors jedenfalls nedd. Und mei Enkerla scho glei goornedd. Vielleichd woors der Wind odder wer.« Das Verfahren gegen den Opa Martin wurde eingestellt. »Wennsd fei widder amol a Oorschbombm machen mechersd«, lud der Martin den Manfred nach der Verhandlung ein, »immer widder gern, gell. Mei Enkerla woor ganz begeistert. Obber nedd vergessn: vuurher die Jackn und die Uhr roo dou und ohne Händy, gell. Und«, fügte er noch hinzu, »ganz wichdich: bam Hubfm lautlos ins Wasser neigleidn, bragdisch wäi a Indianer. Wall, ich hob recht lärmembfindliche Nachbern.«

 

Der zwangsernährte Missionar

Missionare sind nicht mehr in dem Maß wie früher über die Welt verteilt, wo sie oft ein großer Segen gewesen sind. Hat sich damals nur gefragt, für wen. In der Südstadt ist jetzt ein heutzutage seltener Fall von Missionierung passiert, der allerdings voll in die Hose beziehungsweise zunächst in den Mund gegangen ist.

Ludwig M. pflegt in seiner näheren Umgebung aber nicht mutmaßliche Ketzer, Heiden, Atheisten oder Agnostiker in den Schoß irgendeiner alleinseligmachenden Religion heimzuholen, sondern er predigt mit großer Inbrunst die Fleischlosigkeit von Mahlzeiten als höchstes Gut menschlicher Existenz. Sein Satan, sein Fegefeuer hören auf hierorts so klangvolle Namen wie Blaue Zipfel, Schäufele oder Schlachtschüssel. Jetzt ist der Hobby-Presssackaustreiber als Zeuge und Opfer seiner Missionstätigkeit vor Gericht geladen worden.

Angeklagt war der pensionierte Straßenbahner Otto W., ein sündiger Mensch sondergleichen. »Weecher mir«, diktierte er dem Anwalt der Gegenseite in die Akten, »weecher mir kann Ihr Mandant in ganzn Dooch zentnerweis Körnla fressn, bis er nimmer wass, is er a Wellnsiddich oder a Babbagei. Obber wenn er maand, dass er mich überredn muss, dass ich mir zon Oomdessn an Sack vull Hennerfudder hiischdelln lass, nou konns scho ganz schäi bläid nausgäih, nä.«