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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2018

 

© 2018 by Jessica Martin

 

Verlagsrechte © 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

 

ISBN-13: 978-3-95823-711-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Für einen Vampir ist es das Todesurteil, seinem Lotus zu begegnen – und gleichzeitig das größte Geschenk, wenn auch nur für wenige Tage. Denn nach dieser Zeitspanne des Liebesglücks bedeuten Mensch und Vampir füreinander den Tod.

Vampir Hunter bricht mit dieser Regel, als er auf seinen Lotus Lorenz trifft, denn er bezwingt seinen überwältigenden Drang, Lorenz zu beißen. Er freundet sich nicht nur mit Lorenz an, sondern entwickelt auch tiefere Gefühle für den hübschen Studenten, die weit über ihre Lotusverbindung hinausgehen. Lorenz ist sich der Lebensgefahr bewusst, in der er schwebt, kann seine Gefühle für Hunter jedoch schließlich nicht mehr verleugnen. Hunter dagegen will ihn mit aller Macht vor dem Vampirdasein beschützen und setzt damit Lorenz‘ Vertrauen aufs Spiel. Verlieren sie nun alles oder gibt es noch einen anderen Weg für ihre Liebe?


 

 

 

Für Claudia,

die so gern mal eine Geschichte über einen Vampir

mit Stärken und Schwächen und einer ganz bestimmten

Vorliebe lesen wollte.

Danke, Liebes, für das spannende Plotbunny

und voilà, hier ist die Geschichte.

 

 


 

 

Prolog

 

 

Beiß ihn!

Der Gedanke schoss durch meinen Kopf und ehe ich wusste, wie mir geschah, setzten meine Beine zum Sprung an und ich landete auf dem schmutzigen Betonboden hinter dem Müllcontainer.

»Aaaah!« Der Teenager, der hinter der Tonne kauerte, starrte mich mit riesigen Augen an. »Bitte tun Sie mir nichts.«

Beiß ihn! Unbändiger Durst überfiel mich und Gift strömte nur so in meine Kiefer, die stärker kribbelten als je zuvor. Alles in mir verlangte danach, ihn zu beißen, von ihm zu trinken und sein Blut meine Kehle hinunterlaufen zu lassen. Ich konnte es förmlich spüren, doch ich biss die Zähne zusammen und wehrte mich gegen meinen Durst. Es erforderte all meine Selbstdisziplin, meine Zähne bei mir zu behalten. »Wer bist du?« Meine Stimme glich einem Knurren, was den Kleinen hektisch schlucken ließ.

»Ich... L-L-Lorenz. Lorenz Ziems. Ich w-wohne hier. Im V-V-Vorderhaus. Wir sind am Wochenende eingezogen«, brachte er zitternd und mit wild klopfendem Herzen hervor. »Wirklich. Bitte glauben Sie mir das.«

Gott, er riecht so verlockend und es wäre ganz leicht. Die Stelle war nicht einsehbar, es wäre so schnell gegangen, dass niemand es mitbekommen hätte, und Lorenz' Geruch zog mich unglaublich stark an, doch ich schaffte es, mich zurückzuhalten. »Was tust du hier?«, fragte ich und wich ein paar Schritte zurück, neben die Tonne, sodass man mich von den Fenstern des Hinterhauses aus sehen konnte.

Den Jungen schien es zu beruhigen, dass ich lieber Fragen stellte, statt ihn anzugreifen, denn er umklammerte seine Knie fester und stützte das Kinn darauf ab. »Nichts.«

»Lorenz!«, brüllte eine Männerstimme über den Hof, woraufhin der Teenager zusammenzuckte und ängstlich zu mir aufsah. »Wo steckt der Rotzbengel schon wieder? He, Sie da!«

Für einen Moment blickte ich in Lorenz' riesige, blaue Augen, dann wandte ich mich langsam um. »Ja?«

»Haben Sie einen Jungen gesehen? Blond, dürr, aufmüpfig.«

Ich beförderte meine Mülltüte in die Tonne und blickte dann wieder zu dem von Alkohol und Nikotin gezeichneten Typen im fleckigen Unterhemd, der mich mit einer Kippe im Mundwinkel erwartungsvoll ansah. »Nein. Ihr Sohn?«

»Stiefsohn«, antwortete der Mann kopfschüttelnd.

»Wie alt ist er?«

Einen Moment lang schien der Typ überlegen zu müssen. »Dreizehn.«

Ein Schnauben erklang hinter der Tonne, für menschliche Ohren jedoch zu leise.

»Ausgerissen?«, hakte ich nach, woraufhin der Mann nickte. Wut überrollte mich und ich wollte nichts mehr, als Lorenz mit allen Mitteln vor seinem Stiefvater zu beschützen. Es war wie ein Zwang, doch ich konnte den Mann nicht am helllichten Tag hier auf dem Innenhof beißen, geschweige denn töten. »Wie heißen Sie? Dann sag ich Bescheid, wenn ich ihn sehe«, log ich.

»Schulze. Aber klingeln Sie bei Ziems. Ich wohne bei seiner Mutter.«

»Alles klar. Ich halte die Augen offen«, sagte ich, woraufhin der Mann sich noch mal umsah, bevor er mir zunickte und wieder in den Hausflur verschwand. Einen Moment lang wartete ich, bevor ich mich zu Lorenz umdrehte.

»Danke«, flüsterte er.

Ich vergewisserte mich noch mal, dass mich niemand beobachtete, dann wappnete ich mich, trat hinter den Container und hockte mich zu ihm. Gott, wie gut er roch. Nach Süßholz irgendwie. Verlockend und viel intensiver als andere Menschen. Etwas in mir ahnte, warum dies so war, doch ich verdrängte diesen Gedanken. Die Wahrscheinlichkeit dafür war zu gering. »Wieso bist du abgehauen?«, fragte ich, obwohl ich es mir angesichts der blauen Flecke auf seinen nackten Armen denken konnte.

Lorenz zuckte mit den Schultern, doch sein Herz klopfte noch immer zu schnell. »Keinen Bock auf Schläge.« Ehe ich etwas dazu sagen konnte, reckte er das Kinn in die Höhe und blickte mir in die Augen. »Ich bin fünfzehn.«

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, aber als sich seine Augen beim Anblick meiner Zähne weiteten, schloss ich schnell die Lippen. »Wie lange willst du hier noch hocken bleiben?«

Wieder zuckte er nur mit den Schultern. »Bis er zu besoffen ist, um zu treffen.«

»Kommt das öfter vor?«

»Wenn's Geld knapp wird.«

»Verstehe.« Ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich meine Brieftasche hervor und holte ein paar Scheine heraus. »Hier. Für Schulbrot und Mittagessen.«

Lorenz' Augen waren riesig, als ich ihm das Geld in seine ausgestreckte, zitternde Hand drückte. »Aber...«

»Ich wohne im Hinterhaus. Hunter Jacobs. Sag Bescheid, wenn du wieder was brauchst.« Mit diesen Worten erhob ich mich, denn ich wusste nicht, wie lange ich seinem Duft noch würde widerstehen können.

»Danke.« Immer noch perplex drückte er sich die Scheine an die Brust. »Wieso tun Sie das?«

Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen konnte – nicht mal wusste, ob sie stimmte –, zuckte ich nur mit den Schultern. »Ich hab's über.«

Er runzelte die Stirn, dann lächelte er zaghaft. »Okay. Danke.«

Mit einem knappen Nicken drehte ich mich um, doch eine innere Stimme hielt mich zurück. Ich sah über meine Schulter auf den zusammengekauerten Körper des Jugendlichen. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee war, aber ich konnte ihn nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Nicht ihn. »Wenn du Hilfe brauchst, komm ruhig vorbei.«

Er schluckte. »Ist nett, aber –«

»Nichts aber!«, fuhr ich ihn schärfer an als beabsichtigt, woraufhin er zusammenzuckte. »Weißt du noch, wie ich heiße?«

»Hunter Jacobs«, flüsterte er.

»Gut.«

Eine Woche später stand Lorenz zum ersten Mal vor meiner Tür.

 

 


 

Kapitel 1

 

 

Acht Jahre später

 

Ich rieche ihn, bevor ich ihn höre. Nur wenige Sekunden, nachdem sein betörender Duft meine Nase gekitzelt hat, klimpert sein Schlüsselbund im Hausflur, öffnet und schließt sich die Wohnungstür. Es dauert nicht lange und sein Geruch wird stärker. Begleitet vom Pochen seines Herzens ertönen seine leisen Schritte auf dem Teppichboden, als er sich mir nähert.

Vorsichtig geht die Schlafzimmertür schließlich auf. Sein Duft überwältigt mich, wie immer, wenn wir uns einige Zeit nicht gesehen haben, und für einen Moment muss ich die Augen schließen, um meinen Durst zügeln zu können. Er weiß es, daher bleibt er im Türrahmen stehen und wartet. Sein Herzschlag erhöht sich kaum, denn wir kennen uns lange genug. Wir waren schon öfter in dieser Situation, als ich zählen kann. Als ich mir sicher bin, ausreichend Kontrolle über meinen Körper zu haben, rolle ich mich auf der Matratze herum.

Lorenz steht im Zimmer, die Hände zu Fäusten geballt. »Darf ich?«, fragt er kaum hörbar.

»Natürlich.« Lächelnd hebe ich seine Bettdecke an, woraufhin er die Jacke auszieht und sich zu mir legt. »Willst du reden?«

»Jetzt nicht.«

»Okay.«

Eine Weile liegen wir stumm da, während ich seinen unruhigen Atemzügen lausche und darauf warte, dass er die Tür zu seinem Innersten für mich öffnet. Es dauert länger als gewöhnlich, doch schließlich atmet er tief durch und schiebt sich langsam rückwärts an mich heran.

Lächelnd schlinge ich einen Arm um seinen Bauch und ziehe ihn an meine Brust. Er ist noch immer zu dünn, doch das leichte Sixpack unter meiner Handfläche beweist, dass sich unser gemeinsames Training bereits ausgezahlt hat. Abgesehen vom Körperlichen ist er in den letzten Jahren auch geistig gereift. Aus dem schüchternen, verängstigten Teenager ist ein noch immer zurückhaltender, aber reifer junger Mann geworden. Er trägt das Herz am rechten Fleck, obwohl sein Leben bisher wahrlich nicht leicht war.

»Du bist heute so kalt«, flüstert er plötzlich in die Stille hinein.

»Hab den ganzen Tag nichts getrunken.«

Er versteift sich und sein Atem stockt, aber er rückt nicht von mir ab. »Warum nicht?«

»Viel zu tun. Hab's nicht zu Cyrill geschafft.«

»Du kannst was von mir nehmen«, murmelt er und legt den Kopf zur Seite.

Ich muss schlucken und schließe die Augen. »Du weißt, dass das nicht geht.«

»Ja.« Er seufzt leise und für einen Moment schweigen wir wieder. »Ich habe die Polizei gerufen.«

Endlich. Erleichtert schließe ich die Augen und lehne meine Stirn gegen seinen Nacken. »Haben sie ihn mitgenommen?«

»Ja. Und Mama mit ins Krankenhaus. Platzwunde am Kopf, gebrochener Arm, Rippenprellung, das volle Programm. Ich hatte keine andere Wahl, als Hilfe zu rufen. Er hat getobt, Hunter. Wenn sie ihn rauslassen, bringt er mich um.«

Ich richte mich auf, drehe Lorenz auf den Rücken und blicke ihm fest ins Gesicht. »Das weiß ich zu verhindern.«

Er verdreht die Augen. »Du kannst nicht ständig an meiner Seite sein.«

»Doch, kann ich.«

»Hunter.«

»Lorenz«, entgegne ich in dem gleichen genervten Tonfall. »Komm mit mir und ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht.«

Er verdreht wieder die Augen. »Und Mama?«

Resigniert lasse ich mich auf den Rücken fallen und starre an die Zimmerdecke. Ich weiß nicht, wie oft wir diese Diskussion in den Jahren seit seinem Abi geführt haben, doch er scheint es nicht einzusehen. Seine Mutter ist unbelehrbar. Sie wird sich niemals von diesem Arschloch trennen, denn sie nimmt ihn vor jedem in Schutz und erfindet Ausreden für ihre blauen Flecke. Doch statt dieser Hölle zu entfliehen, geht Lorenz immer wieder zu seiner Mutter zurück, in dem Glauben, sie beschützen oder gar verteidigen zu können, sollte sein Stiefvater wieder mal austicken. Dass Lorenz sich dadurch jedes Mal selbst in Gefahr bringt, will er nicht hören. Jetzt, da er kurz vor dem Abschluss seines Studiums steht, könnte er so viel aus seinem Leben machen, wenn er nur endlich von hier verschwinden würde, doch er weigert sich.

Er schiebt seine Hand auf meinen Bauch und legt den Kopf auf meine Schulter. »Du weißt, dass sie nicht mitkommen würde«, flüstert er.

Ich lege meine Arme um ihn und foltere mich selbst damit, dass ich meine Nase in sein Haar drücke. »Ich weiß, aber es kann so nicht weitergehen, Lorenz. Ich kann hier nicht mehr länger bleiben und du musst da endlich raus.«

»Du hast recht«, flüstert er, doch ich weiß, dass er seine Meinung nicht ändern wird. »Geh ohne mich.«

»Nein.«

»Aber du musst. Du bist schon viel zu lange hier.«

Das stimmt. Während sich die Menschen um mich herum in den letzten Jahren äußerlich verändert haben, bin ich nicht gealtert. Normalerweise halte ich mich nie länger als fünf bis sieben Jahre an einem Ort auf und ich habe hier schon gewohnt, bevor Lorenz' Familie hergezogen ist. Doch selbst wenn die Leute sich wundern, dass ich seit zehn Jahren jeden Tag wie vierunddreißig aussehe, das Alter, in dem ich gestorben bin, kann ich Lorenz auf keinen Fall allein hier zurücklassen. Niemals.

Ich verstärke meine Umarmung, bis er leise ächzt und zu zittern beginnt. »Entschuldige.«

»Schon okay.« Er zieht die Decke über seine Schultern, dann kuschelt er sich wieder an mich. »Hast du noch was fürs Frühstück da?«

»Ja. Danach muss ich dringend einkaufen.«

Ich spüre, wie er an meiner Schulter lächelt. »Kann ich mitkommen? Ich hab doch keine Uni mehr und Cyrill und ich haben uns lange nicht gesehen. Er vermisst mich bestimmt schon ganz arg.«

Ohne es aufhalten zu können, entweicht ein leises Knurren meiner Kehle. »Nein.«

»Bist du etwa eifersüchtig?« Lorenz lacht, bevor er seine Lippen auf mein Schlüsselbein presst. Das macht er in letzter Zeit öfter und so sehr es mir auch gefällt, zerren diese Zuneigungsbekundungen an meiner Beherrschung.

»Hör damit auf«, warne ich ihn, doch er küsst mich wieder, daher schiebe ich ihn kräftiger von mir weg, als beabsichtigt, woraufhin er mit einem spitzen Aufschrei neben dem Bett landet. »Entschuldige, hast du dir wehgetan?«, frage ich erschrocken.

Sich den Hintern reibend steht er auf. »Nein, geht schon.«

»Tut mir wirklich leid.«

»Schon okay. War meine Schuld.« Lorenz krabbelt wieder unter die Decke und dreht sich auf die Seite, bleibt diesmal aber auf Abstand. Mit einem frechen Grinsen in seinem hübschen Gesicht blickt er mich an. »Regel Nummer eins: Reize keinen durstigen Vampir.«

»Und trotzdem kommst du wieder in sein Bett«, necke ich ihn grinsend, sodass meine Zähne hervorblitzen.

Lorenz grinst ebenfalls. »Ist halt zu verlockend.«

Kopfschüttelnd seufze ich. »Du kannst morgen mitkommen, aber nur unter einer Bedingung.«

»Die da wäre?«, fragt er argwöhnisch.

»Vorher fahren wir zu einem Anwalt und lassen uns beraten, wie ihr das Arschloch auf Abstand halten könnt. Bestimmt kann man kurzfristig eine einstweilige Verfügung erwirken oder so was.«

Lorenz runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht. Da wird Mama nicht mitspielen.«

Ich richte mich auf und setze mich neben ihn. »Okay, dann sage ich es jetzt ganz deutlich: Du wirst nicht wieder in eure Wohnung zurückgehen, solange du dich dadurch in Gefahr bringst.«

»Dein Beschützerinstinkt in allen Ehren, Herr Vampir, aber das hast nicht du zu entscheiden«, entgegnet er, während er sich ebenfalls aufrichtet. »Du weißt, dass ich dir für alles dankbar bin, was du für Mama und mich tust, aber ich kann sie nicht mit ihm allein lassen.«

Für einen Moment starren wir uns ernst in die Augen.

»Okay«, gebe ich schließlich nach, denn auch wenn ich ihn für seinen Leichtsinn schütteln möchte, bin ich stolz darauf, dass er so ein selbstbewusster, starker Mann geworden ist. »Lass uns trotzdem mal mit einem Anwalt sprechen. Wenn du deine Mutter wirklich beschützen willst, darfst du nicht jedes Mal zusehen, wie sie zu ihm zurückgeht.«

»Du hast recht«, murmelt er seufzend und lässt sich wieder auf die Matratze fallen.

Erst jetzt fällt mir auf, wie müde und fertig er aussieht. Ein Blick auf die Uhr bestätigt meine Vermutung, dass es schon nach Mitternacht ist.

»Es ist spät. Schlaf ein bisschen«, bitte ich sanft und schalte die Nachttischlampe aus.

»Schläfst du auch?«

Ich müsste es nicht, aber gerade heute ist es vielleicht besser, statt die ganze Nacht durstig hier zu liegen und mich von seinem Duft einhüllen zu lassen. »Ja.«

»Kann ich die Heizung anmachen?«

»Sicher, aber ich glaube nicht, dass sie warm wird. Tut mir leid, soll ich ins Wohnzimmer gehen?«

»Bitte nicht. Mein Abend war beschissen und ich will nicht allein sein.«

»Mir gefällt es nicht, dass du meinetwegen frierst«, sage ich schuldbewusst, als er aufsteht und zur Heizung geht.

»Ist nicht schlimm«, sagt er leise, während er wieder unter die Decke krabbelt und sie sich bis zum Kinn hochzieht. »Danke, dass ich hier sein darf.«

»Jederzeit, das weißt du doch. Und jetzt schlaf.«

 

Als ich am nächsten Morgen erwache, bin ich allein im Bett. Lorenz' Duft ist noch stark und gleich darauf höre ich ihn in der Küche hantieren. Es riecht nach frischem, warmem Blut, das mich unwillkürlich anzieht, sodass ich nur wenige Augenblicke später die Küche betrete.

Lorenz sitzt vor einer dampfenden Tasse am Tisch und blättert in der Zeitung von gestern. Auf dem Platz ihm gegenüber steht mein Frühstück. Als ich mich auf den Stuhl sinken lasse, blickt Lorenz lächelnd auf.

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen. Vielen Dank«, sage ich und nehme den schwarzen Strohhalm zwischen die Lippen. Bereits nach dem ersten kräftigen Schluck fühle ich, wie sich meine Stimmung hebt und mein Körper aus der Müdigkeit und beginnenden Lethargie erwacht, die mich seit gestern befallen haben. »So gut«, murmle ich genießerisch und lehne mich zurück.

Lorenz' Mundwinkel zucken. »Ich hab ja auch was von meinem untergerührt.«

Erschrocken blicke ich auf und verschlucke mich trotz der Tatsache, dass ich eigentlich nicht mehr atmen müsste. Trotzdem habe ich es mir angewöhnt, denn um sprechen zu können, ist die Luft nun mal nötig. Außerdem fühlt sich tiefes Durchatmen angenehm frisch an. Im Moment huste ich jedoch Blutstropfen auf den Tisch und als der unangenehme Reiz nachlässt, starre ich Lorenz entgeistert an.

»Das war ein Scherz!«, sagt er augenrollend und verzieht schmollend die Lippen, während er mir ein Küchenhandtuch reicht und auf die Sauerei deutet. »Echt, Hunter, meinst du, ich riskiere, dass du von mir abhängig wirst?«

Manchmal weiß ich nicht, ob er das nicht doch tun würde. Hin und wieder habe ich schon bereut, ihm erzählt zu haben, wie einfach es wäre, einen Vampir von dem Blut einer einzelnen Person abhängig zu machen. Wir bräuchten nur ein paarmal hintereinander von dem gleichen Menschen trinken und würden nie wieder einen anderen wollen. Gefährlich für uns Unsterbliche.

»Jetzt guck nicht so grimmig. Es ist alles aus der Konserve aus dem Kühlschrank«, unterbricht Lorenz' verärgerte Stimme meine Gedanken.

»Tut mir leid. Danke, dass du mir Frühstück gemacht hast. Ich weiß, dass du das nicht magst.«

»Kein Problem. Hab mich schon fast dran gewöhnt.« Als das geröstete Weißbrot aus dem Toaster springt, steht er auf. »Ist es noch warm genug?«, erkundigt er sich, während er Marmelade auf das Brot schmiert, und deutet auf meine Tasse.

»Ja, perfekt, zu heiß schmeckt es nicht mehr.«

»Verdirbt das Aroma?«, fragt er über seine Schulter hinweg.

»Genau. Außerdem fängt es an zu klumpen.« Ich muss grinsen, als Lorenz erschaudert. »Konntest du schlafen?«

»Ja, ging schon. Wann fahren wir los?«

»Sobald du so weit bist«, sage ich belustigt, schließlich ist er derjenige, der morgens mehr als eine halbe Stunde im Bad braucht. »Ich habe mich bei Cyrill für den Vormittag angemeldet, du kannst also ganz in Ruhe frühstücken und noch duschen, wenn du willst.«

Lorenz kommt zum Tisch zurück. »Habe ich noch saubere Klamotten hier?«, fragt er mit einem Fingerzeig auf seine Schlafanzughose und das ausgeblichene T-Shirt, das er trägt.

Ich stelle die Tasse ab und nicke. »Mehr als genug. Ich habe Anfang der Woche erst gewaschen.«

Er lächelt. »Danke.« Einen Moment lang blicken wir uns in die Augen, dann widmet er sich seinem Frühstück. »Ich hab vorhin schon mal im Internet nach einem Anwalt für Familienrecht geguckt, konnte aber keinen erreichen.«

Ich sehe zur Uhr an der Wand. »Es ist ja auch erst sieben«, stelle ich fest, bevor mein Blick auf die Jacke fällt, die über seiner Stuhllehne hängt. »Du hast gefroren, oder? Warum hast du mich nicht geweckt?«

Er grinst. »Regel Nummer zwei: Keine schlafenden Vampire wecken. Schon gar nicht, wenn sie am Vortag nichts getrunken haben.«

Ja, okay, da hat er vermutlich recht. Es ist schon vorgekommen, dass ich ihn im Halbschlaf versehentlich angesprungen habe, ehe mir klar wurde, was ich tue. Beim ersten Mal war es kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag. Er hatte zum ersten Mal die Nacht bei mir im Bett verbracht, statt wie sonst auf der Couch. Lorenz hatte sich nach dem Aufwachen an mich gekuschelt und obwohl wir beide vollständig bekleidet waren, überwältigte sein Duft mich für einen Moment. Nur sein Schreckensschrei konnte mich schließlich im letzten Moment bremsen.

Seitdem ist er sich der Gefahr bewusst, von einem hungrigen, verwirrten Vampir angefallen zu werden, wenn er in meinem Bett schläft, und ist darauf vorbereitet. Da er Frühaufsteher ist, schafft er es recht zuverlässig, das Schlafzimmer zu verlassen, bevor ich wach werde, sodass ich mir hin und wieder erlaube, neben ihm einzuschlafen.

»Nachher fahren wir einkaufen, dann ist es wieder sicherer für dich«, sage ich leise. Er weiß, dass ich ihn nie absichtlich angreifen würde und mich unter Kontrolle habe, selbst wenn ich durstig bin. Dennoch steigt das Risiko für ihn mit jedem Tag, an dem ich keine Nahrung im Haus habe.

Lorenz lächelt. »So sicher, wie es sein kann, wenn der beste Freund ein Vampir ist, hm?«

»Genau«, stimme ich schmunzelnd zu.

Als er sein Frühstück beendet hat, überlässt er mir den Abwasch, während er ins Badezimmer verschwindet. Ich lasse ihm gern den Vortritt, denn seit meinem Tod muss ich nie die Toilette aufsuchen. Es gibt keinen Grund dafür. Das Blut, das ich brauche, um nicht in diese furchtbar lähmende Lethargie zu verfallen, wird von meinem Körper vollständig umgesetzt. Nachdem ich schließlich gewaschen und angezogen bin, kann es losgehen.

»Kommst du?«, rufe ich mit den Autoschlüsseln in der Hand Richtung Schlafzimmer.

»Ja, bin fertig. Kann losgehen.« Lorenz kommt in den Flur und grinst frech, als er meine hochgezogenen Augenbrauen sieht. »Was?«

»Ehrlich? Ein Rollkragenpullover? Es ist August und im Laufe des Tages wird es vermutlich irre heiß draußen.«

»Ganz sicher sogar, weil es Cyrill amüsieren wird«, meint Lorenz schulterzuckend und zwinkert mir zu.

»Ohne Zweifel.« Kopfschüttelnd ziehe ich die Wohnungstür auf.

»Hey, warte, Speedy. Ich wollte mir noch einen Kaffee mitnehmen«, ruft er mir nach, als ich nur wenige Sekunden später im Hausflur stehe. Ungeduldig warte ich auf der Treppe, bis Lorenz mit einem Thermobecher nachkommt, die Tür abschließt und anschließend seine Sonnenbrille aufsetzt. »Okay, los geht's.«

»Du hast die Adresse des Anwalts?«, hake ich nach, als wir über den Innenhof gehen, der zwischen dem Vorderhaus, in dem er wohnt, und dem Hinterhaus, in dem sich meine Wohnung befindet, liegt.

»Ja«, grummelt er.

Ich schlinge meinen Arm um seine Taille und dirigiere ihn durch den Hausflur des Vorderhauses auf die Straße raus. »Ich will dich und deine Mutter schützen, Lorenz.«

Er seufzt. »Ich weiß und ich bin dir dankbar für den Versuch. Aber ich weiß auch, dass Mama ihn sowieso wieder reinlässt, egal, was der Anwalt durchsetzen kann.«

»Lass es uns trotzdem versuchen«, bitte ich eindringlich, denn wenn er schon nicht mit mir von hier wegziehen will, muss ich ihn auf andere Weise schützen. Er ist der wichtigste Mensch für mich und ich muss einfach dafür sorgen, dass es ihm gutgeht. Das fing während seiner Teenagerjahre mit gelegentlichem Unterschlupf und regelmäßigen Finanzspritzen an und wird bis an sein Lebensende andauern, egal, wohin er gehen oder welche Umstände uns erwarten werden.

Lorenz blickt zu mir auf und nickt. »Ja, okay.«

Als wir an meinem Auto stehen, drückt er mir ein Küsschen auf die Wange, bevor er zur Beifahrerseite geht und einsteigt. Auf dem Weg zum Anwalt, nippt er an seinem Kaffee und starrt augenscheinlich gelangweilt aus dem Fenster, aber ich bin mir sicher, dass es in seinem Kopf gerade rundgeht.

»Hast du deine Prüfungsergebnisse gestern bekommen?«, frage ich, um die unangenehme Stille zu durchbrechen.

Lorenz lächelt. »Ja. Alle bestanden.«

»Prima«, freue ich mich mit, schließlich habe ich sein Biologiestudium finanziert. »Und deine Abschlussarbeit?«

Er verzieht das Gesicht. »Hat der Professor noch nicht kontrolliert. Hab doch erst vor zwei Wochen abgegeben.«

»Okay, dann gedulden wir uns.« Ich lächle ihm aufmunternd zu, aber Lorenz ist eindeutig genervt.

»Du hast leicht reden mit deinen fünfhundertsiebenundzwanzig Jahren. Für dich sind die paar Wochen ja nur ein Wimpernschlag.«

»Meinst du? Die letzten acht Jahre haben sich seltsamerweise wie eine kleine Ewigkeit angefühlt«, necke ich ihn, woraufhin ich einen grimmigen Blick zugeworfen bekomme.

»Keiner hat gesagt, dass du dich um mich kümmern musst.«

Kopfschüttelnd halte ich an einer roten Ampel und lege meine Hand auf Lorenz' Knie. »Komm schon, hör auf zu schmollen. Steht dir nicht.«

Ohne auf mich zu reagieren, nippt er wieder an seinem Kaffee und starrt weiter aus dem Seitenfenster. Zum Glück ist es bis zu unserem Ziel nicht mehr weit.