Sigrid Kraft

ARDEEN

Band 9

Orydis Fluch


© Ardeen GbR

1. Auflage, 2017

 

Nachdruck, Vervielfältigung oder Verbreitung, elektronische Speicherung oder Verarbeitung, ganz oder auszugsweise, nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch die Autorin.

 

Illustrationen: Sigrid Kraft

Gestaltung und Satz: Tobias Fahnauer, www.fahnauer.de

Endkorrektur: Florian Blauel

 

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Inhalt

 

Die Karte des Nordens

1. Monsterjagd

2. Airyn rückt ein

3. Inkognito II

4. Die Macht des Artefakts

5. Keine Besserung in Sicht

6. Die Magierzusammenkunft

7. Unliebsame Nebenbuhler

8. Eine triste Teerunde

9. Die Verhüllung

10. Duell im Morgengrauen

11. Erschütternde Aufzeichnungen

12. Abendmahl und Frühstück

13. Zähe Verhandlungen

14. Auszug

15. Verlorene Erinnerungen

16. Rache

17. Das Land der Träume

18. Der magische Wettstreit

19. Adors Traum

20. Die Regentschaft der Spinne

21. Die verschlossene Kammer

22. Rückkehr

Die Karte des Nordens

 

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„Ahh, kommt nur herein Meister..., wie war doch gleich der Name, werter Kartenzeichner?“ Und er hat die Karte auch gleich mitgebracht, sehr schön.

„Meister Merkyrt, Eure Hoheit. Wo soll ich das Werk denn hinlegen? Sicherlich seid Ihr im Augenblick zu beschäftigt, um einen Blick darauf zu werfen.“

„Aber nicht doch. Und keine falsche Bescheidenheit, schließlich genießt Ihr einen ausgesprochen guten Ruf. Nur zu, lasst uns zusammen Euer Werk begutachten.“ Diese übertrieben respektvolle Verzagtheit meiner Untertanen ist doch wahrlich unangebracht. Ich sehe die Furcht in ihren Augen, als ob ich ein böses Monster wäre, das gleich über sie herfällt. Unverständlich.

Meister Merkyrt entrollte etwas umständlich die Karte und beschwerte die Ecken mit drei Büchern. Dann versuchte er es bei der vierten mit dem Tintenfass, welches jedoch bedrohlich schwankte, sodass sich Prinz Raiden genötigt sah, auszuhelfen.
„Wartet, wir nehmen das hier, bevor es ein Unglück mit der Tinte gibt und sich die blaue See schwarz färbt.“ Tapferer Kalendermann aus schwerem Gold, jetzt endlich kannst du deinen wahren Wert beweisen. Der Kalendermann hielt wacker seine Stellung und zitterte nicht im Angesicht der Seeschlange, die sich zu seinen Füßen im Wasser wand. Und das war auch das Erste, was Prinz Raiden ins Auge stach.
„Oh, gleich zwei drachenähnliche Seeschlangen. Meint Ihr nicht, das wirkt etwas zu überladen, Meister Merkwyrd?“ Drachen und ihnen ähnliche Wesen finden absolut nicht mein Wohlgefallen.
„Meister Merkyrt, Eure Hoheit, die Seedrachen dienen lediglich dazu, die leeren Flächen auf der Karte zu füllen. Heutzutage werden alle Landkarten so gestaltet. Sie sind Kunst und Karte gleichermaßen.“

Bitte nicht schon wieder: Karte ist Karte und Kunst kann bleiben, wo sie hingehört. Prinz Raidens Blick wanderte zum verschnörkelten Schriftzug über der Landmasse und er las laut vor:
„Das magische Land. Was meint Ihr damit?“ Irgendwie unverständlich.
Aber Meister Merkyrt hatte durchaus eine plausible Erklärung: „Nun, Eure Hoheit, so eine Karte braucht doch einen Titel und da erschien mir ‚Das magische Land‘ als Beschreibung für das ehemalige Nimrod und heutige Mittelland sehr treffend. Findet Ihr nicht auch?“ Meister Merkyrt war sehr überzeugt von dieser durchdachten Variante und ahnte nichts Böses, wohingegen die prinzlichen Augenbrauen der Düsternis sich kurz zusammenzogen. Nein, finde ich nicht! „Guter Meister Merkwyrd, aber all die anderen Länder sind doch auch magisch. Um jedoch explizit auf das Mittelland zu verweisen ist ‚magisch‘ nicht wirklich das entscheidende Argument, Meister Merkwyrd.“

„Meister Merkyrt. Mein Prinz, Eure Logik ist nicht von der Hand zu weisen. Doch ich als Unmagischer wollte mit ‚magisch‘ die urwüchsige, wilde Magie von Monstern und Drachen zum Ausdruck bringen und nicht die zivilisierte Magie, wie sie hierzulande angewandt wird.“
‚Zivilisierte Magie‘, also das habe ich auch noch nie gehört... Aber als Unterscheidungspunkt zu primitiven Drachen hört sich diese Formulierung eigentlich sehr gut an. Das zivilisierte magische Land hebt die zwei grässlichen Seeschlangen wieder auf. „Durchaus verständlich, Meister Merkwyrd.“

„Meister Merkyrt, Eure Hoheit.“
Warum wiederholt der ständig seinen Namen? Ein merkwürdiger alter Kauz.

Prinz Raiden beschloss einfach darüber hinwegzusehen, doch nun, da er bei der Karte ins Detail ging, da fielen ihm gleich reihenweise Fehler auf. Und wenn Seine Hoheit schon Fehler in einer Karte entdeckte, dann mochte dies etwas heißen.
„Der Wald in Ysryn scheint mir etwas klein geraten, entsinne ich mich doch, dieses wunderbare Fleckchen Erde selbst wochenlang durchwandert zu haben. Und auch die Wälder hier unten in Ardeen scheinen mir etwas dürftig. Dabei kann ich mich an großflächige Rodungsmaßnahmen gar nicht erinnern. Oder ist dies lediglich Verkleinerung des Gehölzes durch Schwund und Abwanderung?“ Den beißenden Spott ertrug Meister Merkyrt in betretenem Schweigen, während Seine Hoheit weitere Mängel aufdeckte.

„Und die Türme sind alle mit Zinnen dargestellt. Sehr gewöhnungsbedürftig, wenn man bedenkt, dass kein einziger Turm in der Realität Zinnen hat.“
„Diese Darstellung ist nur symbolisch, Eure Hoheit. Aber wenn es Euch stört, dann können nachträglich Spitzdächer eingefügt werden.“

Aber Prinz Raidens Interesse wurde gerade von einem anderen Detail gefesselt. „Was ist das für eine Stadt schräg über Elverin?“ Die Schrift daneben löste das Rätsel sogleich. „Der Palast des Drachen? Also der sieht doch wirklich ganz anders aus. Und überhaupt, die Positionen von Elverin und dem Palast des Wyvernwurmes, so ganz scheinen die mir auch nicht zu stimmen. Wir kamen damals am Rande des Gebirges heraus und zogen dann nach Westen... Oder war es eher nördlich? Und von Elverin aus ging es aber mehr Richtung Nordosten, wollte man den Erhabenen in seinem Palast aufsuchen... Da bin ich mir ziemlich sicher.“ Prinz Raiden versuchte krampfhaft sich zu erinnern, doch sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Schließlich gab er das Grübeln mit einer wegwerfenden Handbewegung auf und fragte stattdessen: „Woher stammen Eure Informationen bezüglich des Mittellandes überhaupt? Habt Ihr es selbst bereist?“
Meister Merkyrts Augen weiteten sich furchtsam: „Wo denkt Ihr hin, mein Prinz. Bei den vielen schrecklichen Monstern, die es dort gibt. Nein, ich habe alte Karten studiert und wagemutige Reisende befragt, die das Land durchquerten. Anhand dieser Informationen ist es mir gelungen, ein einigermaßen genaues Abbild Mittellands zu erschaffen.“
„Einigermaßen ist sehr hoch gegriffen. Allenfalls vage. Wie mir scheint, waren viele Seefahrer unter Euren Informanten, wo doch fast jede Küstenstadt verzeichnet ist. Und diese Siedlungen im ehemaligen Nimrod, Nordain, Rowelon, Kap Kylein... Gibt es die wirklich?“
„Die Seeleute schwören Stein und Bein. Rowelon tauchte sogar in zwei unabhängigen Berichten auf. Man läuft es von Pylone aus an.“

Mit der Seefahrt scheint es der gute Meister Merkwyrd zu haben, dabei habe ich ihn damit beauftragt eine Landkarte zu fertigen und keine Seekarte. Die Leute hören einfach nicht zu. „Von den Häfen habt Ihr offensichtlich keinen einzigen vergessen, dafür fehlen ein paar der größeren Städte meines Reiches und der Weiße Turm müsste hier am Rande stehen, aber den wegzulassen ist das kleinere Übel. Und waren es auch die Seeleute, die Euch erzählten, dass der Drache ein eigenes Reich in Mittelland besitzt? Drachenland.“ Das klingt so falsch, dass es mich friert.
„Äh, nein. Ich dachte nur, dass Mittelland doch das Land der Drachen sei und dabei war ich hin- und hergerissen, ob ich den Bereich nun Drachenland oder Mittelland nennen sollte. Ihr müsst wissen, dass Drachenland eine der alten Bezeichnungen ist. Letztendlich habe ich mich für einen Kompromiss entschieden und beide Begriffe verwendet. Haltet Ihr dieses Vorgehen für falsch, Eure Hoheit?“
Mein spezieller Freund, der Drache, der sich Forscher nennt, hat nicht auch noch ein eigenes Land. Er hat einen Palast und einen Zoo und selbst das ist schon zu viel. „Werter Meister Merkwyrd, die Drachen haben kein eigenes Land wie wir Menschen unsere Königreiche. Die leben überall in Mittelland und haben allenfalls Territorien – vergleichbar mit einem Rudel Wyvern. Oder sagen wir besser Wölfe, um es für Euch anschaulicher zu gestalten. Wir haben hier in Ardeen sehr viele Wolfsrudel und dennoch würdet Ihr sicherlich nicht auf die Idee kommen, neben Ardeen auch noch Wolfland auf die Karte zu schreiben.“ Das hat er jetzt hoffentlich verstanden.
Meister Merkyrts Miene war schwer zu deuten, doch dann nickte er beflissen und gab Seiner Hoheit recht. Aber der war mit seiner vernichtenden Kritik noch nicht am Ende angelangt:
„Naganordorf, was soll das sein? Der Schwarze Turm heißt Naganor, dass es ein Dorf dieses Namens geben soll, ist mir neu. Erklärt Euch.“

Mittlerweile hatte Meister Merkyrt durchaus mitbekommen, dass die Landkarte, bei der er sich so viel Mühe gegeben hatte, Prinz Raiden nicht besonders zu gefallen schien. Dennoch kämpfte er tapfer ein Erklärungsgefecht nach dem anderen.

„Das Dorf östlich des Turmes. Eigentlich ist es schon mehr eine Stadt als ein einfaches Dorf und mir schien es wichtig, diese Siedlung zu verzeichnen. Aber da ich den Ort nicht einfach nur ‚Das Dorf‘ nennen konnte, da habe ich es als Naganordorf bezeichnet. Nennen es die Leute doch selbst ‚Das Dorf bei Naganor‘. Das wiederum schien mir etwas zu lang geraten. Oder wollen Eure Hoheit dem Ort vielleicht selbst einen Namen geben?“
Wahrscheinlich kann ich schon froh sein, dass er den Ort nicht Merkwyrds Weisheit genannt hat. „Ich denke darüber nach. Wenn dies das einzige Problem auf der Karte wäre, dann wäre ich durchaus zufrieden. Doch ich habe inzwischen so viele Mängel aufgedeckt und je länger ich auf dieses Machwerk blicke, umso mehr springt mir ins Auge. Warum ist die unbedeutende Burg Taegris in einer kleinen Zeichnung dargestellt, während unsere Landeshauptstadt Arvon nur durch einen simplen roten Fleck symbolisiert wird?“ Solch Verhalten ist kurz vor dem Landesverrat.

„Meister Merkwyrd, wie mir scheint, habt Ihr bei Eurer Arbeit viel zu viel Wert auf unwichtige Datails wie Seeschlangen, Boote und Schnörkel gelegt und dabei das Wesentliche aus den Augen verloren. Einzig der Nordpfeil findet meine uneingeschränkte Zustimmung, weil er zufälligerweise in die richtige Richtung zeigt.

Darum schlage ich vor: Ihr überdenkt Eure Arbeit noch einmal, bevor ich aufgrund dieses exotischen Exemplares einer Landkarte ein sehr ungerechtes Urteil fällen müsste. Oder wie seht Ihr dies, Meister Merkwyrd?“

„Merkyrt – genauso, Eure Hoheit. Am besten, ich nehme meinen ersten Probeentwurf gleich wieder mit. Entschuldigt, dass ich Euch damit überhaupt belästigt habe. Bitte um Vergebung, Eure Hoheit.“

„Wenn Ihr Euch jetzt gleich hinfortbegebt, so will ich diese großzügig gewähren.“ Dilettant!