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Bernd Galeski

Erziehung im Namen Gottes

Bernd Galeski

Erziehung im Namen Gottes

Wie Eltern Kindern Leid zufügen

Tectum Verlag

Bernd Galeski

Erziehung im Namen Gottes

Wie Eltern Kindern Leid zufügen

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019

E-Pub: 978-3-8288-7053-6

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4175-8 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung des Bildes
# 486573959 von eranicle | www.istockphoto.com

 

 

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben

sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Gewidmet den ungezählten Kindern,
deren Leid und Schicksal zu erzählen
die veröffentlichte Meinung
vergessen hat

Inhalt

Vorbemerkung

Einführung

Natürliche Grundlagen

Gruppenwesen Mensch

Lebenswichtige Bindung

Elementare Bedürfnisse

Der perfekte Start

Fehlstart

Selbstentfremdung durch Kultur

Wenn Babys durch die Hölle müssen

Menschenbilder

Christentum

Islam

Schwarze Pädagogik

Christentum

Islam

»Und der Mensch schuf Gott«

Zeugen Jehovas

Islam

Schwarze Pädagogik und Religion als Zwillinge – Wenn Eltern ihren Kindern Leid zufügen

Islam

Zeugen Jehovas

Befreiung vom Gift der Kindheit

Resümee

Nachtrag

Täterschonung

Die veränderte Natur im Eltern-Kind-Verhältnis

Literatur

Anmerkungen

Vorbemerkung

Die drastischen Schilderungen in diesem Buch sind kein Generalverdacht gegen alle christlichen, jüdischen oder muslimischen Eltern. Auch Eltern in religiösen Sondergemeinschaften (Sekten) sollen nicht pauschal verdächtigt werden. Die überwiegende Mehrheit der Eltern wünscht für ihre Kinder das Allerbeste und bemüht sich nach Kräften, ihr Heranwachsen und Gedeihen bestmöglich zu fördern. Dennoch sind die hier geschilderten Beispiele nicht so selten, und Gewalt spielt in der Erziehung eine breitere Rolle, als es manchem genehm sein mag, der behütet aufgewachsen ist und bisher kaum oder keinen Kontakt zu Familien hatte, die aus ganz anderen Traditionen oder Milieus kommen.

Um die Mehrheit der im Großen und Ganzen problemlosen Familien braucht es in einem Buch wie dem vorliegenden nicht zu gehen. Dort aber, wo die Probleme gehäuft auftreten – sei es aus religiöser oder ethnisch-patriarchaler Tradition –, muss man umso genauer hinsehen; vor allem dann, wenn Leib und Leben von Kindern in mehr als einem Einzelfall besonders durch jene Erwachsenen beeinträchtigt oder bedroht werden, die ihnen am nächsten stehen: die eigenen Eltern.

Einführung

Anita, die sechzehnjährige Tochter eines frommen Christen, kommt eine Viertelstunde zu spät vom Schreibmaschinenkurs nach Hause. »Wo warst du so lange? Du hättest längst zu Hause sein müssen«, sagt der Vater sichtlich gereizt. »Das Mofa ist liegen geblieben. Ich hab Glück gehabt. Jürgen ist vorbeigekommen und hat mir geholfen. Sonst wäre ich noch später gekommen«, antwortet sie. »Lüg mich nicht an!«, schreit der Vater. »Mit den Kerlen hast du dich wieder herumgetrieben, gib es zu!« – »Das stimmt doch gar nicht!«, antwortet Anita empört. »Was kann ich dafür, wenn das Mofa streikt?« – »Hör auf zu lügen!«, schreit der Vater. »Du dreckiges Flittchen, du Schlampe! Na warte, dir werd ich’s zeigen.« Rasch holt er seinen Ledergürtel aus dem Schlafzimmer und drischt damit wütend auf sie ein. – Was treibt diesen Vater zu solcher Gewalt?1

Die Großeltern eines achttägigen Säuglings verstoßen ihn und seine Eltern und wollen sie nie wieder sehen. Vater und Mutter hatten beschlossen, ihren Jungen nicht nach jüdischer Sitte beschneiden zu lassen. »Damit habt ihr den ewigen Bund mit Gott gebrochen«, sagen die Großeltern. »Ihr seid nicht mehr unsere Kinder.« – Warum tun sie das?

Ein junger Mann erschießt seine heranwachsende jüngere Schwester. Seine Familie hat es so verfügt. Die Tochter wollte ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben führen. Das durfte sie nicht. Sie hat damit die Familienehre beschmutzt. Es musste etwas geschehen. – Was treibt die Kollektivmörder zu einer solchen Bluttat?

Seit Jahrtausenden herrschen Eltern über ihre Kinder, demütigen sie, verletzen und verstümmeln sie, beuten sie aus und halten sie wie Sklaven. Den Kindern haben sie beigebracht, sie zu achten, ihnen zu gehorchen, sie im Alter zu versorgen und sie niemals zu kritisieren. Zur Seite stand ihnen ein mächtiger Verbündeter, der ihre Herrschaft durch übernatürliche Weisheiten und deren Verkünder sicherte.

Wie kam es zu dieser Schreckensherrschaft, und warum fallen ihr auch heute noch ungezählte Kinder zum Opfer? Was treibt Eltern zu ihrem grausamen Tun? Wieso ist ihnen so schwer Einhalt zu gebieten, und warum gelingt es selbst erwachsenen Kindern kaum, sich aus dem elterlichen Würgegriff und dem ihrer heimlichen Komplizen zu befreien?

Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir zunächst die Grundlagen unseres Seins verstehen. Wenn nämlich die elterliche Herrschaft und die oft damit verbundene Gewalt eine Konstante in der Geschichte der Menschheit sind, ist zu vermuten, dass sie Teil des arttypischen Verhaltensmusters des Menschen sind. Was ist also unsere Natur? Welche artspezifischen Bedürfnisse haben wir, wie äußern sie sich, und welchen Einfluss hat es, wenn sie nicht berücksichtigt und nur unzureichend oder gar nicht befriedigt werden?

In einem zweiten Schritt sollen die kulturellen Einflüsse auf unser Verhalten zur Sprache kommen. Welche Faktoren begünstigen die Entfaltung unserer natürlichen Anlagen und welche behindern sie, schränken sie ein oder gefährden sie gar? Welche Folgen hat es für den Einzelnen und die menschliche Gesellschaft, wenn solche Störungen bereits von Beginn des Lebens an auftreten? Wie beeinflusst eine behütete oder gefährdete Kindheit den Werdegang des späteren Erwachsenen?

Danach geht es um das weltbeherrschende Zwillingspaar Religion und Schwarze Pädagogik. Wie ist es zu ihrem verheerenden Einfluss und ihrer ungeheuren Macht über alle Bereiche des menschlichen Lebens gekommen? Welche Rolle spielt die heimliche Komplizenschaft zwischen diesem Herrscherpaar und den zu Verbrechern gewordenen Eltern?

Und schließlich: Was ist zu tun, um dieses weltbeherrschende Zwillingspaar zu entthronen, und wie kann sich der Einzelne aus dessen Würgegriff dauerhaft befreien?

Die Beantwortung dieser Fragen ist Gegenstand der in diesem Buch angestellten Untersuchungen. Es lädt zu einer spannenden Reise in das Innere auch des eigenen Seins ein.

Dabei werde ich auch gerade aus eigenen Erfahrungen schöpfen, bin ich doch in der christlich-fundamentalistischen Sekte der Zeugen Jehovas aufgewachsen und kann authentisch über sie berichten. Die Gegenüberstellung dieser Gruppe mit traditionell lebenden muslimischen Familien mag, wie ich hoffe, manchem, der seine Glaubensgemeinschaft (ob christlich, jüdisch oder muslimisch) verlassen hat oder daraus verstoßen wurde, spannende neue Einsichten verschaffen.

Natürliche Grundlagen

Gruppenwesen Mensch

Zur Entwicklung des Menschen gehört das Leben in der Gruppe, angefangen beim Säugling, der ohne die kleinste Einheit (meist Vater und Mutter) nicht überlebt, bis hin zum erwachsenen Individuum, das in prähistorischer Zeit unweigerlich verloren war, sah es sich auf sich allein gestellt. Die Gruppe ist Wesenskern und Garant für den Fortbestand unserer Spezies, sie sichert das Überleben des Einzelnen. Sie schützt ihn vor (Fress-)Feinden (Säbelzahntiger etc.), sie macht es leichter, einen Partner zu finden, und gemeinsam gelingt auch die Nahrungsbeschaffung besser.

Allerdings erfordert das Leben in der Gruppe hohe Kompetenzen in den sozialen Interaktionen. Wie bei unseren direkten tierischen Verwandten (Hominiden) gibt es in den Clans der menschlichen Urzeit auch den Chef, der Leben und Verhalten der übrigen Gruppenmitglieder bestimmt. Angepasstes, unterwürfiges Verhalten sichert den Fortbestand in der Gruppe; herausforderndes, unangepasstes Verhalten dagegen gefährdet es. Aus der Gruppe verstoßen zu werden, kommt einer existenziellen Katastrophe gleich. Je nach Weltgegend, etwa bei langen, frostigen Wintern, bedeutet der Verlust der Gruppe ein Leben in Kälte, Schutzlosigkeit und Nahrungsmangel. Nimmt man dann die schwache körperliche Ausstattung des Menschen hinzu – was kann er schon gegen den Säbelzahntiger ausrichten? –, ist ohne viel Fantasie das baldige Ende des Verstoßenen zu prognostizieren. Für gruppenangepasstes Verhalten gibt es also sehr gute Vernunftgründe, und es gibt ein tief gehendes Motiv: Angst!

Überlebensangst veranlasste unsere Vorfahren, sich gruppenkonform zu verhalten. Diese Angst ist aus dem Verhaltensrepertoire des modernen Menschen keineswegs verschwunden. Zwar drohen heute nicht mehr Säbelzahntiger und Co., und das Überleben ist heute meist auch nicht mehr unmittelbar durch natürliche Gefahren bedroht, aber der seit vielen hundert Jahrtausenden verankerte Angstreflex ist heute immer noch wirksam und so mächtig wie damals. Heute leben wir vergleichsweise sicher, und auch die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse ist in den meisten Fällen gewährleistet, dennoch arbeitet unser Gehirn noch immer wie vor Urzeiten. 10.000 Jahre Sesshaftwerdung des Menschen haben keine Veränderung unseres Verhaltensmusters bewirkt.

Es ist die nackte Angst, die den eingangs erwähnten Vater blindwütig auf seine Tochter einprügeln lässt. Ihr vermeintliches Abweichen von der christlichen Norm untergräbt seine Autorität und seinen guten Ruf als vorbildlicher Familienvater und Ältester2 der Ortsgemeinde. Es droht die Missbilligung durch die Glaubensgemeinschaft, der er angehört und die von ihm erwartet, seine Kinder gottgefällig zu erziehen. Die Angst vor dem Verlust dieser vermeintlich lebenswichtigen Bindung vernebelt seinen Verstand.

Ähnlich geht es den Großeltern des nicht beschnittenen Säuglings. Auch ihr guter Ruf steht auf dem Spiel, und es droht die Ächtung durch die Gemeinde. Diese Angst lähmt sie geradezu und blockiert ihre natürlichen Regungen. Ihr Verhalten ist rein zwischenmenschlich gesehen nicht nachvollziehbar: Lieber opfern sie die Vorhaut des Babys und verstoßen ihre Kinder, als den Bund mit Gott aufzukündigen.

Die Angst vor der weitverzweigten Verwandtschaft treibt die muslimischen Eltern dazu, sich gegen das selbstbestimmte Leben ihrer Tochter zu entscheiden und sie durch den Sohn hinrichten zu lassen. Die Schande des Makels einer unehrenhaften Tochter in der eigenen Familie flößt größere Furcht ein als die absehbaren Folgen der Straftat. Angst vor der grausamen Bestrafung des Vaters veranlasst den Sohn, lieber das Leben seiner Schwester (das ohnehin wenig zählt) zu opfern und dafür eingesperrt zu werden. Die Gefängnisstrafe wird gut zu überstehen sein, denn vor allem der Vater wird seinen gehorsamen Sohn, der die Familienehre rettete, nicht im Stich lassen.

Warum hat Angst einen derart starken Einfluss auf unser Leben? Wo liegen ihre Ursachen? Warum ist Verlustangst ein solch übermächtiger Teil unseres Seins? Und warum können wir sie nicht so leicht oder oft gar nicht besiegen?

In grauer Vorzeit bedeutete der Verlust der Gruppe für das Individuum Lebensgefahr. Wie der Nachwuchs bei unseren Verwandten, den Primaten, ist das Menschenjunge besonders auf den Erhalt seiner Kleinstgruppe angewiesen. Sie garantiert ihm in seiner Hilflosigkeit Nahrung, Schutz und Wärme. Die Gruppe zu verlieren, ist für den Säugling die schlimmstmögliche Katastrophe. Vor allem braucht er seine Mutter als Garantin seines Überlebens. Aus dieser engen Bindung ergeben sich prägende Verhaltensmuster und tief greifende Gefühle, die es näher zu betrachten gilt.

Lebenswichtige Bindung

Die Orang-Utan-Mutter trägt ihren Säugling nach der Geburt ohne Unterlass mit sich herum. Bei jeder Tätigkeit und Verrichtung ist das Kleine dabei, zu keiner Zeit muss es auf den engen Körperkontakt zur Mutter verzichten. Alles, was das Junge später an Fertigkeiten zum Überleben im Dschungel benötigt, lernt es von der Mutter: wann welche Blätter am bekömmlichsten sind, wo und wann welche Früchte reif sind, wo Wasser zu finden ist, welche tierischen Nachbarn harmlos sind und vor welchen man sich besser in Acht nimmt. Dabei trägt es die Mutter ununterbrochen mit sich herum, meist hält sie das Kleine mit einer Hand fest, während sie mit der anderen Hand nach Fressbarem greift und es sich selbst und dem Kleinen in den Mund steckt oder sich mit der freien Hand und den Füßen durch das Geäst des Dschungels hangelt.

Das Junge verfügt von Beginn an über einen Greifreflex, mit dem es sich fest an die Mutter klammert; dies sichert zusätzlich sein Überleben. Wenn es noch sehr klein ist, hält es die Mutter sehr fest an ihrer Brust. Dort ist das Kleine so gut abgeschirmt, dass ein Zootierpfleger im Berliner Tiergarten einmal Mühe hatte, das Neugeborene im Arm seiner Mutter überhaupt zu entdecken. Auch auf längeres geduldiges Zureden des Pflegers war die Orang-Utan-Mutter zunächst nicht bereit, das Kleine dem neugierigen Betrachter zu zeigen. Schließlich gab sie zögernd und widerwillig doch für sehr kurze Zeit den Blick auf ihr Kind frei.

All dies zeigt, wie eng die Mutter-Kind-Bindung bei dieser Affenart ist. Niemals käme es einer Orang-Utan-Mutter in den Sinn, ihr Neugeborenes abzulegen, schon gar nicht für längere Zeit, weil sie mit anderem, Wichtigerem beschäftigt wäre. Instinktiv weiß sie, dass ihr Kleines schutz- und vollkommen wehrlos gegen jegliche Bedrohung von außen wäre. Das Baby ununterbrochen bei sich zu behalten, es eng am Körper zu tragen, seine Wärme zu fühlen und jederzeit für es verfügbar zu sein mit Nahrung (Muttermilch) und Schutz (gegen Auskühlung und vor Gefahren), entspricht einem elementaren Eigenbedürfnis der Mutter und sorgt auf diese Weise ganz natürlich für die Bedürfnisse des Kleinen. Das Orang-Utan-Baby weiß sich geborgen, behütet und beschützt und muss sich vor nichts auf der Welt fürchten. Alles ist an seinem Platz, die Mutter ist da, die Welt ist vollkommen in Ordnung.

So kann das Junge allmählich wachsen und gedeihen, nach und nach mutiger und selbstständiger werden und beginnen – jeden Tag ein bisschen mehr –, erste Erkundungen des direkten Umfeldes und seiner Umgebung zu wagen. Immer öfter entfernt es sich zeitweise von seiner Mutter, untersucht die Umwelt und kehrt in der Gewissheit wieder zurück, dass die Mutter die ganze Zeit in der Nähe und jederzeit bereit ist, das Kleine in ihre Arme zu schließen. Vor allem aber ist es für das Junge unabdingbar, sich darauf verlassen zu können, dass es bei Gefahr schnell zu seiner Mutter zurückkehren kann. Ihre Verfügbarkeit in besonders bedrohlicher Situation ist für das Kleine überlebenswichtig. Selbst wenn sich die Bedrohung als Fehlalarm entpuppen sollte, so muss sich das Junge darauf verlassen können, dass seine Mutter in jedem Fall für seine Bedürfnisse (in diesem Fall nach Schutz und körperlicher Nähe) uneingeschränkt zur Verfügung steht.

Würde die Mutter das Junge verlieren oder verlöre es den Halt am Fell seiner Mutter und fiele aus großer Höhe vom Baum, so hätte dies unmittelbar seinen Tod zur Folge. Aber auch wenn es nicht sofort zu Tode käme – der Verlust seiner Mutter ist für das Junge in jedem Fall eine tödliche Bedrohung, und wenn es sie nicht wiederfindet und zu ihr zurückkehren kann oder wenn die Mutter das Junge nicht wiederfindet, tritt mit absoluter Sicherheit über kurz oder lang der unabwendbare Tod ein. Den Kontakt zur Mutter dauerhaft zu verlieren, ist für das Baby die schlimmste Katastrophe überhaupt. Es gerät in Todesangst und lebensbedrohlichen Stress – übermächtige Gefühle, die sich nicht beruhigen lassen. Wenn seine Mutter weder in Sicht noch in Hör- oder Riechweite ist, nützt es ihm auch nichts, nach ihr zu rufen oder zu schreien. Sein angsterfülltes Rufen bleibt unbeantwortet. Hinzu kommt, dass dieses Rufen statt der ersehnten Erlösung durch die herbeieilende Mutter zu allem Unglück den nächsten Räuber herbeilockt …

Was sich über das Schicksal eines verloren gegangenen Orang-Utan-Babys sagen lässt, trifft in gleicher Weise auf unsere anderen Primaten-Verwandten zu. Auch die Jungen von Gorillas, Schimpansen und Bonobos sind unweigerlich dem Tode geweiht, wenn sie dauerhaft von der Mutter getrennt werden. Auch diese Tierbabys sind bei Geburt unselbstständig und auf die dauernde Nähe und Verfügbarkeit der Mutter angewiesen. Diese »Traglinge« im Tierreich sind nach der Geburt zwar »mit funktionsfähigen Sinnesorganen« ausgestattet, aber es fehlt ihnen noch die Fähigkeit zur »artgemäßen Fortbewegungsweise«3.

Menschenbabys gehören eindeutig zum Typ der Traglinge. Was wir über die Mutter-Kind-Bindung der Primaten feststellen können, lässt sich so gut wie vollständig auf die Mutter-Kind-Bindung beim Menschen anwenden. Zwar veränderte sich mit der weiteren Evolution des Menschen die Anatomie vom vierfüßigen Kletterer zum zweibeinigen Läufer und damit auch die Art und Weise, wie Mütter ihre Babys am Körper hielten, aber die grundlegenden Bedürfnisse des Babys nach Nahrung, Schutz, Körperwärme und Kontakt, die allein durch die ständige Verfügbarkeit der Mutter gewährleistet sind, blieben bestehen.

Wir sind noch immer tief im Innersten Jäger und Sammler, und unser Verhaltensrepertoire stammt aus dieser Zeit. Auch unser Nachwuchs hat keine anderen biologischen Reserven als jene der Vorzeit, in der Mütter ihre Kleinen stets mit sich herumtrugen, wenn sie Nahrung sammelten oder ein neues Zuhause suchen und errichten mussten. Wie bei unseren nächsten tierischen Verwandten bedeutete die Trennung von der Mutter für das Baby Todesgefahr, denn ein verloren gegangener Säugling war leichte Beute für die Räuber. Was konnte der Säugling tun, um auf seine lebensbedrohende Lage aufmerksam zu machen? Dasselbe, was Babys heute immer noch tun, wenn sie sich allein gelassen und hilflos fühlen – sie rufen Hilfe herbei, und da sie nicht sprechen können, schreien sie.

»Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs überraschend, dass ein Baby in den ersten Lebensmonaten zu weinen beginnt, sobald man es zum Schlafen in einem separaten, ruhigen Raum niederlegt.« Mag Erwachsenen die Ruhe des abgedunkelten Raums beim Einschlafen nützlich sein, für den Säugling, der den Kontakt zum schutzgebenden Elternteil verloren hat, ist dieses Abgelegtsein eine »emotionale Notlage«4.

Eltern und alle, denen unsere Kinder anvertraut sind, müssen diese grundlegenden Zusammenhänge kennen und verstehen, denn daraus ergeben sich zwangsläufig Schlussfolgerungen über unseren modernen Umgang mit unserem Nachwuchs. Es ist zu hoffen, dass »das Wissen über die biologischen Ursachen im Verhalten des Säuglings auch Veränderungen unseres Erwachsenenverhaltens und unserer inneren Einstellung im Hinblick auf dessen Bedürfnisse nach sich ziehen«.5

Es hat nichts damit zu tun, sein Baby ungebührlich zu verwöhnen, wenn man ihm »in den ersten Lebensmonaten viel Körperkontakt und Zuwendung« gibt. Vielmehr befriedigt man seine elementaren Lebensbedürfnisse. Ein Baby kann »in seinen ersten Lebensmonaten noch nicht verstehen, dass es keineswegs in Gefahr ist, wenn es alleine bleibt. Denn es kann kognitiv noch nicht erfassen«, dass seine Eltern jederzeit für es da sind, auch wenn sie vorübergehend weder zu sehen noch zu hören sind. Über die »sogenannte ›Objektpermanenz‹, [das heißt], zu wissen, dass Dinge und Personen noch existieren, auch wenn sie nicht wahrgenommen werden können«, verfügen Säuglinge erst ab ungefähr einem halben Jahr.

»Vor diesem Hintergrund sollte der Anspruch mancher Eltern, dass ein Baby schon früh alleine einzuschlafen hat, nochmals gründlich überdacht werden, denn wir verlangen von einem Säugling damit eine Leistung, zu der er in den ersten Lebensmonaten auch kognitiv nicht fähig ist.«6

Die weitreichenden möglichen Folgen eines solchen Ignorierens der Grundbedürfnisse des Kindes besonders in den ersten Wochen und Monaten liegen auf der Hand. Zwar kann ein Baby »lernen, dass sein Weinen erfolglos bleibt.« Dies verändert aber in keiner Weise seine akute »Bedürfnislage« oder seinen als bedrohlich empfundenen Angstzustand. Möglicherweise »findet es sich irgendwann damit ab, dass seine Appelle an die Eltern nicht beantwortet werden«, aber einer erfolgreichen Mutter-Kind-Bindung ist ein solch ignorierendes Erwachsenen-Verhalten bestimmt nicht zuträglich.7

Eine gestörte Bindung im frühen Säuglingsalter wirkt sich prägend auf die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen aus. Mag auch manches Defizit aus frühen Kindertagen im späteren Erwachsenenalter recht gut ausgeglichen werden können, so scheinen die spontanen emotionalen Reaktionen letztlich doch dem früh erlernten Verhaltensrepertoire zu entsprechen, das stets erst in einem zweiten (kognitiven) Anlauf korrigiert werden kann und wohl auch immer wieder aufs Neue korrigiert werden muss.

Festzuhalten bleibt, dass menschliche Säuglinge in ihrem Bedürfnis nach Körperkontakt und Nähe zu den Eltern ein biologisches Erbe in sich fortführen, das die Natur bereits seit Jahrmillionen sowohl in unseren tierischen Vettern als auch im anfangs als Jäger und Sammler ständig umherziehenden Homo sapiens fest angelegt hat. Wenn das Kind also diese Nähe einfordert, so äußert es nichts anderes als ein elementares Grundbedürfnis. Genauso wenig, wie mitfühlende Eltern ihrem Kind die Nahrungsaufnahme verweigern würden, sollten sie ihrem Säugling sein Bedürfnis nach Körperkontakt verweigern. Dort, wo dies immer wieder geschieht, kann die Entwicklung des Kindes nicht unerheblichen Schaden nehmen.

Umgekehrt gilt aber auch, dass eine möglichst natürliche Behandlung des Kindes von Geburt an dessen Bindung an die Eltern stärkt und dass diese Art der elterlichen Fürsorge wohltuend für beide ist. Dazu gehören auch die möglichst lange Versorgung des Kindes mit Muttermilch, und zwar so, wie es den Bedürfnissen des Babys entspricht, anstelle der leider immer noch kursierenden 4-Stunden-Regel in den Stillintervallen. Babys sind in ihren körperlichen Bedürfnissen, in den Wachstumsschüben und dem, was das Gehirn zu seiner Versorgung benötigt, höchst unterschiedlich. Sie in eine regelgerechte, normierte Formel des modernen Erwachsenenlebens pressen zu wollen, ist völlig gegen die Natur des bedürftigen Kindes gerichtet.8

Je natürlicher Eltern mit ihrem Neugeborenen umgehen, desto besser gelingt die Bindung und desto sicherer und ausgeglichener wird der heranwachsende Mensch während seines gesamten Lebens sein können. Dort, wo die elementaren Bedürfnisse eines Kindes befriedigt, wo seine Gefühle respektiert und der ganze kleine Mensch in seiner Persönlichkeit geachtet wird, geht es sowohl ihm selbst als auch seinen Bezugspersonen besser.

Elementare Bedürfnisse

Wenn Mütter ihr Kleines möglichst ständig bei sich am Körper haben, spüren sie schon die zartesten Andeutungen von Stimmungsveränderungen oder beginnenden Phasen des Unwohlseins und können reagieren, bevor das Kind seine Bedürfnisse energischer und lauter (durch Schreien) kundtun muss. Um es pointiert zu sagen: Ein Säugling gehört nicht in ein kaltes, starres Bett in einem separierten, schalldichten Raum. Sein Platz ist einzig und allein bei der ihn liebenden und behutsam versorgenden Bezugsperson – das ist, vor allem in den Wochen und Monaten nach der Geburt, hauptsächlich die Mutter. Sogenannte Naturvölker in Afrika, Asien oder auch Lateinamerika machen vor, wie es geht: Dort tragen die Mütter ihre Kinder ständig bei sich, ja, sie schlafen in engem Körperkontakt mit ihren Babys. Getragene Babys schreien weniger. Sie haben auch keinen Grund dazu, denn der einzige Grund, warum ein Baby schreit, ist, weil es allein gelassen wurde, sich nun fürchtet oder weil es Hunger hat oder friert, also weil es jeweils ein Grundbedürfnis kundtut. Babys mit ständigem Körperkontakt zur Mutter haben hingegen ihre Bezugsperson ständig griffbereit, sie sind sicher, gewärmt und behütet, und ihre Bedürfnisse werden umgehend befriedigt.

Menschenjunge sind Traglinge, so hatten wir oben gesehen. Ein Baby will getragen sein. Sogar die Anatomie des menschlichen Körpers ist darauf abgestimmt, den Säugling seitlich auf der Hüfte zu tragen. Dass dies die natürliche Position des Babys ist, ist daran zu erkennen, dass es beim Hochgehobenwerden die Beinchen anwinkelt und leicht spreizt als Vorbereitung für die nun erfolgende natürliche, artgerechte Halbsitzposition auf der Seite der Mutter (oder des Vaters). Aber auch die Anatomie des Erwachsenen ist passgenau auf das Tragen des Babys abgestimmt. Der abgewinkelte Arm des Erwachsenen endet genau etwas oberhalb des auf der Hüfte ruhenden Beckens des Säuglings und stützt dessen Wirbelsäule.9

Menschen sind zwar Säugetiere, aber unter diesen nehmen wir, wie unsere Primaten-Verwandten, den Platz der Traglinge10 ein. Geht ein Junges verloren, weil es vom Rücken der Mutter heruntergefallen ist oder die Mutter es abgelegt und vergessen hat, ist es dem Tod ausgeliefert. Unser gesamtes Verhaltensrepertoire, über das wir als Säuglinge verfügen, ist darauf angelegt, ständig getragen zu werden. Getragen zu werden heißt geschützt zu sein und stetigen Zugriff auf lebensnotwendige Ressourcen zu behalten. Darauf ist das Verhaltensmuster unserer Kleinsten angelegt, seine feinfühlige Erwiderung ist für das optimale Gedeihen des kleinen Lebens zwingend erforderlich.

Der perfekte Start

Wie verläuft nun die ideale Kindheit, welche Verhaltensweisen der Erwachsenen, die seine Obhut übernommen haben, sind die besten? Es beginnt gleich bei der Geburt. Die meisten gehen intuitiv davon aus, dass die Geburt auf natürlichem Wege, also ohne Kaiserschnitt oder Narkose, für Mutter und Kind zwar sehr anstrengend, aber das eigentlich Beste ist.

Gleich nach der Geburt kommt es auf die ersten Interaktionen zwischen Mutter und Kind an. Besonders die erste Stunde ist entscheidend. Hier besteht eine einmalige Chance für Mutter und Kind, sich auf besonders intensive Weise kennenzulernen und miteinander zu kommunizieren, die danach so nicht wiederkehrt. Das Baby ist darauf programmiert, das Gesicht seiner Mutter zu studieren und »die Mutter versucht […], beständig seinen Blick einzufangen, spricht es an und beginnt, wenn sie sich ungestört fühlt, ihr nun endlich anfassbares Kind zu streicheln.«11

Das scheint in Verbindung mit Frühchen besonders entscheidend zu sein, vor allem für die doch oft verunsicherten Eltern, die der geschäftigen Krankenhausroutine und all den notwendigen Lebenserhaltungsapparaten recht hilflos gegenüberstehen und nicht wissen, was sie tun können oder dürfen, womit sie ihrem Kind den Start ins Leben erleichtern oder diesen gar gefährden.

»Inzwischen weiß man die Bedeutung der ersten Interaktionsmöglichkeit nach der Geburt allgemein zu schätzen. Denn […] hieraus ergeben sich […] ganz handfeste Konsequenzen. So treten seltener Stillprobleme auf«. Zudem wünschen sich Mütter »von Anfang an, ihre Kinder möglichst häufig bei sich zu haben. Kann ein Baby bei seiner Mutter bleiben, schreit es weniger. […] Eine Trennung beeinträchtigt ein Neugeborenes stark und wirkt sich wahrscheinlich auch ungünstig auf die Verarbeitung späterer belastender Situationen aus.«12

Übrigens können Väter genauso emotional mit ihrem Neugeborenen verbunden sein wie die Mütter. Wenn die Mutter in der ersten Zeit nach der Geburt dazu nicht in der Lage ist, kann der anwesende Vater die Rolle des Erstkontakts für das Baby übernehmen. Einem mir gut bekannten jungen Vater war bei der Kaiserschnittgeburt seines Sohns etwas blümerant zumute geworden und er war regelrecht zu Boden gegangen, als ein Geburtshelfer ihm in der, so wörtlich: »perfekten Ausgangshaltung« das frisch zur Welt gebrachte kleine Bündel auf den Bauch legte. Das Ereignis muss für ihn einen positiven bleibenden Eindruck hinterlassen haben, denn nach wie vor hat er ein besonders zärtliches Verhältnis zu seinem Sohn.

Zu einer guten, sicheren Bindung gehört selbstverständlich die möglichst ständige Verfügbarkeit mindestens einer Bezugsperson für das Baby. Das schließt die prompte und adäquate Reaktion auf die Lautäußerungen des Babys ein. Wenn das »intuitive Elternprogramm«13, das perfekt auf die Interaktion mit dem Baby abgestimmt ist, nicht von außen gestört wird, läuft es für beide Seiten richtig ab, das heißt, es entspricht der Natur sowohl des Babys als auch der Eltern. Die Sprechweise der Eltern übt hierbei einen wesentlichen Einfluss auf die spätere Entwicklung des Kindes aus. Ist sie von Sensibilität, Rücksichtnahme und Respekt gegenüber der eigenständigen Person des Kindes geprägt und ist sie eher reaktiv als ständig aktiv oder fordernd, wird die Eltern-Kind-Bindung sicher sein. Redet der Erwachsene hingegen zu viel und fordert zu häufig die Aufmerksamkeit des Babys ein, oder redet er zu wenig bis gar nicht mit dem Kind, wird sie gestört.

Stimmt die Interaktion zwischen Mutter und Kind, wird die Mutter die Lautäußerungen ihres Babys wahrnehmen und angemessen und vor allem prompt darauf reagieren. Diese absolut zeitnahe Reaktion der Bezugsperson auf die Interaktionsangebote und -gesuche des Babys sind für eine gelungene und auf Dauer angelegte Bindung unerlässlich.14

Aus einem glücklich aufgewachsenen, sicher gebundenen Baby wird ein glückliches Kind, das von seinen Eltern umsorgt, geschützt, genährt, behütet und emotional gefestigt wird. Kindern merkt man es schnell an, wenn sie Eltern haben, die sie fördern, die sie vor allem ob ihrer bloßen Existenz willen lieben, sie stützen und für sie da sind. Solche gefestigten, emotional sicheren und ausgeglichenen Kinder können voller Zuversicht und Neugier ihre stets größer werdende Welt erkunden. Sie wissen, dass ihre Eltern stets verfügbar sind, sie niemals im Stich lassen, auf ihre Äußerungen oder kleinen Erfolge adäquat, weil zustimmend reagieren. Droht Gefahr oder fühlen sie sich angesichts einer neuen, unbekannten Situation oder einer Begegnung mit anderen Menschen, die ihnen unheimlich sind, unsicher und unwohl, wissen sie, wo sie Unterstützung, Zuspruch, Ermutigung oder auch Trost finden können. Und sie wissen, dass all dies absolut zuverlässig zur Verfügung steht, weil ihre Eltern es als ein Bedürfnis erachten, für ihre Kinder da zu sein. Sie haben es beim Säugling angewandt und ändern es nun auch beim heranwachsenden und jeden Tag ein bisschen selbstständiger werdenden Kind nicht; sie sind da und geben das, was das Kind zur jeweiligen Zeit braucht; nicht mehr und auf keinen Fall weniger.

Fehlstart

Man sieht, wie in uns allen die Voraussetzungen für ein gesundes, dem Kind förderliches Bindungsverhalten angelegt sind. Angelegt heißt aber nicht, dass sie unabwendbar und störungsfrei wirken. Durch ungünstige Umfeldbedingungen und die sprichwörtlichen vielen Köche, die den Brei verderben, in Gestalt der um ein Elternpaar gruppierten, ungezählten Erwachsenen (Großeltern, Verwandte, Freunde und gute Bekannte) kann das natürlich angelegte, intuitive Elternprogramm gestört, behindert oder ganz beeinträchtigt werden. Wer hat nicht schon in solchen Situationen mehr oder weniger wohlgemeinte Ratschläge gehört, wie: »Lass das Kind schreien, das kräftigt die Lungen. Du hast es doch erst eben gefüttert und gewickelt. Lass es liegen, es braucht nichts«, oder fast schon drohende Ermahnungen: »Wenn du es jedes Mal aufnimmst, wenn es schreit, wird daraus noch ein ganz verwöhntes Früchtchen«? Manche Eltern berichten selbst von solchen, aus Erfahrung gewonnenen Verhaltensweisen: »Neulich hat uns der Kleine [ein drei Monate alter Säugling] schier zur Verzweiflung getrieben. Wollte sich doch partout nicht ins Bett bringen lassen. Kaum hatten wir ihn hingelegt, ging das Geschrei los. Mir ist das dann zu bunt geworden und ich hab mir den Kleinen geschnappt und ihm tüchtig den Arsch versohlt. Das muss manchmal sein, die sollen spüren, dass man ihnen nicht alles durchgehen lässt.« Und es finden sich noch viele ähnliche vermeintlich hilfreiche Tipps.

Sind die Störungen erst einmal verankert und haben sie ihre nachteiligen Wirkungen bereits dauerhaft entfaltet, wird das weitere Gedeihen des Nachwuchses unter sehr unsicheren Vorzeichen stehen. Nicht zuletzt beeinträchtigt die durch Kultur, Tradition und falsche Erziehung verformte Kindheit am Ende das gesamte spätere Leben und schafft die Grundlage für eine menschliche Gesellschaft, die sich aus verformten und in ihrer Psyche beeinträchtigten Individuen zusammensetzt. Die Folgen sind heute überall auf der Welt deutlich zu sehen: unglückliche, weil deformierte Mütter und Väter, die ihrerseits unglückliche und oft auch kriegstraumatisierte Eltern und Vorfahren hatten. Diese wiederum waren selbst bereits durch weit früher etablierte Erziehungsmethoden geschädigt worden und brachten Eigenheiten und Verhaltensweisen mit, die gewissermaßen als Grundausstattung für jene schrecklichen Ereignisse taugten, die Europa und die ganze Welt gleich zweimal heimsuchen sollten.

Selbstentfremdung durch Kultur

Seit seiner Sesshaftwerdung gingen dem Menschen unzählige natürliche Verhaltensweisen und Fähigkeiten verloren, die nicht ersetzt werden konnten. Zwar ergaben sich mit der Sicherheit der Nahrungsbeschaffung durch Ackerbau und Viehzucht und dem dauerhaften Schutz vor Kälte und Feinden in festen und sicheren Behausungen aus Stein erhebliche Vorteile, gleichzeitig aber sind uns viele unserer genetisch angelegten Fähigkeiten und Merkmale im Laufe der Zivilisation abhandengekommen.