Besuch beim kleinen Fuchs

Willkommen in meiner gemütlichen Baumhöhle. Ich weiß, es ist noch ein bisschen unordentlich. Gerade bin ich nämlich von einer tollen Reise zurückgekommen. Wisst ihr, wo ich gewesen bin? Bei einer echten Prinzessin in einem richtigen Schloss. Das war vielleicht toll. Wir haben zusammen im Schlossgarten gespielt, und ich durfte auf einem wunderschönen Ball tanzen. Die Prinzessin hat mir sogar ein Geschenk mitgegeben. Ratet mal welches?

Liebt ihr auch Geschichten über Prinzessinnen? Wartet, irgendwo in meinem Bücherregal habe ich ein Buch. Hier ist es ja! Setzt euch schon mal auf das Sofa und kuschelt euch in die Decke. Ich gieße uns noch eine Tasse Pfotenwärmer-Tee ein. Mmmh … der schmeckt lecker.

Bereit? Dann kann es ja losgehen. Nun hört gut zu. Jetzt beginnt die erste Geschichte:

Die Nixenprinzessin

In den großen Weiten des blauen Ozeans lag ein verborgenes Königreich. Es war die Welt der Meerjungfrauen und Wassermänner. Ihre Häuser waren aus Muscheln und Korallen gebaut. In den Gärten wuchsen Hecken aus Seegras, und die Straßen wurden durch Laternenfische erleuchtet. In der Mitte des Königreiches lag ein prachtvolles Schloss. Seine Mauern waren perlmuttfarben und funkelten bei jedem Lichtstrahl, der durch die Meeresoberfläche drang.

Im Schloss herrschte heute ein reges Treiben. Der Meereskönig und die Meereskönigin waren an diesem Abend zu einem großen Ball eingeladen worden, und überall wurden die Vorbereitungen dafür getroffen: Die Diener spannten die Seepferdchen vor die Kutsche, und die Meereskönigin und der Meereskönig machten sich in ihren Gemächern hübsch. Die kleine Nixenprinzessin Meara saß mit ihrem besten Freund Tibbe Tintenfisch auf dem Schminktisch und schaute ihrer Mutter zu.

»Warum dürfen wir nicht mitkommen?«, fragte Meara und verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund.

»Meara, das habe ich dir doch schon so oft erklärt«, antwortete ihre Mutter, während sie ihr Gesicht mit Algenpuder betupfte, damit es grün schimmerte.

»Der Ball ist nur für Erwachsene. Du bist noch zu jung dafür«, sagte ihr Vater und kämmte sich seinen langen Bart.

»Aber ich bin ja schon viel älter«, sagte Tibbe und handelte sich einen bösen Blick von Meara ein. Tibbe schwamm zum Schmuckkästchen der Königin und hängte sich eine Perlenkette um den Kopf. »Großartig tanzen kann ich auch!« Der Tintenfisch vollführte eine Drehung, verhedderte sich mit seinen acht Armen in der Kette und landete auf der Seeigelbürste. »Aua!«

Die Königin nahm Tibbe auf den Arm und befreite ihn von ihrem Schmuck. Dann lächelte sie und sagte: »Du hast die wichtige Aufgabe, auf meine kleine Meara aufzupassen, während wir weg sind.«

»Aber natürlich, Frau Königin! Ich bin der beste Nixensitter im ganzen Ozean!«, sagte Tibbe stolz und stieß eine kleine Tintenwolke ins Wasser.

Kurz darauf brachten die Meereskönigin und der Meereskönig die kleine Nixe und Tibbe in ihre Kuschel-Muschel. Sie drückten Meara einen Kuss auf die Stirn und sagten: »Schlaf gut, kleine Prinzessin. Wir wünschen dir tausend Blubberblasen mit wunderschönen Träumen!«

Meara zog ihre Decke bis zur Nasenspitze und brummte: »Tschüss! Viel Spaß … ohne mich.«

Als die Eltern das Zimmer verlassen hatten, schwamm Meara zum Fenster und beobachtete, wie die Seepferdchenkutsche durch das Schlosstor glitt. Meara patschte mit ihrer Flosse auf den Boden. »Es ist so gemein. Immer darf ich bei den tollen Sachen nicht dabei sein! Ich bin sehr wohl alt genug: Schließlich kann ich schon den Quallenwalzer tanzen.«

Tibbe kroch aus der Kuschel-Muschel und schwamm zum Kleiderschrank.

»Wer sagt denn, dass wir nicht dabei sein werden?«, rief er und verschwand hinter der Schranktür.

Meara runzelte die Stirn: »Wie meinst du das?« Doch statt einer Antwort drang nur ein lautes Rumpeln aus dem Schrank. Endlich kam Tibbe wieder heraus. Er trug einen achtärmeligen Frack und einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf. »Das bedeutet, dass wir auch auf den Ball gehen werden«, sagte Tibbe.

Meara riss die Augen auf. »Was? Wir sollen da ganz alleine hinschwimmen? Aber wir kennen den Weg doch gar nicht. Und was ist, wenn uns meine Eltern auf dem Ball entdecken?«

Tibbe zog eine Meereskarte aus der Tasche des Fracks und sagte: »Den Weg finden wir ganz leicht. Ich bin der beste Kartenleser im ganzen Ozean. Und auf dem Ball wird so viel los sein, dass wir gar nicht auffallen werden.«

Nachdenklich neigte Meara den Kopf zur Seite. Ihre Eltern wollten, dass sie immer brav tat, was man ihr sagte, aber Spaß machte das überhaupt nicht.

»Na gut«, sagte Meara. Sie steckte sich einen mit Muscheln verzierten Reif in die Haare und sah Tibbe entschlossen an: »Schwimmen wir zum Ball!«

Sie glitten durch das Fenster aus dem Schloss. Dabei mussten sie gut aufpassen, damit sie nicht von den Wachen entdeckt wurden. Dann schwammen Meara und Tibbe durch die Straßen des Königreiches. Bald ließen sie die Häuser hinter sich und erreichten das offene Meer. Hier war Meara noch nie alleine geschwommen. Sie durfte das Königreich nicht verlassen, weil ihre Eltern das zu gefährlich fanden.

Meara sauste durch einen Vorhang aus Algen, machte einen Salto und schwamm mitten in einen Schwarm gelber Fische hinein.

»Ist das toll hier!«, jubelte Meara und folgte ihnen.