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Joe Kelbel

Läufer sind sexy

Neue Laufabenteuer und die schönste Nebensache der Welt

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Impressum

© mainbook Verlag Frankfurt

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Anne Fuß

Bildrechte: Joe Kelbel und marathon4you.de

Titelbild: © Peter Hochhauser

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ISBN 9783947612-51-2

eSIBN 9783947612-61-1

INHALT

Vorwort

2005 Grizzly Marathon: Skurrile Wild-West Show

2009 Untertage-Marathon Sondershausen: Willkommen in der Hölle

2010 Knastmarathon Darmstadt: Hinter Gittern

2011 Marathona di Latina: Rette eine Weihnachtsgans, flieg nach Süden

2011 Gondo Event: Herrliches Wadengondo

2011 Uewersauer Trail: Dem Jasmännchen keine Chance

2012 Mallorca Marathon: Voll Normaaaal!

2012 St. Valentins Marathon: Maratona D´Amore

2012 Silesia Marathon: Spurensuche

2012 Costa Brava Xtrem: Die Wilde

2013 Antalya Marathon: Geplatzte Hochzeit

2014 Urban Trail Luxemburg: Auf den Spuren von Vauban

2015 Eco Trail de Ouarzazate: Rock The Kasbah

2015 Alpen Challenge Bludenz: Zum Runnershigh führt ein schmaler Grat

2015 Gerês Marathon: Der härteste Straßenmarathon der Welt

2015 Tafraout Atlas Trail: Mit 300 durch den Antiatlas

2016 Mauritius Marathon: Mein Schatz demjenigen, der dies versteht

2017 Ultra Trail Chaouen: Le Grand Bleu

2017 Erwin Rommel Trail: Die vergessene Front

2018: Albanien: Der verborgene Schatz

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imageVorwort

Die Japaner führen eine Marathon-Weltrangliste. Dort stehe ich auf Platz 314. Nicht wegen meines markant schlechten Laufstils oder meiner Langsamkeit, es liegt an der Menge der gelaufenen Marathons, die anhand offizieller Ergebnislisten nachgewiesen wird.

Ein Marathon ist die Olympiade des einfachen Läufers. Der Veranstalter verteilt zwar keine Kondome wie im olympischen Dorf, aber auch so ist klar, dass ich keine Bestzeiten anstrebe.

Wer als Zuschauer an der Laufstrecke steht, der sieht nicht das Leiden der Läufer, der bewundert die Eleganz der trainierten Körper, die erotischer ist, als die der Gesichter. Eklatant besser als die Sofakörper, die man zu Hause, auf den Tatort wartend, vorfindet.

Ein Foto einer Gottesanbeterin beim Maintal Ultra Trail hat mich dazu gebracht, zu schreiben, wie es ist, wenn der eigene Körper vom anderen Geschlecht angebetet wird. Für Partner, die nicht laufen, könnte dieses Buch also vor dem Scheidungsgericht missbraucht werden.

Um meine Chancen bei folgenden Läufen nicht zu verlieren, habe ich sämtliche Namen der Damen, mit denen ich etwas vor, während oder nach meinen zahlreichen Läufen hatte, abgeändert. Meistens sind die Namen eh weder der Redaktion noch mir bekannt. Beweisfotos gibt es auch nicht, aber es ist alles wahr, was ich geschrieben habe.

Ich danke der Klasse 12 B der Mädchenschule und meinem Bewährungshelfer für die Mitwirkung an diesem Buch.

image2005 Grizzly Marathon: Skurrile Wild-West Show

Montana, irgendwo zwischen dem Glacier und dem Yellowstone Nationalpark liegt unterhalb der Rocky Mountains Front die Kleinstadt Choteau, benannt nach Jean Pierre Chouteau aus St. Louis, der schon als 15-Jähriger regen Pelzhandel mit den Indianern und hier seine nördlichste Pelzstation betrieb. Büffel gibt es nicht mehr, aber Grizzlybären.

Die City Hall ist gleichzeitig das Rathaus und jeden ersten und dritten Dienstag im Monat geöffnet. Dort ist die Startnummernausgabe. 227 Läufer sind gemeldet, das nutzen die Einheimischen um Stickereien, Taschen aus Stachelschweinborsten und eingekochte Marmelade zu verkaufen. Die kleine Deutschlandfahne auf meinem Hemd wirft die Frage auf, ob ich aus Kansas sei.

Mich treibt eher die Frage um, ob ich denn am Startplatz übernachten kann oder ob man dort von Grizzlybären verspeist wird, denn bei meinem letzten Trainingslauf wurde ich von Polizeistreifen von der Straße gezogen, laufen sei verboten, das würde den Jagdinstinkt der Bären wecken. „Well, the course will be well-monitored for runner‘s safety” sagt man mir, was ich so verstehe, dass hinter jedem Bären ein Ranger mit Knarre läuft.

70 Kilometer oberhalb von Choteau, am Fuße der Rockies ist der Startort mit einer USA-Flagge und sieben mobilen Klohäuschen gekennzeichnet. Ich parke mein Wohnmobil zehn Meter von der Startlinie entfernt, aber in geruchssichererem Abstand zu den Facilities. Bei Karl May gab es immer Bärentatze, ich packe drei T-Bone-Steaks auf den Grill.

Auf der steinigen Wiese zelten zwei Läufer. Matthew und Zac kommen gerade aus dem Irakkrieg zurück, sprühen vor Kraft und Patriotismus. Sie sehen aus wie Bodybuilder, die gerade aus dem Säurebad kommen.

Warum Deutschland nicht zur coalition of the willing gehören würde? Ich antworte, dass Chancellor Schröder sie doch unterstützen würde, und ich einen Kühlschrank mit eiskaltem Bier hätte. Prompt demonstriere ich meine Kampfbereitschaft mit der Öffnung meiner fünften Bierdose, während die beiden Jungs sich für den morgigen Wettkampf mit Liegestützen und Klimmzügen am Startbogen warm machen.

Die Glutsonne geht alsbald hinter den Rocky Mountains unter, es wird empfindlich kalt. Die tapferen Irakkrieger verschwinden in ihr warmes Zelt. Genieße ich halt alleine den Blick über die sanft abfallende Prärie, die in rotgoldenen Farben glüht. Die wellige Prärie hier ist nicht mit kurzem Gras bewachsen, hier wächst die Rutenhirse, Sorte Heavy Metal, und die ist schon mal einen Meter hoch und Lieblingsspeise der Büffel. Wo das Land flacher wird, dort wo die endlosen Weizenfelder sind, dort erahne ich den Missouri, auf dem Lewis und Clark 1805 hinauffuhren und das Land kartographierten.

Um drei Uhr morgens wird es laut, als wäre jetzt auch in Montana Krieg. Grelle Scheinwerfer erhellen das Startgebiet. Männern mit roten und grünen Laserschwertern fuchteln in der Luft herum, als wolle ein F-16-Geschwader vor meinem Wohnmobil landen. Doch die Männer in leuchtenden Westen weisen nur dicke Allradautos an sich korrekt an meinem Fahrzeug auszurichten.

Da jeder Läufer von drei bis vier Wagen mit Freunden und Familienmitgliedern begleitet wird, gleicht diese Szene tatsächlich der Ankunft eines überfälligen Kampfgeschwaders auf einem Flugzeugträger. Vor den Klohäuschen bilden sich meterlange Warteschlangen und eine ungewöhnlich große Anzahl kläffender Kleinstköter kackt vor die Wohnzimmertür meines Recreation Vehicles. Im Zelt der Irakkämpfer jedoch bleibt es ruhig, die sind so einen Auflauf wohl gewohnt.

Um 6:25 Uhr begebe ich mich mit einer Bierdose bewaffnet an die Startlinie. Eigentlich habe ich übergewichtige Menschen erwartet, doch die meisten sind völlig ausgehungert, aber mit dem neuesten Läufer-Schnickschnack in den Farben der Saison ausgestattet.

Die amerikanische Flagge ist riesig, hängt fast zum Boden. Darunter eine Digitalanzeige, denke es geht jetzt los, denn wir sind überfällig. Links zwei Lastwagenanhänger ohne Wände, rechts die unglaublich vielen Fans, da springt ein Pastor gekonnt auf einen der Anhänger und hält eine Rede. „Our father who art in heaven, hallowed be thy name…“ OK. Jetzt geht’s los. Nein.

„Auf, dass Gott unseren Soldaten im Irak und unseren Läufern hier beim Marathon die Kraft gibt, den Kampf fortzuführen“. Training wäre besser gewesen, also ich zurück zum Kühlschrank, das scheint eine längere Rede zu werden. Als ich eine Hymne höre, springe ich wieder raus, doch es ist wohl nur die Hymne von Montana. Es folgt die Hymne der USA. Alle Läufer halten ihre rechte Hand aufs Herz, ich die Bierdose vor meinem Bauch. Geht es jetzt los?

Der Chef des Laufes hält noch eine Rede auf einem der Anhänger, während die Läufer mit den Tränen der Vaterlandsliebe kämpfen. Dann lässt er sich ein Maschinengewehr geben und feuert wie wild in den Morgenhimmel. Ich glaube, es geht los!

Panik! Halbmarathonläufer, die sich vorne eingereiht haben, laufen zurück auf die Startlinie, wo Full Marathon steht. Ich quetsche mich in Gegenrichtung. Nach 40 Metern die Brücke über den Rose River, der in den Yellowstone River führt. Ich laufe links über die Steinbrücke, Halbmarathonläufer kommen mir entgegen, sie sollten rechts laufen. Zwei Typen im Khaki-Anzug, schwerem Gepäck und Halbmarathonnummer versperren mir den Weg. Matthew und Zac brauchen Anweisung: „Get back and fight!“ Machen die auch. Sofort habe ich freien Blick hinunter in die Prärie, etwa 30 grellbunte Läufer vor mir. Wow, das könnte heute lustig werden!

In dem Moment überholt mich ein Kanarienvogel in quietschgrüner halblanger Hose, schwarzen Shorts drüber und roten Socken. Rosa, langärmliges Hemd, weiße Handschuhe. Die Handinnenflächen dreht er feminin nach oben. Die Unterschenkel und Knie sind mit einem Wirrwarr aus blauem und rotem Tape verklebt. Weiße Bandagen dekorieren seine Knie. Es ist die Auferstehung vom Mosi, der mit einem Kabel, nicht mit Tape erdrosselt wurde.

Die Sonne geht auf, es wird schnell warm. Meile sieben: Kurve rechts, heiße Sonne links. Hier beginnt die gravel road, keine Straße, sondern eine Kiesgrube, die einst der Ur-Missouri geschaffen hat. Mein leichter Lauf wird zur Katastrophe, jeder Schritt eine Qual. Erste Steigung von 1300 auf 1600 Höhenmeter. Ich liebe den Blick über die weiten Ebenen. Die Lunge schmerzt, der Kies bohrt sich in die Sohlen, die Gelenke brennen.

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Zwei Tage später habe ich Kathleen zu ihren Eltern gefahren

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„Good job!“ rufen die Farmerstöchter, was ich sexuell verstehe

Eine blonde Läuferin in Tenniskleidung, deren Arsch die Vakuumtoilette im Airbus 800 luftdicht verschließen würde, reduziert ihr Gewicht, indem sie ihren Hintern über das gelbe Gras senkt. Ich stelle mir vor, wie die Crew des Airbusses nach der Landung die Dame vom Vakuumklo hebelt.

Dann überhole ich einen kleinen, dicken Italienischstämmigen mit nacktem Oberkörper, dessen v-förmige Fettfalten seinen schwarz behaarten Rücken in sechs Abschnitte unterteilen. Ein seltsamer High-School-Footballspieler im Dress der Denver Broncos fühlt sich mit seinen überdimensionierten Schulterschockern als Held. Ein schlaksiger Hüftschwinger stellt sein Skrotum in weißen Lauftights genüsslich zur Schau.

Wende. Sonne von hinten. Erhabener Blick nach unten in die goldene Ebene. Ich zähle 20 Läufer vor mir. Eiskalter Schauer auf meinem Rücken, denn die kriege ich auch noch!

Wieso der Mosi jetzt vor mir ist? Der Hüftschwinger überholt mich: „Only 10 miles to go”, dann bleibt er stehen, ich rieche, dass seine atmungsaktive Jacke nicht mehr atmet. Als ich bei Meile 16 den Mosi überhole, fällt mir auf, dass er seine quietschgrünen Tights nicht mehr anhat, auch sämtliche Bandagen und Tapes sind verschwunden, ist er jetzt geheilt? Nein, er hat seine Zubehörteilchen im Dixiklo entsorgt, erzählt er mir stolz.

Meile 17: Sehr, sehr steil geht es bergauf. Ein starker Wind aus den Bergen bremst mich zusätzlich. Eine Gruppe von sieben Farmerstöchtern pusht mich nach oben: „Good job, go ahead”. Wahrscheinlich ist dieser Spruch Titel des örtlichen Pornofilms und ich stelle mir vor, wie ich aus Gewohnheit das Haar der sieben Farmerstöchter streicheln würde.

Meile 18 hat es in sich. Wie eine Skisprungschanze ragt der Weg vor mir auf. Von oben kommen mir drei Läufer entgegen, ich bin auf Platz vier. Die Lungen schmerzen höllisch, der Gegenwind aus den Bergen wird unerträglich, schlimmer als vor drei Jahren beim Windmarathon in Frankfurt. Ein Skelett in Laufkleidung liegt auf dem Boden „Super Die”…noch 100 Meter steil bergauf bis zum Wendepunkt bei Meile 19… und dann stehe ich oben auf dem Tafelberg, ich könnt heulen vor Freude, muss aber meine Platzierung verteidigen.

Ein drei Meter großer Plüsch-Grizzly drückt mir eine Medaille in die Hand, das ist eine Kontrollmarke. Ich dreh mich um, laufe mit riesigen Schritten abwärts. Komme jetzt wieder an den sieben Farmerstöchtern vorbei. Die große Blonde hat es mir angetan, ein süßes Dingelchen namens Kathleen. „Meet me after the race, my RV is just beside the startbanner.“

Läufer laufen mir bergauf entgegen, gratulieren mir, klatschen, jubeln, ich bin immer noch auf Platz vier! Linkswende, Versorgungsstation, blaue, weiße Getränke und Bananen in der quietschgrünen Farbe, die Mosi anscheinend so gern hat.

Dann sehe ich den High-School-Footballspieler mit seinen überdimensionalen Schulterpolstern vor mir. Hä? Den hatte ich doch schon überholt.

Auf den nächsten 6 Meilen brausen Pick-ups an mir vorbei. Die Ladeflächen voll mit Läufern: Mosi, der Hüftschwinger, der Italiener mit dem behaarten Rücken, alle jubeln mir zu von der Ladefläche aus zu. Nur die Tennisspielerin mit dem Breitarsch hängt über der Ladefläche und kotzt. Im Staub der Autos komme ich als Vierter ins Ziel. Make Amerika great again!

Ich nehme eine Dusche in meinem Recreation Van, da klopft es an der Tür. Unwillig packe ich ein Handtuch, das seit Wochen nicht gewaschen wurde um meine schlanken Hüften. Es ist Kathleen, sie trinkt Bier und mag gegrilltes Fleisch. Sie sagt, sie sei eine Amische, und im Moment auf Rumspringa, wie die Amisch das freie Leben nennen, bevor sie sich entscheiden, in der Gemeinschaft zu bleiben oder auszutreten. Ihr schwäbisch-schweizer Deutsch ist nicht gerade verständlich. Wörter wie Urlaub, Ferien, Bussi, Pariser oder Tschüss versteht sie nicht, oft wechseln wir ins Englische. Aber gut sieht sie aus mit ihren geflochtenen blonden Haaren unter weißem Häubchen. In zwei Tagen wird sie sich sicherlich entscheiden, aus der Gemeinschaft auszutreten.

image2009 Untertage Marathon: Willkommen in der Hölle!

Sondershausen, Thüringen: Vor 250 Millionen Jahren lag Sondershausen am Nil. Na gut, hätte es Sondershausen da schon gegeben. Damals war dort ein flaches Meer und die Welt stand vor dem größten Massenaussterben. 95 Prozent der Meeresbewohner und 66 Prozent der Landbewohner machten die Fliege, ich nicht. Das Wasser des Meeres verdunstete, die Konzentration an Salzen erhöhte sich, lagerte sich am Meeresboden ab, jedes Jahr zehn Zentimeter. Etwa 1,5 Kilometer dick sind nun die Salzschichten unter Sondershausen.

Kalisalz ist eine Mischung verschiedener Salze. Durch Veredelungsverfahren gewinnt man den Mineralstoff Kalium. Justus von Liebig war Deutschlands erster Dopingchemiker: Er raffte 1840, dass das Zeug bei Pflanzen die Photosynthese intensiviert, die Umwandlung von Zucker in Stärke und den Aufbau von Eiweißen beschleunigt. Also wurde gewühlt, man wollte ja große Kartoffeln. Die Jungs von Sondershausen haben unter ihrer Stadt Löcher von insgesamt 220 Kilometer Länge gebuddelt, mehrere Lagen, 400 bis 1500 Meter tief, für dicke Kartoffeln und Möhren, die Ferkel.

An diesem Wochenende sind die Unterkünfte teuer. Ich teile mir mit E. das Zimmer. Sie wohnt in L., ich kenne sie von einem Lauf in M., wo ich hinter ihren Zöpfen hergelaufen bin. Wir hatten zusammen geduscht, was sie wohl schwer beeindruckt hatte, jedenfalls sagte sie mir, sie würde mich schon seit vielen Marathons kennen.

Es ist noch dunkel, als ich schlaftrunken im Grubengebäude, in der Schachtstraße 20 ankomme. Die Grubenglocke schlägt fünfmal, Signal für die Einfahrt. Von unten aus dem tiefen Schacht, weht ein warmer Atem. Wie soll ich mich bei diesen Doppeldeutigkeiten auf den Lauf konzentrieren?

Ziemlich beklemmendes Gefühl in der Enge des Käfigliftes. Je 24 Läufer, 700 Meter freischwebend über dem Abgrund. Ein Bergmann schreit: „Noch zwei, los, los, wir haben keine Zeit! Helm auf!“. Helm mag ich nicht. Dann klatscht ein schwerer, speckiger Ledervorhang gegen das Kabinengitter. Es ist die gleiche Art Leder, die die Männer im Schlachthof tragen, wo ich das rohe Futter für die Jagdhunde kaufte.

Es ruckelt, dann saust die Kabine wie im Freefall-Tower des Phantasialandes in die Tiefe. Es ist dunkel, unheimliche Stille. Ich fasse mir an die Nase, presse dagegen, um in die Ohren Druckausgleich zu bekommen.

Der Aufzug rattert gleichmäßig, die Anspannung löst sich. Jemand hat eine Taschenlampe an die Decke des Lifts montiert, für Freizeitsportler halt. Vier Minuten später wird der fiese Ledervorhang aufgerissen: Die Wächter der Tiefe empfangen uns: „Willkommen in der Hölle! Willkommen in der Tiefe von 700 Metern.“

Die Bergleute genießen sichtlich unsere ängstlichen, orientierungslosen Dackelblicke. Man scheucht uns auf die offene Ladefläche eines Lasters, als seien wir Kriegsgefangene: „Dawei, Dawei!“ Unsicheres Lächeln, bei 30 Grad im Dezember. Wir haben den tiefsten Marathon der Welt vor uns.

Der Fahrer braust los. Er macht sich einen Spaß daraus, uns zu erschrecken, indem er haarscharf an den Wänden vorbeifährt. Vielleicht sind die Kratzer an den Wänden von den Lastwagen, hoffentlich von den Bohrmaschinen. In Kurven fährt er ohne zu bremsen. Es gibt nicht nur Kurven, es gibt auch steile Anstiege und starkes Gefälle, der Fahrer gibt mit seinen Fahrkünsten an. Plötzlich springt die Ladefläche hoch, es gibt hier wohl Bremsschwellen. „Oh, das war wohl schon ein Läufer“ rufe ich in die verklemmte Runde, ein Kalauer, der mir böse Blicke einbringt. Das Wissen 700 Meter Gestein über sich zu haben ist zu bedrückend.

Auch ich habe bei einem Marathon gerne die volle Kontrolle über mein Schicksal, aber hier bin ich abhängig von Leuten, die das Terrain kennen. Aber die Leute sind netter als im Westen, lockerer. So locker wie die Frontscheibe, durch die man kaum etwas sehen kann. Es lohnt sich nicht Wasser für die Scheibenwischer nachzufüllen, die salzige Luft zieht sogar das Wasser aus dem Kühler.

Wir dürfen von der Ladefläche runter. Zeit, um in die Runde zu schauen. Mit unseren Fahrradhelmen sehen wir genauso lächerlich aus wie Rudolf Scharping, als er vom Rad geflogen ist. Wenn ein Salzbergwerk so sicher ist, dass man Atommüll lagern kann, warum müssen wir dann mit diesen lächerlichen Helmen laufen? Die Stollen sind beleuchtet, oft sind es nur vereinzelte Birnen, die an dünnen Drähten herabhängen. Was passiert, wenn jemand den Schalter ausmacht? Gut, dass wir Stirnlampen haben, aber reichen die Batterien, um den Ausgang zu finden?

Das Start- und Zielgelände ist das infrastrukturelle Zentrum. Hier sind zahlreiche Bierzeltgarnituren aufgestellt, an denen sich die Läufer umziehen. „Mephistos Zeche“ ist eine bunt erleuchtete Bar mit Imbiss, wo ich mir gegen die Aufregung erstmal mein tiefstes Bier der Welt bestelle. Es gibt einen imposanten Konzertsaal, Kegelbahn, Trausaal, Festsaal, Sanitätsstation und eine Kirche.

Die Blaskapelle der Bergleute hebt die drückende Stimmung. Immer diese Doppeldeutigkeiten. Die Stollenmusiker sehen prächtig aus mit ihren Papphüten, auf denen rotweiße Hühnerfedern wippen. Weit dringt der Schall in die zahlreichen Stollen, die wir zögerlich erkundigen. Man traut sich nicht tief hinein, testet aber schon mal den Laufuntergrund, der im Halbdunkeln nicht abschätzbar ist.

Ein großer Plan bildet den Streckenverlauf ab: Der 10,6 Kilometer lange Laufkurs ist achtförmig und berührt sich am Bauch. Countdown. Wir legen los. Der Puls schießt augenblicklich in die Höhe, es geht nochmals 400 Meter steil aufwärts. Dann Stopp. Es gibt einen zweiten Start, denn die 400 Meter sollen nicht mitzählen. Die Poleposition habe ich schon mal nicht. Die, die vorhin bei der Musik noch getanzt und gelacht haben, scheinen sich nun zu konzentrieren. Drei, zwei, eins, wieder los.

Der Boden ist eigenartig. Was wie glattes Eis aussieht, ist griffiges Salz. Wo feiner Salzstaub liegt, kann es glatt sein. Manchmal sind schwarze, gläserne Stellen zu sehen, manchmal rote trübe, je nachdem ob Ton oder Eisen im Salz enthalten ist.

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Mit Conny und Jörg vor dem Autofriedhof aus der DDR-Zeit

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Treffen sich zwei Rosinen. Sagt die eine: „Warum hast du denn ne Lampe auf dem Kopf?“ Sagt die andere: „Ich muss noch in den Stollen.“

Gleich wieder Steigung. Noch laufen wir. Bei Kilometer drei ist die erste Verpflegungsstation. Jeder hat Angst vor Dehydrierung und schüttet rein was geht. Dann geht es abwärts, mächtig abwärts, tierisch abwärts. Vorbei am Friedhof. Es ist der Friedhof der Arbeitstiere, es sind die Lastkraftwagen und Fräsmaschinen aus DDR-Zeit, die hier mumifizieren. Sie werden für immer hier unten in den dunklen Gängen bleiben. Diese riesigen Arbeitstiere wurden einst an der Oberfläche zerlegt und in Einzelteilen nach unten transportiert, um dort wieder zusammengesetzt zu werden. Nun will sie keiner mehr. Gäbe auch keinen Sinn, im Stahl ist Salz, an der Oberfläche würden die Fahrzeuge zerbröseln. Ich male ein großes „Joe was here“ auf die schmutzige Heckscheibe eines dieser vorsintflutlichen Fahrzeuge. Soll doch jeder wissen, wie schnell ich bin! Dann geht’s wieder aufwärts und wieder tierisch aufwärts. Dann wieder abwärts und tierisch abwärts. Hannu aus Estland schwächelt, fragt mich, warum es kein Bier an den Verpflegungsstationen gibt. Wir teilen uns eines aus meinen Vorräten.

Irgendwo ist die tiefste Stelle erreicht, könnte Kilometer vier sein. Was wir noch nicht wissen: das ist die letzte Austragung, die in diese Tiefe von 1000 Metern führt. Hier ist es stickig heiß. 35 Grad, es riecht nach mächtig fettem Karnickelfurz und schwerem Diesel. Augenblicklich ist das Hemd klatschnass, die Zunge ist trocken, es schmeckt nach Öl. Ein unheimlicher Drache schaut um die Ecke, schleudert mir mit Riesengedöns ekelhafte Luft entgegen. Es ist ein hässliches, ein Meter dickes Lüftungsrohr, ein brausendes Energiebündel, das uns das Überleben hier unten erst möglich machen soll. Das Gestein entlässt tödliche Gase, wie gestern Olaf bei der Startnummernausgabe. Die Wärme und Enge gibt mir jetzt ein trügerisches Gefühl der Geborgenheit. Im Gegensatz zu der Luft von Olaf ist diese hier glücklicherweise furztrocken. Ich bin erkältet, und die Feuchtigkeit wird nun aus den Atemwegen rausgesaugt, die Schleimhäute schwellen ab. Ich könnte frei atmen, wenn es nicht so stinken würde.

Wieder Steigung, was sonst. Dann ein Dröhnen wie auf dem Flughafen. Ich weiß nicht, was hier wummert, irgendwelche Maschinen machen einen stinkenden Höllenlärm. Warum eigentlich? Pumpen vielleicht? Ich denke, Salzbergwerke eignen sich als Endlager.

Verpflegungsstation bei Kilometer fünf. Ich hau mir Wasser rein. Hier ist ein kurzes Begegnungsstück, und auf der andren Seite kommen zwei Läuferinnen in Weihnachtskostüm angelaufen. Die kurzen roten Röckchen passen gut in die Wärme des Bergwerkes. Wer einen Fotoapparat dabei hat, der bemüht sich um ein Bild von den Weihnachtshäschen.

Dann wird’s wieder heftig: Endlose Steigung, 23 Prozent. Wenn du denkst, du seist oben, dann kommt eine Kurve, danach wieder eine Steigung, dann wieder eine Kurve. Unvorstellbar! Es ist ein Spagat zwischen dem, was du siehst und dem, was du fühlst. Das Problem ist der fehlende Horizont, das Hirn erkennt keinen Sinn, wenn es kein Ende sieht. Es ist grausamer als auf dem Laufband im Fitnesscenter. Ich mache Faxen und bringe schlechte Witze, die bei meinen leidenden Mitläufern schon wieder schlecht ankommen.

Ab hier ist die Laufstrecke ideal, leicht wellig, gut zu laufen. Eigentlich. Kilometerweit reicht der Blick durch den Tunnel. Ja, eigentlich könnte man hier laufen, aber ich sehe meine Röntgenbilder vor diesem glitzernd dunklen Hintergrund. Dass ich bald meine erste Achillessehnen-OP haben werde, ahne ich noch nicht.

Ein riesiges Tor taucht vor mir auf, ein Wettertor, das die Luftzirkulation im Notfall unterbrechen soll. Wir sind auf dem höchsten Punkt der Strecke bei minus 600 Metern. Seitdem in Sondershausen wieder Salz abgebaut wird, könnte es sein, dass eine Methanblase angebohrt wird, also, wie die von Olaf. Schon eine fünfprozentige Methankonzentration würde ausreichen, um aus diesem Gang eine Flammenhölle zu machen und mich raketenmäßig über die Ziellinie zu schleudern.

In den kilometerlangen Gängen brennen in regelmäßigen Abständen Neonröhren, doch dicker Salzstaub schwächt ihr Licht. Totenstille. Kein Wind, kein Vogelgezwitscher, es gibt hier komischerweise auch keinen Schall, was mich beunruhigt, aber glücklicherweise auch kein gefährliches Knacken über unser Köpfen. Zahlreiche Elektrokabel hängen wie alte Spinnweben an den Wänden. Ob dort Power drauf ist? Manchmal schocken mächtige Bergmanngrüße: „Röööölps, Böööörps, Booorp!“ Der hohe Luftdruck hier unten bewirkt, dass Gase erst entweichen, wenn sie einen hohen Druck erreicht haben. Die glatten Wände der Stollen verstärken die Verdauungsgeräusche um ein Vielfaches. „Halloho, hier läuft eine Dame neben dir!“ Hahaha, es ist E. die mich jetzt einholt.

Bereits vor der ersten Runde ist das Feld weit auseinandergezogen, sodass ich oft alleine in der Dunkelheit bin. Vom Startbereich wummert „Highway to hell“ durch die Gänge.

Abstützungen wie im Kohlebergwerk gibt es nicht, das Salz bleibt stabil, solange kein Wasser zu ihm gelangt. Ab und zu gibt es zwar nasse Stellen, manchmal Pfützen. Aber das ist eine gesättigte Lösung, sie kann kein Salz mehr binden, sie entstand vor 250 Millionen Jahren aus Dinopipi. In dem Pipi gibt es keine DNA mehr, der osmotische Druck des Salzes hat sämtliche genetische Informationen zerstört, also nix mit Jurassic Park. Ich möchte zwar auch keine Informationen hinterlassen, aber irgendwann sollte man seinen Nieren klar machen, dass gearbeitet werden muss. In einem mit mächtigen Felsbrocken gefülltem Stollen konzentriere ich mich. Da springt in diesem sehr privaten Moment eine Läuferin aus der Deckung, zieht sich schnell die Buxe hoch. Ich grüße lässig, natürlich einhändig, sie versucht an mir vorbei zu kommen, um auf die Laufstrecke zu gelangen, was meiner Konzentration nicht förderlich ist.

Links und rechts der Strecke gibt es viele gewaltige Abbaustrecken. Teilweise verschlossen, teilweise nur abgesperrt oder mit Schutt blockiert. Hochgiftiger Industriestaub lagert hier, aber auch Bauschutt, Klärschlamm, Holz- oder Keramikabfälle. Im zweiten Weltkrieg wurde hier Munition von Zwangsarbeitern hergestellt. Wer nicht mehr konnte, der wurde in einen der dunklen Gänge geworfen. Viele der Salzleichen wurden von den Amerikanern, die auf der Suche nach dem Nazigold waren, einfach eingemauert. Ja, es wurde Gold gefunden, viele Barren, die von den Notenbanken der besetzten Länder stammten. Und Kunstwerke, die meisten wurden nach Amerika verschifft. Nach der Wende entdeckte man Banknoten der DDR in einem Stollen, darunter die 200- und 500- Markscheine, die nie in Umlauf gekommen sind. Die gab es dann bei Ebay zu kaufen. Wer weiß, was hier in den zahllosen Gängen noch so schlummert. Viele der vermauerten unterirdischen Kammern können nicht mehr gefunden werden, schnell legt sich eine Salztarnung über die Geheimräume, nur aufwendige Bohrungen könnten Gewissheit schaffen.

310 Höhenmeter haben wir pro Runde zu überwinden, ergibt dann 1240 Meter Höhenmeter auf 42,195 Kilometer. Die Steigungen sind brutal. Die Temperatur liegt bei 25 bis 35 Grad. Wirklichen Durst habe ich nicht, denn der Körper kennt sich mit den trockenen Zuständen hier nicht aus. Ich muss mich zwingen, regelmäßig zu trinken.

Ich bin dankbar, dass sich Christian zu mir gesellt hat. Vor allem, als wir das vierte Mal unten bei dem Drachen in 900 Meter Tiefe vorbeilaufen und keine anderen Läufer mehr sichtbar sind. Die Zielgerade ist grün ausgeleuchtet, so sieht man die Farbe in unserem Gesicht nicht, als wir über die Ziellinie laufen. Ich bin glücklich, diesen Marathon durchgestanden zu haben und will nur schnell nach oben. Doch der erste Aufzug in die Oberwelt geht erst um 17 Uhr. An der tiefsten Bar der Welt sitzen Bergleute, die den Feierabend eingeläutet haben. Es sind richtige Bergleute, sie sind mit Salzstaub bedeckt. Ob es denn ein Pendant zum Mile High Club geben würde, frage ich. So einen Mile Down Club halt. Da lachen sie, Frauen bringen doch nur Unglück Untertage. Aber acht Liter Flüssigkeit nehmen sie pro Schicht zu sich. Da muss ich grinsen, das schaffe ich auch locker!

image2010 Knastmarathon Darmstadt: Hinter Gittern

Der Knastmarathon zählt zu den verrückten Besonderheiten der Marathonszene. War er noch vor einigen Jahren nur wenigen bekannt, so reißt man sich nun international um einen der seltenen Startplätze. Viele von uns laufen, um frei zu sein, im Kopf, seelisch und körperlich. Ob das uns heute hinter Gefängnismauern gelingt?

In nur sechs Monaten mit 100 Trainingseinheiten wurden 27 Inhaftierte auf den betonierten Wegen der Haftanstalt für diesen einen Tag vorbereitet. Ich meine, sechs Monate sind zu wenig, aber ein Versuch ist es wert. Heute sollen sie beweisen, dass sie doch etwas Vernünftiges auf die Beine stellen können. 200 Nichtinsassen dürfen den Knackies das Gefühl geben, wieder zu einer Familie zu gehören.

Hinter Gittern zu sein, ist mir nicht gänzlich neu, aber das war während meines Wehrdienstes. Der Verteidigungsminister Wörner hatte mir zu Weihnachten sogar ein Buch ins Café Viereck gebracht, das ich nie gelesen habe.

Der Knast in Darmstadt ist natürlich anders. Den ersten Schock erlebe ich 500 Meter vor dem Tor: Polizeikontrolle. Meine Fahrweise sei sehr auffallend. Klar, ich bin hochnervös, weil ich kein Bier durch das Gefängnistor mitnehmen darf. Auf meine Erklärung, dass ich in dem Knast dort einen Marathon laufen will, bekomme ich von den Beamten die schon oft gehörte Antwort: „Sie sehen doch gar nicht aus wie ein Marathonläufer!“ In dem Moment, indem mein Kofferraum gefilzt wird, fährt eine Schrottkarre mit offenen Fenstern vorbei, aus denen die fünf Jungs vom LT-Hemsbach grinsend winken. Die sollte man verhaften!

Es kommt nicht oft vor, dass man vor einem Gefängnistor Schlange steht. Handy und Pistole habe ich im Auto gelassen, Geld im Schließfach am Eingang. Jeweils fünf Personen werden rein gelassen. Läufer aus anderen Gefängnissen überholen uns im Gefängniswagen durch die Schleuse. Der Personalausweis muss abgeben werden, ohne ist kein Einlass. Dafür gibt es ein grelles Kontrollarmband. Dieses wird uns heute von den Insassen unterscheiden und könnte man es ablösen, wäre es eine Stange Geld wert.

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Die Anziehungskraft von Verbrechern auf Frauen ist unwiderstehlich, sie mögen Alphatiere

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Eine Runde betragt 1,7 Kilometer und wird von Haftlingen flankiert, die jeder Frau lautstark hinterherrufen

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Ich bekomme Personalausweis und Handy am Ausgang zuruck

Verschiedene Räume, hier hinein und da hinein. In einem Besuchsraum liegen abgelutschte Kinderspielsachen, ein Spiegel hängt an der Decke. Taschenkontrolle, Leibeskontrolle, Mütze ablegen, Gepäck durchs Röntgengerät. Dann hinsetzen, ein Drogenhund läuft durch unsere Reihen. Synthetische Drogen kann der Hund eh nicht riechen, so auch nicht das hier im Knast konsumierte Spice, ein synthetisches Cannabisprodukt. Papiere wie Briefe werden in THC getränkt und an die Knackies gesendet, die das Papier dann rauchen.

Die gutaussehende E. kenne ich aus Mainz, wir haben an Karneval etwas anderes als Marlboro geraucht: „Wir sehen uns in der Zelle“ raunte ich ihr damals zu. Jetzt sitzt sie neben mir und wir beide haben doch Angst, dass der Hund noch was riechen würde, aber der bleibt locker, scheint aber von der Voltarencreme an meinen Beinen irritiert. Ich grinse E. an, sage ihr, dass wir uns nach dem Lauf im Auto treffen. Mit ein paar Taschenspielertricks hätte ich auch noch ein paar Bierchen reinschmuggeln können, mache ich nächstes Jahr.

Hinter dem Kontrollgebäude empfängt mich eine kitschige Picknickidylle unter romantischen Kiefernbäumen. Die Architektur des Gefängnisses entspricht dem einer Kaserne, also kein Unterschied zu damals, als mir mein Bruder einen Kasten Bier in die Kaserne brachte. Es gibt bunte Zelte, frisch belegte Brötchen, Getränke, Kaffee und Kuchen, die neuesten Hits der 70er, 80er und von heute. Es gibt nicht nur eine Startnummer, sondern auch ein Sträflingsshirt, mit Nummer drauf wie bei den Panzerknackern aus den Comics.

Es gibt Inhaftierte, die laufen frei rum. Entweder, weil sie sich gerade mit ihren Freundinnen zum Knutschen auf dem Rasen treffen oder weil sie bei dieser Veranstaltung aushelfen. Sie unterscheiden sich äußerlich nicht von den Typen, die mich nie in die Disko lassen, sind aber netter und unaufdringlicher, also gleich mal anquatschen: „Was habt ihr denn so verbrochen?“ Die winden sich und reden um den Brei herum, schauen sich gegenseitig an und grinsen. Horst und Franco sind inhaftiert, Michael ist ein Freigelassener. Steuerhinterziehung. Da muss auch ich grinsen. „Gibt es auch Mörder hier?“ „Der da hinten“. Es ist einer der Insassen, der heute zum ersten Mal einen Marathon laufen will. „Der hat seine Frau umgebracht, weil sie fremdgegangen ist.“ Das Motiv macht ihn zwar sympathisch, aber er sieht äußerst arrogant und gefährlich aus. Ich werde ihn auf keinen Fall ansprechen, druckse mich dann aber doch in seiner Nähe rum. Dies ist ein Tier, ein Alphatier, das lässt er mich spüren. Die Narben in seinem Gesicht hat er sich eindeutig nachgebessert. Auffallend ist, dass er keinen Kontakt aufnehmen will. Zu niemandem.