REINHARD KLUGE

 

Neue

Südseegeschichten


Seereisen zu fernen Inseln im Südpazifik

 

 

Logbuch einer Seereise mit der Schonerbrigg „Søren Larsen“ von Tahiti nach Samoa, mit dem Postschiff „Aranui 3“ zu den Tuamotus und Marquesas-Inseln und mit „Søren Larsen“ von Noumea nach Sydney via Lord Howe Island

Die Aufnahmen stammen fast ausnahmslos aus dem Archiv des Autors.

Bei einigen wenigen Abbildungen wie Postkarten, Geldscheinen und

Landkarten war es nicht möglich, die Quellen zu ermitteln.

 

 

 

 

 

 

Imprint

Neue Südseegeschichten - Seereisen zu fernen Inseln im Südpazifik

Autor: Reinhard Kluge

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Reinhard Kluge

ISBN 978-3-8442-5160-9

Coral Sea & Tasman Sea

Teil 3: Mal wieder Søren Larsen

Ende September erfahre ich zufällig, daß die Brigantine ihre diesjährige Südsee-Rundreise in Kürze vollendet haben und im Oktober ihren neuen Heimathafen Sydney ansteuern wird. Hier soll das Schiff an einen neuen Besitzer und Betreiber, Sydney Tallships, übergeben werden.

Der letzte Reiseabschnitt, Noumea nach Sydney via Lord Howe Island, ungefähr 1200 Seemeilen, stehe unmittelbar bevor.

Ich erfahre auch, daß die Søren Larsen auf diesem letzten Leg der Reise ziemlich unterbesetzt sein soll, und daß man händeringend nach zusätzlicher Voyage Crew sucht. Das liegt wohl daran, daß die Zeit des angenehmen „Inselhüpfens“ vorbei ist, und nun zum Schluß eine etwas stressigere Blauwasser-Reise bevorsteht. Jede zusätzliche Hand ist also willkommen!

Obwohl ich erst unlängst von meiner Aranui-Reise zurückgekommen bin, gibt es nicht viel zu überlegen, da ist der Seesack schnell wieder gepackt, und los geht es, diesmal nach Noumea, Nouvelle Caledonie.

Mein Logbuch beginnt diesmal am 9. Oktober.

 

Sonntag, der 9. Oktober

Mein Flug QF 91 von Sydney landet pünktlich um 10.45 Uhr auf dem Flughafen Tontouta, Noumea.

Der Shuttle-Bus von Arc en Ciel setzt mich direkt vor der Tür meines Hotels Le Paris ab.

Es ist ungewöhnlich still in der Stadt, es sind kaum Leute auf der Straße, denn erstens ist heute Sonntag, und somit sind alle Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen (Ausnahme: McDonalds), und zweitens ist gerade Siesta-Zeit, und die ist jedermann in der Südsee heilig.

Also was tun? Da mache ich mich eben auf den Weg zum Hafen, um den Liegeplatz der Søren Larsen ausfindig zu machen.

Es ist ein gemütlicher Spaziergang von der Rue Sebastopol zum Yachthafen, vorbei am verwaisten Fischmarkt, der Hafenmeisterei und der Lotsenstation sowie der mit Yachten aller Nationen vollbelegten Marina im Port Moselle.

Die hohen Masten der Søren Larsen überragen natürlich alles in diesem Bootsgewimmel und sind mein sicherster Wegweiser.

Beim Näherkommen fällt mir sofort die neue Flagge des Schiffes auf: es ist die der Cook Islands, nicht mehr die britische. Und der Heimathafen ist nicht mehr Colchester, sondern Avatiu, der Hafen von Rarotonga.

Das Schiff ist also ausgeflaggt worden, sicherlich nicht zuletzt wegen der Steuerbelastung im United Kingdom.

Schmuck sieht sie wieder aus, die Schonerbrigg mir ihrem strahlend-weißen Außenbordsanstrich, und – obwohl Sonntag ist – sind die Jungs und Mädels der Stamm-Crew emsig an Deck beschäftigt, ihr Aussehen noch weiter zu verschönern.

Da erkenne ich auch einige bekannte Gesichter wieder, nämlich Matt, the Mate, der inzwischen zum Kapitän der Schiffes ernannt worden ist, Maho, seine junge Ehefrau, die ich vor drei Jahren noch als Deckhand kennengelernt hatte, sich inzwischen zum Yacht-Master qualifizieren konnte und die nun als 1. Offizier angemustert ist, die Purserin Marsha und Geoff, den Chief Engineer.

Da heute alle noch viel zu tun haben, halte ich mich nicht lange an Bord auf, aber am Abend trifft man sich wieder im Yachtclub zu Bier und Chips, bzw. hauptsächlich zum Rugby Worldcup, denn heute spielt Australien gegen Südafrika. Die Lounge vor dem Großbildschirm ist natürlich gerammelt voll, zumal ja alle Kneipen im Downtown Noumea - mit Ausnahme des Yachtclubs - heute geschlossen haben.

 

Montag, der 10. Oktober

Nach einem kräftigen Frühstück und dem Check-Out vom Hotel marschiere ich mit meinem Gepäck zum Hafen, denn Taxis sind weit und breit nicht in Sicht.

Treffpunkt für die Neuankömmlinge ist die Büro-Bude der Yacht-Agentur neben dem Fischmarkt, wo uns Marsha, die Purserin, in Empfang nimmt und zum Schiff geleitet.

Großes Hallo an Bord, etwas Unordnung wegen des vielen Gepäcks an Deck und fröhliche, erwartungsvolle Gesichter bei Stamm-Crew wie Voyage-Crew, denn heute soll es endlich losgehen.

Ich werde in eine Einzelkammer im Vorschiff an Backbordseite eingewiesen, denn da wir unterbesetzt sind, ist viel Platz auf dem Schiff vorhanden.

Dadurch habe ich die Möglichkeit, meine Sachen erst mal auf der unbelegten Oberkoje auszubreiten und allen vorhandenen Schrankraum mit Beschlag zu belegen.

Dann kommt das obligatorische Anmustern durch Unterschrift in der Musterrolle und die Ausgabe von Sicherheitsgurt und Wet Weather Gear.

Es folgt eine kurze Begrüßung durch den Kapitän, erste Einweisungen und Sicherheitsbelehrungen und Kletterübungen, also Aufentern im Fockmast bis zur Marssaling und drüben wieder runter, allerdings nur auf freiwilliger Basis. Wer etwas übergewichtig oder unsicher ist, verschiebt das Aufentern zunächst mal bis später, no problem.

Nach dem Lunch wird seeklar gemacht, und um 14.00 Uhr verlassen wir den Yachthafen von Noumea mit Maschinenkraft.

Nachdem wir die Mole vom Port Moselle passiert haben, werden Segel gesetzt, denn wir haben einen günstigen Ostwind erwischt. Das ist natürlich ein All-Hands Manöver, zumal wir ohnehin short-handed sind.

Wir „Neuen“ von der Voyage-Crew haben uns schnell eingewöhnt, und unter der sachkundigen Anleitung durch die Jungs und Mädels der Stammbesatzung finden wir uns bald leidlich gut zurecht in dem Leinen-Wirrwarr der Brassen (braces), Schoten (sheets), Geitaue (clewlines), Niederholer (downhauls), Fallen (halyards), Gordings (buntlines), Zeisinge (gaskets), Preventer, um hier nur einige zu nennen.

Der Belegplan bzw. das Pin Rail Diagram, also auf welchen Belegnagel welche Leine belegt werden muß, um auch bei totaler Finsternis die jeweils richtige zweifelsfrei zu finden, ist noch seit meiner ersten Reise auf diesem Schiff ganz gut in Erinnerung und bedarf nur einer Auffrischung.

Da wir nun sämtliche Segel gesetzt haben, machen wir ein kleines Bootsmanöver zur Übung und verbinden das mit einem Foto- und Filmtermin. Mit Videokamera und Fotoapparat habe ich einen guten Platz in unserm aufblasbaren Seaboat ergattert, und wir drehen ein paar Runden um das mit 4 Knoten segelnde Schiff. Mit Erfolg, denn alle sind happy, als die Bilder im Kasten sind.

Um 16.10 gehen wir zu Anker vor der Insel Te Nou, auch Ilot Signal genannt, wir haben unser heutiges Etappenziel erreicht. Die Insel liegt westlich des Hauptfahrwassers von Noumea zur Doumbea-Passage, und diente früher, als es noch kein Radar und GPS gab, den ein- und auslaufenden Schiffen mit seiner hohen Signalbake als wichtiges Seezeichen in der korallenübersäten Lagune von Noumea.

Wie im Schifffahrtsmuseum von Noumea zu erfahren war, haben selbst große Tiefwassersegler wie die Viermastbarken von der Flying P-Line dieses Fahrwasser benutzt, um zum Ladeplatz für Nickelerz, Goro, südöstlich von Noumea zu gelangen.

Unser Ankerplatz liegt auf φ= 22˚18,39‘ S und λ=166˚17,52‘ E.

Hier erleben wir einen schönen Sonnenuntergang und eine Vollmond-Nacht mit Musik und Drinks und einem unterhaltsamen Klönsnack.

 

Dienstag, der 11. Oktober

Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Seaboat an Land, allerdings nur für eine gute Stunde zum Füßevertreten. Die Insel Te Nou ist unbewohnt, steht aber unter totalem UNESCO-gesponsertem Natur- und Landschaftsschutz wegen des fragilen Ökosystems der Lagune, der seltenen Flora und Fauna und wegen einiger historisch bedeutsamer Stätten.

Ray, einer unserer Shipmates, ist von Beruf Landschaftsgärtner, und so ist es nicht verwunderlich, daß wir in Kürze über die anzutreffenden Bäume und Büsche bestens Bescheid wissen. Wir finden hier hauptsächlich Eukalyptus-Gewächse, Casuarinen, Palmen und niedriges Gestrüpp, denn sehr reichhaltig ist der überwiegend aus Korallensand bestehende Boden nicht.

Quer durch die Insel hat man freundlicherweise einen Boardwalk gebaut, einen hölzernen Laufsteg, auf dem man gut vorankommt, ohne durch den Sand waten zu müssen.

In der Mitte der Insel ist ein verfallener Kalkbrennofen im Gebüsch verborgen, in dem möglicherweise das Baumaterial für den nahegelegenen hohen weißen Signalturm hergestellt wurden. Imposant das Bauwerk, aber Signale werden von hier aus schon lange nicht mehr ausgesendet.

Man ist in weniger als einer halben Stunde einmal rund um die Insel gewandert und kommt wieder an dem Landungssteg an, an dem wir gelandet waren. Hier gibt es einen beeindruckend schönen weißen, feinsandigen Strand, und das glasklare, türkisfarbene Wasser lädt zum Baden ein.

Da ich aber keine Badehose mit habe, lasse ich mich ein Weilchen auf dem Landungssteg nieder und lasse die Beine im kühlen Naß baumeln.

Plötzlich kommt unter den Holzbalken dicht neben mir eine stattliche gelb-schwarz gestreifte Seeschlange hervorgekrochen, hastet durch den warmen Sand und verschwindet schließlich im nahen Strandgewächs.

Eigentlich hätte ich ja vorgewarnt sein müssen, denn sowohl in der einschlägigen Literatur als auch auf diverse Hinweisschildern wird auf die hier endemisch vorkommenden Seeschlangen hingewiesen sowie auf deren Eigenschaft, scheu und friedlich zu sein, aber auch, daß ihr Biß hochgiftig und in kürzester Zeit tödlich sein kann. Also, Abstand halten!

Interessant ist, daß diese Schlangen die Hälfte ihres Lebens an Land verbringen und zwar zum Brüten und zum Verdauen. Strandbesucher und Campingfreunde müssen sich also auf ihre Nachbarschaft einstellen.

Da diese Schlangen hier so häufig vorkommen, kann man ihr Abbild sogar im Wappen von Neukaledonien bewundern.

Während wir noch über Seeschlangen und ihre mutmaßliche Lebensweise debattieren, hat unser Seaboat an der Jetty angelegt und holt uns zurück an Bord.

 

Um 11.00 Uhr Anker auf, alle Segel gesetzt, und wir nehmen Kurs auf Ilot Amédée, die Insel mit dem berühmten Leuchtturm an der Boulari Passage.

Zunächst aber müssen wir eine Menge Korallenbänke umfahren, die am besten aus dem Mast zu erkennen sind, weshalb wir auch einen Ausguck in luftiger Höhe postiert haben. In der Seekarte sind verschiedene Tonnen und Baken verzeichnet, die das Fahrwasser bezeichnen sollen, aber vorsichtiges Navigieren ist hier trotzdem angezeigt, denn GPS und Radar sind hier nur begrenzte Hilfsmittel.

Die Crew ist in „stand-by“ Position für den Fall, daß plötzliche Segelmanöver notwendig werden. Das Rudergehen ist zwar nicht unbedingt aufregend, aber auf alle Fälle nicht so eintönig wie auf langen Ozeanpassagen.

Der Leuchtturm, Le Phare Amédée, bietet beim Näherkommen einen majestätischen Anblick, 56 Meter hoch, strahlend weiß, steht er auf grünem Untergrund inmitten des grenzenlosen Blaus des Ozeans.

Um 15.00 Uhr ankern wir etwa eine halbe Meile nordöstlich der Insel und machen uns klar für einen kurzen Schnupperlandgang. Zu diesem Zeitpunkt ist auf der Insel schon alles fermé, also geschlossen, da die Besucher vom Festland mit der letzten Fähre abgefahren sind, und die Inselhüter sich in ihre Behausungen zurückgezogen haben.

Wir machen also einen 15-minütigen Inselrundgang und, während wir es uns am Strand in den verlassenen Liegestühlen bequem machen, können wir, außer uns vor Freude, wieder zwei schöne Exemplare von Seeschlangen begrüßen. Sie nehmen von uns keinerlei Notiz, lassen sich aber brav ablichten.  Für heute haben wir genug Schlangen gesehen, zurück an Bord.

 

Mittwoch, 12. Oktober

Heute ist es sonnig und warm, kaum Wind. Deshalb wird gleich nach dem Frühstück mal ein General Alarm ausgelöst, zur Übung. Anlegen der Schwimmwesten, Muster Stations, also Festlegung der Stellplätze im Alarmfall, Arten der Emergencies wie Feuer im Schiff, Mann über Bord, Bootsrolle – Verlassen des Schiffes. Meine Muster Station ist Steuerbord vorne.

Um 09.30 Uhr geht es wieder an Land. Heute sind schon eine Menge Besucher per Ferry vom Festland rübergekommen und richten sich für einen gemütlichen Tag am Strand ein.

Mein erster Stop ist heute der Leuchtturm. Am Eingang ist aus einem kunstvollen Schild zu entnehmen, daß dieser im Jahre 1865 nach zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellt wurde und zwar auf kaiserliche Anordnung seitens seiner Majestät Napoleon III.

Anfänglich zögere ich noch kurz, aber dann mache ich mich doch auf den beschwerlichen Weg nach oben. Die steile Wendeltreppe hat 232 Stufen, und ich komme etwas ausgepufft oben an.

Aber als ich auf der luftigen Galerie stehe, bin ich doch froh, daß ich den Turm erklommen habe. Von hier oben hat man nämlich einen großartigen Ausblick über die Insel, die Lagune und das ferne Festland.

In südwestlicher Richtung kann man nun die Konturen des gewaltigen Saumriffs erkennen und die Bresche, genannt Boulari Passage, die für große Schiffe mit einem Tiefgang bis zu 14 Metern und einer maximalen Länge von 250 m zugelassen ist. Dies ist auch die einzige für Tanker erlaubte Passage nach Noumea. Frachter, die nach Prony Bay, also zu Goro Nickel bestimmt sind, nehmen ebenfalls diese Passage. Ein- und Ausfahrt ist bei Tag und Nacht erlaubt. Da kann man nur hoffen, daß hier niemals ein Schiff aus dem Ruder läuft und auf den Korallenriffen festkommt. Das wäre ein Desaster mit unabsehbaren Folgen für das fragile Ökosystem der Lagune.

Ein Blick hinunter auf die Insel macht deutlich, daß die hiesigen Bewohner sich um ihre Umwelt sorgen. Ich erkenne eine wohlgeordnete Mülldeponie, einen kleinen Solarpark und ein gepflegtes Ambiente, trotz des gewaltigen Besucheransturms in der Hochsaison. Und jede Menge Hinweisschilder in französisch und englisch mit den vielen, vielen auf der Insel herrschenden Verboten….

Heute haben Post und Imbißkioske geöffnet, Postkarten und Briefmarken sind erschwinglich, Bier, Kaffee und Croissants sind etwas teurer, was keinen wundert, weil alles vom Festland rübergebracht werden muß.

Vor dem Mittagessen sind wir wieder zurück an Bord und hieven den Anker. Wir segeln mit wenig Wind und wenig Segeln mit Hilfe des „eisernen Topsegels“ auf nordwestlichen Kursen zurück nach Noumea.

Wir bleiben aber auf Reede liegen und ankern in der Bucht außerhalb des Yachthafens auf Position φ=22˚15,9’ S  λ=166˚25,1‘ E.

 

Donnerstag, 13. Oktober

Vor Anker in der Bucht von Noumea.

Der Kapitän und die Purserin müssen noch mal an Land, um das Schiff bei den Behörden auszuklarieren. Ohne Port Clearance kann kein Schiff einen x-beliebigen Hafen verlassen, sonst gibt es gehörigen Ärger im nächsten Anlaufhafen. Mit der Port Clearance wird bescheinigt, daß das Schiff alle Rechnungen im Hafen bezahlt hat (oder durch seinen Agenten bezahlen läßt), daß keine blinden Passagiere an Bord sind und keine Crewmitglieder an Land zurückgeblieben sind, daß das Schiff frei von Pest und Cholera ist, und daß sich Schiff und Besatzung im Hafen ordentlich betragen und nicht gegen die örtlichen Gesetze verstoßen haben. Alles klar.

Ich schließe mich den beiden Landgängern an, denn ich will mit meinem Computer noch mal zum Yachtclub, um die neuesten Wetterkarten und Forecasts vom Bureau of Meteorology (BOM) runterzuladen. Das klappt zunächst ganz gut, bis mein Laptop streikt. Das kriegen wir aber wieder hin, etwas später…

Endlich sind alle Formalitäten erledigt, und wir sind bereit, das gastfreundliche Nouvelle Caledonie, New Caledonia oder Neukaledonien zu verlassen.

Um 12.45 ist der Anker aus dem Grund, und wir verlassen Noumea-Reede.

Der Wind ist Ost-Süd-Ost, und wir setzen das Großsegel mit einigem Kraftaufwand, das Foretopmaststagsegel, das Großstagsegel und das untere und obere Marssegel.

Um 15.45 Uhr passieren wir das Außenriff der Doumbea-Passage. Dies ist die größte und bequemste Riffpassage von und nach Noumea, sie wird von großen Frachtern und Kreuzfahrtschiffen benutzt.

Maximaler Tiefgang 14 Meter, keine Längenbegrenzung, Tag und Nacht ok.

Während wir durch die Passage segeln, kommt uns von Steuerbord ein größeres Containerschiff entgegen, aber wir kommen uns nicht ins Gehege, weil uns Seglern das Wegerecht eingeräumt wird.

Auf dem Außenriff steht eine gewaltige Brandung, weil hier die Ozeandünung voll aufläuft. Riesige Gischtwolken stieben über der Riffkante, aber ein paar verwegene Fischermänner haben hinter dem Riff ihr Gerät ausgefahren und hoffen auf guten Fang.

Auch wir haben übers Heck zwei fishing lines ausgebracht und hoffen, daß vielleicht mal ein Kingfisch oder Bonito anbeißen wird.

Nach dem Verlassen des Riffs hat uns der Ozean voll im Griff, und in seiner langen östlichen Windsee und Dünung macht unsere gute Søren Larsen das, was sie am besten kann, rollen, stampfen, schlingern, immer im Rhythmus der ewigen See. Im konkreten Falle der Tasman Sea, dem berüchtigten Randmeer des Südpazifischen Ozeans, das nun vor uns liegt auf dem Weg nach Lord Howe Island und weiter nach Sydney.

Ich habe ab heute 8-12 Wache, also zusammen mit Matt, dem Kapitän, sowie mit den beiden Deckhands Liz und Maisie und dem Ehepaar Leslie und Mervin aus Neuseeland.

Liz kommt aus San Diego und hat unlängst eine Yacht von Mexico nach den Marquesas gesegelt. Maisie kommt aus Minnesota und hat Erfahrung auf Squareriggers gemacht. Beide Mädels sind absolute Spitze, kräftig zupackend, furchtlos, zuverlässig. Und nett. Sie stehen den Jungs an Bord in keiner Weise nach. Im Gegenteil…

Ich mag die 8-12 Wache, denn man kann mit dem Skipper fachsimpeln, Läuschen erzählen, den wunderbaren Sternenhimmel auswerten und gegebenenfalls sogar mal in der Dämmerung ein paar Sterne mit dem Sextanten schießen.

Vormittags gibt es mit Sicherheit etwas Segel-Action oder sonst etwas, womit man sich nützlich machen kann, z.B. Persenning nähen oder reparieren, seemännische Handarbeiten und – nicht zu vergessen – Bilge pumpen!

Letzteres geschieht mit der vorsintflutlichen aber immer noch sehr effektiven Handpumpe an Deck. Die Norm ist, den Pumpenschwengel 100 mal betätigen, bevor der Nächste dran ist. Das ist wirklich notwendig, denn die Bilge muss weitgehend lenz gehalten werden, sonst kann es böse Überraschungen geben, wie es mir später mal geschah.

 

Freitag, der 14. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=23˚ 35,4‘ S  λ=165˚ 40,65’ E

Kurs 210˚ (süd-südwest), Distanz gutgemacht seit Noumea 89,5 sm.

Wind ost-südost 15 – 20 kn, rauhe See, wolkig.

Segelkostüm: Innenklüver, Vorstagsegel, Focksegel, unteres und oberes Marssegel, Bramsegel, Groß- und Mittelstagsegel, gerefftes Großsegel.

Am Nachmittag schwächt sich der Wind etwas ab und dreht etwas nördlicher. Shaking out the reef from the mainsail = nehmen das Reff aus dem Großsegel.

 

Sonnabend, der 15. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=25˚ 29,0‘ S  λ=164˚13,0’ E

Kurs 210˚, unterwegs nach Lord Howe Island. Speed ~ 7,0 kn.

Etmal=139 sm, Distanz seit Dumbea-Passage 216 sm.

Wind ost-nordost 15 kn, rauhe See und Dünung.

Himmel heiter bis wolkig.

Segel: zwei Klüver, vier Rahsegel, zwei Stagsegel, Großsegel.

Um 16.00 Uhr fahren wir eine Halse, wir drehen mit dem Heck durch den Wind und nehmen den Wind jetzt von Steuerbord achtern, da er auf Nord gedreht hat. Neuer Kurs: 215˚

Am Abend nehmen wir beide Stagsegel und den Außenklüver weg, da diese Segel bei dem achterlichen Wind nicht mehr ziehen.

Schiff steuert jetzt schlechter, muß 10˚ Backbord-Ruder vorhalten, um Kurs zu halten.

In der Nacht wird das Bramsegel eingeholt und festgemacht. Ein ziemlich wagemutiger Job bei dieser Schaukelei. Deshalb bleibt die Kletterei ins Rig der Stamm-Crew vorbehalten. Erschwert wird diese Arbeit in der Rah durch die totale Finsternis, da muß man ganz sicher gehen, wohin man tritt und woran man sich festhält. Ein Sturz an Deck hätte fatale Folgen, und ein Sturz in die See nicht minder, da es außerordentlich schwierig wäre, den Verunglückten in der bewegten See zu finden …

 

Sonntag, der 16. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=27˚15,3‘ S   λ=162˚ 22,5’ E

Kurs : 215˚,  Speed ~ 6 kn, Etmal=145 sm, Gesamtdistanz=325 sm

Wind nördlich 20 kn, rauhe See und Dünung, wolkig bis bedeckt.

Schiff rollt und giert mäßig.

Ab 08.00 Uhr laufen wir wiederholt in Regenfronten, gegen Mittag haben wir extrem heftige Schauer und Böen. Müssen mehrmals vom Kurs abfallen, weil der Wind schraalt, bis zu 90˚ vom Kurs.

Haben angesichts einer im Radar sichtbaren herannahenden ominösen Front das Großsegel wieder doppelt gerefft.

In meiner Kammer wird es feucht, von oben dringt Wasser ein, zum Glück nur auf die Flurplatten, nicht auf die Koje.

Nachmittags nach 15.00 Uhr haben wir wieder strahlend blauen Himmel, die Front ist durch, und der Wind hat gedreht auf NW 20 kn. Zeit zum Lüften der klatschnassen Sachen!

Später dreht der Wind auf W 15 kn, also flugs zwei Stagsegel und das Bramsegel gesetzt.

 

Montag, der 17. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=28˚ 54,9‘ S  λ=162˚ 46,6’ E

Kurs: 200˚, Etmal=102 sm, Gesamtdistanz=445 sm

Wind südöstlich 15 ~ 20 kn, grobe See und Dünung. Schiff rollt lebhaft.

Der Himmel ist wolkig bis bedeckt, und es ist kalt (für Tropenverwöhnte).

Segel: Innenklüver, drei Rahsegel, Großstagsegel, gerefftes Großsegel.

Um 08.00 Uhr fahren wir wieder eine Halse, gehen auf westliche Kurse und steuern „Full and by“, d.h. es wird nicht mehr nach Kompass gesteuert, sondern so hart am Wind, wie möglich. Der Rudergänger muß dabei ständig das Luv-Liek des höchsten Rahsegels beobachten, und wenn das anfängt zu killen (flattern), muß er etwas abfallen. Das bedeutet im konkreten Falle Kurse von 270˚ schrittweise bis 250˚.

Am Nachmittag nimmt der Wind weiter zu, dreht auf süd-südost 20-25 kn.

Sehr grobe See und Dünung, Schiff rollt und stampft heftig.

Segel: Innenklüver, Vorstagsegel, Focksegel und Untermars, Großstag und Großsegel (doppelt gerefft). Haben das Obermarssegel mehrmals gesetzt, eingeholt, gesetzt, eingeholt ….

Gegen Abend nehmen Wind und See weiter zu, und der Kapitän entschließt sich beizudrehen – Heave to!  Wir liegen nun nur noch unter Vorstagsegel und doppelt gerefftem Großsegel mit Hart-Backbord Ruder am Wind und treten praktisch auf der Stelle.

Unser Kurs liegt zwischen 240 und 260˚ und die Speed 0,1 kn.

So liegt das Schiff relativ ruhig und sicher und kann das Wetter abreiten.

 

Dienstag, der 18. Oktober

Liegen unverändert beigedreht am Wind.

07.00 Uhr Position: φ=28˚ 47,3‘ S  λ=161˚ 57,8‘ E

Etmal=43,4 sm in 280˚Richtung, das ist weit ab von unserer eigentlichen beabsichtigten Richtung. Machen z.Zt. keine Fahrt voraus.

Der Wind ist süd-südöstlich 25 kn, hohe durcheinanderlaufende Dünung und Windsee, ca. 4 m hoch. Schiff rollt und stampft heftig.

Essenkochen klappt aber noch gut, unsere Küchenfeen bereiten uns immer ein warmes Frühstück, Lunch und Dinner, thank you, Ladies!

 

Um 09.00 Uhr wird die Maschine gestartet. Motorsailing mit Vorstag-, Großstag- und Großsegel. Machen jetzt 5,4 kn Fahrt. Kurs 210˚.

Schiff rollt und stampft erheblich und nimmt Spritzwasser und gelegentlich grüne Seen über Deck und Luken. Die vordere Luke ist mit Persenning abgedeckt und verschalkt, trotzdem dringt irgendwo Wasser ein.

In meiner Kammer leckt das Wasser zunehmend durch die Decke, aber anderswo auch, falls das ein Trost ist. Marsha gegenüber kämpft gegen das Wasser mit alten Badetüchern und hat mir auch schon ein paar in die Kammer geworfen. Irgendwie muss man das eindringende Wasser eingedämmt kriegen, denn unter den Flurplatten der Kammern und Betriebsgänge sind Proviant und Ausrüstungen, Segel und Tauwerk verstaut und sollten möglichst trocken gehalten werden.

An Deck muß die Handpumpe ständig bedient werden, um den Wasserstand in der Bilge so niedrig wie möglich zu halten. Stündlich wird durch die Safety Watch der Stand der Bilgen vorn und achtern kontrolliert und ins Wachbuch eingetragen. Hierzu müssen die Flurplatten an bestimmten Stellen aufgenommen werden, damit mit einem gesunden Augenmaß der Pegelstand festgestellt werden kann.

Wird der Bilgenstand vernachlässigt, kann das zu unangenehmen Folgen führen, denn im Bereich der Bordwände gibt es keine wasserdichte Trennung zwischen Bilge und Zwischendeck. Da kann es passieren, daß bei heftigen Rollbewegungen des Schiffes das Bilgenwasser an der inneren Bordwand hochschwappt bis in die Kammern und Kojen. So geschehen in meiner Kammer auf einer späteren Reise …

 

Mittwoch, der 19. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=29˚ 56,2‘ S  λ=160˚ 17,4’ E

Kurs: 244˚, Speed 4,6 kn. Etmal=111 sm in Richtung 232˚

Verbleibende Distanz nach Lord Howe Island = 121 sm in 217˚

Wind südlich 10 kn, mäßige See, hohe Dünung. Regenschauer.

Segel: das „eiserne Topsegel“, Vorstagsegel, Großstagsegel, Großsegel.

Auch beim Motorsailing ist es wichtig, einige Fore-and-Aft Segel zu fahren, um die Schiffsbewegungen zu dämpfen und die Steuerfähigkeit zu verbessern.

 

Während meiner 8-12 Wache:  Kompasskurs=220˚

Wind südlich 20 kn, hohe südliche Ozeandünung, Schiff rollt heftig.

Regenschauer, Spritzwasser über Deck und Luken und Vorschiff; Wasser leckt in meine Kammer.

Es tauchen jetzt verschiedentlich Seevögel auf, Sturmvögel (petrels), Seeschwalben (terns), Sturmtaucher (shearwater), die uns ankündigen, daß Land nicht mehr weit ist.

 

Donnerstag, der 20. Oktober

07.00 Uhr Position: φ=31˚ 9,6‘ S  λ=158˚45,8’ E

Kurs: 135˚, Speed 5 ~ 6 kn, Etmal=108 sm in Richtung 227˚

Wind süd-südost 15 ~ 20 kn, hohe Dünung aus südlicher Richtung.

Schiff rollt und stampft mäßig, Spritzwasser über Deck und Luken.

Unter Hochdruckeinfluß haben wir jetzt blauen Himmel.

Segel wie gehabt, no change.

Um 07.45 Uhr wird Lord Howe Island erstmalig gesichtet, die beiden höchsten Berge Mount Lidgbird und Mount Gower kommen in Sicht.

Müssen aber noch mehrere Stunden gegen den steifen Südostwind und die hohe südliche Dünung aufkreuzen.

Endlich, um 12.45 Uhr werfen wir Anker an der Nordseite der Insel auf Position φ=31˚30,38‘ S   λ=159˚2,69‘ E

Die Gesamtdistanz von Noumea Ankerplatz bis hier beträgt 680 sm.

Dafür haben wir 6 Tage und 21 Stunden benötigt.

Um 16.30 Uhr wird ein erstes Landgangsboot ausgesetzt, um die Landschaft und einen möglichen Landeplatz zu erkunden.

  

Der Befund ist, daß dies hier eine ziemlich unwirtliche Landungszone ist, steile Kliffreihenküste mit wenig Anlegemöglichkeiten außer einer kleinen Bucht, genannt The Old Gulch.

Aber es ist momentan der einzige sichere Ankerplatz gegen die südlichen Winde und Dünung. Sollte der Wind aber auf Nord drehen, muß man schleunigst von hier verschwinden.

 

Freitag, der 21. Oktober

Liegen vor Anker vor der Nordküste von Lord Howe Island mit vier Schäkel Kette auf 25 m Wasser.

Es ist heiter bis wolkig, angenehme 20˚C Lufttemperatur, also das richtige Wetter zum Wandern, aber eine leichte Regenjacke sollte man trotzdem dabei haben.

Anhand der reichlich vorhandenen Bordlektüre und aus dem Internet hat man sich schon mal mit den wichtigsten Fakten und Zahlen vertraut gemacht. Lord Howe Island, nachfolgend der Einfachheit halber LHI genannt, ist vor ca. 7 Millionen Jahren aus einem riesigen Vulkan entstanden. Bei einer gewaltigen Eruption ist gut die Hälfte der Caldera, also des Kraters, geborsten und im Meer verschwunden, nur die Ostseite nebst einigen Inseln und dem weiter südlich einsam im Wasser stehenden Felsen Balls Pyramid sind über Wasser erhalten geblieben. Im Laufe der Jahrtausende hat sich dann an der Westseite ein Korallenriff angesiedelt, übrigens das geografisch südlichste Korallenriff der Welt. Prominenteste Erhebungen sind der Mount Gower (875 m) und der Mount Lidgbird (777 m) im Süden der Insel.

Die bis dahin unbewohnte Inselgruppe wurde am 17. Februar 1788 erstmalig gesichtet, als das britische Versorgungsschiff HMS „Supply“ von Sydney kommend nach Norfolk Island unterwegs war, um dort eine Sträflingskolonie zu gründen. Da man 15 Convicts an Bord hatte, ließ man die Insel zunächst links liegen, aber auf der Rückreise schickte der Kommandant, Leutnant Henry Lidgbird Ball, einen Landungstrupp zur Insel und nahm diese für die britische Krone in Besitz.

In der Folgezeit wurde LHI zu einer wichtigen Versorgungsbasis für englische und amerikanische Walfänger, da auf dem fruchtbaren Boden Kartoffeln, Gemüse und Taro gut gediehen und ein paar ins Freie losgelassene Ziegen und Schweine sich schnell vermehrten und zur Fleischversorgung hungriger Seefahrer beitrugen. Ein paar tüchtige und unternehmungslustige Farmer hatten sich bald hier angesiedelt, und ein paar willige Frauen wurden aus benachbarten Südseeinseln herbeigeschafft.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ließ das Walfanggeschäft rapide nach, hauptsächlich wegen des amerikanischen Bürgerkrieges und wegen des Goldrausches in Kalifornien und anderswo, was zur Folge hatte, daß nur noch wenige Schiffe die Insel anliefen und somit das Versorgergeschäft seiner Grundlage beraubt wurde.

Die wenigen auf LHI verbliebenen Siedler diversifizierten nunmehr in einen anderen Geschäftszweig: die Kultivierung und den Export der auf der Insel in Massen wachsenden Kentia-Palmen, die sich schon damals vor allem in Europa als Zierpalmen wachsender Beliebtheit erfreuten.

Zu einem späteren Zeitpunkt kam dann noch der Tourismus dazu, der auch heute noch eine bedeutende Rolle spielt.

Wie schon erwähnt, befand sich Lord Howe Island seit 1788 in britischem Besitz, wurde aber 1855 Australien zugeschlagen und gehört seitdem formell zu New South Wales. Man hat der Inselgruppe aber einen weitgehend autonomen Status eingeräumt, und die Selbstverwaltung wird durch den fünfköpfigen Lord Howe Island Board wahrgenommen, was angesicht einer Einwohnerschaft von 347 Personen als angemessen angesehen wird.

Damit die Insel nicht von „Ausländern“ überrannt wird, dürfen zu jeglichem Zeitpunkt nie mehr als 400 Touristen auf LHI anwesend sein.

Wir werden sicher nicht zur Überbevölkerung beitragen und sind deshalb herzlich willkommen!

Um 08.30 Uhr legt unser Landgangsboot ab und bringt uns zu einer kleinen verschwiegenen Bucht, The Old Gulch genannt. Im Gegensatz zum felsigen Ufer ist die Landung hier relativ einfach, das Boot kann hoch auf den Kieselstrand auflaufen, und wir machen uns kaum die Füße naß.

Also geht es wohlgemut ins Landinnere, einem Trampelpfad folgend durch dichtes Gebüsch und die ersten Kentiapalmen. Nach kurzer Zeit kommt ein zugewachsener Tümpel, ein kleiner Rastplatz, und dann stehen wir schon vor einem lieblichen kleinen Strand und können weit hinten übers Wasser die Dächer kleiner Häuser erblicken. Nur, wo ist der Weg dorthin? Der ist uns leider versperrt, weil er nur kurze Zeit während des Niedrigwassers begehbar ist. Und wir haben jetzt Hochwasser.

Freundlicherweise zeigt uns ein Wegweiser den anderen Weg, den Max Nichols Memorial Track, und der führt mitten durchs Gebirge.

Auf einem teilweise befestigten und mit Holzstufen bewehrten Wanderweg geht es durch den dichten grünen Wald in Serpentinen steil bergan, so daß mir bald die Puste ausgeht und ich die anderen, jüngeren Shipmates erst mal ziehen lassen muß, weil ich öfter mal verschnaufen muß. Man hatte uns gesagt, daß es vom Old Gulch bis zur Ortschaft ca. 40 Minuten Fußweg sein sollte, aber diese Zeit brauche ich schon für die halbe Strecke.

Als ich schließlich den vermeintlichen Gipfelpunkt erreiche, treffe ich auf Marsha, die Purserin, und Geoff, den Chief Engineer. Beide kommen gerade vom Kims Lookout und wollen jetzt wieder zu Tale steigen.

Eigentlich habe ich ja genug von der Kletterei und würde mich gerne anschließen, aber eine innere Stimme sagt mir, daß ich da vielleicht etwas verpasse. Also, nach links abbiegen und noch mal weiter bergauf.

Der überwältigende Ausblick vom Kims Lookout entschädigt mich dann aber auch für den mühseligen Aufstieg.

Im Norden, tief unterhalb der steilen Basaltfelsen liegt unser Schiff vor Anker, ein schmucker Anblick.

Der Weg hier oben ist schmal und uneben, links geht es ein paar hundert Meter in die Tiefe, kein Geländer, kein Warnschild, nur eine kleine Grabplatte, die davon kündet, daß hier ein junger Mann, 20 Jahre alt, zu Tode gekommen ist. Also, Vorsicht ist geboten beim Klettern und beim Fotografieren!

In südlicher Richtung hat man das gesamte Panorama der Insel vor sich mit den beiden höchsten Bergen im Hintergrund und weißen Stränden an der Ost- und der Westseite. Dazwischen schier undurchdringliche Wälder.

Der Abstieg ins Tal ist nicht minder anstrengend, steinig, abschüssig, aber man wird entschädigt durch die großartige Landschaft und den Anblick des nicht enden wollenden Kentiawaldes.

Dann ist endlich das Ende der Bergpiste erreicht, und der Wanderweg weitet sich nun in eine üppig grüne Ebene mit Weiden, einer kleinen Kentia-Baumschule und buntblühenden Büschen.

Von hier ist es nun ein gemächliches Wandern. Rechts ist die Old Settlement Beach, wo sich die frühen Siedler niedergelassen hatten. Nach Überqueren einer kleinen Brücke komme ich zu den ersten Gehöften, es sind Cottages, Rasthäuser und Ferienappartments. Zwar sind keine Besucher zu erkennen, aber ein paar Fahrräder am Ständer zeugen davon, daß hier jemand wohnen muß. Die Touristenabsteigen machen alle einen sehr ordentlichen und einladenden Eindruck. Für gute Küche ist offenbar auch gesorgt, denn hie und da sehe ich Speisezettel ausgehängt, und es riecht nach Gegrilltem.

Hallo, was ist das denn, hinter einer Wegbiegung kommt wieder der Strand in Sicht, und dicht am Strand thront hoch und trocken der Versorgungsdampfer „Island Trader“ aus Port Macquarie, der die Insel regelmäßig alle 14 Tage bedient.

Was ist da geschehen? An der Jetty angekommen, erfahre ich von Einheimischen, daß das Malheur am vergangenen Montag passiert ist, vormittags gegen 10.30 Uhr. Das Schiff hatte mit Backbordseite an der Pier gelegen mit dem Steven landeinwärts. Nach beendetem Löschbetrieb wollte man wie üblich mit einem Rückwärtsmanöver von der Jetty freikommen. Da an diesem Tag jedoch starker Südwestwind herrschte (wir können das aus eigener Erfahrung bestätigen), wurde das Heck plötzlich durch eine heftige Sturmbö nach Backbord herumgedrückt und auf die 50 m entfernte Sandbank bei Dawsons Point gesetzt. Abbringversuche mit eigener Maschinenkraft scheiterten wegen fallender Tide, und ein Schlepper ist hier nicht verfügbar. Das Schiff braucht normalerweise eine Tide von 1,60 m Wasser zum Navigieren in der Lagune, die nächsthöhere Tide am Tage der Strandung war aber nur 1,20 m. Nun muß die „Island Trader“ voraussichtlich eine Woche warten bis zur nächsten Springtide. Vorsichthalber wurden beide Anker ausgefahren, Festmacherleinen an Land ausgebracht, eine Taucheruntersuchung des Schiffsbodens vorgenommen, ein Ölschlängel rund um das Schiff gelegt und der überflüssige Treibstoff abgepumpt. Da eine Abfahrt nun mit Sicherheit ausfallen wird, muß QANTAS Airways inzwischen zusätzliche Versorgungsaufgaben wahrnehmen. Eine teure Angelegenheit für alle Betroffenen.

Übrigens hatte die australische Reederei Burns Philp bereits 1883 einen regelmäßigen Liniendienst von Sydney nach LHI mit den beiden Dampfern „Morinda“ und „Mokambo“ eingerichtet und Güter und Passagiere auf dieser Linie befördert. Die Schiffe ankerten aber stets außerhalb des Riffs, und Ladung und Personen wurden mit Brandungsbooten an Land befördert. Man sagt, daß gutbetuchte Passagiere auf den Schultern der Matrosen durch die Brandungswellen getragen wurden, damit sie nicht naß wurden…

Jahrzehnte später wurde die Lagune auch häufig von Wasserflugzeugen vom Typ Catalina und Sandringham angeflogen, aber der erste Flieger, der LHI je erreichte, war der legendäre Francis Chichester 1931 mit seiner nicht minder legendären Gypsy Moth.

Nach diesem kurzen Exkurs in Vergangenheit und Gegenwart der Verkehrsverbindungen von und nach Lord Howe Island steht mir der Sinn nach einem Imbiß und einem Drink. Nicht weit von hier finde ich schließlich das Ortszentrum mit der Post, einigen Läden und vor allem das allgemein beliebte „Humpty Mick’s Café“, wo ich einen Großteil unserer Crew antreffe, denn es ist inzwischen Lunch Time. Man kann hier wirklich ausgezeichnet speisen, aber besonders erwähnenswert finde ich Kuchen und Gebäck, Ice Cream und Desserts, was nach den Tagen auf See natürlich nicht verwunderlich ist.

  

Aber der Knüller ist – wie ich von den Matrosen erfahre – daß unser Schiff inzwischen vom urprünglichen Ankerplatz an der Nordseite zu einem Ankerplatz direkt vor dem Riff in der Nähe der North Entrance verholt hat. Matt, der Kapitän, hatte per Funk den wachhabenden 2. Offizier Elliott diesbezüglich instruiert, und Deckhand Mitch, maschinenbewandert, der auch an Bord auf Wache ist, hat die Maschine und den Hilfsdiesel angeworfen. Dann haben beide den Anker gelichtet und das Schiff auf die neue Position gebracht. Das ist natürlich eine absolut positive Nachricht, denn nun brauchen wir nicht mehr über die Berge zum Old Gulch zurück, sondern werden vornehm an der Jetty abgeholt. Guter Beitrag!

Norfolk Pines