Eric Standop ist Experte in Gesichtlesen und Antlitzdiagnostik. Vor mehr als 15 Jahren ließ er seine erfolgreiche Karriere in der Unterhaltungsindustrie hinter sich, um das Gesichtlesen einerseits als antike Kunst, aber auch als innovatives Werkzeug für moderne Gesichtsanalysen und Gesichtserkennung zu erlernen, zu verknüpfen und sich darin als Meister ausbilden zu lassen. Heute ist er der einzige Gesichtleser weltweit, der nahtlos sämtliche Methoden des Gesichtlesens anwenden kann: Antlitzdiagnostik, Physiognomik, Siang Mien, Mikroexpressionen, Lectura del Rostro sowie Körpersprache.

Seine scharfsinnigen diagnostischen Fähigkeiten haben Eric zu einem wichtigen Berater für mächtige Entscheidungsträger gemacht, aber auch zu einem hilfreichen Wegbegleiter für Menschen, die nach einem besseren Selbstverständnis streben.

www.readtheface.com

www.gesicht-lesen.de

www.ericstandop.com

cover

Impressum

 

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

 

Projektleitung: Anja Schmidt

Lektorat: Eva Dotterweich

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Isabell Rid

 

Impressum_e

ISBN 978-3-8338-7639-4

1. Auflage 2020

 

Bildnachweis

Coverabbildung: Michael Pasternack

Illustrationen: Claudia Klein

Syndication: www.seasons.agency

GuU 8-7639 10_2020_01

 

Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.

 

Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

 

Impressum_e

www.facebook.com/gu.verlag

Logo

Garantie

Garantie

 

 

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

 

wir wollen Ihnen mit diesem E-Book Informationen und Anregungen geben, um Ihnen das Leben zu erleichtern oder Sie zu inspirieren, Neues auszuprobieren. Wir achten bei der Erstellung unserer E-Books auf Aktualität und stellen höchste Ansprüche an Inhalt und Gestaltung. Alle Anleitungen und Rezepte werden von unseren Autoren, jeweils Experten auf ihren Gebieten, gewissenhaft erstellt und von unseren Redakteuren/innen mit größter Sorgfalt ausgewählt und geprüft.
Haben wir Ihre Erwartungen erfüllt? Sind Sie mit diesem E-Book und seinen Inhalten zufrieden? Haben Sie weitere Fragen zu diesem Thema? Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung, auf Lob, Kritik und Anregungen, damit wir für Sie immer besser werden können. Und wir freuen uns, wenn Sie diesen Titel weiterempfehlen, in ihrem Freundeskreis oder bei Ihrem online-Kauf.

 

KONTAKT

GRÄFE UND UNZER VERLAG
Leserservice
Postfach 86 03 13
81630 München
E-Mail: leserservice@graefe-und-unzer.de

 

Telefon: 00800 / 72 37 33 33*
Telefax: 00800 / 50 12 05 44*
Mo-Do: 9.00 – 17.00 Uhr
Fr: 9.00 bis 16.00 Uhr (*gebührenfrei in D,A,CH)

Hinweis zur Optimierung

Unsere eBooks werden auf kindle paperwhite, iBooks (iPad) und tolino vision 3 HD optimiert. Auf anderen Lesegeräten bzw. in anderen Lese-Softwares und -Apps kann es zu Verschiebungen in der Darstellung von Textelementen und Tabellen kommen, die leider nicht zu vermeiden sind. Wir bitten um Ihr Verständnis.

GESCHICHTEN IM GESICHT

Wir alle kommen als Gesichtleser auf die Welt. Vom ersten Moment an hilft uns diese Fähigkeit zu überleben. Somit ist jeder von uns ein Naturtalent, nur oft haben wir das vergessen.

Meister-Facereader Eric Standop offenbart in diesem Buch die einzigartigen Gesichtlese-Techniken, die er auf vier Kontinenten erlernt hat. So können wir unser intuitives Wissen auffrischen und verfeinern. Das hilft uns, andere Menschen besser einzuschätzen und zu verstehen – und auch Neues über uns selbst zu erfahren.

Dabei ist es wichtig, die drei Säulen Gesichtsmerkmale, Mimik und Gestik zu Rate zu ziehen, denn nur so erhalten wir einen stimmigen Eindruck über unsere Mitmenschen.

Die Basics des Facereadings vermittelt Eric anhand von spannenden Geschichten, die er bei seinen Readings und Beratungen auf der ganzen Welt erlebt hat.

PROLOG

Wenn Fremde aufeinandertreffen, lautet die erste Frage meist: »Woher kommst du?« Und die darauffolgende Frage, die sie einander stellen, ist: »Was machst du?« Es dreht sich alles um Staatszugehörigkeiten oder Berufsbezeichnungen. Und um Zahlen. Ich bin ein Reisender und arbeite in über zwanzig Ländern. Mittlerweile habe ich diese Fragen so oft gehört, dass ich ihrer müde bin. Warum stellen wir uns beim Kennenlernen zu Beginn nie die Frage, auf die es eigentlich ankommt? Sie lautet: Wer bist du?

Was würdest du antworten, wenn dir jemand diese Frage stellt?

Die Antwort darauf ist nicht einfach. Um mich ihr anzunähern, ging ich einen langen Weg.

WIE ICH GESICHTLESER WURDE

Bereits mit Mitte dreißig erlitt ich meinen zweiten Burn-out. Nach dem Studium hatte ich schnell hochkarätige Führungspositionen bekleidet. Unter anderem war ich für einen großen Freizeitpark, ein bekanntes Filmtheaterunternehmen und einen börsennotierten, weltweit agierenden Computerspielehersteller tätig. Dort konnte ich meinen immensen Ehrgeiz, meine große Vorliebe fürs Reisen und meinen Unabhängigkeitsdrang ausleben. Doch die steile Karriere, die ich binnen kürzester Zeit aufgebaut hatte, ging zu Lasten meiner Gesundheit, die immer massiver zu leiden begann. Auch mein privates Glück geriet dabei ins Hintertreffen.

Ich wollte weg von Dauerstress und Wettbewerb und spürte, dass ich mich beruflich umorientieren musste. Ich wollte endlich eine Berufung finden, die mir wirklich gut zu Gesicht stand. Doch in einem ersten Schritt ging es mir darum, wieder zu Kräften zu kommen, und so begab ich mich auf die Reise nach Südafrika.

Eines Nachmittags fuhr ich mit neuen Freunden, die ich dort kennengelernt hatte, zum berühmten Bloubergstrand, der etwas außerhalb von Kapstadt gelegen ist. Der Strand bietet einen sensationellen Blick auf den Tafelberg und war an diesem Tag voller Surfer jeglicher Art, die sich im glasklaren, grünen Wasser tummelten. Auch wir buchten eine Surfstunde und folgten der Einweisung des Lehrers. Während meine beiden Freunde bald Fortschritte machten, schaffte ich es nicht einmal ansatzweise, auf dem Brett zum Stehen zu kommen. Ich war wie so oft damals viel zu ungeduldig und gab schnell genervt auf. Meine Freunde wollten mich ablenken und schickten mich in eine nahe gelegene Bar, um dort einen alten Mann zu treffen, einen »Facereader«. Er würde mich kennen.

»Ein Gesichtleser – was soll das denn sein?«, fragte ich mich. »Ist das Wahrsagerei?«

Ich hatte nichts zu verlieren, also beschloss ich, einfach hinzugehen. Ich zog mich um, packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg zu besagter Bar, die in einer der einfachen Holzhütten untergebracht war, die es dort am Strand gab, und in der Bier, Softdrinks und Chips verkauft wurden. Ich stieg die drei Treppenstufen hoch und betrat den Innenbereich. Meine Augen mussten sich erst einen Moment an die Dunkelheit gewöhnen – etwas Licht drang durch die Ritzen von außen herein.

Mein Blick schweifte durch den Raum, etwa zehn Leute nahm ich wahr. Dann entdeckte ich ihn auf Anhieb: einen alten Mann, mit einigen fehlenden Zähnen, in abgegriffener Kleidung. Er saß in einer der Ecken und um ihn herum standen leere Bierflaschen. Dieser Mann soll tatsächlich etwas über mich wissen? Gerade redete er noch auf einen anderen Mann ein, aber man konnte erahnen, dass sich diese Konversation dem Ende zuneigte. Ich kaufte zwei Flaschen Bier an der Bar, während sich sein Gesprächspartner verabschiedete. Ich nahm das Bier entgegen, ging hinüber und knallte die Flaschen neben den Mann auf den Tisch. Dann blaffte ich ihn ziemlich unfreundlich an: »Großer Meister, Guru, sag mir, wer ich bin!«

Er musterte mich von oben bis unten und sagte: »Oh, ich sehe, du bist eine sehr fordernde Person. Temperamentvoll und ungläubig, bestimmend und skeptisch.« Ich antwortete lakonisch, dass man, um solche Aussagen treffen zu können, kein Facereader sein müsse. Menschenkenntnis würde dafür vollkommen ausreichen.

»Dann lass uns über deinen Gesundheitszustand sprechen«, sagte der alte Mann und zählte nach und nach alle meine Krankheiten auf. Im Laufe der letzten Jahre hatte ich einige Arztbesuche hinter mich gebracht und eine Liste an Erkrankungen angesammelt. Eine lange Liste. Er schien sie alle in meinem Gesicht wahrnehmen zu können.

Doch woran konnte man all das bloß erkennen? Eine Dünndarmerkrankung? Asthma? Und all meine anderen Beschwerden? Ich war fassungslos und wartete nur darauf, dass er einen Fehler machte. Das tat er scheinbar auch, als er eine Bindegewebsschwäche ansprach. Ich verneinte, doch er erwiderte, dass sich diese bei Männern meiner Physis oft in Leistenbrüchen zeige. Und Tatsache – schon als Kind zog ich mir den ersten Leistenbruch zu.

Damals wusste ich noch nicht, dass ein Gesichtleser auch immer ein Ratgeber ist. Er vermittelt seinem Gegenüber nicht nur das, was er in dessen Gesicht sehen kann, sondern gibt ihm auch einen Hinweis mit auf den Weg. Und so schloss der Mann mein erstes Reading mit den Worten: »Du lebst nur eine Rolle, einen kreierten Charakter, nicht aber deine wahre Persönlichkeit. Geh und leb dein Leben. Werde zu dem Menschen, der du wirklich bist.«

Diese Begegnung stellte sich als ein Wendepunkt in meinem Leben heraus. Die Fähigkeiten, die dieser Mann beherrschte, wollte ich auch erlernen. Und so richtete ich alles auf dieses Ziel aus – auch wenn der darauffolgende Weg nicht immer gradlinig verlaufen sollte.

Heute bin ich selbst Gesichtleser und habe den Begriff im deutschsprachigen Raum geprägt. Nicht nur, um meine große Neugier und meine Reiselust zu befriedigen. Ich möchte Menschen glücklich sehen – und ich weiß, dass Menschen dann glücklich sind, wenn sie authentisch leben können.

UNSER GESICHT IST EIN BUCH

Wir alle schreiben Tag für Tag Geschichte. Und diese Geschichte kann man in unserem Gesicht lesen. Dieses Buch habe ich für all jene verfasst, die sich fragen, was in ihrem Gesicht geschrieben steht. Denn wir alle sollten in der Lage sein, in uns selbst wie in einem offenen Buch lesen zu können. Gesichtlesen ist eine äußerst bemerkenswerte und in vielen Lebensbereichen hilfreiche Methode. Es wird darüber hinaus fast zu einer Lebensphilosophie. Wenn wir wissen, über welche Fähigkeiten und Talente wir verfügen und wie wir sie ausleben können, wird unser Leben unfassbar reich und bunt. Wir selbst werden die Erfahrung machen, immer leichter aus Rollenbildern und damit Masken aussteigen zu können, die wir von außen auferlegt bekommen oder uns selbst aufgesetzt haben. Über das klare Sehen werden wir zur Erkenntnis gelangen, dass Souveränität dadurch nicht geschwächt, sondern erst dauerhaft möglich wird.

Auch über die Widersprüchlichkeiten, die ein jeder von uns in sich trägt, Bescheid zu wissen, bringt uns auf unserem Lebensweg voran. Denn sie sind es, die uns menschlich machen und ein Wegbereiter für Kompromissfähigkeit sind. Gesichtlesen gibt uns dabei eine Anleitung, den Verstand mit unserer Intuition zu kombinieren. Wenn wir jemand anderen einschätzen und einen liebevollen Kontakt untereinander pflegen wollen, handelt es sich nicht mehr nur um ein vages Gefühl, sondern um ein mit Einfühlungsvermögen wahrgenommenes Wissen. Auch analytische Denker – zu denen ich mich selbst zähle – können mithilfe der »Vokabeln«, die das Gesichtlesen bietet, Merkmale und Muskelbewegungen im Gesicht des Gegenübers entschlüsseln und dadurch wiederum beim Gefühl für den Menschen ankommen.

Ich durfte in den letzten fünfzehn Jahren, in denen ich als Gesichtleser arbeite, eine Vielzahl an Techniken kennenlernen. Auf vier verschiedenen Kontinenten saugte ich das Wissen von Facereadern und Meistern regelrecht auf. Nach meiner initialen Begegnung in Südafrika wurde ich in die letzte Schülerklasse eines deutschen Meisters aufgenommen. Dort verbrachte ich eineinhalb Jahre und erlernte die westlichen Methoden der Antlitzdiagnostik und Physiognomik. In Südamerika traf ich dann auf einen Gesichtleser, der mir die Technik Lectura del Rostro beibrachte, die ihren Fokus insbesondere auf das Entschlüsseln von Liebeszeichen legt. Im Anschluss begleitete ich sechs Jahre lang einen chinesischen Meister und wurde von ihm in drei fernöstliche Gesichtlesetechniken eingeführt. Mittlerweile bin ich selbst Sifu eines asiatischen Großmeisterzirkels und verbinde uraltes Wissen mit der Moderne. Ich stelle Nachforschungen dazu an, wie verschiedene Länder mit dem Thema Gesichtserkennung umgehen und welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es zu Gesichtsmerkmalen und Mikroexpressionen gibt. Auf diesem Gebiet kann man immer wieder Bahnbrechendes entdecken.

Meine Talente und die daraus resultierenden Lebensaufgaben werden im chinesischen Gesichtlesen in der Rolle des Botschafters zusammengefasst. Diese Rolle lebe ich mit Leib und Seele: Im Jahr 2011 gründete ich die Face Reading Academy in Hongkong, die mittlerweile Standorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Kroatien und den USA unterhält. Ich pendle zwischen Hawaii, San Francisco, New York, verschiedenen Städten im deutschsprachigen Raum sowie Singapur, Dubai, Thailand und China, berate Firmen, Organisationen und Privatleute und gebe Ausbildungen. 2017 hielt ich einen Vortrag bei dem World Government Summit in Dubai und 2018 in Boston einen TED-Talk darüber, wie Facereading unsere wahre Persönlichkeit offenbart. Mittlerweile habe ich über zehn Bücher zum Gesichtlesen verfasst, eines davon, »Read The Face«, erschien 2019 in den USA. Im selben Jahr moderierte ich zudem die SAT.1-Fernsehsendung »Ungelogen«. Zu meinen Kunden zählen Venture-Capital-Unternehmen, Hightechfirmen und Entrepreneurs in New York und im Silicon Valley. Auch Prominente aus der Film-, Sport- und Musikwelt gehören dazu.

Das Lesen der Gesichter von unzähligen Menschen, ihre Freude, ihre Ängste und Nöte, ihre Talente und ihr Wachstum, ihre seelischen Zustände und ihre Bestimmung sind für mich der Dreh- und Angelpunkt meines beruflichen Daseins. Weil wir Menschen am besten über Geschichten lernen, finden sich im Buch Erzählungen zu Erlebnissen aus den Readings mit meinen Kunden. Auch ich selbst lasse immer wieder tief blicken und teile viele meiner persönlichen Erfahrungen. Zudem habe ich verschiedene Gesichtlesetechniken so aufbereitet, dass Anfänger gut mit ihnen zurechtkommen und sie für sich nutzen können.

Es geht beim Gesichtlesen darum, uns selbst besser zu verstehen, unser Potenzial voll auszuschöpfen und eine tiefere Verbindung zu anderen Menschen zu schaffen, indem wir auch auf sie eine klarere Sicht bekommen. So kann Gesichtlesen zu einer echten Brücke werden, auf der sich Menschen auf Augenhöhe begegnen und darüber austauschen können, wo sie selbst und der jeweils andere gerade stehen.

IMG

SPRACHE DES GESICHTS

Ich bin ein Gesichtleser. Das bist auch du. Wir kommen bereits als Gesichtleser auf die Welt, denn seit unserem ersten Tag ist das unsere allererste Sprache. Wir begeben uns auf die geschichtlichen und biologischen Spuren dieser Sprache und verstehen, worin der Unterschied zwischen der Persönlichkeit und dem Charakter eines Menschen liegt und wie wir Verstand und Intuition mit Gesichtlesen gewinnbringend einsetzen können.

SPIEGELNEURONEN UND EMOTIONEN

»Nicht Worte sollen wir lesen, sondern den Menschen, den wir hinter den Worten fühlen.«

(SAMUEL BUTLER)

Gesichtlesen ist eine elementare Eigenschaft für uns Menschen, denn sie sichert seit jeher unser Überleben. Seit Anbeginn der Menschheit war im Überlebenskampf entscheidend, mögliche Gefahrensituationen einschätzen und diese womöglich sogar vorausahnen zu können. Die menschliche Gattung des Homo sapiens gibt es bereits seit 300 000 Jahren, während Sprache im heutigen Sinn wohl allerfrühestens seit 125 000 Jahren existiert. Es ist daher in uns angelegt, über Mimik zu kommunizieren. Unser Gehirn hat aus diesem Grund ein neuronales System geschaffen, das es uns ermöglicht, Mimik und Körpersprache unseres Gegenübers zu interpretieren. Die sogenannten Spiegelneuronen, die 1996 entdeckt wurden – das sind bestimmte Nervenzellen, die sich im Hypothalamus unseres Gehirns befinden – sorgen dafür, dass wir in der Lage sind, die Emotionen anderer Menschen wahrnehmen und spiegeln zu können.

Sie spielten eine immense Rolle bei der menschlichen Evolution und damit auch bei der Entwicklung unserer Kultur. Für unser Zusammenleben und unser tägliches Miteinander sind Spiegelneuronen noch heute von zentraler Bedeutung. Sie funktionieren dabei unbewusst, das heißt, wir müssen nicht darüber nachdenken, sondern sie stoßen einen natürlich in uns ablaufenden Prozess an. Sobald wir die Körpersprache beziehungsweise die Gesichtsregungen eines Gegenübers sehen, werden die Spiegelneuronen in unserem Gehirn aktiviert. Wir werden von den Gefühlen praktisch zum Schwingen gebracht – ganz so, als ob wir alle Saiten einer Violine zum Schwingen bringen, indem wir nur eine Saite leicht zupfen. Wir gehen in Resonanz zu dem Menschen, mit dem wir es gerade zu tun haben. Dabei werden die gleichen Gefühle, die wir beim anderen wahrnehmen, regelrecht auf uns übertragen, egal um welches der Grundgefühle es sich dabei handelt.

UNSERE ERSTE SPRACHE

Emotionen zu fühlen, zu zeigen und darauf auch bei anderen Menschen eingehen zu können, ist also der Grundstein menschlicher Bindung. Die Spiegelneuronen in unserem Gehirn sorgen dafür, dass wir von Geburt an Gesichtleser sind – so essenziell ist diese Fähigkeit. Ein wenige Stunden altes Baby kann das Gesicht seiner Mutter vom Gesicht anderer Menschen unterscheiden. Einige Monate später ist es in der Lage, die verschiedenen Geschlechter auseinanderzuhalten und Emotionen wahrzunehmen. Das Kind erkennt in den Augen der Mutter die Liebe, die sie für es empfindet, denn Pupillen verändern sich bei Gefühlsregungen. Neben den Augen spielt der Mund bei der Entschlüsselung von Emotionen eine zentrale Rolle. Auch deshalb sind die Augen und der Mund die wichtigsten Merkmale im Facereading, wie wir später noch sehen werden (siehe >). Ihre Anziehungskraft auf uns Menschen ist also von Natur aus in uns angelegt.

Einfache Zeichenfolgen

Aufgrund ihrer zentralen Rolle von Geburt an reagieren schon kleine Kinder auf eine ganz einfache Zeichenfolge, die wir alle kennen: zwei Punkte, die die Augen darstellen, sowie ein darunterliegender Strich, der je nach Ausrichtung einen lächelnden oder traurigen Mund symbolisiert. Interessanterweise sprechen Kinder nicht darauf an, wenn ein Smiley auf den Kopf gestellt wird. Auch die Nase spielt dabei eine untergeordnete Rolle (weshalb sie oft ganz fehlt).

LIES NUN SELBST

Für eine Übung meines deutschen Meisters sollte ich mich eine Stunde lang im Spiegel betrachten. Das ist deshalb eine so interessante Übung, weil wir zunächst in das altbekannte Gesicht blicken, das wir morgens vom Zähneputzen kennen. Doch nach einigen Minuten fängt unser Gesicht dann an, sich zu verändern: Wir sehen plötzlich Dinge darin, die wir vorher nie wahrgenommen haben. Dadurch lernt man, auch bei anderen genauer hinzusehen. Übe dich auch an den Gesichtsausdrücken der Basisemotionen von >. Besonders herausfordernd ist es übrigens, Mischformen von Gefühlen zu erkennen, die für die intensive Pflege von zwischenmenschlichen Beziehungen wichtig sind. Ich empfehle dir, diese Übung immer wieder im Laufe der Lektüre dieses Buchs zu machen und so an dir selbst die neu erlernten Techniken anzuwenden.

Bei meinen Kursen mache ich als Aufwärmübung oft die Probe aufs Exempel und male in die Mitte eines Kreises zunächst einen waagerechten Strich. Die Leute halten das dann meist für den An-Aus-Knopf eines technischen Geräts. Wenn ich allerdings darüber zwei Punkte male, geht allen ein Licht auf: Die grafische, sehr reduzierte Form von Augen und Mund ist für uns einfach zu dechiffrieren. Am Siegeszug der Smileys ist dies deutlicherkennbar – für die meisten von uns gehören sie mittlerweile in vielen verschiedenen Varianten zum täglichen Kommunikationsrepertoire. Sie sind für uns zu einer Form von Sprache geworden.

Die Sprache des Gesichts unterstützt Kinder im Laufe der Zeit dabei, zu verstehen, was die Gefühle ihrer Bezugspersonen bedeuten. Sie entwickeln daraufhin ihr eigenes Gefühlsleben. Im Laufe der Jahre sammeln Kinder weitere Daten aus Erlebnissen, dem Klang der Stimmen, der Körpersprache und so weiter. Zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr sind die Spiegelneuronen voll ausgebildet – Kinder besitzen dann eine eigene Sichtweise auf die Welt. Im Laufe der Zeit entwickeln sie auch das, was wir als Bauchgefühl oder Intuition bezeichnen. Diese Fähigkeit unterstützt uns auch bei der Einschätzung unseres Gegenübers im Facereading (siehe >). So reicht es einem Forscher der Princeton University zufolge aus, ein Gesicht für eine Zehntelsekunde zu sehen, um uns eine Meinung über unser Gegenüber zu bilden.

Bei zwei Readings während meiner Zeit in Asien durfte ich die Bekanntschaft von Kindern machen, die demonstrierten, wie sich bereits in jungen Jahren eine individuelle Persönlichkeit andeutet – auch wenn das traditionelle Gesichtlesen üblicherweise erst in einer späteren Lebensphase ansetzt.

DER ALTE WEISE IM JUNGEN KÖRPER

In Singapur traf ich auf ein Ehepaar mit einer etwa vierjährigen Tochter. Der Vater war ein höflicher Engländer, wie er im Buche steht, und arbeitete als Yogalehrer. Die Mutter war Malaiin, eine zarte Frau, die mehrere Sprachen sprach. Mit der Tochter, die gerade ihr letztes Jahr im Kindergarten vor sich hatte und nächstes Jahr in die Schule gehen sollte, hatten sie ein großes Problem: Die Kleine war ein echter Naseweis, der sich von niemandem etwas sagen ließ. Die Familienstruktur schien buchstäblich auf den Kopf gestellt, denn das Mädchen sagte den Eltern, wie es zu laufen hat. Wenn der Vater früh von der Yogaschule heimkam, fragte sie ihn: »Warum bist du schon da? Waren die Schüler nicht zufrieden mit dir?«

Auch ihre Mutter nahm sie nicht ganz für voll. Diese arbeitete in einem Teilzeitjob in einem Kaufhaus und war ansonsten als Hausfrau tätig. Sie war eine sehr feinfühlige Frau und wenn sie aus irgendeinem Grund nervös war, riet die Kleine ihr: »Trink eine schöne Tasse Tee oder meditiere, dann geht’s dir wieder besser.«

Die Vierjährige zeigte auch ansonsten ein sehr untypisches Verhalten – sie spielte nicht gern und wollte nur lernen und Wissen aufsaugen. Sie legte nicht nur ein beschützendes Verhalten gegenüber ihren Eltern an den Tag, sie kümmerte sich auch um andere Kinder, wenn es ihnen nicht gut ging, und wollte sie vor Erwachsenen beschützen.

Da sie sehr zappelig war, eine große Unruhe in sich trug und sich ständig bewegen musste, was typischerweise auf ADHS hindeutet, sollte das Kind eine medizinische Behandlung erhalten. Bevor sie diese jedoch annehmen wollten, kamen die Eltern auf mich zu: »Eric, kannst du im Gesicht unserer Tochter etwas wahrnehmen, was ihr auch ohne Medikamente weiterhelfen kann?«

»Im Gesicht von Kindern sind normalerweise nicht so viele Informationen zu sehen wie bei Erwachsenen. Doch eure Tochter scheint sich ja ohnehin eher wie eine Erwachsene zu verhalten«, erklärte ich den beiden.

Als ich daraufhin das Kinderzimmer betrat, stürmte die Kleine gleich auf mich zu, machte allerlei Grimassen und wackelte mit dem Kopf. Ich sah, dass sie sehr offensiv gestellte Augen hatte – üblicherweise haben Kinder in dem Alter eine sehr rundliche, ausbalancierte Augenpartie.

Zudem zeigte ihre Stirn sehr viele schon sichtbare Falten. Diese Falten haben nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun und können sich daher auch schon in jungen Jahren ausbilden. Im chinesischen Gesichtlesen heißt es: »Es steht alles auf der Stirn geschrieben.« Während Stirnfalten, die näher an den Augenbrauen liegen, vor allem für die Vorliebe für materielle Dinge stehen, zeugen Stirnfalten, die weiter oben in Richtung Haaransatz zu sehen sind, für eine Ausrichtung auf idealistische Dinge. Bei der Kleinen befanden sie sich im oberen Stirnbereich, also dort, wo sie eher dem Idealismus zugeordnet werden.

Schon nach einer Minute hatte sie keine Lust mehr auf unser Gespräch und beschäftigte sich lieber mit anderen Dingen. Als ihre Eltern sie fragten: »Willst du nicht zurückgehen zu Eric?«, antwortete ich, dass ich schon genug gehört und beobachtet hatte. Die Eltern wollten direkt an Ort und Stelle mein Feedback hören. Sie waren der Ansicht, dass ihr Kind dabei abschalten und gar nicht zuhören würde.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte ich zu dem Ehepaar. »Lasst uns in die Küche gehen und uns dort austauschen.«

Dort begann ich: »Eure Tochter wirkt in ihrer Art zu denken und zu fühlen wie ein weiser Mensch. Es ist fast ein wenig so, als würde ein alter Meister im Körper eines Kindes stecken. Das, was man mit einem Kind eigentlich in Verbindung bringt, ist hier gar nicht vorzufinden. Euer Kind ist dagegen vielmehr an Weisheit interessiert. Es scheint fast so, als finde es sich von seinem kleinen Körper beengt. Sie will eigentlich was anderes erleben, als es Kinder normalerweise tun.«

Die chinesische Gesichtlesekunst bedient sich manchmal eines bestimmten Bildes, um die Komplexität dieses noch so jungen Wesens zu vermitteln. Es heißt dann: Ein alter Meister lebt in einem Kind weiter.

Bei dem Mädchen schien es so, als sei noch alles offen und gleichzeitig bereits gelebt worden. Ich konnte nicht an einzelnen Merkmalen festmachen, was ich den Eltern über diesen alten Weisen berichtete, der in Gestalt ihrer Tochter daherkam. So etwas macht man unter anderem daran fest, dass sich die gesamte Gesichtsstruktur nicht klar zuordnen lässt. Üblicherweise ist diese bei Kindern oval oder rundlich und trägt Feuer- oder Jadeelemente in sich (siehe > oder >).

Sehr ungewöhnlich war, dass das Kind sehr kleine Pupillen besaß. Ein Kind verfügt normalerweise über große Pupillen, was für seine Verspieltheit, seine Vorstellungskraft und seine Verträumtheit steht. Auch die Mimik des Mädchens war sehr erwachsen und zeigte keine ausladenden Regungen. Form und Gebärdenspiel des Munds zeigten einen Erfahrungsschatz, der noch gar nicht gelebt worden sein konnte.

»Eure Tochter fühlt sich älter und weiser, als sie eigentlich ist. Sie fühlt sich regelrecht von euch eingeschränkt. Es scheint fast so, als würde sie euch als junge Rotzlöffel betrachten.«

Auch wenn beide Eltern darüber erst lachen mussten, stimmte sie diese etwas provokative Aussage sichtlich nachdenklich.

Ich fuhr fort: »Sie liebt euch, aber ernst nimmt sie euch nicht. Eher noch dich als Vater.«

Die Mutter sah mich betreten an und erwiderte: »Wie soll ich weitermachen?«

»Du musst Autorität zurückgewinnen. Aber nicht über Verbote, dann wird sie noch rebellischer. Verbote wären in diesem Fall nicht schlau, denn sie hat im Grunde nichts verbrochen – auch wenn sie sich nicht an die Regeln hält, wann sie etwa zu essen oder zu schlafen hat.«

»Hast du denn eine Idee, was ich stattdessen machen kann?«, fragte mich die Frau.

»Besser wäre, mit ihr Dinge zu unternehmen und ihr Sachen zu zeigen, die sie nicht kann oder kennt.«

Ich forschte etwas nach und fand heraus, dass die Mutter gut Französisch sprach. »Gib ihr deine französischen Bücher zu lesen. So lernt deine Tochter, dass es Grenzen für sie gibt, die für dich als Mutter nicht gelten. Dadurch gewinnst du Oberwasser. Und wenn sie will, kannst du ihr die Sprache beibringen – aber sei nicht überrascht, wenn sie sie bald perfekt beherrscht.« Die Mutter musste ein wenig schmunzeln. Die Stimmung hatte sich merklich aufgehellt.

Dann betrat die Tochter den Raum und stürmte geradewegs auf mich zu. Sie zeigte auf einmal ein großes Interesse am Gesichtlesen und ich erläuterte ihr daraufhin ein paar ihrer Merkmale näher. Das Mädchen lauschte fasziniert. Mit einem Mal wickelte sie ihre Ärmchen um mich und herzte mich ganz spontan.

Im Laufe der nächsten Monate habe ich die Familie noch ein paarmal wiedergesehen. Das Kind entwickelte sich gut, auch wenn sie ihre altkluge Art nicht verloren hat. Und dennoch ist sie nun viel ausgeglichener und diplomatischer. Gleich nach der Einschulung wurde sie zur Klassensprecherin gewählt und kann dort viele ihrer Talente einsetzen. Wenn sie Fragen hat, kommt sie zu mir. Ich muss mich dann selbst immer wieder daran erinnern, dass sie ein Kind ist – und kein alter Weiser.

DIE ZERREISSPROBE

Auf einem Health Retreat in einem Resort in Thailand traf ich auf einen Deutschen, der eine Anwaltskanzlei besaß, und seine russische Frau. In früheren Jahren eine gefeierte Balletttänzerin, war sie noch heute eine grazile, sehnige Schönheit, zudem künstlerisch sehr begabt. Sie spielte mehrere Instrumente. Ihr Mann war etwa fünfzehn Jahre älter und relativ unsportlich.

Sie hatten ihr kleines etwa einjähriges Kind dabei und sprachen mich mehrmals während des Aufenthalts mit der Bitte an, ihre Tochter zu lesen.

»Es gibt Gesichtleser, die das tun würden. Ich bin allerdings ehrlich gesagt nicht der Überzeugung, dass man in einem so frühen Entwicklungsstadium viel am Gesicht ablesen kann. Erst in der späteren Kindheit und im Jugendalter werden einige wichtige Merkmale ausgebildet, die auf die Persönlichkeit des Menschen hindeuten«, erklärte ich den beiden.

Sie drängten weiterhin darauf und mich beschlich allmählich das Gefühl, dass es bei dem Reading nicht so sehr um das Kind als vielmehr um die Ehe der beiden ging. Ich sagte also zu, mir das kleine Mädchen einmal näher anzusehen, und dachte bei mir, dass sich schon herausstellen würde, was der tiefer liegende Grund für diesen Wunsch war.

Wir trafen uns am darauffolgenden Nachmittag in der Villa, die sie in dem Resort bewohnten. Ich sah an der Kleinen viele für Kinder typische Merkmale: große Augen mit großen Pupillen, zarte, propere Wangen, ein rundes Gesicht. Dies waren alles Anzeichen für die Gesichtsform des Wassers oder des Mondes (siehe > oder >). Diese Gesichtsform ist zusammen mit dem Oval des Metall- oder Jadegesichts (siehe > oder >) in dieser Altersstufe am häufigsten zu finden. Und dies ist auch der Grund, warum es in diesem Alter noch wenig Sinn macht, nach Gesichtsformen zu lesen.

Ich konzentrierte mich daher auf die Stirnfalten des Kindes, denn davon zeigen sie in diesem Alter noch viele. Später verschwinden diese Falten mit der Nahrungsaufnahme und der zunehmenden Hydrierung. Gemäß dessen, was ich im chinesischen Gesichtlesen gelernt habe, zog ich also eine Prophezeiung der Talente zurate. Ob sie als Erwachsene später diese Talente auch leben würde, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Denn dafür spielen viele andere soziale Faktoren wie das Umfeld, die Erziehung, die Schule und die Freunde eine Rolle.

Während ich meine Notizen machte, hörte ich, wie das Ehepaar stritt. Ich traute meinen Ohren kaum: Während der Vater insistierte, dass das noch Windeln tragende Mädchen später einmal in seine Fußstapfen treten und seine Kanzlei übernehmen würde, war die Mutter der Ansicht, dass es unbedingt einen künstlerischen Beruf ergreifen sollte. Man mag sich kaum ausmalen, was passiert, wenn das arme Mädchen einmal in die Pubertät kommt.

Ich machte mich also bemerkbar und sagte zu den beiden: »Vielleicht könnt ihr euren Streit für einen Moment unterbrechen, denn ich muss hier als Anwalt des Kindes intervenieren. Um ehrlich zu sein, ist es unschön zu sehen, wie ihr das Kind als Besitz betrachtet und jetzt schon festlegt, wohin seine Reise einmal gehen soll. Wenn ihr das als Wunsch äußern würdet und dabei in Kauf nehmt, dass dieser vielleicht nicht eintritt, ist es etwas anderes als diese Festschreibung.«

Die Eltern sahen mich perplex an. Ich fuhr fort: »Wegen seiner Stirnfalten und auch seiner Augenstellung kann ich euch sagen, dass aus dem Kind wohl alles andere als eine Primaballerina oder eine Anwältin werden wird. Sie ist der Welt zugeordnet.«

Das Kind hatte in diesem Alter bereits Sommersprossen. Im chinesischen Gesichtlesen werden diese als »Sterne des Himmels« bezeichnet und stehen für das sogenannte Talent der Welt – also für einen Menschen, der es liebt, auf Achse zu sein und die Welt zu erkunden (siehe >). Ihre Stirnfalten waren zudem hoch an der Stirn angesetzt, was darauf hinwies, dass sie sich einmal eher dem Idealismus verschreiben würde. Die Falten waren außerdem durchgängig: Wir hatten es also mit einem kleinen Persönchen zu tun, das genau wusste, was es wollte, und dies auch durchsetzen würde.

»Eure Tochter hat ihren eigenen Kopf, sie will hinaus in die Welt und sie fühlt sich eher ideellen als materiellen Dingen zugehörig. Deshalb glaube ich, dass ihre Wahl einmal weder auf einen künstlerischen noch auf einen juristischen Beruf fallen wird«, sagte ich den Eltern.

Beide waren von meiner Aussage keineswegs begeistert. Sie fühlten sich in ihrem jeweiligen äußerst konträren Ansinnen nicht von mir bestätigt. Die Eltern bedankten sich etwas kühl bei mir und ich verabschiedete mich.

Am nächsten Tag sah ich nach dem Frühstück, dass die Familie bereits abreiste. Ich kam zufällig an der Rezeption vorbei, als sie auscheckte. Da bat mich der Mann noch auf ein Wort.

»Ich muss mich doch noch einmal bei Ihnen bedanken. Mir ging heute Nacht viel durch den Kopf. Ich weiß nicht, ob ich meine Frau umstimmen kann und wie unsere Ehe weitergeht, aber eines weiß ich genau: Wenn meine Tochter keine Lust darauf hat, Rechtsanwältin zu werden und meine Kanzlei zu übernehmen, dann werde ich sie nicht überreden. Ich akzeptiere das – anders als mein Vater es damals bei mir tat«, meinte der Mann.

Ich war erfreut, dass meine Worte zum Nachdenken angeregt hatten. Doch der Mann war noch nicht fertig: »Mein Beruf hat mich nicht glücklich gemacht. Und ich darf es nicht laut sagen, aber auch meine Frau trägt nicht zu meinem Glück bei. Das Einzige im Leben, was mich glücklich macht, ist meine Tochter. Und ich werde nichts tun, was dieses Kind unglücklich macht.«

Mir ging das Herz auf. Es schien also doch noch alles ein gutes Ende zu nehmen.