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Anselm Grün

Quellen innerer Kraft

Erschöpfung vermeiden – Positive Energien nutzen

Originalausgabe



5. Auflage 2010

(10. Gesamtauflage)



© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de



Umschlagkonzeption und -gestaltung:

R·M·E München / Roland Eschlbeck, Liana Tuchel

Umschlagmotiv: © Corbis



Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig



ISBN (E-Book) 978-3-451-33358-3

ISBN (Buch) 978-3-451-05939-1

Einleitung

Wer erschöpften Menschen begegnet, macht immer wieder die Beobachtung: Sie sind nicht nur resigniert und mutlos, sondern im buchstäblichen Sinn auch atemlos. Sie sprechen dann davon, dass sie Zeit brauchen, um wieder Atem zu schöpfen. Und wenn ich solche Menschen begleite, höre ich aus den Gesprächen auch heraus, wie sehr sie sich danach sehnen, neue Hoffnung zu schöpfen. Offensichtlich spüren sie in ihrer derzeitigen Verfassung in sich keine Quelle mehr, aus der sie schöpfen können. Das Bild der versiegten Quelle leuchtet in diesem Zusammenhang unmittelbar ein: Das, woraus wir sonst leben, gibt plötzlich nichts mehr her. Wer erschöpft ist, der fühlt sich leer und ausgetrocknet. Er ist auch nicht mehr schöpferisch. Er hat seine Kreativität verloren. Er spürt sich selber nicht mehr, ist unzufrieden, ausgelaugt und fühlt sich oft genug wie zertreten von den vielen Menschen, die ständig etwas von ihm wollen.



Heute spricht man nicht nur von Erschöpfung, sondern auch von burn-out oder von Ausgebranntsein. Es handelt sich dabei um die gleiche Erfahrung: Man hat keine Kraft mehr, spürt kein Leben mehr in sich. Gerade helfende Berufe leiden unter diesem Phänomen. Aber auch Menschen, die in anderen Zusammenhängen hoher Verantwortung stehen und sich hohem Leistungsdruck ausgesetzt fühlen, sind davon gefährdet: Als der Fußballtrainer Otmar Hitzfeld in einer Situation hohen öffentlichen Erwartungsdrucks gefragt wurde, ob er die deutsche Nationalmannschaft trainieren wolle, lehnte er das Angebot ab mit der Begründung, sein „Akku“ sei leer. Ein Manager meinte, er fühle sich ausgebrannt wie eine Rakete. Eine ausgebrannte Rakete kann man, wie jeder weiß, zu nichts mehr gebrauchen. Autos lassen an den Zapfstellen der Mineralölkonzerne gegen Geld wieder auftanken, wenn der Sprit verbraucht ist. Akkus lassen sich wieder laden. Doch wir sind keine Maschinen.

Wie steht es um unsere seelischen Energien, wenn wir uns kraftlos und „am Ende“ fühlen? Wie finden wir zurück zu den Quellen unseres Lebens?



Erschöpfte und ausgebrannte Menschen sehnen sich nach Energiequellen, aus denen sie schöpfen können. „Meine Energie-Quelle“, so warb eine Mineralwasserfirma auf großen Plakaten, eine andere verwendet den Slogan „Die Quelle reiner Kraft“ – und verbindet damit ebenso assoziativ die Werte: vital, kraftvoll, attraktiv, jung und gesund. Offensichtlich möchten sie auf die Sehnsucht der Menschen nach Frische und Lebendigkeit antworten. Bei vielen Managerkursen geht es heute vor allem darum, wieder „aufzutanken“, „den Akku aufzuladen“ und mit den eigenen inneren Kraftquellen in Berührung zu kommen. Die Psychologie spricht heute oft von seelischen Ressourcen. Das Wort stammt aus dem Französischen und bezeichnet einen Bestand, auf den man zurückgreifen, und ein Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Es ist vom lateinischen Wort „resurgere“ abgeleitet, das „wiedererstehen“ bedeutet. Es ist das gleiche Wort, das in der Bibel für die Auferstehung Jesu verwendet wird.



Die Ressourcen sind oft verborgen unter einer dicken Schale. Sie müssen erst entborgen werden. Wenn ich an den inneren Kern heran komme, in dem – in nuce – alle Kraft gesammelt ist, dann wird genügend Energie in mein Denken und Tun fließen, dann wird etwas in mir aufblühen. In jedem von uns ist dieser innere Kern, voller Energie, voller Verheißung. Doch es braucht die Stille, um die Schale aufzubrechen, die diesen Kern umhüllt. Nur so wird er das Leben in uns zur Blüte bringen und reiche Frucht tragen.



Viele haben heute das Gefühl, dass die Quelle, aus der sie leben, trüb geworden ist. Sie hat ihre erneuernde Kraft verloren. Oder sie ist eingetrübt durch Haltungen, die der Seele nicht gut tun, oder durch Emotionen, die von außen her eine ursprüngliche reine Quelle beschmutzen. Da sehnen sich viele Menschen nach einer Klarheit, die erfrischt und Leben schenkt. Wenn ich in Vorträgen von den Quellen spreche, aus denen wir schöpfen, vor allem von den spirituellen Quellen, dann werde ich immer wieder gefragt: Wie komme ich denn in Berührung mit dieser inneren Kraft, die ich die Quelle des Heiligen Geistes nenne?

Ich spüre hinter solchen Fragen nicht nur die bewusste oder unbewusste Einsicht vieler in ihre krankmachende Lebenssituation. Ich spüre dahinter auch die starke Sehnsucht nach dem, was gesund macht und Kraft gibt.

Andere haben den Eindruck, dass ihre Quelle nicht mehr ungehindert strömt. Sie droht zu versiegen. Ihr Wasser verrinnt dann irgendwo im Erdreich. Beim Propheten Jeremia gibt es das Bild der rissigen Zisterne, deren Wasser in der umgebenden Erde nutzlos versickert. Die Bibel nennt Gott selbst die unerschöpfliche Quelle. Jeremia hält den Menschen vor, sie hätten Gott, den Quell des lebendigen Wassers verlassen, „um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten“. (Jer 2,13) Das ist ein Bild, das heute viele anspricht: Sie wissen nicht, wo das Wasser geblieben ist, aus dem sie einmal geschöpft haben. Es ist versickert. Irgendwo.



Brunnen und Quellen gehören zu den Grundbildern unserer Kultur, weil wir ohne Wasser nicht leben können. Als die Mönche der Abtei Münsterschwarzach nach der Wiederbesiedlung des Klosters im Jahre 1913 einen Brunnen bohrten, stießen sie in 5 Metern Tiefe bereits auf Wasser. Doch das war nur Oberflächenwasser. Es versickerte schnell. Wenn es heiß wurde, hörte es auf zu fließen. Das Wasser war zudem vielen Trübungen ausgesetzt. Die Mönche mussten weiter bohren, bis sie in 80 Metern Tiefe endlich auf Grundwasser stießen. Dieses Grundwasser nun war fast unerschöpflich. Selbst wenn sie großen Wasserbedarf im Sommer hatten – der Grundwasserspiegel sank kaum.

Für mich ist das ein schönes Bild: Wenn wir nicht genügend in die Tiefe gehen, dann stoßen wir nur auf trübes Wasser. Manchmal scheinen diese Quellen durchaus klar zu sein. Wir können daraus unseren Durst stillen. Doch sobald wir eine Zeitlang daraus getrunken haben, versiegen sie. Es sind Quellen, die nur in der Oberfläche unserer Seele entspringen. Sobald es in unserem Leben hitzig wird, vertrocknen sie. Und sie trüben sich ständig durch die Einflüsse von außen. Manche Quellen sind auch in sich schon trüb, so dass sie nicht wirklich Energie spenden können. Wir dürfen also nicht an der Oberfläche bleiben, wenn wir klares, lebensspendendes Wasser haben wollen. Wir müssen vorstoßen bis zu jenen Quellen, die uns wirklich erfrischen, die unser Leben befruchten und die das Trübe in uns klären.



Jeder von uns kennt den Unterschied in seinem eigenen Alltag: Manchmal können wir viel arbeiten und wirken, ohne erschöpft zu werden. Wenn wir zum Beispiel im Urlaub an einem sonnigen Morgen aufstehen, trauen wir uns ohne weiteres eine große Wanderung zu. Sie macht uns an solchen Tagen trotz aller Strapazen auch Spaß. Und dann gibt es aber auch Tage, an denen wir nichts zuwege bringen. Wir fühlen uns müde und erschöpft. Wir haben keinen richtigen Antrieb. Bisweilen lähmt uns auch ein Gefühl von Unlust. Wir möchten gar nicht auf das schauen, was uns heute erwartet. Angst vor einem Mitarbeiter kann uns blockieren. Der Druck, dem wir uns in der Arbeit ausgesetzt fühlen, raubt uns alle Energie. Die Frage ist, woraus wir unsere Kraft schöpfen?

Wir können bei uns beobachten: Manchmal strömt es in uns selber, und es blüht dann auch um uns herum auf. Doch wir kennen auch das Gegenteil: dass wir uns erschöpft fühlen, unzufrieden und bitter. Wir können davon ausgehen: Immer wenn wir erschöpft sind, schöpfen wir aus einer trüben Quelle.

Erschöpft zu sein bedeutet etwas anderes als müde zu sein. Es gibt eine „redliche Müdigkeit“. Wenn wir von einer anstrengenden Wanderung nach Hause kommen, sind wir „rechtschaffen müde“. Aber in einer solchen Müdigkeit fühlen wir uns zugleich immer auch wohl. Wir spüren uns. Wir sind dankbar für das, was wir geleistet haben. Wir fühlen uns trotz allem lebendig. Auch wenn wir einen anstrengenden Arbeitstag hatten, sind wir müde. Aber diese Müdigkeit ist zugleich von Dankbarkeit erfüllt. Wir sind von dem positiven Gefühl bestimmt: Es hat sich gelohnt, sich für die Menschen einzusetzen.



Natürlich hängt die Müdigkeit in aller Regel auch mit dem Ergebnis der Arbeit zusammen. Wenn wir Erfolg hatten, dann ist es eine positive Müdigkeit, während ein Misserfolg uns unzufrieden macht. Aber zumindest fragen sollten wir uns immer dann, wenn wir erschöpft und bitter, unzufrieden und leer sind: Aus welcher Quelle haben wir gerade geschöpft? Dabei ist es ganz natürlich und keineswegs ungewöhnlich, dass wir immer auch aus trüben Quellen schöpfen. Die Aufgabe wäre es dann allerdings, dies auch wahrzunehmen und tiefer zu graben, um mit den klaren und erfrischenden Quellen in Berührung zu kommen.



Quellen haben seit jeher etwas Faszinierendes gehabt und als besondere Orte auch die Menschen angezogen. Wasser ist lebensspendend und Leben erneuernd. Weil das Quellwasser aus der Tiefe der Erde kommt und frei von Verunreinigungen ist, galten die Quellen immer als heilig und besonders schützenswert. Das Wasser einer Quelle löscht ja nicht nur den momentanen Durst, sondern sprudelt weiter und wird so zur Möglichkeit ständiger Erneuerung des Lebens. Und oft wurden diese lebensspendenden Quellen besonders geehrt oder gar mit einem Gott oder einer Göttin in Verbindung gebracht. Der antiken Religion ist die Quelle Ort göttlicher Kräfte. Die Menschen haben schon in der Frühzeit gespürt, dass von der Quelle nicht nur das äußere, sondern auch das innere Leben abhängt. In Griechenland war Apollon der Schutzherr der Quellen: der Gott der klaren Erkenntnis. Die klaren Quellen waren Verheißung auch für ein klares Denken, das nicht getrübt ist von den Verunreinigungen durch Affekte. Quellenorte waren oft auch Orakelstätten. Zu ihnen pilgerte man, um aus der Wirklichkeit des Göttlichen Weisung für sein Leben zu erhalten. In Israel wurden Brunnen heilig gehalten. Der Jakobsbrunnen bei Sichem fasziniert auch heute noch die Pilger. Wenn sie von dem frischen Wasser trinken, das sie daraus schöpfen, dann verstehen sie, dass Jesus gerade an diesem Brunnen mit der Samariterin ein Gespräch über das lebendige Wasser führt. Die Märchen sprechen vom Jungbrunnen, an dem man sich wie neu geboren fühlt und das Alte und Verbrauchte erneuert wird.



Die christliche Volksfrömmigkeit hat die Sehnsucht, die die Menschen mit der Quelle verbanden, aufgegriffen und sie mit der Verehrung der Gottesmutter Maria sowie mit wunderbaren Erfahrungen verbunden. Wenn Maria erscheint, dann sprudelt neues Wasser auf, so etwa in Lourdes, in Bad Elster oder in Wemding, wo es die Wallfahrtsstätte Maria Brünnlein gibt. Von der Marienquelle erwarten sich die frommen Pilger Heilung und Linderung ihrer Krankheiten und Gebrechen und neue Orientierung für ihr Leben. Die Menschen haben also offensichtlich seit jeher das Gelingen ihres Lebens von heilenden und klaren Quellen erwartet. Was uns die Religionsgeschichte und die Volksfrömmigkeit zeigen, das möchte ich nun im Folgenden auf eine spirituelle und therapeutische Ebene heben. Es geht letztlich auch um Kriterien richtigen Lebens, wenn wir danach fragen, wie dies möglich ist: dass wir uns nicht nur an äußeren Quellen orientieren, wenn wir Heilung und Stärkung, Orientierung und Erfrischung erwarten, sondern dass wir mit den inneren Quellen in Berührung kommen, die uns Gott geschenkt hat, damit wir daraus trinken und uns daran erfrischen und stärken.



Von den Quellen, aus denen wir schöpfen, hängt es ab, ob unser Leben gelingt oder nicht. Daher möchte ich in diesem Buch diejenigen beschreiben, die unser Leben mit immer frischem und belebendem Wasser versorgen. Das sind für mich einmal Haltungen und Einstellungen zum Leben, die ich von den Eltern gelernt oder die ich von Natur aus mitbekommen habe. Zum andern verstehe ich darunter eine Quelle, die nie versiegt, weil sie unendlich und göttlich ist: Ich nenne sie im Folgenden die Quelle des Heiligen Geistes. Viele Menschen sehnen sich nach dieser inneren und reinen Quelle des Heiligen Geistes, der ihre Wunden heilt und ihnen Kraft gibt, um ihr immer wieder schwieriges Leben zu bewältigen. Zugleich erfahren viele die Gefährdung dieser inneren Quelle durch negative Haltungen im eigenen Leben oder durch Einflüsse von außen. Daher möchte ich damit beginnen, die trüben Quellen zu benennen, aus denen viele schöpfen. Erst wenn wir sie erkannt haben, können wir durch sie hindurch zur reinen Quelle auf dem Grund unserer Seele vordringen, die unerschöpflich ist, weil sie nicht nur aus uns selbst, sondern letztlich aus Gott heraus fließt.

1. Trübe Quellen

Immer wieder höre ich die Klage von Menschen, die am stressigen Klima der heutigen Arbeitswelt leiden. Da werden Mitarbeiter dazu angehalten, möglichst ehrgeizig zu sein und ohne Rücksicht auf ihre Kollegen an der eigenen Karriere zu arbeiten. Da werden andere Menschen wie Schachfiguren hin- und hergestellt und nur dazu benutzt, um selbst voranzukommen. Aggressives Verhalten und Durchsetzungsfähigkeit sind gefragt und werden für Führungspositionen geradezu als selbstverständliche Voraussetzung gefordert. Belastungsfähigkeit ist eine ganz selbstverständliche Tugend, die auch jederzeit unter Beweis zu stellen ist. Und jeder ist angehalten, den Druck weiterzugeben. Sowohl den eigenen Mitarbeiter wie den Lieferanten muss man solange pressen, bis er das (im Sinne des eigenen Unternehmens definierte) „Optimum“ hergibt. Dass viele diesen Dauerdruck kaum mehr aushalten, interessiert nicht. Aggressive Haltungen erzeugen aber keineswegs Höchstleistung, im Gegenteil: Sie blockieren oft geradezu Kreativität und bringen neue Probleme mit sich: Angst, Unlust und Erschöpfung. Viele verinnerlichen die ständige Spannung und werden krank. Bluthochdruck ist nicht zuletzt deswegen zur Volkskrankheit geworden, weil die Menschen mit dem permanenten inneren Druck nicht mehr zurechtkommen. Wenn man von ihnen nur etwas fordert, ohne ihnen zu zeigen, aus welchen Quellen sie schöpfen können, um das Geforderte zu erfüllen, ist Überforderung die Konsequenz. Die Depressionen nehmen zu. Depression ist bei vielen ein Hilfeschrei der Seele gegen zu hohe Anforderungen. Man spricht heute ja von Erschöpfungsdepression, die gerade dann auftritt, wenn die innere Quelle „erschöpft“, d. h. versiegt ist, weil man sie zu schnell und zu wenig sensibel ausbeuten wollte.



Ob unsere Arbeit aus einer trüben oder klaren Quelle strömt, das spüren wir schon an der Ausstrahlung der Menschen. Ein Mitarbeiter einer großen Firma erzählte mir von einem Abteilungsleiter, der 14 Stunden am Tag arbeitete. Trotzdem war seine Abteilung die unzufriedenste im ganzen Gelände. Wenn wir fragen, warum?, dann wird schnell klar: Er arbeitete soviel, um sich gegenüber Kritik unangreifbar zu machen. Er wollte sich den Mitarbeitern und ihren Anliegen nicht stellen, sondern verschanzte sich hinter der Arbeit. Immer wenn jemand sagt: „Du musst erst einmal genauso viel arbeiten wie ich, dann kannst du mitreden“, dürfen wir davon ausgehen, dass er aus einer trüben Quelle schöpft. Er arbeitet so viel, um sich der Verunsicherung durch andere Mitarbeiter nicht zu stellen. Oder er versteckt sich hinter seiner Arbeit, um der Kritik seiner Kinder und seiner Frau aus dem Weg zu gehen. Wenn seine Kinder von ihm wünschen, dass er Zeit für sie habe, antwortet er: „Was soll ich denn noch machen? Ich tue doch schon soviel!“ Von einer solchen Haltung geht etwas Aggressives aus. Man kann sich täglich noch so abrackern, die Rackerei wird keinen Segen bringen, sondern Unzufriedenheit und Bitterkeit produzieren. Wer aus der Quelle des Heiligen Geistes schöpft, von dem geht Leichtigkeit, Fruchtbarkeit und Lebendigkeit aus. Er wird auch seine Mitarbeiter anstecken, dass sie Lust an der Arbeit bekommen. Aus ihm wird nicht nur die Arbeit strömen, sondern er fühlt sich in sich lebendig. Es strömt aus ihm heraus, ohne dass er davon erschöpft wird. Damit wir diese reine Quelle in uns entdecken, müssen wir uns erst den trüben Quellen stellen, um durch sie hindurch zu den klaren Quellen auf dem Grund unserer Seele zu stoßen.

Negative Emotionen

Negative Emotionen trüben die Quellen, aus denen wir schöpfen. Unsere Emotionen haben bekanntlich verschiedene Wirkungen auf unser Leben. Sie färben es positiv und negativ ein. Sie haben eine belebende Wirkung, können aber auch destruktiv und zerstörerisch wirken. Wenn sie unser Leben negativ bestimmen, dann werden sie schließlich zu Haltungen, die sich einprägen und unser Verhalten immer wieder prägen und bestimmen.



Angst etwa kann eine warnende und damit lebensfördernde positive Rolle in unserem Leben spielen. Aber als destruktive Kraft überwältigt sie uns, lähmt und blockiert uns. Wenn ich einem andern Menschen voller Angst begegne, dann ist es mehr als nur anstrengend für mich. Oft weiß ich dann gar nicht, was ich sagen soll. Ich bekomme kein Wort heraus. Angst hindert mich, das zu tun, was ich normalerweise tun würde. Ich lasse mich vom andern bestimmen. Neben dieser sozialen Angst vor dem andern und seinem Urteil gibt es auch die Angst, etwas Verkehrtes zu tun oder die Angst, schuldig zu werden: Lieber tue ich gar nichts, als Schuld auf mich zu laden. Wieder andere leiden unter ganz konkreten Phobien. Da ist z. B. die Prüfungsangst: Wenn man mit Menschen spricht, die darunter leiden, wissen sie alles. Aber in der Situation der Prüfung hindert sie die Panik, das Wissen, das in ihnen steckt, abzurufen. Sie fühlen sich wie abgeschnitten von ihrem Denken. Angst hat die Tendenz, uns immer mehr zu besetzen. Wer an Prüfungsangst leidet, ist auf seine Angst so fixiert, dass sie ihn schon lange vor der Prüfung blockiert. Er kann dann schon nicht mehr richtig lernen und verliert den Kontakt mit seinen Fähigkeiten. Die Angst kostet ihn viel Kraft. Er hat letztlich Angst vor der Angst und steigert sich immer mehr in eine ausweglos scheinende Situation hinein.



Ehrgeiz, zumindest wenn er übertrieben ist, kann die Quellen unserer Kraft und unsere Möglichkeiten der Regeneration ebenfalls trüben. Ein gewisser Ehrgeiz ist durchaus etwas Positives, insofern er uns hilft, sorgfältig zu arbeiten und uns anzustrengen, damit wir unsere Fähigkeiten entfalten. Aber Ehrgeiz kann zu einem inneren Gefängnis werden, aus dem wir nur schwer zu entrinnen vermögen. Das deutsche Wort Ehrgeiz kommt von Gier: Gier nach Ehre, nach Ansehen, nach Anerkennung und Berühmtheit. Wer sich davon treiben lässt, der verliert den Kontakt mit sich selbst und mit dem, was er gerade tut. Er wird von der Gier getrieben. Die Gier stachelt zwar seine Kräfte an. Aber da er sie nicht aus einer tiefer liegenden Quelle bezieht, sondern nur aus seinem eigenen Willen, treibt er Raubbau mit sich selbst und beutet seine Energiequelle rücksichtslos aus. Durch einen sich verselbständigenden Ehrgeiz bekommt die Arbeit oft etwas Hartes. Es gibt Ehrgeizige, die über Leichen gehen. Es geht ihnen nur um eines: die eigene Ehre, das eigene Fortkommen. Die anderen lassen sie gleichgültig. Im Berufsleben gilt starker Ehrgeiz als Antriebskraft und Motivation heute durchaus als positive Eigenschaft. Seine destruktiven Folgen beschränken sich jedoch nicht nur auf die Arbeitswelt. Auch im familiären und privaten Bereich ist zu starker Ehrgeiz immer schädlich. Wenn ich in der Kindererziehung ehrgeizig bin, dann geht es mir ja nicht um die Ehre und Achtung der Kinder, sondern letztlich um mich, der mit den Kindern angeben möchte. Ich benutze die Kinder für mich selbst. Das ist eine trübe Quelle, die das Miteinander in der Familie erschwert.



Arbeitssucht ist heute eine gesellschaftlich akzeptierte Sucht, man spricht von worcoholics. Sucht steht dem Gieren nach Ehre nahe. Der Süchtige ist abhängig von dem, was er leidenschaftlich sucht. Er hat Angst, sich selbst in dem zu spüren, was seine Wahrheit ausmacht und möchte sich daher mit seiner Sucht betäuben. Manche Betriebe stellen Arbeitssüchtige als Manager ein. Sie denken, das sei für sie optimal, denn die würden ja viel arbeiten und das würde der Firma zugute kommen. Arbeitssüchtige arbeiten zwar viel, aber es kommt nichts dabei heraus. Denn sie brauchen die Arbeit, um ihre innere Leere zu verbergen. Sie verkrampfen sich in Geschäftigkeit. Aber weil sie keinen Abstand zur Arbeit finden, sind sie nicht kreativ oder innovativ. Sie werden blind. Die Hauptsache ist, dass sie immer zu arbeiten haben. Sie haben zwar den Eindruck, dass sie sich nützlich machen, dass sie gebraucht werden. Sie ziehen jede Arbeit an sich. Aber sie bewegen nicht viel. Arbeitssucht ist eine trübe Quelle. Wer aus ihr schöpft, der erschöpft sich nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen in seiner Umgebung. Seine Arbeit wird weder für ihn noch für andere zum Segen.



Perfektionismus ist eine andere trübe Quelle: Wer alles richtig machen will, der setzt sich ständig unter Druck. Und dieser innere Druck lähmt ihn auch und raubt ihm letztlich alle Energie. Der Perfektionist kann sich nicht auf die Arbeit einlassen und sich bei der Arbeit vergessen. Er überlegt vielmehr ständig, ob er auch alles richtig macht. Er setzt sich selber unter Druck, fehlerlos zu arbeiten. Doch dieser Druck führt oft gerade erst zu Fehlern. Manchmal ist der Perfektionist mehr auf die perfekte Ausübung der Arbeit fixiert, manchmal mehr auf das Urteil der Mitmenschen, auf das, was andere von ihm denken könnten. Beides schneidet ihn von seiner inneren Quelle ab.



Sich selbst etwas beweisen zu wollen: auch das ist eine verbreitete Haltung, und auch das kann uns auslaugen. Immer dann, wenn wir uns nicht auf die Arbeit oder auf die Menschen einlassen, sondern um uns kreisen, um unsere Beachtung, unsern Erfolg, unsere Bestätigung, schöpfen wir aus einer trüben Quelle, die uns bald erschöpft. Henri Nouwen, ein erfolgreicher Universitätsprofessor und geistlicher Begleiter, erzählt in dem Bericht „Ich hörte auf die Stille“ von einem Gespräch mit John Eudes Bamberger, dem Abt des Trappistenklosters, in das er sich auf der Suche nach Neuorientierung seines Lebens zurückgezogen hatte. Er sagte dem Abt, dass er häufig nach Vorlesungen und nach Gesprächen mit Klienten völlig erschöpft sei. Die Antwort war klar und unmissverständlich: „Du bist erschöpft, weil du jedem, der in deine Vorlesung kommt, beweisen willst, dass er die richtige Vorlesung gewählt hat. Und jedem Klienten willst du beweisen, dass er den richtigen Therapeuten gewählt hat. Dieses Dich-Beweisen-wollen erschöpft dich. Wenn du aus der Quelle des Gebetes schöpfen würdest, wäre deine Vorlesung nicht anstrengend.“ Mir leuchtete diese Bemerkung sofort ein, als ich sie las. Es war mir selbst so gegangen: Als ich vor zwanzig Jahren Vorträge hielt, setzte ich mich oft unter Druck. Ich wollte den Zuhörern beweisen, dass ich ein guter Redner sei. Ich litt unter der ehrgeizigen Vorstellung, alle sollten zufrieden den Saal verlassen. Einen Vortrag zu halten ist nicht anstrengend, wenn man den Kehlkopf nicht falsch einsetzt. Anstrengend wird er durch den Druck, den wir uns selbst machen. Sei es der Ehrgeiz, andere zu übertreffen oder sei es der Druck, sich beweisen zu müssen, oder der Anspruch, alle zufrieden zu stellen, bei allen beliebt zu sein, von allen anerkannt zu werden: All diese inneren Haltungen führen zur Erschöpfung. Wenn ich einfach sage, was mein Herz bewegt, dann raubt mir der Vortrag nicht nur keine Energie, sondern ich werde beim Sprechen sogar noch lebendiger und frischer.



Sich selbst unter Erwartungsdruck zu setzen, auch das ist eine Haltung, der ich oft begegne. Im Gespräch mit Lehrern erfahre ich häufig, dass sie meinen, ihre Stunden optimal vorbereiten zu müssen. Sie brauchen sehr lange, bis die Stunde so „steht“, dass sie damit zufrieden sind. Aber auf diese Weise werden sie nicht nur nie fertig mit der Arbeit. Sie verlieren auch die Lust an der Arbeit. Sie haben keinen Spaß daran, kreativ zu sein und neue Wege im Unterricht auszuprobieren. Woher kommt dieser Druck, es möglichst gut zu machen? Und wer macht ihnen diesen Druck? Wenn ich diese Frage stelle, höre ich: die Schule sei dafür verantwortlich, der Direktor erwarte von ihnen perfekte Arbeit, oder die Eltern stünden ihnen im Nacken. Meine Antwort ist: Letztlich bin ich es immer selbst, der sich den Druck macht. Ich beuge mich vor irgendwelchen Ansprüchen, vor den Ansprüchen meines eigenen Über-Ichs oder vor den Erwartungen anderer. Dabei sind wir frei, zu sagen: Ich muss ja die Erwartungen nicht erfüllen. Die anderen dürfen ja ihre Erwartungen ruhig haben. Aber ich bin frei, wieweit ich ihnen entsprechen will.



Ähnlich wie den Lehrern geht es vielen Pfarrern. Sie setzen sich vor jeder Predigt unter Druck, weil sie sich vor irgendwelchen Zuhörern profilieren wollen. Die einen wollen die