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Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich

Kindermorde

Fünf authentische Kriminalfälle aus der DDR

Bild und Heimat

eISBN 978-3-95958-831-7

1. Auflage

© 2022 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagabbildung: © akg-images / Sammlung Berliner Verlag / Archiv

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BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

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Vorwort

»Nicht zu interpretieren, ist unmöglich, genauso unmöglich wie sich am Denken zu hindern«, schrieb der welt­bekannte italienische Schriftsteller Italo Calvino vor vielen Jahren in seinem phantasievollen, gegenwarts­bezogenen und doppelbödigen Roman Herr Palomar. Eine Weisheit, die für jeden Kriminalisten gilt und damit auch für jene, die über wahre Kriminalfälle schreiben.

Wir berichten über fünf tragische, auf grausame Art und Weise begangene Kindermorde aus der DDR. Die ersten vier Fälle haben wir unter kriminalistischen Aspekten fachlich-sachlich unter Berücksichtigung der W-Fragen dargestellt (Was passierte durch wen, warum, wo, womit, wie und wann?). Die fünfte Geschichte mit dem Titel »Pflaumenkuchenzeit« ist dagegen als Kriminalerzählung gestaltet, in der die handelnden Personen in Dialogen agieren.

Dem in der Kriminalgeschichte vermutlich einzigartigen »Kreuzworträtselmord« in Halle-Neustadt haben wir in Abgrenzung zu den kursierenden Geschichten einen anderen Titel gegeben: »Es geschah am 15. Januar …« Der kundige Leser weiß, dass schon viel darüber geschrieben worden ist. Wir haben die Wege zur Täter­ermittlung und die Aussagen des sadistischen Mörders in den Mittelpunkt gestellt.

Ausführlich berichten wir nicht nur über Vernehmungen und andere kriminalistische Ermittlungen wie Anzeigenaufnahme, Tatortarbeit, Spurensuche und -sicherung, sondern auch über die zentralen und bedeutenden Inhalte der uns vorliegenden gerichtsmedizinischen und psychiatrischen Gutachten, um die Psychogramme der Täter, die ebenso in ihren biografischen Eckdaten sichtbar werden, weiter aufzuhellen.

Wir beziehen in allen Berichten das gesellschaftliche und soziale Umfeld ein und weisen auf Ursachen und Bedingungen für die geschilderten Verbrechen hin. Auch die konkreten Lebenssituationen der Opferfamilien sollen nicht ausgenommen werden, denn in einem Fall führten sie dazu, dass das Verschwinden des Kindes erst viel zu spät bemerkt wurde. Dabei gehen wir aber behutsam vor, denn die Eltern der Opfer haben gelitten und viel durchgemacht und sollten deshalb nach so vielen Jahren nicht noch an den Pranger gestellt werden, insbesondere wenn die Familienverhältnisse schwierig waren.

Ist der Kindermörder gefasst worden, bleiben wir nicht bei der Schilderung der Verbrechen stehen, sondern ergründen sowohl die inneren und äußeren Ursachen als auch die psychologischen Bedingungen für seine Taten.

In drei der fünf Fälle in diesem Buch gelang es, die männlichen Täter zu ermitteln und gerechten Strafen zuzuführen, aber zwei Verbrechen konnten nicht aufgeklärt werden. Warum wurden die Mörder nicht ermittelt? War es Unvermögen der Kriminalisten oder hatten sie einfach keine Chance, weil sich die Täter nicht im sogenannten sozialen Nahfeld befunden hatten? Denn es ist eine alte Kriminalisten-Weisheit: Wenn der große Unbekannte, der nicht aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis stammt, zufällig mit dem Opfer zusammentrifft, ist die Ermittlung des Täters in der Regel eine höchst anspruchsvolle und zumeist langwierige Aufgabe, die nicht immer gelöst werden kann.

Warum also konnten die beiden Mädchentötungen nicht aufgeklärt worden? Eine Antwort können wir nur teilweise geben, weil gerade beim Studium dieser Aktensammlungen ein sehr hoher Interpretationsbedarf bestand, um Italo Calvino noch einmal das Wort zu geben. Insofern können diese beiden Fallbeschreibungen wohl eher als ernsthafte, aber sehr kurze Skizzen bezeichnet werden, mit dem Ziel verfasst, dass diese Kriminalfälle und vor allen Dingen die Opfer nicht vergessen werden dürfen. Außerdem war es nicht sinnvoll, Hunderten von Hinweisen und Spuren zu folgen, die am Ende nicht zur Aufklärung beitrugen, sondern oft in die Irre führten. Im ersten Fall »Die Tote im Wald« wurden mehr als zweitausend Personen aufgesucht, befragt und vernommen – aber eben ohne Ergebnis.

Es gibt in der Tat einige Faktoren, die die meisten unaufgeklärten Morde gemeinsam haben. »An erster Stelle die Einfachheit«, erklärt uns der literarische Kriminalkommissar Lindström in Håkan Nessers Roman Kim Novak badete nie im See von Genezareth anhand des Falles Berra Albertsson: »… alles, was der Mörder tun musste, war, zwei Schritte vorzutreten und mit dem Hammer zuzuschlagen. Oder dem Vorschlaghammer, was auch immer. Noch ein Schlag, schon war alles klar. Dann nur noch die Mordwaffe vergraben und die ganze Geschichte vergessen … vielleicht hoffen, dass in den Morgenstunden etwas Regen fallen würde, und das tat es ja auch.« Nun, das kann im Einzelfall tatsächlich so sein. Und oft arbeitet die Zeit für den Mörder, wie im Fall »Der ominöse Onkel« nachgelesen werden kann, in dem ein in höchstem Maße Verdächtiger erst nach seinem Selbstmord ins Visier der Ermittler kam.

Einen Kriminalbericht nach Aktenlage zu verfassen, ist mit einigen Hindernissen verbunden. Die Berichte und Protokolle können noch so »vollständig« sein, die Wahrheit von der Fiktion und die Notwendigkeit vom Zufall zu trennen, bleibt eine ständige Aufgabe. Oder anders formuliert: Was war die Wirklichkeit und was Phantasie, Einbildung, Idee, Schein, Illusion oder Traum? Insbesondere dann, wenn Beschuldigte und Zeugen Aussagen machen, die ja nur noch in Protokollen existieren. Denn es ist doch so, dass in manchen gedanklichen Systemen eben verschiedene Zeiten an verschiedenen Orten existieren. Menschen können bewusst die Unwahrheit sagen oder sich irren.

Was die Befragungen und Vernehmungen betrifft, so ist es eine alte Weisheit, dass die Protokolle auf das Wesentliche konzentrierte Niederschriften der Aussagen enthalten, wodurch eine Reihe von Fehler- und Interpretationsmöglichkeiten entstehen. Die Protokolle sind dann, wenn sie keine wörtlichen sind, eigentlich nicht Protokolle der Aussage des Vernommenen, sondern eine Niederschrift der Aussage des Vernehmenden über die Aussage des Vernommenen. Das schrieb schon im Jahr 1984 der Kriminalpsychologe und Vernehmungsexperte Prof. Dr. Axel Römer, der an der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität zu Berlin lehrte. Man kann sich gut vorstellen, dass die Interpretation solcher Niederschriften mit einigen Komplikationen verbunden ist.

Und auch die von uns zahlreich zitierten und interpretierten Protokolle über kriminalistische Maßnahmen (darunter Tatortbefundberichte, Protokolle über kriminaltechnische Tatortarbeit, Protokolle über eine vermisste Person) setzen bei deren Studium immer einen kritischen Umgang voraus. »Jedes Protokoll setzt einen Protokollanten voraus und enthält daher auch die aus dessen Person resultierende Unvollkommenheit«, schrieb Prof. Dr. Axel Römer ebenfalls im Jahr 1984.

Trotz all dieser Einschränkungen denken wir aber, dass es wahrhafte Berichte sind, die die wirklichen Vorgänge widerspiegeln. Mit anderen Worten: Wir haben uns der Wahrheit genähert, die uns und den Lesern verständlich ist.

Längere Zitate aus den Vernehmungsprotokollen und Gutachten sind zur besseren Orientierung kursiv gesetzt. Auslassungen haben wir bei den Zitaten stets mit (…) markiert.

Die Namen der Täter, Opfer und Zeugen sind aus personenrechtlichen Gründen verändert. Für die erfundenen Namen erklären Verlag und Autoren, dass Personen mit diesen Namen in den fünf Mordfällen niemals existiert oder agiert haben. Übereinstimmungen wären rein zufällig. Es war zudem notwendig, einige Wohn- und Tatorte zu verlegen oder Handlungsstränge zu vereinfachen.

Die Abbildungen entnahmen wir den im Literaturverzeichnis aufgeführten Akten. Wir haben durchgängig auf solche Fotos verzichtet, auf denen die ermordeten Opfer nach ihrem Auffinden zu sehen sind.

Wir danken Frau Christel Brandt von der BStU sehr herzlich für die Bereitstellung des Aktenmaterials in drei Fällen und dem ehemaligen Leiter der Morduntersuchungskommission Halle Siegfried Schwarz, mit dem wir uns ausführlich zum »Kreuzworträtselmord« ausgetauscht haben. Unser Dank gilt auch Dipl.-Krim. Gerd Hennig, dessen Diplomarbeit zum »Kreuzworträtselmord« aus dem Jahr 1983 uns sehr geholfen hat, den Fall anschaulich und faktenreich darzustellen.

»Es ist ein Gesetz«, sagte der Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu seinem Assistenten Dr. Watson in der Erzählung »Die Liga der rothaarigen Männer« von Ar­thur Conan Doyle, »dass sich die bizarrsten Geschehnisse als die am wenigsten mysteriösen herausstellen. Es sind die gewöhnlichen, gesichtslosen Verbrechen, die wirklich verwirren, geradeso wie sich ein gewöhnliches Gesicht schwer identifizieren lässt.«

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und reizvolle Interpretationen.

Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich