Der Autor

Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj, geboren am 25. Januar 1978 in Krywyj Rih, ist seit dem 20. Mai 2019 Präsident der Ukraine. Nach seinem Jurastudium erlangte er in der Ukraine und in Russland Popularität u.a. als Schauspieler, Komiker, Regisseur, Fernsehmoderator, Filmproduzent und Drehbuchautor. 

Das Buch

Seit dem Einmarsch der russischen Armee im Februar 2022 ist Wolodymyr Selenskyj zum Protagonisten des Widerstands gegen Putins Angriff geworden, der nicht nur die Ukraine zerstört, sondern auch alle europäischen Demokratien bedroht. In seinen Reden, mit denen er sich kurz vor und direkt nach der Invasion an die eigene Bevölkerung wie auch an andere Staaten und sogar an die Russen richtete, erweist er sich als standhafter Verteidiger seines Landes und der durch diesen Krieg gefährdeten Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.


Alle durch dieses Buch erzielten Überschüsse gehen an die ukrainische Botschaft in Paris und damit an das Volk der Ukraine.

Wolodymyr Selenskyj

Für die Ukraine - für die Freiheit

Reden im Zeichen des Krieges

Aus dem Französischen
von K.-D. Schmidt, Nikolaus de Palézieux und Karl Heinz Siber

Ullstein

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www.ullstein.de

Übers. Kap 1–6, 16 und 20: Klaus Dieter Schmidt
Übers. Kap. 7–15 u. 17: Karlheinz Siber
Übers. Kap. 18–19, 21–24 u. Chronologie: Nikolaus de Palézieux
Übers. Editorische Vorbemerkung: Claudia Marquardt

© Wolodymyr Selenskyj für die Reden, 2022
© 2022 für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© für die Auswahl und Kommentierung Éditions Grasset & Fasquelle, 2022
Alle Rechte an der Übersetzung vorbehalten
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: Ukraine Presidential Press Service via ABACAPRESS.COM / ddp
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ISBN 978-3-8437-2864-5

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Dieses Buch wurde mit Unterstützung der ukrainischen Regierungsbehörden, vertreten durch den ukrainischen Botschafter in Frankreich, S. E. Vadym Omelchenko, veröffentlicht. Die Weltpremiere dieser Zusammenstellung erschien 2022 unter dem Titel Pour l’Ukraine bei Editions Grasset in Frankreich. Die Übersetzung wurde anhand der offiziellen englischen und französischen Texte erstellt.


Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text meist die männliche Form gewählt. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Editorische Vorbemerkung

Dieses Buch versammelt einige der bedeutendsten Reden, die Präsident Wolodymyr Selenskyj in den ersten Wochen nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine gehalten hat; vorausgegangen waren zwei wichtige Ansprachen aus der Zeit vor dem Angriff, unter anderem auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Inzwischen hat Selenskyj nicht nur vor ausländischen Gremien gesprochen, sondern sich auch häufig über die sozialen Netzwerke an die ukrainische Bevölkerung gewandt. Seit er an der Spitze des Widerstands seines Landes steht, fordert er die Ukrainerinnen und Ukrainer zu Mut und Tapferkeit auf und berichtet ungeschminkt über Tragödien und Erfolge dieses ungerechten Krieges. Wiederholt beklagt er die mangelnde Fähigkeit der internationalen demokratischen Gemeinschaft, mit ausreichender Entschlossenheit zu handeln. Die Resonanz auf seine Reden war so groß, dass sie oftmals fast unmittelbare Auswirkungen hatten, wie etwa den Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland und die Verschärfung der Sanktionen.

In seinen Reden vor den internationalen Parlamenten geht Präsident Selenskyj immer wieder auf besondere Umstände der Geschichte des jeweiligen Landes ein: Verdun in Frankreich, die Atomunfälle in Japan, Pearl Harbor in den Vereinigten Staaten, Deutschlands Verbrechen in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise berührt er sein Publikum nicht nur, er lässt es auch den universellen Charakter der ukrainischen Situation spüren: Nicht nur haben die angesprochenen Nationen oft Gräuel derselben Dimension erlitten, sie könnten sie auch wieder erleben, wenn der russischen Invasion nicht Einhalt geboten wird. So gesehen verteidigen wir uns selbst, indem wir die Ukraine unterstützen.

Am 24. Februar 2022 begann die russische Invasion nach Jahren mehr oder weniger offener Kämpfe an der Ostgrenze der Ukraine und anhaltender politischer Spannungen seit den Unruhen in den beiden selbst ernannten Donbass-Republiken sowie der 2014 erfolgten militärischen Eroberung der Krim durch die Russische Föderation. 1991, mit dem Zerfall der UdSSR, erlangte die Ukraine zum ersten Mal echte Unabhängigkeit, volle Souveränität und zivilen Frieden und entwickelte ein sowohl nationales als auch demokratisches Bewusstsein. Diese Errungenschaften sind nun in Gefahr.

1
Über die Einheit
der ukrainischen Gesellschaft


An die Ukrainer,
zehn Tage vor der Invasion, 14. Februar 2022

Zehn Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine rechnet Präsident Selenskyj damit, dass ein Krieg unmittelbar bevorsteht. Schätzungen US-amerikanischer Geheimdienste zufolge sind seit Anfang Februar 2022 über hunderttausend russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden. Dies ist das Resultat eines im Jahr 2014 ausgebrochenen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Nach den Protesten des Euromaidan gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, der sich im November weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu schließen,1 war Russland auf der Krim einmarschiert und hatte die Halbinsel anschließend infolge eines »Referendums« zu russischem Gebiet erklärt. Daraufhin proklamierten separatistische Bewegungen im Donbass mit Unterstützung Russlands, das dort irreguläre russische Truppen stationierte, die Unabhängigkeit ihrer Gebiete. So begann der Krieg im Donbass, in welchem ukrainisches Militär seither gegen separatistische prorussische und russische Kräfte kämpfte. Die erhöhten Spannungen seit Ende 2021 verschärften die Gefahr eines offenen Krieges zwischen beiden Ländern.

Großes Volk eines großen Landes!

Ich wende mich an Sie in einer Zeit großer Spannungen. Unser Staat ist mit ernsten äußeren und inneren Bedrohungen konfrontiert, die von mir und jedem von uns Verantwortung, Zuversicht und konkretes Handeln erfordern. Man will uns wieder einmal mit einer Kriegsdrohung und der Möglichkeit einer Militärinvasion einschüchtern. Es ist nicht das erste Mal.

Der Krieg gegen uns wird systematisch an allen Fronten geführt. An der militärischen Front hat man das Kontingent an den Grenzen verstärkt. An der diplomatischen Front versucht man, uns das Recht zu nehmen, den Kurs unserer Außenpolitik zu bestimmen. An der Energiefront rationiert man die Versorgung mit Gas, Strom und Kohle. An der Informationsfront versucht man, durch die Medien unsere Bürger und Investoren in Panik zu versetzen. Aber unser Staat ist heute stärker als je zuvor.

Dies ist nicht die erste Bedrohung, mit der das tapfere ukrainische Volk konfrontiert wird. Vor zwei Jahren wurden wir, wie die übrige Welt, durch die Pandemie erschüttert. Doch wir haben zusammengehalten und sie dank klarer systematischer Schritte praktisch besiegt. In dieser schwierigen Zeit hat das tapfere ukrainische Volk seine besten Eigenschaften bewiesen: Einigkeit und Siegeswillen.

Anders als bei der Epidemie vor zwei Jahren, wissen wir heute, welcher Bedrohung wir gegenüberstehen und was wir gegen sie tun müssen. Wir sind zuversichtlich, aber nicht selbstsicher. Wir kennen die Risiken. Wir verfolgen die Situation genau, erarbeiten verschiedene Szenarien, bereiten angemessene Reaktionen auf alle möglichen Aggressionshandlungen vor. Wir wissen genau, wo an unseren Grenzen sich die feindliche Armee befindet, wir kennen ihre Truppenstärke, ihre Standorte, ihre Ausrüstung und ihre Pläne. Und wir verfügen über die Mittel, um darauf zu antworten. Wir haben eine große Armee, unsere Männer besitzen einzigartige Kampferfahrungen und moderne Waffen. Unser Militär ist wesentlich stärker als vor acht Jahren.

Neben der Armee bildet die ukrainische Diplomatie die Speerspitze der Verteidigung unserer Interessen. Wir haben die diplomatische Unterstützung fast aller führenden Politiker der zivilisierten Welt gewonnen. Die meisten von ihnen haben uns bereits besucht und ihre Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck gebracht, oder sie werden es in naher Zukunft tun. Heute erkennt jeder, dass die Sicherheit Europas und des gesamten Kontinents von der Ukraine und ihrer Armee abhängt.

Wir wollen Frieden – und wir wollen alle Probleme ausschließlich durch Verhandlungen lösen. Sowohl der Donbass als auch die Krim werden zur Ukraine zurückkehren, und zwar auf rein diplomatischem Weg. Wir greifen nicht nach Dingen, die uns nicht gehören, aber wir werden unser Land nicht aufgeben.

Wir haben Vertrauen in unsere Streitkräfte, aber unsere Soldaten müssen unsere Unterstützung, unseren Zusammenhalt und unsere Einigkeit spüren. Die Grundlagen unserer Armee sind das Vertrauen, das unser Volk ihr entgegenbringt, und die Stärke unserer Wirtschaft. Wir haben ausreichende Reserven, um Angriffe auf den Wechselkurs der Griwna2 und unser Finanzsystem abzuwehren. Wir werden keinen Wirtschaftszweig ignorieren, der staatliche Hilfe benötigt, wie es in der vergangenen Woche bei den Fluggesellschaften der Fall war. Beweise dafür sind der stabile Wechselkurs der Griwna und der offene Luftraum.

Eine wichtige Verteidigungsfront ist die objektive Berichterstattung über die Lage durch die einheimischen Medien. Ich möchte mich an die ukrainischen Journalisten wenden: Einige von Ihnen werden die Aufgaben der Medienbesitzer übernehmen müssen, da die meisten von denen bereits aus dem Land geflohen sind. Arbeiten Sie für die Ukraine und nicht für diejenigen, die geflohen sind. Das Schicksal unseres Landes hängt von der Ehrlichkeit Ihrer Entscheidungen ab.

Und nun wende ich mich nicht an diejenigen, die in der Ukraine und an ihrer Seite geblieben sind, sondern an diejenigen, die im entscheidenden Moment gegangen sind. Ihre Stärke liegt nicht in Ihrem Geld und Ihren Flugzeugen, sondern in der staatsbürgerlichen Haltung, die Sie einnehmen können. Kehren Sie zu Ihrem Volk und dem Land zurück, dem Sie Ihren Besitz, Ihre Fabriken und Ihr Vermögen verdanken! Heutzutage legt jeder eine Prüfung im Fach Staatsbürgerschaft ab – bestehen Sie sie mit Würde. Machen Sie der Welt klar, für wen die Ukraine eine Heimat ist und für wen nur ein Mittel zur Bereicherung.

Ich wende mich auch direkt an alle Vertreter des Staates, an Beamte und Volksvertreter aller Ebenen, die aus dem Land geflohen sind oder beabsichtigen, es zu tun. Das Volk der Ukraine hat Sie nicht nur damit betraut, den Staat zu regieren, sondern auch damit, ihn zu schützen. In der jetzigen Situation ist es Ihre oberste Pflicht, zu uns, dem ukrainischen Volk, zu halten. Ich bitte Sie, kehren Sie innerhalb der nächsten 24 Stunden in Ihr Heimatland zurück und stehen Sie der ukrainischen Armee, den Diplomaten und dem Volk zur Seite!

Wir haben gehört, dass der 16. Februar der Tag des Angriffs sein werde. Wir werden ihn zum Tag der Einheit machen. Die entsprechenden Dekrete sind bereits unterzeichnet. An diesem Tag werden wir die Nationalflagge hissen, blaue und gelbe Bänder tragen und der Welt unsere Einigkeit zeigen.

Wir tragen eine große europäische Sehnsucht in uns. Wir wollen Freiheit, und wir sind bereit, für sie zu kämpfen. Die 14 000 Verteidiger und Zivilisten, die in diesem Krieg bereits gestorben sind, beobachten uns vom Himmel aus, und wir werden ihr Andenken nicht beschmutzen. Wir alle wollen glücklich leben, und das Glück liebt die Starken. Wir haben nie gelernt aufzugeben, und wir werden es auch nie lernen.

Heute ist nicht nur Valentinstag. Es ist der Tag derjenigen, die die Ukraine lieben. Wir glauben an unsere Stärke und bauen weiter an unserer gemeinsamen Zukunft. Weil wir vereint sind durch unsere Liebe zur Ukraine – vereint und einzigartig. Die Liebe wird siegen. Ja, Sie mögen in diesem Moment denken, wir sind von Dunkelheit umgeben. Aber morgen wird die Sonne wieder aufgehen an unserem friedlichen Himmel.

Lieben wir die Ukraine!

Wir sind ruhig! Wir sind stark! Wir sind vereint!

Das große Volk eines großen Landes!