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Zum Buch

In seinem Lebensrückblick beschreibt der aus Untermoi stammende Hotelportier Anton Molling (1901–1987) mit Witz und der Abgeklärtheit eines Pensionisten seinen Weg aus einer kinderreichen Bergbauernfamilie in Ladinien in die Hotellaufbahn. Eingebettet in die eigene Lebensgeschichte lässt er Personen seines Bekanntenkreises und interessante Hotelgäste in Anekdoten Revue passieren.

Molling schildert Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg, beschreibt Bergtouren sowie seine ersten Arbeitsstellen und die dabei gewonnenen Eindrücke. Stationen waren das Hotel „Elephant“ in Brixen, Hotels in Nizza und Monte Carlo, das Gästehaus von Adolf Hitler in Salzburg sowie das „Weisse Rössl“ am Wolfgangsee. Als Einblick in ein Leben zwischen Armut, Gefährdung, sinnerfüllter Gestaltung und Familiengründung sind Mollings Erinnerungen eine beeindruckende und rare Quelle.

Das Schreiben ist Molling nicht leicht gefallen, in seinem Text äußern sich viele Elemente des Ladinischen und des Dialekts. Die Bearbeiter haben versucht, den Originalton zu respektieren und ihn nicht durch nachträgliche Beschönigung nachzubessern oder gar zu verwischen.

Mit freundlicher Unterstützung der Abteilung deutsche Kultur in der Südtiroler Landesregierung über das Südtiroler Kulturinstitut

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Die Buchreihe Memoria mit Aufzeichnungen, Tagebüchern und Biografien aus dem 20. Jahrhundert wird von der Stiftung Südtiroler Sparkasse unterstützt.

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Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com

Inhalt

Hans Heiss, Margot Pizzini: Vorwort der Bearbeiter

Giovanni Mischì: Pream

Hans Heiss: Einführung

Hans Heiss, Margot Pizzini: Editorische Hinweise

Kindheit in Untermoi

Übersiedlung nach Villnöß

Kriegsjahre in Gsies

Dienstzeit als Knecht

Als Kutscher im „Elephanten“

Auf Umwegen nach Monte Carlo

Aufenthalt in London

Wieder in Monte Carlo

Option und Heirat

Die Auswanderung

Salzburg, die zweite Heimat

Die Einberufung

In sowjetischer Gefangenschaft

Entlassung und Heimkehr

Persönlicher und beruflicher Neubeginn

Portier im „Weissen Rössl“

Beruflicher Ausklang und Ruhestand

Vorwort der Bearbeiter

Die Herausgabe der Erinnerungen von Anton Molling sind ein seit über 20 Jahren fälliges Vorhaben. Der Rückblick des ladinischen Bauernsohnes und Hotelportiers auf sein Leben zwischen Untermoi und Monte Carlo, Salzburg und Sibirien ist so eindrücklich und vielfältig, dass eine Veröffentlichung geboten erschien. Sie war auch ein Wunsch von Herrn Molling, als er uns das Manuskript anvertraute. Zugleich sind die Erinnerungen ein großer Gewinn für eine Geschichte mit offenem Blick für die Verhältnisse, Optionen und Wahrnehmungsweisen jener vielen historischen Akteure, die außerhalb des politischen und gesellschaftlichen Fokus stehen.

Ein großes Dankeschön für Geduld und Nachsicht gebührt den Kindern von Anton Molling und Marie Flöss, der Tochter Annemarie Molling-Morandell (Innsbruck) und dem Sohn Helmut Molling (Salzburg) mit ihren Familien. Sie haben einer Veröffentlichung zugestimmt und sie durch die Überlassung eines reichen Fundus an Bildern außerordentlich bereichert. Obwohl ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde, hoffen wir sehr, dass sie sich über das Buch freuen können. Mit der Genehmigung der Edition machen sie der Geschichte Südtirols und Ladiniens ein großes Geschenk.

Die Betreuung durch den Verlag Edition Raetia, einer erstrangigen Adresse für Zeitgeschichte in Süd- und Nordtirol, ging über verlegerische Routine weit hinaus. Thomas Kager hat die hürdenreiche Edition des Textes engagiert mitbetreut und mit zielführenden Hinweisen den Weg zur Publikation wesentlich geebnet. Sie ergänzt die verdienstvolle Raetia-Reihe „Memoria – Erinnerungen an das 20. Jahrhundert“ um ein besonderes Glanzstück.

Giovanni Mischì („Istitut Ladin Micurà de Rü“, St. Martin) schlägt mit seinem Vorwort eine direkte Brücke zur Heimat von Anton Molling; dafür sei ihm besonders gedankt. Wir hoffen, dass die Edition auch in den ladinischen Tälern gute Aufnahme findet und die Suche nach ähnlichen Selbstzeugnissen anregt.

Hans Heiss, Margot Pizzini

Bozen, im August 2008

De mistier fora por le monn, col cör a d’Antermëia

Recordanzes de vita de Tone Molling

Les memoires de Tone Molling cöiüdes adöm y dades fora te chësc pice liber é n contribut interessant y original sot a de plü punć d’odüda: te un descrires la vita de na porsona jona che s’un va bele dër adora da so paîsc nadè por se chirì tl frostì n da ćiasa y se fà sö na esistënza, ares cunta cun pasciun y cun n gröm de anedotes dles dificoltês mo inće dles perts plajores de n iade de vita intravaié.

Tl medemo momënt rapresentëia les recordanzes de Tone Molling inće n contribut interessant sot l’aspet storich y sozio-cultural, eres pö impü n spidl dla sozieté de chël tëmp, na fontana direta a pié ia defata do le 1900 ćina dan da ca. vint agn.

Tone Molling à vit na buna pert dl 20jim secul (nasciü tl 1901 y mort l’ann 1987), al à odü y fat para i gran svilups y mudamënć de chësc centenà. A mëte man da sü agn da möt söl lüch da paur cun meseria y n gröm de dificoltês economiches (al n’ê ćiamò degöna forza eletrica, la spëisa ê fata de ma lat y soni, le guant gnô dè inant dai plü gragn ai plü pici y tignî na vita), ales prömes esperiënzes a patrun pro deplü paurs ćina a rové pro le laûr da portier de hotel che l’à acompagné por le rest dla vita.

Sües prömes esperiënzes de laûr tl ambiënt dla hotelaria fêj Tone a Porsenù pro le hotel „Elefant“. Le compit prinzipal ê chilò chël da jì fora söla staziun dla ferata a aspetè y chirì adöm sciori por la ostaria. N valgügn agn plü tert röiel al Lêch de Garda y a Rapallo. Intratant impàrel n pü de franzesc por jì tla Francia, olach’ al ćiafa tres conescënzes n post de laûr: impröma te n hotel a Nizza y spo tl hotel „Mirabeau“ a Monte Carlo. Ara ti gareta da mëte pé ti ambiënć gastronomics plü alć y impara insciö a conësce de vigni sort de sciori alaingrana. N dotur inglesc l’inviëia da jì a laurè a Londra olach’ al à la poscibilité da imparè n pü de inglesc. Le mistier da portier codüj Tone i agn che vëgn intoronn te ambiënć nobli, tl casinò, al impara a conësce citês y de vigni sort de porsones, inlaôta na rarité por un che é nasciü te n paîsc da munt.

Te sües recordanzes cunta Tone Molling dles porsones che al à incuntè, dles situaziun te chëres che al é rové, al descrî ghesć inter-essanć cun chi che al à albü da fà, al baia dla Secunda Gran Vera, dles Opziuns, dla prijonia ruscia, dles dificoltês y di prighi intergnüs, al cunta de chësc y de chël ater, de süa vita privata tambëgn co di avenimënć de chël tëmp – mo mai cun preiudizi, dagnora cun n spirit positif y de crëta, zënza baié jö por zacai o condanè valgügn.

Tles momoires de Tone Molling vëgnel inće tres indô a löm l’incherscimun y le lian strënt cun le daćiasa y i posć de süa jonëza: Kalkan (Ćialćiagn), Kianeigeri (Chi Anëigri), Seragella (Sarighela) y d’atri. So dejîer plü sintì ti ultimi agn: ester ćiamò n iade sö da Crist de Börz a se gode le beliscim panorama cun Pütia, les Odles d’Eores, le Gabler y i bi pra da munt.

Tone Molling é stè süa vita fora por le monn, mo tl sentimënt y tl pinsier él romagnü ćina ala fin un d’Antermëia.

Giovanni Mischì

„Auch die Erinnerung gewinnt mit jedem Jahr …“

Anton Molling (1901–1987): Ein ladinisches Leben zwischen Monte Carlo, Sibirien und Salzburg

Hans Heiss

Als ich Anton Molling in seinem Haus in Salzburg im September 1987 besuchte, öffnete sich die Tür und ein kleiner, betagter Herr trat mir entgegen. Ich war angemeldet, durch seine Nichte Elisabeth Flöss, meine spätere Frau, die mich auf den „Onkel Toni“ hingewiesen hatte. „Er hat ein aufregendes Leben hinter sich“, sagte Lies, „und er war als Hausmeister bei euch im ‚Elephanten’. Besuch ihn doch, es wird sich lohnen.“

Herr Molling hatte sich auf den Besuch gefreut, der ihn an die ferne Jugend erinnerte, aber zugleich überforderte ihn der fremde Gast. Wir saßen im Wohnzimmer, er wollte sprechen, brachte aber vor Aufregung keinen Ton heraus. Nachdem ihn seine Frau Marie Flöss beruhigt hatte, erzählte er mir zwei Stunden lang aus seinem langen Leben und berichtete auch von meinem Großvater, bei dem er als 22-Jähriger als Portier eingestanden war. Zum Abschied drückte er mir sein Tagebuch in die Hand, ich solle es durchlesen, vielleicht auch veröffentlichen. Dies versprach ich, ohne zu wissen, wie lange es dauern würde. Ich konnte auch nicht vermuten, dass ich Herrn Molling zum ersten und letzten Mal begegnet sein sollte, machte er doch einen vitalen, geistig regen Eindruck. Aber schon einen Monat später, am 25. Oktober 1987, starb er an den Folgen einer Lungenentzündung. Er war 86 Jahre alt und hinterließ neben seiner Frau Marie die bereits erwachsenen Kinder Annemarie und Helmut.

Anton Molling war Ladiner, Hotelmann, Optant, Auswanderer: Diese Eckpunkte seines Lebens berühren vier zentrale Entwicklungsmomente Südtirols im letzten Jahrhundert. Er war Angehöriger der kleinsten Sprachgruppe Südtirols, die härter als alle anderen um ihre wirtschaftliche und kulturelle Existenz zu kämpfen hatte. Die Selbstbehauptung der Ladiner vollzog sich auch über den Tourismus, der ihre wichtigste Ressource, die Berge, unaufhaltsam in Wert setzte. Toni Molling nahm durch seine Berufswahl den touristischen Aufstieg seiner Heimatregion bereits um 1920 auf persönlicher Ebene vorweg. Die Option der Südtiroler 1939 war die größte Herausforderung für das Land und seine Gesellschaft. Der durch seine Arbeit in Hotels an Wanderschaft gewöhnte, bereits 38-jährige Anton Molling entschied sich für die deutsche Staatsbürgerschaft und die Auswanderung, wohl auch im Bewusstsein, dass er die Heimat längst schon verinnerlicht hatte. Migration war für ihn Normalität, die Deutschlandoption für den Weitgereisten kein Bruch, sondern nur ein Anlass mehr, um aus dem nicht zu fernen Salzburg die Beziehung zur Heimat umso intensiver zu pflegen.

Das Tagebuch von Anton Molling ist eine Lebensbilanz, niedergeschrieben auf den Rechnungsformularen des Salzburger Hotels „Traube“, wo er von 1953 bis zur Pensionierung 1966 als Nachtportier arbeitete. Der Autor hielt sein Leben für so außergewöhnlich, dass er seine wichtigsten Stationen in dieser Form festhalten wollte. Keine leichte Aufgabe, denn dem Portier fehlte die Schreibroutine. Aber der große Erzähler und begabte Unterhalter war überzeugt davon, dass ihm auch das Schreiben gelingen würde. Er behielt recht: Seine Niederschrift ist ein Glücksfall Südtiroler Erinnerungsarbeit, ein Selbstporträt, hinter dessen eigenwilliger Diktion und subjektiven Zügen die Konturen der Landesgeschichte hervortreten.

Anton Molling, geboren am 7. November 1901 und damit Zeuge des 20. Jahrhunderts, wuchs in einer bäuerlichen Familie in Untermoi auf. Dort, am Fuß des Peitlerkofels, hätte Toni Molling vielleicht sein Leben verbracht, wäre der väterliche Hof nicht durch eine vom Vater geleistete Bürgschaft in Konkurs gegangen. Die Überschuldung brachte die Familie 1910/11 um ihr Eigentum und trieb sie auseinander. Der Vater zog in die kleine Bischofsstadt Brixen, auch die Mutter ging in Brixen in fremden Dienst. Die zwei Töchter Maria und Tilli zogen gleichfalls nach Brixen, Toni und seine Schwester Kathi kamen ab Mai 1911 bei Bauern im nahen Gebirgstal Villnöß unter.

In der Erinnerung des Schreibers verfließt die frühe Kindheits- und Jugendphase zu impressionistischen Tupfern von starker Intensität. Das Leben in der Natur und mit den Tieren des Hofes, die bäuerliche Arbeit, die eintönige, an Feiertagen aber reiche Kost, die Spielgefährten des Dorfes, der von Streichen und Schabernack unterbrochene Schulbesuch blieben Erinnerungsmomente von starker Ausstrahlung. Aber auch der Schock über den Vermögensverlust und der Abstieg leben in den Erinnerungen auf, wenn Anton Molling die Ausdehnung des verlorenen Hofes beschreibt, für dessen Übernahme er selbst als einziger Sohn bestimmt gewesen wäre.

Neben der persönlichen Katastrophe der Familie erfuhr Toni Molling aber auch das Glück der späten Geburt: Wäre er nur zwei, drei Jahre früher zur Welt gekommen, so hätte auch er zum Kriegsdienst einrücken müssen. So blieb ihm der Krieg zwar markant in Erinnerung, der Fronteinsatz aber erspart.

Anton trat bei dem berühmten Bauernarzt Hintner in Pichl/Gsies, einem nördlichen Seitental des Hochpustertals, seinen ersten Dienst an. Hier war der 16-jährige Zaungast des Krieges, der nur wenige Kilometer südlich an der Dolomitenfront ausgetragen wurde. Als Kutscher und Pferdeführer übernahm der Halbwüchsige eine verantwortungsvolle Aufgabe, die seine schon ausgeprägte Selbstständigkeit weiter förderte. Patron Hintner war als Bauer, Holzhändler und Heiler ein vermögender Dorf-Honoratior, der auch dem Wein gerne zusprach. Aus Gsieser Sicht waren der ferne Kanonendonner, die Schneemassen des Winters 1916/17 und die oft tödliche asiatische Grippe Begleiter des Großen Krieges, den der 17-jährige Toni zwar aus der Nähe, aber aus gleichsam sicherem Ausguck beobachtete.

Bereits der junge Toni Molling zeichnete sich durch eine besondere Gabe aus: Die Fähigkeit, den Wechselfällen des Lebens eine heitere Note abzugewinnen und seine vielen Begegnungen durch einen „Witz“, wie er es nannte, aufzulockern. Die Scherze machten ihren Urheber zum beliebten Gesellschafter, schufen aber auch eine gewisse Selbstdistanz und bezeugen ein heiteres Temperament, das das Leben auch unter schwierigsten Bedingungen erleichterte.

Der Weg in die Grandhotellerie

Da seine Schwestern auf seine Übersiedlung nach Brixen, wo sie selbst lebten, drängten, zog Molling 1920 in die Bischofsstadt. Nach Arbeitsplätzen als Kutscher und Landarbeiter im Burggrafenamt sowie nach Absolvierung des Militärdienstes bei der Alpinitruppe folgte der Einstieg in den Tourismus, wo er sein künftiges Berufsleben verbringen sollte.

Dass Anton Molling darin eine Wende für sein Leben erblickte, zeigt die bedeutungsvolle Notiz: „1923: Am 1. April im Hotel Elefant Brixen bin ich im Gastgewerbe gestartet.“ Die noch erhaltenen Personalbücher des Hauses bestätigen den Einstand als „II. Kutscher“, mit einem bescheidenen Monatslohn von 120 Lire, weniger als die Hälfte dessen, was die erste Köchin verdiente, ein Drittel weniger als der Lohn des ersten Knechtes. Aber als Kutscher konnte er auf Trinkgeld rechnen, zudem waren Kost und Logis im Hause frei.

Der traditionsreiche „Elephant“ verfügte über internationale Klientel und einen gewissen Stil, zudem führte der Inhaber Wolfgang Heiss eine ausgedehnte Landwirtschaft. Molling, dem wohl die als Kindermädchen im Hause tätige Schwester Kathi den Dienst vermittelt hatte, kam als Portier und Kutscher zum Einsatz.

Der noble Titel „Portier“ verbarg ein anstrengendes Berufsbild, das Aufgaben als Nachtportier, Gepäckträger und Hausmeister verknüpfte; zudem sorgte er als Kutscher für die ständige Verbindung zum Bahnhof. Da Gäste noch kaum mit eigenem Auto reisten, war dies ein zentraler, oft belastender Service, da Hotelier Heiss den Kutscher regelmäßig zu vergeblichen Nachtfahrten auf den Bahnhof schickte, wo er nach ankommenden Gästen Ausschau halten sollte. Trotz solcher Wermutstropfen hatte der junge Toni besondere Freude an der Arbeit mit den Pferden, deren Charakter er eingehend beschreibt.

Der „Elephant“ bewährte sich als Startpunkt einer internationalen gastgewerblichen Karriere. Nach ersten Saisonen in Rapallo und Gardone am Gardasee wagte sich der 29-jährige Toni an sein erstes Engagement in Frankreich. Der französische Major Cabal, Gast des „Elephanten“, bot dem unternehmungslustigen Portier an, ihm einen Dienst in der französischen Hotellerie zu vermitteln.

Molling begriff das Angebot als Chance und nahm noch während seiner Brixner Zeit Französischstunden. Als nach zweijährigem Warten im Januar 1930 der beantragte Reisepass endlich eintraf und ein Pro-forma-Angebot eines Hotels in Nizza die Ausreise ermöglichte, gelangte Molling mit einigen Tricks über die italienischfranzösische Grenze und suchte seinen Gewährsmann Cabal in Nizza auf. Der einflussreiche Mentor vermittelte dem Zögling über den monegassischen Finanzminister eine Stelle im Hotel „Mirabeau“ in Monaco.

Inhaber Schiper, ein gebürtiger Wiener, bot dem neuen Mitarbeiter an, ihn durch verschiedene Stationen des Innendienstes zu schleusen, damit er so allmählich das Französische fließend erlernte. Nach dem Küchen- und Schankdienst übernahm Molling den Etagendienst, bei dem er mit dem Zimmermädchen die Reinigung der Hotelzimmer besorgte. Auf diese Weise lernte er die einzelnen Hotel-Jobs gründlich kennen und erfuhr zugleich eine Immersion in das Französische. Der Tourismus an der Côte d’Azur erlebte bald nach 1930 einen Aufbruch, da das französische Parlament auf Initiative der sozialistischen Regierung Blum das Recht auf 14-tägigen Jahresurlaub gesetzlich festschrieb. Durch diese Maßnahme, mit der Frankreich in Europa führend war, lebte die bis dahin noch zweitrangige Sommersaison auf. Der Gästestock, der sich bisher vorab aus der Oberschicht und der wohlhabenden Bourgeoisie rekrutiert hatte, erweiterte sich um neue Gäste aus der Mittelschicht, die gerne im Sommer urlaubten. Molling beobachtete das splendide Leben in Monte Carlo, die Lebensgier und extremen Vergnügen wie die tagelangen Wetttänze, besonders aber den unerhörten Reichtum einer Kapitalistenklasse von Parvenüs und Spekulanten, die sich im von Illusion und Enttäuschung gleichermaßen vibrierenden Roulette-Milieu tummelten: reiche Russinnen, Waffenhändler, aber auch die durch harte Arbeit Aufgestiegenen, die sich Molling zum Vorbild nahm. Er selbst hielt sich vom Glückspiel fern; nach einigen Versuchen, bei denen er an größeren Verlusten vorbeischrammte, war er von jeder Roulette-Manie kuriert.

Da Italien 1935/36 in den Eroberungskrieg gegen Abessinien eingetreten war und ihm bei einer Rückkehr die Einberufung drohte, blieb Molling lieber in „Monte“ und nutzte den Urlaub auf Anregung einer Sekretärin, Miss Stevens, zu einer ausgedehnten London-Reise, wo er bei Familie Graham, für die seine Gönnerin arbeitete, wohnte. Die Londoner „Sitten und Bräuche“ sagten Tony, wie ihn seine Freunde nannten, spontan zu: Der freundlich-reservierte Lebensstil der englischen Middle-class, ihr familiärer Umgangston und dezenter Humor, dazu die Förderung der Gastgeber, die sein Englisch anregten und für kulturelle Abwechslung durch Museumsbesuche sorgten, taten Molling wohl. Er stellte ihnen das beste Zeugnis aus: Wer mit Engländern wie den Grahams befreundet sei, habe Freunde gewonnen, „keine Besseren kann man finden, und treu bis ans Ende“.

Nach acht Jahren Monte Carlo und manchen Bildungsreisen, die ihn neben London auch nach Paris, Marseille und Korsika führten, hatte sich Anton Molling 1939 als weltläufiger, beruflich versierter Hotelmann bewährt. Er fühlte sich wohl in seiner Portiersposition im „Mirabeau“, das Französische war ihm zur geläufigen Drittsprache geworden, deren Erlernen ihm auch deshalb leicht gefallen war, „indem meine Muttersprache Ladinisch ist“. Die Fotos dieser Zeit zeigen einen eleganten, perfekt gekleideten Herrn, dessen verbindlich-wissendes Lächeln eine gehörige Portion Mutterwitz verbarg.

Auch während der schweren außenpolitischen Krise um NS-Deutschland 1938, die mit dem Münchener Abkommen zwar vorläufig beendet wurde, aber zu einem touristischen Einbruch führte, verblieb Molling in Monte Carlo. Erst nach dem Kriegsausbruch im September 1939 kehrte er schweren Herzens nach Südtirol zurück; die ersparten Golddevisen schmuggelte er gewohnt trickreich in einem abschreckend verschmierten Schuhcremeset, das die Grenzkontrolleure nur mit spitzen Fingern anfassten, aus Frankreich nach Italien ein.

Dank der Arbeit im Tourismus und der langen Auslandsaufenthalte hatte Anton Molling kaum Erfahrungen mit dem Faschismus und der Politisierung des Alltags gemacht, die viele Südtiroler in der Heimat seit 1923 immer mehr belasteten. Nun aber, im Herbst 1939, geriet der Heimkehrer in die Mühlen der Option. Auch für ihn stellte sich die Frage: „Die Heimat verlassen, in Südtirol bleiben?“ Die Entscheidung, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und ins Reich abzuwandern oder in Italien zu verbleiben, wurde durch die massive Propaganda „für Deutschland“ nicht nur zur persönlichen Option, sondern darüber hinaus zum politischen Bekenntnis hochstilisiert. Molling, der faktisch schon seit über 15 Jahren „Heimatferner“ war, fiel die Entscheidung für Option und Abwanderung nicht schwer, zumal er ledig war, in Südtirol weder Vermögen noch Grundbesitz aufwies und keine familiären Rücksichten zu nehmen brauchte. Zu Italien hatte Molling ein ablehnendes Verhältnis: Noch aus dem Ersten Weltkrieg galten ihm die „Itak“ als Verräter, ein Bild, das in den Notizen immer wieder auftaucht.

Options- und Brautzeiten