KURT TUCHOLSKY
wurde am 9. Januar 1890 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, studierte in Berlin und Genf Jura und promovierte 1915 in Jena. Seit 1913 war er Mitarbeiter der »Schaubühne« und späteren »Weltbühne«, nach Siegfried Jacobsohns Tod zeitweilig auch ihr Herausgeber. 1930 verlegte er seinen Wohnsitz nach Schweden. Am 10. Mai 1933 verbrannten die Nationalsozialisten seine Bücher und bürgerten ihn am 22. August aus – gemeinsam mit 32 weiteren Personen, darunter u. a. Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann. Aus Verzweiflung über den Sieg des Nationalsozialismus nahm er sich am 21. Dezember 1935 in Hindas, Schweden das Leben.
Kurt Tucholsky besaß das Talent, die Welt nicht nur mit einem Paar Augen zu betrachten: Von allen Seiten, Ebenen und Blickwinkeln beobachtete er das Geschehen als schmunzelnder Beobachter, feixender Provokateur, mahnender Weiser und hin und wieder ein Stück seiner Seele Preisgebender. Der Facettenreichtum seines dadurch entwickelten Talents intensiviert sich in seiner Lyrik, die mal politisch, mal philosophisch, mal spöttisch, mal liebend, dann wieder verabscheuend die Auswüchse des Lebens kommentiert.
Dieser Band versammelt Tucholskys schönste Gedichte in chronologischer Anordnung.
Seine Bücher wurden von den Nationalsozialisten verbrannt, er selbst begeht aus Verzweiflung über den Nationalsozialismus Selbstmord – Kurt Tucholskys Leben endet tragisch. Der Welt hinterließ er ein wertvolles Werk, das es gerade vor dem Hintergrund seiner Vita zu würdigen gilt. Dieser Band kommt dem nach, indem er die schönsten, bissigsten, nachdenklichsten, rührendsten, weisesten Gedichte des talentierten Lyrikers versammelt. Tucholskys Poesie lädt dazu ein, andere Blicke als sonst auf das Leben, auf Werte und Normen zu werfen, dabei zu philosophieren, zu verspotten, zu schmunzeln und zu schlucken, wenn einem das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt.
Kurt Tucholsky
C’est la vie –! Ssälawih –!
Kurt Tucholsky
C’est la vie –!
Ssälawih –!
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»Erst habe ich gemerkt, wie es ist.
Und dann habe ich verstanden, warum es so ist.
Und dann habe ich begriffen, warum es nicht anders sein kann.
Und doch möchte ich, daß es anders wird.«
Kurt Tucholsky
EIN SÜNDHAFT BLAUER TAG!
1913
Kritik
Auftakt
Parkett
Schöner Herbst
Schall und Rauch
MAL GEHTS UNS GUT
1914–1918
Vorfrühling
Bund der Landwirte
Kleines Gespräch mit unerwartetem Ausgang
Wetterhäuschen
Der Kriegslieferant
Auf Urlaub
Auf die Weltbühne
Wünsche
An Peter Panter
Professoren
Der alte Fontane
Kolonne
Die arme Frau
Namensänderung
UND PLÖTZLICH WURDE DIE ZEIT WIEDER KLEIN
1919
Das Lied vom Kompromiß
Eisner
Der zwanzigjährigen ›Fackel‹
Osterspaziergang
Das Königswort
Sehnsucht nach der Sehnsucht
Preußische Presse
Die Schule
Nach fünf Jahren
An ihren Papa
Klagelied eines Einsamen
Versunkenes Träumen
Kino-Atelier
Mit einem japanischen Gott
An unsre Kleine
Erweckung
Silvester
Lebensmittel! Lebensmittel!
BERAUSCHT – ACH, DASS ICH STETS SO BLIEBE!
1920
Absage
Wider die Liebe
Rechts und links
Dantons Tod
Die Dame mit ’n Avec
Namensänderung
An den deutschen Mond
Preissturz?
Abschied von der Junggesellenzeit
Zum nächsten Putsch!
Mikrokosmos
Sommerlied
Heimg’funden
Löwenliebe
Steuerabzug
Nichts anzuziehen –!
IN DEN BERLINER STRASSEN
1921–1922
An ihr
Abschiedsgesang
Führerhunde
Berliner Sonntag
Vorn an der Rampe
An die Berlinerin
Schaufenstermoral
Auf ein Frollein
Merkt ihr nischt –?
Händler und Helden
Couplet für die Bier-Abteilung
EINMAL WAREN WIR BEIDE GLEICH
1923–1924
An einen Bonzen
Deutsches Lied
Figurinen
Nur die Ruhe
Zu tun! Zu tun!
Place des Vosges
Gebet für die Gefangenen
DÉJÀ VU –?
1925
Ruhe und Ordnung
Gefühle
Pariser Vorort
Prolet vor Gericht
Besetzt! Bitte, später rufen –!
Farbenklavier
Frauen von Freunden
Deutsche Pleite
Die fünf Sinne
SAG AN, MEIN HERZ, SAG AN
1926
Angestellte
Das alte Vertiko
Was brauchen wir –?
Nächtliche Unterhaltung
Flaggenlied
Bei näherer Bekanntschaft
An meinen Sohn
Feldfrüchte
Wenn jener wiederkäme
Angst des Kapitalisten vor der Einigkeit der Arbeiter
Wo bleiben deine Steuern –?
Altes Volkslied
Der schlimmste Feind
HABEN. SEIN. UND GELTEN.
1927
Geschworene
Einigkeit und Recht und Freiheit
Finish
Subkutan
Pfeifen anrauchen
Heimgefunden
Der Pfau
Der Rhein und Deutschlands Stämme
Das Ideal
Saxo-Borussen
Bei uns in Europa
Lied der Kupplerin
Flaggenfriede
All People on Board!
Alfred Kerr
Illustrierte Welt
EINMAL HIN UND EINMAL HER
1928
Horoskop 1928
Die Leibesfrucht
Nebenan
Ehekrach
Für Maxim Gorki
Deine Welt
Meine Flieger – deine Flieger
Sonntagsmorgen, im Bett
Konjugation in deutscher Sprache
Aus der Ferne
Olympiade
Gesang der englischen Chorknaben
Wenn die Igel in der Abendstunde
Träumerei auf einem Havelsee
Sie schläft
Berliner Herbst
Glück im Unglück
Liebespaar am Fenster
Das Sozialistengesetz 1878
Don’t Gish Me –!
Das Lächeln der Mona Lisa
Beschluß und Erinnerung
Oller Mann
C’EST LA VIE –! SSÄLAWIH –!
1929
Lied fürs Grammophon
Chanson für eine Frankfurterin
Was ist im Innern einer Zwiebel –?
Media in Vita
Die Kinderstube
Guter Neurath ist teuer
Der Meineid
Junge Autoren
Lehrgedicht
Mutterns Hände
Einkehr
In aller Eile
Diskretion
Berolina … Claire Waldoff
Heinrich Zille
Ja, Bauer, das …!
Holder Friede
Das Gesetz
Unerledigte Konten
Die Tagung
Hej –!
Der verrutschte Hut
Deutsche Richter von 1940
Aussperrung
Das Parlament
Lied der Steinklopfer
Bürgerliche Wohltätigkeit
Ideal und Wirklichkeit
DER SÜSSE KITSCH MIT ZUCKER-EI
1930
Aus!
Kirche und Wolkenkratzer
Theorie der Leidenschaft Berlin N 54
Frage
Die freie Wirtschaft
Augen in der Großstadt
Danach
Deutschland erwache!
Zwei alte Leute am 1. Mai
Das dritte Reich
Nur
Kleines Operettenlied
Fahrgäste
Die Mäuler auf!
S. J
Abendlied
Wahre Liebe
Marschlied nach den Wahlen
Die Redensart
Aussage eines Nationalsozialisten vor Gericht
Der Neurotiker
Der andre Mann
Wo ist der Schnee
Aufgewachsen bei
Malwine
Stationen
Karrieren
Diese Häuser
Zuckerbrot und Peitsche
Ballade
Oh Frau!
Dein Lebensgefühl
TROTZ KOPPWEH, ÄRJA, NOT UN SCHMERZ …
1931
Die Frau spricht
Eine Frage
Gestoßener Seufzer
Rußland
Schepplin
Parteimarsch der Parteilosen
Das Persönliche
An das Publikum
Der Mitesser
Goethe-Jahr 1932
An das Baby
Sie, zu ihm
Media in Vita
NA, NU WISSEN SE – NU IST ZU ENDE
1932
Das Lied von der Gleichgültigkeit
Europa
Recht muß Recht bleiben –!
Singt eener uffn Hof
Altes Lied 1794
Da oben spielen sie ein schweres Drama
mit Weltanschauung, Kampf von Herz und Pflicht:
Susannen attackiert ein ganz infama
Patron und läßt sie nicht.
Ich sitze im Parkett und zücke den Faber
und schreibe auf, ob alles richtig sei;
Exposition, geschürzter Knoten – aber
ich denk mir nichts dabei.
Mein Herz weilt fromm bei jenem lieben Kinde,
das lächelnd eine Kindermagd agiert:
ich streichle ihr im Geiste sehr gelinde,
was sie so lieblich ziert.
Nun sieh mal einer diese süßen Pfoten,
dies Seidenhaar mit einem Häubchen drauf –
es gibt da sicher manch geschürzten Knoten:
ich löst ihn gerne auf.
Wer sagte da, daß ich nicht sachlich bliebe?
(Nu sieh mal einer dieses schlanke Bein!)
Begeisterung, Freude am Beruf und ›Liebe‹ –:
So soll es sein!
Thalia stürzt sich in die Winterrobe
und macht sich bis zum Rückenwirbel bloß …
Ab wirft sie ihren Schmoddergown – ick jloobe,
jetzt geht es los.
Das Winterfieber packt die kleinsten Schmieren,
der Mime schwärzt den alten Schappohklapp,
der Direktöhr läßt das Theater renovieren
und staubt die Hypotheken ab.
Der Spielplan steigt: man wird Modernes geben,
Bongs Klassiker, Band eins bis hundertzehn,
und Ibsen, Shakespeare und Herrn Schönherrleben –
ihr werdets sehn!
Man ist erregt bis in die tiefsten Tiefen –
selbst nachts brennt Licht im Direktionsbüro.
Schon hört man unsern Holzbock interwiefen …
Rideau!
Rideau!
Das Stück hat Weltanschauung. Neben mir Ottilchen
hat weit die grauen Augen aufgemacht:
Der, nach dem Spiel, erhofft ein Kartenspielchen,
der eine Nacht …
Der Diener meldet die Kommerzienräte,
die Gnädige empfängt, ein Sektglas klirrt.
Ich streichle ihre Hand, die sonst die Hüte nähte …
Ob das was wird?
Da oben gibt es Liebe und Entsetzen,
doch so gemäßigt, wie sichs eben schickt.
»Ottilie«, flüstre ich, »vermagst du mich zu schätzen?!«
Sieh da: sie nickt.
Nun läßt mich alles kalt: die ganze Tragik
ist jetzt für mich verhältnismäßig gleich.
Und nimmt Madameken ihr Gift, dann sag ick:
»Ich bin so reich …«
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Die Luft ist klar und kalt und windig,
weiß Gott: ein Vormittag, so find ich,
wie man ihn oft erleben mag.
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle
gewiß an ebendiese Stelle,
wo dunnemals der Kurgast lag.
Ich hocke in der großen Stadt:
und siehe, durchs Mansardenfenster
bedräuen mich die Luftgespenster …
Und ich bin müde, satt und matt.
Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett.
Am Strand wär es im Herbst viel schöner …
Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner
und eine alte Operett!
Wenn ich nun aber nicht mehr mag!
Schon kratzt die Feder auf dem Bogen –
das Geld hat manches schon verbogen …
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Der Name ists, der Menschen zieret,
weil er das Erdenpack sortieret –
bist du auch dämlich, schief und krumm:
Du bist ein Individuum.
Hier sieht man nun den Dichter walten.
Er schafft nicht nur die Dichtgestalten,
nein, er benamset auch sein Kind –
und nennt es Borkman oder Gynt.
Wie aber, wenn er in den Dramen
gediegne bürgerliche Namen
benutzt und jener Bürger klagt,
damits der Richter untersagt?
»Du wirst dich von dem Namen trennen!
Mußt du ihn grade Barnhelm nennen?«
Der Richter schüttelt das Barett:
»Der Name macht den Kohl nicht fett!«
Und kurz: Wir werden was ertragen!
Schon sieht man Doktor Tassow klagen,
mit ihm in trautestem Verein
den Grünkramhändler Wallenstein.
Dem Dichter fällt in seine Leier
auch der Apotheker Florian Geyer –
dem Dichter grausts mit einem Mal:
Er numeriert sein Personal.
Wie nennt man nun die Rechtsgelehrten,
die uns mit diesem Spruch beehrten?
Wie nennt man also dies Gericht?
Hier weiß ich keinen Namen nicht.
Sieh da: nun ist der fette Dichter wieder
von seinem Winterschläfchen aufgewacht,
und er entlockt der Harfe heitre Lieder,
ti püng – die Winde wehn, der Himmel lacht.
Er schauet sanft verklärt, und eine Putte
hält über seinem Kopf den Lorbeerkranz.
Vorfrühling nähert sich, die junge Nutte,
und probt, noch schüchtern, einen kleinen Tanz.
Das Barometer droht mit seinem Zeiger:
»Nicht immer feste druff! Ich falle bald.«
Selbst Barometer schwätzen. Große Schweiger
sind selten in dem Land des Theobald.
Noch immer Zabern und Theaterpleiten,
und wie man wieder auf den Fasching geht,
Protestbeschlüsse, andre Lustbarkeiten –
und alles red’t und alles red’t.
Und wenn man dieses Deutschland sieht und diese
mit Parsifalleri- und -fallerein
von Hammeln abgegraste Geisteswiese –
ah Frühling! Hier soll immer Winter sein!
Des Morgens speit er auf die Berolina,
des Abends macht er sichs bei ihr bequem;
auf seiner Klitsche geht er mit die Hihna
zu Bett – und hier mit anderswem.
Und in den Sektlokälern stellen
sie sich wie Eichen auf, so fest und stark:
»Wat, Kuhlow, det sinn hier Marjellen?
Und Rasse ham se …!« (Zwanzig Mark.)
Am nächsten Morgen sitzt er, stramm gerötet
und gut rasiert (die Äuglein noch verklebt),
im Zirkus, wo man seine Feinde tötet
»Die roten Juden!« – und die Sitzbank bebt.
Der ganze Stall scharrt stürmisch mit den Hufen,
es schnaubt und wiehert jeder dicke Gaul,
und alles glotzt von jenen Zirkusstufen
dem alten Schimmel Oldenburg ins Maul.
… Des Morgens speit er auf die Berolina,
des Abends greift er ihr ans volle Bein.
Und das sind unsre Herrscher und Verdiener …
Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!
Der Herrgott saß auf Wolkenkissen
und sah sich seine Erde an.
Was braust herauf? Sieh da, das is ’n
Aeroplan.
Ein Offizier grüßt freundlich lächelnd.
»Gestatten! Schwaben Nummer Vier!«
– und die Propeller surren fächelnd –
»Wir sind nu hier! –
Was sagen Sie zu unserm Siege?
Wir brachen spielend den Rekord.
Wozu? Wir brauchen das zum Kriege …«
»Zum Krieg? Zum Mord!«
»Erlauben Sie, Sie sind zu schwächlich …«
»Und wer gab euch das viele Geld –?«
»Das Volk! Das Volk war es hauptsächlich
vom Rhein zum Belt.«
»Das Volk? Hat es so krumme Nacken?
Ist denn bei euch das Volk so dumm?«
Hier lachte Gott aus vollen Backen.
Man kippte um.
Mal gehts uns gut. Dann brüllt der Chor der Rache.
Die Weltenunterjocher werden wild.
Der Bizeps steigt. Der Kluge ist der Schwache.
Nur Macht ist Recht, die Mannessehne schwillt –
Mal gehts uns gut.
Mal klappts nicht so. Sieh da: die Idealen
zitieren Luther, Goethe und von Kleist.
Ein Krämervolk nur pocht auf seine Zahlen,
und man besinnt sich plötzlich auf den Geist –
Mal klappts nicht so.
Und jenachdem der Stand schlecht oder bene,
drehn sich aus ihrem kleinen Haus von Holz
Mars aus Papiermaché, Pallas Athene,
ein jedes unumschränkt und stolz –
Ganz jenachdem.
Sieh ohne Ehrfurcht auf die bunte Puppe;
sie ist beweglich, drum erkenn daraus:
Wer vorne steht, ist ja wohl gänzlich schnuppe –
der Himmel machts … und nicht das Wetterhaus!
Du wohntest irgendwo am Friedrichshaine.
Auf deiner Ehe ruhte Gottes Segen
(sechs Kinder). Deine säuerlichen Weine
ernährten nebst Versicherungsverträgen,
den Renntips, auch wohl einem Spielchen ›Meine
und deine Tante‹ dich noch allerwegen.
Bald hattst du nichts, bald hattst du blaue Scheine.
Oft sah man deine Frau die Treppen fegen.
Doch als der Welt vor Angst die Pulse stocken,
wirfst du dich auf die Marke ›Suppenkraft‹ –
da stieg dein Stern! In der Gemahlin Locken
blitzt die Agraffe auf im Band von Taft.
Von Paulchen Thumann, Stöwer und Van Gocken
hast du dir schnell das Nötigste errafft.
Und läuten einmal uns die Friedensglocken:
Was kost’t Berlin? Du hast das Ding geschafft!
Die Residenz!
Gu’n Tag, du Metropole!
Da ist auch schon der Alexanderplatz …
Verstatte, daß ich mich das Schneuztuch hole,
das Herz schlägt stürmisch unterm Busenlatz.
Du gute Spree mit dem geduldigen Rücken,
der Ruderklubs und der Mamsells Entzücken –
ich seh dich still und mächtig dreckig ziehn …
Berlin!
Die Weiche knackt. Der Zug zischt an den Hallen
der Stadtbahn lang. Da liegt der dicke Dom.
Die pfui! die Friedrichstraße will mir recht gefallen,
am Charitéhaus grünt ein Appelboom.
Die Völker auf den Straßen sind nicht ohne:
dem Gang nach lauter Jrafens und Barone.
Es riecht nach Geld. Prozente, Mensch, verdien!
Berlin!
Charlottenburg. Da steht die lange Claire,
den Bastard meiner Liebe an der Hand.
Ob auch die Rationierung an uns zehre –
der Knochenbau hält allen Feinden stand.
Das wird die rechte Wiedersehensfeier!
Ich hab (im Rucksack) fünfundsiebzig Eier –
Da hält der Zug! Die Kümmernisse fliehn …
Berlin! Berlin!
Mein gutes Blatt! Wie hast du dich verändert!
Den Musentempel schließt du beinah zu;
mit Politik, Kunst, Wirtschaft dicht bebändert,
so geht dein Vorhang auf: auch du, mein Kind, auch du?
Du willst dich gleichfalls in den Strudel stürzen?
Randstaaten? Westfront? Die Veränderungswahl?
Nur eines kann mir meinen Kummer würzen:
Es war einmal …
Es war einmal … da glaubten wir noch beide
an Kunst und an Kultur, an Menschentum –
an deine ziegelrote Wand schrieb ich mit Kreide
die Namen meiner Lieben an zum Ruhm.
Wir dachten: essen und organisieren
sind Selbstverständlichkeiten, tief im Tal –
und auf den Bergen gehen wir spazieren …
Es war einmal …
Du lieber Gott, wie hat sich das gewandelt!
Wir schuften, bis dem Land die Schwarte knackt.
Und kein Professor, der nicht gerne handelt
mit weichem Klitschebrot, das er sich backt.
Es war einmal … Glück auf zur neuen Reise!
Eng wars einmal – heut bist du bunt und weit.
Doch kehr noch manchmal dich zurück im Kreise
zur alten Zeit!
Die gnädige Frau ist hell und blond,
von sommerlichem Licht durchsonnt –
sie scheint sich schlechtgeraten.
Braun will sie sein, das dumme Kind,
braun, wie Zigeunerweiber sind –
und läßt am Strand sich braten.
Jung-Deutschlands Dichter gehn zur Zeit
in Fritz von Schillers Schülerkleid –
(der war nicht so behende).
Vom Recken wird man noch nicht groß;
bleibt ruhig noch auf Mutterns Schoß:
sie hat die klügern Hände.
Alt-Deutschland macht in Politik
und zieht Bilanz aus diesem Krieg:
Indien muß badisch werden!
Ägypten her! die Ostsee auch!
Wir treten alle vor den Bauch
mit sieghaften Gebärden!
Und so hat jeder was zu schrein.
Der Neger will ein Weißer sein,
der Fußfantrist ein Reiter …
Wir wollen aufrecht stehn, mein Kind,
und bleiben, was wir selber sind!
Ich glaub, das ist gescheiter.
Peter Panter, Mitarbeiter!
Steig doch auf die hohe Leiter!
Singe doch von aktuellen
Zeitgenossenzwischenfällen!
Laß die Liebe, laß die Damen
mit den freundlich blonden Namen;
laß die bunten Busentücher –
und vor allem: laß die Bücher!
Laß sie Bücher schreiben, drucken –
wozu da hinuntergucken!
Frisch! hinein ins volle Leben!
Aktuell mußt du dich geben!
Sieh mich an! Fast jede Woche
pfeif ich auf dem Flötenloche:
Reichstag, Wahlrecht, Osten, Westen,
Presse, Orden, Schweinemästen –!
Tanz die nationale Runde!
Kennst du das Gebot der Stunde?
Höcker macht das viel gewandter,
Peter Panter, Peter Panter!
Du mußt aktueller schwätzen,
und man wird dich höher schätzen!
Lerne du im Hurraschrein:
man darf nicht beschaulich sein.
Er ging durch alte Winkelgäßchen,
im schlappen Hut, in faltigem Rock.
Ein kleines Bäuchlein wie ein Fäßchen
… nicht jung mehr … graues Stirngelock …
Vergaß er auch sein Regendach,
man raunte: »Der versteht sein Fach!«
Ein stilles, manchmal tiefes Gewässer:
der alte Professor.
Und heut? Im lauten Weltgebrause
bewegt sich der Privatdozent.
Er redet in und außerm Hause
von Politik mit viel Talent.
Beziehungen zur Industrie
sind sehr beliebt, drum hat man sie.
Wild fuchtelnd fordert den Krieg bis aufs Messer
der neue Professor.
Man sagt, weltfremd sei er gewesen.
Wie sind sie heute so gewandt!
Man sagt: er konnte nichts als lesen.
Wie wäscht sich heute Hand und Hand!
Der lehrt nicht mehr. Der propagiert.
Und wer erzieht den, der studiert?
Ich kann mir nicht helfen, er war doch viel besser:
der alte, deutsche, zerstreute Professor.
Damals, so in den achtziger Jahren,
ist man noch nicht mit dem Auto gefahren;
alles ging seinen ruhigen Schritt,
und der alte Fontane ging ihn mit.
Ein stilles Antlitz hatten die Tage:
Frühmorgens bei Kroll, auf der Brunnenwaage
dann die Tiergartenpromenade
(»Kannten Sie Strousberg? Schade, schade!«),
dann ins Geschäft oder ins Büro,
und das ging alle Vormittage so.
Mittag zu Hause, friedliche Zeiten,
die Kinder machen Schularbeiten,
ein kleines Nickerchen mit der Zigarre,
und dann wieder in die geschäftliche Karre.
Und war der Tag besonders schön,
hieß es: »Ich habe den Kaiser gesehn!« –
Alles so sauber und preußisch und karg:
der alte Fontane und seine Mark.
Aber Fontane und alle die Alten
konnten sich auch nicht ewig halten.
Wollten noch so vieles erleben,
mußten doch gen Walhalla schweben.
Bis hin vor die Weltenesche sie ziehn,
da lagern sie sich um Vater Odin.
Tick, tick,
dreißig Jahre sind ein Augenblick.
Und als nun Michaelis den Abschied nahm,
eine Sehnsucht über Fontane kam,
und er sprach: »Herr, laß mich auf Urlaub gehn,
ich möchte die Spree noch einmal sehn.
Die Spree, die Havel, die Nette, die Nuthe,
den Schlachtensee und die Räuberkuthe;
ich kenne mich aus, und habe ich Glück,
bis Donnerstag bin ich wieder zurück.«
Odin hat huldvoll sich verneigt –
der Alte zur Erde niedersteigt.
Und zunächst in der Neumark, in der Nähe von Bentschen,
landet er. »Himmel, was sind das für Menschen!«
Und er spricht hinter Schwiebus und hinter Zielenzig:
»Dickköpfe, Hamster! und so was nennt sich
nun Märker – wir wollen westwärts ziehn!«
Und so westwärts kommt er nach Berlin.
Da ist ein Schleichen und Drehen und Schieben,
wo ist das alte Berlin geblieben?
Einer drängt immer den andern weg:
»Ham Se nich greifbaren Schweinespeck?«
Und ein Dicker steht mitten auf dem Damm
und philosophiert über Pökelkamm.
Sie treten sich an die Schienenbeine,
die jüngeren Herren spielen ›Meine – Deine‹,
sie verkaufen Frauen und Gold und Eier
und alles um die paar lumpigen Dreier.
Golden leuchtet ein Kirchturmknopf –
Und der Alte schüttelt schweigend den Kopf,