7:
Da Vinci

Es war einmal eine Frau, die hieß Anne-Marie DeAngelo. Vor Kurzem hatte sie ihren 35. Geburtstag gefeiert. Sie war mit einem Postbeamten namens Sal verheiratet und hatte drei Kinder: Robert, 12 Jahre alt, Amy, 10, und den kleinen Ricky Gene, 3, der eine Überraschung gewesen war – aber eine positive. Eine, die sie nie bereut hatte.

Anne-Marie arbeitete in einem Blumenladen namens Rainbow Inn und malte in ihrer Freizeit. Das Malen betrieb sie ausschließlich als Hobby – zumindest hatte sie sich das immer eingeredet –, aber sie war wirklich gut. Einige ihrer Arbeiten hatte sie sogar über einen örtlichen Kunstladen verkauft, der zufällig nur wenige Gebäude von Morts Comicladen entfernt lag. Eines ihrer Gemälde, DuChamps Skyline bei Sonnenuntergang, hatte verblüffende 800 Dollar erzielt und wurde im Eingangsbereich einer großen Anwaltskanzlei in der Innenstadt ausgestellt.

Sie war ein von Natur aus glücklicher Mensch und liebte sowohl ihren Ehemann als auch ihre Kinder mit einer Inbrunst, die sie selbst überraschte. Obwohl sie viel arbeitete und zahlreiche Hobbys hatte, räumte sie der Familie stets Priorität vor allem anderen ein. Ihre Familie war ihr Leben.

Dreimal die Woche ging sie ins Fitnessstudio, um sich ihre gute Figur zu bewahren, außerdem ernährte sie sich gesund und bemühte sich nach Kräften, dafür zu sorgen, dass auch ihre Familie aus gesunden, glücklichen und produktiven Menschen bestand. Sie fungierte sogar als Mitglied des Eltern-Lehrer-Ausschusses ihres Schulbezirks und als Elternsprecherin für die Klasse ihrer Tochter Amy.

Anne-Marie war rank und schlank, sonnengebräunt und blond. Außerdem besaß sie fantastische Beine, einen ansehnlichen Busen – Körbchengröße C – und einen knackigen Hintern. Keine Cellulitis weit und breit. Ihr Ehemann Sal konnte auch nach 15 Jahren Ehe nicht genug von ihrem Body bekommen. Ein Interesse, das sie durchaus genoss.

Auch er war alles andere als eine Niete. Im Bett gebärdete sich Sal trotz seiner 40 Jahre immer noch wie ein Tiger. Angriffslustig, kraftvoll, maskulin. Ganz zu schweigen von seiner prallen Bestückung. Tatsächlich besaß er die größten Eier, die Anne-Marie je gesehen hatte. Dabei hätte sie sich nie vorstellen können, dass Hoden sie derart anturnen könnten. Als Teenager hatten ihre Freundin Kathy Nader und sie eine Ausgabe des Playgirl-Magazins in einem Supermarkt mitgehen lassen und später hatten sie in Kathys Haus kichernd all die unanständigen Fotos betrachtet. Damals waren sich die beiden Mädchen einig gewesen: Hoden waren hässliche, runzlige Dinger. Wie große rosa Rosinen, denen krause Haare wuchsen. Aber wenn sie sich an Sals mächtige Kokosnüsse schmiegte, wurde Anne-Marie jedes Mal megafeucht im Schritt. Sie schämte sich ein bisschen dafür.

Sal war ein attraktiver Mann mit gewelltem dunklem Haar, das an den Schläfen zunehmend ergraute. Frauen flirteten ständig mit ihm, manchmal unmittelbar in Anne-Marias Gegenwart. Ab und an stellte sie sich die Frage, ob Sal sie jemals betrogen hatte – und dabei erfüllte sie eine Mischung aus Eifersucht und Erregung –, aber er schien ihr treu ergeben zu sein, und sie hatte ihn noch kein einziges Mal dabei erwischt, entsprechende Flirtversuche zu erwidern.

Ein anständiger netter Kerl im altmodischen Sinn, das war ihr Sal.

So etwas wie ihn gab es in den jüngeren Generationen nicht mehr. Er sorgte gut für sie und war stolz darauf, dass es seiner Familie an nichts mangelte. Anne-Maries Einkommen wurde für Lebensmittel und gelegentliche Extras wie Filme aus der Videothek und Geburtstagspartys ausgegeben. Darüber hinaus verschaffte es ihr gerade genug finanzielle Freiheit, um sich als unabhängige Frau zu fühlen, aber den echten Brötchenverdiener verkörperte Sal. Besser noch, er rieb es ihr nie unter die Nase, wie es ihr Vater regelmäßig bei ihrer Mutter getan hatte.

Nicht selten hielt sie sich für die glücklichste Frau der Welt.

Anne-Marie DeAngelo zog sich das Armageddonvirus am 31. August zu, als sie ihre beiden älteren Kinder von der Schule abholte. Es war derselbe Tag, an dem Mort Lesser seinen ersten Zombie sah, und kurz nachdem Fred Moore in der Gasse hinter PENG Comics ermordet wurde, ehe eine junge, untote Frau mit einem Hello-Kitty-T-Shirt das Gehirn aus seinem gespaltenen Schädel hervorholte und verschlang.

Es war ein Montag kurz nach 15 Uhr. Eine der anderen Elternsprecherinnen war ans Autofenster gekommen, um ein wenig zu tratschen, bevor die Glocke läutete und die Kids herauskamen.

Die andere Mutter, eine Rothaarige namens Sharon Yates, übertrug das Virus auf Anne-Marie, als sie über Helen Dorsky redeten, eine weitere Elternsprecherin, die gerade von ihrem Ehemann geschieden wurde, weil er sie im Bett mit ihrem Zahnarzt erwischt hatte.

Sharon war ein echtes Original; die Art von Frau, die manche Menschen vielleicht als »schrullig« beschrieben hätten. Als sie über Helen Dorskys eheliche Probleme lachte – »Lässt sich die doch glatt von ihrem Zahnarzt pimpern«, wie Sharon es ausdrückte –, quollen ihr auf mikroskopisch kleinen Tröpfchen in ihrem Atem Millionen mutierte Bakteriophagen aus Mund und Nase. Mehrere Hunderttausend davon flogen direkt in Anne-Maries Gesicht, während sie lächelnd hinter dem Lenkrad ihres SUV saß und nickte. Die Erreger strömten in ihre Lunge, als sie einatmete, um mit ihrer Freundin zu kichern. Auch Ricky Gene inhalierte ein paar Tausend, als er auf dem Rücksitz mit rot gefleckten Engelslippen friedlich Kirschlimonade aus seiner Schnabeltasse schlürfte.

Schließlich bimmelte die Glocke und unterbrach Sharons todbringenden Monolog. »Ups! Es läutet. Ich sollte besser zurück zum Auto. Wir sehen uns, Schätzchen«, plapperte Sharon vergnügt. Dann wanderte sie mit wogenden Hüften davon. Die Rosen- und Rankentätowierung ihres Arschgeweihs lugte dabei über den Bund ihrer blauen Jeans hervor. Auf dem Rücksitz quiekte Ricky Gene: »’obert! ’obert kommt, Mama!« Die Kinder stiegen ein, zuerst Robert, dann Amy mit einem Schmetterlingsaufkleber auf der Wange.

»Ich will ’n Aufkleber!«, krähte Ricky Gene.

»Der gehört mir, Ricky. Ich hab ihn bekommen, weil ich so brav gewesen bin«, erklärte Amy hochnäsig. »Wenn du groß genug bist, um zur Schule zu gehen, kriegst du vielleicht auch einen.«

»Ma-ma!«, quengelte Ricky.

Als es Zeit zum Schlafengehen wurde, waren alle drei Kinder infiziert.

Anne-Maries Ehemann Sal gehörte zu den äußerst seltenen Menschen mit dem Gendefekt, durch den er immun gegen den mutierten Phagen war, doch wie bei so vielen der Immunen, die in den Wochen nach dem Ausbruch der Epidemie durch Gewalt oder Unfälle starben, half auch ihm sein genetisches Glück herzlich wenig.

Trotz des guten Gesundheitszustands der gesamten DeAngelo-Sippe konnten die Immunsysteme der Familienmitglieder die Infektion nur eine gewisse Zeit lang in Schach halten. Schon am nächsten Morgen bekamen alle drei Kinder Fieber. Anne-Marie wollte in der Schule anrufen, um Bescheid zu geben, dass ihre Sprösslinge an diesem Tag nicht zum Unterricht erschienen, aber ihr Mobiltelefon funktionierte nicht. Kurz summte es, dann teilte ihr eine aufgezeichnete Stimme mit, dass das Netz vorübergehend ausgefallen sei. Techniker seien bereits damit beschäftigt, die Störung zu beheben, und man bitte, etwaige Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. »Pfeif drauf«, murmelte Anne-Marie schniefend und kehrte ins Bett zurück. »Rutsch rüber, Kleiner«, forderte sie Ricky Gene auf, der in seiner Pyjamahose verschwitzt und mit blassem Gesicht lang ausgestreckt in ihrem Bett lag.

Gegen zehn Uhr war Anne-Marie zu krank, um noch einmal aufstehen zu können.

Immer wieder suchten sie seltsame Träume heim. Ihre Muskeln wechselten zwischen heftigem Zittern und qualvollen Krämpfen hin und her. Ihre blutunterlaufenen Augen trieben in Tümpeln klebriger Tränen, während sie heiser hustete und Pfropfen gelblichen, ansteckenden Schleims ausspuckte. Sie erwachte und wälzte sich herum, weil sie nach ihrem jüngsten Kind sehen wollte. Als es ihr nicht gelang, Ricky Gene zu wecken, versuchte sie, Sal bei der Post anzurufen. Ihr Handy funktionierte immer noch nicht. Sie wollte aufstehen, um Ricky Gene irgendwie ins Krankenhaus zu schaffen, und brach auf dem Boden neben dem Bett zusammen.

Anne-Marie starb um 12:32 Uhr.

Ihre letzten Gedanken galten ihren Kindern.

Sal kam an jenem Tag voller Panik früh nach Hause. Überall wimmelte es von Soldaten und Polizei. Auf den Straßen randalierten Menschen. Er hatte Gerüchte über einen Terroranschlag gehört, über eine Krankheit, aber keine konkreten Informationen. Eine der Fahrerinnen der Post war angegriffen worden und mit mehreren Bisswunden und Kratzern an Armen, Händen und im Gesicht zur Poststelle zurückgekehrt. Kurz nachdem der Postamtsleiter die Türen abgesperrt hatte, war Sal durch einen der Hinterausgänge hinausgeschlichen, weil sich vorne ein Verrückter befand, der brüllend gegen das Glas hämmerte.

Sal hatte vor, die Familie ins Auto zu laden und aus der Stadt zu schaffen. Seine Eltern besaßen oben im Norden eine Hütte. Sie lag abgeschieden und verfügte über ausreichende Lebensmittel- und Wasservorräte. Dorthin konnten sie sich in Sicherheit bringen, bis dieser Wahnsinn endete und sich die Zustände normalisierten.

Anne-Marie stand reglos mitten im Wohnzimmer, als er die Eingangstür öffnete.

Über ihre Augen hatte sich ein Schleier gelegt. Ihre Haut wirkte bleich und wächsern. Sie stand mit hängendem Kopf und ins Gesicht fallenden Haaren da. Ihre Brust hob und senkte sich, begleitet von einem Geräusch, das wie nasser Schotter in einem Blasebalg klang.

»Schatz, wir müssen aus der Stadt weg!«, stieß Sal atemlos hervor. Die Tür hatte er da noch gar nicht geschlossen.

»Irgendetwas wirklich Schlimmes geht vor sich. Ich bin nicht sicher, was genau, aber es sind überall Polizisten. Die Menschen randalieren auf den Straßen und ...«

Endlich fiel ihm die Blässe ihrer Haut auf. Und der von ihrem Kinn tropfende Schaum.

»Schatz?«

Bevor er fragen konnte, was ihr fehlte, rannte sie auf ihn zu.

Ihre Finger krümmten sich zu Klauen. Ihr anmutiges Gesicht hatte sich zu einer grauenhaften Halloween-Maske verzerrt, die von Wut und Hunger kündete. Sie prallte so heftig mit ihm zusammen, dass sie ihn von den Beinen holte. Zusammen fielen sie auf den antiken Tisch, auf den sie immer ihre Schlüssel warfen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kamen. Das 100 Jahre alte Kirschholz splitterte.

Sal wollte seine Frau von sich wegstoßen, doch sie biss ihm Zeige- und Ringfinger ab. Ein einziges Mal schrie er auf, dann pulte sie ihm mit den Fingernägeln den Kehlkopf heraus.

Als der kleine Ricky Gene mit offener Kinnlade und wirr abstehenden Haaren 20 Minuten später in seiner Pyjamahose die Treppe heruntergewankt kam, kauerte Anne-Marie gerade über ihrem getöteten Opfer und knurrte ihren Sohn an.

Ricky Gene beschrieb vorsichtig einen weiten Bogen um seine Mutter und ging leise stöhnend in den Garten vor dem Haus.

Anne-Marie beobachtete, wie der kleine Junge über den Rasen und auf die Straße tapste, die Lippen von den Zähnen zurückgezogen. Dann beugte sie sich zwischen die Oberschenkel ihres Ehemanns. Sie schlug die Zähne in seinen Hodensack und riss knurrend den Kopf hin und her, bis sich das Gewebe löste. Blut rann ihr über das Kinn. Wohlige Empfindungen breiteten sich wie seidige Schmetterlingsflügel in ihrem Körper aus, als sie das warme, nasse Fleisch hinunterschluckte.

Inzwischen streifte Anne-Marie ziellos durch die Straßen. Ihre Haut spannte sich straff über die Knochen. Sie glich einer wandelnden Vogelscheuche mit verfilztem Blondschopf. Ungeachtet der konservierenden Eigenschaften des Organismus, der ihren Körper erst getötet und anschließend wiederbelebt hatte, zersetzten sich Organe und Haut zunehmend. Ihr bläulich-schwarzes Gesicht strotzte vor offenen Stellen. Maden krümmten sich in ihren Ohren und in den Wunden an ihren nackten, einst so glatten und sonnengebräunten Beinen.

Sie trug immer noch Shorts, ein ärmelloses T-Shirt und einen Morgenmantel – die Aufmachung, in der sie gestorben war, wenngleich der Stoff ausgebleicht war und auszufransen begonnen hatte. Ihr aufreizendes Nachtgewand war ein Bündel Lumpen.

Sie bewegte sich steif und stöhnte bei jedem Schritt vor Schmerzen. Es lag mehrere Tage zurück, seit sie zuletzt gefressen hatte – einen Teenager, den sie von seinem Fahrrad geschnappt hatte, als er panisch an ihr vorbeifahren wollte. Er hatte sich zu sehr auf das Rudel der ihm hinterherhetzenden Zombiehunde konzentriert, um sie rechtzeitig zu bemerken. Ohne frisches Fleisch als Brennstoff für die Lebensprozesse des unersättlichen Erregers fraß er sie von innen heraus auf. Wenn sie nicht bald Beute erlegte, drohte sie weiter zu verwesen und noch steifer zu werden, bis nur noch eine träge, unbewegliche Kreatur aus Knochen, Sehnen und starrem, ausgetrocknetem Gewebe zurückblieb.

Sie besaß keinerlei Erinnerung an ihre glückliche Vergangenheit als Lebende, doch das kam einem Segen gleich. Anne-Marie verfügte weder über ein Selbstempfinden noch über fortgeschrittene mentale Abläufe oder ein Verständnis für Konzepte wie Vergangenheit und Zukunft, Ursache und Wirkung. Nichts. Sie existierte einfach nur. Und diese Existenz reduzierte sich im Wesentlichen auf zwei Faktoren: Schmerz und Hunger.

An diesem Tag stakste sie die Parkway Road hinunter. Auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt sprangen Mort Lesser und Peter Bolin gerade in den Fond eines schwarzen Mercedes-Benz. Die Kreatur, die einst Anne-Marie DeAngelo gewesen war, humpelte den Gehweg entlang, während jede Zelle ihres Körpers brannte und nach Nahrung brüllte: eine schaurige, hohle, welke Schreckensgestalt.

Sie spürte, wie der Regen auf sie herabprasselte, kalt und nass, doch das hatte keinerlei Bedeutung für sie, stellte lediglich eine inhaltlose physische Empfindung dar. Einst hätte sie ein verregneter Nachmittag mit süßer Melancholie erfüllt, sie dazu bewogen, entweder zu malen oder zu ficken, mittlerweile jedoch machte sie der graue Himmel weder fröhlich noch traurig. Sie hoffte nicht einmal, etwas Heißes und Feuchtes zum Fressen zu finden. Hoffnung überstieg ihre geistigen Fähigkeiten genauso sehr wie Vernunft oder Erinnerung. Sie schlurfte einfach vor sich hin und stöhnte jedes Mal, wenn sich ihre nackten Füße auf das nasse Straßenpflaster senkten. Jeder Schritt fühlte sich an, als laufe sie über scharfkantige Glasscherben.

Sie vernahm ein Geräusch, das ihre Aufmerksamkeit erregte, und ihr Stöhnen verstummte. Anne-Marie legte den Kopf schief und lauschte. Die milchigen Augen rollten dabei in den Höhlen hin und her.

Ein Geräusch von Essen!

Sie besaß kein Wort mehr für Essen, ebenso wenig für die akustischen Wahrnehmungen, die verrieten, dass sich Essen in der Nähe befand. Das alles lag hinter ihr. Ein lebendiger Mensch hätte sich gedacht: Musik! Aber Anne-Marie dachte überhaupt nicht mehr. Ihr blieben nur Empfindungen und Instinkte. Äußere Reize und Hunger.

Das Geräusch von Essen bestand aus einem leisen, rhythmischen Wehklagen, aber es bohrte sich wie rot glühende Nadeln in ihre Ohren und den Schädel. Lippen wie faulige Egel zogen sich von ihren Zähnen zurück, die mittlerweile schartig und schimmlig geworden waren, glitschig und scharf. Die meisten davon hatte sie beim Nagen an Knochen abgebrochen, wenn sie sich instinktiv abgemüht hatte, an das Mark im Inneren zu gelangen, erstmals beim Oberschenkelknochen ihres Ehemanns.

Sie erinnerte sich nicht an den Namen des Mannes, der gerade sang. Einst hatte es sie mit Freude erfüllt, Johnny Cash zu hören, aber die Frau, die früher mit ihrem Angetrauten Schallplatten gesammelt, sie in Ramsch- und Musikläden gekauft und spätnachts, nachdem die Kinder im Bett waren, in seinem Arbeitszimmer angehört hatte – die existierte nicht mehr als bewusstseinsfähiges Wesen.

Sie setzte sich stolpernd in Bewegung, hielt auf die Melodie zu und knurrte dabei angesichts der Schmerzen, die sie in ihrem Kopf verursachte.

Töten – fressen – töten – fressen!

Schließlich erfasste sie es mit den Augen. Einen kleinen schwarzen Kasten mit einer grauen, um den Griff gewickelten Schnur.

Bei der grauen Schnur handelte es sich um eine Wäscheleine, doch das wusste sie nicht. Der kleine schwarze Kasten war ein batteriebetriebener Kassettenrekorder. Auch das wusste sie nicht. Die Wiedergabetaste hatte jemand mit schwarzem Isolierband in der Abspielposition festgeklebt und das Gerät selbst in Stoff gehüllt, um es gegen Stöße abzuschirmen.

Durch die trüben Linsen ihrer milchigen Augen nahm Anne-Marie ausschließlich vage Konturen wahr, Licht und Schatten, Bewegung. Sie verließ sich vor allem auf Geruch und Geräuschentwicklung, um ihre Beute anzuvisieren.

Anne-Marie stolperte darauf zu. Knurrend streckte sie die knorrigen Hände danach aus.

Töten! Töten! Es tut so weh!

Sie wollte diesem Etwas die Eingeweide herausreißen, es auf den Boden schmettern, es totmachen, es zum Schweigen bringen und fressen.

Die Schnur straffte sich. Der Kassettenrekorder schlitterte von ihr weg.

Anne-Marie – oder vielmehr die seelenlose Kreatur, in die sich Anne-Marie verwandelt hatte – tastete dahinter her.

Das Gerät holperte über den Gehweg. Überquerte die Straße. Hopste den Bordstein hinauf.

Sie folgte.

Die zuckende Wäscheleine spannte sich über das Straßenpflaster zu einem Gebäude mit grauen Mauern, dann verlief sie nach oben und verschwand durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss.

Aus dem Augenwinkel nahm Anne-Marie Bewegung wahr. Sie richtete die Aufmerksamkeit von den verhassten Geräuschen, die aus dem kleinen schwarzen Kasten drangen, zu dem Schatten, der jenseits des Fensters schwankte. Sie fauchte. Sogar das Drehen des Kopfs kam Höllenqualen gleich, und sie wollte das Schattenwesen töten, das sie bewogen hatte, den Schädel diesen Schmerzen auszusetzen.

Plötzlich registrierte sie etwas, das aus dem offenen Fenster durch die Luft sauste, ein Aufblitzen von Rot, und hörte ein schwirrendes Geräusch.

Ein Pfeil durchschlug ihren Hals. Die Wucht des Treffers brachte sie zum Taumeln. Aus ihrem Nacken ragten knapp zehn Zentimeter des Schafts und eine große, brutal aussehende, viergeteilte Spitze. Sie versuchte, die Hände zu heben und den Gegenstand aus ihrem Fleisch herauszuziehen, aber ihre Arme versagten den Dienst. Kraftlos sank sie auf die Knie und schwankte noch kurz, ehe sie schlaff auf die rechte Seite fiel.

Ein lebendiger Mensch wäre innerhalb weniger Augenblicke an Schock oder massivem Blutverlust gestorben. Die breite Pfeilspitze wies messerscharfe Kanten auf und hatte auf ihrem kurzen Weg durch den Körper verheerende Schäden angerichtet, indem sie Haut und Speiseröhre, Muskelgewebe und Nerven zerfetzte. Aber Anne-Marie DeAngelo war technisch gesehen bereits tot. Obwohl die Spitze ihr Rückenmark sauber durchtrennt hatte, blutete sie kaum aus der schweren Verletzung und nahm ihre Umgebung weiterhin wahr.

Sie beobachtete, wie der Kassettenrekorder rasch die Mauer hinaufwanderte und durch das Fenster verschwand. Gleich darauf verstummte die Musik.

Zwischen Nocke und Befiederung war ein Metallring in den Schaft des Pfeils eingelassen. Am Ring fand sich eine extrem stabile, geflochtene Angelschnur befestigt. Die Schnur straffte sich. Der Schaft wurde aus ihrer Kehle gezogen, bis die breite Spitze Zug auf ihren Nacken ausübte. Ihr gesamter Körper bewegte sich mit einem Ruck vorwärts und schlitterte über das nasse Pflaster dem Fenster entgegen.

Zu Lebzeiten hatte Anne-Marie 55 Kilogramm gewogen. Als Erwachsene war sie nie stark von diesem Gewicht abgewichen, außer während der Schwangerschaft. Die Kreatur, in die sich Anne-Marie verwandelt hatte, wog jedoch nur knapp 30 Kilo – ein Wert, der sich deutlich unterhalb der maximalen Belastbarkeit der Angelschnur bewegte.

Sie wurde über den Gehweg und über die kalte graue Mauer des Gebäudes nach oben geschleift. Hoch und höher, mit jedem Ruck noch einen halben Meter. Schlaff klatschte ihr Körper durch das offene Fenster, knochenlos wie eine Lumpenpuppe.

Als sie still lag, starrte sie zu einem korpulenten Mann in weißer Jeans, fleckigem weißem Hemd und Schürze empor. Er trug knallgelbe Gummihandschuhe. Da sie nach wie vor die Gesichtsmuskeln bewegen konnte, knurrte sie ihn an und bleckte die scharfen grünlichen Zähne. Selbst in diesem Zustand wollte sie ihn noch töten und fressen.

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»Ja, du bist eine Wilde«, kommentierte der Mann ihr Gebaren. Er trug eine Schutzbrille und ein gelbes Kopftuch mit grinsenden weißen Totenschädeln. Eine Weile beobachtete er den Zombie, um sich zu vergewissern, dass er gelähmt war und keine Gefahr darstellte, dann schlenderte er davon.

Der Raum hatte einst gleichermaßen als Versand- und Wareneingangsbüro gedient. Kittfarbige Aktenschränke, Informationstafeln mit Routeneinteilungen und Arbeitsplänen, die jemand mit abwischbaren Stiften darauf gekritzelt hatte, sowie Korkplatten mit einer Vielzahl fotokopierter Memos, Rechnungen und gelben Haftnotizen säumten die Wände. Auf einem der Aktenschränke stand eine unfassbar hässliche Affenlampe mit einem Palmblatt als Schirm – der auf dem Flohmarkt entdeckte Schatz eines früheren Angestellten. Ein am Lampenschirm angebrachter, handgeschriebener Zettel verkündete: DIESER JOB MACHT BEKLOPPT! Außerdem befanden sich im Raum drei massive Schreibtische aus Eichenholz, die irgendwann in den 70er-Jahren hergestellt worden sein mussten, und ein großer, kaum jüngerer Kopierer. Den grauen Industrieteppich besudelten die konzentrischen rostbraunen Flecken der früheren Opfer des korpulenten Mannes. Richard Rourke angelte sich bereits seit drei Wochen von diesem Büro aus Zombies.

Vor dem Ende der Welt hatte das Gebäude die Zentrale der DuChamp Freight Company beherbergt. Das Unternehmen hatte 90 Jahre lang von diesem Standort aus operiert. Es war in den Goldenen 1920ern gegründet worden und hatte im Laufe der Jahrzehnte konstante, wenngleich bescheidene Gewinne abgeworfen, sogar während der Weltwirtschaftskrise und der zahlreichen Rezessionen und Treibstoffengpässe danach. Durch die Ladezone dahinter verliefen immer noch kreuz und quer Eisenbahnschienen, obwohl das Unternehmen seit 50 Jahren nichts mehr per Bahn zum Kunden geschickt hatte. Seit der Zombieapokalypse diente Rourke das Gebäude als persönliche Festung.

Er hatte sich für das Transportunternehmen entschieden, weil er sich hier auskannte. Fast ein Jahrzehnt lang hatte er auf mittlerer Managementebene als Abteilungsleiter bei DuChamp Freight gearbeitet, auch wenn der Job immer nur als Fassade für seine eigentliche Tätigkeit diente.

In seinem Leben vor dem Virus Z war Richard Rourke Auftragsmörder gewesen. Die Gangsterfamilie, der die DuChamp Freight Company gehörte und die ihn als hauseigenen Attentäter beschäftigte, hatte ihn Da Vinci getauft und sich darauf verlassen, dass er für sie Spitzel, lästige Polizeibeamte, die sich nicht bestechen ließen, und gelegentlich den einen oder anderen Konkurrenten aus dem Weg räumte. Als das Armageddonvirus durch die Stadt fegte, bekam Rourke von allen Angestellten des Transportunternehmens mit deutlichem Abstand das höchste Gehalt. Er kassierte Monat für Monat so viel Geld, dass dagegen selbst das Salär des Geschäftsführers kümmerlich wirkte. Die Familie bezahlte ihn großzügig, weil er seine Arbeit sehr, sehr gut erledigte.

Beide Jobs, um ehrlich zu sein – sowohl seine Tagesarbeit als auch die nächtliche Tätigkeit.

Seine Abteilung führte er äußerst effektiv: methodisch, pragmatisch und mit einem gewissen Hang zur Perfektion. Seine Untergebenen fürchteten ihn, und das zu Recht. Mit Müßiggängern hatte er ebenso wenig Geduld wie mit inkompetenten Mitarbeitern. Im Büro wurde er wegen der Zahl der Beschäftigten, die er bereits gefeuert hatte, weil sie ihre Aufgaben nicht seinen Erwartungen gemäß erfüllten, scherzhaft als Schwarze Witwe bezeichnet. Natürlich hätte niemand gewagt, Rourke von Angesicht zu Angesicht so zu nennen. Niemals. Seine Abteilung galt als die effizienteste und produktivste der gesamten Firma. Allgemein mochte man ihn nicht, aber er wurde respektiert, und das freute ihn mehr als alles andere.

Aus denselben Gründen war er ein guter Auftragsmörder.

Sein einziges Zugeständnis an seine Individualität als Killer bestand darin, dass er seine Zielpersonen gern mit selbst kreierten Waffen beseitigte. Tatsächlich verkörperte Rourke mehr als bloß einen Handwerker des Todes – er fühlte sich als Künstler. So hatte er sich auch seinen Spitznamen erarbeitet: Da Vinci.

Der Konstruktion und Herstellung von Instrumenten des Todes galt seine ganze Leidenschaft. In seiner Wohnung stapelten sich Skizzen für alle möglichen Tötungsvorrichtungen, von recht banalen – Messer, Schusswaffen, Pfeile – bis hin zu außergewöhnlichen.

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In mühevoller Kleinarbeit hatte er unzählige Mordinstrumente angefertigt: mechanische Gestelle, die Menschen in Stücke rissen oder sie einen Fleischstreifen nach dem anderen zusammenstutzten. Gerätschaften mit Federantrieb, die einen von den Füßen aufwärts zerkauten und die Fleischreste an der Rückseite ausspien. Seltsame Objekte. Sexuell orientierte Objekte. Er besaß eine Vorrichtung, die man dem Opfer rektal einführen und dann auslösen konnte, wodurch rasiermesserscharfe, versenkbare Haken ausfuhren. Das selbstschmierende Gerät verfügte über eine Kurbel, die man drehen konnte, um das Penetrationsende rotieren zu lassen. Manchmal brachte er auch einen mehrgliedrigen Gegenstand zum Einsatz, den er die »Schamkapsel des Teufels« nannte und den er sich an den Schwanz schnallen konnte, um seine Opfer damit zu Tode zu vögeln.

Rourke besaß Dutzende Spiralblöcke mit Tabellen und Plänen für weitere brutale Folter- und Mordwerkzeuge, alle geordnet und mit Anmerkungen versehen, aber seine Lieblingsskizzen hingen an den Wänden seiner Werkstatt. Er bezeichnete das als seinen Altar des Todes, seine einzige romantische Anwandlung. Der Tod verkörperte seine Göttin, sinnierte er manchmal. In all ihren verführerischen Formen.

Sein Kontaktmann hatte die Skizzen bei dem einzigen Besuch gesehen, den er Rourkes Werkstatt jemals persönlich abgestattet hatte.

Rourke kannte ihn nur als Mr. Smith, obwohl er fast das gesamte Jahrzehnt, das er für die Familie gemordet hatte, als sein Ansprechpartner fungierte. Damals war Smith persönlich vorbeigekommen, um dem Killer auf Geheiß ihrer gemeinsamen Auftraggeber eine Botschaft zu überbringen. Der Mann war mittelgroß und hatte schiefergraues dichtes Haar, das er von der Stirn gerade nach hinten kämmte. In jeder Hinsicht eine unauffällige Erscheinung – abgesehen von den Augen. Da Vincis Kontaktmann verfügte über die grauen, seelenlosen Augen einer Ziege.

Smith hatte all die Skizzen und halb fertigen Tötungsfantasien betrachtet und nervös aufgelacht. »Sie sind ja ein regelrechter Da Vinci, was?«, hatte er mit seiner weichen, kultivierten Stimme gemeint – und der Spitzname hatte sich im Anschluss in der Unterwelt wie eine ansteckende Krankheit verbreitet.

Offensichtlich war Smith so beeindruckt gewesen, dass er es gegenüber Rourkes Auftraggebern erwähnt hatte. Er ist ein regelrechter Da Vinci ... Und sein Boss hatte den Einfall übernommen. Anfangs hatte Rourke mit dem Gedanken gespielt, Smith aufzuspüren und für diesen Fehltritt zu töten, doch letzten Endes hatte er es dabei bewenden lassen. Irgendwie mochte er seinen neuen Spitznamen sogar. Er schmeichelte seiner Eitelkeit.

Der Pfeil, den er benutzt hatte, um Anne-Marie zu fangen, stellte ein gutes Beispiel dar. Rourke hatte das Geschoss selbst entwickelt. Der handgefertigte Schaft bestand aus Sitka-Fichtenholz, das sich durch ein beeindruckendes Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht und ungewöhnliche Stoßdämpfungseigenschaften auszeichnete. Für die Befiederung hatte er eine Truthahnfeder verwendet, obwohl er in entsprechender Stimmung Pfauenfedern bevorzugte. Die elegante, verheerende Pfeilspitze hatte er sich selbst ausgedacht, und wenngleich er eine Schlosserei aus dem Ort damit beauftragt hatte, sie anzufertigen, hatte er persönlich alle vier Durchdringungskanten geschärft.

Auch der Bolzenschussapparat, den er von einem der großen Eichenholzschreibtische holte, stellte eine seiner eigenen Kreationen dar. Die Funktion unterschied sich nicht von anderen Bolzenschussapparaten, wie man sie etwa für Rinder benutzte, aber der Edelstahllauf und der Griff wiesen bewusst eine Phallusform auf. Die Pistole, die er zu dem gelähmten Zombie trug, ähnelte einer Requisite von H. R. Giger für einen Science-Fiction- oder Horrorstreifen und wirkte ebenso beängstigend erotisch wie tödlich.

Sie zählte zu seinen Lieblingsinstrumenten.

Gladius mortis.

Schwanz des Todes.

In den vergangenen zehn Jahren hatte er die Waffe recht häufig zum Einsatz gebracht. Sie feuerte einen angespitzten Stahlbolzen in den Körper des Opfers ab, angetrieben von der explosiven Kraft einer Platzpatrone. Der Bolzen drang in den Schädel der Zielperson ein und zermatschte das Gehirn, tötete schlagartig. Nach dem Abfeuern konnte man den Bolzen wieder in den Lauf einholen. Da weder eine Patrone noch eine Hülse zurückblieben, die ein Forensiker untersuchen konnte, gestaltete es sich für die Gesetzeshüter nahezu unmöglich, den Überresten seiner Anschläge irgendwelche Beweise abzuluchsen.

Falls man die Leichen überhaupt fand. Was in den meisten Fällen nicht geschah.

Und für gewöhnlich kam Rourke obendrein zum Höhepunkt, wenn er die Waffe benutzte.

Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um ein männliches oder weibliches Opfer handelte. Es war nicht einmal das Töten selbst, das ihn zum Orgasmus kommen ließ. Nicht wirklich. Für die Ekstase sorgte die Intimität jenes letzten Augenblicks, den er mit den Opfern teilte, unmittelbar bevor er sie in endlose Finsternis schickte – in der Regel, wenn sie dabei um ihr Leben bettelten.

Richard Rourke hatte ein Geheimnis. Und dadurch, dass er es mit ihnen teilte, starben sie quasi gemeinsam.

Für Da Vinci: la petite mort, die französische Umschreibung für den Orgasmus, was wörtlich »der kleine Tod« bedeutete.

Für seine Opfer: der große Tod. Der wahre.

Rourke kauerte sich neben die Wiedergängerin, die ihn mit unverhohlener Wut finster anstarrte. Früher mochte sie einmal eine attraktive Frau gewesen sein, nun jedoch verkörperte sie nur noch ein Objekt; eine geistlose, mordlüsterne Kreatur. Er wischte ihr mit einer Fingerspitze eine steife, farblose Strähne aus dem Gesicht und beobachtete, wie sich der Mund bewegte, angewidert von den schimmligen Zähnen und den von Schaum verkrusteten schwarzen Lippen. Die milchigen Augen zuckten in den Höhlen hin und her wie die eines in die Falle getriebenen Tiers.

In den guten alten Zeiten, bevor die gesamte Welt der Lebenden von der Zombieseuche ausgelöscht worden war, hatte Da Vinci seine Opfer häufig außer Gefecht gesetzt, bevor er sie tötete. Wenn er es nicht eilig hatte. Manchmal fesselte er sie oder fixierte sie mit Klebeband an Stühlen. Manchmal durchtrennte er ihre Sehnen, damit sie sich nicht mehr bewegen konnten. Erst, wenn sie ihm hilflos ausgeliefert waren, fühlte er sich selbstsicher genug, um sein Geheimnis einem anderen menschlichen Wesen zu offenbaren.

Er hatte diese Interaktion, diese Macht, die er über seine Opfer hatte, bevor er sie tötete, immer zu schätzen gewusst. Manchmal redete er stundenlang mit ihnen, und wenn die Zeit zum Sterben kam, erledigte er sie so kurz und schmerzlos wie möglich, denn das zeichnete einen echten Profikiller aus. Und wenn der Bolzen in ihr Gehirn eindrang, die Klinge in ihr Fleisch sank oder die Garrotte ihnen die Luftzufuhr abschnitt, beugte er sich dicht heran, streifte mit den Lippen die zarte, sinnliche Haut ihrer Ohren, flüsterte ihnen sein finsterstes, verborgenstes Geheimnis zu und gestattete es sich, zu kommen, ließ seinen harten Prügel üppige Mengen heißen, glitschigen Samens in seine Unterhose spritzen. La petite mort. Genau dann, wenn er ihr Leben auslöschte.

Aber diese ... Kreaturen. Für sie empfand er nichts. Anfangs hatte er mit ihnen geredet, allerdings musste er rasch erkennen, dass sie kein Wort verstanden, das er zu ihnen sagte. Sie besaßen keine Intelligenz. Keine Seele. Obwohl er einen Ständer bekam, wenn er sie tötete – was wohl daran lag, dass sie nach wie vor menschlich aussahen und dadurch eine sexuelle Reaktion auslösten –, verspürte er bei ihnen keine echte Intimität. Mit ihnen konnte er sein Geheimnis nicht teilen ... und es kam ihm bei ihnen auch nie.

Allmählich steuerte er auf einen Samenstau zu.

Sein Schwanz zeichnete sich als stocksteifer Prügel im Schritt seiner Hose ab. Da Vinci setzte den Bolzenschussapparat an den Lippen des Zombies an. »Willst du wissen, was mein Pa immer mit mir gemacht hat?«, fragte er. Dabei streichelte er mit der kalten Metallspitze der Waffe über die Lippen der Kreatur, bevor er sie ihr in den Mund schob. Der Zombie verzog das Gesicht und versuchte, in den Lauf der Pistole zu beißen. Da Vinci verengte die Augen, suchte nach wenigstens einem einzigen Funken von Intelligenz, schwenkte den Lauf der Waffe in Richtung des Gaumens und drückte enttäuscht den Abzug.

Die Kreatur, die einst eine nette Dame namens Anne-Marie DeAngelo gewesen war, zuckte noch einige Sekunden lang, während ihr Gehirn in sich zusammenfiel. Dann starb sie zum zweiten und letzten Mal auf dem Boden des Wareneingangs- und Versandbüros der DuChamp Freight Company.

Da Vinci zog seinen Pfeil durch den Nacken des Zombies heraus, legte ihn beiseite, richtete sich auf und holte seinen Fleischerhaken. Er bohrte ihn durch den Kiefer des Kadavers wie ein Metzger durch eine Rinderhälfte und schleifte das Wesen aus dem Raum.

Da Vinci beförderte den Leichnam durch die Gänge, ließ ihn die Treppen hinunterholpern und -poltern und hievte ihn schließlich auf eine der Verladerampen. In der Kammer türmten sich mehrere Haufen von Zombiekadavern, alle fein säuberlich aufgestapelt wie Feuerholzscheite. Der Geruch im Verladebereich war grausam. Fliegenschwärme surrten umher. Maden krochen über die Leichen.

Da Vinci lud den Körper auf den Stapel, an dem er an diesem Tag arbeitete, und schlenderte zurück ins Büro, um sich einen weiteren Zombie zu angeln.

Er versuchte, seinen Tagesrekord zu brechen. An diesem Tag stand er bereits bei 14. Noch drei weitere und er hatte sein Ergebnis vom vergangenen Montag übertroffen. Seine bisherige Bestmarke.

Zumindest konnte er sich damit die Zeit vertreiben.