Schmutztitel

Henriette Wich

Titel

Mission Pferdeshow

Kosmos

Umschlagillustration von Natascha Römer-Osadtschij, Schwäbisch Gmünd

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

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© 2013 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-440-13834-2

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Blume

Zauberkräfte

»Stopp!«, rief Franzi. »Das ist Diebstahl! Hinterhältiger, ganz gemeiner Diebstahl. Und die Beweislage ist eindeutig.«

Die Täterin zeigte keinerlei Reue. Sie legte weder ein umfassendes Geständnis ab noch dachte sie daran, die gestohlene Beute zurückzugeben. Eisern hielt sie das Diebesgut zwischen Ober- und Unterkiefer fest und fing jetzt auch noch an, es mit ihren riesigen Zähnen zu zermalmen.

Franzi stöhnte. »Tinka, du bist unmöglich! Schmeckt dir mein Haargummi wirklich so gut?«

Das schwarze Pony drehte seinen Kopf herum und wieherte übermütig.

Franzi musste lachen. »Ich geb’s auf. Du bist einfach zu clever für mich.« Kurz entschlossen zog sie auch noch das zweite Gummi aus ihren roten Haaren und steckte es in die Hosentasche. Danach nahm sie die Zügel wieder auf und schnalzte mit der Zunge. »Los geht’s, Kleine, wir müssen nach Hause.«

Tinka spuckte das klitschnasse Haargummi in hohem Bogen in die Wiese. Anschließend trabte sie los, reagierte prompt auf Franzis Hilfen und fiel in einen weichen Galopp. Zwei Mähnen flatterten in der warmen Luft des wunderschönen Septembernachmittags: eine schwarze und eine rote. Franzi ritt auf ein Backsteingebäude zu, das früher einmal ein Bauernhaus gewesen war. Dann waren die Winklers eingezogen und Franzis Vater hatte hier seine Tierarztpraxis eröffnet. An der Hausmauer streckte der Efeu seine Triebe den Sonnenstrahlen entgegen. Er war in diesem Sommer ein ganzes Stück gewachsen und fast bis zum Dach hochgeklettert.

»Brrr!«, machte Franzi. Sie brachte ihr Pony im Hof zum Stehen und sprang mit einem Satz auf den knirschenden Kies.

Polly hatte schon auf sie gewartet. Fröhlich hüpfte das hinkende Huhn auf Franzi zu und wollte gestreichelt werden.

Franzi kraulte Polly flüchtig und seufzte. »Ich hab heute leider keine Zeit. In einer Stunde ist Clubtreffen und ich muss noch so viel vorbereiten!«

Das Huhn gackerte beleidigt. Betont gleichgültig reckte es den Kopf und hüpfte davon in Richtung Obstgarten. Franzi nahm Tinka Sattel und Zaumzeug ab, rieb ihr Pony schnell trocken und brachte es auf die Weide.

»Bis später, Süße!«, flüsterte sie Tinka ins Ohr und sprintete hinüber zum Wohnhaus, um ihre Reitklamotten gegen Jeans und ein ärmelloses, gelbes Top auszutauschen. Danach rannte sie zum alten Pferdeschuppen.

Das geheime Hauptquartier der drei !!! war inzwischen Franzis zweites Zuhause geworden. Kim, Franzi und Marie hatten den alten Schuppen entrümpelt und liebevoll hergerichtet. Mit den kunterbunten Möbeln, dem Flickenteppich, den Vorhängen und der Pferdekutsche war es ein richtig gemütlicher Raum geworden.

Gut gelaunt öffnete Franzi das Tor und ging zum Regal. Gestern hatte sie auf dem Flohmarkt eine apfelgrüne Tischdecke und farblich passende Sets gekauft. Die breitete sie jetzt aus, holte Teller, Besteck und Gläser und deckte den Tisch. Ein Rosenstrauß machte die Komposition perfekt. Zufrieden betrachtete Franzi ihr Werk, als es klopfte und Frau Winkler mit einer Kuchenplatte hereinkam. »Ich hab Pflaumenkuchen für euch gebacken.«

»Danke, Mama!« Franzi gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Nasenspitze.

Frau Winkler war eine fantastische Bäckerin. Ihre Spezialität war Kirschkuchen, aber in letzter Zeit probierte sie ständig neue Rezepte aus. Sie war regelrecht im Backfieber, was bei ihrer Familie ziemlich gut ankam. Franzi fand auch toll, dass ihre Mutter nicht neugierig war. Sie fragte nie, was die Mädchen eigentlich genau in dem Pferdeschuppen machten. Auch jetzt zog sie sich gleich wieder diskret zurück.

Franzi warf einen Blick auf die Wanduhr. Kim und Marie mussten jeden Augenblick kommen. Da klingelte ihr Handy. Franzi verdrehte die Augen. Das war bestimmt Marie, die wieder mal eine Ausrede hatte, warum sie zu spät kam. Marie hatte neben dem Detektivclub diverse Hobbys: Aerobic und Mountainbiken zum Beispiel. Und sie nahm Gesangs- und Schauspielstunden, weil sie später einmal Schauspielerin oder Sängerin werden wollte.

»Ja, hallo? Was gibt’s?«, fragte Franzi ungeduldig.

Es war nicht Marie. Eine fremde und doch seltsam vertraute Stimme meldete sich. Eine Stimme aus der Vergangenheit. »Hi, Franzi! Wie geht’s?«

Franzi brauchte ein paar Sekunden, bis sie die Anruferin erkannte. Überrascht sog sie die Luft ein. »Fiona? Fiona Röhn??«

Vergnügtes Kichern am anderen Ende. »Stimmt genau, so heiße ich. Stell dir vor, ich bin gerade in der Stadt.«

Franzi ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. Sofort erinnerte sie sich lebhaft an einen besonders aufreibenden Fall. Sie würde nie die Panik vergessen, als ihr geliebtes Pony Tinka plötzlich verschwunden war. Und den Schock, als die Detektivinnen herausfanden, dass Fiona auf ziemlich haarsträubende Weise in die Sache verwickelt war.

»Was machst du denn hier?«, fragte Franzi. »Ich dachte, deine Eltern haben den Ponyhof Hufeisen verkauft. Ihr lebt doch jetzt in Hamburg, oder?«

»Dort haben wir unseren festen Wohnsitz, ja«, bestätigte Fiona. »Aber wir kommen viel herum. Meine Eltern haben einen neuen Job. Sie sind …«

Den Rest des Satzes bekam Franzi nicht mehr mit, weil Kim und Marie lautstark das Hauptquartier betraten.

»Hallihallo!«, trällerte Marie. Selbstbewusst stöckelte sie mit ihren mintgrünen Sandalen zum Tisch und warf ihre neue, farblich passende Handtasche auf einen Stuhl. Sie trug ein weißes, ärmelloses Minikleid, das ihre zart gebräunten Schultern besonders gut zur Geltung brachte.

»Hallo, Franzi! Ich bin total ausgehungert.« Kim zeigte auf die Kuchenplatte.

»Pssst!«, machte Franzi vorwurfsvoll. »Ich telefoniere.« Sie drehte sich mit ihrem Stuhl zur Wand und konzentrierte sich wieder auf Fiona. »Tut mir leid, ich wurde gerade gestört. Was machen deine Eltern jetzt?«

»Sie gehören zum festen Ensemble einer Pferdshow«, erzählte Fiona. »Unsere Truppe tourt jedes Jahr mit einem neuen Programm durch Deutschland, Österreich und …«

Ein energischer Finger klopfte auf Franzis Schulter. »Wir hatten doch vereinbart, dass wir während der Clubsitzungen nicht telefonieren, simsen oder im Internet surfen«, erinnerte Kim an die gemeinsame Vereinbarung, die sie vor allem wegen der handysüchtigen Marie getroffen hatten.

»Du nervst!«, stöhnte Franzi. »Nein … nicht du, Fiona! Kim bringt mich gerade zum Wahnsinn. Hab ich richtig gehört? Ihr macht bei einer Pferdeshow mit? Das ist ja super! Tretet ihr auch in unserer Stadt auf?«

»Ja, an zwei Abenden«, sagte Fiona. »Und zwar schon ganz bald. Wir …«

Kim und Marie bauten sich demonstrativ vor Franzi auf. »Kleine Zusatzinformation für alle Schwerhörigen: Die Vereinbarung gilt auch für Frau Franziska Winkler«, verkündete Marie.

Am liebsten hätte Franzi ihren Freundinnen mit Pflaumenkuchen den Mund gestopft, aber die Kuchenplatte stand leider zu weit weg. Schließlich gab sie es auf. Sie würde ja doch nicht in Ruhe telefonieren können.

»Tut mir leid, Fiona, aber ich muss Schluss machen. Ich ruf dich später zurück, okay? Deine Nummer hab ich ja jetzt.«

»Kein Problem.« Fiona war zum Glück nicht beleidigt.

Franzi dagegen war richtig sauer. »Ihr hättet auch noch ein paar Sekunden warten können! Das war Fiona. Ich hab ewig nichts mehr von ihr gehört.«

Kim und Marie tauschten einen Blick, der Bände sprach. Beide hatten Fiona schon damals nicht gemocht. Sie waren ziemlich eifersüchtig gewesen, als Franzi sich mit Fiona angefreundet und ihre Freizeit fast nur noch auf dem Ponyhof verbracht hatte.

»Bist du wieder im Reitfieber?«, stichelte Marie prompt. »Gib uns diesmal aber bitte rechtzeitig Bescheid, bevor du den Detektivclub vernachlässigst.«

Franzi sah sie wütend an. »Das hab ich damals nicht getan und ich werde es auch in Zukunft nicht tun!«

Kim konnte es nicht leiden, wenn Marie und Franzi aneinandergerieten. »Marie meint es nicht so. In der Sache stimme ich ihr aber zu: Unser Club hat oberste Priorität.«

»Da nehme ich euch doch gleich beim Wort: Setzt euch!«, sagte Franzi beleidigt. Sie fühlte sich von ihren Freundinnen eingeengt und schaufelte drei Kuchenstücke auf die Teller. »Cola könnt ihr euch selbst einschenken. Hiermit ist die heutige Clubsitzung eröffnet.«

Eine Weile aßen und tranken die drei !!! schweigend. Nach ihrem dritten Kuchenstück legte Kim seufzend die Gabel zur Seite. »Die Zeit ist viel zu schade zum Streiten. Sind wir wieder Freundinnen?«

»Ziemlich beste Freundinnen, oder?«, sagte Marie und knuffte Franzi in die Seite.

Franzi gab sich einen Ruck, auch wenn es ihr nicht leichtfiel. »Klar.« Sie war noch nie nachtragend gewesen.

Kim atmete erleichtert auf. »Sehr schön! Wir haben heute zwei wichtige Punkte auf der Tagesordnung. Erstens: Wie kommen wir an einen neuen Fall ran? Seit Pfingsten ist Flaute, so kann es nicht weitergehen. Zweitens: Wir müssen endlich die Unterlagen unserer alten Fälle archivieren.«

Mit dem zweiten Punkt erntete Kim nicht gerade Begeisterungsstürme. Keiner riss sich um die mühselige Fleißarbeit, aber sie musste natürlich trotzdem gemacht werden.

Marie betrachtete seufzend ihre frisch lackierten, mintgrünen Fingernägel. »Damit wir es nicht wieder verschieben, schlage ich vor, dass wir gleich heute im Anschluss an die Besprechung mit dem Archivieren anfangen.«

»Gut.« Zufrieden hakte Kim den Punkt auf ihrer Liste ab. »Irgendwelche Ideen, wie wir einen neuen Fall an Land ziehen?« Sie blickte erwartungsvoll in die Runde.

»Wie wär’s, wenn wir selbst aktiv werden?«, schlug Franzi vor. »Wir sollten regelmäßig die Meldungen im Lokalteil der Zeitung durchforsten. Vielleicht stoßen wir ja darüber auf ein Verbrechen, das wir aufklären können.«

Stolz dachte Franzi daran, dass die Trefferquote der drei !!! bei der Verbrechensbekämpfung nach wie vor bei 100 Prozent lag. Der Detektivclub hatte schon diversen Erpressern, Dieben, Schmugglern und Betrügern das Handwerk gelegt.

»Klingt vielversprechend.« Kim kritzelte eifrig mit. »Am besten wechseln wir uns damit ab. Ich stelle einen Plan zusammen.«

Franzi musste schmunzeln. Wenn Kim nicht schon längst der Kopf der drei !!! gewesen wäre, hätten Marie und Franzi sie heute wieder mal einstimmig zu ihrer Chefin gewählt. Kim war unglaublich zielstrebig, klar und analytisch. Und sie konnte hervorragend mit Computern und Technik umgehen. Ihre einzige Schwäche bestand darin, dass sie für ihr Leben gerne Süßigkeiten naschte. Die brauchte sie allerdings auch dringend als Nervennahrung.

Damit waren die langweiligen Tagesordnungspunkte vom Tisch und die drei !!! konnten zum gemütlichen Teil des Clubtreffens übergehen. Franzi schenkte Cola nach. »Und – was macht die Liebe? Hab ich irgendwas verpasst, das ich unbedingt wissen sollte?«

Auf Maries sorgfältig geschminktem Gesicht breitete sich eine feine Röte aus. »Holger ist heute mit seiner Klasse nach Berlin gefahren. Er wird zehn Tage weg sein! Ich vermisse ihn jetzt schon total.«

Kim kicherte. »Entschuldige, aber das klingt wie bei einem Liebespaar. Du bist sicher, dass ihr nicht doch wieder zusammen seid?«

Marie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sind einfach nur sehr gut befreundet. Ja, ab und zu flirten wir auch, aber völlig harmlos. Trotzdem darf ich Holger doch vermissen, oder?«

»Natürlich!« Franzi verkniff sich ein Grinsen. Insgeheim gab sie die Hoffnung nicht auf, dass Marie und Holger eines Tages wieder zusammenkamen. Sie passten nämlich perfekt zueinander. Und das Problem mit der Fernbeziehung – Holger wohnte über 20 Kilometer entfernt in Billershausen – würde sich bestimmt auch irgendwie lösen lassen.

»Und wie steht’s bei dir und Michi?« Marie nippte an ihrer Cola, die leider ein bisschen zu warm geworden war.

Strahlend verkündete Kim: »Mir geht’s ganz ähnlich wie dir. Ich bin mir jetzt absolut sicher, dass Michi und ich nur Freunde sind. Und was soll ich sagen? Es fühlt sich toll an!«

Franzi und Marie musterten sie überrascht. Kim hatte sehr lange unter der Trennung von ihrem Dauerfreund Michi gelitten. Erst vor Kurzem hatte sie zugegeben, dass sie immer wieder mal einen Rückfall hatte und sich nach ihm sehnte.

»Wie hast du das denn geschafft?«, erkundigte sich Franzi neugierig.

Kim zog sich hinter rätselhafte Andeutungen zurück. »Ach, das war gar nicht schwierig. Manchmal merkt man eben, dass genug Zeit vergangen ist, und dann kommt ein Zeichen von außen, das auch noch die letzten Zweifel beseitigt.«

»Welches Zeichen denn?«, hakte Marie sofort nach, aber Kim wollte ihr Geheimnis leider nicht verraten.

»Ob Franzi immer noch verliebt in Felipe ist, brauchen wir eigentlich nicht zu fragen«, wechselte sie geschickt das Thema. »Man muss sie nur ansehen, dann weiß man Bescheid.«

Franzi lachte. »Ihr kennt mich einfach zu gut! Ja, es stimmt, wir sind beide sehr verliebt.«

Franzis Freund Felipe war Halbmexikaner, sehr temperamentvoll und konnte leider auch ziemlich eifersüchtig werden. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er auf Sylt völlig grundlos eine bühnenreife Eifersuchts-Szene hingelegt. Zum Glück hatte er rasch eingesehen, dass er sich danebenbenommen hatte, und sich rührend entschuldigt. Er war nämlich vor allem auch sehr süß, zärtlich und liebevoll! Verträumt spielte Franzi mit dem weißen Flechtarmband von Felipe. Der kleine, oval geschliffene Rosenquarzstein glitzerte. Franzi seufzte glücklich. Ob sie wieder einmal den Zauber ausprobieren sollte, mit dem Felipes Großmutter Rosita ihr Armband und das von Felipe besprochen hatte? Früher waren übersinnliche Dinge oft fremd und unheimlich für sie gewesen, aber durch Felipe hatte sie einen völlig neuen Zugang dazu bekommen.

Franzi schloss die Augen, berührte den Rosenquarz und dachte ganz fest an Felipe. Ein warmes Gefühl von Liebe durchströmte ihren Körper. Sanfte Wellen flimmerten vor ihrem inneren Auge. Und plötzlich sah sie Felipe. Er lag in der Hängematte vor dem Restaurant seiner Mutter im Freizeitpark Sugarland. Sein weißes Hemd bauschte sich im Wind. Die rechte Hand ruhte auf seinem Armband. Er berührte den Stein und dachte im selben Augenblick an Franzi wie sie an ihn. Franzi zitterte vor Glück. Der Zauber funktionierte tatsächlich!

Blume

Ein unwiderstehliches Angebot

Aufgeregt starrte Franzi durch die Fensterscheibe des Busses. Ein riesiger, rosafarbener Lolli an der Ausfahrt der Bundesstraße verriet ihr, dass der Freizeitpark Sugarland nur noch wenige Kilometer entfernt war. Franzi konnte es kaum erwarten, Fiona wiederzusehen. Nachdem der Bus gemächlich durch ein paar Dörfer gezuckelt war, tauchte endlich der Parkplatz auf. Fiona stand wie ein Verkehrspolizist in der Einfahrt und winkte. Sie war größer geworden und trug ihre blonden Haare inzwischen schulterlang, aber ansonsten hatte sie sich kaum verändert.

Franzi rannte ihr entgegen. »Hi, Fiona!«

»Hi, Franzi!«

Die sportlichen Mädchen, beide in abgewetzten Reithosen und schwarzen Reitstiefeln, umarmten sich herzlich und klopften sich gegenseitig auf die Schultern.

»Schön, dass du da bist!«, sagte Fiona. »Komm mit, ich zeig dir, wo wir unser Lager aufgeschlagen haben.«

Neugierig folgte Franzi der Freundin. Fiona hatte ihr gestern beim zweiten, deutlich entspannteren Telefonat erzählt, dass die Pferdeshow-Truppe ein nicht genutztes Freigelände am Rande des Freizeitparks angemietet hatte.

Sie ließen das Eingangstor von Sugarland links liegen und gingen eine Zeit lang am Zaun mit den regenbogenfarbenen Zuckerstangen entlang. Am Ende des Zauns begann ein Stück Brachland, auf dem früher die Zuckerrüben für die inzwischen stillgelegte Fabrik angebaut worden waren.

Franzi streckte ihre Nase in die Luft und schnupperte. Ein unverkennbarer Geruch wehte ihr entgegen: nach Pferdeäpfeln, Heu, Leder und Sattelseife. Ein Geruch, der ihr Herz sofort höherschlagen ließ. Und da waren sie auch schon: Hengste und Stuten, Schimmel, Rappen und edle Araberpferde! Einträchtig grasten sie auf einer durch einen Maschendrahtzaun abgeteilten, improvisierten Koppel. Im Hintergrund standen vereinzelt Wohnwagen und daneben ragten vier riesige Stahlmasten in den blauen Himmel. Auf einem Mast lag eine blau-gelb gestreifte Plane, die von Arbeitern langsam in die Höhe gekurbelt wurde. Man konnte schon jetzt erahnen, wie eindrucksvoll das Zirkuszelt aussehen würde.

Fiona griff nach Franzis Hand. »Komm, wir müssen Domino und Coco begrüßen!«

»Die sind auch hier?« Franzi staunte. Der Ponyhof Hufeisen hatte zehn Ponys und zwei Pferde besessen, aber Franzi war davon ausgegangen, dass die Familie Röhn beim Umzug alle Tiere verkauft hatte.

»Klar«, sagte Fiona fröhlich. »Meinen Domino hätte ich doch niemals hergegeben! Und Coco war schon immer Mamas Lieblingspony.«

Franzi strahlte. »Meins auch.« Sie rannte das letzte Stück bis zur Koppel. Der Fuchs machte gerade ausgelassene Bocksprünge um eine kleine Schimmelstute herum. Domino war noch immer der Hitzkopf mit Feuer unter dem Hintern und das schien die brave Coco nach wie vor magisch anzuziehen.

»Coco, Domino!«, rief Fiona. »Ich hab hier was zum Naschen für euch.«

Die Ponys spitzten die Ohren und trabten sofort herüber.

»Na, kennst du mich noch?« Franzi streckte Coco die Hand hin, während Domino nicht warten konnte und sich frech eine Karotte aus Fionas Jackentasche klaute.

Coco schleckte Franzis Hand ab. Dann legte sie ihren warmen Kopf an Franzis Hals und ließ sich die Mähne zerzausen.

»Meine kleine Süße!«, sagte Franzi glücklich. »Ist das schön, dich wiederzusehen!« Natürlich mochte sie ihr eigenes Pony Tinka am allerliebsten, aber im Herzen einer echten Tierfreundin war Platz für viele Pferde.

»Ich freu mich auch, dich wiederzusehen!« Eine schlanke, vierzigjährige Frau kam auf die Mädchen zu. Gut gelaunt schüttelte sie ihre vollen, roten Haare und gab Franzi die Hand. Es war Frau Röhn, Fionas Mutter. Als die drei !!! auf dem Ponyhof Hufeisen ermittelt hatten, hatte Frau Röhn oft angespannt und erschöpft gewirkt, doch heute sah sie aus wie das blühende Leben.

»Ich hab gerade Muffins gebacken«, sagte sie. »Habt ihr Lust, in unseren Wohnwagen zu kommen? Aber ich muss euch warnen: Dort herrscht leider noch Chaos.«

Franzi winkte ab. »Kein Problem, Chaos bin ich gewohnt. Ich räume mein Zimmer nur auf, wenn es so voll ist, dass ich nicht mehr zur Tür reinkomme.«

Domino und Coco hatten inzwischen alle Karotten und Apfelstücke aus Fionas Jackentaschen aufgefressen. Ihnen wurde langweilig und sie mischten sich wieder unter ihre Artgenossen.

»Bis später, ihr zwei!«, rief Franzi ihnen nach.

»Und stellt keinen Blödsinn an, während wir weg sind«, fügte Fiona hinzu.

Zu dritt schlenderten sie hinüber zum Zeltplatz. Dort war einiges los. Die einen luden gerade ihre Autos aus und schleppten Getränkekisten. Die anderen hämmerten am Außendach, rollten ihre Markisen aus oder installierten den Grill. Und ständig trafen neue Autos und Wohnwagen ein.

Frau Röhn ging auf ein großes, silbrig glänzendes Wohnmobil zu, das fast schon ein richtiges Haus war. Der einzige Unterschied bestand darin, dass es Räder hatte. Eine Minitreppe glitt lautlos zu Boden, als Fionas Mutter die Tür öffnete.

Im Türrahmen erschien ihr Mann. Er trug ein ausgeleiertes T-Shirt und löchrige Jeans. In seinen kräftigen Armen hielt er einen Putzkasten. »Herzlich willkommen in unserem Reich!« Beim Händeschütteln mit Franzi purzelten Bürsten, Striegel und Hufkratzer im Kasten polternd durcheinander.

Neugierig betrat Franzi das Wohnmobil. Eine gemütliche Sofaecke mit angrenzender Wohnküche dominierte den Innenraum. Dahinter waren zwei Stockwerkbetten und diverse Einbauschränke. Franzi fühlte sich sofort wie zu Hause, als sie die unordentlichen Zeitschriftenstapel auf den Sofapolstern entdeckte. Genauso sah es in der Wohnküche von Familie Winkler auch aus.

»Setzt euch bitte«, sagte Frau Röhn, nachdem sie einen Berg aus Stoffen, Pailletten und bunten Bändern vom Tisch geräumt hatte.

Franzi und Fiona machten es sich in der Sofaecke bequem und sahen belustigt dabei zu, wie Herr und Frau Röhn sich vor lauter Gastfreundschaft in der engen Küche gegenseitig auf die Füße traten. Kurz darauf bog sich der Tisch unter lauter leckeren Sachen: Muffins, Obst, Keksen, Cola und einer Thermoskanne mit Kaffee.

Franzi hatte keinen großen Hunger. In ihrem Kopf schwirrten tausend Fragen, die sie unbedingt loswerden musste. »Fiona hat erzählt, Sie haben neue Jobs. Was machen Sie in der Show? Haben Sie eine Dressur? Oder sind Sie jetzt Artisten? Und hat jeder eine eigene Nummer?«