Cover

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Über den Autor
Hinter dem Namen Erin Hunter verbergen sich gleich mehrere Autorinnen: Während Victoria Holmes meistens die Ideen für die Geschichten hat und das gesamte Geschehen im Auge behält, bringen Cherith Baldry, Kate Cary und Tui Sutherland die Abenteuer der KatzenClans zu Papier. Ebenfalls aus der Feder dieses erfolgreichen Autorinnenteams stammt die Bärenfantasy-Reihe SEEKERS.
Die Abenteuer der SURVIVOR DOGS schreiben Gillian Philip und Inbali Iserless.
Impressum
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-74382-4)
www.beltz.de
© 2010, 2015 Beltz & Gelberg
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© Working Partners Limited
Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel Warrior Cats – The Darkest Hour bei HarperCollins Children’s Books, London
Aus dem Englischen von Friederike Levin
Lektorat: Julia Röhlig
Neue Rechtschreibung
Umschlaggestaltung/Artwork: © Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, München/Zürich, Hanna Hörl
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74278-0
Besonderen Dank an Cherith Baldry
Dieses Buch ist für Vicky Holmes und Matt Haslum, die Feuerherz geholfen haben, seine Bestimmung zu finden.
Vielen Dank.
WARRIOR CATS
In die Wildnis (Band 1)
Feuer und Eis (Band 2)
Geheimnis des Waldes (Band 3)
Vor dem Sturm (Band 4)
Gefährliche Spuren (Band 5)
Stunde der Finsternis (Band 6)
WARRIOR CATS
Die neue Prophezeiung
Mitternacht (Band 1)
Mondschein (Band 2)
Morgenröte (Band 3)
Sternenglanz (Band 4)
Dämmerung (Band 5)
Sonnenuntergang (Band 6)
WARRIOR CATS
Die Macht der drei
Der geheime Blick (Band 1)
Fluss der Finsternis (Band 2)
Verbannt (Band 3)
Zeit der Dunkelheit (Band 4)
Lange Schatten (Band 5)
Sonnenaufgang (Band 6)
WARRIOR CATS
Zeichen der Sterne
Der vierte Schüler (Band 1)
Fernes Echo (Band 2)
Stimmen der Nacht (Band 3)
Spur des Mondes (Band 4)
Der verschollene Krieger (Band 5)
Die letzte Hoffnung (Band 6)
WARRIOR CATS
Special Adventure
Feuersterns Mission
Das Schicksal des WolkenClans
Blausterns Prophezeiung
Streifensterns Bestimmung
WARRIOR CATS
Short Adventure
Wolkensterns Reise
WARRIOR CATS
Die Welt der Clans
Das Gesetz der Krieger
Alle Abenteuer auch als Printausgaben und Hörbücher bei Beltz & Gelberg
www.warriorcats.de

DIE HIERARCHIE DER KATZEN

DONNERCLAN  
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Anführer
FEUERSTERN – hübscher Kater mit rotem Fell; Mentor von BROMBEERPFOTE
Zweiter
Anführer
WEISSPELZ – großer, weißer Kater
Heilerin
RUSSPELZ – dunkelgraue Kätzin
Krieger
(Kater und Kätzinnen ohne Junge)
 
DUNKELSTREIF – schlanker, schwarzgrau getigerter Kater; Mentor von RAUCHPFOTE
 
LANGSCHWEIF – Kater mit hellem Fell und schwarzen Streifen
 
MAUSEFELL – kleine, schwarzbraune Kätzin; Mentorin von DORNENPFOTE
 
FARNPELZ – goldbraun getigerter Kater; Mentor von BERNSTEINPFOTE
 
BORKENPELZ – dunkelbraun getigerter Kater; Mentor von ASCHENPFOTE
 
SANDSTURM – kleine, gelbbraune Kätzin
 
GRAUSTREIF – langhaariger, grauer Kater
 
FROSTFELL – Kätzin mit schönem, weißem Fell und blauen Augen
 
GOLDBLÜTE – Kätzin mit hellem, goldbraunem Fell
 
WOLKENSCHWEIF – langhaariger, weißer Kater
 
HALBGESICHT – weiße Kätzin mit hellbraunen Flecken und vernarbtem Gesicht
Schüler
(über sechs Monate alt, in der Ausbildung zum Krieger)
 
DORNENPFOTE – goldbraun getigerter Kater
 
RAUCHPFOTE – hellgraue Kätzin mit dunkleren Flecken, hellgrüne Augen
 
ASCHENPFOTE – hellgrauer Kater mit dunkleren Flecken; dunkelblaue Augen
 
BROMBEERPFOTE – dunkelbraun getigerter Kater, Bernsteinaugen
 
BERNSTEINPFOTE – Schildpattkätzin, grüne Augen
Königin
(Kätzin, die Junge erwartet oder aufzieht)
 
GLANZFELL – sehr hellgraue Kätzin mit ungewöhnlich blauen Augen
Älteste
(ehemalige Krieger und Königinnen, jetzt im Ruhestand)
 
EINAUGE – älteste Kätzin im DonnerClan mit hellem Fell; fast blind und taub
 
KLEINOHR – ältester Kater im DonnerClan mit grauem Fell und sehr kleinen Ohren
 
TUPFENSCHWEIF – einst hübsche, schildpattfarbene Kätzin mit einem wunderbar gefleckten Fell
 
FLECKENSCHWEIF – hell gescheckte Kätzin
SCHATTENCLAN  
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Anführer
TIGERSTERN – großer, dunkelbraun getigerter Kater mit ungewöhnlich langen Vorderkrallen; gehörte früher zum DonnerClan
Zweiter
Anführer
SCHWARZFUSS – großer, weißer Kater mit riesigen, pechschwarzen Pfoten
Heiler
TRIEFNASE – kleiner, grau-weißer Kater
Krieger
EICHENFELL – kleiner, brauner Kater
 
KLEINWOLKE – sehr kleiner, getigerter Kater
 
KIESELSTEIN – silbergrau getigerter Kater; ehemaliger Einzelläufer
 
SCHIEFZAHN – riesiger getigerter Kater; ehemaliger Einzelläufer
 
DUNKELBLÜTE – schwarze Kätzin
Königin
MOHNBLÜTE – langbeinige, hellbraun gescheckte Kätzin
WINDCLAN  
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Anführer
RIESENSTERN – schwarz-weißer Kater mit sehr langem Schwanz
Zweiter
Anführer
LAHMFUSS – schwarzer Kater mit einer verkrüppelten Pfote
Heiler
RINDENGESICHT – brauner Kater mit kurzem Schwanz
Krieger
MOORKRALLE – gesprenkelter, dunkelbrauner Kater
 
SPINNENFUSS – dunkelgrau getigerter Kater
 
FETZOHR – getigerter Kater
 
LAUFTATZE – goldbraune Kätzin
 
KURZBART – braun gescheckter Kater; Mentor von GINSTERPFOTE
 
PLÄTSCHERBACH – hellgrau getigerte Kätzin
Königinnen
ASCHENFUSS – graue Kätzin
 
MORGENBLÜTE – schildpattfarbene Kätzin
FLUSSCLAN  
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Anführer
LEOPARDENSTERN – ungewöhnlich getupfte, goldfarbene Kätzin
Zweiter
Anführer
STEINFELL – grauer Kater mit Kampfnarben an den Ohren; Mentor von STURMPFOTE
Heiler
SCHMUTZFELL – langhaariger, hellbrauner Kater
Krieger
SCHWARZKRALLE – rauchschwarzer Kater
 
BLEIFUSS – stämmiger, getigerter Kater; Mentor von DÄMMERPFOTE
 
SCHATTENPELZ – tiefdunkelgraue Kätzin
 
NEBELFUSS – dunkelgraue Kätzin mit blauen Augen; Mentorin von FEDERPFOTE
 
RUMPELBAUCH – dunkelbrauner Kater
Königin
MOOSPELZ – schildpattfarbene Kätzin
BLUTCLAN
Anführer
GEISSEL – kleiner, schwarzer Kater mit einer weißen Pfote
Zweiter
Anführer
KNOCHEN – massiger, schwarz-weißer Kater
KATZEN AUSSERHALB DER CLANS
MIKUSCH – schwarz-weißer Kater; lebt auf einem Bauernhof nahe am Wald
RABENPFOTE – schlanker, schwarzer Kater mit weißer Schwanzspitze
PRINZESSIN – hellbraun getigerte Kätzin mit auffällig weißer Brust und weißen Pfoten; ein Hauskätzchen
WULLE – pummeliges, schwarz-weißes Kätzchen; lebt in einem Haus am Waldrand
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PROLOG
Stetig trommelte der Regen auf den harten, schwarzen Donnerweg zwischen endlosen Reihen von steinernen Zweibeinernestern. Von Zeit zu Zeit knatterte ein Monster mit glühenden Augen vorbei, im glänzenden Leib einen einzelnen, zusammengekauerten Zweibeiner.
Zwei Katzen glitten geräuschlos um die Ecke, dicht an die Mauern gedrängt, wo die Schatten am tiefsten waren. Ein drahtiger grauer Kater mit einem zerfetzten Ohr und leuchtenden, wachsamen Augen lief voran, jedes Haar seines Pelzes klebte dunkel vor Nässe an seinem Körper.
Hinter ihm trottete ein riesiger, getigerter Kater mit massigen Schultern und geschmeidigen Muskeln unter dem regennassen Fell. Seine Bernsteinaugen funkelten im grellen Licht der Monsteraugen, und sein Blick schweifte vor und zurück, als ob er mit einem Angriff rechnen würde.
Im Schutz des dunklen Eingangs zu einem Zweibeinernest hielt er inne und knurrte: »Wie weit denn noch? Hier stinkt’s.«
Der graue Kater wandte den Kopf. »Wir sind gleich da.«
»Das will ich hoffen.« Mit finsterem Blick trottete der dunkle Tigerkater weiter, seine Ohren zuckten nervös, um die Regentropfen abzuschütteln. Grellgelbes Licht leuchtete schräg über ihm, und er erschrak, als ein Monster röhrend um die Ecke bog und einen Wasserschwall aufspritzen ließ, der den üblen Geruch nach Zweibeinermüll verströmte. Der Kater fauchte, als das Wasser über seine Pfoten schwappte und Tropfen seinen Pelz beschmutzten.
Alles an diesem Zweibeinerort entsetzte ihn: der harte Boden unter seinen Pfoten, der Gestank nach den Monstern und den Zweibeinern in ihren Bäuchen, die ungewohnten Geräusche und vor allem der Umstand, dass er hier ohne einen Führer nicht überleben würde. An die Abhängigkeit von einer anderen Katze war er nicht gewöhnt. Im Wald kannte er jeden Baum, jeden Bach, jeden Kaninchenbau. Man hielt ihn für den stärksten und gefährlichsten Krieger aller Clans. Hier nützten ihm seine Fertigkeiten und geschärften Sinne nichts. Er fühlte sich taub, blind und lahm, dazu verdammt, seinem Begleiter zu folgen, wie ein Junges, das hilflos hinter seiner Mutter hertappt.
Trotzdem war es das wert. Die Schnurrhaare des Tigerkaters zuckten erwartungsvoll. Wenn die Dinge nach Plan verliefen, würde ihm diese Expedition dabei helfen, dass alles in Erfüllung ging, was er sich je erträumt hatte.
Der graue Kater führte ihn über eine freie Fläche, wo es noch stärker nach den Zweibeinermonstern roch und sich ein unnatürliches Spiel aus orangefarbenen Lichtern in den Pfützen spiegelte. Dann blieb er am Eingang zu einer schmalen Gasse stehen und öffnete das Maul, um den Geruch der Luft aufzunehmen.
Der Tigerkater tat es ihm nach und fuhr sich angewidert mit der Zunge über die Schnauze, an der der Geruch nach verfaultem Zweibeineressen haftete. »Ist das die Stelle?«, fragte er.
»Das ist sie«, antwortete der graue Krieger gespannt. »Vergiss jetzt nicht, was ich dir gesagt habe. Der Kater, mit dem wir uns treffen, führt das Kommando über viele Katzen. Wir müssen respektvoll mit ihm umgehen.«
»Kieselstein, hast du vergessen, wer ich bin?« Der getigerte Kater trat einen Schritt vor und blickte drohend auf seinen Begleiter hinab.
Der graue Kater legte die Ohren flach an. »Nein, Tigerstern, das habe ich nicht vergessen. Aber hier bist du kein Anführer eines Clans.«
Tigerstern grollte. »Bringen wir es hinter uns«, knurrte er.
Kieselstein trat in die Gasse. Abrupt blieb er stehen, als vor ihnen eine hohe Gestalt auftauchte.
»Wohin des Weges?« Ein breitschultriger, schwarz-weißer Kater trat aus den Schatten. »Gebt euch zu erkennen! Fremde mögen wir hier nicht.«
»Sei gegrüßt, Knochen«, antwortete der graue Krieger standhaft. »Erinnerst du dich nicht an mich?«
Der schwarz-weiße Kater sah ihn eindringlich an und schwieg eine Weile. »Du bist also zurückgekehrt, Kieselstein, wer hätte das gedacht?«, miaute er schließlich. »Uns hast du erzählt, im Wald würdest du ein besseres Leben finden. Was hast du hier zu suchen?«
Er trat einen Schritt vor, aber Kieselstein ließ sich nicht einschüchtern und hakte sich mit seinen Krallen im unebenen Boden fest. »Wir wollen mit Geißel sprechen.«
Knochen gab ein halb verächtliches, halb zufriedenes Knurren von sich. »Ich glaube aber kaum, dass Geißel mit dir sprechen will. Und wen hast du da eigentlich mitgebracht? Den kenne ich nicht.«
»Ich heiße Tigerstern. Ich bin aus dem Wald gekommen, um mit deinem Anführer zu sprechen.«
Knochen ließ seine grünen Augen langsam von Tigerstern zu Kieselstein und zurück wandern. »Was wollt ihr von ihm?«, fragte er.
Tigersterns Bernsteinaugen sprühten Feuer wie die Lichter der Zweibeiner, die sich um ihn herum auf den nassen Steinen spiegelten. »Das werde ich mit deinem Anführer besprechen und nicht mit seiner Grenzpatrouille.«
Knochen sträubte das Fell und fuhr seine Krallen aus, aber Kieselstein glitt schnell zwischen ihn und Tigerstern. »Geißel sollte ihn anhören«, sagte er bestimmt. »Es könnte für euch alle von Vorteil sein.«
Ein paar Herzschläge lang zögerte Knochen, dann trat er zurück, um Kieselstein und Tigerstern den Weg freizugeben. Sein feindseliger Blick brannte ihnen auf dem Pelz, aber er sagte nichts.
Jetzt übernahm Tigerstern die Führung, vorsichtig eine Pfote vor die andere setzend, während er die Lichter hinter sich ließ. Zu beiden Seiten spähten magere Katzen hinter Müllbergen hervor, ihre funkelnden Augen verfolgten die beiden Eindringlinge. Tigersterns Muskeln waren gespannt. Wenn er bei diesem Treffen versagte, würde er sich seinen Weg nach draußen freikämpfen müssen.
Eine Mauer blockierte das Ende der Gasse. Tigerstern blickte sich aufmerksam um, auf der Suche nach dem Anführer dieser Katzen. Er rechnete mit einem noch kräftigeren Exemplar als dem breitschultrigen Knochen, weshalb er die kleine schwarze Katze zuerst übersah, die im Schatten eines Eingangs kauerte.
Kieselstein schubste Tigersterns Kopf in die richtige Richtung. »Da ist Geißel.«
»Das ist Geißel?«, rief Tigerstern so laut aus, dass sein Erstaunen trotz des heftigen Regens weithin zu hören war. »Der ist nicht größer als ein Schüler!«
»Psst!« Panik flackerte in Kieselsteins Augen auf. »Dieser Clan mag anders sein als die, die du kennst, aber auch diese Katzen zögern nicht zu töten, wenn ihr Anführer es befiehlt.«
»Sieht so aus, als hätte ich Gäste.« Die Stimme der schwarzen Katze klang hoch und spitz wie splitterndes Eis. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich je wiederzusehen, Kieselstein. Man sagte mir, du seist in den Wald umgezogen.«
»Ja, Geißel, das bin ich auch«, antwortete Kieselstein.
»Und was willst du dann hier?« Unter Geißels Stimme lag ein kaum hörbares Fauchen. »Hast du deine Meinung geändert und kommst zurückgekrochen? Erwartest du von mir, dass ich dich mit Freuden willkommen heiße?«
»Nein, Geißel.« Kieselstein erwiderte den eisblauen Blick des Katers. »Das Leben im Wald ist gut. Es gibt reichlich Frischbeute, keine Zweibeiner –«
»Du bist doch nicht gekommen, um die Vorzüge des Lebens im Wald zu loben«, unterbrach ihn Geißel mit einem Schwanzschnippen. »Eichhörnchen leben auf Bäumen, Katzen nicht.« Er kniff die Augen zusammen. »Was willst du also?«
Tigerstern trat vor und schob den grauen Krieger mit der Schulter beiseite. »Ich bin Tigerstern, der Anführer des SchattenClans«, knurrte er. »Und ich bin gekommen, um dir einen Vorschlag zu unterbreiten.«
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1. KAPITEL
Wässrige Lichtstrahlen brachen durch die Zweige, als Feuerherz seine Anführerin zu ihrer letzten Ruhestatt trug. Mit den Zähnen hatte er sie fest am Genick gepackt, während er die Fährte der Hundemeute zurückverfolgte, auf der sie von seinen tapferen Kriegern zur Schlucht und in ihr Verderben gelockt worden war. Sein Körper fühlte sich ganz taub an und ihm schwindelte. Voller Entsetzen wurde ihm bewusst, dass Blaustern tot war.
Ohne seine Anführerin kam ihm der Wald verändert vor, noch fremder als an jenem Tag, an dem er ihn als Hauskätzchen zum ersten Mal betreten hatte. Alles schien unwirklich. Er hatte ein Gefühl, als ob sich die Bäume und Felsen jeden Moment wie Nebel auflösen könnten. Eine unnatürliche Stille lag über allem. Der klar denkende Teil seines Verstandes sagte Feuerherz, dass die wütende Hundemeute sämtliche Beute verjagt hatte, aber seine tiefe Trauer machte ihn glauben, dass auch der Wald vor Kummer über Blausterns Tod verstummt war.
Wieder und wieder spielte sich die Szene an der Schlucht in seinem Kopf ab. Der Anblick der todbringenden Kiefer des Leithundes ließ ihn nicht los und im Genick spürte er immer noch die scharfen Zähne. Er erinnerte sich, wie Blaustern aus dem Nichts aufgetaucht war, sich auf den Hund gestürzt und ihn – und sich selbst – über die Klippe in den Fluss gedrängt hatte. Noch einmal zuckte er unter dem Schock des eisigen Wassers zusammen, als er hineingesprungen war, um seine ertrinkende Anführerin zu retten, und er durchlebte ihre verzweifelten Schwimmversuche, bis Nebelfuß und Steinfell eingetroffen waren, um ihnen zu helfen.
Vor allem erinnerte sich Feuerherz, wie fassungslos und betrübt er neben seiner Anführerin am Ufer gekauert hatte, als ihm klar geworden war, dass sie ihr letztes Leben geopfert hatte, um ihn und den ganzen Clan vor der Hundemeute zu retten.
Mit der Hilfe von Nebelfuß und Steinfell brachte er Blausterns Leiche nun heim und hielt immer wieder inne, um die Luft auf frische Spuren von Hunden zu überprüfen. Graustreif hatte er zum anderen Ende ihrer Spur geschickt, wo er sich umsehen sollte, ob die Hunde bei ihrer erbitterten Hatz zur Schlucht Katzen des DonnerClans erwischt hatten.
Jetzt, einem Brombeerdickicht ausweichend, legte Feuerherz seine leblose Anführerin ein weiteres Mal ab und hob den Kopf, um die Luft zu schmecken. Nebelfuß und Steinfell warteten schweigend. Er stellte dankbar fest, dass er nur frische Walddüfte roch. Wenig später tauchte Graustreif hinter einem vertrockneten Farnbüschel auf.
»Alles bestens, Feuerherz«, berichtete er. »Reichlich zertrampeltes Unterholz, aber sonst nichts.«
»Gut«, miaute Feuerherz. Seine Hoffnung wuchs, dass alle Hunde, die nicht in die Schlucht gestürzt waren, voller Entsetzen geflohen waren und der Wald nun wieder den Katzen der vier Clans gehörte. Sein Clan hatte drei entsetzliche Monde durchgemacht, in denen er im eigenen Territorium zur Beute geworden war. Aber sie hatten überlebt. »Wir müssen weiter. Ich muss wissen, ob wir im Lager sicher sind, bevor der Clan zurückkehrt.«
Gemeinsam mit den beiden FlussClan-Kriegern nahm er Blausterns Leiche wieder auf und trug sie zwischen den Bäumen hindurch. Oben am Eingang zur Schlucht angekommen, blieb Feuerherz stehen. Er erinnerte sich kurz an den frühen Morgen, als er mit seinen Kriegern der Spur aus toten Kaninchen gefolgt war, mit der Tigerstern die Hunde zum Lager des DonnerClans locken wollte. Am Ende der Spur hatten sie die Leiche der sanften Königin Buntgesicht gefunden, die getötet worden war, um die blutrünstigen Hunde auf den Geschmack von Katzenfleisch zu bringen. Aber jetzt sah alles friedlich aus, und als Feuerherz wieder die Luft prüfte, entdeckte er nur Katzengeruch, der ihm aus dem Lager entgegenströmte.
»Wartet hier«, miaute er. »Ich will mich erst umsehen.«
»Ich komme mit dir«, bot sich Graustreif sofort an.
»Nein«, widersprach Steinfell und versperrte dem grauen Krieger mit dem Schwanz den Weg. »Ich glaube, das sollte Feuerherz allein tun.«
Mit einem dankbaren Seitenblick zum Zweiten Anführer des FlussClans machte sich Feuerherz auf den Weg hinab ins Lager, die Ohren wachsam gespitzt, um jedes verdächtige Geräusch rechtzeitig zu hören. Die seltsame Stille lag jedoch noch immer unverändert über dem Wald.
Als er aus dem Ginstertunnel auf die Lichtung hinausgetreten war, hielt Feuerherz inne, um sich vorsichtig umzusehen. Es konnte sein, dass einer oder mehrere Hunde nie bis zur Schlucht gekommen waren oder Tigerstern Krieger des SchattenClans geschickt hatte, um das Lager einzunehmen. Doch alles blieb still. Beim Anblick des verlassenen Lagers spürte Feuerherz ein seltsames Kribbeln im Pelz, entdeckte aber keine Anzeichen von Gefahr und nach wie vor keinen Geruch nach Hund oder SchattenClan.
Um sicherzugehen, dass im Lager alles in Ordnung war, überprüfte er schnell die Baue und die Kinderstube. Ungewollte Erinnerungen tauchten auf: Die Bestürzung des Clans über seinen Bericht von der Hundemeute, sein Herzrasen während der entsetzlichen Jagd durch den Wald mit dem heißen Atem des Leithundes im Genick. Am Fuß des Hochsteins, wo er auf das Wispern des Windes in den Bäumen lauschte, dachte Feuerherz an Tigerstern und wie ungerührt er damals die Entdeckung seines Verrats entgegengenommen hatte. Er hatte gnadenlose Rache geschworen, als er von Blaustern verbannt worden war. Zum Glück war er mit seinem blutrünstigen Versuch, die Hundemeute auf die Katzen des DonnerClans zu hetzen, gescheitert. Trotzdem war sich Feuerherz sicher, dass er seinen Rachefeldzug nicht aufgeben würde.
Zu guter Letzt tappte Feuerherz vorsichtig in den Farntunnel vor Rußpelz’ Höhle. Mit einem Blick durch den Eingang überzeugte er sich, dass die Kräuter der Heilerin ordentlich sortiert an der einen Wand aufgereiht lagen. Er musste an Tüpfelblatt und Gelbzahn denken, die vor Rußpelz Heilerinnen des DonnerClans gewesen waren. Feuerherz hatte beide geliebt und unwillkürlich vermischten sich diese Gefühle mit seiner Trauer um die tote Anführerin.
Blaustern ist gestorben, berichtete er ihnen still. Ist sie jetzt bei euch, beim SternenClan?
Nachdem er die Höhle durch den Farntunnel wieder verlassen hatte, kehrte er zum Eingang der Schlucht zurück. Graustreif stand Wache, während Nebelfuß und Steinfell behutsam den Körper der toten Anführerin wuschen.
»Alles in Ordnung«, verkündete Feuerherz. »Graustreif, geh jetzt zu den Sonnenfelsen. Berichte dem Clan, dass Blaustern tot ist, aber mehr noch nicht. Ich werde alles erklären, wenn sie wieder hier sind. Sag ihnen nur, dass sie jetzt unbesorgt zurückkehren können.«
Graustreifs gelbe Augen leuchteten. »Bin schon unterwegs, Feuerherz.«
Er machte kehrt und preschte durch den Wald in Richtung Sonnenfelsen, wo sich der Clan versteckt hatte, während die Hunde Tigersterns Spur aus Kaninchenblut zum Lager verfolgt hatten.
Steinfell, der neben Blausterns Leiche hockte, schnurrte belustigt. »Kaum zu übersehen, wem Graustreif treu ergeben ist«, bemerkte er.
»Ja«, bestätigte Nebelfuß. »Keine Katze hat jemals geglaubt, dass er beim FlussClan bleiben würde.«
Eine FlussClan-Königin hatte Graustreifs Junge geboren, und er war vorübergehend zum FlussClan gezogen, um bei ihnen zu sein. Im Herzen hatte er den DonnerClan jedoch nie verlassen. Zum Kampf gegen den Clan seiner Geburt gezwungen, hatte er Feuerherz das Leben gerettet und war daraufhin von Leopardenstern, der Anführerin des FlussClans, verbannt worden. Feuerherz erkannte, dass sie den grauen Krieger mit dieser Entscheidung befreit hatte, der nun zu seinen Wurzeln zurückkehren konnte.
Feuerherz nickte den beiden FlussClan-Kriegern bestätigend zu und die drei Katzen trugen Blausterns Leiche den Abhang hinunter bis ins Lager. Endlich konnten sie sie in ihrem Bau unter dem Hochstein auf ihr Lager betten, wo sie bleiben würde, bis der Clan von ihr Abschied genommen hatte und sie mit allen Ehren, die so einer edlen und weisen Anführerin zustanden, zu Grabe trug.
»Vielen Dank für eure Hilfe«, miaute Feuerherz den beiden Kriegern zu. Nach kurzem Zögern, da er sich der Bedeutung seiner Worte bewusst war, fuhr er fort: »Würdet ihr gern bis zu Blausterns Begräbniszeremonie bleiben?«
»Das ist ein großzügiges Angebot«, antwortete Steinfell, und ganz kurz flackerten seine Augen überrascht auf, weil Feuerherz Mitglieder eines fremden Clans zu so einer intimen Zeremonie einlud. »Aber wir haben für unseren eigenen Clan Pflichten zu erfüllen. Wir müssen zurück.«
»Vielen Dank, Feuerherz«, miaute Nebelfuß. »Wir wissen das sehr zu schätzen. Aber dein Clan wird es seltsam finden, wenn wir bleiben. Schließlich wissen sie doch nicht, dass Blaustern unsere Mutter war, oder?«
»Nein«, antwortete Feuerherz. »Nur Graustreif weiß Bescheid. Aber Tigerstern hat gehört, was ihr mit Blaustern gesprochen habt, unten ... unten am Ufer. Das solltet ihr bedenken, falls ihm einfällt, auf der nächsten Versammlung davon zu sprechen.«
Steinfell und Nebelfuß sahen sich an. Dann richtete sich Steinfell auf und seine blauen Augen funkelten herausfordernd. »Tigerstern mag reden, was er will«, miaute er. »Ich werde es dem FlussClan heute selbst erzählen. Wir schämen uns nicht für unsere Mutter. Sie war eine noble Anführerin – und unser Vater war ein großartiger Stellvertreter.«
»Ja«, stimmte Nebelfuß zu. »Keine Katze kann uns da widersprechen, selbst wenn die beiden verschiedenen Clans angehörten.«
Mit ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit erinnerten sie Feuerherz an ihre Mutter, an Blaustern. Sie hatte sie damals als Junge ihrem Vater Eichenherz, dem Zweiten Anführer des FlussClans, überlassen, und die beiden Katzen waren in dem Glauben aufgewachsen, sie wären im FlussClan geboren. Als sie die Wahrheit erfuhren, hatten sie Blaustern zunächst gehasst, aber heute Morgen, als sie sterbend am Flussufer lag, hatten sie sich ein Herz gefasst und ihr vergeben. Trotz seines tiefen Schmerzes war Feuerherz unsagbar erleichtert, dass sich Blaustern mit ihren Jungen versöhnen konnte, bevor sie zum SternenClan ging. Als Einziger von allen DonnerClan-Katzen wusste er, wie sehr Blaustern darunter gelitten hatte, die beiden in einem anderen Clan aufwachsen zu sehen.
»Ich wünschte, wir hätten sie besser gekannt«, miaute Steinfell traurig, als ob er Feuerherz’ Gedanken gelesen hätte. »Du hattest Glück, weil du in ihrem Clan aufwachsen und ihr Stellvertreter sein durftest.«
»Ich weiß.« Feuerherz blickte bekümmert auf die blaugraue Kätzin hinab, die so still auf dem sandigen Boden der Lichtung lag. Blaustern sah klein und hilflos aus, nachdem ihr edler Geist den Körper verlassen und in die Jagdgründe des SternenClans eingegangen war.
»Dürfen wir uns allein von ihr verabschieden?«, fragte Nebelfuß zögernd. »Nur einen kurzen Moment?«
»Aber natürlich«, antwortete Feuerherz. Er tappte aus der Höhle und ließ Steinfell und Nebelfuß zu beiden Seiten von Blausterns Leiche kauernd zurück, wo sie ihrer Mutter zum letzten Mal die Zunge gaben.
Als er den Hochstein umrundet hatte, hörte er Katzen, die sich durch den Ginstertunnel näherten. Er eilte ihnen entgegen und erblickte Frostfell und Fleckenschweif, die ängstlich auf die Lichtung gekrochen kamen, im Schatten des Tunnels zögernd, bevor sie sich in ihr Lager zurückwagten. Ebenso vorsichtig folgten ihnen Farnpelz und Goldblüte.
Der Anblick seiner Katzen, die sich vor ihrem eigenen Heim fürchteten, versetzte Feuerherz einen Stich. Er hielt nach einer bestimmten Kriegerin Ausschau – nach Sandsturm, der roten Kätzin, die er liebte. Er musste wissen, ob sie ihre schwierige Aufgabe beim Weglocken der Hunde vom Lager unverletzt überstanden hatte.
Feuerherz entdeckte seinen Neffen, Wolkenschweif. Der weiße Krieger hielt sich fürsorglich an der Seite von Halbgesicht, einer jungen Katze, die von der Hundemeute vor dem Angriff auf das Lager furchtbar schwer verletzt worden war. Als Nächstes humpelte Rußpelz mit einem Bündel Kräuter im Maul auf die Lichtung, und hinter ihr drängelten ungeduldig Brombeerpfote und Bernsteinpfote, die beiden jüngsten Schüler und Jungen von Tigerstern.
Endlich sah Feuerherz Sandsturm, die an der Seite von Glanzfell angetrottet kam, zusammen mit Glanzfells drei Jungen, die von der gerade erst überstandenen Krise des Clans nichts mitbekommen hatten und fröhlich um sie herumhüpften.
Mit einem tiefen Schnurren in der Kehle rannte Feuerherz auf Sandsturm zu und presste ihr seine Schnauze an die Flanke. Vor Freude leckte er ihr stürmisch die Ohren, und als er ihr dann endlich in die grünen Augen sah, entdeckte er dort ein warmes Leuchten.
»Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Feuerherz«, flüsterte sie. »Diese Hunde waren unglaublich groß! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst gehabt.«
»Ich auch nicht«, gestand Feuerherz. »Als ich gewartet habe, musste ich dauernd daran denken, dass sie dich schnappen könnten.«
»Mich schnappen?« Sandsturm stieß ihn von sich, ihre Schwanzspitze zuckte, und einen Herzschlag lang fürchtete Feuerherz, er hätte sie gekränkt. Dann sah er das Blitzen in ihren Augen. »Ich bin für dich und den Clan gerannt, Feuerherz. Ich fühlte mich so schnell wie der SternenClan!«
Sie trat in die Mitte der Lichtung und sah sich um, ihre Miene verfinsterte sich. »Wo ist Blaustern? Graustreif hat uns erzählt, dass sie tot ist.«
»Ja«, antwortete Feuerherz. »Ich habe versucht, sie zu retten, aber ihr Sturz in den Fluss war zu viel für sie. Sie liegt in ihrem Bau.« Zögernd fügte er hinzu: »Nebelfuß und Steinfell sind bei ihr.«
Sandsturm fuhr herum, ihr Fell sträubte sich vor Entsetzen. »Es sind FlussClan-Katzen in unserem Lager? Warum?«
»Sie haben mir geholfen, Blaustern aus dem Fluss zu ziehen«, erklärte Feuerherz. »Und ... und außerdem ist sie ihre Mutter.«
Sandsturm erstarrte und sah ihn mit großen Augen an. »Blaustern? Aber wie –«
Feuerherz unterbrach sie, indem er seine Schnauze an die ihre presste. »Ich erzähle dir später alles«, versprach er. »Jetzt muss ich erst dafür sorgen, dass es dem Clan gut geht.«
Während ihres Gesprächs waren auch die restlichen Katzen des Clans durch den Ginstertunnel ins Lager zurückgekehrt und versammelten sich allmählich in einem unordentlichen Kreis um Feuerherz und Sandsturm. Feuerherz entdeckte Rauchpfote und Aschenpfote, die beiden Schüler, die als Erste losgerannt waren, um die Hunde vom Lager wegzulocken. »Gut gemacht, ihr beiden«, miaute er.
Die jungen Katzen schnurrten. »Wir hatten uns im Haselgebüsch versteckt, wie du uns gesagt hast, und sind gleich herausgesprungen, als die Hunde kamen«, miaute Aschenpfote.
»Ja, wir wussten, dass wir sie vom Lager fernhalten mussten«, fügte Rauchpfote hinzu.
»Ihr wart sehr tapfer«, lobte Feuerherz. Wieder einmal erinnerte er sich an den schlaffen Körper von Buntgesicht, der Mutter der beiden Schüler, die Tigerstern ermordet hatte. »Ich bin stolz auf euch – und eure Mutter wäre das auch.«
Aschenpfote sank in sich zusammen, plötzlich sah er wie ein zerbrechliches Junges aus. »Ich hatte entsetzliche Angst«, gab er zu. »Wenn wir gewusst hätten, was das für Hunde sind, hätten wir uns bestimmt nicht getraut.«
»Wir hatten alle entsetzliche Angst«, miaute Borkenpelz, trat näher und leckte Rauchpfote tröstend über das Ohr. »Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so schnell gerannt. Ihr beiden habt das großartig gemacht.«
Obwohl er beide Schüler gleichermaßen lobte, galt Borkenpelz’ warmherziger Blick ausschließlich Rauchpfote. Feuerherz amüsierte sich insgeheim. Die Zuneigung des braunen Tigerkaters zu Rauchpfote war kein Geheimnis.
»Du hast dich auch wacker geschlagen, Borkenpelz«, miaute Feuerherz. »Der Clan hat euch allen viel zu verdanken.«
Borkenpelz hielt Feuerherz’ Blick eine Weile stand, bevor er kurz zustimmend nickte. Feuerherz wandte sich ab und entdeckte Wolkenschweif und Halbgesicht. Er hielt sie an und fragte: »Geht es dir gut, Halbgesicht?«
»Alles in Ordnung«, antwortete die junge Kätzin, obwohl sie mit ihrem gesunden Auge nervös um sich blickte. »Bist du sicher, dass keiner von den Hunden so weit gekommen ist?«
»Ich habe selbst das ganze Lager durchsucht«, versicherte Feuerherz. »Nirgendwo ein Zeichen von Hunden.«
»Sie war sehr tapfer an den Sonnenfelsen«, miaute Wolkenschweif und berührte Halbgesicht mit der Schnauze an der Schulter. »Sie hat mit mir zusammen oben auf einem Baum Wache gehalten.«
Halbgesichts Miene hellte sich auf. »Ich kann nicht mehr so gut sehen wie früher, aber ich kann hören und riechen.«
»Gut gemacht«, miaute Feuerherz. »Du auch, Wolkenschweif. Ich wusste ja, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
»Sie haben sich alle tapfer gehalten.« Das war Rußpelz’ Stimme. Feuerherz drehte sich um und sah sie mit Mausefell dicht hinter sich auf ihn zuhumpeln. »Niemand ist in Panik geraten, nicht einmal, als wir die Meute jaulen hörten.«
»Und es geht allen Katzen gut?«, fragte Feuerherz ängstlich.
»Es geht allen gut.« Die blauen Augen der Heilerin strahlten vor Erleichterung. »Mausefell hat sich eine Kralle abgerissen, als sie vor den Hunden weggerannt ist, aber das ist alles. Komm mit, Mausefell, ich gebe dir etwas dafür.«
Feuerherz sah ihnen nach, bis ihm auffiel, dass Weißpelz an seiner Seite aufgetaucht war. »Kann ich kurz mit dir sprechen?«
»Natürlich.«
»Es tut mir leid.« Tiefe Pein lag in Weißpelz’ Augen. »Ich weiß, dass du mich gebeten hast, mich um Blaustern zu kümmern, als wir vor den Hunden geflohen sind. Aber bis mir ihr Fehlen auffiel, war sie schon von den Sonnenfelsen verschwunden. Ich bin schuld, dass sie tot ist.«
Feuerherz betrachtete den alten Krieger aufmerksam. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie erschöpft er aussah. Obwohl Weißpelz der älteste Krieger des DonnerClans war, hatte er immer so stark und energisch ausgesehen, der weiße Pelz stets glatt und sorgsam gepflegt. Jetzt wirkte er hundert Blattwechsel älter als die Katze, die heute Morgen das Lager verlassen hatte.
»Das ist lächerlich!«, widersprach Feuerherz heftig. »Selbst wenn du bemerkt hättest, wie Blaustern sich entfernt hat, was hättest du tun sollen? Sie war deine Anführerin – du hättest sie nicht zwingen können zu bleiben.«
Weißpelz blinzelte. »Ich habe mich nicht getraut, eine andere Katze hinter ihr herzuschicken – nicht mit der freigelassenen Meute. Wir konnten doch nur in den Bäumen hocken und uns ihr Geheul anhören ...« Ein Schauder fuhr durch seinen Körper. »Aber irgendwas hätte ich tun müssen.«
»Du hast alles getan«, versicherte ihm Feuerherz. »Du bist beim Clan geblieben und hast für seine Sicherheit gesorgt. Blaustern hat am Ende ihre eigene Entscheidung getroffen. Es war SternenClans Wille, dass sie starb, um uns zu retten.«
Weißpelz nickte bedächtig und flüsterte: »Dabei hatte sie den Glauben an den SternenClan verloren.«
Außer Feuerherz und ihm wusste niemand, dass Blaustern in den letzten Monden allmählich den Verstand verloren hatte. Nach der Entdeckung von Tigersterns Verrat hatte Blaustern angefangen zu glauben, ihre Ahnen hätten ihr den Krieg erklärt. Feuerherz und Weißpelz war es mit Rußpelz’ Hilfe gelungen, das Wissen um die Schwäche ihrer Anführerin vor dem Rest des Clans zu verbergen. Feuerherz wusste aber auch, dass sich Blausterns Gefühle in den letzten Augenblicken ihres Lebens verändert hatten.
»Nein, Weißpelz«, antwortete Feuerherz und war dankbar, weil es etwas gab, womit er den ritterlichen alten Krieger trösten konnte. »Sie hat mit dem SternenClan Frieden geschlossen, bevor sie starb. Sie wusste genau, was sie tat, und warum. Ihr Verstand war wieder klar und ihr Glaube stark.«
Freude minderte den Schmerz in Weißpelz’ Augen und er verneigte sich. Feuerherz erkannte, wie sehr ihn Blausterns Tod erschüttert haben musste. Ihre Freundschaft hatte ein langes Leben überdauert.
Inzwischen hockten die Mitglieder des Clans vollzählig versammelt im Kreis um Feuerherz. Er konnte die Spuren der schrecklichen Erfahrungen noch in ihren Augen sehen, zusammen mit der Angst um die Zukunft. Mühsam schluckte er den Kloß in seinem Hals herunter. Jetzt war es seine Aufgabe, diese Ängste zu lindern.
»Feuerherz«, fragte Farnpelz zögernd, »ist es wahr, dass Blaustern tot ist?«
Feuerherz nickte. »Ja, es ist wahr. Sie ... sie starb, um mein Leben und uns alle zu retten.« Einen Moment lang drohte seine Stimme zu versagen und er schluckte heftig. »Ihr alle wisst, dass ich die letzte Katze an der Strecke war, auf der wir die Hunde zur Schlucht gelockt haben. Als ich die Klippe fast erreicht hatte, fiel mich Tigerstern an und hielt mich fest, sodass mich der Leithund einholen konnte. Er hätte mich getötet, und die Hunde würden immer noch frei im Wald umherstreifen, wenn Blaustern nicht gewesen wäre. Sie warf sich auf den Hund, direkt am Abgrund der Schlucht, und ... und sie stürzten gemeinsam ab.«
Er sah zu, wie sich die Erschütterung unter seinen Clan-Genossen ausbreitete.
»Was geschah dann?«, fragte Frostfell leise.
»Ich sprang hinter ihr her, konnte sie aber nicht retten.« Feuerherz schloss kurz die Augen und erinnerte sich an das aufgewühlte Wasser und seine vergeblichen Versuche, die Anführerin an der Oberfläche zu halten. »Nebelfuß und Steinfell vom FlussClan kamen mir zu Hilfe, als wir aus der Schlucht hinausgetrieben waren«, fuhr er fort. »Blaustern war noch am Leben, als wir sie aus dem Wasser gezogen hatten, aber es war zu spät. Ihr neuntes Leben war vorbei. Sie hat uns verlassen, um zum SternenClan zu gehen.«
Irgendwo in der Katzenversammlung erhob sich Klagejaulen. Feuerherz dachte daran, dass die meisten Katzen nicht einmal geboren waren, als Blaustern Anführerin wurde. Der Verlust musste ihnen vorkommen, als ob die vier mächtigen Eichen des Baumgevierts über Nacht ausgerissen worden wären.
Er hob die Stimme, damit sie nicht zitterte. »Blaustern ist fort. Sie wacht bereits mit dem SternenClan über uns ... ihr Geist weilt jetzt hier unter uns.« Oder in ihrem Bau, dachte er insgeheim, wo sie sich mit Steinfell und Nebelfuß die Zunge gibt.
»Ich möchte Blaustern gern sehen«, miaute Fleckenschweif. »Wo ist sie – in ihrem Bau?« Sie ging auf den Eingang zu, flankiert von Tupfenschweif und Kleinohr.
»Ich komme mit«, erbot sich Frostfell und sprang auf die Pfoten.
Feuerherz zuckte zusammen. Er hatte Nebelfuß und Steinfell möglichst viel Zeit mit ihrer toten Mutter lassen wollen, aber jetzt wurde ihm plötzlich klar, dass außer Graustreif und Sandsturm keine Katze wusste, dass sich die beiden FlussClan-Krieger im Lager aufhielten.
»Wartet –«, hob er an und bahnte sich einen Weg durch die Katzenversammlung.
Es war zu spät. Fleckenschweif und Frostfell standen bereits im Eingang zu Blausterns Lager, das Fell beim Anblick der fremden Katzen gefährlich gesträubt. Drohend fauchte Frostfell: »Was habt ihr hier zu suchen?«
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2. KAPITEL
Als Feuerherz auf Blausterns Höhle zusprang, wirbelte Fleckenschweif herum und baute sich vor ihm auf. Ihre Augen loderten vor Zorn. »Da sind zwei FlussClan-Katzen drin«, knurrte sie. »Und machen sich an der Leiche unserer Anführerin zu schaffen!«
»Nein – nein, das tun sie nicht«, keuchte Feuerherz. »Sie haben ein Recht, hier zu sein.«
Der ganze Clan hatte sich hinter ihm aufgereiht, und er hörte, wie Wolkenschweif eine Drohung hervorjaulte, während überall wütend gefaucht wurde.
Feuerherz machte kehrt und stellte sich ihnen in den Weg. »Bleibt zurück!«, befahl er. »Es ist alles in Ordnung. Nebelfuß und Steinfell –«
»Du wusstest, dass sie hier sind?« Die Stimme gehörte Dunkelstreif. Der dunkle Tigerkater drängte sich durch die Menge nach vorn und blieb Nase an Nase vor Feuerherz stehen. »Du lässt feindliche Katzen in unser Lager – in den Bau unserer Anführerin?«
Feuerherz holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Er misstraute dem getigerten Krieger zutiefst. Als sich der Clan aufgemacht hatte, um den Hunden zu entkommen, hatte Dunkelstreif versucht, mit Tigersterns Jungen zu flüchten. Er hatte zwar geschworen, von Tigersterns Plänen mit der Hundemeute nichts gewusst zu haben, aber Feuerherz war sich nicht sicher, ob er ihm glauben sollte.
»Hast du vergessen, was ich euch erzählt habe?«, fragte er. »Nebelfuß und Steinfell haben mir geholfen, Blaustern aus dem Fluss zu ziehen.«
»Das behauptest du!«, fauchte Dunkelstreif. »Woher wissen wir, ob du die Wahrheit sagst? Warum sollten FlussClan-Katzen dem DonnerClan helfen?«
»Sie haben uns in der Vergangenheit schon oft genug geholfen«, erinnerte Feuerherz. »Nach dem Feuer wären noch viele unserer Katzen gestorben, wenn uns der FlussClan nicht aufgenommen hätte.«
»Das stimmt«, miaute Mausefell. Sie war gerade mit Rußpelz aus dem Bau der Heilerin zurückgekehrt und drängte sich jetzt nach vorn, wo sie neben Dunkelstreif stehen blieb. »Aber das ist kein Grund, um sie mit Blausterns Leiche im Bau allein zu lassen. Was tun sie da drinnen?«
»Wir erweisen Blaustern die letzte Ehre.«
Steinfell hatte trotzig die Stimme erhoben und Feuerherz wandte den Kopf. Hinter sich sah er den Stellvertreter des FlussClans mit Nebelfuß im Eingang der Höhle stehen. Beide schienen bestürzt über die Reaktion der DonnerClan-Katzen.
»Wir wollten uns von ihr verabschieden«, miaute Nebelfuß.
»Warum?«, wollte Mausefell wissen.
Feuerherz zog sich der Magen zusammen, als Nebelfuß antwortete: »Sie war unsere Mutter.«
Stille trat ein, in die nur der Ruf einer Amsel vom Rand des Lagers einbrach. Feuerherz’ Gedanken rasten, während er in die schockierten, feindseligen Gesichter seiner Clan-Katzen blickte. Seine Augen begegneten Sandsturms Blick. Sie sah bestürzt aus und schien zu erraten, dass Feuerherz gerne eine andere Gelegenheit ausgesucht hätte, um dem DonnerClan das Geheimnis seiner Anführerin zu enthüllen.
»Eure Mutter?«, knurrte Fleckenschweif. »Das glaube ich nicht. Blaustern hätte nie zugelassen, dass ihre Jungen in einem fremden Clan aufwachsen.«
»Ob ihr’s glaubt oder nicht, es ist wahr«, konterte Steinfell.
Feuerherz trat vor, mit einem Schwanzschnippen bedeutete er Steinfell zu schweigen. »Ich werde die Sache jetzt klären. Nebelfuß und du, ihr solltet besser gehen.«
Steinfell verneigte sich vor ihm und übernahm die Führung in Richtung Ginstertunnel. Feuerherz hörte hier und da ein wütendes Fauchen, als die DonnerClan-Katzen den Weg freigaben.
»Der Dank des Clans möge euch begleiten«, rief Feuerherz hinter ihnen her und seine Stimme hallte dünn vom Hochstein wider.
Nebelfuß und Steinfell antworteten nicht. Sie drehten sich auch nicht mehr um, bevor sie im Tunnel verschwanden.
Jedes einzelne Haar kribbelte Feuerherz im Pelz, denn er wäre am liebsten vor seinen neuen Verpflichtungen davongerannt. Blausterns Geheimnis hatte so schwer auf ihm gelastet und schien jetzt, nachdem es gelüftet war, umso schwerer zu wiegen. Er wünschte sich, er hätte mehr Zeit gehabt, sich zu überlegen, was er sagen sollte. Aber es war nicht zu ändern. Besser, sein Clan erfuhr die Wahrheit jetzt von ihm als von Tigerstern auf der nächsten Großen Versammlung. Als Anführer musste er sich der Aufgabe stellen, so schwer sie auch war.
Er nickte Rußpelz zu und sprang auf den Hochstein. Den Clan zusammenzurufen war nicht nötig. Alle sahen zu ihm auf. Einen Herzschlag lang stockte Feuerherz der Atem und er brachte kein Wort heraus.
Er sah ihre Wut und Verwirrung, roch ihre Angst. Dunkelstreif beobachtete die Szene durch schmale Augenschlitze, als ob er bereits darüber nachdenken würde, was er Tigerstern erzählen sollte. Niedergeschlagen dachte Feuerherz daran, dass Tigerstern bereits Bescheid wusste. Er hatte gehört, was Blaustern zu ihren Jungen sagte, als sie am Flussufer im Sterben lag. Allerdings würde sich der Anführer des SchattenClans freuen, wenn er von der Verwirrung des DonnerClans und Feuerherz’ Nöten erfuhr. Sicher würde Tigerstern einen Weg finden, beides für sich zu nutzen, für seinen Rachefeldzug und die Versuche, seine Jungen, Brombeerpfote und Bernsteinpfote, zurückzuholen.
Feuerherz holte tief Luft und hob an: »Es ist wahr, Nebelfuß und Steinfell sind Blausterns Junge.« Es fiel ihm schwer, seine Stimme im Griff zu behalten, und er betete zum SternenClan, ihm die richtigen Worte einzugeben, damit sich die Katzen nicht von Blaustern abwandten. »Eichenherz vom FlussClan war ihr Vater. Als die Jungen geboren wurden, übergab Blaustern sie ihm, um sie in seinem Clan aufwachsen zu lassen.«
»Woher weißt du das?«, fauchte Frostfell. »Blaustern hätte so was nie getan! Wenn die FlussClan-Katzen so was behaupten, dann lügen sie.«
»Blaustern hat es mir selbst erzählt«, antwortete Feuerherz.
Er begegnete dem Blick der weißen Katze mit den wütend funkelnden Augen. Sie fletschte die Zähne, wagte aber nicht, ihn der Lüge zu bezichtigen. »Willst du behaupten, sie wäre eine Verräterin gewesen?«, zischte sie.
Einige Katzen jaulten Protest. Mit gesträubtem Fell wirbelte Frostfell herum, worauf sich Weißpelz erhob und vor ihr aufbaute. Der alte Krieger schien fassungslos vor Entsetzen, aber seine Stimme blieb fest, als er miaute: »Blaustern hat immer zu ihrem Clan gehalten.«
»Wenn sie so loyal war«, warf Dunkelstreif ein, »warum hat sie dann von dem Kater eines anderen Clans Junge bekommen?«
Feuerherz fand diese Frage nicht leicht zu beantworten. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich Graustreif mit einer Kätzin des FlussClans gepaart und seine Jungen wuchsen jetzt dort auf. Die DonnerClan-Katzen waren entsetzt gewesen, als Graustreif meinte, er könnte nicht länger bei dem Clan bleiben, in dem er geboren war. Er war zwar inzwischen in den DonnerClan zurückgekehrt, aber einige Katzen benahmen sich ihm gegenüber immer noch feinselig und misstrauten ihm.
»So was kommt vor«, antwortete Feuerherz. »Blaustern hätte ihre Jungen gern zu treuen DonnerClan-Kriegern erzogen, aber –«
»Ich erinnere mich an die Jungen.« Diesmal kam die Unterbrechung von Kleinohr. »Sie verschwanden aus der Kinderstube. Wir haben alle geglaubt, dass ein Fuchs oder ein Dachs sie geholt hätte. Blaustern war verzweifelt. Willst du behaupten, das wäre alles gelogen gewesen?«
Feuerherz blickte auf den alten grauen Kater hinab. »Nein«, versicherte er. »Blaustern war verzweifelt über den Verlust ihrer Jungen. Sie musste sie aber aufgeben, damit sie Zweite Anführerin werden konnte.«
»Willst du uns erzählen, ihr Ehrgeiz hätte ihr mehr bedeutet als ihre Jungen?«, fragte Borkenpelz. Der braune Krieger hörte sich eher verwirrt als wütend an. Dieses Bild schien nicht zu seiner Vorstellung von der klugen Anführerin zu passen, wie er sie gekannt hatte.
»Nein«, antwortete Feuerherz. »Sie hat es getan, weil ihr Clan sie brauchte. Sie hat den Clan an die erste Stelle gestellt – so hat sie es immer gehalten.«
»Das ist wahr«, stimmte Weißpelz bedächtig zu. »Nichts hat Blaustern mehr bedeutet als der DonnerClan.«
»Nebelfuß und Steinfell sind stolz, weil sie so tapfer war – damals wie heute«, fuhr Feuerherz fort. »Und wir sollten das auch sein.«
Er war erleichtert, als keine weiteren offenen Anschuldigungen kamen, auch wenn die Spannung unter den Clan-Katzen noch nicht vollständig verklungen war. Mausefell und Frostfell tuschelten miteinander und warfen misstrauische Blicke zu ihm hoch. Fleckenschweif stolzierte zu ihnen hinüber, den Schwanz mit der zuckenden Spitze steil aufgerichtet. Aber Weißpelz trottete von einer Katze zur anderen, offensichtlich, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Und Kleinohr nickte weise, womit er vermutlich anerkannte, dass Blaustern eine schwere Entscheidung getroffen hatte.
Dann erhob sich eine einzelne, klare Stimme aus dem Gemurmel der Gespräche. »Feuerherz«, meldete sich Bernsteinpfote zu Wort, »wirst du jetzt unser neuer Anführer werden?«
Bevor Feuerherz antworten konnte, sprang Dunkelstreif auf die Pfoten. »Ein Hauskätzchen zum Anführer machen? Sind denn alle verrückt geworden?«
»Das steht außer Frage, Dunkelstreif«, hob Weißpelz mit lauter Stimme an, um die Protestrufe von Sandsturm und Graustreif zu übertönen. »Feuerherz ist Zweiter Anführer des Clans, er tritt die Nachfolge von Blaustern an. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Feuerherz warf ihm einen dankbaren Blick zu. Das Fell in seinem Nacken hatte sich unwillkürlich gesträubt, und er entspannte sich, damit es sich wieder anlegte. Dunkelstreif sollte nicht sehen, dass er sich von seinen Vorwürfen provozieren ließ. Trotzdem konnte er einen leisen Zweifel nicht unterdrücken. Blaustern hatte ihn zum Stellvertreter gemacht, aber damals hatte sie wegen Tigersterns Verrat unter Schock gestanden, und der ganze Clan war entsetzt gewesen, weil die Zeremonie zu spät stattgefunden hatte. Konnte das vielleicht bedeuten, dass er nicht die richtige Katze war, um den DonnerClan anzuführen?
»Aber ein Hauskätzchen!«, protestierte Dunkelstreif. Seine gelben Augen starrten voller Abscheu zu Feuerherz hinauf. »Der nach Zweibeinern und ihren Nestern stinkt! Wollen wir, dass so einer unser Anführer wird?«
Feuerherz spürte, wie der wohlbekannte Zorn in seinem Bauch entbrannte. Obwohl er im Clan lebte, seit er sechs Monde alt war, würde ihn Dunkelstreif nie vergessen lassen, dass er nicht im Wald geboren war.
Während er gegen das Verlangen ankämpfte, hinabzuspringen und Dunkelstreif seine Krallen ins Fell zu bohren, stand Goldblüte auf und trat vor den dunklen Krieger. »Du irrst dich, Dunkelstreif«, knurrte sie. »Feuerherz hat seine Loyalität gegenüber dem Clan mehr als tausendmal bewiesen. Eine Katze, die im Clan geboren wurde, hätte nicht mehr tun können.«
Feuerherz blinzelte sie dankbar an, voller Überraschung, weil ausgerechnet Goldblüte ihn so entschlossen verteidigt hatte. Sie kannte Feuerherz’ Befürchtungen, dass Brombeerpfote, ihr Junges, am Ende so gefährlich werden könnte wie sein Vater Tigerstern. Zwar hatte Feuerherz selbst die Ausbildung von Brombeerpfote übernommen, fühlte sich aber in der Nähe des jungen Katers nie richtig wohl, und Goldblüte wusste das. Sie hatte ihre Jungen gegen Feuerherz’ feindselige Haltung immer wieder heftig verteidigt. Umso mehr überraschte ihn, dass sie jetzt vor Dunkelstreif für ihn Partei ergriff.
»Feuerherz, hör nicht auf das, was Dunkelstreif sagt.« Farnpelz stellte sich ebenfalls auf seine Seite. »Hier will jeder, dass du Anführer wirst, außer ihm. Du bist eindeutig die beste Katze für diese Aufgabe.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich unter den Katzen am Hochstein.
»Und wer sind wir schon, um uns gegen den Willen des SternenClans zu erheben?«, fügte Mausefell hinzu. »Der Stellvertreter wird immer der neue Anführer. Diese Tradition gehört zum Gesetz der Krieger.«
»Das Feuerherz anscheinend besser kennt als du«, fauchte Graustreif und schnippte verächtlich mit der Schwanzspitze nach Dunkelstreif. Er wusste so gut wie Feuerherz, dass der dunkle Krieger beim Angriff der Hunde mit Tigerstern unter einer Decke gesteckt hatte.