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Ashley Carrington

Die Rose von Kimberley

Roman

hockebooks

20

Rosemarie hatte schon so ein merkwürdiges Gefühl, als sie mit Emily, Tante Bess und Onkel Rupert von der Kirche nach Hause kam und Lawrence’ Kutsche in der Einfahrt stehen sah. Sie hatte ihn bei der Messe vermisst, denn seit er ihr den Hof machte, saß er stets an ihrer linken Seite in der Bank der Thorndikes, und in all diesen Monaten hatte er nicht einen einzigen Gottesdienst verpasst – bis auf diesen letzten Sonntag im April. Was mag ihn ausgerechnet heute fernhalten?, fragte sich Rosemarie schon in der Kirche. Und als sie dann seine Kutsche vor dem Haus erblickte, verwandelte sich ihre Verwunderung in eine Ahnung. Was kann es bloß so Wichtiges geben, dass Lawrence die Messe versäumt und dafür Dad aufsucht, was er doch auch zu jeder anderen Stunde des Tages hätte tun können?

Flüchtig kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht damit zusammenhing, dass Lawrence am Sonntagmorgen sicher sein konnte, ihren Vater ganz allein im Haus anzutreffen.

»Mister Brandon wünscht Sie zu sprechen, Miss«, teilte ihr April mit, kaum dass sie ihren Umhang und Hut abgelegt hatte. »Er erwartet Sie im grünen Salon.«

Mit einem flauen Gefühl im Magen begab sich Rosemarie in den grünen Salon, der wegen der jadegrünen Polsterbezüge von Sofa und Sessel so genannt wurde. Er war der kleinere und weniger formelle der beiden Salons im Haus der Thorndikes. Ihre Beunruhigung wuchs, als sie ihren Vater dort allein vorfand und nicht in Gesellschaft von Lawrence. Es war offensichtlich, dass ihr Vater sie unter vier Augen zu sprechen wünschte.

Auch in den neuen Kleidern, die sie für ihn erstanden hatte, sah er wieder erbärmlich eingefallen aus. Doch sein ausgemergeltes Gesicht zeigte an diesem Morgen eine ungewöhnlich frische Farbe. Und in seinen Augen blitzte eine Lebendigkeit und Freude, wie Rosemarie sie nur am Tag ihrer Ankunft in Kimberley bei ihm gesehen hatte.

»Da bist du ja endlich, meine Prinzessin! Du weißt ja gar nicht, mit welcher Ungeduld ich auf deine Rückkehr gewartet habe«, begrüßte er sie mit überschwänglicher Freude und winkte sie mit seinem gesunden Arm heran. »Gib mir einen Kuss. Dies ist ein wunderbarer Tag.«

Die Ahnung verdichtete sich in ihr und ihr Magen schien sich zu einem schmerzenden Knoten zusammenzuziehen, als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihn auf die Wange küsste. »Ja, der erste kühle Morgen, den ich in Kimberley erlebe«, sagte sie.

Er lachte. »Ach was, das meinte ich nicht.«

»Ist Lawrence schon wieder weg?«, fragte sie, obwohl sie ganz genau wusste, dass er niemals die grobe Unhöflichkeit begehen würde, wegzufahren, ohne sie vorher begrüßt zu haben. »Habt ihr sogar am Sonntagmorgen dringende Geschäfte zu besprechen gehabt?«

Ihr Vater schüttelte mit strahlenden Augen den Kopf. »O ja, wir haben überaus wichtige Dinge besprochen, aber nicht Geschäfte der Art, die du meinst«, antwortete er mit hörbarer Aufregung. »Komm, setz dich zu mir. Heute ist ein ganz besonderer Tag. Ein Tag zum Fröhlichsein und Feiern. Ein Tag, um Gott aus ganzem Herzen und ganzer Seele zu danken, mein Kind! Gloria und Hosianna!«

Rosemarie setzte sich in den Sessel, neben den ihr Vater sich hatte schieben lassen. »Du bist ja richtig aufgedreht, dass mir angst und bange wird, Dad.«

»Im Gegenteil, wir alle haben Grund zum Jubilieren, mein Kind. Du natürlich ganz besonders.«

»Weshalb?«, fragte sie mit belegter Stimme.

Er beugte sich zu ihr hinüber und lachte sie mit seinem Grimassenlachen an. »Dies ist der Tag, auf den ich so lange gewartet, den ich erhofft und herbeigesehnt habe, Rosemarie! Und du bestimmt auch!«, stieß er aufgeregt, aber gedämpft aus. »Es ist geschehen!«

Rosemarie schluckte, denn in diesem Moment verwandelte sich ihre Ahnung in Gewissheit. Sie wusste die Antwort auf ihre Frage, die ihr nun nur noch rhetorisch über die Lippen kam: »Was ist geschehen, Dad?«

»Er hat sich erklärt und um deine Hand angehalten!« Ihr Vater griff nach ihrem Arm und drückte ihn.

»Lawrence«, sagte Rosemarie, als fiele ihr plötzlich die Lösung zu einem Rätsel ein, das ihr lange Kopfzerbrechen bereitet hatte.

Er lachte belustigt auf, wie wenn sie einen gelungenen Scherz gemacht hätte. »Natürlich Lawrence. O Kind, das ist für mich der glücklichste Tag, den ich nach dem Tod deiner Mutter erleben durfte, der Herrgott ist mein Zeuge! Wie oft hat mich im letzten halben Jahr doch die Sorge gequält, von dieser Welt zu gehen, ohne dich vorher gut unter die Haube gebracht und mit einem Mann verheiratet zu haben, der die Tradition der Brandons fortführt und dir das Leben bieten kann, das du verdient hast. Und nun wird Lawrence dein Mann und mein Schwiegersohn. Damit erfüllt sich noch zu meinen Lebzeiten mein innigster, quälendster Wunsch, dem Himmel sei Lob und Dank!«

Rosemarie saß einen Moment stumm im Sessel, während ihr Vater sie mit seinem lallenden Wortschwall überschüttete. Dass Lawrence um ihre Hand angehalten hatte, überraschte sie eigentlich nicht. Tief in ihrem Innern hatte sie schon seit Wochen gewusst, dass dieser Tag nicht mehr fern sein konnte. Doch sie hatte den Gedanken daran verdrängt. Und nun, da es passiert war, versetzte ihr die Nachricht trotz aller inneren Erwartung doch einen gehörigen Schock. Die Vorstellungen, die man sich über ein zukünftiges Ereignis machte, dem man mit zwiespältigen Gefühlen entgegensah, unterschieden sich doch völlig von den tatsächlichen Eindrücken und Gefühlen, wenn dann der Moment wirklich gekommen war.

Zu ihrer Beklommenheit und Verwirrung gesellte sich auf einmal Ärger. Lawrence hatte bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten, ohne sich zuerst einmal ihr zu erklären und sich ihrer Bereitschaft zu versichern, ihm ihr Jawort zu geben.

»Wie schön, dass du dich über seinen Antrag so sehr freust und diesen Tag als den glücklichsten seit Mutters Tod empfindest«, brach sie nun ihr Schweigen. »Aber vielleicht fragst du auch mal mich danach, ob ich ebenso glücklich darüber bin, Dad. Immerhin geht es hier ja um mich und meine Zukunft, nicht wahr?«

»Aber was redest du denn da, mein Kind? Ich weiß doch, wie sehr dir Lawrence ans Herz gewachsen ist und wie gut ihr euch versteht«, tat er ihren ungehaltenen Einwand unbekümmert ab. »Ihr seid ja schon seit Monaten unzertrennlich und ihr werdet ein wunderbares Paar abgeben. Man braucht doch über das Offensichtliche keine Worte zu verlieren.«

»Ja, ich mag ihn sehr, doch ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn auch liebe, Dad.«

»Um Gottes willen, dämpfe deine Stimme, Kind!«, ermahnte er sie und warf einen besorgten Blick auf die Flügeltüren, die in den großen, angrenzenden Salon führten. »Lawrence wartet im Nebenzimmer, um dir seinen Antrag zu machen. Und du möchtest doch wohl nicht, dass ihm zufällig eine leichtfertige Äußerung von dir zu Ohren kommt, die ihn verletzen könnte.«

»Natürlich nicht, Dad. Nichts ist dir wichtiger, als was Lawrence hören oder denken könnte!«, stieß sie aus. Für einen kurzen Augenblick wallte ausgesprochene Wut in ihr auf und sie fühlte sich zum ersten Mal von der entstellten, lallenden Stimme ihres Vaters abgestoßen. Sie wusste, dass er nichts dafür konnte und dass es ungerecht von ihr war, ihm das insgeheim vorzuhalten, aber in Zusammenhang mit seiner konsequenten Ignoranz, was ihre Wünsche betraf und wie sie zu Lawrence’ Antrag stand, trug auch seine Redeweise dazu bei, dass sie sich abgestoßen fühlte. »Denn von mir erwartest du ja sowieso nur, dass ich zu allem Ja und Amen sage. Warum handelt ihr das nicht überhaupt ganz allein unter euch aus? Auf meine Gefühle und Wünsche kommt es ja offenbar nicht an!«

Verstört blickte er zu ihr auf. »Was redest du da für ein dummes Zeug, Kind? Was ist nur in dich gefahren? Ich dachte, du würdest glücklich sein und mir bei dieser wunderbaren Nachricht um den Hals fallen. Ich weiß überhaupt nicht, was du dir sonst noch wünschen könntest.«

»Das glaube ich dir«, sagte sie bitter. »Dass ich Lawrence vielleicht gar nicht heiraten will, dieser Gedanke ist dir ja nie gekommen. Du hast dir nie die Mühe gemacht, mich danach zu fragen, ob er denn die Liebe meines Lebens ist.«

»Versündige dich nicht, Rosemarie!«, stieß er bestürzt aus und sein Gesicht verlor augenblicklich die gesunde Farbe. »Wie kannst du nach all den Monaten, die du mit ihm in so harmonischer Gesellschaft verbracht hast, bloß deine Gefühle verleugnen wollen? Und was soll dieser Unsinn mit der ›Liebe meines Lebens‹, Rosemarie?«

»Seit wann ist Liebe Unsinn?«, widersprach Rosemarie, dämpfte ihre Stimme nun aber doch. »Mutter hat dich geliebt – und du sie. Hast du das vielleicht vergessen?«

Sein gesundes Auge funkelte sie nun an. »Nicht einen Tag. Aber lass deine Mutter und mich aus dem Spiel. Es steht dir nicht zu, dich auf das Glück zu berufen, das uns vergönnt gewesen ist, als könntest du daraus Rechte ableiten. Es wäre für deine dumme Argumentation auch ein sehr untaugliches Beispiel. Denn von unseren Eltern hat uns niemand danach gefragt, ob wir heiraten wollten. Wir waren einander schon versprochen, als deine Mutter noch keine zehn Jahre alt gewesen ist. Die Morrisons hatten nur ein einziges Kind und eine schäbige kleine Juwelierwerkstatt, mit der es einfach nicht aufwärtsgehen wollte. Und mein Vater, der ein tüchtiger Goldschmied war, aber ohne Kapital, hatte nur einen Sohn. Die Freundschaft und aufrichtige Zuneigung unserer Eltern übertrug sich auf uns. Und uns kam nie der Gedanke, unsere Eltern zu enttäuschen. Wir wussten, dass unsere Ehe für uns alle von Nutzen sein würde. Von Liebe hat damals niemand gesprochen. Diesen Luxus konnten wir uns nicht leisten.«

»Die Zeiten haben sich verändert, Dad. In drei Jahren beginnt ein neues Jahrhundert und eine Ehe sollte man nur eingehen, wenn man sich sicher ist, dass man einander auch liebt. Wirtschaftliche Gedanken haben dabei nichts zu suchen.«

»Rede du nicht von Liebe. Was du meinst, ist diese kopflose Schwärmerei, die mehr Unglück über die Menschen als Segen bringt. Von Liebe kann man nur sprechen, wenn man schon auf viele gemeinsame Erfahrungen zurückzublicken vermag, und zwar nicht auf ein paar sorglose Wochen und Monate unter dem Schutz der Eltern, sondern auf zusammen überstandene Prüfungen und Stürme des Lebens. Dann kann man so wie deine Mutter und ich sagen, dass eine Ehe, die mit gegenseitigem Respekt und mit Zuneigung begonnen hat, im Laufe der Jahre auch mit wahrer Liebe gesegnet worden ist. Bist du nicht alt genug, um zu wissen, dass die Liebe erst im Laufe des Lebens zu ihrer wahren Kraft heranwachsen muss, so wie auch ein Eichensetzling nicht über Nacht zu einem starken Baum wird?«

Die Erregung hatte seinen Puls und seine Atmung dermaßen beschleunigt, dass er sich nun gezwungen sah, eine kurze Pause einzulegen, um wieder zu Luft zu kommen.

»Bitte, Dad …«, begann Rosemarie in versöhnlichem Ton. Angesichts seiner besorgniserregenden Aufwallung fielen ihr Zorn und ihr Aufbegehren wie ein Strohfeuer in sich zusammen, wenn auch die heiße Glut blieb.

Er brachte sie mit einer herrischen Geste zum Schweigen. »Und was soll diese naive Behauptung, dass wirtschaftliche Überlegungen bei einer Eheschließung nicht von Belang wären? Solch eine gedankenlose und wirklichkeitsfremde Äußerung hätte ich von dir nicht erwartet!«, zürnte er. »Du hast nie in deinem Leben etwas zu entbehren brauchen. Du bist wohlbehütet, von bestem Personal bedient und ohne materielle Sorgen aufgewachsen, abgeschirmt von den Kümmernissen und Nöten, die für die meisten Menschen zum Alltag gehören. Und so sollte es auch sein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Unserer Wirtschaft bläst ein eisiger Wind ins Gesicht, wir befinden uns am Rand eines Kriegs, dessen Auswirkungen auf die Geschäfte von Farrington, Brandon & Nash nicht abzusehen sind. Und mir ist kein Sohn vergönnt gewesen, dem ich in dieser unsicheren Zeit meine Firma hätte übergeben können.«

»Ich dachte, ich würde eines Tages eine Ehe eingehen und nicht ein geschäftliches Arrangement, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, das Überleben der Firma zu retten!«, erwiderte sie erregt.

»Du bist meine Tochter, mein einziges Kind!«, beschwor er sie und seine gesunde Hand umschloss ihren Unterarm wie eine stählerne Klammer. »Willst du mir offen ins Gesicht sagen, dich interessiert das Schicksal meiner Firma nicht, die ich in drei Jahrzehnten harter Arbeit aufgebaut habe und der du alles verdankst, was du bist? Ist es dir wirklich völlig gleichgültig, wenn mein Lebenswerk so hinweggespült wird wie deine Sandburg damals am Strand von Brighton? Kannst du dem tatsächlich ungerührt und tatenlos zusehen? Hast du vergessen, was du beim Grab deiner seligen Mutter und bei der Heiligen Jungfrau geschworen hast? Gilt dir all das nichts mehr? Willst du das deinem Vater auf dem Totenbett als Abschied mit auf den Weg aus diesem Leben geben?« Die Fragen sprudelten aus ihm heraus wie die verzweifelten Anklagen eines verstoßenen Mannes.

Sie wich seinem Blick aus und flüsterte mit belegter Stimme: »Es ist nicht fair, was du da sagst. Du bist krank, aber doch nicht auf dem Totenbett.«

»Machen wir uns nichts vor, Rosemarie. Auch wenn mein Tod noch einige Zeit auf sich warten lässt, so werde ich mich doch von diesem Schlaganfall nicht mehr erholen«, erwiderte er mit müder Stimme. »Kannst du es mir deshalb verdenken, dass ich nicht mehr warten mag, dich gut verheiratet zu sehen? Verstehst du nicht, dass ich all das nur tue, weil ich um deine Zukunft besorgt bin, die nun mal eng verknüpft ist mit der meiner Firma, und dich in guten Händen wissen möchte, wenn meine Stunde gekommen ist? Ist das denn so verwerflich, dass es mir nicht gleichgültig ist, was mit dir wird, wenn ich nicht mehr über dich wachen und für dich sorgen kann?«

Rosemarie biss sich auf die Lippe, als sie die Tränen auf dem Gesicht ihres Vaters sah, und wurde plötzlich von dem quälenden Gefühl heimgesucht, undankbar zu sein. Nein, das ist nicht verwerflich, Dad. Ich hatte nur gedacht … gehofft … Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. Was genau hatte sie denn gedacht und was sich erhofft? Sie vermochte es nicht einmal vor sich selbst in Worte zu fassen. Aber auch wenn sie es gekonnt hätte, was zählten ihre Gedanken und Hoffnungen schon groß? Ihre Einwände stießen bei ihm auf völliges Unverständnis, ja geradezu auf Bestürzung.

»Du solltest jetzt zu ihm gehen, mein Kind«, sagte ihr Vater mit sanfter, jedoch eindringlicher Stimme. »Es gehört sich nicht, ihn noch länger warten zu lassen. Also begib dich zu Lawrence und tu, was du für richtig hältst.«

»Was ich für richtig halte?«, vergewisserte sie sich sarkastisch. »Du schreibst mir nicht vor, was ich zu tun und zu lassen habe, wenn Lawrence mich bittet, seine Frau zu werden?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich vertraue darauf, dass du nicht nur weißt, was du mir und deiner seligen Mutter schuldig bist, sondern auch dir und deinen eigenen Gefühlen gegenüber. Ich müsste mich schon erschreckend in dir getäuscht haben, wenn du dein Glück leichtfertig verspielst.«

Rosemarie verzog kurz das Gesicht. »Ich habe mir schon gedacht, dass du solch ein Vertrauen in mich setzt«, erwiderte sie grimmig und fügte in Gedanken hinzu: Nur würde ich das nicht unbedingt Vertrauen nennen, sondern eher unerschütterliche Erwartung, dass ich deinen Wünschen Folge leiste!

»Sag ihm, was du willst, Rosemarie«, entgegnete er nun mit einem Anflug von Ungehaltenheit, »aber lass ihn bitte nicht länger warten!«

Rosemarie ging zur Tür und verharrte dort einen kurzen Moment, um sich innerlich zu sammeln und auf das Gespräch mit Lawrence vorzubereiten. Dann öffnete sie eine der Flügeltüren und trat zu Lawrence in den großen, formellen Salon, der zwischen zwei bodenlangen Sprossenfenstern einen stattlichen, mit schwarz-weißem Marmor verkleideten Kamin aufwies. Sie schloss die Tür hinter sich und bemühte sich um einen äußeren Ausdruck von Fassung. Lawrence stand vor einem der Fenster und blickte hinaus in den Garten. Er musste mit seinen Gedanken weit weg sein, denn er reagierte überhaupt nicht auf ihr Eintreten. Er machte einen so abwesenden Eindruck auf Rosemarie, dass sie bezweifelte, dass er auch nur ein Wort von dem erregten Gespräch zwischen ihrem Vater und ihr gehört hatte, und sie war froh darüber.

Sie räusperte sie. »Lawrence?«

Er schreckte aus seinen Gedanken auf und fuhr zu ihr herum. »Oh, Rosemarie! Ihr seid also schon zurück«, sagte er etwas verwirrt.

»Dad hat …« Sie brach ab, weil ihre Kehle plötzlich wie zugeschnürt war. Außerdem war es ja wohl auch nicht ihre Sache, den ersten Schritt zu tun.

Seine Miene veränderte sich schlagartig, als hätte er sich erst wieder daran erinnern müssen, weshalb er an diesem Morgen gekommen war. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr und nahm ihre Hand. »Rosemarie …«

Sie sah, wie er schluckte und wie sich sein Körper straffte. »Sie haben mir etwas Besonderes zu sagen?«, hörte sie sich fragen und die steife Förmlichkeit ließ ihr ihre eigene Stimme fremd vorkommen.

»Ich möchte dich bitten, meine Frau zu werden, Rosemarie«, verkündete er in ernstem, beinahe feierlichem Ton. »Willst du mich heiraten?«

Wie oft hatte sie von diesem Moment geträumt. Schon als Mädchen hatte sie sich vorzustellen versucht, wie es wohl sein würde, wenn sich ihr ein Mann erklärte und sie bat, seine Frau zu werden. In diesen Tagträumen waren jedoch stets mehr oder weniger Märchenprinzen vor ihr in die Knie gegangen. Die Wirklichkeit hatte mit diesen romantischen Bildern jedoch wenig gemein, wie sie jetzt erkannte. Weder kniete Lawrence vor ihr, noch war er ihr Märchenprinz.

Und dennoch schlug ihr Herz wie wild. Noch nie hatte ihr ein Mann einen Heiratsantrag gemacht. Dies war, bei allem Vorbehalt, wohl einer der ernstesten und wichtigsten Augenblicke in ihrem Leben. Ein einziges Wort, ein Ja oder Nein, würde unvorstellbar viele Konsequenzen haben. Und weil sie davor auf einmal beklemmende Angst bekam, wich sie der Antwort durch eine Gegenfrage aus: »Warum hast du nicht mich zuerst gefragt, Lawrence? Ist dir das Wort meines Vaters wichtiger als das von mir?«

»Nein, natürlich nicht!«, versicherte er.

»Und warum hast du dann nicht zuerst mit mir gesprochen, bevor du bei Dad um meine Hand angehalten hast?«

Sein verwirrter Ausdruck verwandelte sich in so etwas wie Verständnislosigkeit, ja, fast Unmut. »Auch ich hätte es gern anders gehabt, aber es hat sich nun mal so ergeben, Rosemarie. Dein Vater ließ mich heute Morgen zu sich kommen, und als er klipp und klar von mir wissen wollte, was meine Absichten seien … nun, da blieb mir nichts anderes übrig, als mich zuerst ihm zu erklären und ihn um deine Hand zu bitten.«

Sie empfand regelrechte Erleichterung, als sie das hörte. Es hätte sie schwer getroffen, wenn er von sich aus zuerst bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hätte. Und dass sie diese Erleichterung fühlte, überraschte sie dabei am meisten. »Das sieht Dad ähnlich«, sagte sie.

»Können wir deinen Vater für einen Moment aus dem Gespräch lassen?«, bat er und sah ihr in die Augen. »Ich wünsche mir dich als meine Frau, Rosemarie, und ich möchte gern wissen, ob du meinen Antrag annimmst.«

Ihr Herz raste jetzt. »Dein Antrag schmeichelt mir sehr …«

»Dass ich dich heiraten möchte, hat nichts mit Schmeichelei zu tun!«, unterbrach er sie fast ungehalten. »Ich mache dir einen Eheantrag, Rosemarie.«

»Ja, Lawrence, ich weiß … was das für ein besonderer Moment in deinem wie auch in meinem Leben ist … aber … das kommt alles so schnell und überraschend für mich«, entschuldigte sie sich und stammelte: »Ich bin ganz durcheinander und weiß überhaupt nicht … ich meine, es kommt so plötzlich …«

Verdutzt sah er sie an, als hätte er nicht eine Sekunde lang daran gedacht, sie könnte auf seinen Antrag etwas anderes als augenblicklich Ja sagen. »Willst du mir damit zu verstehen geben, dass du dir nicht sicher bist, ob du mich heiraten möchtest?«

»Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich mich erst an den Gedanken gewöhnen muss?«, bat sie um Verständnis.

Er schüttelte kaum merklich den Kopf, als wollte er nicht glauben, dass sie noch nicht darüber nachgedacht hatte. »Du möchtest Bedenkzeit?«, fragte er schließlich.

»Ja, bitte.«

»Reicht ein Tag?«

Rosemarie nahm all ihren Mut zusammen. »Wäre eine Woche nicht angemessener, da es doch um eine Entscheidung für das ganze Leben geht?«

»Eine Woche Bedenkzeit?« Er lachte kurz und spöttisch auf, als hielte er ihre Bitte für einen schlechten Scherz. »Und ich dachte, du würdest nicht einmal eine Sekunde zögern. Wie der Mensch sich doch irren kann, nicht wahr?«

»Bitte, Lawrence!«, flüsterte sie.

Einen Moment lang sah er sie stumm und mit fast stechendem Blick an, als wollte er auf den Grund ihrer Seele vordringen und erforschen, was sie bloß dazu bewog, sich eine volle Woche Bedenkzeit auszubitten, anstatt ihm mit strahlender Miene hier und jetzt ihr Jawort zu geben. Dann aber nickte er knapp. »Also gut, eine Woche, Rosemarie«, sagte er und ließ ihre Hand los. Ohne einen Gruß und mit kaum verhohlenem Groll ging er aus dem Zimmer.

Als ihr Vater hörte, wie sie auf den Heiratsantrag reagiert hatte, schoss ihm das Blut vor Ärger ins Gesicht. Er hielt ihr jedoch keine Strafpredigt, sondern das Einzige, was er von sich gab, bevor er sich für den Rest des Tages in seinem Zimmer einschloss, war: »So macht man sich zur Närrin! Deinen künftigen Ehemann so hinzuhalten, obgleich es doch in Wirklichkeit gar nichts mehr zu bedenken gibt, ist deiner nicht würdig!«

Emilys Reaktion fiel nicht entschieden anders aus, als sie erfuhr, dass Lawrence Farrington um ihre Hand angehalten hatte und Rosemarie ihre Entscheidung erst in einer Woche treffen wollte. »Bete zu Gott, dass er eine Frau, die sich nach so vielen Monaten ihrer Gefühle und Absichten immer noch nicht sicher ist, überhaupt noch heiraten will!«, warnte sie mit düsterer, sorgenvoller Miene. »Das Glück ist keine Drehtür, die sich immer wieder aufs Neue öffnet, wenn man beim ersten Mal nicht hindurchtritt!«

Emilys Warnung setzte Rosemarie mehr zu als die Zurechtweisung ihres Vaters. Sie bekam einen Hitzeausbruch und in ihrem Magen breitete sich ein schrecklich flaues Gefühl aus. Dennoch überwog bei ihr die Erleichterung, ihre endgültige Entscheidung bis zum nächsten Sonntag aufgeschoben zu haben. Und obwohl sie jeden bewussten Gedanken an Richard Hamiltons ungeheuerliche Aufforderung zu einem heimlichen Treffen in sich unterdrückte, hatte sich die Botschaft seines Briefes unwiderruflich in ihrem Hinterkopf festgesetzt. Der Entscheidung, die am nächsten Sonntag von ihr erwartet wurde, vermochte sie nicht auszuweichen. Doch vor dem nächsten Sonntag lagen erst einmal die Tage der Woche, und einer von ihnen war der Freitag …

21

Unter dem Siegel der Verschwiegenheit zog Rosemarie Vivian und Grace noch am selben Tag ins Vertrauen. Sie musste einfach mit ihnen darüber reden und am liebsten hätte sie ihnen das mit Richard Hamilton ebenfalls erzählt. Aber irgendetwas sträubte sich dann doch in ihr, auch dieses Geheimnis mit ihnen zu teilen.

Ihre Freundinnen zeigten sich nicht im Mindesten überrascht, dass Lawrence Farrington ihr einen Antrag gemacht hatte. Sie hatten schon lange damit gerechnet und beglückwünschten sie. Als sie dann wissen wollten, für wann die Verlobung und die Hochzeit festgesetzt waren und wie viele Brautjungfern sie haben würde, da rückte Rosemarie erst mit ihrer Woche Bedenkzeit heraus.

Grace glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. »Du hast was erbeten?« Sie tat, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. »Heilige Madonna, deine Nerven möchte ich haben! Ich an deiner Stelle wäre zerschmolzen vor Glückseligkeit und ihm um den Hals gefallen. Bedenkzeit? Mein Gott, ich hätte ihm nicht für eine einzige Minute die Chance gegeben, es sich noch einmal anders zu überlegen und seinen Antrag zurückzuziehen. Und du gehst hin und sagst zu einem der begehrtesten Junggesellen von Kimberley, er soll dich in einer Woche noch einmal fragen. Ich glaube es einfach nicht! Also ich weiß nicht, ob ich dich um diese Courage bewundern oder für verrückt erklären soll.« Sie beugte sich vor und fragte ebenso leise wie aufgeregt: »Aber sag, hat er dich denn wenigstens geküsst?«

Rosemarie errötete. »Natürlich nicht!«

»Was heißt ›natürlich nicht‹? Ich an deiner Stelle hätte mir einen heimlichen Kuss nicht entgehen lassen«, erklärte Grace mit verträumtem Blick. »Immerhin bist du jetzt ja schon so gut wie mit ihm verlobt. Und da kann man sich die Freiheit eines züchtigen Kusses ja wohl schon herausnehmen, oder?«

Vivian schmunzelte. »So wie Rosemarie das gemacht hat, war das schon ganz richtig«, stärkte sie ihr, im Gegensatz zu Grace, den Rücken. »Es ist überhaupt nicht gut, dass du deinen zukünftigen Ehemann jetzt schon spüren lässt, wie sehr du ihn liebst und wie selig du bist, dass er sich dir endlich erklärt hat. Soll er ruhig eine Woche schwitzen und bangen, ob du ihn auch erhörst.«

Rosemarie merkte, dass ihre Freundinnen beide ganz selbstverständlich davon ausgingen, dass es sich bei dieser Woche Bedenkzeit um einen raffinierten Schachzug von ihr handelte, nicht jedoch um ein Anzeichen von Zweifel, ob sie seinen Antrag überhaupt annehmen sollte. Als sie eine diesbezügliche Äußerung machte, da lachten sie nur.

»Wenn ich sehe, wie er dich anhimmelt und wie du ihn anschaust, dann kann ich bloß hoffen, dass ich eines Tages auch einmal so viel Glück haben werde wie du«, sagte Grace. »Ihr seid wirklich füreinander geschaffen.«

Vivian nickte. »Ja, du und Lawrence, ihr werdet bestimmt ein glückliches Paar abgeben.«

»Ihr habt gut reden«, beklagte sich Rosemarie. »Woher weiß man denn überhaupt, dass die Liebe stark genug und man wirklich füreinander geschaffen ist?«

»Wenn man Tag und Nacht an nichts anderes mehr denken kann«, lautete die spontane Antwort von Grace, um mit einem verschwörerischen Ton hinzuzufügen: »Und wenn man zu jeder Dummheit und jedem Skandal bereit ist.«

Vivian schüttelte den Kopf. »Nein, so ein Verhalten trifft auch auf kuhäugige Schwärmerei zu«, widersprach sie. »Wahre Liebe ist es, wenn man bereit ist, für den anderen alles zu geben und zu ertragen, und wenn man das unerschütterliche Gefühl hat, dass keine Macht der Welt einem diese Freiheit des Herzens nehmen kann.«

Als Rosemarie tags darauf von Eleanor Garland wissen wollte, woran man wahre Liebe erkennen könne, erhielt sie ohne Zögern die Antwort: »Wahre Liebe, die in einem langen Leben Bestand haben soll, zeigt sich darin, dass man stundenlang miteinander schweigen kann und sich dabei dennoch verbunden fühlt.«

Am Mittwoch stellte sie Father O’Leary im Beichtstuhl dieselbe Frage. »Liebe ist weder ein Besitz wie ein Ehering noch ein Zustand wie wehe Füße. Liebe ist eine Beziehung, ein aktives Geschehen zwischen zwei Menschen, Rosemarie«, erklärte er. »Und mit der Liebe verhält es sich wie mit dem Glauben. Niemand kann von heute auf morgen beschließen, gläubig zu sein. Der Glaube ist möglich, weil die kleine Flamme des Glaubenkönnens von der Schöpfung her in uns eingepflanzt ist. Aber der Glaube kann wie die Liebe nur dann zu einem ebenso kräftigen wie strahlend hellen Licht werden, wenn sie ständig genährt wird, wenn ich mich selbst aufmache und nach dieser Nahrung suche. Nur dann kann sie groß und stark werden und allen Stürmen des Lebens widerstehen. Das Wachsen im Glauben wie in der Liebe muss ein lebendiger Wille in mir sein. Und so, wie das Gebet die Beziehungspflege im Glauben ist und zu einer immer tieferen und stärkeren Beziehung zu Gott führt, so führt in einer Ehe vor allem das gegenseitige Geschenk des Vertrauens, der Hingabe und der Offenheit des Herzens auch in schwierigen Zeiten zu einer tiefen Liebe.«

»Also gibt es die große, wahre Liebe vom ersten Moment an gar nicht, Father?«, folgerte sie.

»Liebe, wenn sie aus ehrlichem Herzen kommt, ist immer wahr. Wie stark sie ist und was aus ihr wird, das hängt stets von den Liebenden selber ab. Wir sprechen in der Kirche von der Novizenbegeisterung, wenn ein junger Mann in einen Orden eintritt und sich mit flammendem Glaubenseifer in das monastische Leben stürzt. Diese flammende Begeisterung für das, an das er glaubt, ist etwas Wunderbares, ein kostbarer Schatz, den es zu hüten gilt, aber nicht im Sinne von Vergraben, sondern im Sinne von Vermehren. Diese lodernde Flamme muss sich jedoch bewähren, und zwar weit über die Novizenzeit hinaus. Erst wenn das Neue und Aufregende seinen oberflächlichen Reiz verloren hat und der Alltag mit seinen tausend Lasten eingezogen ist, dann erst beweist es sich, aus welcher Quelle diese Flamme ihre Nahrung bezieht – aus einem kleinen Schälchen Öl, das rasch erschöpft ist, oder aber aus einer beständigen Quelle, die aus einer großen inneren Tiefe aufsteigt. So verhält es sich auch mit der Liebe, Rosemarie.«

»Ich habe Angst, ich könnte das Schälchen Öl der Liebe fälschlich für eine Quelle halten und umgekehrt«, gestand Rosemarie.

»Unsere Angst, Liebe zu zeigen und dabei verletzt zu werden, ist häufig ebenso groß wie unsere Sehnsucht, geliebt zu werden – von Gott wie von unseren Mitmenschen«, erwiderte Father O’Leary mitfühlend. »Und so fürchten allzu viele von uns, was wir am meisten ersehnen: zu lieben und geliebt zu werden.«

Sie seufzte unterdrückt, hatte sie doch auf einen mehr handfesten Rat gehofft, der ihr die Entscheidung leichter gemacht hätte.

Father O’Leary schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn nun sagte er: »Niemand kann Ihnen die Entscheidung abnehmen, Rosemarie. Wem Sie Ihr Herz öffnen und wem Sie es verschließen, liegt allein in Ihrer Hand, in Ihrem freien Willen. Gott hat uns mit dieser außergewöhnlichen Freiheit gesegnet. Daher ist der Glaube wie auch die Liebe zuerst einmal hoffnungsvolles Wagnis und zugleich doch auch unerschütterliches Vertrauen – und beides existiert nur in der Tätigkeit. Liebe annehmen ist auch wieder selbst Liebe geben. Wer aber nicht an die Existenz des Gebenden glaubt, der wird auch niemals seine Gaben in Empfang nehmen können.«

Sowenig Father O’Learys Worte im Moment auch zu einem konkreten Ratschlag taugten, so sollten sie doch später, als Rosemarie darüber nachdachte, ein starkes Gefühl der Zuversicht in ihr wecken. Als sie an diesem Mittwochmorgen aus der Kirche kam, fühlte sie sich jedoch eher enttäuscht und ernüchtert. Die einzige handfeste Erkenntnis, mit der sie sich auf den Weg zurück in die Hemming Street machte, war, dass wohl niemand ihre Frage zu beantworten wusste, weil jeder andere Vorstellungen von der Liebe besaß und andere Erwartungen in sie setzte. Wenn sie noch zehn weitere Leute fragte, würde sie sicherlich zusätzlich noch zehn neue unterschiedliche Antworten erhalten.

Die Antwort, die ich suche, muss ich wohl ganz allein finden. Niemand kann mir das abnehmen, ja nicht einmal dabei helfen, erkannte Rosemarie bedrückt. Die Vorstellung, dass sie die Antwort auf diese wichtige Frage nicht fand und womöglich eine Entscheidung traf, die nicht wiedergutzumachen war, bereitete ihr schlaflose Nächte.

22

Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr Rosemarie das Paradox, dass eine Zeitspanne einerseits quälend langsam, andererseits aber auch rasend schnell verging.

Als der Freitagmorgen über Kimberley heraufdämmerte, war sie schon seit Stunden wach. Unruhig wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her. Schließlich stand sie auf, warf ihren gesteppten Morgenmantel über und ging vor dem Terrassenfenster auf und ab. Und diese äußere Rastlosigkeit war ein Spiegelbild ihrer inneren Zerrissenheit. Ihre Gedanken sprangen wie ein bockendes Fohlen mal hierhin, mal dorthin. Und ein Gedanke kehrte dabei ganz besonders oft wieder: Heute wartet um zehn Uhr auf der Dutoitspan Road eine Kutsche auf mich, die mich zu Richard bringen soll!

»Aber natürlich werde ich nicht in diese Kutsche steigen!«, sprach sie ihren Vorsatz laut aus, als fürchtete sie, er könnte sonst ohne Wirkung sein. »Auf gar keinen Fall! Nie und nimmer schleiche ich mich heimlich zu ihm!«

Aber warum konnte sie dann seinen ungeheuerlichen Brief mit dieser skandalösen Einladung einfach nicht aus ihrem Kopf bekommen?

»Du musst doch etwas essen, mein Kind!«, zeigte sich Tante Bess beim Frühstück besorgt, als Rosemarie nichts weiter als eine Tasse Tee zu sich nahm.

»Ich habe heute keinen Appetit, Tante Bess.«

»Aber du isst ja schon die ganze Woche wie ein Spatz!«

»Seit Lawrence Farrington sich ihr erklärt hat, lebt unsere Rose eben von Luft und Liebe«, bemerkte Onkel Rupert sarkastisch.

»Bestimmt träumt sie seit letzten Sonntag Tag und Nacht vom siebten Himmel der Ehe.«

Rosemarie hob nicht einmal den Kopf. In ihrer derzeitigen Seelenlage war kein Platz in ihren Gedanken, um sich über ihren Onkel zu ärgern.

Der Freitag war der Tag, an dem Emily gewöhnlich die Bibliothek aufsuchte. Sie zeigte sich freudig überrascht, als sie hörte, dass Rosemarie sie nach langer Zeit mal wieder begleiten wollte. Es erstaunte sie jedoch ein wenig, dass Rosemarie es eilig hatte und sofort nach dem Frühstück zum Aufbruch drängte.

Ich fahre nur mit, weil Emilys Gegenwart mich davor bewahren wird, irgendwelche Dummheiten zu machen, redete Rosemarie sich ein, als Medan sie zur Bibliothek kutschierte. Ich werde mir ein paar neue Bücher aussuchen. Das bringt mich bestimmt auf andere Gedanken.

Um zwanzig nach neun stiegen sie die breiten Stufen zum neoklassizistischen Portal hinauf. Im Saal mit den Lesetischen und den hohen Buchwänden, die oben von einer Galerie umschlossen waren, hing eine Uhr über dem Eingang. Rosemaries Blick wanderte immer wieder zu ihr hin. Ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute, und es kostete sie mehr und mehr Willenskraft, Interesse an den Büchern zu heucheln, auf die Emily und der hagere Bibliothekar sie hinwiesen. Noch um zehn vor zehn sagte sie sich, dass die Mietdroschke und mit ihr auch Richard Hamilton vergeblich auf sie warten würde. Sie wusste doch, was sie ihrem Namen schuldig war.

Als der Zeiger auf zwei Minuten vor zehn vorrückte, wurde das flaue Gefühl in ihrem Magen jedoch stärker. Gleichzeitig brach in ihr eine Hitze aus, obwohl es angenehm kühl im Lesesaal war.

»… ein ungewöhnlich eindrucksvoller Roman über den Aufstieg eines amerikanischen …«

Die Uhr schlug mit vollem Ton die zehnte Stunde.

In dem Moment geschah etwas mit Rosemarie, was sich ihrer Kontrolle total entzog. Es war, als hätte ein zweites Ich die Macht über ihren Willen an sich gerissen und alle guten Vorsätze von einer Sekunde auf die andere zunichtegemacht. Richards Kutsche wartete auf sie und sie durfte sie nicht verpassen! Das Glück ihres Lebens konnte davon abhängen!

»Emily, ich … ich muss weg«, fiel sie ihrer Zofe und Gesellschafterin ins Wort.

»Wie bitte?« Emily sah sie verständnislos an.

»Ja.«

»Aber wohin denn, um Gottes willen?«

Der rettende Einfall kam Rosemarie so plötzlich, als hätte ihr zweites Ich ihr ihn eingeflüstert. »Das kann ich dir leider nicht sagen, denn dann wäre es an deinem Geburtstag übernächste Woche ja keine Überraschung mehr.«

Emily lächelte geschmeichelt und erleichtert zugleich, glaubte sie jetzt doch zu wissen, was der Grund für ihre Unruhe war. »Rosemarie, du musst doch wegen mir wirklich nicht …«

»Ich weiß schon, was ich muss und was nicht«, ließ Rosemarie sie erst gar nicht ausreden und gab sich den Anschein fröhlicher Unbekümmertheit. »Nimm dir nur Zeit. Ich denke, dass ich in einer Stunde, spätestens aber in anderthalb wieder zurück bin.«

Forschen Schrittes, aber ohne auffällige Hast verließ Rosemarie den Lesesaal. Dabei schien jede Faser in ihr sie mit aller Macht zu drängen, aus der Bücherei zu rennen, damit sie bloß nicht die Kutsche verpasste. Wusste sie denn, wie lange der Kutscher auf sie warten würde? Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, nicht kopflos zu werden und loszulaufen.

Mit rasendem Herzen und weichen Knien ging sie die Dutoitspan Road hinunter. Auf der Straße herrschte um diese Zeit reger Verkehr. Ob die Mietdroschke noch immer an besagter Stelle auf sie wartete?

Sie beschleunigte ihre Schritte, als der Kimberley Club in Sicht kam, und hoffte inständig, nicht ausgerechnet jetzt auf irgendwelche Bekannte zu stoßen, die sie aufhalten würden.

Im nächsten Moment sah sie die Kutsche, die zwischen dem Club und dem Geschäft von Joshua Oates am Straßenrand stand. Auf dem Bock hockte ein schwarzer Kutscher. Und er trug einen seltsam anmutenden Dreispitz mit drei bunten Straußenfedern. Mit gleichgültiger Miene schaute er über den Betrieb auf der Straße hinweg.

Noch kannst du zurück!, rief die warnende Stimme ihrer Vernunft in ihr. Du brauchst bloß weiterzugehen. Würdige die Kutsche keines weiteren Blickes! Geh vorbei, kauf ein Geschenk für Emily, und vergiss, dass Richard Hamilton in seinem Theater auf dich gewartet hat.

Vergessen? Wie konnte sie aus ihren Gedanken verbannen, was sie seit einer Woche weder bei Tag noch bei Nacht nicht hat zur Ruhe kommen lassen? Wenn sie jetzt einfach weiterging, verpasste sie vielleicht das Glück ihres Lebens.

Aber wie kannst du Dad das antun!?, begehrten Vernunft und Pflichtgefühl in ihr auf. Geh vorbei!

Die Versuchung, die Ketten von Pflicht und gesellschaftlicher Erwartung zu sprengen und wenigstens einmal dem erregenden Risiko den Vorzug vor der Sicherheit zu geben, war jedoch zu groß. Auf der Höhe der Kutsche blieb sie beinahe abrupt stehen. Ihr war ganz übel vor Aufregung. Dies war das größte Abenteuer ihres Lebens, ein Wagnis, das ihren gesellschaftlichen Ruin bedeuten konnte und das einzugehen sie nie für möglich gehalten hätte. Sie wusste es, und doch konnte sie nicht dagegen an, genau das zu tun, was ihrer ganzen Erziehung völlig widersprach.

Der Schwarze auf dem Kutschbock straffte sich und sah zu ihr hinunter. »Diese Kutsche ist vorbestellt, Ma’am«, sagte er, mit einem fragenden Unterton.

Rosemarie schluckte schwer und nickte dann knapp. »Zu Mister Hamilton!«, erwiderte sie und ihre eigene Stimme kam ihr fremd vor.

»Zu Ihren Diensten, Ma’am!« Der Kutscher sprang vom Bock und riss ihr den Schlag auf.

Rosemarie spürte die Hitze, als das Blut in ihr Gesicht schoss. Hastig stieg sie in die Kutsche. Der Schlag fiel zu. Am ganzen Leib zitternd sank sie auf die Rückbank. Gott sei Dank verwehrten Vorhänge vor den Fenstern den Blick ins Innere der Kutsche, wie sie im nächsten Moment feststellte. Dann bemerkte sie in der linken Ecke der gegenüberliegenden Vorderbank einen schwarzen, breitkrempigen Frauenhut mit einem doppelten schwarzen Schleier. Und am Boden zwischen den beiden Polsterbänken stand eine abgewetzte, bauchige Reisetasche. Sie brauchte nicht zu raten, was sie enthielt: den anderen Teil der Verkleidung, die Richard sich für sie ausgedacht hatte.

Sie beugte sich vor und öffnete die Tasche, die nicht nur wie erwartet eine schwarze Langhaarperücke enthielt, sondern auch noch einen dünnen, schwarzen Umhang.

Träume ich das nur? Oder erlebe ich das tatsächlich? Das ist doch wie eine Szene in einem Theaterstück, ging es ihr durch den Kopf, als sie die Perücke einen Moment zögernd in den Händen hielt und sie sich dann mit einem entschlossenen Ruck über den Kopf stülpte. Sie warf sich das Cape um die Schultern und setzte zuletzt den Hut auf.

Eine geheimnisvolle Fremde in Schwarz, die in wenigen Minuten vor dem Hintereingang des Kimberley Theatre aus der Kutsche steigen und im Haus von Richard Hamilton verschwinden würde. Zu einem verbotenen Rendezvous, das weiß Gott wohin führen mochte. Und diese geheimnisvolle, schamlose Fremde war sie, Rosemarie Brandon!

Langsam dämmerte ihr, dass das Leben viel unglaublichere Geschichten schrieb, als sie sich ein Theater- oder Romanschriftsteller je ausdenken konnte.

Das Hämmern ihres Herzens erschien ihr lauter als das Geklapper der Pferdehufe. Hitzewallungen überfielen sie, während sich die Gedanken hinter ihrer Stirn jagten, ohne dass sie jedoch in der Lage war, sie zu vernünftigen, zusammenhängenden Gedankengängen zu verbinden. Sie schien bloß noch zu Fragmenten von Überlegungen und Erinnerungen fähig zu sein.

Was war bloß los mit ihr?

Und was, um Gottes willen, erwartete sie sich von Richard und ihrem Treffen mit ihm? Dass er für sie den gordischen Knoten durchschlug, der sie gefangen hielt?

Rosemarie schreckte zusammen, als die Kutsche plötzlich zum Stehen kam und sie den Schwarzen sagen hörte: »Wir sind da, Ma’am!« Im nächsten Moment öffnete er den Schlag.

Die Kutsche stand auf der Höhe der Hintertür, die einen Spalt offen stand, keine drei Schritte von ihr entfernt. Ob es pure Panik war oder Ernüchterung, die sie in dem Moment befiel, darüber sollte sich Rosemarie bis an ihr Lebensende nicht klar werden. Entscheidend jedoch war, dass sie wie gelähmt war.

»Ma’am?«

»Schließen Sie die Tür! Ich … ich muss nachdenken!«, wies sie den Kutscher an.

Der Schwarze zuckte gleichgültig mit den Schultern und schloss den Schlag wieder.

Wie betäubt saß Rosemarie auf der Bank und wusste nicht, was bloß in sie gefahren war, dass sie überhaupt in die Kutsche gestiegen war, und was sie jetzt tun sollte. Sie hatte das schreckliche Gefühl, nicht weiter vor zu können und zurück nicht zu wollen.

Aber was war es denn, was sie wirklich wollte?

Sie wusste es nicht, wie sie sich eingestehen musste. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie keine Marionette sein wollte, auch nicht in den Händen ihres Vaters, so sehr sie ihn liebte.

Der Schlag ging wieder auf.

»Ich habe doch gesagt, dass ich …«, begann Rosemarie erregt, ohne jedoch den Kopf zu wenden.

»Ich warte auf dich, Rose.«

Erschrocken fuhr sie herum. Richard stand vor der Kutsche. In dem sandfarbenen Anzug und mit der kastanienbraunen Seidenkrawatte sah er umwerfend aus.

Er lächelte sie an und streckte ihr die Hand hin. »Ich wusste, dass du kommen würdest, Rose«, sagte er leise und mit verführerischer Stimme. »Lass uns ins Haus gehen.«

Sie nahm seine Hand, widerstand jedoch seinem sanften Zug. »Nein … nein … ich kann nicht, Richard!«, stieß sie aus. »Es geht nicht … Es war nicht richtig, dass ich gekommen bin.«

»Aber du hast es getan.«

Rosemarie schüttelte den Kopf, ließ seine Hand jedoch nicht los. Nichts machte mehr Sinn. Alles, was sie dachte, tat und empfand, war ein Tumult aus Gegensätzen.

Richard wandte sich kurz dem schwarzen Kutscher zu und gab ihm eine Anweisung, die Rosemarie nicht verstand, weil sie in der Sprache der Eingeborenen gehalten war. Dann sprang er zu ihr in den Wagen, ohne ihre Hand loszulassen, und zog mit der anderen Hand den Schlag hinter sich zu. Er setzte sich so dicht neben sie, dass sich ihre Körper fast auf ganzer Länge berührten. Und bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihr Hut und Perücke abgenommen und seinen linken Arm um ihre Schulter gelegt. Kein Mann war ihr jemals so nahe gewesen – Onkel Rupert einmal ausgenommen. Nie würde sie seine lüsterne Hand auf ihrem Busen vergessen. »Richard, bitte!«

»Warum bist du so verkrampft und sperrst dich gegen deine Gefühle, Rose?«, fragte er mit zärtlich drängender Stimme. »Du spürst doch genauso wie ich, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich habe das schon geahnt, als ich dir auf der Modder River Station zum ersten Mal in die Augen geschaut habe. Und ich weiß, dass auch du damals schon ähnlich empfunden hast.«

»Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich empfinde«, erwiderte Rosemarie verstört.

»Nein, wirklich nicht?«, fragte er mit einem seltsamen Lächeln und bevor sie antworten konnte, beugte er sich vor und küsste sie. Rosemarie zuckte erschrocken zurück, doch er hielt sie fest in seinen Armen und der Druck seiner Lippen wurde stärker und verlangender. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie auf den Mund geküsst!

Sie war schon im Begriff, ihn von sich zu drücken, aber dann sagte sie sich, dass es doch genau das war, was sie hatte erfahren wollen. Und nun geschah es. Sie lag in den Armen eines Mannes, zu dem sie sich hinausgeschlichen hatte und von dem sie sich tief in ihrem Innersten die Lösung all ihrer Probleme erhoffte. Wie konnte sie ihn da von sich weisen? Nein, jetzt war der Augenblick der Wahrheit gekommen. Jetzt endlich würde sie erfahren, wie es war, leidenschaftlich geküsst und begehrt zu werden. All die vagen Andeutungen und Vermutungen, die sie seit ihrer Jungmädchenzeit beschäftigt und nie mehr in Ruhe gelassen hatten, würden jetzt zu Gewissheit und eigener Erfahrung werden.

Rosemarie gab ihren Widerstand auf und überließ sich bereitwillig seinem leidenschaftlichen Kuss und den intimen Berührungen seiner Hände, die nun über ihre Brüste glitten. Behutsam öffnete sie ihm ihre Lippen – und wartete darauf, dass sein Kuss sie in einen glückseligen Zustand der Entrückung versetzte, in irgendeine Form sinnbetörender Trance. Was genau es war, was sie erwartete, wusste sie jedoch nicht. Nicht einmal Grace und Vivian hatten Licht in dieses Geheimnis bringen können, welches das Zusammensein von Mann und Frau umschloss. Sie wusste von all dem Getuschel mit ihren Freundinnen in Bath über Leidenschaft und eheliche Pflichten sowie aus den Andeutungen in Romanen nur, dass es etwas ganz Besonderes sein musste, wenn zwei sich Liebende zueinanderfanden, etwas fast himmlisch Schönes, das man danach nie wieder missen mochte. Und nun wartete sie darauf, dass ihr dieses mysteriöse Es hier und jetzt in der Kutsche widerfuhr.

Die Verwandlung blieb jedoch aus. Nichts passierte. Kein sinnlicher Blitz versetzte ihren Körper in einen Zustand seliger Verzückung. So fest sie auch die Augen zusammenkniff und bereit war für die betörende Verwandlung, sie spürte nichts weiter als feuchte Lippen, die sich allzu fest auf ihren Mund pressten, sowie ein zunehmendes Gefühl der Atemnot und Bedrängung.

Und dann war da plötzlich seine Zungenspitze, die sich zwischen ihre Lippen bohrte. Er wollte ihr die Zunge in den Mund stecken! Das war zu viel. Sie zog ihren Kopf zurück und befreite sich aus seiner Umarmung.

»Wie kannst du so etwas tun?«, stieß sie verstört und entrüstet zugleich aus.

»Entschuldige, ich hätte dir wohl etwas mehr Zeit lassen müssen. Aber ich vermag seit Tagen an nichts anderes zu denken, als dich in meinen Armen zu halten und dich zu küssen und zu liebkosen«, sagte er mit schwerem Atem, der sie unwillkürlich an Onkel Rupert erinnerte, als dieser nachts in ihr Zimmer eingedrungen war und sie im Schlaf unsittlich berührt hatte.

Einen Moment starrte sie ihn verdutzt an. Dass sie nichts Berauschendes bei seinem Kuss empfunden hatte, brachte sie noch mehr durcheinander, und ohne jeden Zusammenhang platzte sie dann atemlos heraus: »Der Partner meines Vaters hat mir am Sonntag einen Heiratsantrag gemacht, und Dad wäre der glücklichste Mann auf Erden, wenn ich den Antrag annehmen würde. Ich habe mir eine Woche Bedenkzeit ausbedungen. Am Sonntag erwarten mein Vater und Lawrence meine Antwort.«

»Und deshalb bist du gekommen?«, fragte Richard mit einem verstohlenen Lächeln. »Weil du dir die Antwort von mir erhoffst?«

»Ja … ich meine … nein … ach, ich weiß es nicht. Ich weiß ja noch nicht einmal, warum ich dir das erzählt habe. Ich kenne dich doch eigentlich gar nicht«, stammelte sie verzweifelt. »Ich dürfte noch nicht einmal mit dir hier in der Kutsche sitzen. Ich habe Pflichten gegenüber meinem Vater … und mein gesellschaftlicher Ruf könnte ruiniert sein, wenn …«

Er verschloss ihr den Mund mit seinem Zeigefinger. »Dein Herz kennt mich gut genug, um zu wissen, dass du das Richtige tust, indem du zu mir gekommen bist. Wir gehören zusammen, Rose. Wir sind füreinander geschaffen und der Teufel soll die Gesellschaft und die Pflichten holen. Wir haben nur dieses eine Leben und du hast ein Recht darauf, es ganz nach deinen Wünschen zu gestalten – und vor allem zu entscheiden, mit wem du es leben möchtest«, versicherte er ihr und begann sie wieder zu streicheln.

»Dad wird es mir nie erlauben, dass ich dich heirate, Richard«, murmelte Rosemarie.

»Dein Vater ist ein schwerkranker Mann, Rose, und er hat sein Leben so verbracht, wie es ihm gepasst hat. Die Zukunft gehört ganz allein dir … nein, uns!«, erklärte er.

»Aber wie sollen wir beide …« Sie vermochte den Satz noch nicht einmal in ihren Gedanken zu beenden, geschweige denn auszusprechen.

»Meine Geschäfte laufen blendend, Rose. Ich werde deshalb in Kürze ein zweites Theater in Kapstadt eröffnen. Komm mit mir. Kapstadt wird dir gefallen. Wir werden dort ein schönes Haus beziehen, die besten Dienstboten einstellen und von allen beneidet werden. Ich verspreche dir, dass ich dir jeden Wunsch erfüllen werde.«

Die Situation kam ihr mit jedem Augenblick unwirklicher vor. »Aber ohne Zustimmung meines Vaters kann ich nicht heiraten, Richard«, wandte sie ein und war aus einem unerfindlichen Grund recht froh über diesen Umstand.

»Wir brauchen doch nicht zu heiraten, mein Liebling. Die Fesseln der Ehe haben den wenigsten Glück gebracht«, erwiderte er unbeeindruckt. »Ist es nicht die Hauptsache, dass wir zusammen sind und einander lieben?«

Sie stutzte. »Du willst, dass wir … dass wir ohne standesamtliche Urkunde und ohne den Segen der Kirche zusammenleben?«, fragte sie ungläubig. »Du willst mich wie … wie eine Geliebte aushalten?«