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1. Auflage 2011

© 2011 by mvg Verlag, ein Imprint der FinanzBuch Verlag GmbH, München,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

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Redaktion: Nicole Luzar, Betzenstein
Umschlaggestaltung: Sabine Gistl, Die Werberei, München

Satz: Daniel Förster, Grafikstudio Foerster, Belgern

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-86882-230-8

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Für meine Eltern

»In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
zu jung, um ohne Wunsch zu sein.«

Johann Wolfgang von Goethe,
Faust I

1

»Ich wusste immer schon, was ich wollte,
und das war Schönheit …
in jeder erdenklichen Form.«

Joan Crawford

Es ist einer dieser noch warmen Abende im September, an denen der Abschied vom Sommer besonders schmerzt. In einer schicken, aber nicht zu schicken Altbauwohnung in Berlin-Mitte, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, fegt eine Gastgeberin hektisch durch die Räume, denn bald werden vier Freundinnen auftauchen, um einen als wöchentlich anberaumten, doch sich ständig verschiebenden Weiberabend zu begehen. (Abende wie diese sind gar nicht so leicht zu arrangieren, denn je mehr Kommunikationskanäle einem zur Verfügung stehen, umso leichtsinniger und öfter wird abgesagt und verschoben, und wir schreiben das Jahr 2010.) Doch an diesem Abend treffen sich wieder: Sophie, Alev, Rosa, Polly und die Gastgeberin. (Die Gastgeberin bin ich.) Es ist aus mehreren Gründen ein besonderer Abend. Polly ist nach ihrer abgeschlossenen Ausbildung zur Yoga-Lehrerin in LA wieder zurück in der Heimat. Wir alle wollen wissen, ob sie wirklich so gaga geworden ist, wie sie sich zuletzt in ihren E-Mails angehört hat. Und: Wir wollen in natura sehen, wie ihr die neue Nase steht. Außerdem hat Alev eine wichtige Neuigkeit angekündigt.

Die Wohnung ist blitzblank gewischt; es riecht nach Essigreiniger, in den Vasen stehen frische Blumen, auf den Tischen leuchten Duftkerzen von Diptyque. (Die 17 Kilo Schrott, die bis vor fünf Minuten in der Wohnung herumlagen – Klamotten, Schmuck, Zeitschriften, Schuhe und allerlei Zeug, das sich nicht kategorisieren lässt –, habe ich in eine blaue Ikea-Tüte geschmissen. Die habe ich in den Schrank gepackt. Den Schrank habe ich geschlossen.) Es ist genügend Schaumwein und Wodka für eine mittelgroße russische Hochzeit kühl gestellt, und es gibt Roastbeef und Würstchen (keine Kohlenhydrate!), Börek (glykämischer Index höchst bedenklich, hat aber diese Eben-schnell-um-die-Ecke-geholt-Qualität) und Salat mit Edamame-Bohnen, dem gar nicht mehr so neuen Superfood. Im Ofen backen Brownies ohne Weißmehl, Zucker und Mononatriumglutamat, denn Polly hat uns via E-Mail mitgeteilt, dass sie all diesen Dingen unter der heißen, neurotischen Sonne Kaliforniens abgeschworen hat.

Es klingelt. Vor der Tür steht Rosa, die nach zwei Wochen auf einer Yacht im Mittelmeer noch besser aussieht als sonst, sofern das überhaupt möglich ist: Ihre Gisele-langen Haare haben nun honigblonde Spitzen und ihre langen, schlanken Gliedmaßen glänzen noch güldener. Rosa hat ihre genetische Sechs mit Superzahl (schwedischer Vater, argentinische Mutter, eine deutsche und eine russische Großmutter) eine Zeit lang zu Geld gemacht und gemodelt, doch sie war, wie sie selbst sagt, immer »zu klein und zu fett«. Rosa ist 173 Zentimeter groß und wiegt 55 Kilo. Wenn sie nicht so charmant und herzlich wäre, müsste man sie hassen. Ich umarme Rosa und nehme ihr die Jacke ab. Sie trägt ein ärmelloses Seidentop und ihre Arme sind weich wie Kaschmir.

»Wahnsinn, oder? Ich habe gestern ein Schoko-Peeling machen lassen, nach der Radiofrequenzbehandlung. War ziemlich teuer, weißt du ja, aber es hat sich gelohnt. Ich habe sogar am Abend mit meinem Mann gepoppt, damit es nicht umsonst war«, grinst sie und streicht sich über ihren yogagestählten Trizeps. (Rosas Mann ist einer dieser Hedgefonds-Manager, und nicht mal sie kann erklären, was er genau macht. Irgendetwas macht er aber richtig, denn er ist seit »der Kriiiiiiise« noch reicher geworden.)

»Na, Gott sei Dank kannst du das jetzt alles selbst bezahlen. Weiß dein Mann eigentlich, was das alles gekostet hat?«, frage ich sie, während wir anstoßen, und dann: »Gott, leben wir in den 50ern? Wie retro hört sich denn das an?

»Ich stehe auf retro, weißt du doch«, grinst Rosa. »Außerdem zahlt er immer noch für alles. Nur weil ich jetzt Geld verdiene, heißt das nicht, dass sich mein Taschengeld verringert hat. Was glaubst du eigentlich, was Alev uns sagen will?«

»Keine Ahnung, aber ich hoffe, es ist was Gutes. Die Arme hätte mal eine gute Nachricht verdient.«

»Ich hab’ auch keine Ahnung, was es ist. Wir haben sicher seit zwei Wochen nicht miteinander gesprochen. Ich glaube, sie ist sauer auf mich …«

»Wieso denn?«

»Ich habe ihr Botox vorgeschlagen.«

Und wie auf Kommando klingelt es: Alev und Sophie sind da. Es folgt – denn der Informationsaustausch in dieser Runde funktioniert am besten schnell, durcheinander und unterbrochen – eine Soundkomposition aus knallenden Korken und klickenden Feuerzeugen, aus Bewunderung von Rosas Jachtteint, Sophies Statusbericht über ihre Doktorarbeit (»Scheiße!«) und die neuesten Entwicklungen mit ihrem Flirt (»Voll Scheiße.«), Bekundungen der Freude auf das Wiedersehen mit Polly und Versuchen, Alev die große Nachricht zu entlocken. Doch Alev weigert sich:

»Polly ist doch noch nicht da!«

Sie trinkt einen Schluck Champagner und sagt dann: »Aber wir trinken jetzt auf Rosa! Rosa hat mir den besten Personal Trainer der Stadt vermittelt. Das Tolle ist, dass der darauf achtet, dass man die 15. Wiederholung einer Übung genauso präzise macht wie die erste. Alleine kriegt man das nie hin.«

»Wow, du hast einen Personal Trainer?«

»Ich stecke so was von fest. Mein Doktorvater meint sogar, ich soll mal zwei Monate Pause machen«, sagt Sophie.

»Was ist eigentlich aus deinem letzten Date geworden?«, fragt Rosa, sieht mich an und zieht ihre Augenbrauen zweimal hintereinander schnell hoch, trotz Botox.

Statt zu antworten, serviere ich den Börek und schiebe die Platte in ihre Richtung.

»Nehmen!«, sage ich, denn sie nehmen nicht.

»Nein danke, mein Trainer hat mir einen Ernährungsplan zusammengestellt. Ich esse jetzt kein Weißmehl. Und keinen Zucker. Ach, und auch keine Milchprodukte. Sechs Wochen lang«, erwidert Alev.

»Echt?«, sagt Rosa, die bei unserem letzten Abend, soweit ich mich richtig erinnere, kein Weißmehl, keinen Zucker und keine Milchprodukte aß. »Das könnte ich nicht mehr. Ich mache gerade den Babyfood-Cleanse. Sorry, aber …«, sagt sie und holt einen Glasbehälter mit einem rosafarbenen Püreeinhalt aus ihrer Tasche: »Polly hat mich angesteckt, noch von LA aus. Ist total gut für den Verdauungstrakt. Machen auch Reese Witherspoon und Jennifer Aniston.«

»Du weißt schon, dass das auf Dauer total ungesund ist?«, sagt Sophie. »Erwachsene müssen kauen, damit ihnen die Zähne nicht ausfallen.« Wenn sich jemand in dieser Materie auskennt, dann ist es Sophie – sie schreibt seit gefühlten fünf Jahren an ihrer Doktor-
arbeit, Arbeitstitel: »Essstörungen in der Literatur des 19. und
20. Jahrhunderts«. Sophie, die aus einer adeligen Familie stammt und sich nach eigenen Angaben ihre erste Essstörung in ihrem letzten Schweizer Internat eingefangen hat, nimmt ein Stück Börek, woraufhin Alev und ich uns entsetzt anschauen, denn seit wir Sophie kennen, habe ich sie nichts essen sehen, was sie nicht eindeutig als Superfood identifizieren konnte.

»Wer will also Brownies?«, frage ich, während ich sie aus dem Ofen hole. »Ohne alles.« Dieser gepolsterte Riesenhandschuh steht mir gut, finde ich.

»Was ist mit dir passiert? Bist du jetzt Martha fucking Stewart?«, fragt Sophie.

»Nein. Mary fucking Poppins«, sage ich.

»Jawoll! Backen ist das neue Raven«, sagt Alev, und wir stoßen an.

»Das Rezept habe ich von Gwyneth Paltrows bescheuertem Blog. Total makrobiotisch. Das sind ganz radikale kleine Gesundheitsfascho-Plätzchen. Garantiert spaßfrei.«

»Apropos: Wo bleibt eigentlich Polly?«, fragt Sophie mampfend.

»Die kommt sicher gleich«, sage ich.

»Ich will endlich Alevs News hören«, mault Sophie.

»Seit wann bist du eigentlich so geduldig?«, fragt Rosa und sieht mich an.

»Na, seitdem ich wieder entspannt bin. Also, seitdem ich dich gefeuert habe«, sage ich.

»Undankbares Gör«, zischt Rosa.

»Na Gott sei Dank hat sie’s endlich geschafft dich zu feuern. Sonst wäre sie eine unausstehliche Yoga Bitch geworden«, sagt Sophie etwas zu laut, wie ich finde. Betrunken kann sie noch nicht sein – sie ist die Einzige, die sich eine Grundlage durch Nahrung geschaffen hat. Vielleicht macht all das Weißmehl sie plötzlich aggressiv? Yoga Bitch. Der Begriff hallt in meinem Kopf nach und – wie bestellt –
klingelt Polly an der Tür.

*

Pollys Nase sieht toll aus. Wirklich. Nicht zu püppchenhaft, denn das würde nicht in ihr kantiges Gesicht passen, aber das entscheidende Stück Zinken zu viel ist weg. Außerdem hat sie vollere Lippen, einen goldenen Piz-Buin-Teint, glänzende Haare und sehr, sehr weiße Zähne. Wirklich. Sie sehen aus wie Perlen – fast eine Spur zu perfekt.

»Ich war beim angesagtesten Arzt in LA. Vier Monate musste ich warten, um dranzukommen, und er hat mich nur genommen, weil meine Yoga-Ausbilderin seine Personal Trainerin ist. Ich habe mir dann gleich ein Goldfädenlifting machen lassen. Und ich habe mir Fett aus meinem Arsch in die Lippen spritzen lassen«, sagt sie und schürzt diese. »Hyaluronsäure ist in LA so was von over

»Hattest du denn überhaupt zwei Gramm Fett in deinem Arsch?«, fragt Rosa.

»Haha«, antwortet Polly.

»Gott, ist das ekelhaft«, sagt Sophie und nimmt ein zweites Stück Börek. »Du hast Arschfett in deinem Gesicht.«

»Das ist nicht ekelhaft, das ist das Beste überhaupt. Wird vom Körper perfekt angenommen und baut sich nicht wie Hyaluronsäure nach sechs Monaten ab.«

Dann klärt uns Polly über das Goldfädenlifting auf und fügt hinzu: »Mein Arzt hat das auch bei Madonna gemacht.«

»Aber so wie die will man doch nicht aussehen. Die alte Plastikfresse mit ihrem Knorpelkörper«, sagt Alev.

»Die hat total den Bezug verloren. Sie weiß nicht mehr, was gut aussieht. Ihre Bäckchen sind zu prall und sie hat diese wächserne, glänzende, straffe Zu-viel-Botox-Visage. Das ist mindestens genauso peinlich wie ihre Ed-Hardy-Kappen«, lästert Rosa.

»Aber sie ist 52. Für 52 sieht sie toll aus«, sagt Polly.

»Sie sieht aber auch aus wie jemand, der es hasst, 52 zu sein. Hasst sie sich selbst? Das ist meine Küchenpsychologie-Frage des Abends«, werfe ich in die Runde und probiere die Plätzchen. Sie schmecken wie nasse Pappe.

»Madonna hat einfach keinen Geschmack. Wenn man irgendwo nachhilft, dann ist das Wie und Bei wem und Wie viel und Wohin und Wie häufig genauso eine Stilfrage wie die Klamotten, die man anzieht oder wie man die Haare trägt. Und Goldfäden sind nichts Neues, das lassen sich Russinnen seit 20 Jahren machen«, sagt Rosa.

»Ihr spinnt doch alle!«, ruft Sophie.

»Wieso denn?«, fragt Polly.

»Yoga Bitches. Wir reden jetzt seit einer Stunde nur über Yoga, was wir essen beziehungsweise was wir nicht essen, welchen Sport wir gerade treiben, welches Arschfett wir uns wohin spritzen. Ich meine: Wir reden noch nicht einmal mehr über Männer, geschweige denn über uns. Das ist doch krank«, sagt Sophie.

Dann haut sie auf den Tisch, gießt sich ein Glas Wodka ein und sagt: »Scheiß auf Yoga Bitch. Ihr wart echt mal spannender. Ich habe die Schnauze voll.«

Ich gieße mir auch ein Glas ein, denn erstens ist Wodka das kalorienärmste Getränk und zweitens: Sophie hat recht. Wir sind alle Yoga Bitches. Ich! Ich, die noch letztes Jahr ein »Fuck Yoga«-Shirt trug. Ich bin auch eine Yoga Bitch. Aber: Ich habe die Schnauze noch lange nicht voll.

*

Ich war nicht immer so. Ich höre mich an wie meine Oma, wenn ich das sage, aber: Als ich noch jung war, gab es das – die Gattung der Yoga Bitch – noch nicht. Was meine Oma angeht: Bei ihr gab es das erst recht nicht. In der Zeit, als meine Oma so alt war wie ich, also 34, war Marilyn Monroe das Schönheitsideal, und die gälte heute, mit ihrer Kleidergröße 42, als dick. Außerdem wäre sie nach heutigen Maßstäben skandalös untrainiert: kein durchtrainierter Bauch, keine definierten Arme, keine stählernen Schenkel. Wie man weiß, starb Marilyn, bevor das Altern sie umbringen konnte, doch wahrscheinlich wäre sie so ähnlich gealtert wie der Rest ihrer Generation. Irgendwann, ab etwa 40, galt eine Frau früher nach stillem Einverständnis als alt. Das Altwerden ließ sich besser oder schlechter erledigen, aber es gab keine Möglichkeiten, es aufzuhalten, und keinen richtigen Anreiz, dagegen anzukämpfen. Man wusste, dass man dick wird, wenn man zu viel isst, und freundete sich meist irgendwann damit an. Man pflegte sich (manche mehr, manche weniger), färbte sich vielleicht den Ansatz, trug Lippenstift auf, und hoffte, dass man seine Zähne und Haare so lange wie möglich behalten konnte und dass die Schwerkraft so gnädig wie nur möglich mit einem umgehen würde.

Old School Beauty (oder: Was Schönheit im letzten Jahrhundert bedeutete)

– Man wusste nicht, was ein »Brazilian« ist. Hätte man es gewusst, hätte man es sich nie angetan.

– Man ging seit Jahren zu ein und derselben Kosmetikerin und hatte keinen Botox-Arzt, den man austauscht, wenn er out ist.

– Man kannte nicht den Unterschied zwischen Botox und Kollagen und sagte Sätze wie: »Die hat doch Botox in den Lippen.«

– Man lackierte sich Fuß- und Fingernägel in derselben Farbe, meist in Rot, aber auf keinen Fall in Rouge Noir, Jade oder Khaki.

– Man dachte, Fett mache fett. Kohlenhydrate hielt man damals noch für die good guys.

– Man trieb keinen Sport, vor allem nicht in großen Räumen mit vielen anderen Leuten zusammen.

– Man faselte nicht von Superfood, sondern sagte: »Iss das Grünzeug, Kind. Das ist gesund.«

– Man hätte den Satz »Die hat doch was machen lassen« nicht verstanden.

– Man ließ sich mit 40 die Haare schulterlang schneiden und mit 55 eine »flotte Dauerwelle« machen.

– Man lieh sich keine Klamotten von der eigenen Tochter.

– Man akzeptierte, dass es ab Mitte 30 den Bach runtergehen würde, und fand Trost in Torten.

Sie alterten viel schneller, die Frauen von damals – selbst die Generation meiner Mutter, als 50 nicht das neue 35, sondern, wenn es ganz toll lief, das neue 47 war. Was 35 angeht: Wer nicht verheiratet war und Kinder hatte, war nicht mehr im last chance saloon, sondern seit Jahren daran vorbei. Deshalb konnte sich eine Mittdreißigerin im letzten Jahrtausend auch ruhigen Gewissens vernachlässigen: Sie war entweder schon verheiratet und hatte Kinder oder der Zug war abgefahren. Heute müssen 37-jährige Single-Frauen mit 22-jährigen Models konkurrieren. Leicht vorzustellen, wer mehr Arbeit und Nerven investieren muss.

Am 25. April 1982 gab es einen entscheidenden soziokulturellen Einschnitt: Die Aerobic-Videos von Jane Fonda kamen in Deutschland auf den Markt. Wow! Das war was ganz Neues. Sie sah toll aus in ihrem knappen, hoch geschnittenen Einteiler und den Leggings, in denen immerhin schon 44-jährige, topfit durchtrainierte, schlanke Oberschenkel steckten. (Die Unterschenkel steckten übrigens in Stulpen, doch auch sie waren durchtrainiert.) Wenn Fonda turnte und hüpfte und uns anfeuerte – pull it up and left and stretch and back! Bounce and two and squeeze and four! –, sagte sie damit: Guckt her, das könnt ihr auch. Ihr könnt auch so aussehen. Und wir dachten: Sie hat recht. Das können wir auch. Dabei war alles noch ganz harmlos damals: Man hüpfte zwei Monate mit Jane rum und ließ es dann wieder bleiben. Ansonsten machte man mal FdH oder eine Ananas-Diät oder aß zwei Wochen lang nur hart gekochte Eier. Viel mehr Ahnung – oder Möglichkeiten – hatte man nicht.

Doch gegen Ende des letzten Jahrtausends wurde aus dem in der weiblichen DNA vorhandenen Wunsch nach Schönheit und Jugend eine Manie, eine Industrie, eine Grundeinstellung (lässt man etwas machen oder nicht, ist heute eine Frage, die Frauen in zwei Lager teilt), eine Vollzeitbeschäftigung und in manchen Fällen gar eine Berufung. Früher musste man sich mit seiner langen Nase abfinden und setzte stattdessen eben seine tollen Haare in Szene. Heute lässt man sich die Nase richten und setzt seine Extensions in Szene, wenn die eigenen Haare zu dünn sind. Das Ganze ist ein anstrengender Kampf mit ständig neuen Disziplinen, und wer ihn nicht beherrscht und auf dem Laufenden bleibt, kann optisch nur verlieren.

*

»So, Alev, jetzt sag schon.«

»Ja, was ist denn los? Was gibt’s Neues?«

»Okay. Tom und ich sind wieder zusammen. Vielleicht heiraten wir, vielleicht nicht. Aber so einen Stress tun wir uns nie wieder an.«

Wir gratulierten ihr, umarmten und küssten sie und tranken darauf einen Wodka, der Sophie allerdings den Rest gab. Sie lallte noch ein paarmal Yogggggha Bisssschhh, und dann brachte ich sie in ihre Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alev, die in der Früh zu einem Dreh musste, verabschiedete sich wenig später; ebenso die gejetlaggte Polly. Rosa und ich blieben übrig und fühlten uns ähnlich platt wie der in sich zusammengefallene Börek.

Wir öffneten die letzte Flasche Schaumwein und stießen auf Alev und Tom an. Dann fragte Rosa: »Was hat Sophie denn bloß? Wieso tickt sie nur so aus?«

»Ich glaube, sie hat recht«, sagte ich und blies die letzte Duftkerze aus: Vanille. Der Duft von Vanille soll bekanntlich das Hungergefühl dämpfen.

2

»Ab dreißig bekommt der Körper
seinen eigenen Kopf.«

Bette Midler

Wie gesagt: Ich war nicht immer so. Ich wurde erst ziemlich spät zur Yoga Bitch. Es begann vor etwas über einem Jahr. Was meine Figur anging, hatte ich bis dahin auf meine Gene und mein im genau richtigen Maße neurotisches Verhältnis zum Essen vertraut, doch innerhalb weniger Wochen hatte ich ein paar Pfund hier und ein paar mehr Pfund dort angesetzt. Insgesamt 17 Pfund, die sich mir aufgedrängt hatten und die ich nicht schnell genug abgewimmelt hatte und die mich nun dauerhaft belästigten. Das verschlechterte meine Laune im Sommer 2009 erheblich. Die Laune war ohnehin schon im Keller, denn mit 34 fand ich mich plötzlich als Single wieder, nach einer desaströsen On/Off-Beziehung mit einem jungen Mann. (Nennen wir ihn Herrn Arschloch.) Nach dem endgültigen Ende unserer Beziehung, das eigentlich schon bei einem der früheren Offs hätte stattfinden sollen, entdeckte ich zum wiederholten Mal und zum Leidwesen meiner Waage, dass ich nicht zu den Frauen gehöre, denen Liebeskummer auf den Magen schlägt. Im Gegenteil: Ich gehöre zu denjenigen, die als Neu-Single Pizza mit Chicken Wings und Pommes bestellen, zu viele Cocktails trinken und Eiscreme direkt aus der Literdose löffeln, denn wenn man etwas aus RomComs gelernt hat, dann ist es, dass man Eiscreme eben so essen darf, wenn das Herz schmerzt. (Wobei gar nicht wirklich das Herz schmerzte, sondern eher die Enttäuschung, dass eine weitere Beziehung nicht geklappt hatte und ich so dumm war, das mangelnde Potenzial nicht gleich am Anfang erkannt zu haben, um so schnell wie möglich »Weiter, der Nächste« sagen zu können. Das Gefühl der verlorenen Zeit schmerzt ab 30 besonders, und die Kalorien, die zur Liebeskummerlinderung aufgenommen werden, lassen sich immer schwieriger verbrennen. Verdammt.)

Ich löffelte also Eiscreme und bestellte Familienpizzen und freute mich über die wallenden Maxikleider und die Hosen mit Stretch-anteil, die ich immer öfter unter dem Deckmantel der Hipness aus dem Schrank zog. In dieser Zeit stieg ich nicht auf die Waage; das tat ich auch sonst höchstens zweimal im Jahr, auf einer alten Waage mit Zeiger. Die Digitaldinger waren mir unheimlich. Was, wenn die klemmen? Jedenfalls erschien mir Wiegen irgendwie altmodisch und immer unnötig stressig. (Eine Devise übrigens, die nur Menschen haben, die zufrieden mit ihrer Figur sind. »Hach, keine Ahnung, wie viel ich wiege!« Das hört sich so lässig an, fast schon zu lässig. Und deshalb bin ich immer auf der Hut, wenn ich es höre. In jahrzehntelanger Forschungsarbeit mit meinem weiblichen Umfeld habe ich Folgendes herausgefunden: Nur weil eine Frau diesen Satz sagt, muss er noch lange nicht stimmen. Wenn er aber tatsächlich der Wahrheit entspricht, hat man ein Exemplar vor sich, das einen gesunden Menschenverstand, ein nicht neurotisches Körperbewusstsein und ein ziemlich ideales Gewicht vorweisen kann – eine Kombination, die so gut wie nie vorkommt.)

Der plötzliche Schreck über meine Figur überkam mich in einer Sekunde, die nichts mit einer Waage oder einem Spiegel zu tun hatte, sondern mit einem Foto. Solch ein Erlebnis ist gar nicht so selten: Die ganzen Erfahrungsberichte von Menschen, die unfassbar viel abgenommen haben, beginnen meist mit der Horrorstory eines hundsgemeinen Fotos, auf dem sie den Wal, der darauf zu sehen war, als sich selbst erkannten. Das ist nicht weiter überraschend im Zeitalter des Foto-und Dokumentier-Terrorismus, in dem jeder Idiot eine Digitalkamera oder ein Fotohandy hat und zu viel Speicherplatz, auf dem er unvorteilhafte Bilder anderer Menschen sammelt. Klick: Es war eine Kamera, die mir die Konsequenzen meiner Löffelei mit der Wucht eines Tornados um die Ohren haute. Das Foto war ein paar Wochen zuvor auf einer Hochzeit aufgenommen worden, und ich wurde auf einem der sozialen Netzwerke getagged [1]: ein moderner Albtraum.

Ich sah schrecklich aus: eindeutig zu dick (die 10-Kamera-Kilos schon abgezogen). Irgendwie aufgedunsen. Meine Arme waren untrainiert, und zwischen meinem Arm und dem Ansatz meiner Brust quoll eine Fleischwurst hervor, von deren Existenz ich ebenso überrascht wie erschrocken war. Meine Zähne wirkten gelblich, und ein Zahn saß schiefer als der Hut der Brautmutter. Außerdem waren da, wenn man zoomte, einige Mimikfältchen (um genauer zu sein: Krähenfüße) sowie Nasolabialfalten zu sehen. Gut, ich lachte auf dem Foto, und ohne Zoom waren die Falten kaum zu erkennen, aber ich zoome eben gern. Der Anblick wäre erschreckend gewesen, selbst wenn ich in einer guten Grundverfassung gewesen wäre. Weil die Brautleute entzückende Personen mit vielen Freunden waren, sahen dieses Foto, auch nachdem ich mich enttagged hatte, wahrscheinlich ein paar hundert Menschen. Im Jahr 2010 stehen nicht nur Supermodels unter Druck, auf Fotos gut auszusehen.

Meine Grundverfassung war aber nicht nur wegen Herrn Arschloch, der 17 Pfund und des Fotos schlecht. Die Wahrheit war, dass ich seit geraumer Zeit nachts in kaltem Schweiß gebadet aufwachte mit nur einem präzisen Gedanken: Du wirst alt. Oh Gott!

»Ganz normal, das passiert mir schon länger«, sagte Polly, als ich ihr davon erzählte. »Im ersten Augenblick denke ich dann: Puh! Du hast nur geträumt, dass du alt bist. Und dann, wenn ich ein paar Sekunden wach bin und nachrechnet habe, packt es mich erst recht: Ich bin alt.« Polly war 36. Das machte mir Hoffnung, denn sie sah für ihr Alter unverschämt gut aus. (Natürlich tat sie viel mehr dafür als ich.) Außerdem heiterte mich ihr Alter allein schon deshalb auf, weil ich jünger war als sie – ein klares Zeichen fürs Älterwerden.

Woran man merkt, dass man älter wird

– Man kann sich lebhaft an Dinge erinnern, die vor 20 Jahren passiert sind.

– Man hebt Artikel über das Einfrieren von Eizellen und Fruchtbarkeit über 40 auf.

– Man findet im Radio immer öfter nur noch den Golden-Oldies-Kanal oder den Klassiksender erträglich.

– Man sagt zu Kindern Dinge wie »Als ich klein war, hatten wir noch keine Handys«.

– Man findet, dass Kinder wahnsinnig schnell wachsen.

– Man erwägt eine Möbelanschaffung auf Raten.

– Man nimmt Tante Helgas Teeservice, das die eigene Mutter einem seit zehn Jahren andrehen will, endlich an.

– Man räumt auf, bevor die Putzfrau kommt.

– Man überlegt sich jetzt schon, wohin man sich was ins Gesicht spritzen lassen würde, wenn es denn so weit wäre.

– Man hat den 80er-Trend schon einmal mitgemacht, nämlich in den 80ern.

– Man sagt nicht mehr: »Dafür bin ich zu alt.« Das hört sich höchstens mit 33 noch ironisch an.

– Man bemerkt seltsame Veränderungen an seinem Körper.

Der letzte Punkt in dieser Liste beinhaltet – und das ist der erschreckende Teil, auf den einen niemand vorbereitet – nicht nur zu erwartende Anzeichen wie Falten und welkeres Fleisch. Nein, es gibt schockierende, sonderbare Entwicklungen, mit denen ich nicht gerechnet hätte: zum Beispiel drei lange Haare auf der Rückseite meines Oberschenkels. Ein Haar, das einem Muttermal entwuchs und mich als alte Hexe abstempelte. Drei volle Tage, um mich von einem Kater zu erholen. Ein Zahn, der sich auf seine alten Tage in eine andere Richtung entwickeln wollte als seine Nachbarn. Und überhaupt, die Zähne: Bei so viel Kaffee, Rotwein und Zigaretten kann niemand eine weiße Weste behalten. Und auch der ganze zu erwartende Rest, von dem man trotzdem überrascht wird: Pigmentflecken. (Ich bestand letztes Jahr auf der Biopsie eines Muttermals, bis der Hautarzt mir milde lächelnd entgegnete: »Das ist ein Altersfleck.«) Lider, die schlupfiger werden. Haut, die schon Falten hat, aber leider immer noch zu Akne neigt. Der leichte Ansatz eines Doppelkinns. Bindegewebe, das nicht mehr bindet. Und das Schlimmste: Es ist klar, dass es mit der Zeit nur noch ärger wird.

»Ach, und noch was«, sagte Polly. »Ich sage ab sofort nicht mehr, wie alt ich bin. Scheiß auf meine Grundsätze von vorgestern. Ges-tern sprach mich auf dieser Party ein Typ an und fragte, wie alt ich sei. Als ich es ihm sagte, drehte er sich um und ließ mich stehen. Ohne ein Wort.«

»Aber das heißt doch nicht, dass du alt bist. Das heißt doch nur, dass er ein Arschloch ist«, entgegnete ich.

»Ja, aber ein junges Arschloch. Ich will doch nicht alle jungen Arschlöcher von vornherein verprellen.«

*

Es ist heute insofern schwieriger als früher, auf die 40 zuzusteuern, weil sich die Spielregeln geändert haben, während wir uns weigerten erwachsen zu werden. Ungefähr zur Volljährigkeit hatte man eine Vorstellung davon, wie 40 auszusehen hat – und damit meine ich nicht nur eine äußerliche Vorstellung. Wer, wie meine Freundinnen und ich, Ende der 80er, Anfang der 90er über 40 nachdachte, hatte wahrscheinlich folgende Elemente als Grundpfeiler des Lebens im Kopf: Mann, Kinder, Arbeit, Wohnung, Auto, Hund –
wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Ich ging nun rasanter als mir lieb war auf die 40 zu, und ich hatte einen Job – mehr nicht. Mit 18 war mir klar gewesen: 40 ist alt. Es ist mehr als nur der Anfang vom Ende. Es ist das endgültige Ende der Jugend, und es gibt nichts, was man dagegen tun kann.

Heute lässt sich sehr viel dagegen tun. Man kann sich, wie gesagt, weigern erwachsen zu werden und man kann viel dagegen unternehmen, alt auszusehen. Heute sind Ü-40er in After Hours anzutreffen, und es muss gar nichts Tragisches an sich haben. Ü-40er sind auch shoppend bei H&M anzutreffen, wo sie sich neben 15-jährigen Schülerinnen auf die Teile der neuen Lanvin-Kollektion stürzen, und ja, warum auch nicht? Wer von einer 46-jährigen Mutter von drei Töchtern spricht, kann damit Yasmin Le Bon meinen, die von ihrem glänzenden Scheitel bis zu ihren pedikürten Zehen aus jeder Zelle »fit!« und »jugendlich!« schreit und auch so aussieht, selbst wenn man zweimal hinschaut. Trotzdem gibt es immer noch die 18-jährige Stimme in einem, die nörgelt: »Wo ist der Mann/das Kind/das Auto? Bist du nicht zu alt dafür, morgens Gummibärchen zu essen?« Man sagt der Stimme zwar: »Halt’s Maul. Du zählst nicht mehr.« Oder: »Die Dinge haben sich geändert.« Oder auch: »Lass dir gesagt sein: Die Dauerwelle 1990, die mich immer noch aus meinem Führerschein anlacht, war so falsch.« Doch die Stimme lässt sich nicht ganz zum Schweigen bringen. Grund dafür ist diese Diskrepanz zwischen der eigenen inneren, veralteten Erwartung und der äußerlichen Weigerung, kombiniert mit der unbezwingbaren Logik des Körpers, die es heute so schwer macht, fast 35 zu sein (und 17 Pfund zu viel zu wiegen). Wobei Polly immer sagte: »Man kann den Körper zwingen, der Logik des Kopfes zu folgen.« Sie erklärte ihre Disziplin auch mit der Haltung ihrer Mutter, die ihr als »Ossi-Ballerina Disziplin schon mit der Babynahrung verabreicht hatte«. Wenn man Polly ansah, so hoch gewachsen und sehnig und hell, hatte sie mit ihrer Ansicht auf eine anmutige, straffe, beeindruckende Weise recht. Aber, und es war ein großes Aber: Ich war zu faul, um so zu denken. Bis ich dieses Foto sah.

Es kam letzten Sommer also ziemlich viel zusammen, was mir meinen Zustand nicht gerade fabelhaft erschienen ließ. Doch dann brachte das sprichwörtliche Tröpfchen das Fass zum Überlaufen: ein eingeklemmter Ischiasnerv. Im Fachjargon heißt das Lumbo-
ischialgie, wie ich von zwei vorherigen Fällen wusste, die mich außer Gefecht gesetzt hatten. Ich war so verzweifelt – über das Foto, über die 17 Pfund, über meinen Rücken, über Herrn Arschloch –, dass ich ernsthaft in Erwägung zog, eine körperliche Ertüchtigung anzufangen und sie nicht nach drei Wochen wieder abzubrechen: Sport als Rettung sozusagen. Dazu muss man wissen, dass ich mich von Kindesbeinen an nur bewegte, wenn es wirklich sein musste, und dass ich meine Zeit im Kinderwagen so lang ausdehnte, wie es mir nur möglich war. Ich tat als Kind auch häufig so, als sei ich müde, nur um getragen zu werden. Sport war mir schon immer völlig unverständlich gewesen – außer im Fernsehen, da guckte ich mir das aus sicherer Distanz gerne an. Das Gleiche tat ich mit Märchenfilmen, ohne jedoch zu erwarten, dass ich mit dem einen oder anderen Konzept in meinem wahren Leben konfrontiert würde. Schnell bewegte ich mich nur dann, wenn ich Möbeln ausweichen musste, die sich mir plötzlich in den Weg stellten, denn zu meiner Unsportlichkeit kam eine ausgeprägte Ungeschicklichkeit hinzu sowie eine 98-prozentige Links-Rechts-Verwechselungsrate. Kurz: Ich fand Bewegung widerlich und blöd, und Schwitzen, funktionelle Sportklamotten, stinkende Turnschuhe, Sport-BHs, Umkleidekabinen und Geräte, die wie Folterinstrumente aus der Zeit der Inquisition aussahen, erst recht. Und nun war es so weit: Ich wusste, dass ich es mit Sport versuchen musste, und zwar ernsthaft. Ich hatte mich so lange geweigert, wie es ging. Mein Körper verlangte nun, was ihm längst zugestanden hätte: Bewegung. Mein Rücken erpresste mich: Er forderte Sport, und ich war verzweifelt genug, auf die Forderung einzugehen, ohne die Polizei einzuschalten.

»Oh nein, du Arme. Wie hast du denn das gemacht?«, fragte Alev.

»Beim Tanzen gestern. Omi kann nicht mehr.«

»Omi trug sicher mindestens Sieben-Zentimeter-Absätze und hatte zwei Wodka zu viel intus«.

»Neun Zentimeter und drei Wodka zu viel«, korrigierte ich. »Gott sei Dank war Sophie dabei, sie hat mich hinten quer ins Taxi gelegt und dann ins Bett gebracht. Ich konnte mich gar nicht mehr rühren.«

»Und jetzt?«

»So wie die letzten beiden Male. Heute früh zehn Spritzen, und ab nächster Woche ein paar Wochen Hardcore-Physiotherapie. Oh Gott, diese Mischung aus Langeweile und Schmerz! Und weißt du, welcher Satz garantiert fallen wird?«, fragte ich.

»Welcher?«

»Du musst was für deinen Rücken tun.«

»Ich weiß«, sagte sie kleinlaut.

»Nein, nicht du. Dieser Satz wird in meiner Physiotherapie fallen.«

»Ach so. Ich fühle mich aber auch angesprochen. Ich muss was für deinen Rücken tun«, sagte Alev und lachte mit ihrem typischen Grunzen. Und dann schwieg sie lange und sagte schließlich: »Warum probieren wir nicht mal Yoga?«

Shit. Dabei hatte ich extra nicht Polly angerufen, um mir die Yoga-Idee nicht zum abertausendsten Mal anhören zu müssen.

»Weißt du, wie oft ich das gehört habe? Dass ich Yoga machen soll?«, schnaufte ich genervt, nicht nur von der Yoga-Idee, sondern auch vor Unbequemlichkeit. Ich lag nämlich mit angewinkelten Beinen auf dem Boden, nur so war der Schmerz zu ertragen.

»Oft. So oft wie ich?«, schätzte Alev.

»Ständig. Alle machen Yoga. Und alle benehmen sich wie wiedergeborene Christen und haben dieses nervig-sanfte Lächeln, wenn sie davon erzählen, sodass man ihnen in ihren Weizengras-Shake kotzen möchte«, sagte ich.

»Stimmt schon. Aber sie haben auch einen geilen Bizeps. Komm, lass es uns probieren. Sonst muss Omi bald in Gesundheitsschuhen tanzen!«, rief Alev.

Das saß.

*

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Außerdem: War es nicht zu spät, jetzt mit Yoga anzufangen? War jetzt nicht Pilates angesagt? Oder Yogalates? Oder Yoga-Tae-Bo? Oder Yogalosophie? Würde ich mich nicht zum Affen machen, wenn ich 2010 mit Yoga begänne? War der Zug nicht irgendwie abgefahren?

Alle Yogis in meinem Leben – und ihre Zahl wuchs ständig – drängten mich seit Jahren, es zu probieren, von der Ashtanga-Fraktion (Polly) über die schwule Bikram-Community bis zu Iyengar (meine Mutter). Ich konnte mich wehren, solange ich noch fit und jung und schlank war (wüüüääääh!), doch nun lag ich dick, verlassen, schwach und wehrlos auf dem Boden. Polly hatte indes von Alev mitbekommen, dass ich das Y-Wort ohne ein Fuck-Präfix in den Mund genommen hatte, und fing an, mich sanft zu bearbeiten.

Und dann rief meine Mutter an.

»Schatz, du musst jetzt wirklich was für deinen Rücken tun. Du bist auch nicht mehr die Jüngste«, sagte sie.

»Ja, Mama. Danke«, maulte ich, den zweiten Tag auf dem Fußboden verbringend.

»Und Yoga ist so toll, genau das Richtige. Ach, wenn du es doch nur einmal probieren würdest. Du würdest dich fühlen als ob du schwebst …«

»Mama. Bitte.«

Sie schwieg. Meine Mutter macht Yoga seit den 80er-Jahren. Dabei war sie keine 68er-Goa-Hängengebliebene, sondern einfach nur eitel. »Yoga macht den besten Körper. Dagegen kannst du alles andere in der Pfeife rauchen«, sagte sie, und ihr Äußeres gab ihr recht.

»Aber bin ich nicht zu alt, um anzufangen?«, winselte ich.

»Ich war älter als du, als ich anfing! Mit 43, weil alles anfing zu hängen. Außerdem habe ich gestern gelesen, dass Helena Christensen, dieses Supermodel, erst vor drei Jahren angefangen hat, Sport zu treiben. Man kann ja stur sein in seiner Faulheit, solange noch alles straff ist.«

»Wie bitte?«

»Ach, Schätzchen, du weißt doch, was ich meine«, flötete sie.

Vor meinem geistigen Auge erschien Christensens aktuelle Kampagne: nackt und fabelhaft, nicht nur für 42, sondern auch für 27.

»Schätzchen, und noch was: Du weißt doch, Oma hatte Osteoporose, und das ist vererbbar. Bitte nimm extra viel Kalzium …«

»Ja, Mama. Tschüss.«

Hm. Helena Christensen hat also erst vor drei Jahren angefangen zu trainieren? Da habe ich ja fast noch ein bisschen Vorsprung, zumindest hinsichtlich der Zeitplanung. Sehr sympathisch: ein Supermodel, das so lange wartet, bis es wirklich nicht mehr anders geht. Diese Art von Faulheit, die jede körperliche Betätigung (außer Sex und Tanzen) betrifft, war es, mit der ich die Yoga-Debatte bisher jedes Mal im Keim erstickt hatte. Doch Erleuchtung hin, Bewusstseinserweiterung her: Die Yoga Bitches, die ich kannte, sahen alle verdammt gut und gestählt aus, sie hatten lange Muskeln, straffe Haut und einen schönen Gang. Das ließ sich nicht leugnen.

Ich schaltete meinen Computer ein und schaute mir noch mal das Foto von der Hochzeit an, mit Extra-Zoom. Dann wählte ich Alevs Nummer und hinterließ folgende Nachricht: »Okay, lass es uns versuchen. Lass uns Yoga ausprobieren.«