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Titelei
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Liebe Tante Edeltraud,

es gibt Menschen, die gerne Auto fahren, und Menschen, die lieber zu Fuß gehen. Es gibt Pizzaesser und Pizzahasser und Ohrenwackler und Nicht-Ohrenwackler. Es gibt welche, die sind tätowiert, andere nicht, es gibt lustige und grantige Menschen und außerdem gibt es Menschen, die die Olchis kennen, und welche, die noch nie etwas von ihnen gehört haben.

Du, liebe Tante Edeltraud, gehörst zu denen, die von Olchis überhaupt nichts wissen. Du hast zwar viel Ahnung vom Hemdenbügeln und von der richtigen Temperatur beim Plätzchenbacken, du weißt Bescheid über Blattlausbekämpfungsmittel für deine Balkonblumen, aber vom Leben der Olchis weißt du so viel wie ich von der Fortpflanzung der Marsmännchen. Nämlich gar nichts.

Deshalb erkläre ich für dich das Wichtigste hier noch mal ganz genau. Sonst wirst du die Geschichte, die ich gleich erzählen werde, vielleicht nicht richtig verstehen und mich mit überflüssigen Fragen nerven.

Also, pass auf, mit den Olchis ist das so: Sie sind grün, haben dicke Knubbelnasen und eine Haut wie Tintenfisch. Ihr Leibgericht ist Abfall. Deshalb wohnen sie auf einer Müllkippe in Schmuddelfing, denn auf einer Müllkippe gibt es für Olchis immer genug zu essen.

Die ganze Olchi-Familie lebt dort glücklich und zufrieden in ihrer Olchi-Höhle: Olchi-Oma, Olchi-Opa, Olchi-Mama, Olchi-Papa, die beiden großen Olchi-Kinder (es sind Zwillinge) und das kleine Olchi-Baby.

Olchi-Mama denkt sich immer die tollsten Rezepte aus. Genau wie du, Tante Edeltraud! Du backst so tolle Pfannkuchen, und für einen Teller deines unübertrefflichen Gulaschs würde ich mich auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln. Aber die Olchis können so etwas überhaupt nicht leiden. Sie mögen lieber ranzigen Kabelsalat mit Glühbirnenkompott, Reißnagelauflauf mit überbackenen Stinkersocken und Sägespänen oder Muffelsuppe mit Eierschalen und Knochensplitterstreuseln. Selbst die ganz harten Sachen, wie Glas, Metall, Holz und Stein, sind kein Problem für die Olchis, die knacken sie mit ihren harten Zähnen. Sie kauen rostige Nägel, wie wir Gummibärchen kauen, essen Schnürsenkel wie Spaghetti und lutschen zur Nachspeise am liebsten ein Stück Schmierseife. Olchi-Opa trinkt auch gerne mal ein Schlückchen Fahrradöl.

Und wenn sie beim Essen rülpsen (das tun sie oft), dann stört das keinen Menschen, äh, keinen Olchi. So ist das nun mal, auch wenn du das nicht gerne hörst, Tante Edeltraud.

Frische Sachen vertragen die Olchis überhaupt nicht, davon werden sie krank und bekommen überall bunte Flecken. Olchis haben es gern, wenn es stinkt und muffelt und furzt, und was für uns Menschen gut riecht oder gut schmeckt, das finden sie richtig eklig.

Wenn sie gähnen, stürzen wegen ihres Mundgeruchs sogar die Fliegen ab und fallen tot auf den Fußboden.

Auf dem Kopf haben die Olchis drei Hörner, das sind ihre Hörhörner. Damit können sie die Ameisen husten, die Regenwürmer rülpsen und sogar die Gänseblümchen wachsen hören.

Die Olchis sind unglaublich stark, das wollte ich dir auch noch erzählen, liebe Tante Edeltraud.

Die Olchi-Kinder haben keine Mühe, ihren Olchi-Papa in seiner Holzkiste mit einer Hand aus der Höhle zu tragen und in eine Schlammpfütze zu stellen! Und wenn alle Olchis zusammen helfen, können sie sogar einen Elefanten in die Luft stemmen oder den Schiefen Turm von Pisa gerade rücken, und das ist nicht gelogen!

Olchis werden steinalt, viel älter als du, Tante Edeltraud. Olchi-Opa ist schon achthundertfünfundneunzig Jahre alt, Olchi-Mama vierhundertsiebenundsechzig, die Olchi-Kinder sind fünfundvierzig und das Olchi-Baby ist zwölf. Es war schon drei Jahre alt, als es auf die Welt gekommen ist.

So, jetzt weißt du das Wichtigste über die Olchis.

Wenn du jetzt die Geschichte liest, mach es dir dabei mit einer Kanne Tee und ein paar von deinen selbst gebackenen Mandelhörnchen auf dem Sofa schön gemütlich.

Und wenn du bei meinem nächsten Besuch mit mir das Olchi-Lied singen kannst, dann spendiere ich dir einen extragroßen selbst gebackenen Stinkerkuchen!

Zähneknirschen, Nasenjucken und Bauchweh

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Es war eine gespenstische Nacht. Der helle Sichelmond hatte sich hinter Wolkenfetzen versteckt. Ein Herbststurm fegte die letzten Blätter von den Bäumen. Es nieselte.

Auf der nassen Schmuddelfinger Landstraße zuckelte ein uralter blauer Lieferwagen. Seine Scheibenwischer quietschten so erbärmlich wie ein Schlossgespenst mit Zahnschmerzen.

Am Steuer des Wagens saß Fritzi Federspiel. Fritzi knirschte mit den Zähnen. Das tat sie immer, wenn sie aufgeregt war. »Haben Sie Angst?«, fragte Professor Brausewein, der wie immer auf dem Beifahrersitz seines eigenen Autos saß, denn er hatte keinen Führerschein.

Der Professor war ein bisschen rundlich und wirkte sehr gemütlich, aber er hatte einen glasklaren Verstand und beim Nachdenken und Kombinieren war er flink wie ein Wiesel. »Denker und Erfinder« stand auch auf seiner Visitenkarte, und er hatte immer ein paar davon in seiner Brieftasche.

Fritzi Federspiel war Professor Brauseweins Assistentin. Sie steuerte den Lieferwagen durch ein tiefes Schlagloch.

Der leere Käfig, der hinten auf der Ladefläche stand, klapperte laut.

»Mir ist gar nicht wohl, wenn ich ehrlich bin!«, murmelte Fritzi Federspiel. Sie blies sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem blassen Gesicht und schaute starr durch die Windschutzscheibe auf die regennasse Straße.

Der Professor lächelte seiner Assistentin aufmunternd zu.

»Sie brauchen sich doch nicht zu fürchten. Ich habe alles im Griff, glauben Sie mir!«

Fritzi verzog gequält das Gesicht und der ächzende Lieferwagen krachte wieder in ein Schlagloch. Der Professor stöhnte und rückte seine Brille zurecht. »Diesmal ist es doch ein völlig ungefährliches Experiment!«, erklärte er.

»Na, hoffen wir’s«, brummte Fritzi.

Beim letzten Mal hatte Brausewein mit Treibgas experimentiert. Er hatte einen schwebenden Liegestuhl erfinden wollen und dabei beinahe das ganze Forschungsinstitut von Gammelsberg in die Luft gejagt. Das war das Ende seiner Karriere am Gammelsberger Institut. Brausewein war sofort in den Ruhestand versetzt worden.

»Ich bin der beste Erfinder der Welt, das wissen Sie doch«, sagte Brausewein zu Fritzi und zog ein riesengroßes kariertes Taschentuch aus der Hosentasche. »Die Welt wird noch viel von mir hören!«

Erst kürzlich hatte sich der Professor ein nagelneues Versuchslabor eingerichtet. Drüben am Gammelsberger Bahnhof, ganz hinten bei den Abstellgleisen, in einem ausrangierten Güterwaggon. Dort konnte er jetzt in aller Ruhe an seinen Erfindungen arbeiten.

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»Der Regen hat aufgehört«, sagte Brausewein und schnäuzte sich. Er trompetete dabei so laut in sein kariertes Taschentuch, dass Fritzi vor Schreck kurz auf die Bremse trat. Die Scheibenwischer quietschten immer noch im Takt, Fritzi hatte vergessen sie auszuschalten. Sie knirschte schon wieder mit den Zähnen.

»Wieso haben Sie denn eigentlich Angst?«, fragte Brausewein. »Sie haben mir doch von diesen Olchis erzählt!«

»Ich habe eben viel über die Olchis gehört und gelesen«, murmelte Fritzi. »Zum Beispiel, dass sie unglaublich scharfe Zähne haben.«

»Das mag sein«, sagte Brausewein. »Aber dafür hab ich einen unheimlich scharfen Verstand! Wir werden so einen Olchi fangen, und dieser Olchi wird mir helfen berühmt zu werden. Warten Sie es nur ab!« Er wischte sich die Nase sauber und knüllte das Schnäuztuch zurück in die Hosentasche.

»Es gibt bis heute kein vernünftiges Mittel gegen Bauchweh«, sagte Brausewein. »Das werde ich ändern!«

Schon lange träumte er davon, auf dem Gammelsberger Erfinderkongress den ersten Preis zu gewinnen. Mit der Bauchwehmedizin würde er seinen Kollegen endlich zeigen, wer der beste Erfinder der Welt war, nämlich niemand anderes als er, Professor Hugo Brausewein! Aber dazu brauchte er unbedingt einen Olchi.

Als Fritzi Federspiel ihm von diesen Olchis erzählt hatte, war für Brausewein gleich klar gewesen, dass der Schlüssel für eine erstklassige Bauchwehmedizin bei den Olchis liegen musste. Immerhin vertilgen sie die unglaublichsten Sachen wie Glasflaschen, Plastiktüten, Ofenrohre, Regenschirme und anderen Krempel und bekommen niemals Bauchweh.

Jetzt musste der Professor nur noch so einen Olchi einfangen und zur Untersuchung ins Labor schaffen.

Fritzi trat das Gaspedal ganz nach unten durch. Aber der alte Lieferwagen wollte einfach nicht schneller fahren. Der Weg von Gammelsberg nach Schmuddelfing zog sich ziemlich in die Länge.

Brausewein kratzte sich an der Nase. »Irgendwann muss ich auch mal ein Mittel gegen Nasenjucken erfinden«, sagte er. Fritzi zog die Schultern hoch. Sie fröstelte. Die Heizung des Lieferwagens war immer noch kaputt. Der Professor dachte nicht im Traum daran, sie endlich mal reparieren zu lassen. Endlich waren sie in Schmuddelfing angekommen und Fritzi lenkte den Wagen in einen schmalen Feldweg.

»Hinter diesem Hügel muss die Müllkippe liegen«, erklärte sie und zeigte nach vorne. »Dort wohnen die Olchis, wenn ich recht informiert bin.«

Sie parkte das Auto auf dem Hügel hinter einem Gebüsch und zog die Handbremse an. Von dort war die Müllkippe deutlich zu erkennen. Kaputte Matratzen lagen da herum, Dosen, Kisten und Flaschen, Kühlschränke, ausrangierte Waschmaschinen, Stuhlbeine, Rohre und Reifen und eine Menge anderer Krempel.

»Hervorragend! Dann wollen wir mal!«, rief Brausewein. Er sprang aus dem Auto und zerrte drei riesige, prall gefüllte Müllsäcke von der Ladefläche. Erstklassiger Stinkermüll war darin verpackt, den er gestern eigenhändig eingesammelt hatte.

»Das wird ihnen schmecken«, meinte Brausewein und Fritzi sah ihn zum ersten Mal, seit sie losgefahren waren, ein bisschen lächeln. Brausewein war nämlich ziemlich stolz auf seine Idee mit dem Stinkermüll. Er hatte lange überlegt, wie er am einfachsten einen Olchi einfangen könnte.

Es gibt ja verschiedene Fangtechniken. Löwen fängt man zum Beispiel in getarnten Fallgruben, Fische mit dem Netz oder mit einer Angel. Schlangen fangen geschickte Leute mit einem Stock oder sogar mit der Hand. Marder fängt man mit einer Falle und Rehe schießt man einfach über den Haufen.

Weil Olchis ganz wild auf leckeren Müll sind, war Brausewein auf die Idee gekommen, einen Müllköder auszulegen. Natürlich musste es ganz besonderer Müll sein. Deshalb hatte er drei große Blechdosen randvoll mit grünlichem Pulver dabei, die Fritzi gerade aus dem Lieferwagen holte.

»Seien Sie vorsichtig! Kommen Sie mit dem Pulver nicht in Berührung!«, warnte Brausewein. »Dieses Schlafpulver hab ich selber erfunden. Es haut den stärksten Elefanten um!«

Sie zogen sich dicke Gummihandschuhe an und machten sich an die Arbeit.

»Igitt!« Angewidert zog Fritzi mit spitzen Fingern eine nasse Socke aus dem Müllsack, an der eine bräunliche Bananenschale und eine Fischgräte klebten.

»Psst! Wir müssen leise sein, sonst hören sie uns!«, flüsterte der Professor. Er hatte gerade einen klebrigen Lappen und ein paar angeschimmelte Konservendosen aus dem Sack gefischt. Sie verteilten diesen extragammeligen Stinkermüll fein säuberlich in einer langen Spur den Hügel hinunter bis hinüber zur Müllkippe.

Dann nahm Brausewein eine der Blechdosen mit dem Schlafmittel und streute das grünliche Pulver mit einer kleinen Gartenschaufel über den Müll. Vorsichtshalber hielt er die Luft an. Auf gar keinen Fall durfte er etwas von dem Schlafmittel einatmen!

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