Dank

All jenen, die dieses Buch ermöglicht, mich zum Schreiben ermutigt und unterstützt haben, bin ich unendlich dankbar.

Peter Borland

Alysha Bullock

Ann Catrina-Kligman

Carolyn Costin

Judith Curr

Ellen DeGeneres

Jonathan Safran Foer

Victor Fresco

Kathy Freston

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

 

Für Fragen und Anregungen:

portiaderossi@mvg-verlag.de

 

2. Auflage 2016

© 2011 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

 

Die englische Originalausgabe erschien 2010 bei Atria Books, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc., unter dem Titel Unbearable Lightness. A Story of Loss and Gain.

© 2010 by Portia de Rossi. All rights reserved.

 

Foto S. 294: © Lisa Rose/jpistudios.com

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikro­film oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Übersetzung: Dörte Fuchs und Jutta Orth, Freiburg

Redaktion: Kerstin Weber, Günzburg

Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann, München

Umschlagabbildungen: Randee St. Nicholas

Satz: HJR, Jürgen Echter, Landsberg am Lech

EPUB: Grafikstudio Foerster, Belgern

 

ISBN 978-3-86882-660-9

 

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Für Ellen,
die mir gezeigt hat, was Schönheit ist.

Prolog

Sie wartet nicht, bis ich wach bin. Sie dringt in mein Unterbewusstsein ein, um mich zu finden, mich hervorzuzerren. Sie packt meinen Verstand und lähmt ihn vor Angst. Schon beim Aufwachen bin ich in Panik und fürchte, der Stimme nicht korrekt antworten zu können, dieser lauten, klaren Stimme, die in meinem Kopf widerhallt wie eine Sirene, die sich nicht abstellen lässt.

Was hast du gestern Abend gegessen?

Ich war zwölf, als ich sie das erste Mal hörte, und seither ist sie mein ständiger Begleiter und blafft Befehle. Eine Feldwebelstimme, die mich antreibt, vorausmarschiert, den Takt vorgibt. Denn wenn sie keine Anweisungen kläfft, zählt sie. Sie ist berechenbar wie ein Metronom. Ich höre das Ticken verpasster Taktschläge, und in der Stille dazwischen warte ich ängstlich auf das nächste Ticken. Wie das stetige Geräusch eines tropfenden Wasserhahns zählt die Stimme in der Stille weiter, wenn ich einfach nur leise sein möchte. Sie zählt mir vor, dass ich keinen Taktschlag verpassen darf. Sie zählt mir vor, dass ich wieder dick werde, wenn das geschieht.

Frühmorgens in der Dunkelheit sind die Stimme und das Ticken immer besonders laut. Aber die Stille, die ich nicht mit Antworten füllen kann, ist sogar noch lauter. Oh Gott, was habe ich gegessen? Warum kann ich mich nicht daran erinnern?

Ich atme tief ein und aus und versuche, meinen Herzschlag zu beruhigen. Dabei füllt sich meine Nase mit abgestandenem Zigarettenqualm vom Vorabend, der sich wie ein Partygast auf dem Wohnzimmersofa schlafen gelegt hat, nachdem alle anderen nach Hause gegangen sind. Die Digitaluhr zeigt 4:06 Uhr, neun Minuten bevor der Wecker schrillt. Ich muss auf die Toilette, aber ich kann nicht aufstehen, ehe ich mich nicht daran erinnert habe, was ich zum Abendessen hatte.

Meine Pupillen weiten sich in der Dunkelheit, als ob sie in meinem Schlafzimmer nach der Antwort suchten. Aber sie finden sie nicht. Das jagt mir Angst ein. Noch während ich weiter nach der Antwort suche, führe ich meine Routinekontrolle durch: Brüste, Rippen, Magen, Hüftknochen. Ich taste hastig nach ihnen, um sicherzugehen, dass alles noch genauso ist, wie es war, eine Abwehrmaßnahme gegen eine mögliche Attacke meines von Panik umnebelten Hirns. Wenigstens habe ich geschlafen. Die letzten paar Nächte war ich dafür zu leer und zu unruhig gewesen, zu zappelig – als könne ich mich erst dann dem Schlaf überlassen, wenn ich mit Gewichten beschwert aufs Bett gedrückt würde. Jemand hatte mir gesagt, Schlafen sei gut fürs Abnehmen. Der Schlaf steuere den Stoffwechsel und lasse Fettzellen schrumpfen. Doch ich weiß wirklich nicht, warum ausgerechnet Schlafen besser sein soll, als die ganze Nacht wie beim Brustschwimmen die Beine zu bewegen. Jetzt, da ich richtig darüber nachdenke, halte ich es für völligen Blödsinn. Schwimmen, als wäre jemand hinter einem her, verbrennt bestimmt mehr Kalorien, als bewegungslos herumzuliegen wie ein fetter Faulpelz. Ich frage mich, wie lange ich so dagelegen habe: bewegungslos. Ich frage mich, ob ich heute deshalb weniger abnehme.

Ich spüre meinen Herzschlag – eins, zwei, drei –, er beschleunigt sich. Ich atme tief ein und aus, um nicht in Panik zu geraten. EIN, eins, zwei, AUS, drei, vier …

Fang an zu zählen

60

+ 30

+ 10

= 100

Ich beginne von vorne. Ich muss die verbrannten Kalorien mit einrechnen. Gestern bin ich direkt nach dem Aufstehen aufs Laufband gestiegen und in 60 Minuten elf Kilometer gelaufen, um 600 Kalorien zu verbrennen. Ich habe 60 Kalorien in Form von Haferflocken mit Süßstoff und Butterersatzspray zu mir genommen und schwarzen Kaffee mit Vanillegeschmack getrunken. Bei der Arbeit habe ich gar nichts gegessen. Mittags bin ich in meiner Garderobe eine Stunde auf dem Laufband gegangen. Mist. Nur gegangen. Aber der Ventilator, den ich mir ans Laufband montiert hatte und der mir Luft ins Gesicht blasen sollte, damit mein Make-up keinen Schaden nimmt, ist kaputtgegangen. Eigentlich stimmt das gar nicht. Tatsächlich habe ich, weil ich so faul und unorganisiert bin, einfach gewartet, bis die Batterie fast leer war und die Plastikflügel sich am Ende nur noch mit der Geschwindigkeit eines Riesenrads drehten. Ich brauche diesen Ventilator, weil ich bei meiner Maskenbildnerin sozusagen auf Bewährung bin. Zwar gelingt es mir meistens, meine Haare, die nach einem harten Workout in alle Richtungen abstehen, zu bändigen, doch die Mascara-Spuren unter meinen Augen verraten eindeutig meine Aktivitäten während der Mittagspause. Sarah hatte mich gebeten, mit dem Training in der Mittagspause aufzuhören. Ich mag Sarah, und ich möchte ihr das Leben nicht unnötig schwer machen, doch auf mein mittägliches Training zu verzichten, kommt nicht infrage. Deshalb habe ich den Ventilator gekauft und mithilfe eines Stück Seils so vor das Laufband gebastelt, dass der Wind mir bei vollen Batterien wie ein Sturm um den Kopf bläst und dafür sorgt, dass ich keine Schwierigkeiten bekomme.

Als ich mich jetzt im Bett aufsetze und in die Dunkelheit starre und mit den Füßen kleine Kreise mache, um die Kalorienverbrennung anzukurbeln, fühle ich mich niedergeschlagen und besiegt. Ich weiß, was ich gestern Abend gegessen habe. Ich weiß, was ich getan habe. All die harte Arbeit ist zunichtegemacht. Und ich bin dafür verantwortlich. Ich beginne meine Finger zu bewegen, um mir ein wenig die Panik zu nehmen, dass ich nicht sofort mit der Morgengymnastik beginnen kann, weil ich wieder feststecke und der Stimme in meinem Kopf Rede und Antwort stehen muss.

Es ist Zeit, sich mit dem gestrigen Abend auseinanderzusetzen. Es war einer jener Abende, an denen ich meinen Joghurt für die ganze Woche vorbereite. Solche Abende sind gefährlich, denn immer, wenn ich mir erlaube, mit einer großen Menge Nahrungsmittel herumzuhantieren, droht eine Katastrophe. Doch gestern Abend gab es keine Anzeichen irgendeiner Gefahr. Ich hatte meine 60-Kalorien-Portion Thunfisch wie gewöhnlich mit Stäbchen gegessen und darauf geachtet, dass die Bissen nicht größer gerieten als die Spitze der Stäbchen. Nach dem Abendessen hatte ich ein paar Zigaretten geraucht, um mir genügend Zeit zu lassen, den Thunfisch richtig zu verdauen und ein Sättigungsgefühl zu spüren. Dann ging ich völlig ohne Angst in die Küche und holte aus dem Schrank, was ich für die wöchentliche Prozedur brauchte: die Küchenwaage, acht kleine Plastikdosen, die blaue Rührschüssel, Süßstoff, meinen Messlöffel und meine Gabel. Ich nahm den Joghurt aus dem Kühlschrank, wog ihn ab und verteilte ihn gleichmäßig auf die Plastikdöschen, wobei ich jeweils einen halben Teelöffel flüssigen Süßstoff zufügte. Zufrieden stellte ich fest, dass jede Portion genau 57 Gramm wog. Dann verstaute ich die Dosen strategisch geschickt im obersten Fach des Gefrierschranks hinter eisverkrusteten Plastikbeuteln mit tiefgefrorenem Gemüse, damit ich den Joghurt nicht als Erstes sah, wenn ich die Tür des Gefrierschranks öffnete.

Bis dahin verlief alles normal.

Ich ging zurück zum Sofa und ließ ein wenig Zeit verstreichen. Ich wusste, dass die 30 Minuten, die der Joghurt brauchte, um eine perfekte Konsistenz zu erreichen, noch nicht um waren und dass es Unsinn war, schon jetzt nachzusehen. Doch genau das tat ich. Ich ging in die Küche, öffnete den Gefrierschrank und schaute hinein. Dabei nahm ich nicht nur die Portion, die ich gleich essen würde, in Augenschein. Ich schaute mir alle Portionen an.

Ich knallte die Tür des Gefrierschranks wieder zu und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich auf das dunkelgrüne Vinyl-Sofa gegenüber der Küche und rauchte vier Zigaretten hintereinander, um die Gier nach dieser eisgekühlten Süßspeise zu bekämpfen. Denn ich würde mir erst erlauben, davon zu essen, wenn ich aufgehört hatte, mich danach zu verzehren. Die ganze Zeit, während ich rauchte, wandte ich den Blick nicht vom Gefrierschrank ab – nur für den Fall, dass mein Verstand mir vorgaukelte, ich würde rauchen, während ich mich tatsächlich vollstopfte. Die Gefrierschranktür anzustarren war die einzige Möglichkeit, mir Gewissheit darüber zu verschaffen, dass ich sie nicht öffnete. Inzwischen waren die 30 Minuten definitiv um, und es war Zeit, dass ich meinen Joghurt aß. Ich wusste, dass es zu diesem Zeitpunkt am besten gewesen wäre, ganz darauf zu verzichten, denn eine Portion Joghurt stellte für mich in etwa die gleiche Versuchung dar wie ein Drink für einen Alkoholiker. Doch noch viel größer war meine Angst davor, dass das Pendel zum anderen Ende ausschlagen würde, wenn ich einen Abend ausließe. Wenn ich an einem Tag 100 Kalorien einspare, gleiche ich das am nächsten Tag mit Sicherheit mehr als wieder aus, indem ich mich vollschlage. Das weiß ich aus Erfahrung.

Um 20:05 Uhr nahm ich eine Portion Joghurt aus dem Gefrierschrank und rührte sie mit einer Gabel durch, bis die Konsistenz perfekt war. Doch anstatt den Joghurt in meine weiße Schüssel mit den grünen Blumen zu füllen, mich aufs Sofa zu setzen, ihn mit der Gabel zum Mund zu führen und jeden einzelnen Happen zu genießen, aß ich das Zeug mit einem Teelöffel über der Küchenspüle direkt aus der kleinen Plastikdose. Und ich aß schnell. Die Regelabweichung, das andere Besteck, das Tempo, in dem ich aß, ließen den Feldwebel verstummen und schufen eine Leere, in die jene Gedanken einsickerten, die ich am meisten fürchte – Gedanken, die mir eine böse, sich als Logik tarnende Kraft einflößte und die drauf und dran waren, mich mit gesundem Menschenverstand zu manipulieren. Belohne dich. Du hast nichts zu Mittag gegessen. Normale Menschen essen viermal so viel und nehmen trotzdem ab. Es ist bloß Joghurt. Tus. Du verdienst es.

Ehe ich mich versah, saß ich auf dem Küchenboden, hielt die Plastikdose mit der Dienstagsportion in der linken Hand und bohrte Daumen und Zeigefinger der rechten in die eisige Joghurtkruste. Mit tauben, joghurtbeschmierten Fingern strich ich mir über die Lippen und leckte sie sauber, nur um sie gleich darauf wieder in die Dose zu tauchen. Während meine Finger von der Dose zum Mund und wieder zurück wanderten, war mein Kopf völlig leer. Die Wiederholung der immer gleichen Handbewegung verwandelte die gnadenlosen Gedanken in stille Meditation. Ich wollte nicht, dass dieser tranceähnliche Zustand aufhörte, und als die Dose leer war, stand ich auf und nahm mir den Mittwochsjoghurt, noch ehe mein Hirn registrierte, dass es erst Montag war. Als ich wieder zu Sinnen kam, hatte ich mir 171 Gramm Joghurt einverleibt.

Der Wecker auf meinem Nachttisch fängt an zu piepen. Es ist 4:15 Uhr – Zeit für das Morgentraining. Ehe ich ins Auto springe und die 45 Minuten zum Set fahre, um meinen Sechs-Uhr-Make-up-Termin wahrzunehmen, muss ich genau eine Stunde laufen und danach Sit-ups und Leg Lifts machen. Ich habe heute keinen Dialog. Ich muss bloß herumstehen und das herablassende Grinsen einer aalglatten Topanwältin mimen, während Ally McBeal im Kreis um mich herumläuft und immer hysterischer wird. Doch selbst wenn ich mir Gedanken über die sprachliche Darstellung einer Szene machen müsste, ist und bleibt mein einziges Tagesziel, mich in meiner Kleidung wohlzufühlen. Gott, ich fühle mich wie Scheiße. Egal wie schnell ich heute Morgen auch laufe, der Schaden ist nicht wiedergutzumachen. Als ich aus dem Bett schlüpfe und den Weg zum Badezimmer mit tiefen Ausfallschritten durchmesse, schwöre ich mir, an diesem Tag nur 150 Kalorien zu mir zu nehmen und 20 Abführtabletten zu schlucken. Das müsste etwas bringen. Doch es ist eigentlich nicht die Gewichtszunahme, die mich beunruhigt. Es ist der Verlust an Selbstkontrolle. Es ist die Angst, sie für immer verloren zu haben. Ich beginne zu schluchzen, während ich meine Ausfallschritte mache, und frage mich, wie viele Kalorien ich wohl allein durch das Weinen verbrenne. Schluchzen und Ausfallschritte – das sind mindestens 30 Kalorien. Mir geht durch den Kopf, dass ich meinen Selbstekel in Worte fassen könnte – denn das Aussprechen der Gedanken, die meine Tränen befeuern, verbraucht mit Sicherheit mehr Kalorien als das bloße Denken dieser Gedanken. Also sage ich laut: »Du bist nichts. Du bist Mittelmaß. Du bist ein gewöhnliches, mittelmäßiges, fettes Stück Scheiße. Du hast keine Selbstbeherrschung. Du bist eine dumme, fette, abscheuliche Lesbe. Du hässliche, doofe Schlampe!« Als ich das Bad erreiche und mir die letzten Tränen abwische, schreckt die Stille mich auf. Die Feldwebelstimme schweigt.

Wenn es in meinem Kopf so still ist wie jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Stimme mir nicht einmal mehr zu sagen braucht, wie erbärmlich ich bin. Ich weiß es im tiefsten Inneren. Wenn es so still ist wie jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich selbst wahrhaftig hasse.