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Dick & Felix Francis

Abgebrüht

Roman

Aus dem Englischen von
Malte Krutzsch
 

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2007 bei
Michael Joseph, London,
erschienenen Originalausgabe: ›Dead Heat‹
Copyright © 2007 by Dick Francis
Die deutsche Erstausgabe
erschien 2009 im Diogenes Verlag
Umschlagillustration nach Fotos (Ausschnitte) von
Chris Jackson (Ascot) und Glow Images (Hintergrund)
Copyright © Getty Images

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2012
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 24036 8 (2. Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60006 3

Inhalt

Hinweis für den Leser

Danksagung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Autorenbiographie

Mehr Informationen

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Wir danken
 
Pferdearzt Dr. Tim Brazil
Trompeter Alan Handy
Literaturagent Andrew Hewson
John Holmes, dem Freund aus Delafield, Wisconsin
der Rennbahn Newmarket
Restaurantbesitzer Gordon Ramsay
 
und
Debbie
für den Titel
und alles

[7] 1

Ich dachte, ich sterbe. Ich hatte keine Angst zu sterben, sondern so starke Bauchschmerzen, dass ich den Tod herbeiwünschte.

Es war nicht meine erste Lebensmittelvergiftung, aber diesmal hatte es mich besonders schlimm erwischt, mit quälenden Krämpfen und anhaltendem Würgen und Erbrechen. Fast den ganzen Freitagabend kniete ich schon in meinem Bad auf dem Boden, den Kopf in der Kloschüssel, so dass ich allen Ernstes befürchtete, die heftigen Krämpfe könnten meine Magenschleimhaut zerstören.

Zweimal kam ich auf die Idee, mich zum Telefon zu schleppen und Hilfe zu holen, mit dem Erfolg, dass ich mich nur wieder unter einem neuen Würgeanfall krümmte. Begriffen meine blöden Muskeln nicht, dass mein Magen schon seit einer Ewigkeit leer war? Warum ging diese Tortur immer noch weiter, obwohl mir gar nichts mehr hochkommen konnte?

Zwischen den Anfällen saß ich schwitzend auf dem Fußboden, lehnte mich gegen die Badewanne und versuchte mir zu erklären, wie es zu dieser Misere gekommen war.

Am Freitagabend war ich auf einem Galadiner im Eclipse-Zelt auf der Rennbahn von Newmarket gewesen. Als Vorspeise hatte ich ein Trio von kalt geräuchertem Fisch in einer [8] Knoblauch-Senf-Dill-Sauce verzehrt, als Hauptgang ein mit Süßkirschen gefülltes Hühnchenbrustfilet im Pancettamantel an einer Wildpilzsauce von Pfifferlingen und Trüffeln, serviert mit gerösteten Frühkartoffeln und gedämpften Zuckererbsen, und zum Dessert eine Crème brûlée. Ich kannte die Zutaten des Menüs genau. Denn ich war nicht etwa einer der geladenen Gäste gewesen, sondern der Küchenchef.

Als im dämmernden Morgen mein schwarzes Badezimmerfenster schließlich grau wurde, begann der straffe Knoten in meinem Bauch sich zu lösen, und das feuchtkalte, klebrige Gefühl auf meiner Haut ließ langsam nach.

Aber die Feuerprobe war noch nicht vorbei, denn jetzt wurden die in meinem Verdauungstrakt verbliebenen Reste mit Macht am anderen Ende ausgestoßen.

Zur gegebenen Zeit kroch ich die Treppe meines Cottage hinauf ins Bett und legte mich völlig erschöpft hin: ausgelaugt, dehydriert, aber lebendig. Der Uhr auf dem Nachttisch nach war es zehn nach sieben in der Früh, und um acht sollte ich wieder auf der Arbeit sein. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Ich lag da und redete mir ein, bald werde alles in Ordnung sein und auf fünf Minuten komme es nicht an. Ich nickte halb ein, doch das Klingeln des Telefons, das neben der Uhr auf dem Nachttisch stand, brachte mich voll zur Besinnung. Zwanzig nach sieben.

Wer klingelt mich denn um zwanzig nach sieben wach?, überlegte ich. Haut ab. Lasst mich schlafen.

Das Telefon verstummte. Schon besser.

Es klingelte wieder. Verdammt. Ich drehte mich auf die andere Seite und nahm den Hörer ab.

[9] »Ja«, meldete ich mich in einem Ton, aus dem die ganze Strapaze der Nacht klang.

»Max?«, sagte eine Männerstimme. »Bist du das?«

»Ganz und gar«, erwiderte ich in etwas normalerem Ton.

»War dir auch schlecht?«, fragte der Mann. Das betonte auch gab mir zu denken.

Ich fuhr aus dem Bett auf. »Ja«, sagte ich. »Dir etwa auch?«

»Furchtbar, was? Es ging allen so, mit denen ich gesprochen habe.« Carl Walsh war offiziell mein Stellvertreter. Tatsächlich führte er die Küche neuerdings genauso oft wie ich. Während ich am Abend zuvor von Tisch zu Tisch gegangen war, um mir den Applaus abzuholen, hatte Carl im Küchenzelt die Teller fertiggemacht und das Personal herumgebrüllt. Jetzt sah es aus, als gäbe es statt Applaus nur noch Vorwürfe.

»Mit wem hast du denn gesprochen?«, fragte ich.

»Julie, Richard, Ray und Jean«, antwortete er. »Sie alle haben mich angerufen und gesagt, dass sie heute nicht kommen. Und Martin, sagt Jean, ging es so schlecht, dass sie einen Krankenwagen rufen mussten und ihn ins Krankenhaus gebracht haben.«

Ich konnte es mir vorstellen.

»Was ist mit den Gästen?«, fragte ich. Carl hatte nur von meinem Personal gesprochen.

»Das weiß ich nicht, aber Jean sagte, als sie mit Martin ins Krankenhaus kam, wussten sie dort schon von der Vergiftung, wie sie es nannten, also kann er nicht der Einzige gewesen sein.«

O Gott! Am Abend vor dem 2000 Guineas Stakes [10] zweihundertfünfzig Gönner und Förderer der Rennwelt zu vergiften war nicht gerade die beste Geschäftsidee.

Ein Meisterkoch, der seine Gäste vergiftet? Der Empfang auf der Rennbahn war eine Ausnahme gewesen. Normalerweise arbeitete ich in meinem Restaurant, dem Hay Net, in der Ashley Road am Stadtrand von Newmarket: rund sechzig Mittagessen täglich von Montag bis Freitag, und jeden Abend bis zu hundert Abendessen. Die hatten wir zumindest in der vorigen Woche, vor der Vergiftung. »Wie viele von dem anderen Personal wohl was abgekriegt haben?«, sagte Carl und holte mich damit in die Gegenwart zurück. Mein Restaurant war am Abend geschlossen gewesen, da meine elf festen Mitarbeiter das Diner auf der Rennbahn besorgt hatten, zusammen mit etwa zwanzig Küchen- und Bedienungshilfen. Und während die geladenen Gäste sich die Reden anhörten, aß die Servicebrigade das gleiche Menü wie alle anderen.

»Für das Mittagessen auf der Rennbahn heute habe ich fünf Leute vorgesehen«, sagte ich. Bei dem Gedanken, den Lunch für vierzig Sponsorengäste zubereiten zu müssen, hob sich mir gleich wieder der Magen, und Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich sollte ein Dreigangmenü für zwei verglaste Logen auf der Haupttribüne besorgen. Delafield Industries Inc., ein multinationaler Traktorhersteller aus Wisconsin, war der neue Sponsor des ersten klassischen Rennens der Saison, und sie hatten mir so viel Geld angeboten, dass ich nicht nein sagen konnte und ihre Gäste mit gedünstetem englischen Spargel in Butter, gefolgt von traditionell englischer Steak and Kidney Pie und einem Sommerpudding als Dessert zu verwöhnen gedachte. Fish and Chips mit Erbsenbrei [11] hatte ich ihnen zum Glück ausgeredet. MaryLou Fordham, die Marketingfrau des Unternehmens, die mich engagiert hatte, wollte den Gästen aus der »Heimat« in Wisconsin unbedingt das »wahre« England zeigen. Mein Einwand, dass Gänseleberpastete mit Brioche, gefolgt von Lachs à la meunière, dem Anlass gemäßer sein könnte, fiel auf taube Ohren.

»Ich sag’s Ihnen gleich«, hatte MaryLou erklärt. »Mit dem französischen Zeug haben wir nichts am Hut. Es sollen nur englische Speisen sein.« Ich hatte sarkastisch gefragt, ob ich denn auch warmes Bier statt guter französischer Weine servieren solle, doch sie hatte meinen kleinen Scherz nicht verstanden. Schließlich einigten wir uns auf australischen Weißen und kalifornischen Roten. Langweiliger konnte ein Menü kaum sein, aber sie zahlten, und zwar sehr gut. Traktoren und Mähdrescher von Delafield waren im Mittleren Westen der USA offenbar groß in Mode, und jetzt wollte die Firma den englischen Markt erobern. Jemand hatte ihnen gesagt, Suffolk sei der Präriegürtel des Königreichs, und schon waren sie hier. Dass das »Delafield Harvester 2000 Guineas« nicht eben toll klang, kümmerte sie kein bisschen. Wie es im Moment aussah, konnten sie froh sein, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekamen.

»Ich hör mich um und melde mich noch mal«, sagte Carl.

»Okay«, antwortete ich. Er legte auf.

Mir war klar, dass ich aufstehen und in die Gänge kommen musste. Vierzig Portionen Rindfleischpastete mit Nieren kochten sich nicht von allein.

Ich döste immer noch auf dem Bett vor mich hin, als das Telefon erneut klingelte. Es war fünf vor acht.

[12] »Hallo«, sagte ich schläfrig.

»Spreche ich mit Max Moreton?«, fragte eine Frauenstimme.

»Ja«, erwiderte ich.

»Mein Name ist Angela Milne«, sagte die Frau steif. »Ich bin vom Gesundheitsamt Cambridgeshire.«

Prompt hatte sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Wir haben Grund zu der Annahme«, fuhr sie fort, »dass es auf einem Empfang zu einer Massenvergiftung gekommen ist, bei dem Sie als Küchenchef fungiert haben. Trifft das zu?«

»Wer ist ›wir‹?«, fragte ich.

»Die Grafschaft Cambridgeshire«, sagte sie.

»Nun«, sagte ich, »ich habe gestern Abend ein Galadiner besorgt, aber von einer Massenvergiftung ist mir nichts bekannt, und wenn eine vorliegen sollte, möchte ich doch sehr bezweifeln, dass meine Küche dafür verantwortlich ist.«

»Mr. Moreton«, sagte sie, »ich darf Ihnen versichern, dass es zu einer Massenvergiftung gekommen ist. Vierundzwanzig Personen wurden über Nacht in der Addenbrooke-Klinik auf Lebensmittelvergiftung behandelt, und sieben davon hat man wegen starker Dehydrierung dortbehalten. Sie alle waren zu dem gleichen Abendessen geladen.«

»Oh.«

»Ja, oh«, sagte Ms. Milne. »Ich möchte, dass die zur Zubereitung der Speisen für den Empfang verwendete Küche augenblicklich geschlossen und zu Untersuchungszwecken versiegelt wird. Das Küchenzubehör und sämtliche verbliebenen Speisereste sind zur Untersuchung bereitzuhalten, und das Küchen- und Bedienungspersonal hat für eine eventuelle Befragung zur Verfügung zu stehen.«

[13] Das war vielleicht nicht so einfach, wie sie es sich vorstellte.

»Wie geht es den sieben Krankenhauspatienten?«, fragte ich.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Wäre aber jemand zu Tode gekommen, hätte man mich informiert.«

Keine Nachricht, gute Nachricht.

»Also, Mr. Moreton«, sie hörte sich an wie eine Oberlehrerin, die einen unartigen Schüler zurechtweist, »wo genau befindet sich die Küche, in der das Essen für den Empfang zubereitet wurde?«

»Die gibt’s nicht mehr«, erwiderte ich.

»Was heißt, die gibt’s nicht mehr?«, fragte Angela Milne.

»Der Empfang fand im Eclipse-Zelt auf der Rennbahn von Newmarket statt«, sagte ich. »Während der Rennveranstaltung heute wird dieses Festzelt als Ausschank benutzt. In dem Zelt, das uns gestern Abend als Küche diente, wird jetzt wohl Bier gelagert.«

»Und das Zubehör?«

»Komplett von einem Gastronomielieferanten in Ipswich gemietet. Tische, Stühle, Tafelleinen, Geschirr, Besteck, Gläser, Töpfe, Pfannen, Herde, Anrichten, alles. Mein Personal hat ihnen nach dem Empfang beim Einladen geholfen. Bei Außenaufträgen arbeiten wir immer mit derselben Firma zusammen. Sie nehmen alles ungespült mit und jagen es durch ihren Dampfreiniger.«

»Meinen Sie, es ist schon durch?«, fragte sie.

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Würde mich aber nicht wundern. Heute um acht soll auf der Rennbahn frisches Zubehör angeliefert werden.« Ich sah auf die Uhr neben meinem Bett – in genau zwei Minuten.

[14] »Ich weiß nicht, ob ich Sie heute schon wieder Essen zubereiten lassen darf«, sagte sie ziemlich streng.

»Wieso nicht?«, fragte ich.

»Kreuzkontamination.«

»Die Lebensmittel für heute kommen von einem anderen Lieferanten als gestern«, sagte ich. »Die Zutaten für das Menü gestern Abend kamen direkt von einem Gastro-Großhandel und wurden auf der Rennbahn verarbeitet. Die für heute wurden über mein Restaurant bestellt und liegen seit zwei Tagen im Kühlraum.« Der Kühlraum war ein großer begehbarer Kühlschrank mit einer konstanten Temperatur von drei Grad Celsius.

»Ist irgendetwas von dem Großlieferanten für das Diner dabei?«, fragte sie.

»Nein. Die Trockenvorräte kommen aus dem Supermarkt bei Huntingdon, das Fleisch von meinem Metzger in Bury St. Edmunds und das Frischobst und Gemüse von der Gemüsegroßhandlung in Cambridge, bei der ich regelmäßig kaufe.«

»Wer hat die Lebensmittel für das Diner gestern Abend geliefert?«, fragte sie.

»Leigh Foods oder so ähnlich. Die Daten habe ich in meinem Büro. Normalerweise arbeite ich nicht mit denen, aber für so viele Personen koche ich auch selten.«

»Und der Zubehörlieferant?«

»Stress-Free Catering Ltd.«, sagte ich und gab ihr die Rufnummer. Ich kannte sie auswendig.

Die Ziffern meiner Digitaluhr sprangen auf 8:00, und ich sah schon, wie der Transporter von Stress-Free Catering ankam und niemand da war, um ihn zu empfangen.

[15] »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber ich muss jetzt auflegen und mich an die Arbeit machen. Einverstanden?«

»Von mir aus«, sagte sie. »Ich komme so etwa in einer Stunde zu Ihnen auf die Rennbahn.«

»Die Rennbahn liegt in Suffolk. Ist das noch Ihr Gebiet?«

Newmarket hat nämlich zwei Rennbahnen – die eine gehört zu Suffolk, die andere zu Cambridgeshire, und die Bezirksgrenze verläuft genau dazwischen entlang dem Devil’s Dyke. Das Abendessen und der Lunch fanden auf der Rowley-Mile-Rennbahn in Suffolk statt.

»Die Erkrankten sind in Cambridge, das ist für mich entscheidend.« Ich meinte eine Spur von Gereiztheit herauszuhören, aber vielleicht täuschte ich mich. »Der ganze Bereich der Lebensmittelhygiene und der Zuständigkeiten ist ein Alptraum. Die Grafschaften, die Bezirksämter und die Lebensmittelaufsicht, alle haben ihre eigenen Vollstreckungsverfahren, es ist ein einziges Chaos.« Offensichtlich hatte ich einen wunden Punkt berührt. »Ach ja«, fuhr sie fort, »was haben die Leute gestern Abend eigentlich gegessen?«

»Geräucherten Fisch, gefüllte Hühnchenbrust und Crème brûlée«, sagte ich.

»Vielleicht war’s das Hühnchen«, sagte sie.

»Also, ich weiß schon, wie man Huhn zubereitet. Für eine Salmonellenvergiftung kamen die Symptome jedenfalls zu schnell.«

»Was ist mit den Speiseresten passiert?«, fragte sie.

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Viel wird nicht übrig geblieben sein. Mein Personal ist wie ein Wolfsrudel, was Essensreste angeht, die Reste in der Küche werden komplett [16] verputzt. Was die Leute auf den Tellern lassen, kommt in einen Mülleimer, den normalerweise Stress-Free mitnimmt.«

»Haben alle das Gleiche verzehrt?«, fragte sie.

»Mit Ausnahme der Vegetarier.«

»Was gab’s für die?«

»Tomatensalat mit Ziegenkäse statt der Fischvorspeise, dann einen Nudelauflauf mit Broccoli und Käse. Ein Veganer hatte vorab Pilze vom Grill als Vorspeise, Röstgemüse als Hauptgang und Frischobstsalat als Dessert bestellt.«

»Wie viele Vegetarier waren da?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Ich weiß nur, dass wir mit dem Nudelauflauf ausgekommen sind.«

»Das ist mir etwas zu ungenau.«

»Wir hatten zweihundertfünfzig Gedecke. Ich hatte vorsorglich zweihundertsechzig Hühnchenbrüste bestellt, falls ein paar zu klein oder schadhaft waren.«

»Was meinen Sie mit schadhaft?«

»Zerdrückt oder rissig. Ich kannte den Lieferanten nicht so gut, deshalb habe ich ein paar mehr bestellt als normal. Dann waren aber doch alle gut, und wir haben sie alle zubereitet. Außerdem hatten wir mindestens zwanzig Vegetarier eingeplant, plus den Veganer. Insgesamt dürften es etwa dreißig bis fünfunddreißig mehr Menüs als Gäste gewesen sein. Diese Überschüsse gehen an mein Personal. Sind nur ein paar Vegetarier unter den Gästen, bekommen meine Leute mehr Salat. Hören Sie, ich muss wirklich los. Bin sowieso spät dran.«

»Gut, Mr. Moreton«, sagte sie. »Nur eins noch.«

»Ja?«

»War Ihnen heute Nacht auch übel?«

»In der Tat.« Und wie.

[17] Als ich schließlich zur Rennbahn kam, war der Mann von Stress-Free Catering bereits kräftig beim Ausladen.

»Ich dachte schon, ich hätte mich im Datum vertan«, meinte er bissig zur Begrüßung. Er schob einen großen Drahtkorb mit Besteck zur hydraulischen Heckklappe vor und ließ ihn auf den Boden runter. Konnte er mich damit nicht sanft wieder ins Bett befördern? Grob gerechnet war ich seit über sechsundzwanzig Stunden wach, und ich musste daran denken, dass der Schlafentzug die vom KGB meistgenutzte Form der Folter gewesen war.

»Haben Sie auch die Sachen von gestern Abend abgeholt?«, fragte ich.

»Woher denn? Ich bin um sieben in Ipswich weg und musste vorher noch alles einladen. Ich hab um halb sechs angefangen.« Verständlich, dass er das in einem vorwurfsvollen Ton sagte. Er konnte ja nicht wissen, dass ich die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war.

»Sind die Sachen von gestern Nacht vielleicht noch im Wagen?« Für den kleineren Empfang heute hatte er viel weniger zu liefern, und es war kein Küchenzubehör dabei.

»Wohl kaum«, meinte er. »Nach einer Spätveranstaltung wird als Erstes ausgeladen und die ganze Chose dampfgereinigt, einschließlich des Laderaums.«

»Auch samstags?«

»Klar«, sagte er. »Samstags ist bei uns am meisten los. Hochzeiten und so.«

»Was passiert mit den Essensabfällen?«, fragte ich ihn. Vielleicht bekommt sie irgendein Schweinezüchter, dachte ich, für seine Schützlinge.

»Wir haben eine Abfallbeseitigungsanlage. Wie diese [18] Einsätze in Küchenausgüssen, nur größer. Die verflüssigt sämtliche Speisereste und spült sie in den Kanal. Die Tonnen werden dann wie alles andere dampfgereinigt. Warum wollen Sie das wissen?«, fragte er. »Was verloren?«

Nur meinen Magen, dachte ich, und meinen Stolz.

»Ging mir so durch den Kopf«, sagte ich. Ms. Milne würde nicht sehr erbaut sein. Keine untersuchbare Küche und keine analysierbaren Speisereste. Ich wusste nicht, ob ich darüber froh oder enttäuscht sein sollte. Es ließ sich nicht nachweisen, dass mein Essen für die Vergiftung verantwortlich war, aber andererseits ließ es sich auch nicht widerlegen.

»Wo soll das ganze Zeug hin?«, fragte er und deutete auf die in einer Reihe stehenden Drahtkörbe.

»Erste und zweite verglaste Loge im zweiten Stock der Frontaltribüne«, sagte ich.

»Gut.« Er machte sich auf die Suche nach dem Lift.

Wie der Name schon sagte, lag die Frontaltribüne gegenüber der Zielgeraden, so dass die Pferde fast direkt auf sie zugaloppierten. Die Logen hier gewährten den besten Blick auf die Rennen und waren heiß begehrt. Die Traktormacher von Delafield hatten gut daran getan, sich für ihren großen Tag zwei nebeneinanderliegende Logen zu sichern.

Ich ging an der großartigen Millenniumstribüne vorbei zur Rennbahnleitung. Auf dem Gelände herrschte hektische Betriebsamkeit. Die Restaurants wurden noch mit Bier beliefert, während andere Cateringleute mit Tabletts voll Räucherlachs und Aufschnitt umhereilten. Die Platzarbeiter legten letzte Hand an die Blumenbeete und mähten noch einmal das ohnehin schon kurze Gras im Führring. Ein Heer von jungen Männern stellte auf dem Rasen vor einem [19] Meeresfrüchtestand Tische und Stühle auf. Bald würden viele tausend Besucher hier sein, um sich einen schönen Tag zu machen. Alles sah perfekt und normal aus, nur ich war daneben, jedenfalls dachte ich das damals.

Ich steckte den Kopf zur offenen Tür der Direktion hinein. »Ist William da?«, fragte ich eine dicke Frau, die halb vor dem Schreibtisch stand und halb auf ihm hockte. William Preston war der Rennbahndirektor und hatte dem Empfang gestern als Gast beigewohnt.

»Er wird frühestens um elf hier sein«, sagte sie. Das hörte sich nicht gut an. Der Tag des 2000 Guineas Stakes, und der Rennbahndirektor kommt erst nach elf? »Er hat anscheinend eine böse Nacht gehabt«, fuhr sie fort. »Irgendwas Falsches gegessen. Verdammt ärgerlich, wenn Sie mich fragen. Wie soll ich denn hier bitte allein zurechtkommen? So gut werde ich nicht bezahlt, dass ich hier allein die Stellung halte!«

Im selben Moment klingelte das Telefon neben ihrer ausladenden Kehrseite und bewahrte mich vor weiteren Meinungsäußerungen. Ich verzog mich und kehrte zu dem Lieferwagen zurück.

»Okay«, sagte der Mann von Stress-Free, »Ihr Zeug ist oben in den Logen. Wollen Sie nachsehen, bevor Sie unterschreiben?«

Lieferungen prüfte ich immer. Allzu oft hatte ich festgestellt, dass die Postenaufstellung um einiges größer war als die Posten. Aber heute ließ ich es darauf ankommen und unterschrieb ihm den Schein.

»Okay«, sagte er noch einmal. »Bis später dann. Um sechs hole ich ab.«

»Gut«, erwiderte ich. Bis um sechs schien es noch lange [20] hin zu sein. Zum Glück hatte ich für die Rindfleischpastete mit Nieren schon praktisch alles vorbereitet. Sie musste nur noch in die Keramikformen gefüllt, überteigt und etwa fünfunddreißig Minuten im Backofen erhitzt werden. Das frische Gemüse stand bereits blanchiert im Kühlraum meines Restaurants, und der Spargel war geschält und fertig zum Dünsten. Die verschiedenen Sommerpuddinge waren am Donnerstagnachmittag angerührt worden und standen ebenfalls im Kühlraum. Sie mussten nur noch aus der Form gestürzt und mit Schlagsahne und einer halben Erdbeere garniert werden. Dass die Erdbeeren aus Südfrankreich kamen, brauchte MaryLou nicht zu wissen.

In der Regel machte ich keine »Außengastronomie«, aber das Guineas-Wochenende war etwas anderes. Seit sechs Jahren nutzte ich es als die Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu machen.

In meinem Restaurant verkehrten, wie der Name Hay Net – Heunetz – nahelegte, hauptsächlich Leute aus dem Rennsport. Das war eine Welt, in der ich mich auskannte und die ich zu verstehen meinte. Mein Vater war ein mäßig erfolgreicher Hindernisjockey und danach ein wesentlich erfolgreicherer Trainer gewesen, bis er auf der Fahrt nach Liverpool zum Grand National mit einem Backsteinlaster zusammenstieß und starb, als ich achtzehn war. Ich wäre damals bei ihm gewesen, hätte meine Mutter nicht darauf bestanden, dass ich daheim für mein Abitur büffelte. Toby, mein zehn Jahre älterer Halbbruder, übernahm damals buchstäblich die Zügel des Trainergeschäfts und lebt noch immer davon, wenn auch mehr schlecht als recht.

Ich hatte zwar meine Kindheit auf dem Rücken von [21] Ponys und inmitten von Pferden verbracht, Tobys Pferdeliebe aber niemals geteilt. In meinen Augen waren beide Enden eines Pferdes gefährlich, und in der Mitte war es unbequem. Ein Ende beißt, das andere tritt. Und mir ist auch nie klar geworden, warum Pferde so früh am Tag bei Regen und bei Kälte geritten werden müssen, zu einer Zeit, da die meisten Menschen noch fest im warmen, kuscheligen Bett schlafen.

Mehr als dreizehn Jahre waren jetzt vergangen seit dem schicksalhaften Tag, an dem ein Polizist an unsere Tür klopfte und meiner Mutter mitteilte, dass als Fahrer und Besitzer des zu Schrott gefahrenen Jaguars ihr Mann, der verstorbene Mr. George Moreton, wohnhaft in East Hendred, ermittelt worden sei. Ich hatte meiner Mutter zuliebe schwer fürs Abitur gepaukt und einen Studienplatz für Chemie an der Universität Surrey bekommen. Doch mein Leben änderte sich unwiderruflich nicht durch den Tod meines Vaters, sondern durch das vorgesehene Orientierungsjahr, das zu meiner Lebensorientierung wurde.

Ich ging weder nach Surrey noch auf eine andere Universität. Geplant war, dass ich ein halbes Jahr arbeitete, um im zweiten Halbjahr mit dem verdienten Geld durch Ostasien zu reisen. Also jobbte ich als Tellerwäscher, Bierkastenschlepper und Mädchen für alles in einem Landgasthof – einem Pub, Restaurant und Hotel –, der in Oxfordshire am Themseufer lag und einer ebenfalls verwitweten, entfernten Verwandten meiner Mutter gehörte. Normalerweise wird so jemand als »Springer« bezeichnet, aber das ist in der Gastronomie ein so abfälliges Wort, dass die Verwandte meiner Mutter mich lieber ihren »Küchenassistenten auf Zeit« nannte, was sich nach mehr anhört und weniger korrekt ist. Das Wort [22] Assistent deutet auf eine gewisse Verantwortung. Die einzige mir übertragene Verantwortung bestand darin, jeden Morgen das Zimmermädchen zu wecken, damit sie den Gästen in den sieben Zweibettzimmern ihren Frühstückstee servierte. Anfangs erledigte ich das, indem ich fünf Minuten lang an ihre Tür klopfte, bis sie widerstrebend aufmachte. Nach ein paar Wochen wurde dann alles viel einfacher, weil ich sie nur noch aus dem Einzelbett zu werfen brauchte, das wir miteinander teilten. Jedenfalls weckte die Arbeit in der Restaurantküche, wenn auch nur am Spülstein, in mir die Lust am Kochen und am Herrichten von Speisen. Bald überließ ich anderen den Abwasch und absolvierte einen Lehrgang unter dem wachsamen Auge Marguerites, der grimmigen, unflätig schimpfenden Chefköchin. Den Ausdruck »Küchenchefin« mochte sie nicht. Sie koche, hatte sie klargestellt, also sei sie eine Köchin.

Als mein halbes Jahr vorbei war, blieb ich einfach. Mittlerweile war ich Marguerites rechte Hand und machte alles, von den Vorspeisen bis zu den Desserts. Nachmittags, wenn die übrige Belegschaft ihren Schlaf nachholte, experimentierte ich mit Geschmacksrichtungen, und fast meinen ganzen Lohn gab ich in Witneys Gartenmarkt für Zutaten aus.

Ende des Frühjahrs schrieb ich an die Universität von Surrey und bat höflich darum, meine Einschreibung noch um ein Jahr verschieben zu dürfen. Das ging in Ordnung, aber ich wusste wohl damals schon, dass ein Leben in Labors und Vorlesungssälen für mich nicht mehr in Frage kam. Als Marguerite Ende Oktober des darauffolgenden Jahres die Verwandte meiner Mutter einmal zu oft beschimpfte und hinausgeworfen wurde, war mein Lebensweg vorgezeichnet. [23] Nur vier Tage vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag übernahm ich mit Freuden die Leitung der Küche und machte mich daran, als jüngster Küchenchef aller Zeiten einen Michelinstern zu bekommen.

In den nächsten vier Jahren florierte das Geschäft, mein Selbstvertrauen gedieh im gleichen atemberaubenden Tempo wie der Ruf des Restaurants. Mir entging aber auch nicht, dass das Bankkonto der Verwandten meiner Mutter bedeutend schneller wuchs als mein eigenes. Als ich sie darauf ansprach, warf sie mir mangelnde Loyalität vor, und das war der Anfang vom Ende. Kurz darauf verkaufte sie den Gasthof, ohne mich zu informieren, an eine kleine Hotelkette, und ich sah mich einem neuen Boss gegenüber, der meine Küche umkrempeln wollte. Da die Verwandte meiner Mutter auch versäumt hatte, den Käufern zu sagen, dass sie keinen Vertrag mit mir hatte, packte ich meine Sachen und ging.

Ich fuhr nach Hause, und während ich überlegte, wie es weitergehen sollte, kochte ich für die Abendgesellschaften meiner Mutter, die ein wenig erstaunt zu sein schien, dass ich das konnte, obwohl sie in der Zeitung von meinem Michelinerfolg gelesen hatte. »Aber Schatz«, meinte sie, »ich glaube niemals, was in der Zeitung steht.«

Auf einer dieser Abendgesellschaften wurde ich Mark Winsome vorgestellt. Mark war ein Unternehmer in den Dreißigern, der ein Vermögen in der Mobiltelefonbranche gemacht hatte. Sein Problem sei, gute Gelegenheiten zu finden, um sein Geld anzulegen, erklärte er gerade, als ich mich auf einen Kaffee zu den Gästen gesellte. Scherzhaft meinte ich, er könne ja in mich investieren und mir helfen, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Kein Lachen, kein Lächeln. »Okay«, [24] hatte er gesagt, »ich finanziere alles, und Sie haben die alleinige Kontrolle. Die Einnahmen teilen wir fifty-fifty.«

Ich hatte nur mit offenem Mund dagesessen. Viel später erst erfuhr ich, dass er meine Mutter seit langem gedrängt hatte, ein Treffen zwischen mir und ihm einzufädeln, damit er dieses Angebot machen konnte, und dass ich ihm in die Falle gegangen war.

Und so hatte ich vor nunmehr sechs Jahren mit Marks Geld das Hay Net eröffnet, ein auf den Rennsport zugeschnittenes Restaurant am Stadtrand von Newmarket. Dabei hatte ich Newmarket nicht speziell ins Auge gefasst, aber dort hatte sich das erste passende Objekt gefunden, und die Nähe zum Hauptquartier des Rennsports war einfach ein Plus.

Das Geschäft war schleppend angelaufen, doch durch die Abend- und Mittagessen anlässlich der Pferderennen wurde das Restaurant bekannt, und bald war es jeden Abend so voll, dass ein Tisch selbst für unter der Woche gut acht Tage vorab bestellt werden musste und für den Samstagabend mindestens einen Monat im Voraus. Die Frau eines Newmarketer Spitzentrainers zahlte mir sogar eine Pauschale, um jeden Samstag des Jahres einen Tisch für sechs Personen zu bekommen außer im Januar, wenn sie auf Barbados waren. »Stornieren ist viel einfacher als reservieren«, meinte sie, aber sie stornierte selten und weitete den Tisch oft auf acht oder zehn Personen aus.

Das Handy klingelte in meiner Tasche.

»Hallo«, sagte ich.

»Max, komm mal ins Restaurant.« Es war Carl. »Das Gesundheitsamt ist da.«

[25] »Mit der Dame bin ich doch auf der Rennbahn verabredet«, sagte ich.

»Hier sind zwei Männer«, antwortete er.

»Sag ihnen, sie sollen hierher kommen.«

»Ich glaub nicht, dass die das tun«, sagte er. »Anscheinend ist jemand gestorben, und jetzt versiegeln sie die Küche.«

[26] 2

Sie versiegelten die Küche buchstäblich. Als ich hinkam, klebte vor jedem Fenster Siegelband, und zwei Männer brachten große Überfallen und Vorhängeschlösser an den Türen an.

»Das können Sie nicht machen«, sagte ich.

»Doch«, erwiderte einer von ihnen und ließ ein schweres Vorhängeschloss einschnappen. »Ich habe Anweisung, dafür zu sorgen, dass niemand diese Räumlichkeiten betritt, bis sie untersucht und dekontaminiert worden sind.«

»Dekontaminiert?«, fragte ich. »Von was denn?«

»Keine Ahnung«, meinte er. »Ich tue nur, was man mir sagt.«

»Wann findet denn diese Untersuchung statt?«, fragte ich mit einem mulmigen Gefühl.

»Montag oder Dienstag vielleicht«, antwortete er. »Oder Mittwoch, je nachdem, wie viel sie zu tun haben.«

»Aber wir sind ein Geschäftsbetrieb«, sagte ich. »Wie soll ich ein Restaurant führen, wenn die Küche geschlossen ist? Für heute Abend sind Tische reserviert.«

»Tut mir leid, Mann.« Es hörte sich nicht so an. »Ihr Laden ist jetzt dicht. Sie hätten eben keinen umbringen sollen.«

»Wer ist denn der Tote?«, fragte ich.

[27] »Keine Ahnung«, sagte er und drückte noch ein Schloss zu. »So, das wär’s. Unterschreiben Sie hier bitte?« Er hielt mir ein Klemmbrett mit etlichen Papieren hin.

»Was steht denn da?«, fragte ich.

»Da steht, dass Sie mit der Schließung Ihrer Küche einverstanden sind, dass Sie nicht versuchen werden, sie zu betreten, was nebenbei bemerkt eine Straftat wäre, dass Sie sich bereit erklären, für meine Dienste und die Materialkosten aufzukommen, und dass Sie verantwortlich dafür sind, wenn Dritte sich ohne eine entsprechende Genehmigung des Grafschaftsrats oder der Lebensmittelaufsicht Einlass verschaffen oder sich Einlass zu verschaffen versuchen.«

»Und wenn ich die Unterschrift verweigere?«, fragte ich.

»Dann muss ich mit einem Vollstreckungsbefehl und einem Polizisten wiederkommen, der rund um die Uhr Wache hält, und das müssen Sie dann auch noch bezahlen. Geschlossen bleibt die Küche so oder so. Wenn Sie unterschreiben, wird die Untersuchung vielleicht morgen oder am Montag durchgeführt, wenn nicht, dann nicht.«

»Das ist Erpressung.«

»Jep«, sagte er. »Wirkt meistens.« Er lächelte und hielt mir erneut das Klemmbrett hin.

»Hundsfott«, sagte ich. »Haben Sie Spaß an Ihrer Arbeit?«

»Mal was anderes als sonst.«

»Was machen Sie denn sonst?«, fragte ich.

»Schulden eintreiben«, antwortete er.

Es war ein kräftiger Mann, groß und breit gebaut. Er trug schwarze Hosen, ein weißes Hemd mit einem schmalen schwarzen Schlips und weiße Turnschuhe. Sein Kumpan [28] war genauso ausstaffiert – Dienstkleidung. Mir ging durch den Kopf, dass eigentlich nur der Baseballschläger zur Untermauerung seiner Drohungen fehlte. An seinen Anstand würde ich nicht appellieren können. Er besaß offensichtlich keinen.

Ich unterschrieb den Schein.

Während dieses Wortwechsels hatte der zweite Mann selbstklebende Plastikschilder an die Türen und Fenster geheftet. Auf den gut fünfzig Zentimeter großen weißen Feldern stand in dicken roten Lettern: WEGEN DEKONTAMINIERUNG GESCHLOSSEN und KEIN ZUTRITT.

»Muss das wirklich sein?«, fragte ich.

Er gab keine Antwort. Klar – er machte nur seine Arbeit, tat nur, was man ihm gesagt hatte.

Ich weiß nicht, ob sie aus purer Gehässigkeit im Hinausgehen auch noch das Restaurantschild am Tor überklebten. Jedenfalls konnte man jetzt gleich von der Straße aus sehen, dass das Heunetz leer und unnütz war und nicht mal einem Shetlandpony was zu knabbern bot, geschweige denn den rund hundert Personen, die für den Abend Tische bestellt hatten.

Carl kam von der Gaststubenseite des Gebäudes herüber.

»Drinnen ist es das Gleiche«, sagte er. »Die Küchentüren sind mit Vorhängeschlössern versperrt.«

»Was sollen wir tun?«, fragte ich.

»Tja«, sagte er, »den meisten, die für heute Abend reserviert haben, habe ich schon gesagt, dass geschlossen ist.«

»Gut«, sagte ich beeindruckt.

»Einige meinten, sie wollten sowieso nicht kommen. Entweder, weil sie gestern Abend auf der Rennbahn waren und [29] dasselbe durchgemacht haben wie wir oder weil sie davon gehört haben.«

»Weiß irgendjemand, wer da gestorben ist?«, fragte ich.

»Keine Ahnung«, sagte Carl. »Danach habe ich die Leute nicht gerade gefragt.«

»Für heute Abend sagen wir am besten auch dem Personal ab«, sagte ich.

»Schon passiert«, antwortete er. »Jedenfalls hab ich den meisten auf den Anrufbeantworter gesprochen. Und ich habe einen Zettel an den Kücheneingang geklebt, sie sollen sich das Wochenende freinehmen und am Montagmorgen wieder zur Arbeit erscheinen.«

»Hast du ihnen gesagt, warum?«, fragte ich.

»Nö. Muss ja nicht gleich sein. Erst wenn wir genau wissen, was passiert ist.« Er wischte sich mit der Handfläche über die Stirn. »Gott, geht’s mir dreckig. Nassgeschwitzt, und doch ist mir kalt.«

»Mir auch«, sagte ich. »Aber jetzt können wir uns wohl den Nachmittag freinehmen. Die Traktormacher müssen sich ihr Futter woanders holen.«

»Wieso?«, fragte Carl.

»Weil ihre Pastetenfüllung hinter den versperrten Türen im Kühlraum ist, Dummkopf.«

»Ist sie nicht«, sagte er. »Ich hatte den Transporter schon beladen, bevor die Männer kamen.« Er zeigte auf den beim Kücheneingang stehenden Ford Transit, den wir für unseren Partyservice einsetzten. »Die Sommerpuddinge sind auch drin.« Er lächelte. »Das Einzige, was fehlt, sind der Spargel und die Frühkartoffeln, aber die können wir noch aus Cambridge kommen lassen.«

[30] »Du bist einfach fabelhaft«, sagte ich.

»Wir machen’s also?«

»Darauf kannst du Gift nehmen. Mehr denn je brauchen wir jetzt einen gelungenen Auftritt.« Alberner Spruch eigentlich, aber ich ahnte ja nicht, was kommen würde.

Carl fuhr mit dem Transit zur Rennbahn, während ich den ramponierten Golf nahm, der mein ganzer Stolz gewesen war, als ich ihn mir mit zwanzig von dem bei einem Fernseh-Kochwettbewerb gewonnenen Preisgeld nagelneu gekauft hatte. Nach elf Jahren und mit weit über hundertfünfzigtausend Kilometern auf dem Tacho sah man ihm sein Alter langsam an, aber da mein Herz an ihm hing, hatte ich keine Lust umzusatteln. Außerdem beschleunigte er an der Ampel noch immer schneller als die meisten anderen.

Ich parkte auf dem Personalparkplatz hinter der Waage und ging über den Rasen zum anderen Ende der Tribüne, wo Carl bereits den Lieferwagen auslud. Zwei Frauen in mittleren Jahren erwarteten mich dort, die eine in einem grünen Tweedkostüm, Wollmütze und praktischen braunen Stiefeln, die andere in einer rüschenbesetzten scharlachroten Chiffonbluse, schwarzem Rock und hochhackigen spitzen Lacklederschuhen, mit einer Fülle brauner Locken, die sich an ihren Ohren entlangringelten. Ich schaute mir die beiden an und sann über rennbahngemäße Kleidung nach.

Tweed war einen Tick schneller als Schwarzrot.

»Mr. Moreton?«, fragte sie auf ihre oberlehrerhafte Art, als ich hinzutrat.

»Ms. Milne vermutlich?«, erwiderte ich.

»So ist es«, sagte sie.

[31] »Und ich bin MaryLou Fordham«, stellte Schwarzrot sich laut mit amerikanischem Akzent vor.

Ich hatte es mir gedacht.

»Ist Ihnen nicht kalt?«, fragte ich sie. Eine Chiffonbluse vertrug sich nicht so recht mit einem frühen Maimorgen in Newmarket. Selbst bei mildem Wetter wehte ein schneidender Wind über das Heidemoor, und der Guineas-Samstag bildete keine Ausnahme.

»Nein«, antwortete sie. »Wenn Sie wissen wollen, was Kälte ist, kommen Sie mal im Winter nach Wisconsin.« Sie betonte die Wörter einzeln, statt das Gewicht harmonisch auf den Satz zu verteilen. Jedes Wort stand kurz und knackig für sich, keins wurde nach Südstaatenart gedehnt oder mit einem anderen verbunden. »Und weshalb möchten Sie Mr. Moreton sprechen, der doch für mich arbeiten soll?«, fragte sie etwas hochmütig, an Angela Milne gewandt.

Ihrer Körpersprache war anzumerken, dass Angela Milne es nicht sonderlich schätzte, so angesprochen zu werden. Mir hätte es auch nicht gepasst.

»Es handelt sich um eine Privatangelegenheit«, sagte Angela. Diese Ms. Milne, dachte ich. Eine echte Freundin.

»Dann beeilen Sie sich«, meinte MaryLou herrisch. Sie wandte sich mir zu. »Ich war oben in den Logen – mir scheint, da tut sich nichts. Die Tische sind nicht gedeckt, und es ist kein Mensch zu sehen.«

»Das wird schon«, sagte ich. »Es ist ja erst halb zehn. Die Gäste kommen frühestens in zwei Stunden, bis dahin ist alles fertig.« Hoffentlich hatte ich recht. »Fahren Sie ruhig wieder rauf, ich komme gleich nach.«

Zögernd stakste sie davon, nicht ohne sich ein paar Mal [32] umzudrehen. Hübsche Beine, dachte ich, als sie mit klappernden Absätzen über den Asphalt Richtung Tribüne ging.

Als ich schon dachte, sie sei weg, kam sie wieder zurück. »Ach ja«, sagte sie, »das hatte ich noch vergessen. Drei Leute haben mich heute Morgen angerufen und mir gesagt, dass sie heute nicht zur Rennbahn kommen. Angeblich geht es ihnen nicht gut.« Sie machte aus ihrem Unglauben keinen Hehl. »Es kommen also fünf Personen weniger zum Lunch.«

In Anbetracht der Umstände fragte ich lieber nicht, weshalb es ihnen nicht gutging.

»Zu schade«, sagte sie. »Zwei von ihnen sind Trainer aus Newmarket, die Starter in unserem Rennen haben.« Sie betonte das »Market« und verschluckte beinah das »New«. In meinen Ohren klang das komisch.

Sie drehte sich unvermittelt um und stöckelte zu den Aufzügen, wobei ich noch einmal die tollen Beine bewundern konnte. Die schwarze Lockenpracht wippte im Gehen auf ihren Schultern. Ich fragte mich, ob sie mit Lockenwicklern schlief.

»Tut mir leid«, sagte ich zu Ms. Milne.

»Das war nicht Ihre Schuld«, meinte sie.

Ich hoffte, ich war an gar nichts schuld.

Sie gab mir ihre Karte. Ich las sie: Angela Milne, Gesundheitsamt, Grafschaftsrat Cambridgeshire. Genau wie sie gesagt hatte.

»Warum haben Sie meine Küche versiegelt und mein Restaurant dichtgemacht?«, fragte ich.

»Davon weiß ich ja gar nichts«, sagte sie. »Wo genau liegt das Restaurant?«

»In der Ashley Road, nahe der Abzweigung nach [33] Cheveley«, sagte ich. »Hay Net heißt es.« Ihrem Nicken nach kannte sie den Namen. »Ich kann Ihnen versichern, dass es zu Cambridgeshire gehört. Ich komme gerade von da. Die Küche ist mit Vorhängeschlössern versehen worden, und man hat mir den Zutritt verboten.«

»Oh«, machte sie.

»Die beiden Männer sagten, sie kämen von der Lebensmittelaufsicht.«

»Komisch«, sagte sie. »Das ist normalerweise Sache der Ortsbehörde. Meine also. Sofern der Vorfall nicht als schwerwiegend eingestuft wird.«

»Was heißt schwerwiegend?«, fragte ich.

»Wenn es um Kolibakterien oder Salmonellen geht«, sie überlegte kurz, »um Botulismus, Typhus und dergleichen. Oder wenn jemand dadurch ums Leben kommt.«

»Die Männer sagten, es sei jemand gestorben.«

»Oh«, machte sie wieder. »Auch das ist mir neu. Vielleicht hat die Polizei oder die Klinik sich direkt an die Lebensmittelaufsicht gewandt. Mich wundert, dass sie an einem Samstag da durchgekommen sind. Wer weiß, wer das entschieden hat. Tut mir leid.«

»Das war nicht Ihre Schuld«, gab ich zurück.

Sie spitzte die Lippen zu einem Lächeln. »Am besten höre ich mal nach, was los ist. Meine Handybatterie ist leer, man glaubt ja nicht, wie sehr wir alle auf die Dinger angewiesen sind. Ohne meins bin ich verloren.«

Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber wieder um. »Ich habe im Rennbahnbüro nach dem Küchenzelt von gestern Abend gefragt«, sagte sie. »Sie hatten recht. Jetzt stehen lauter Bierkästen drin. Haben Sie immer noch vor, da [34] oben ein Mittagessen für Miss America auszurichten?« Sie wies mit einer Kopfbewegung zur Tribüne.

»Fragen Sie das dienstlich?«, sagte ich.

»Hmm.« Wieder spitzte sie die Lippen. »Vielleicht will ich es gar nicht wissen. Vergessen Sie’s.«

Ich lächelte. »Was denn?«

»Ich melde mich nachher wieder bei Ihnen, wenn ich in Erfahrung gebracht habe, was los ist.«

»Gut«, sagte ich. »Lassen Sie mich bitte wissen, wer da gestorben ist, sobald Sie es herausgefunden haben.« Ich gab ihr meine Handynummer. »Ich bin bis gegen halb sieben hier. Danach gehe ich schlafen.«

Zwei meiner Angestellten waren erschienen, um Carl und mir bei dem Mittagessen zu helfen, und beiden war gestern nicht übel gewesen. Da sie beide den vegetarischen Nudelauflauf gegessen hatten, wurde im Ausschlussverfahren das Hühnchen zum Hauptverdächtigen.

Über eine Stunde waren sie in den verglasten Logen zugange, während Carl und ich in der winzigen Küche auf der anderen Seite des Gangs die Pasteten ofenfertig machten. Carl rollte den Teig aus, ich gab die Füllung in die einzelnen Formen und verschloss sie. Unser Gemüsehändler in Cambridge hatte rechtzeitig Ersatz für die im Kühlraum des Restaurants gefangengesetzten Spargel und Frühkartoffeln geliefert. Die Kartoffeln standen bereits auf dem Herd, und ich entspannte mich ein wenig, doch wer sich entspannt, kann müde werden.

Ich überließ Carl die Pasteten und schaute nach den anderen.

[35] Sie hatten erfolgreich die Trennwand zwischen den beiden Logen entfernt und so einen Raum von knapp vierzig Quadratmetern geschaffen. Ein Spediteur hatte im Auftrag der Rennbahn vier Tische von anderthalb Meter Durchmesser und vierzig Stühle mit goldfarbenen Rückensprossen geliefert, und meine Leute hatten sie so aufgestellt, dass die Tische leicht zu bedienen waren. Ursprünglich hätten außer Carl und mir fünf Mitarbeiter dabei sein sollen, ein Kellner für je zwei Tische, zwei für Wein und andere Getränke und einer zum Aushelfen in der Küche, doch drei davon waren nicht erschienen. Die eintreffenden Gäste hätten mit Kaffee oder Drinks versorgt werden sollen, während Carl und ich den Spargel dünsteten und die Brötchen aufbuken. Weil aber die Brötchen hinter Schloss und Riegel waren, hatten wir stattdessen im Supermarkt ein paar Baguettes gekauft. Wenn dieser kontinentale Einfluss MaryLou nicht behagte, war das ihr Pech.

Da nur die Hälfte meiner Bedienung aufgetaucht war, waren wir zu dem Zeitpunkt, als der erste Mittagsgast erwartet wurde, alle noch mit Tischedecken beschäftigt, aber es fehlten nur noch ein paar Weingläser.

MaryLou hatte uns von der Seite aus zugeschaut. Wir hatten gestärktes weißes Tafelleinen über die fleckigen, verschrammten Sperrholztische gebreitet, und schon strahlte der Raum. Ich arbeitete gern mit Stress-Free Catering, weil sie besseres Zubehör stellten als die meisten anderen Partydienste. Kings-Pattern-Besteck und elegante Wasser- und Weingläser verwandelten die Tische alsbald in Tafeln, die vielleicht nicht eines Königs, allemal aber eines Traktor- und Erntemaschinenherstellers von der anderen Seite des Teichs würdig waren.

[36] Carl hatte sogar die rosa und weißen Nelkenbouquets aus dem Kühlraum retten können, bevor er versiegelt wurde, und die gaben zusammen mit den abwechselnd rosa und weißen Servietten dem Raum den letzten Schliff.

Ich trat einen Schritt zurück und bewunderte unser Werk. Es würde seinen Eindruck auf die Gäste nicht verfehlen. Selbst MaryLou schien angetan zu sein. Sie lächelte. »Gerade noch rechtzeitig«, meinte sie, als sie die Tischkarten verteilte.

Ich sah auf meine Uhr. Fünf nach halb zwölf. Nur das Tageslicht draußen sagte mir, dass es Mittag und nicht vor Mitternacht war. Die Uhr in meinem Körper war vor Stunden stehengeblieben und musste mit einer ordentlichen Runde Schlaf neu aufgezogen werden, damit sie wieder tickte.

»Gern geschehen«, sagte ich.

Ich fühlte mich klamm bis in die Zehenspitzen und sehnte mich danach, den Kopf auf ein kuscheliges Federkissen zu legen. Stattdessen ging ich wieder in die Küche und ließ mir am Spülstein kaltes Wasser über den schmerzenden Schädel laufen. Hoffentlich sah Angela Milne mich nicht durchs Fenster. Ein Küchenchef, der sich unterm Wasserhahn die Haare nass machte, war sicher nicht nach dem Geschmack der Lebensmittelaufsicht. Danach fühlte ich mich zwar etwas frischer, aber das brachte auch nicht viel. Ich sperrte den Mund zu einem lauten Gähnen auf, stützte mich auf den Spülstein und blickte über den Führring hinaus zur Innenstadt.

Newmarket am Tag des 2000 Guineas Stakes. Die Stadt war in heller Aufregung wegen des ersten klassischen Rennens der Saison, jedes Hotel im Umkreis von Kilometern [37] belegt mit Besuchern, die hoffnungsvoll und mit großen Erwartungen dem Ereignis entgegensahen. Rennsportbegeisterte hatten Newmarket einst den Spitznamen »Hauptquartier« verliehen, und so wurde es auch heute noch genannt, obwohl es die Rolle als offizielles Machtzentrum des Sports der Könige längst abgegeben hatte. Das Hauptquartier des Jockey Clubs war um 1750 in Newmarket errichtet worden, um den schon damals hier populären Turfsport zu beaufsichtigen, und bald hatte er seine Autorität auf den Galopprennsport im ganzen Land ausgedehnt. Der Jockey Club war so mächtig gewesen, dass er im Oktober 1791 wegen »Unregelmäßigkeiten« in der Leistung seines Pferdes Escape sogar gegen den Prinzregenten, den künftigen König George IV., ermittelt hatte. Die fraglichen »Unregelmäßigkeiten« bestanden darin, dass Escape in einem Rennen mit niedrigen Quoten angehalten hatte, um dann am nächsten Tag mit hohen Quoten zu gewinnen. Der Prinz verkaufte seine Pferde und sein Gestüt und kam nie wieder nach Newmarket, weshalb sich das Gerücht hält, dass ihm das Direktorium insgeheim Rennbahnverbot erteilte, obwohl er offiziell nur verwarnt wurde.

In Newmarket selbst hat der Jockey Club nach wie vor eine Machtstellung inne, da ihm nicht nur die beiden Rennbahnen gehören, sondern auch rund zehn Quadratkilometer Trainingsgelände um die Stadt herum. Von seiner einstigen Schlüsselrolle im britischen Rennsport ist jedoch seit der Gründung des British Horseracing Board und der noch jüngeren British Horseracing Authority, die jetzt die Untersuchungen und Disziplinarfragen innerhalb des Sports an sich gezogen hat, so gut wie nichts geblieben. Der Jockey Club ist wieder zu dem [38] geworden, was er bei seinen anfänglichen Zusammenkünften in einer Londoner Weinschenke war, ein Treffpunkt für Freunde des Rennsports. Berufsrennreiter natürlich ausgenommen. Jockeys hatte es im Jockey Club noch nie gegeben. In den Augen der Mitglieder sind Jockeys Dienstpersonal und haben nicht mit Leuten zu verkehren, die über ihnen stehen.

Carl riss mich aus meiner Träumerei.

»In die Öfen hier passt nur die Hälfte der Pasteten«, sagte er. »Der Rest muss in die Öfen am Ende des Gangs. Da wird ein kaltes Büfett serviert, es ist also Platz genug.«

»Prima«, sagte ich. In meiner Müdigkeit hatte ich gar nicht gemerkt, dass es ein Problem gab. »Wann kommen sie rein?« Ich hatte alle Mühe, es im Kopf durchzurechnen. Erstes Rennen um fünf nach zwei, zu Tisch um halb eins. Jede Pastete brauchte fünfunddreißig Minuten. Fünf Personen kamen nicht, die gingen von den vierzig ab… machte vierzig Pasteten minus fünf… Wenn eine Pastete fünfunddreißig Minuten brauchte, bis die Füllung gar und der Teig goldbraun war, wie lange brauchten dann vierzig Pasteten minus fünf? Die Rädchen in meinem Hirn drehten durch und blieben gänzlich stehen. Wenn fünf Männer in fünf Monaten fünf Häuser bauen konnten, wie lange brauchten dann sechs Männer, um sechs Häuser zu bauen? Musste ich das wissen? Als ich zu dem wundersamen Schluss gelangte, dass die Pasteten spätestens vorgestern in den Ofen hätten geschoben werden müssen, erlöste mich Carl.