Schmutztitel

Henriette Wich

Titel

Küsse im Schnee

Kosmos

Umschlagillustration von Ina Biber, München

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-440-14039-0

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Blume

Silvesterzauber

»Jetzt erzähl schon!«, sagte Franzi ungeduldig. »Welche Überraschung hast du für mich?« Mit der rechten Hand schob sie ihr Fahrrad, den linken Arm hatte sie um ihren Freund Felipe gelegt. Am letzten Abend des alten Jahres war es so mild, dass sie nicht einmal Handschuhe brauchte.

Felipe legte seinen Zeigefinger auf ihren Mund. »Wenn ich es dir jetzt schon verraten würde, wäre es keine Überraschung mehr. Du musst dich schon bis kurz vor Mitternacht gedulden.«

Franzi drückte ihm als Bestechungsversuch einen Kuss auf den Mund. Er lächelte sie nur lieb an und schüttelte den Kopf. Die dunklen Locken flogen um sein milchkaffeebraunes Gesicht.

Franzi seufzte. Warten hatte noch nie zu ihren großen Stärken gehört. Am schlimmsten war es für sie gewesen, als Felipe zwischen Ostern und Pfingsten seine Familie in Mexiko besucht hatte. Seither war er zum Glück nicht mehr verreist, aber er wohnte viel zu weit weg: Ungefähr 25 Kilometer lag Billershausen entfernt. Dort hatte Felipes Mutter im Freizeitpark Sugarland ein mexikanisches Restaurant und er half ihr regelmäßig beim Bedienen. Deshalb konnten Franzi und Felipe sich leider nicht so oft sehen.

»Ich freu mich schon auf den Abend heute!«, wechselte Felipe geschickt das Thema.

Franzi freute sich natürlich auch. Marie hatte zu einer rauschenden Silvesterparty eingeladen, die wahrscheinlich das letzte Mal im Penthaus stattfinden würde, weil sie voraussichtlich bald umzog. Kim und einige Freunde aus Maries Schule hatten zugesagt und ein paar Freunde von Maries Vater wollten auch kommen. Es würde garantiert ein richtig toller Abend werden. Trotzdem konnte Franzi es kaum erwarten, bis Felipe endlich sein großes Geheimnis lüftete.

»Und du willst mir wirklich nicht sagen, was in deinem Rucksack drin ist?«, versuchte sie es ein letztes Mal.

Felipe lachte. Seine weißen Zähne strahlten mit der festlichen Beleuchtung in den Schaufenstern um die Wette. »Nein, das will ich wirklich nicht!«

Neugierig musterte Franzi den großen Rucksack ihres Freundes. Jetzt hätte sie ein Durchleuchtungsgerät gebraucht, wie es die Sicherheitsleute am Flughafen benutzten. Leider gehörte so ein schickes Teil nicht zur Detektivausrüstung der drei !!!.

Franzi gab auf, etwas aus Felipe herauskitzeln zu wollen. Kurz darauf standen sie vor dem noblen Altbau, in dem Marie zusammen mit ihrem Vater Helmut Grevenbroich, seiner Lebensgefährtin Tessa und deren Tochter Lina wohnte. Franzi schloss ihr Rad ab, ging mit Felipe hinein und sie ließen sich vom Aufzug ins oberste Stockwerk fahren.

Marie stand in einem hellblauen Kleid in der Tür, das von oben bis unten mit Glitzersteinen besetzt war. Über die nackten Schultern hatte sie eine schwarze Federboa geworfen, die perfekt zu ihren Smokey Eyes und den neuen Ponyfransen passte. »Herzlich willkommen, ihr zwei Verliebten! Schön, dass ihr da seid.« Sie begrüßte Franzi und Felipe mit jeweils drei Küsschen und hinterließ einen Hauch Maiglöckchenparfüm auf ihren Wangen.

Franzi ließ sich von Felipe aus der Jacke helfen und sagte: »Du siehst echt toll aus, Marie!«

Ihre Freundin lächelte geschmeichelt. »Du aber auch.«

»Du bist wunderschön!«, fügte Felipe hinzu und sah Franzi zärtlich an. Zur Feier des Tages trug er ein weißes Hemd und eine dunkle Hose.

Franzi zupfte verlegen an ihrem dunkelgrünen Hosenanzug, den sie mit einem knallroten Gürtel kombiniert hatte. In sportlichen Outfits fühlte sie sich wohler, aber heute hatte es ihr richtig Spaß gemacht, sich zu stylen und zu schminken.

»Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht!«, sagte Marie. »Wir haben ein riesiges Büfett vorbereitet.«

Felipe nickte begeistert. Franzi dagegen spürte, wie sich plötzlich ihr Magen verkrampfte. Sie musste an den nächsten Morgen denken. Bisher hatte sie ganz weit weg geschoben, dass sie mit Kim und Marie in den Skiurlaub fuhr und Felipe eine Woche nicht sehen würde. Wie sollte sie es bloß ohne seine Küsse, ohne seine Nähe aushalten?

Felipe, der Franzis Gedanken erraten hatte, flüsterte ihr ins Ohr: »Denk nicht an morgen. Heute wird gelacht und gefeiert!«

Franzi lächelte ihn an. Entschlossen hakte sie sich bei Felipe unter und ging hinüber ins Wohnzimmer, hinein ins Licht und das fröhliche Stimmengewirr der Gäste.

»Felipe, Franzi, da seid ihr ja!« Helmut Grevenbroich klatschte in die Hände. »Hiermit erkläre ich das Büfett für eröffnet!«

Sofort bildete sich eine lange Schlange vor dem Sideboard, das heute als Buffet diente. Marie hatte nicht übertrieben. Berge von wundervoll dekorierten Köstlichkeiten warteten auf die hungrigen Gäste: leckere Salate, Pasteten, Minipizzen, Hähnchenspieße, der berühmte Auberginenauflauf von Maries Vater und eine große Schüssel Vanillecreme mit Himbeeren.

Kim stand vorne in der Schlange und winkte ihren Freundinnen zu. »Ich bring euch was mit!«

Franzi musste lachen. Sobald es etwas zu essen gab, blühte Kim auf. Zu ihrer Verteidigung behauptete sie immer, sie brauche als Kopf des Detektivclubs regelmäßig Nervennahrung. Hinterher beschwerte sie sich dann, sie hätte schon wieder zugenommen, was gar nicht stimmte. Kim hatte eine tolle Figur. Gerade heute sah sie mit ihrer grauen Hose und dem engen weißen Top besonders gut aus.

Felipe reservierte schon mal einen Stehtisch für die drei !!!. Dort kamen sie alle zusammen und ließen es sich schmecken. Franzis Appetit kehrte in dem Augenblick zurück, als Felipe sie mit kleinen Häppchen fütterte.

»Wie es euch beiden geht, braucht man wohl nicht zu fragen, was?«, sagte Kim. Ein wehmütiger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie hatte sich vor einiger Zeit von ihrem Freund Michi getrennt und war immer noch nicht ganz darüber hinweg.

Franzi legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ich würde dir gerne was von unserem Glück abgeben.«

»Lieb von dir.« Kim lächelte und beugte sich dann wieder über ihre Fischpastete. »Hmm, schmeckt die gut! Hast du die gemacht, Marie?«

Marie nickte stolz. »Tessa hat mir nur ein bisschen geholfen. Sie kann übrigens richtig gut kochen.«

Franzi warf einen Blick zum weißen Ledersofa hinüber. Dort saß Tessa und prostete gerade Helmut Grevenbroich mit einem Sektglas zu. Franzi konnte sich noch lebhaft an die Zeit erinnern, als Tessa Maries größte Feindin gewesen war. Marie hatte sich erst daran gewöhnen müssen, dass es nach dem Tod ihrer Mutter eine neue Frau im Leben ihres Vaters gab. Aber inzwischen hatte sie ihren Frieden mit Tessa gemacht.

Da kam Lina angerannt. »Marie, kann ich schon die Musik zum Tanzen auflegen?« Sie hatte eine neue Tönung in den rotblonden, schulterlangen Haaren und auf ihren hellen Wangen schimmerte Glitzercreme.

»Jetzt doch noch nicht!« Marie bereute es, dass sie Lina ausnahmsweise erlaubt hatte, ihre Glitzercreme zu benutzen und sich ein Kleid auszuleihen. Es war immer dasselbe: Wenn man ihr den kleinen Finger hinhielt, wollte sie gleich die ganze Hand. Und heute glaubte sie wohl, Maries neue beste Freundin und der DJ auf der Party zu sein.

Enttäuscht zog Lina wieder ab.

»Die Arme!«, sagte Franzi halb spöttisch, halb ernst. Bei ihr zu Hause war es genau umgekehrt. Ihre 16-jährige Schwester Chrissie fand es gar nicht lustig, wenn Franzi an ihren Kleiderschrank ging – was sie übrigens sowieso fast nie machte, weil ihr Chrissies Geschmack viel zu mädchenhaft war.

Marie grinste. »Keine Sorge, Lina wird es überleben. Seht ihr? Sie wickelt schon wieder meinen Vater um den Finger.« Ein Hauch Eifersucht schwang in ihrer Stimme mit, als sie beobachtete, wie Lina auf den Schoß ihres Vaters kletterte.

»Aber du bist und bleibst seine Lieblingstochter«, sagte Kim und schob sich genießerisch einen Löffel Vanillecreme in den Mund. Dabei sah sie sich im Wohnzimmer um, das mit Lichterketten und Blumen geschmückt war. »Sag mal, Marie, wollte Holger nicht auch kommen?«

»Hmm, ja, schon …« Marie strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. Es kam selten vor, dass sie verlegen wurde. »Keine Ahnung, wo er bleibt.«

Kim und Franzi sahen sich amüsiert an. Obwohl Marie sich schon vor ewigen Zeiten von Holger getrennt hatte und die beiden »bloß Freunde« waren, hatte sie anscheinend immer noch Schmetterlinge im Bauch.

»Gibt’s sonst was Neues?«, fragte Marie, um von Holger abzulenken. »Irgendein spannender Fall für die drei !!! in Sicht?«

Kim warf einen schnellen Seitenblick zu Felipe hinüber. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie vor Außenstehenden nicht über ihre Ermittlungen sprachen. Das galt auch für enge Freunde. Andererseits war seit Halloween nichts passiert, was unter die Geheimhaltungsklausel fiel.

»Momentan leider nicht«, sagte Kim. »Ich bin aber ganz froh darüber. Wir hatten im letzten Jahr ziemlich viel zu tun. Das war echt anstrengend.«

Felipe nickte anerkennend. »Ihr seid ziemlich erfolgreich, was?«

»Allerdings!«, sagte Marie selbstbewusst. »Seit unserer Clubgründung haben wir einigen Verbrechern das Handwerk gelegt: Erpressern, Entführern, Fälschern und so weiter. Auch im Ausland haben wir ermittelt, in Frankreich und Großbritannien. In Paris zum Beispiel …«

»Das weiß Felipe doch alles schon«, unterbrach Franzi den Redefluss ihrer Freundin. Marie trug wieder mal viel zu dick auf. Sie wollte später Schauspielerin oder Sängerin werden und neigte leider dazu, Bühne und Leben manchmal miteinander zu verwechseln.

Marie zog einen Schmollmund. »Alles kann er doch gar nicht wissen!« Sie holte Luft, um weiterzureden, da läutete es an der Haustür. Sofort sprang Marie auf und stöckelte in Richtung Flur. »Das muss er sein!«

Kim war sichtlich erleichtert. Sie konnte es nicht leiden, wenn Franzi und Marie sich in die Haare gerieten. »Ich hol mir noch einen Nachschlag vom Büfett«, verkündete sie.

Felipe war ein bisschen verdutzt, wie schnell sich der Tisch leerte. »Franzi, du rennst jetzt aber nicht auch noch weg, oder?«

»Natürlich nicht!«, sagte sie. »Ich bleib bei dir, den ganzen Abend!«

Felipe lächelte. »Gut zu wissen. Schließlich haben wir heute noch einiges vor.«

»Zeigst du mir jetzt endlich deine Überraschung?«, hakte Franzi sofort nach.

»Noch nicht!«, sagte er. Es hatte fast den Anschein, als würde es ihm Spaß machen, sie auf die Folter zu spannen.

Da kam Marie mit Holger ins Wohnzimmer. Freudestrahlend ging sie zur Stereoanlage und legte eine CD mit Partymusik auf. Dann zog sie Holger, der gerade die anderen Gäste begrüßte, auf die Tanzfläche. Die beiden waren ein schönes Paar: der große, sportliche Holger mit seinen pechschwarzen Haaren und die schlanke, blonde Marie. Wenn sie denn ein Paar gewesen wären …

»Komm, lass uns auch tanzen!«, schlug Felipe vor.

Franzi ließ sich nur zu gerne von seinem mexikanischen Temperament anstecken. Seit sie bei einem Hip-Hop-Dance-Workshop im Rock Camp mitgemacht hatte, kribbelte es in ihren Beinen, sobald sie Musik hörte.

Felipe war ein toller Tänzer. Er wirbelte Franzi herum, überraschte sie mit komplizierten Drehungen und unerwarteten Moves. Aber er führte so gut, dass Franzi ihm blind folgen konnte. Trotzdem war sie froh, als endlich auch einmal ein langsamer Song gespielt wurde. Franzi legte die Arme um Felipes warmen Hals. Sie tanzten jetzt ganz eng. Franzis Herz schlug so schnell, dass es fast wehtat. Noch nie in ihrem Leben war sie so glücklich gewesen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihr Glück würde auf die anderen überspringen. Auf Marie, die mit geschlossenen Augen Wange an Wange mit Holger tanzte. Und auf Kim, die eine Zeitlang einsam am Rand der Tanzfläche gestanden hatte, aber jetzt von Viktor aufgefordert wurde, einem süßen Jungen aus Maries Klasse.

Die Zeit stand still. Franzi tanzte und tanzte.

Irgendwann hörte sie Felipe sagen: »Bald ist Mitternacht. Komm mit, ich muss dir was zeigen.«

Erst wusste Franzi nicht, was er meinte, aber als ihr die Überraschung wieder einfiel, war sie unglaublich gespannt. Felipe holte seinen Rucksack aus dem Flur und führte Franzi in Maries Zimmer. Hier war kaum noch etwas von der rauschenden Party im Wohnzimmer zu hören. Feierlich breitete Felipe auf der Tagesdecke von Maries Bett ein bunt gemustertes Seidentuch aus. Dann zog er einen Stoffbeutel aus dem Rucksack und forderte Franzi auf, vor dem Bett in den Schneidersitz zu gehen.

»Was wird das denn?«, wollte Franzi wissen.

Felipes Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Sie war nur noch ein Raunen, ein Flüstern. »Ich habe einen mexikanischen Liebeszauber für uns vorbereitet.«

Franzi bekam eine Gänsehaut. Sie hatte noch die unheimlichen Prophezeiungen von Felipes Oma im Ohr. Hatte Felipe etwa das Skelett mitgebracht, das seine Oma in ihrem Zimmer aufbewahrte?

»Du zitterst ja!« Felipe legte beruhigend den Arm um sie. »Keine Angst, Franzi. Hier geht es nicht um die mexikanische Totengöttin Santa Muerte, die meine Oma verehrt. Hier geht es um Glück und um die Liebe. Wenn wir eine Kerze anzünden und gemeinsam einen Spruch aufsagen, wird unsere Liebe ewig halten. Wir müssen aber beide ganz fest daran glauben.«

Franzis Gänsehaut war verschwunden. Auf einmal fand sie Felipes Idee ziemlich romantisch. »Du bist echt süß!«, sagte sie.

Felipe erklärte ihr alles. Dann öffnete er den Stoffbeutel und legte nacheinander mehrere Dinge auf das Seidentuch: zuerst ein Foto von ihnen beiden, das sie mit Selbstauslöser gemacht hatten. Darauf streuten sie zwei Handvoll Reis und beschwerten es mit einem wunderschönen Rosenquarzstein. Anschließend zündete Felipe eine dünne Kerze an. Als die Kerze fast heruntergebrannt war, sagten sie langsam den Spruch auf, einmal auf Spanisch und danach noch einmal auf Deutsch:

Te adoro.

Te quiero.

Eres todo para mí.

No puedo vivir sin ti.

Pienso en tí en todo momento.

Ich bewundere dich.

Ich liebe dich.

Du bist alles für mich.

Ohne dich kann ich nicht leben.

Ich denke an dich in jedem Augenblick.

Der Kuss, den sie sich danach gaben, war ein feierlicher Schwur ihrer Liebe. Franzi bekam wieder eine Gänsehaut, doch diesmal vor lauter Glück. Als sie aufstand, zitterten ihre Knie und draußen vor dem Fenster explodierten die ersten Feuerwerksraketen.

»Wir müssen zu den anderen zurück, gleich ist Mitternacht«, sagte Franzi.

»Warte noch!«, rief Felipe. Er verstaute das Foto, den Rosenquarz und die Reiskörner wieder im Stoffbeutel und gab ihn Franzi. »Bewahrst du ihn für uns auf, an einem geheimen Ort?«

Franzi versprach es feierlich. »Ja, das mache ich.«

Hand in Hand kehrten sie ins Wohnzimmer zurück. Dort knallten schon die Sektkorken und Maries Vater verkündete eine tolle Neuigkeit: »Ich hab gerade eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter entdeckt, die mir mein Makler vor ein paar Stunden hinterlassen hat. Er meint, dass wir richtig gute Chancen auf unser Traumhaus im Ostviertel haben. Es gibt nur noch einen Mitbewerber. Den schlagen wir locker aus dem Rennen. Also, drückt uns die Daumen!«

»Ja!«, jubelte Marie. Sie hatte die Villa im Internet gefunden und sich sofort in das schneeweiße Gebäude am Waldrand verliebt. Sosehr sie das Penthaus auch liebte, für vier Leute war es auf Dauer einfach zu eng.

Herr Grevenbroich und Tessa verteilten Sekt an die Erwachsenen und eisgekühlten Orangensaft an Marie und ihre Freunde. Mit den Gläsern in der Hand gingen sie hinaus auf die Dachterrasse, um das Feuerwerk zu bewundern.

Marie verkündete laut den Countdown bis Mitternacht: »Sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, NULL!«

Feuerwerkskörper knallten. Der dunkle Winterhimmel verwandelte sich in ein schillerndes Farbenmeer. Alle fielen sich lachend um den Hals. Felipe strahlte Franzi an. »Ein gutes neues Jahr wünsche ich dir.«

»Das wünsche ich dir auch.« Franzi flog in Felipes Arme. Über ihren Köpfen sprühte ein silberner Funkenregen. Felipes Lippen prickelten auf Franzis Mund. Sie lachte. Und auf einmal hatte sie das dringende Bedürfnis, nicht nur ihn, sondern auch Kim und Marie zu umarmen, ihre allerbesten Freundinnen.

Da tippte Kim ihr auf die Schulter. »Dürfen wir kurz stören? Die drei !!! müssen jetzt unbedingt anstoßen.«

Franzi nahm sich ein Sektglas mit eiskaltem Orangensaft vom Tablett, das Marie ihr hinhielt. Die drei !!! prosteten sich zu.

»Auf unseren Club!«, sagte Franzi.

»Auf spannende neue Fälle im neuen Jahr«, sagte Marie.

»Und auf unsere Freundschaft!«, sagte Kim.

Blume

Schussfahrt ins Winterabenteuer

Zwei gelbe Scheinwerfer strahlten Felipe an. Er sprang wie ein Jojo auf dem Parkplatz herum und warf Franzi Kusshände zu. Als der Reisebus losfuhr, rannte er noch ein Stück winkend nebenher. Franzi winkte zurück, bis der Bus auf die Straße einbog und Felipe hinter dem Gebäude des Jugendzentrums verschwunden war. Dann lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und fühlte sich, als hätte sie einen Teil ihrer Seele auf dem Parkplatz zurückgelassen. Das einzige, was ihr zum Trost in dieser Woche blieb, war der Stoffbeutel mit den Utensilien des Liebeszaubers. Heute Morgen hatte sie noch in letzter Sekunde den Beutel in ihren Koffer gepackt. So hatte sie wenigstens ein winziges Stück von Felipe dabei.

»Hey, Trübsal blasen gilt nicht!« Marie knuffte Franzi in die Seite. »Ihr könnt euch doch simsen und du kannst dich jetzt schon auf euer Wiedersehen freuen. Ich dagegen fahre als einsamer Single fort und kehre als einsamer Single zurück.«

Franzi musste grinsen. »Du Arme! Gestern auf der Party warst du aber ganz und gar nicht einsam.«

»Du hättest Holger nur fragen müssen, dann hätte er dich bestimmt zum Jugendzentrum gebracht«, sagte Kim.

»Kann schon sein.« Marie betrachtete versonnen ihr Spiegelbild im Fenster. Draußen war es noch stockdunkel. Sie waren in aller Herrgottsfrühe aufgebrochen, um bereits mittags im Skigebiet zu sein. »Holger und ich hatten einen tollen Silvesterabend, aber ihr wisst ja, dass ich meine Freiheit brauche. Ich will schließlich beim Flirten nicht aus der Übung kommen. Außerdem sollen die österreichischen Skilehrer besonders attraktiv sein.«

»Schon klar«, sagte Franzi. Inzwischen kannte sie Marie gut genug. So cool, wie sie tat, war sie in Wirklichkeit gar nicht. Holger bedeutete ihr immer noch sehr viel.

Kim lehnte sich zufrieden in ihrem Sitz zurück. »Also ich freu mich vor allem auf die gemütlichen Hüttenabende.«

»Und ich mich aufs Snowboarden«, sagte Franzi. Die Aussicht auf glitzernden Pulverschnee und rasante Abfahrten ließ den Abschied von Felipe für einen Augenblick in den Hintergrund treten.

Der Bus war inzwischen auf der Autobahn und brummte gleichmäßig vor sich hin. Gut gelaunt griff der Betreuer der Skifreizeit zum Mikrofon. »Hallo Leute! Das wird eine supertolle Skiwoche in Österreich. Mich kennt ihr ja schon aus dem Jugendzentrum. Ich bin Tom und ihr dürft immer noch du zu mir sagen. Gemeinsam stürmen wir die Piste. Yeah!« Er ließ einen lächerlichen Tarzanschrei los.

Marie verdrehte die Augen. »Wir hätten Knebel mitnehmen sollen oder wenigstens ein Pflaster. Der Typ hat mich schon auf der Parisreise die letzten Nerven gekostet.«

»Ich dachte, das wären die Superzicken gewesen.« Kim zeigte auf Verena, Luise und Jasmin, die auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelgangs saßen und Toms Sprüche wahnsinnig komisch fanden. Damals in Paris hatten die Superzicken die drei !!! mit ihrer Neugier verrückt gemacht und dauernd versucht, die Ermittlungen zu stören.

Maries Antwort wurde von Toms lauter Stimme übertönt. »Ich erwarte einen extra herzlichen Applaus für meine charmante Assistentin Chrissie Winkler!«

Jetzt verdrehte Franzi die Augen. Leider hatte sie ihrer Schwester den Ferienjob nicht ausreden können. Chrissie brauchte dringend Geld für neue Klamotten, wollte sich aber auf keinen Fall bei ihrem Job überanstrengen. Das konnte heiter werden.

»Wir sorgen schon dafür, dass deine Schwester dich in Ruhe lässt«, versprach Kim, die selbst heilfroh war, dass ihre frechen Brüder zu Hause bleiben mussten.

Franzi nickte dankbar und sah sich im Bus um. Zum Glück fuhren auch nette Leute mit. Viktor und Lars zum Beispiel, Maries Mitschüler. Und Lena war auch okay. Mittlerweile mochte Franzi ihr Gitarrenspiel sogar. Auch jetzt gerade klimperte Lena vor sich hin.

Franzi pfiff leise die Melodie mit. Fast hätte sie deshalb ihr eigenes Handy überhört. Aber wirklich nur fast. Ihr Herz klopfte wie verrückt, als sie die SMS von Felipe las.

Meine Küsse fliegen zu dir in den Schnee. F.

»War das Felipe?«, fragte Marie neugierig. »Siehst du, dein Freund denkt jede Sekunde an dich.«

Plötzlich beugte sich Verena vom Mittelgang herüber. »Entschuldigt, ich hab zufällig den Namen Felipe aufgeschnappt. Redet ihr etwa von Felipe Baer-Carvallo?«

Franzi steckte schnell ihr Handy weg, bevor Verena auch noch »zufällig« die SMS las. »Ja, wieso?«, fragte sie unfreundlich.

Verena klimperte mit ihren großen blauen Augen. »Ich war neulich im Sugarland. Da hab ich deinen Felipe kennengelernt.«

»Ja, und?« Franzi versuchte, ihre aufkeimende Eifersucht zu unterdrücken.

»Er ist schon sehr süß«, redete Verena weiter. »Ich kann gut verstehen, dass du mit ihm zusammen bist. Aber ich wollte dich nur warnen – sozusagen von Frau zu Frau. Er ist nämlich leider nicht ganz so nett und unschuldig, wie er immer tut.«

Einzig und allein ihre gute Erziehung hielt Franzi davon ab, laut zu werden. »Was willst du damit andeuten?«, fragte sie beherrscht.

»Ich, andeuten?« Auf einmal war Verena die Unschuld in Person. »Gar nichts. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.« Sie drehte sich zu ihren Freundinnen um und alle drei kicherten wie auf Kommando los.

Franzi kochte innerlich vor Wut, aber noch schlimmer war die Angst hinter der Wut, dass Verena tatsächlich etwas über Felipe wusste, wovon sie selbst keine Ahnung hatte. Und dass Verena mit ihren Beschuldigungen recht haben könnte.

»Lass dich von der bloß nicht nerven«, raunte Kim ihr ins Ohr.

Marie warf den Superzicken einen verächtlichen Blick zu. Dann sagte sie zu Franzi: »Die will sich doch bloß wichtig machen.«

Franzi nickte. Demonstrativ kehrte sie Verena den Rücken zu, startete ihren MP3-Player und drehte den neuen Song ihrer Lieblingsgruppe Boyzzzz extra laut auf. Sie wollte ihren Freundinnen nur zu gerne glauben. Trotzdem blieb ein winzig kleiner Stachel in ihrem Herzen zurück, den Verena dort mit einem Widerhaken verankert hatte.

Den Rest der Fahrt versuchte Franzi, Verena einfach auszublenden, was ihr zum Glück auch gelang. Mit Musikhören, Quatschen und Lesen verging die Zeit wie im Flug. Franzi konnte es kaum glauben, als der Bus auf dem großen Parkplatz vor der Talstation des Skiortes hielt.