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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2009

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Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

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ISBN Printausgabe 978-3-499-25551-9 (1. Auflage 2013)

ISBN E-Book 978-3-644-40201-0

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40201-0

Für meine Eltern, denen das bestimmt ein bisschen peinlich ist.

A za tebe Željko, da znaš da te puno volim.

1.

«Also, wollen Sie nun, oder wollen Sie nicht?»

Hilfesuchend blicke ich noch einmal in die Runde meiner Freunde. So viel Zeit muss sein. Nadja, die unter einem rosafarbenen Hut fast gänzlich verschwindet, beißt sich auf die Unterlippe und senkt den Kopf. Alles, was man jetzt noch von ihr sieht, ist ein überdimensionierter Obstkorb und eine Schleife, etwa so groß wie LACK, der Beistelltisch von Ikea. Ich bin mir nicht sicher, was sie mir damit sagen will, und lasse deshalb meine Augen weiter nach links wandern zu Luke, der neben Nadja sitzt. Er tut seine Meinung dadurch kund, dass er sich symbolisch mit der flachen Hand die Kehle durchtrennt.

Ich werte das als ‹Nein›, schaue aber vorsichtshalber noch ein bisschen weiter nach links, wo Vince abwägend den Kopf hin und her schaukelt, als wäre er in Bordeaux bei der Weinprobe und nicht in einer Kirche, mitten in Hamburg. Auf der Hochzeit seines besten Freundes. Meiner Hochzeit.

«Könnten Sie die Frage vielleicht noch einmal wiederholen?», wende ich mich übertrieben freundlich dem Pastor zu, der meinen schlappen Versuch, Zeit zu gewinnen, mit einem genervten Blick gen Himmel straft.

Aufmunternd zwinkere ich Maren zu, die unter einem geschätzten Zentner Tüll von einem Bein aufs andere schwankt und langsam etwas sauertöpfisch dreinblickt. Ich kann das in gewisser Weise auch verstehen. Sie leidet unter stressbedingtem Pustelausschlag, was vermutlich in wenigen Sekunden für alle sichtbar werden wird. Vielleicht ahnt der Pastor etwas, denn er meldet sich jetzt energisch noch einmal zu Wort.

«Willst du, Tom Moreno, die hier anwesende Maren Constanze Mikkelsen zu deiner angetrauten Ehefrau nehmen? Sie beschützen und beschenken, mit ihr die Abende zu Hause vor dem Fernseher verbringen, von nun an keinen Alkohol mehr trinken, deine Freunde vernachlässigen und nach dem ersten Kind nie wieder Sex haben? Willst du ab sofort deinen Urlaub nur noch im ClubMed auf Lanzarote verbringen, auf ein Reihenhaus am Stadtrand sparen und die Schwiegermutter bei euch wohnen lassen? Willst du deine Frau lieben und verwöhnen, auch wenn sie fett und …»

«Naaeiiin!» Ich schreie, so laut ich kann. Direkt in das verstörte Gesicht des Pastors. «Nein! Nein, das will ich ganz sicher nicht!»

 

«Bärchen, was ist denn mit dir?»

Etwas berührt mich an der Schulter. Etwas, das aussieht, als wäre es aus der Requisite von Boris Karloffs Gruselklassiker Die Mumie entwischt. Vorsichtshalber schreie ich nochmal. Die Mumie wischt sich mit der flachen Hand über das Gesicht, greift kurz entschlossen nach der Bettdecke und presst mir damit den Mund zu.

«Es ist Samstag früh, halb acht. Würdest du dich bitte zusammenreißen und nicht so einen Krach machen?», zischt mich die Gesalbte genervt an.

Langsam erahne ich hinter der Cremeschicht das im Kneipenlicht noch recht ansehnlich gewesene Gesicht meiner abendlichen Eroberung. Zugegeben, an viel erinnere ich mich nicht mehr. Außer vielleicht noch an ihren Namen: Tina. Nein, Nina. Oder so ähnlich. Das liegt aber nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, an einer narkotisierenden Menge Bier, sondern vielmehr daran, dass diese Frau mich bei lebendigem Leib ins Koma gequatscht hat. Zum Glück muss ihr irgendwann mein ermatteter Zustand zu langweilig geworden sein, denn – und daran erinnere ich mich jetzt wieder ganz gut – plötzlich ging sie dazu über, mir unter dem Tisch zu demonstrieren, dass sie mit ihrem Mund nicht nur labern kann. Und Männer lassen sich nun mal am besten durch Taten überzeugen.

«Ich muss wohl etwas Schlimmes geträumt haben», versuche ich wieder Herr der Lage zu werden. Schlimm ist gar kein Ausdruck. Genau genommen lässt sich die eigene Hochzeit getrost als Albtraum Nummer drei im Leben eines normal gearteten Mannes bezeichnen. Lediglich zu übertreffen von Albtraum Nummer zwei: Abstieg des heimischen Fußballclubs in die Zweitliga, und Albtraum Nummer eins: Dreißig Tage keinen Sex. Dreißig Tage und mehr natürlich.

Da allein der Gedanke daran schon Entzugserscheinungen in mir auslöst, fange ich sogleich an, unter Ninas (oder doch Tinas?) Nachthemd herumzufummeln. Ihr eingecremter Anblick ist allerdings in etwa so sexy wie der eines verendenden, ölverschmierten Seevogels, und so drehe ich sie kurzerhand auf den Bauch und presse mich von hinten an sie ran.

Nina-Tina reckt sich mir kichernd entgegen, und während ich mich insgeheim nochmal für mein sicheres Händchen in Bezug auf hemmungslose Frauen beglückwünsche, bumsen wir Albtraum Nummer eins vorübergehend ins Nirwana.

Für einen Moment schlummere ich friedlich wieder ein, ehe mein Handy mich mit der Erinnerung an einen heutigen Termin unsanft hochschrecken lässt. «12.30 Frühstück mit Theresa» steht auf dem Display, und bevor die neugierige Nina-Tina einen Blick darauf werfen kann, wälze ich mich aus ihrem Bett.

«Süße, ich muss leider, leider gehen», bereite ich sie mit gurrender Stimme und einem Gesichtsausdruck tiefer Betrübnis auf mein baldiges Verschwinden vor.

«Was denn, jetzt schon?» Sie reißt überrascht die Augen auf und runzelt die Stirn. Dann wechselt sie blitzschnell die Taktik. «Wir könnten doch noch ein leckeres Frühstück im Bett genießen …»

Dabei leckt sie sich vielsagend mit der Zunge über die Oberlippe und reckt mir ihre nicht zu verachtende Oberweite entgegen.

Zugegeben, ich bin kurz in Versuchung, mir noch Eier mit Speck braten zu lassen und diese anschließend wieder abzuschwitzen, aber ich habe ein Date, das keine Verspätung duldet.

«Mäuschen, das ist wirklich sehr verlockend, aber ich bin schon seit einer Ewigkeit mit meiner Mutter zum Frühstück verabredet. Ich kann das jetzt nicht mehr absagen, verstehst du?»

Ich mache das bestürzte Gesicht eines Dackelwelpen, der gerade zum ersten Mal von seinem Rudel getrennt wurde, und verschwinde gleich darauf in ihr Badezimmer.

Unter der Dusche bin ich bereits in Gedanken bei Theresa und frage mich, was der heutige Tag wohl Spannendes bringen wird.

Als ich später meine Jeans überstreife, wirft Nina mir noch einen schmachtenden Blick zu, sodass ich mich kurz zu ihr aufs Bett setze.

«Mach jetzt bloß keine Szene!», sage ich nicht. Stattdessen aber: «Sorry, Baby, aber so gern ich auch bei dir bleiben möchte – ich kann nicht.»

Man kennt das ja. Wenn ich mich jetzt nicht sofort aus dem Staub mache, geht eine von diesen nervigen ‹Und-wann-sehen-wir-uns-dann-wieder?-Diskussionen› los, und darauf habe ich jetzt wirklich keine Lust.

«Nicht traurig sein, Süße», schiebe ich deshalb schnell hinterher, ehe sie es schafft, zum verbalen Gegenschlag auszuholen. Und nach einem flüchtigen Kuss auf die Stirn spreche ich die Worte, denen selbst ein balzender Wellensittich mit Leichtigkeit entnehmen könnte, dass wir uns niemals wiedersehen werden:

«Ich ruf dich an.»

Ich gestehe, manchmal sind meine Ausreden nach einem One-Night-Stand extrem lahm, aber da ich mir meist kurz zuvor das Hirn rausgevögelt habe, kann man auch nicht mehr erwarten.

Was Tina sicher kaum trösten würde, ist die Tatsache, dass ich heute ausnahmsweise mal die Wahrheit gesagt habe. Deswegen ist mein Gewissen auch nur halb so schlecht wie sonst, als ich geräuschlos die Wohnungstür hinter mir zuziehe und im Gehen eine Zigarette anstecke.

 

Mein Name ist Tom, ich bin 31 Jahre alt und arbeite in einer Werbeagentur als eine Art männliche Prostituierte. Mit dem Unterschied, dass es mein Job ist, den Leuten Dinge anzudrehen, die sie eigentlich gar nicht haben wollen. Für Geld schon gar nicht.

Ob ich mich deshalb schlecht fühle? Kein Stück. Wird ja schließlich niemand gezwungen, sich die angepriesene Produktpalette einzuramschen, um sie dann am eigenen Leib zu erproben.

Nehmen wir doch nur mal das Beispiel Raumdeos. Insbesondere die fürs Auto. Geschieht alles aus freiem Willen. Dabei lässt das offensichtliche Anbringen der nur mäßig dekorativen, an Spießigkeit jedoch nicht zu überbietenden, laubsägeartig gezimmerten Anhänger bestenfalls auf die unterentwickelte Manövrierfähigkeit des Fahrzeugführers schließen, keineswegs jedoch auf gutes Raumklima.

Und mal ganz ehrlich. Wer darüber hinaus meint, sich etwas unter den Duftrichtungen Küche, Anti-Tabak und Fresh Water vorstellen zu können (wie, bitte schön, riecht denn frisches Wasser?), der hat auch nichts anderes verdient, als verarscht zu werden. Oder etwa nicht?

Außerdem erfinde ich diese Dinge ja schließlich nicht, sondern mache lediglich auf ihre Existenz aufmerksam. Informationspflicht dem Bürger gegenüber nennt man das, glaube ich. Bin nur mal gespannt, ob wir uns eines Tages auch an den Aromen Asozial, Anti-Zellulitis und One-Night-Stand erfreuen dürfen.

 

Mit meinem Alfa quäle ich mich durch den Stadtverkehr nach Eppendorf und treffe nur unwesentlich zu spät im Café Neo ein.

Meine Mutter – wie gesagt, ich bin tatsächlich mit meiner Mutter verabredet – sitzt bereits an einem der Tische, wo sie von einem Pulk italienischem Servicepersonal umschwirrt und hofiert wird. Und immer wenn wir uns längere Zeit nicht gesehen haben, überrascht es mich, wie attraktiv sie ist. Denn obwohl sie sich rein rechnerisch inzwischen auf die 50 zubewegen müsste, sieht sie keinen Tag älter als 38 aus.

«Ciao Tomaso, come stai …»

Freudestrahlend und kein bisschen mütterlich küsst sie mich zur Begrüßung auf die Wange, und – bingo! – die neidvollen Blicke der testosteronüberfrachteten Kellnertraube durchbohren mich ungeniert. Meine Mutter macht gern einen auf rassige Südländerin, dabei hat sich meine Großmutter unseren italienischen Nachnamen vor längst vergangenen Tagen schnöde angeheiratet.

«Na, wo hast du dich wieder rumgetrieben?», kommentiert sie mein noch feuchtes Haar, während sie gleichzeitig Giuseppe, ihrem größten Fan unter der Belegschaft, schelmisch zuzwinkert. «Zweimal das große Frühstück und eine Unmenge Cappuccino.» Dann scheucht sie die Truppe energisch mit den Händen in Richtung Küche und wendet sich wieder mir zu.

«Nein, stopp – ich will es gar nicht wissen. Eine Schande, dass ich es nicht geschafft habe, einen anständigen Menschen aus dir zu machen», seufzt sie.

Vergib ihr, sie ist eine Mutter, sie kann nicht anders … Im Geiste spreche ich das Mantra, das mich in Momenten wie diesen daran hindern soll, sie mit ihrem Halstuch zu strangulieren. Es vergeht nämlich kein Treffen, bei dem sie nicht ihre Verzweiflung darüber kundtut, dass ich Träger des miserablen Erbguts meines Vaters bin. Und wenngleich sie auch die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann, so lässt sie sich zumindest keine Gelegenheit entgehen, an der Zukunft zu drehen.

«Ach Mama! Die Frauen, du weißt doch …» Ich lasse genauso ungern eine Gelegenheit aus, sie mit der rauen Wirklichkeit zu konfrontieren.

«Sag nicht Mama zu mir», flüstert sie mir beschwörend zu, «sag mir stattdessen lieber, dass du mich wenigstens vor unehelichen Enkelkindern bewahrst – und dich damit gleichzeitig vor dem finanziellen Ruin.»

Sie macht eine Pause und blickt mich ähnlich hypnotisierend an wie ein Hund die Fleischtheke.

«Theresa …» Ich finde es ja irgendwie eigenartig, seine eigene Mutter mit dem Vornamen anzureden, aber sie kann mütterliche Kosenamen nun mal nicht ausstehen, und ich will es mir nicht schon vor dem Frühstück mit ihr verderben. «Da ich ganz sicher nicht vorhabe, mich fest an eine Frau zu binden, darfst du mir gern zutrauen, dass ich diesen Gau erst recht zu verhindern weiß.»

 

Damit das hier nicht falsch verstanden wird: Ich mag Frauen. Wirklich. Man kann sogar sagen, ich bewundere sie. Denn dafür, dass sie, statistisch gesehen, pro Tag ungefähr 48,2 Probleme bewältigen – allein neun davon schon vor dem Aufstehen –, kann man mit ihnen auch verdammt viel Spaß haben. Ansonsten aber rate ich jedem davon ab, sich tagtäglich mit einer Frau 48,2 Probleme, ein Leben oder auch nur eine Wohnung zu teilen. So verlockend die Aussicht auf regelmäßigen Sex auch sein mag, der Aufwand steht hierzu in keinem Verhältnis.

Zum Glück haben mich sechs Jahre Agenturerfahrung, zwei abgeschlossene Lehrgänge in Werbepsychologie und eine angeborene Begabung für logisches Denkvermögen bislang davor bewahrt, mir das Überflüssigste, das es im Leben gibt, andrehen zu lassen:

eine Frau.

Ich korrigiere: eine feste Beziehung mit einer Frau.

2.

Montagnachmittag. Ein Tag, an dem man, neben der menstruierenden Buchhalterin und einem Kratzer auf der Beifahrerseite seines historischen Alfa, keine weiteren Katastrophen erträgt.

Die Sonne knallt auf die zu jeder Jahreszeit falsch klimatisierten Räume. Mein naturfaserfreier Outlet-Anzug erspart mir nicht nur, wie vom Hersteller versprochen, lästige Knitterfalten, er würde mich auch – in Kombination mit ein paar Fahrradklammern – sicher durch ABC-Waffen-verseuchtes Gebiet bringen. Hierbei handelt es sich um ein weitestgehend unerforschtes, osmotisches Phänomen, wie ich meine. Anders lässt es sich wohl kaum erklären, dass ich zwar übelriechende Ausdünstungen an meine Umgebung abgeben, aber meinem verklebten Körper keine frische Luft zuführen kann. Ich schwitze wie in meiner ersten Tanzstunde. Und die Tatsache, dass selbst Mimi, der zottelige Agenturhund – von dem niemand so genau weiß, wem er eigentlich gehört –, jedes Mal mit angewidertem Blick den Raum verlässt, sobald ich auf der Bildfläche erscheine, ist wohl das sicherste Zeichen dafür, dass mein Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Nur noch einen Kostenvoranschlag zum Kunden faxen und dann ab nach Hause, unter die kalte Dusche.

Im Sommer gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem weiblichen Geschlecht ja noch wesentlich komplizierter als im wohltemperierten – in Hamburg in vielerlei Hinsicht unterkühlten – Rest des Jahres. An Tagen über 20 Grad Celsius verspüre ich beim Verlassen meiner Wohnung manchmal zumindest den Hauch einer Ahnung, was die im Radio immer mit «gefühlter Temperatur» meinen. Nämlich genau dann, wenn ich bei tatsächlichen 22 Grad Nadine (attraktive Nachbarin mit großen Brüsten) im Treppenhaus treffe, die mit nur wenig mehr als der christlichen Nächstenliebe bekleidet ist, und sich das augenblicklich wie 32 Grad anfühlt. Tendenz steigend.

Mal ehrlich, das kann sich eigentlich nur eine Frau ausgedacht haben. Das mit der gefühlten Temperatur, meine ich. Nur eine Frau ist in der Lage, genormte physikalische Größen wie Fahrenheit oder Celsius so geschickt in eine ‹Wischi-waschi-lass-uns-das-lieber-ausdiskutieren-Unbekannte› zu verwandeln, dass ganz Hamburg einen Regenschirm einsteckt, wenn die Radiomoderatorin ein Unwetter kommen fühlt.

Auf dem Weg zum Faxgerät überlege ich, was wohl geworden wäre, wenn ich doch die verdammte Banklehre absolviert hätte, zu der mich mein Onkel Hans überreden wollte.

Damals, als sich wieder mal alle zusammengefunden hatten, um gemeinsam darüber zu beraten, was aus mir elfjährigem Nichtsnutz bloß werden soll. Und das nur, weil ich Idiot mich mit Gabi (frühreife Mitschülerin zwei Klassen über mir) auf dem Klo habe erwischen lassen. Dabei hatten Gabi und ich einen Deal unter Geschäftsleuten: Für vier Mark wollte sie mir ihre Brust zeigen. Eine allerdings nur, denn mehr konnte ich mir von meinem Taschengeld nicht leisten. Bereits auf dem Weg zur Toilette fummelte sie derart aufgeregt an ihrer Bluse herum, dass ich allein dafür schon mein ganzes Geld hergegeben hätte. Andererseits war spätestens dies der Zeitpunkt, an dem ich bitter bereute, meine Kumpels Vince und Luke nicht mit ins Boot geholt zu haben. Gemeinsam hätten wir vielleicht genug Erspartes zusammengekratzt, um auch mal anfassen zu dürfen. Dafür wollte Gabi nämlich zehn Mark haben, was ich im Frühstadium meiner sexuellen Evolution jedoch als überteuert empfand. Dass sich die Dinger wirklich so gut anfühlen, sollte ich ja erst viel später erfahren.

Aber zurück zu Gabi. Es hätte alles so schön werden können. Doch, wie so oft im Leben, wenn man sich kurz vorm Ziel wähnt, lauert das Böse in einem Hinterhalt, um einen dort heimtückisch niederzustrecken.

Peng!

Ich hatte gerade die Kabine der Damentoilette hinter uns geschlossen, Gabi war bereits beim vorletzten Knopf ihrer Bluse angelangt und hatte damit den Blick auf ein blütenweißes Spitzenunterhemd freigelegt, als mich eine ausrangierte Radioantenne wie ein Peitschenhieb ins Kreuz traf. Geräuschlos ging ich zu Boden, schlug mir den Kopf an der Kloschüssel auf und versuchte aus meiner strategisch ungünstigen Position den Angreifer auszumachen.

Frau Virl, meine Klassenlehrerin, lugte über die Toilettentrennwand und versuchte krampfhaft, ein weiteres Mal auf mich einzudreschen.

Gabi nahm kreischend Reißaus, wobei sie mir die Klotür in die Flanke rammte und mich so zwischen Schüssel, Wand und Tür einklemmte. Dummerweise schaffte sie auf diese Art Platz für Frau Virl, die die Gunst des Augenblicks nutzte und mir durch ihren mit Schwarzwälder Kirschtorte überfütterten Leib den Fluchtweg versperrte.

Zudem riet mir eine innere Stimme, dass es meiner ohnehin fragwürdigen Versetzung nicht dienlich gewesen wäre, sich anstandslos aus dem Staub zu machen. Im Nachhinein kann ich sagen, noch schlimmer, als sich 1,5 Quadratmeter mit seiner 4711 ausdünstenden Klassenlehrerin teilen zu müssen, ist, dabei auch noch von gaffenden Mitschülern angefeuert zu werden.

Meine Schmach potenzierte sich allerdings zu Hause, als ich Frau Virl im Beisein meiner schadenfrohen Mutter und von Gabis verklemmtem Vater erklären musste, was ich mir denn von der ganzen Aktion versprochen hätte. Eine verbale Kernspaltung sozusagen, denn einerseits galt es, nicht als minderjähriger Sittenstrolch in die Annalen der Schulchronik einzugehen, andererseits wollte ich Gabi nicht in ein allzu schlechtes Licht rücken.

Ich wäre stolz, behaupten zu können, dies aus einem letzten Funken Anstand und Tugendhaftigkeit getan zu haben, doch war der Grund für mein rühmliches Verhalten ein anderer. Ich fand nämlich, dass ich aufgrund mangelhafter Lieferung der Ware ein Recht auf Nachbesserung besäße, schließlich hatte ich Gabi im Voraus bezahlt.

Wie sich jedoch bald herausstellte, war sie nicht zu Verhandlungen bereit und stellte damit unweigerlich die Weichen für meine berufliche Zukunft. Denn für eine bahnbrechende Karriere in der freien Wirtschaft fehlte mir nach dieser verheerenden Niederlage bei meiner ersten Geschäftstätigkeit lange Zeit das nötige Selbstbewusstsein.

Fest steht jedenfalls, dass ich als junger, erfolgreicher Banker vermutlich bereits vor zwei Stunden aus meinem klimatisierten Büro mit dem klimatisierten Fahrstuhl in die klimatisierte Tiefgarage zu meinem klimatisierten Porsche geschwebt wäre. Dabei hätte ich unterwegs eine aufstrebende, junge Kollegin getroffen, die mir mit einem Lächeln auf den perfekt geschminkten Lippen freudig angeboten hätte, meinen liegengebliebenen Papierkram aufzuarbeiten.

Bong!

Unmittelbar vor Erreichen des Faxgerätes pralle ich gegen etwas Weiches. Ein paar Beine, mit einem albern kurzen Rock darüber, versperren mir den Weg.

Der Rest des Körpers steckt kopfüber im Fotokopierer und ist im Begriff, einen Papierstau im Ausmaß der sommerlichen Ferienreisewelle auflösen zu wollen. Ein Blatt nach dem anderen quält sich aus dem Ausgabeschacht, bleibt dort trotzig einen Moment stecken, faltet sich ziehharmonikaartig zusammen, um dann endgültig aus dem Gerät gespuckt zu werden. Die Beine zappeln jetzt hilflos herum.

 

Zum Glück weiß ich als aufgeklärter Mann ja spätestens seit meiner ersten leidenschaftlichen Affäre, dass lange Beine das Kostüm des fleischgewordenen Satans sind. Ausnahmen ausgeschlossen.

Es gibt überhaupt einige ganz klare Regeln, wann man eine Frau ansprechen sollte und wann man besser den Rückzug antritt. Das wohl eindeutigste Indiz für eine heraneilende Katastrophe ist erfreulicherweise gleichzeitig auch das Augenscheinlichste und somit für uns Männer auf Anhieb erkennbar: Durchschnittlich hübsche Frauen sind erfahrungsgemäß durchschnittlich kompliziert. Je hübscher eine Frau ist, desto komplizierter ist sie leider. Von überdurchschnittlich hübschen Frauen sollte man daher in jedem Fall die Finger lassen.

Und das hier sieht nach kurzer, präziser Bestandsaufnahme der Fakten so aus, als könnte es außerordentlich kompliziert werden. Andererseits wäre es eine Sünde, die Aussicht auf den rosafarbenen Slip durch heimlichen Rückzug zu beenden, zumal mir hier lebensrettende Maßnahmen – jedenfalls was das Leben des Kopierers anbelangt – dringend erforderlich scheinen.

Inzwischen dringen nämlich aus der Tiefe des Geräts Flüche an mein Ohr, die eher auf einen Bauern vor den Überresten seiner verregneten Ernte schließen lassen als auf ein hilfloses Geschöpf weiblichen Geschlechts.

 

Beherzt ziehe ich den Stecker raus. Zum Glück bewahre ich in Krisensituationen immer einen kühlen Kopf.

«Huuchch …!»

Das hilflose Geschöpf fährt erschreckt herum, stößt sich den Kopf am Sicherungskasten und schnaubt mich böse an.

«Musst du mich so erschrecken? Ich dachte schon, es hätte einen Kurzschluss gegeben.»

Zornig blitzen mich blaue Augen durch eine Gardine aus wirren blonden Haaren an.

Frauen, insbesondere aus aussichtslosen Situationen durch männliche Hand befreite, können ihre Dankbarkeit manchmal einfach nicht zeigen. Jedenfalls nicht so spontan.

«’tschuldigung, aber ich wollte nicht mit ansehen, wie du mit dem Gerät zu einem verkohlten Etwas verschmilzt.»

Ich lächele sie an. Mitfühlend. Verführerisch. Selbstbewusst. Auf die Dosierung kommt es an, da kenne ich mich aus.

«Das mag ja gut gemeint gewesen sein, aber trotzdem hättest du mich warnen können», giftet sie weiter und beginnt, die Blätter einzeln aus der Ablage zu ziehen, um sie anschließend glatt zu streichen.

Selten führen lange Beine über einen wohlgeformten Busen auch noch in ein hübsches Gesicht. Ein absoluter Glücksfall.

 

Das führt uns dann nochmal zurück zur Indizienregel und deren einziger Ausnahme: Wenn man mit einer Frau einfach nur ins Bett will, ist es im Grunde genommen egal, wie kompliziert sie ist. Man trifft sich, hat tollen Sex und trennt sich wieder. Fertig. Keine Ansprüche, keine Komplikationen.

Nun gibt es ja vielleicht Dinge, die bedürfen reiflicher Überlegung. Zum Beispiel, welches Auto man sich anschaffen soll, ob der HSV es in die Champions League schafft oder ob es ein Zeichen von Schwäche ist, wenn man vor Mutters Besuch die Wohnung putzt. Da Männer aber empirisch gesehen sowieso alle fünf Sekunden an Sex denken, ist die Entscheidung, ob man mit einer Frau ins Bett will (94 von 100 Fällen) oder nicht (3 von 100 Fällen), schnell gefällt. (Bei den übrigen drei Fällen handelt es sich in der Regel um Verwandtschaft ersten Grades.)

Das läuft quasi automatisch ab, genau wie der Blick in den toten Winkel beim Überholen. Man guckt lieber nochmal kurz, obwohl man die Lage längst routinemäßig gepeilt hat. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, in der momentanen Situation unbedingt am Ball zu bleiben und das Objekt der Begierde nicht zu verärgern.

Ich lächele also weiter.

 

«Jetzt grins doch nicht so blöd, halt lieber mal.»

Das Objekt meiner Begierde drückt mir einen Stapel zerknittertes Papier in die Hand und wendet sich wieder dem Kopierer zu. Schön den Ball flach halten, Junge, rede ich im Geiste beruhigend auf mich ein. Sie wird schon noch kapitulieren.

«Was ist denn nun? Wir warten schon», ertönt es plötzlich leicht gereizt. Rolf Siegelmann, Chef der Agentur und normalerweise eine Seele von Mensch, biegt um die Ecke und stört unsanft die zarten Bande, die ich im Begriff bin zu knüpfen.

«Mist, ich muss ins Meeting», schnauft jetzt das hilflose Geschöpf.

Und wie ich es vorhergesagt habe, schaut sie mich nun doch hilfesuchend aus salattellergroßen Augen an. Ich schmelze augenblicklich dahin. Für Sex mit dieser Frau würde ich alles machen. Sogar einen Ausflug zu Ikea am verkaufsoffenen Sonntag vor Weihnachten.

«Geh nur, ich regle das hier schon», mache ich mich bei Chef und Objekt der Begierde gleichermaßen beliebt. Souverän nicke ich und bedeute ihr, sich zu beeilen.

Als ich nach 40-minütigem Gezerre am Kopierer endlich alle Papierschnipsel von sämtlichen Walzen picken konnte, meine Hose gleichmäßig mit Öl beschmiert habe und sich der Schweiß in meinen Schuhen zu zwei kleinen Seen gesammelt hat, bin ich überzeugt, bei dieser Frau einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

 

Während ich das Gerät vorschriftsmäßig wieder zusammenbaue, versuche ich zum x-ten Mal, dem großen Geheimnis auf die Spur zu kommen, wieso Frauen sich eigentlich bei der Konfrontation mit der modernen Technik von fremden Männern immer so dankbar helfen lassen. Spätestens nach drei durchvögelten Nächten wendet sich nämlich das Blatt. Dann stoßen sie einen vom Thron des alleinigen Herrschers über Handwerk und Technik und glauben, alles besser zu wissen. (Vor allem, warum man jetzt mal langsam heiraten sollte.) Und plötzlich bauen sie komplette Schrankwände zusammen, dübeln einen Vierzentnerspiegel an die Wand, und einige von ihnen können sicher auch noch einen Seismographen bedienen.

Ich komme auch dieses Mal zu keinem logischen Ergebnis.

Zum Glück wird es natürlich immer Dinge geben, die Männer besser können. Das war schon immer so, und daran wird sich auch nichts ändern, wenn Frauen einen Bart tragen. (Sehe in letzter Zeit immer öfter welche.)

Autofahren zum Beispiel. Das liegt gar nicht mal an mangelhafter Technik, nein, nein. Es ist vielmehr eine Frage der Entschlusskraft. Männer wissen wenigstens, dass sie bei Rot nicht halten werden, wohingegen Frauen sich nicht sicher sind, ob sie bei Grün wirklich fahren sollen. Am schlimmsten wirkt sich das aus, wenn sie die Ersten in einer Linksabbiegerspur sind.

Mit Zigarette in der einen, Handy in der anderen Hand sind sie hin und her gerissen, ob sie es noch vor dem blauen Golf am Horizont schaffen, beides aus der Hand zu werfen, um den Blinker zu setzen und das Lenkrad zu ergreifen. Ob dann allerdings noch Grün ist, können sie dort, mitten auf der Kreuzung, dummerweise gar nicht sehen und stellen sich deshalb vorübergehend – etwa ein bis vier Ampelphasen – vor, sie wären unsichtbar.

Was Männer sonst noch besser können? Sich betrinken. Und Tatsachen verdrängen, an denen sich nun mal nichts ändern lässt. Und eine Menge anderer Dinge, die mir jetzt so spontan nicht einfallen. Wie war ich da jetzt drauf gekommen? Ach ja.

Frauen sind dagegen einsame Spitze darin, sich Dinge zu merken, die absolut unwichtig sind. Ich wiederhole: ab-so-lut-un-wich-tig. Namenstage der Schwiegereltern, Einschulungstermin vom Nachbarskind, ja sogar ganze Filmszenen können sie oscarreif nachsprechen.

Eine meiner Lieblingssendungen ist ja zum Beispiel Wer wird Millionär? Falls ich es jemals schaffen sollte, als Kandidat die Eine-Million-Euro-Frage gestellt zu bekommen, und diese in etwa lauten sollte: «Wie viel Gramm Körperfett – auf sechs Stellen hinter dem Komma aufgerundet – hat Prinzessin Alexandra von Dänemark im Jahre 1999 zugenommen?», könnte ich getrost die Sektkorken knallen lassen. Ich müsste nämlich nur den Telefonjoker einsetzen und Nadine anrufen. Sie würde es wissen, hundertprozentig.

Solche oder ähnlich unwichtige Dinge des Alltags speichert Nadine lebenslänglich auf ihrer internen Festplatte. (Zu meiner großen Freude hat sie sich kürzlich eine Speichererweiterung in Form von Körbchengröße 80 E einbauen lassen. Allerdings scheinen sie bei der OP einen Steckplatzfehler gemacht zu haben, denn letzte Woche fragte sie mich doch tatsächlich: «Wo liegt eigentlich die Europäische Union?»)

Na ja, wenigstens ist sie so ehrlich, sich nur mit Dingen zu beschäftigen, die sie auch wirklich interessieren. Da hält sie es anscheinend wie Bernd Begemann, der singt nämlich in einem meiner Lieblingslieder: «La, la, la, du und ich, wir ham das Kelly-Family-Feeling: dämlich, aber glücklich …»

Zurück zum Ausgangspunkt: Ich bin ein guter Liebhaber. Wirklich. Ich weiß, jeder Mann behauptet das von sich, aber ich bin wirklich einer.

Mit allem, was dazugehört, versteht sich. Telefonieren, essen gehen, ins Kino einladen, Lebensgeschichte anhören, fiese Dinge über den Ex, das Dreckschwein, bestätigen – die ganze Werbenummer halt. So lange, bis man dann endlich in die Kiste steigt. Aber das ist okay für mich, wirklich. Die Vorfreude ist meist ohnehin das Beste. Denn danach ist ja schließlich auch gleich alles wieder vorbei. Zwei-, dreimal Sex – das reicht. Danach wird man auch bei weniger hübschen Frauen unweigerlich in ihre täglichen 48,2 Probleme eingeweiht und hat dann selbst das größte Problem.

Vielleicht bin ich auch einfach nur zu ehrgeizig oder mir erscheint das Leben zu kurz, um es mit Dingen zu vertrödeln, die unrentabel sind. Und eine Beziehung mit einer Frau ist nun mal leider so eine kaufmännisch gesehen nur auf der Sollseite zu verbuchende, unergiebige Kapitalanlage. Man investiert Zeit, Geld und Nerven, um dann am Ende für einen anderen Typen, der von einem der drei Dinge mehr hat – oder schlimmstenfalls von allen drei Dingen mehr hat; oder noch schlimmer: von keinem der drei Dinge etwas hat –, verlassen zu werden. Ich habe das alles schon erlebt und bin echt durch mit dem Thema.

Natürlich werde ich eines Tages heiraten. Man will ja schließlich nicht allein dastehen, wenn der große Hammer fällt, aber eine gute Partie sollte sie schon sein. Reich, klug, selbstbewusst und vor allem: nicht zu hübsch.

Meine Eltern haben nie geheiratet, vermutlich weil mein Vater zum Zeitpunkt meiner Zeugung schon verheiratet war – nur eben nicht mit meiner Mutter. Die wollte wiederum genau aus diesem Grund niemals heiraten.

«Kind», hat sie dann immer gesagt, «du wirst es einmal besser haben als ich. Denn …», und dann seufzte sie jedes Mal herzzerreißend, «du hast das große Glück, ein Mann zu werden.»

Damals habe ich nicht so recht gewusst, was sie damit meinte. Heute weiß ich, dass sie recht hatte. Ich betrachte es als Riesenglück, ein Mann zu sein. Nicht auszudenken, wo das hingeführt hätte, wäre ich ein Mädchen geworden. Vermutlich würde ich blondiert und zum dritten Mal schwanger in einem Nagelstudio arbeiten. Entsetzliche Vorstellung!

Damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Ich empfinde großen Respekt vor Frauen und wie sie ihr Schicksal meistern. Keine Raketentechnik ist so kompliziert wie das Innenleben einer Frau. Ähnlich wie das Treiben in einem Ameisenhaufen. Betrachtet man es von weitem, herrscht das absolute Chaos. Und doch scheint jede dieser zickzacklaufenden, verwirrten Kreaturen genau zu wissen, was zu tun ist. Oder wollen sie uns das vielleicht nur glauben machen? Kontrolliert hat das sicher noch keiner.

Im Gegensatz dazu ist das männliche Gehirn benutzerfreundlich gestaltet. Übersichtlich und auf das Wesentliche reduziert. Und genauso klar strukturiert wie die Straßen New Yorks. Überflüssiger Ballast, wie die Namen der Exfreundinnen, das Datum des ersten Dates, Geburtstage und so weiter, wird unterwegs einfach abgeworfen.

Es empfiehlt sich deshalb tunlichst, die Vereinigung beider Geschlechter auf privater Ebene – zumindest für länger als drei Nächte – zu vermeiden, aber das erwähnte ich ja bereits.

Im Job dagegen bilden Mann und Frau nicht selten ein unschlagbares Team. Während Männer mit eisernem Willen, Durchsetzungskraft und fundiertem Wissen regelmäßig den Grundstein für erstklassige Werbekampagnen legen, sind Frauen in der Lage, für das menschliche Gehirn kaum nachvollziehbare Zusammenhänge zu konstruieren, die auch der sparsamsten Hausfrau noch ein drittes Glas Erdbeermarmelade in den Einkaufswagen zaubern. Vorausgesetzt, es macht sie schön, schlank oder besser noch: beides.

Als meine Kumpels anfingen, ernsthafte Bande zu Frauen zu knüpfen, habe ich zunächst insgeheim gedacht, der intergeschlechtliche Alltag könne gar nicht derart kompliziert sein, wie sie es immer darstellten, und sie größtenteils für Versager gehalten. Seit ich aber selbst schon die eine oder andere Metamorphose vom sexy Superweib zum hysterischen Putzteufel miterlebt habe, verstehe ich erst recht nicht, warum die Jungs damals alle der Reihe nach kampflos ihre Freiheit aufgegeben haben, um sich stattdessen wie Raubtiere in Käfighaltung kleine Kunststückchen beibringen zu lassen.

Da bleibe ich lieber Single, ehrlich.

Dummerweise sehen das einige meiner Freunde anders. Kaum gehen ihnen saubere Wäsche und Essensvorräte aus, geraten sie in Panik und tappen in die Ehefalle. Keine Ahnung, was da bei den Jungs so schiefläuft.

Nehmen wir zum Beispiel meinen guten Freund Vince. Er war ein vielversprechender Immobilienmakler, bis Susanne ihn sich geschnappt hat. Jetzt nimmt er Erziehungsurlaub, während sie in die Toskana abgedampft ist. Selbstfindungsseminar mit Urschreitherapie. Ich werde nie verstehen, warum Leute, die sich hier in Hamburg schon nicht finden, meinen, dies in einem fremden Land tun zu können. Susanne sucht nun schon seit sechs Wochen, und das immerhin mit Hilfe von Angelo, einem braungebrannten Mittdreißiger, der mit ihr gemeinsam schreit.

Vince ist manchmal wirklich erschreckend naiv.

 

Ich komme zu spät zum wöchentlichen «After-Work-Treffen». Eine sehr vornehme Umschreibung für unkontrolliertes Bis-zum-Abwinken-Bier-in-sich-Hineinschütten, wie ich finde.

Luke, Vince und ich kennen uns schon seit frühester Kindheit. Gemeinsam sind wir durch dick und dünn gegangen: von Kirschkernweitspucken über Matchboxautowettrennen bis hin zu Frauenhinterherpfeifen und späterem Flachlegen – was Vince allerdings nur halbherzig betrieben hat, da er sich, im Gegensatz zu Luke und mir, zu einem grundanständigen, schüchternen Mann entwickelt hat. Da haben wir wohl an irgendeiner Stelle nicht aufgepasst.

Bei meinem Eintreffen im «Sol» sitzt Luke allein an unserem Lieblingstisch und praktiziert Blickficken mit der Brünetten am Tisch nebenan. Meinen fragenden Gesichtsausdruck deutet er richtig und zuckt gelangweilt mit den Schultern.

«Mäxchen …», murmelt er abwesend und schickt der Brünetten ein Augenzwinkern hinüber.

Vince, der vor einigen Monaten Vater eines Mäxchen geworden ist, spielt während Susannes Abwesenheit zu Hause gleichermaßen Mutter- und Vaterrolle. Deshalb beschränken sich unsere Treffen in der letzten Zeit meist auf die Mittagspause, in der wir dann auf einem öffentlichen Spielplatz sitzen, unser Take-away-Paket verdrücken und den Kinderwagen hin und her schaukeln. Die Tatsache, dass es dort von jungen, offensichtlich sexbegeisterten Frauen nur so wimmelt, ließ mich anfangs noch euphorisch hinter Vince hertraben. Angesichts der Horde sabbernder Hosenscheißer, bewacht von – Entschuldigung, aber einer muss es ja mal sagen – hochsensiblen Matronen, die man nur noch aufgrund ihrer überdimensionalen Brüste dem weiblichen Geschlecht zuordnen konnte, verlor ich jedoch schnell das Interesse.

Ich schlug ihm deshalb letzte Woche vor, wir könnten Mäxchen doch in seinem Kinderwagen auf den Balkon schieben und derweil in der Kneipe ums Eck ein paar kühle Bierchen zischen. Vince’ Blick hätte nicht strafender sein können, hätte ich vorgeschlagen, Babys Brei mit Crack anzureichern. Immerhin gönnt er sich neuerdings manchmal den Luxus, seine Mutter zum Babysitten zu engagieren.

Dennoch erscheint Vince erst eine halbe Stunde später, als Luke der Brünetten bereits den zweiten Martinicocktail spendiert und mein drittes Bier mich in Bezug auf ihre unattraktive Freundin zunehmend kritikloser werden lässt. Erschöpft sinkt er auf den Stuhl neben mir und bestellt einen Tomatensaft. Luke und ich blicken betreten auf unsere Schaumkronen.

«Ihr braucht gar nicht so blöd zu glotzen», zickt Vince wie eine überlastete Tagesmutter. «Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und bin sonst gleich betrunken. Außerdem hasst Mäxchen es, wenn ich nach Alkohol rieche. Er schreit dann die ganze Nacht.»

Um ehrlich zu sein, glaube ich eher, Vince’ Mutter würde die ganze Nacht schreien, wenn sie auch nur ahnen würde, dass sie zum Babysitten anrücken muss, damit sich ihr Sohn einen hinter die Binde kippen kann.

Luke nimmt einen großen Schluck und fragt dann, wohl um die Situation zu entschärfen, nach Susanne, was ich wiederum für keine gute Idee halte und weshalb ich ihn unter dem Tisch gegen das Schienbein trete.

«Autsch!»

Genau wie ich befürchtet hatte, macht Vince einen Gesichtsausdruck, als hätte man ihm gerade den gesamten Jahresurlaub gestrichen.

«Morgen in zwei Wochen kommt sie wieder. Dann sind die acht Wochen rum.»

Nach einem Blick in unsere verständnislosen Gesichter stellt er schnippisch klar: «Das ist jetzt echt total wichtig für Susie. Nur wenn sie zu sich selbst findet und ihr Leben nicht über das Kind definiert, kann sie glücklich werden und auch wieder ihren Beruf ausüben.»

Susanne ist Friseurin, und ich verstehe ehrlich gesagt weder, wo genau ihr Problem liegt, noch, was das Baby mit dem bisschen Haareschnippeln zu tun haben könnte. Aber da Vince es, glaube ich, auch nicht wirklich versteht, wird er schnell ungehalten, wenn man nachhakt. Wir lassen das Thema also besser auf sich beruhen.

Aber da ist es wieder, was ich meine.

Lebt man über einen längeren Zeitraum mit einer Frau zusammen, macht sie einen komplett neuen Menschen aus einem, sodass man sich am Ende selbst nicht wiedererkennt.

Genüsslich leere ich mein Bier und schwöre mir zum x-ten Mal, dass ich es niemals so weit kommen lassen werde.

3.

«Moinmoin!»

Klaus, Vorzimmerschlampe und unser Mädchen für alles, lässt erschrocken den Telefonhörer fallen. Ich liebe es, statt mit dem Fahrstuhl hochzufahren, geräuschlos in der Agentur aufzutauchen, indem ich über die Treppe schleiche. Ohne Zweifel unternahm Klaus gerade einen Lauschangriff aufs Chefzimmer, denn er läuft bis über seine beiden leicht abstehenden Ohren rot an.

«Tachchen», presst er leise hervor, als wäre es ein geheimer Code, mit dem sich Agenten untereinander zu erkennen geben. Nachdem er sich vorsichtig in alle Richtungen umgesehen hat, winkt er mich dichter zu sich heran und raunt mir verschwörerisch zu: «Du wirst nicht glauben, was ich eben zufällig gehört habe!»

Dabei wackelt er abwechselnd mit linker und rechter Augenbraue.

Nun bin ich weder schwul, noch verfüge ich über zu viele Hormone vom falschen Ufer, deswegen interessiert mich sein Weibergeschwätz auch heute nicht besonders.

«Behalte es für dich, Klaus, oder häng einen Zettel ans Schwarze Brett.»

Ha! Einem Außenstehenden würde vermutlich die Gemeinheit meiner Worte in ihrer Komplexität nicht bewusst werden, aber Klaus weiß sehr wohl, dass er die größte Klatschtante dieser Sternzeit ist. Komischerweise wird er aber nicht gern darauf hingewiesen. Von ihm zu verlangen, ein Geheimnis für sich zu behalten, wäre definitiv ein Fall für Amnesty International, Verletzung der Menschenwürde und so.

Ich schaffe gerade noch unbehelligt den Weg in mein Büro, doch bevor ich die Tür von innen schließen kann, schlüpft Klaus durch den Spalt und baut sich vor meinem Schreibtisch auf. Ich kapituliere. Je eher daran, desto eher davon, pflegte meine Großmutter gern zu sagen.

«Also los, sag schon. Aber fass dich kurz, ich muss gleich ins Meeting.»

Erleichtert wie eine alte Dame nach dem Toilettengang, stützt Klaus sich mit den Fäusten auf die Schreibtischplatte und lässt mit sich überschlagender Stimme die Katze aus dem Sack. Dabei kann er nicht aufhören, sich nach jeder noch so kleinen Pause panisch umzusehen.

«Die Agentur ist pleite! Komplett abgerockt, alles aus und vorbei.»

Und mit einem Gesicht, als hätte er den leibhaftigen Antichrist vor sich, fügt er wimmernd hinzu: «Wir werden alle unseren Job verlieren. Arbeitslos und mittellos …»

An dieser Stelle drückt er sich nun auch noch theatralisch eine Träne aus dem Auge. Mir reißt endgültig der Geduldsfaden. Wenn ich eins noch furchtbarer finde als heulende Frauen, dann sind das heulende Männer. Oder das, was dazwischenliegt.

«Jetzt bleib mal locker. Bist du sicher, dass du da nicht vielleicht etwas falsch verstanden hast? Ich meine, du hast schließlich die Bespitzelung abgebrochen, ehe das Telefonat zu Ende war. Vielleicht sind dir dabei wichtige Details entgangen?» Ein ‹April, April› zum Beispiel, denke ich gehässig.

«Nein, ich bin mir ganz sicher. In solchen Dingen bin ich absolut zuverlässig. Ich würde dich niemals damit behelligen, wenn ich mir nicht ganz sicher wäre, es auch wirklich gehört zu haben», prahlt er nun ganz ungeniert.

Mir kommen auch gleich die Tränen, allerdings weil ich gerade zufällig auf die Uhr gesehen habe und genau jetzt zwei Stockwerke höher im Meeting sitzen sollte.

«Jetzt pass mal auf.» Ich nähere mich Klaus’ operiertem Näschen mit einem Geodreieck – das Erstbeste, was ich auf meinem Schreibtisch an gefährlich anmutenden Accessoires ergreifen kann. «Ich werde der Sache nachgehen. So lange hältst du allerdings deine Klappe, verstanden? Oder aber …» Langsam wandert das Geodreieck von Klaus’ Nase abwärts bis zu seinen Genitalien. «Oder aber ich beauftrage ein paar Leute, mal in deinem Kleiderschrank ein bisschen auszumisten. Dann bleibt nichts übrig außer deiner alten Edwin-Jeans.»

Das wäre ja für mich schon eine Horrorvorstellung, und auch an Klaus zieht die Drohung nicht spurlos vorüber. Mit zitternder Hand schiebt er beschwichtigend das Geodreieck fort.

«Nee, nee, ist klar. Kannst dich auf mich verlassen. Ehrlich. Ich will doch nicht, dass Panik ausbricht.» Jetzt zwinkert er mir zu, als müsse er mich beruhigen und nicht ich ihn.

Ich drehe ihn an den Schultern herum, öffne die Tür und pikse ihm zum Abschied mit dem Geodreieck in den Hintern. «So, husch, husch, die Waldfee, ich muss jetzt in den Konferenzraum.»

Quiekend schießt Klaus aus dem Zimmer, und ich knalle lautstark die Tür hinter uns beiden zu. Ich hasse Dienstage, vor allem, wenn ich an das Meeting denke, welches mir jetzt bevorsteht.

 

«Hey, Tom!»

«Hey, Marc!»

Unsere beiden auf Schulterhöhe erhobenen Hände klatschen im Vorbeigehen aneinander.

Jeden Dienstagvormittag treffen sich alle zum kollektiven Anschiss, dem sogenannten Statusmeeting. Hatte man bis hierher noch geglaubt, die Spuren eigener Unzulänglichkeiten unbemerkt im Pool des globalen Chaos verschwinden lassen zu können, so ist dies der Tag des Jüngsten Gerichts. Und das im Grunde nur, weil immer mindestens zwei Kolleginnen meinen, an diesem Tag ihrer Niederträchtigkeit freien Lauf lassen zu müssen.

Ich sage hier bewusst Kolleginnen, denn während Männer sich zwar vereinzelt zum Ehebruch oder zu rasantem Autofahren hinreißen lassen, ist nackte Bosheit eine typisch weibliche Unart.

Natürlich wird in diesen wöchentlichen Treffen auch das eine oder andere Lob verteilt, und wenn man nicht gerade den Server gelöscht oder Spionage für die Konkurrenz betrieben hat, kommt man in der Regel mit dem Leben davon. Alte Hasen wie ich nutzen sogar die Zeit, um hinter interessiert dreinblickender Fassade alle sonstigen Körperfunktionen in den Stand-by-Modus zu schalten.

Unser heutiges Beisammensein unterscheidet sich jedoch im Wesentlichen von den üblichen Meetings, weil das sonst so beliebte Aus-einer-Mücke-einen-Elefanten-Machen ausnahmsweise mal zugunsten wirklicher Arbeit ausbleiben muss.