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Philipp Krohn & Ole Löding

SOUND OF THE CITIES

AUSTIN

EINE POPMUSIKALISCHE ENTDECKUNGSREISE

ROGNER & BERNHARD

1. Auflage, September 2015
© 2015 by Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin
E-Book ISBN 978-3-95403-104-7
www.rogner-bernhard.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Internet, auch einzelner Textund Bildteile.

Lektorat: Ida Thiemann
Umschlaggestaltung: Chrish Klose/studio grau
Herstellung: Leslie Driesener, Berlin
Gesetzt aus der Stempel Garamond
durch omnisatz GmbH, Berlin
E-Book Konvertierung durch calidad Software Services, Puducherry, Indien

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Reisevorbereitungen

AUSTIN: Keep Austin Weird!

Heimkehr

Anhang

Vorwort

Städte geben der Gefahr eine Bühne und feiern sie vor einem Publikum. Dörfer sind auch erfolgreiche Orte: Ihr Erfolg besteht aber leider meist darin, Gefahren zu vermeiden. Diese Dörfer bleiben stumm und ruhig und unsichtbar. Bis Leute wie Stephen King oder Stanley Kubrick ihnen furchtbare Hotels vor die Türen stellen. Heime für das Fremde. Oder bis jemand, dem dort eine wirklich wahnsinnige Musik gelingt, bemerkt: Ich muss verhindern, dass meine Songs von Giorgio Moroder beim Pilzesuchen entdeckt werden müssen. Ich bleibe nicht an einem Ort, in dem ich das Beste bin. Und: Die guten Städte erkenne ich daran, dass die anderen schon da sind.

Eine gute Stadt ist kompliziert, schwer zu durchdringen, wie ein offener Fall, der auf seine Lösung wartet. Überall Fahnenstangen ohne Enden. Sie muss mehr als ein paar Probleme liefern, unter die man sich mit seinem eigenen Hau mischen kann, als Spezialist unter Spezialisten. Es hilft, das in einer Stadt mit Musik zu tun. In der Musik steht Beweislosigkeit gleichberechtigt neben dem Beweis. Und weil Szenen Energie in ihr Umfeld stecken, kann sich das Leben darin eine Weile für jede und jeden wirklich nach mehr anfühlen als nach der Summe der einzelnen Teile: Dieses Umfeld ist ein hypothetisches Gerät, ein Perpetuum mobile, das Arbeit verrichtet. In der Szene geht man nicht davon aus, dass es keine Perpetuum mobiles gibt.

An so einem Ort kann man eine Rolle spielen, und solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, ist eine Stadt der beste Platz der Welt. Wer es schafft, den Eingang zu einer Metropole an den Türen der Castingagenturen vorbei zu nehmen, nicht durch die Gated Music Communities der Popakademien zu gehen, hat gute Chancen, dem Zufall in der Natur der Stadt zu begegnen. Er ist nach wie vor in Kneipen zu finden, auf Straßen, in Galerien, auf Konzerten, in Vorlesungen, in Zimmern, Kinos, Proberäumen, in Betten, Büchern und in Weinflaschen und überall dort, wo sich Musik und Gedanken herstellen lassen.

Zufall und Fügung wirken in allen Bereichen der Musik, sehr deutlich in der Rezeption des Publikums und in den Handlungen seiner Händler. Obwohl die Forschung diesen Themen immer weiter auf den Fersen ist und Musik immer mal ermahnt wird, sich zum Beispiel Pop mit einem Stöckchen vom Leib zu halten. Sei es drum. Das bedeutet nicht, dass der Zufall in seinen hauptsächlichen Aufgabenfeldern, in den Bereichen größerer und kleiner Musikindustrien, im Wirken der Presse und selbstverständlich beim Zusammenbringen von Musikern und Musikerinnen mit Nichtmusikern und Nichtmusikerinnen nicht wieder Weichen stellen kann. In den Städten produzieren solide Zufälle sowohl Musik als auch Pop.

Städte ermöglichen Sichtbarkeiten für die ersten Schritte ihrer jüngsten Protagonisten, die von den digitalen Medien ungenau wiedergegeben werden und dort vielleicht auch weniger gut aufgehoben sind. Die Aufmerksamkeit, die einer gelebten und formulierten Idee in einer Szene entgegengebracht wird, ist das Mindeste, was in einer Stadt funktionieren muss. Und da diese Teilnahme selbst Ereignis ist und seit ewigen Zeiten Teil des Ganzen, hat sie sich zu einer sehr gepflegten eigenen Disziplin entwickelt, auf die man sich zubewegen und von der man sich wegbewegen kann. Die Entwicklung von der Fan-Kultur der Teenager zu Adult-Fan-Medien wie Spex oder anderen und die Rückkopplungen mit den Musikszenen vieler Städte sind nur ein Beispiel.

So wichtig wie Medien sind Orte, in denen das Gesagte und Gelesene besprochen werden kann. Für einen Austausch von Aufmerksamkeiten stehen Räume zur Verfügung, in denen »Fehler« erarbeitet werden können, die in der Musik Ideen entsprechen. In allen Kapiteln dieses Buches werden solche Anlaufstellen genannt. Die Orte heißen Risiko, Subito, Dschungel, HAU. Namen, die darauf hinweisen, dass man dazu bereit wäre, sich oder seiner Umgebung etwas anzutun. Oder sie heißen wie eine Kneipe, in der der Autor dieser Zeilen viel Zeit verbracht hat, Mutter. Ein Name, der seine Gäste mit dem Hinweis darauf zu erwischen versucht, dass es noch offene Rechnungen und Wünsche der meist gar nicht mehr so jungen Männer und Frauen in Richtung Geborgenheit gibt. Fair enough.

Diese Orte sind kleine Foren, um die Gedanken und Kostüme von John Lennon bis Yoko Ono anzuprobieren und zu sehen, welche Gedankenund Kleidergröße man selber hat. In diesen Bars und Clubs wird es um die feinen Nuancen zwischen Parteinahme und Gleichgültigkeit gehen, zwischen Phlegma und Raserei, Bewunderung und Kritik, zwischen Ornament und Verbrechen. Das Gleichgewicht, es kann sich kaum entscheiden, Dirk von Lowtzow von Tocotronic hat es erkannt, liegt ziemlich genau zwischen den Polen Bumms und Bi. Wenn Haltungen kompromissloser und raumgreifender werden, reagieren Szenen nicht selten mit kluger Aufregung. Beispiele finden sich in Sound of the Cities etwa in den Kapiteln über Detroit und Antwerpen. Mit einem erfolgreichen Projekt geraten zunächst nur die Balancen von Kritik und Bewunderung in Schieflagen. Dann wird gute Laune angekratzt oder mit schnippischem Hochmut reagiert. Aber sowohl erfolglose als auch erfolgreiche Szenen haben einst damit begonnen, sich gemeinsam etwas vorzumachen.

Das Know-how dieser Schauplätze geht nicht zwangsläufig verloren, sowohl in Bezug auf die gespielte Musik als auch in Bezug auf das freundliche und aufmerksame Verhalten aus dem Chor der Anfangstage. Das hallt nach, und Szenen tun sich – vor allem im Gegensatz zu Bands – auch im Moment der Krise weniger schwer damit, weiterhin Zugangsorte zu sein; ihre Felder sind größer und grundlegend öffentlich. Ungeachtet der Tatsache, dass Musiker und Musikerinnen versucht sein können, ihr unmittelbares Umfeld schützend um die eigenen Bands oder Projekte herumzudrapieren, wird in diesen Umgebungen nicht nur von dominierenden Künstlern und Künstlerinnen idealistisches Gefühl und Wissen gesammelt. Oftmals über Jahre stapelt sich das Bewusstsein um Musik und Umgangsformen vieler Beteiligter. In Sound of the Cities ist Ole Löding und Philipp Krohn das große Kunststück gelungen, das Ausmaß dieser Phänomene und ihre Wirkung auf Städte abzubilden.

Szenen interessieren sich und streiten für Verbesserungen der Bedingungen von Leben und Musik: Musikszenen geben Gelegenheiten, Regeln selbst aufzustellen. Anders als in ersten intimen Beziehungen gibt es auf das eigene Verhalten nun öffentliche Reaktionen. Anders als zum Beispiel in der Schule und Familie sollen es hier keine Auflagen sein. Spannung entsteht, wenn schützende Mechanismen wegfallen, die Unterstützung vom Elternhaus, der Schutz durch laufende Ausbildungen. Die neue soziale Umgebung hängt von der alten sozialen Umgebung ab. Gegen Umgebung hilft nur Umgebung. Für viele Musiker und andere Künstler und Künstlerinnen ist es folgerichtig, sich für eine gerechte Stadt zu interessieren, die im Fluss ist. Der Verlust von Orten ist für diese Szenen tatsächlich dramatischer als der Verlust einer prägenden Band, die in so einem Moment zum verzichtbaren Symbol wird. Nur bezahlbare Orte produzieren neue Möglichkeiten, neues Material und neue Symbole. Wozu unter anderem auch das Statussymbol Band gehört.

Niemand will in eine Straße ziehen, weil sich dort drei gute Zahnärzte niedergelassen haben. Und nicht jeder möchte in Opernnähe sterben. Aber drei bunte Kneipen mit einem Rudel von Hipstern können den Ausschlag dafür geben, dass man selbst zurück in die Randgebiete ziehen muss oder will, zurück in die dorfähnlichen Refugien der Hippies. In die geschlossene Offenheit der Abgeschiedenheit. Es macht einen Unterschied, ob Held oder Heldin in ein Westerndorf oder in eine belebte Stadt hineinmarschiert. Im kleinen Dorf schauen alle aus den Fenstern, und ihre Blicke können töten. Die Westernstadt lässt einen ruhig hinein. Als würde die Zukunft den Weg frei machen in eine Stadt, deren Idee besser ist als die Wirklichkeit.

Tobias Levin, Hamburg, 4. Juli 2015

Reisevorbereitungen

Wurde der Punk in London oder Detroit erfunden? Ist Liverpool wirklich die »Capital City of Pop«, wie das Guinness-Buch der Rekorde verkündet? Warum entstand der Grunge in Seattle? Welchen Einfluss nahm die Szene im New Yorker Greenwich Village auf die Rockmusikgeschichte? Wieso entwickelte sich eine »Hamburger Schule«? Warum ist der Soul aus Memphis dreckiger als der aus Detroit? Weshalb fasziniert uns fast alles, was aus Antwerpen kommt? Warum ist die Popmusik aus Wien so eigen? Und schließlich: Was hat das alles mit den Städten selbst zu tun?

Popmusik ist immer an die Orte gebunden, an denen sie entsteht. Der San-Francisco-Sound mit seinen drogenseligen Ausschweifungen konnte sich nur in der Bay Area unter den politisch-sozialen Bedingungen der Sixties entwickeln. Die Neue Deutsche Welle beeinflusste ab Ende der 1970er Generationen von deutschsprachigen Popmusikern und wäre ohne die bunten subkulturellen Szenen des Ratinger Hofs und der Hamburger Marktstube kaum denkbar. Bristol wurde durch seine multikulturelle Bevölkerungszusammensetzung der Geburtsort einer ganzen Musikgattung mit dem Verlegenheitsnamen »Trip-Hop«.

Musikjournalisten, Feuilletonreporter und Wissenschaftler sind der Entstehung von musikalischen Bewegungen reihenweise nachgegangen. Zu vielen unserer Musikstädte gibt es eigene lesenswerte Abhandlungen, doch diese wurden meist aus der Perspektive des Szenekenners verfasst, der sich einem kleinen lokalen Ausschnitt der Musikwelt widmete. Wir allerdings meinen, dass erst im Vergleich mit anderen Orten die Einzigartigkeit einzelner Popmetropolen wirklich greifbar wird.

Wir beide sind Musikfans seit dem frühen Teenageralter. In einer Zeit, in der MTV die Popmusik in die Wohnzimmer der Welt brachte, suchten wir nach unserer eigenen musikalischen Identität. Wir haben die kleinen unabhängigen Plattenläden in Hamburg – an dessen Rändern wir aufgewachsen sind – nach besonderen Angeboten durchforstet, stundenlang haben wir in wegweisende Aufnahmen hineingehört, jahrelang nach Besonderem geforscht und auf Konzerten nach der besten Liveband der Welt gesucht. Irgendwann haben wir angefangen, unsere Plattensammlungen zumindest zeitweise nach Orten zu sortieren.

Genau das ist der Ausgangspunkt unseres Projekts, das uns nun seit August 2013 intensiv beschäftigt: Die Musik, die wir hören, kommt zu einem großen Teil aus Städten. Sie liegen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland und dem Rest Kontinentaleuropas. Unser Ausschnitt der Popmusikgeschichte besteht überwiegend aus Rock (mit all seinen Verästelungen, die Punk und New Wave mit einschließen), Soul (mit all seinen geografischen Besonderheiten), Folk, Chanson und Singer-Songwriter-Musik sowie Elektro (von Trip-Hop über Drum ‘n’ Bass bis zu Ambient) – dazu die Highlights aus Hip-Hop, Techno und Mainstream-Pop.

Während eines Kneipenabends entstand dann die Idee: Wir sollten die wichtigsten Orte der Popgeschichte aufsuchen und nach Erklärungen forschen, warum ausgerechnet hier so außergewöhnliche Musik entstanden ist. Der nächste Teil des Plans war schnell gefasst. Wir wollen Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, die die Entstehung popmusikalischer Innovationen aus eigenem Erleben schildern können – Pioniere, die Musikgattungen angestoßen haben. Nicht wie bekannt sie sind, soll die Auswahl bestimmen, sondern wie einflussreich für das Geschehen und wie nah dran sie waren und sind.

Wie klingt eine Stadt? Unter welchen Bedingungen konnte sich eine eigenständige lokale Szene entwickeln? Warum entstand Popgeschichte genau hier? Lässt sich die popkulturelle Magie an besonderen Orten auffinden und nachfühlen? Wer sind die zentralen Protagonisten der Metropolen, die Jüngere anziehen und ihnen als Rollenvorbild dienen? Was lässt musikalische Bewegungen ihre Dynamik verlieren? Inwieweit gefährdet die viel diskutierte Gentrifizierung die Kreativität in einer Metropole? Stadt für Stadt spüren wir der Frage nach, ob es den einen popmusikalischen Gründungsmythos gibt, eine bestimmte Aufnahme oder ein Konzertevent, eine Revolte, einen Skandal oder eine Gründerpersönlichkeit, auf die sich die Protagonisten berufen. Mit eigenen Anschauungen verknüpft, schildern wir Geburt, Glanzzeit und Sterben von Szenen, die stete Wiederkehr neuer Pophelden aus dem Geist des Undergrounds, der sich auf den kleinen, dunklen Bühnen der urbanen Zentren seit Mitte der 1950er Jahre bis heute lebendig hält.

On The Road