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ellermann im Dressler Verlag · Hamburg

© Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2012

 

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Originalausgabe: ellermann im Dressler Verlag GmbH · Hamburg
© Dressler Verlag GmbH, Hamburg 2012

 

Cover und farbige Illustrationen von Katrin Oertel

E-Book-Umsetzung: 2013

 

ISBN 978-3-86273-201-2

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Warum haben wir Tomaten auf den Augen?

»So, jetzt aber los! Die warten bestimmt schon«, sagt Mama und zieht hinter sich die Wohnungstür zu. Mama und Nele sind auf dem Weg zu Oma und Opa. Denn Nele hat gerade Kindergartenferien und darf nun ein paar Tage alleine zu ihren Großeltern. Schnell stürmen sie die Treppe im Treppenhaus hinunter. Doch kaum sind sie unten auf dem Gehweg, bleibt Mama auf einmal stehen.

»So ein Mist«, schimpft sie und stellt ihre Tasche ab. »Ich glaube, ich habe die Tomaten vergessen. Die essen Oma und Opa doch so gerne!«

Aufgeregt wühlt sie in ihrer großen Tragetasche herum. Aber die Tomaten aus ihrem Schrebergarten sind nicht dabei.

»Ich lauf noch mal hoch«, schlägt Nele vor. Doch Mama schüttelt nur den Kopf und stürzt zur Klingeltafel. Wie wild fängt sie an, auf den Klingelknopf zu drücken, der zu ihrer Wohnung gehört.

»Na, habt ihr was vergessen?«, ertönt schließlich Papas Stimme krächzend aus der Lautsprecheranlage. Papa kann leider nicht mitkommen, weil er noch arbeiten muss.

»Ich hab die Tomaten vergessen!«, ruft Mama. »Die Tüte liegt auf dem Küchentisch. Kannst du sie runterwerfen?«

»Runterwerfen? Sicher?«, fragt Papa, der sich so anhört, als ob er das für keine gute Idee hält.

»Klar. Nun mach schon«, ruft Mama. »Die zwei Stockwerke! Das fang ich locker. Schließlich bin ich Torfrau.«

Auch Nele weiß nicht so ganz, was sie davon halten soll. Sie hat zwar schon häufig gestaunt, wie Mama beim Fußballspielen selbst die schärfsten Bälle fängt, aber irgendwie ist so ein schöner, runder großer Fußball doch etwas ganz anderes als eine Papiertüte mit Tomaten.

»Na, meinetwegen«, hören sie dann Papas Stimme, und Mama läuft mit Nele zurück ins Haus. Dort stellt sie sich unten an die Treppe und guckt durch den breiten Spalt zwischen den Treppengeländern nach oben.

»Bereit?«, ruft Papa von oben.

»Bereit!«, ruft Mama und streckt die Hände über den Kopf.

In diesem Augenblick geht neben ihnen plötzlich die Wohnungstür von Frau Pachulke auf. »Ach, Frau Gerber. Ich wollte mich noch herzlich für die …«

Mit weit aufgerissenen Augen sieht Nele, wie Mama zu Frau Pachulke guckt, kurz die Hände runternimmt, so etwas Ähnliches wie »Äh, äh, Moment« stottert, dann die Hände schnell wieder hochreißt und nach oben guckt. Allerdings nicht schnell genug. Denn in der nächsten Sekunde klatschen Mama auch schon drei oder vier dicke Tomaten ins Gesicht, während die restlichen Tomaten neben ihr auf dem Boden zerplatzen. Gleich darauf kommt noch die leere Tüte hinterhergesegelt. Nele sieht, dass sie unten ganz nass und aufgerissen ist. Bestimmt, weil eine von den unteren Tomaten zu reif war und aufgeplatzt ist. Doch das interessiert Nele jetzt genauso wenig wie die Riesensauerei, die die zermatschten Tomaten im Treppenhaus angerichtet haben. Denn Mama steht nach vorne gebeugt da, reibt sich mit den Händen die glibschigen Tomatenreste aus dem Gesicht und stöhnt vor Schmerzen.

»Verdammt, tut das weh!«, schimpft Mama.

»Ist es schlimm, Mama?«, fragt Nele und nimmt schnell ihren kleinen Reiserucksack von der Schulter. Aufgeregt wühlt sie darin herum, bis sie unter dem Po von ihrem Lieblingsteddy Max das Päckchen mit Taschentüchern entdeckt, das Mama ihr immer in den Rucksack tut.

Inzwischen hat Frau Pachulke schon einen Hocker aus ihrer Wohnung geholt und bugsiert Mama nun vorsichtig auf die Sitzfläche.

»Oje, das nenn ich aber nun mal Tomaten auf den Augen, was? So, ganz langsam, Frau Gerber. Setzen Sie sich erst mal hin!«

»Danke, Frau Pachulke«, stöhnt Mama.

»Hier, Mama. Nimm!«, sagt Nele und hält Mama ein paar Taschentücher hin.

»Das ist lieb, mein Schatz.« Mama tastet blinzelnd nach den Taschentüchern. Mit zwei Tüchern wischt sie sich das Gesicht ab, und mit dem dritten beginnt sie, sich vorsichtig die Augen abzutupfen.

»Verdammter Mist! Genau in die Augen!«, schimpft Mama. »Wie das brennt!«

Und dann ist auch Papa da. »Lass mal sehen!«, sagt er zu Mama und guckt sich stirnrunzelnd Mamas Augen an. »Hm, ganz schön gerötet, und die Lider sind geschwollen. Besser, wir fahren gleich zum Augenarzt!«

»Und ich mach das inzwischen hier sauber. Machen Sie sich keine Sorgen!«, sagt Frau Pachulke und drückt Mama einen nassen Waschlappen in die Hand, den sie noch schnell aus ihrer Wohnung geholt hat. »Und auf Nele kann ich auch aufpassen.«

Aber Nele will unbedingt bei Mama und Papa bleiben, und so fahren sie alle zusammen zum Augenarzt.

Eine Viertelstunde später sind sie in der Augenarztpraxis. Während Papa Mama untergehakt hat und neben sich herführt, läuft Nele zum Praxistresen voraus.

»Schnell!«, ruft sie aufgeregt. »Mama hat Tomaten auf den Augen!«

Die Frau hinter dem Tresen guckt Nele erstaunt an, bevor sie plötzlich anfängt zu grinsen. Und auch der Mann im weißen Kittel, der am Ende des Tresens steht und sich gerade mit der Frau unterhalten hat, sieht aus, als könnte er sich das Lachen kaum verkneifen.

Nele wundert sich, warum die beiden das so komisch finden. Aber bevor sie etwas sagen kann, spricht der Mann im weißen Kittel sie auch schon an. »Na, so einen Notfall guck ich mir lieber gleich an! Kommt mal alle mit!« Er führt die drei in ein Behandlungszimmer, und Mama erzählt, was passiert ist. Mit kompliziert aussehenden Geräten untersucht der Mann dann Mamas Augen.

»Alles in Ordnung«, sagt er schließlich. »Die Augen sind vom Aufprall und der Fruchtsäure in den Tomaten gereizt, aber sonst ist alles okay. Ich gebe Ihnen noch ein paar Tropfen mit, und dann ist bald alles wieder in Ordnung. Trotz Tomaten auf den Augen!« Und wieder muss der Mann grinsen.

Jetzt hat Nele aber genug. »Was ist denn an Tomaten auf den Augen so komisch?«, ruft sie wütend.

»Na ja«, sagt Papa. »Das ist doch nur so ein Spruch. Man sagt das, wenn jemand etwas nicht bemerkt oder etwas übersieht. Etwas, das man eigentlich gar nicht übersehen kann, weil es direkt vor der Nase ist.«

»Hm, aber warum Tomaten und nicht Orangen?«, will Nele wissen.

»Das kann ich dir zeigen«, sagt der Mann im weißen Kittel. »Guck dir mal die Augen von deiner Mama genau an. Was fällt dir auf?«

Nele guckt angestrengt in Mamas Augen. »Die sind ziemlich rot, auch das Weiße, und irgendwie dicker sind sie auch. Hm, das sieht aus wie …«

»Als wenn man Tomaten auf den Augen hätte, stimmt’s?«, sagt der Mann, und Nele nickt. »Und so rot sehen Augen manchmal auch aus, wenn man müde ist oder wenig geschlafen hat. Und weil man dann nicht so aufmerksam ist, bemerkt man wichtige Dinge oft nicht. Daher kommt der Spruch von den Tomaten auf den Augen.«

»Ach so«, sagt Nele. Dann verabschieden sie sich von dem netten Mann. Froh, dass Mama nichts passiert ist, fahren sie wieder nach Hause. Dort nimmt Nele erst einmal das Telefon mit in ihr Zimmer. Denn sie muss unbedingt Oma und Opa anrufen, um zu erzählen, was passiert ist.

»Hallo, Oma«, ruft Nele ins Telefon. »Hm, ja, alles in Ordnung … Aber wir können erst morgen kommen! … Hm … ja … Weil …«, und plötzlich muss Nele lachen, »… Mama nämlich Tomaten auf den Augen hatte!«

Warum schlafen wir wie ein Murmeltier?

»Ich kann nicht mehr! Wann sind wir denn endlich an der Hütte, Frau Moser?« Bastian ist fix und fertig und muss erst einmal einen Riesenschluck Wasser aus seiner Trinkflasche nehmen. Auch die anderen Kinder der Wiesel-Klasse sind völlig erledigt. Einige schleppen sich nur noch im Schneckentempo weiter, andere sind, wie Bastian, erst einmal stehen geblieben, um was zu trinken. Bis vor einer Stunde hat die Wanderung allen Riesenspaß gemacht. Aber da ging es auch noch durch einen schönen schattigen Bergwald. Doch jetzt schlängelt sich der Wanderweg an einem steilen Berghang hinauf, und die Nachmittagssonne brennt heiß vom Himmel.

»In einer … einer … halben Stunde«, japst Frau Moser und wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Puh, ich glaube, wir könnten alle eine kurze Pause vertragen, was, Herr Schmidt?«

Herr Schmidt ist der zweite Lehrer, der sie auf dem Wanderausflug begleitet. Zwar hat er auch ganz schön viele Schweißperlen auf der Stirn, aber ganz so doll wie Frau Moser schnauft er nicht.

»Ähm, also gut. Mal herhören«, sagt Herr Schmidt. »Wir machen zehn Minuten Pause. Aber dann geht’s weiter! Sonst kommen wir noch zu spät zum Abendessen.«

Während sich einige bis zu den nächsten Felsbrocken schleppen, um sich daraufzusetzen, lassen sich andere einfach ins Gras neben dem Wanderweg plumpsen. So auch Bastian und sein Freund Hakan.

»Wer ist eigentlich auf die blöde Idee gekommen, hier hochzuwandern?«, fängt Bastian an zu mosern, als er sich wieder etwas erholt hat. »Da geht doch auch eine Straße zur Hütte!«

»Genau«, schimpft Hakan. »Unsere Rucksäcke und Schlafsäcke werden ja auch mit dem Auto gefahren! Und … He, guck mal! Was ist das denn?«

Verblüfft starren sie auf ein Pelztier, das gerade hinter einem Felsen aufgetaucht ist und nun direkt auf sie zugetrippelt kommt.

»Krass, ein dicker Riesenhamster!«, ruft Bastian. »Der hat ja gar keine Angst!«

»Und dahinten ist noch einer!« Hakan stößt Bastian aufgeregt in die Seite und zeigt den Hang hinunter. Neben einem Loch im Boden ist dort tatsächlich noch eins von den Pelztieren aufgetaucht. Es hat sich aufrecht auf seine Hinterbeine gestellt und guckt neugierig zu ihnen herüber.

Inzwischen ist der erste Riesenhamster ganz dicht rangekommen. Hakan will gerade vorsichtig die Hand ausstrecken, als das Tier sich auf die Hinterbeine stellt und sie aus großen Augen anguckt.

Jetzt haben auch die anderen den Besucher entdeckt.

»Ach, ist der süüüß!«, »Nein, wie niiiiedlich!«, »Ich will auch einen!« Bastian und Hakan hören plötzlich Stimmen hinter sich. Na klar, die Mädchen, denkt Bastian. Warum müssen die beim Reden eigentlich immer so quietschen, wenn sie was süß finden?, überlegt er gerade, als ihm jemand auf die Schulter tippt.

Bastian dreht den Kopf. Hinter ihm hockt Nicole und hält ihm einen Keks hin.

»Ich glaube, der hat Hunger. Kannst du ihm den geben?«, fragt sie.

»Ähm … , äh, klar, kein Problem!«, brummt Bastian. Er wird etwas rot. Eigentlich ziemlich rot, aber dann bringt er es irgendwie fertig, einfach nur cool die Hand aufzuhalten.

Nicole will ihm gerade den Keks geben, als sie hinter sich Herrn Schmidt hören.

»Halt, bitte nicht. Das sind Alpenmurmeltiere. Es ist nicht gut für sie, wenn man sie an menschliches Essen gewöhnt. Und außerdem wird es Zeit zum Aufbruch!«

Enttäuscht machen sich alle bereit. Zu gerne hätten sie das Murmeltier gefüttert, und auf Wandern hat sowieso keiner mehr Lust. Einmal abgesehen vielleicht von Herrn Schmidt. »So, keine Müdigkeit vorschützen, Herrschaften!«, ruft er. »Nur noch ein halbes Stündchen. Dann wartet ein leckeres Abendessen auf uns, und danach schlaft ihr alle wie die Murmeltiere.«

»Wieso wie die Murmeltiere?«, wundert sich Hakan. Denn sehr verschlafen sehen die nicht aus, findet er.

»Das sagt man so«, antwortet Herr Schmidt, der ungeduldig darauf wartet, dass es wieder losgeht. Aber dann merkt er, dass nicht nur Hakan ihn ganz gespannt anguckt. »Also gut«, seufzt er. »Ich erklär’s euch. Würde es eine Schlafolympiade geben, würden Murmeltiere garantiert eine Medaille gewinnen. Denn im Herbst ziehen sie sich in ihre Erdhöhlen zum Winterschlaf zurück, und dann können sie bis zu sieben Monate durchschlafen.«»Was, sieben Monate?«, sagt Hakan, und auch die anderen können es kaum fassen. Aber zum Staunen lässt Herr Schmidt ihnen gar keine Zeit, denn gleich darauf scheucht er die Klasse auch schon weiter.

Irgendwie scheint es Herrn Schmidt immer noch nicht schnell genug zu gehen. Denn nach einer Weile sehen Bastian und Hakan, wie er kurz mit Frau Moser spricht, dann mit raschen Schritten den Wanderweg voranstürmt und wenig später auch schon hinter der nächsten Biegung verschwunden ist.

»Was ist denn mit Herrn Schmidt los?«, fragt Bastian neugierig, als sie gleich darauf an Frau Moser vorbeikommen.

»Ach«, schnauft Frau Moser. »Er hat gefragt, ob ich was dagegen habe, wenn er schon mal vorläuft! Hat sich noch nicht richtig ausgepowert, hat er gesagt. Schließlich ist er Sportler.« Fassungslos schüttelt Frau Moser den Kopf und stapft dann weiter den Berg hinauf.Doch schon eine Stunde später sind alle Anstrengungen vergessen. Die Kinder der Wiesel-Klasse sitzen zusammen an einem langen Tisch in der Hütte und warten hungrig auf das Abendessen. Bastian und Hakan unterhalten sich gerade mit einigen anderen aufgeregt über die Murmeltiere, als vom Ende des Tisches plötzlich ein lautes Geräusch ertönt.

Chrrr … Pfffff … Chrrr … Pffff … Chrrr … Pffff … Chrrr … Pffff …

Verblüfft gucken alle in die Richtung. Herr Schmidt ist im Sitzen eingeschlafen! Die Stirn ruht neben dem noch leeren Teller auf dem Tisch, und aus dem weit geöffneten Mund ist ein lautes Schnarchen zu hören.

»Guckt mal!«, ruft Hakan. »Ein Riesenmurmeltier!« Und dann müssen alle kichern. Auch Frau Moser.

Warum geht es manchmal um die Wurst?