BLACKOUT 

Im Herzen der Finsternis

  

Tim Curran


übersetzt von Raimund Gerstäcker

  





This Translation is published by arrangement with Tim Curran
All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum


Zweite überarbeitete Ausgabe
Originaltitel: BLACKOUT
Copyright Gesamtausgabe © 2019 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Raimund Gerstäcker

 

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2019) lektoriert.

 

ISBN E-Book: 978-3-95835-107-3

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Kapitel 1

 

Die Geschichte, die ich euch erzählen werde, handelt davon, was geschah, nachdem die Lichter ausgingen. Ich werde euch erzählen, was mit unserer wunderschönen grünen Welt und den Menschen, die sie ihr Zuhause nannten, geschah. Ihr müsst verstehen: Es ist keine fröhliche Geschichte und sie hat keine Moral. Es ist nicht diese Art von Geschichte.

 

Kapitel 2

 

Wir hatten ein Haus im Ranchstil auf dem Piccamore Way, ganz und gar amerikanischer Durchschnitt, ganz und gar Mittelklasse, ganz und gar langweilig … etwas, womit wir alle ganz und gar zufrieden waren. Aufregung ist etwas für Menschen, die die vierzig noch nicht überschritten haben. Danach verspürt man den Wunsch nach Ruhe, nach Zufriedenheit, nach den vertrauten, immer gleichen Abläufen. Piccamore erfüllte diese Bedürfnisse vollständig. Es hatte etwas Beruhigendes, zu wissen, dass der Zeitungsjunge den Courier immer in die Büsche werfen und dabei die Veranda locker um eine Meile verfehlen würde. Dass Al Beckmann seinen ‘67er Camarero, rot wie ein kandierter Apfel, jeden Samstagmorgen in der Einfahrt wusch und wachste. Dass Iris Phelan ihren Fernseher immer so laut aufdrehte, dass er noch drei Straßen weiter zu hören war. Dass Billy Kurtz jeden Abend Punkt sechs die Straße hinauf stolperte, nachdem er seine Schicht in der Fabrik zu Ende gebracht und in der Bar None sechs oder sieben Longneck-Flaschen Budweiser geleert hatte. Dass die Eblers so viele Blumen in ihren Vorgarten pflanzten – Lilien und Gelben Hibiskus, Hainblumen mit himmelblauen Blüten, Vergissmeinnicht und Gartenwicken – dass die chromatischen Frequenzen die Augen schmerzen ließen. Und dass Ray Wetmore jetzt noch einen Anlauf auf einen Sitz im City Council plante, obwohl er beim letzten Mal kaum die hundert Stimmen geknackt hatte. So sah sie aus, unsere Nachbarschaft auf dem Piccamore Way.

Beschaulich, vorhersehbar, aber sehr komfortabel.

Es war eine Straße im Sommer, mit üppigen grünen Eichen und weißen Holzhäusern, die in ordentlichen Reihen aufgestellt waren. Es gab ein anständiges Feuerwerk zum Independence Day am 4. Juli, Stände mit Kool-Aid für zehn Cent das Glas, SUVs in den Einfahrten und Kinder mit Rollerblades auf den Bürgersteigen, freundliche Nachbarn, die mit Kühlboxen voller kaltem Bier auf ihrer Veranda saßen und jede Menge gutes rotes Fleisch, das auf den Grills brutzelte, sobald der Abend kam. Es war der so gut wie perfekte amerikanische Traum, und wenn hin und wieder etwas Dunkles das Wasser unseres kristallklaren Teiches trübte – der Sohn eines Nachbarn hatte sich beim Verticken von Dope an der Highschool erwischen lassen, oder eine Ehefrau hatte eine Affäre mit ihrem Chef – taten wir einfach so, als bemerkten wir es nicht, bis das getrübte Wasser wieder klar war. Denn so würde es sein. So würde es immer sein, dessen waren wir uns sicher.

Zumindest dachten wir das.

An jenem Tag war kurz vor Sonnenuntergang ein merkwürdiges Wetterleuchten am Horizont zu sehen gewesen. Die Straße war von oben bis unten voller Menschen, die von ihren Gärten und Veranden aus das Schauspiel beobachtet hatten, das ein anständiges Sommergewitter prophezeite. Schon seit Tagen hatten wir mit hoher Luftfeuchtigkeit zu kämpfen gehabt, und hier kam das Überdruckventil, das die Feuchtigkeit aus der Luft ausbluten lassen würde.

Wir schmissen eine kleine Party im Garten hinter meinem Haus, denn es gab etwas zu feiern: Ich hatte nicht eine Zigarette in drei Monaten geraucht. Und wenn man an den Sargnägeln gezogen hatte, seit man sechzehn war und auf die fünfzig zuging, dann war das eine verdammt anständige Leistung. Kathy war stolz auf mich, genau wie meine Tochter Erin, die den Sommer mit einem Work-Study-Programm in Italien verbrachte. Ich war selbst ziemlich stolz auf mich, so stolz, dass ich vorhatte, damit ein wenig anzugeben, wenn die Schule wieder anfing – ich war Lehrer für Physik und Biologie an der Patrick Henry Highschool.

Das Leben meinte es gut.

Der Grill war heiß, die Steaks anderthalb Zoll dick, die Maiskolben rösteten über offenen Flammen, die großzügig mit Knoblauchbutter bestrichenen Riesengarnelen brutzelten und eisgekühlter Gin Tonic machte die Runde. Wir hatten viel Spaß. Sicher, Bonnie Kurtz betrank sich und wurde ein klein wenig zu aufdringlich, Ray Wetmore meckerte über die nichtsnutzigen Vertreter im City Council, und Al Beckmann versuchte, mir Investmentfonds aufzuschwatzen, während er den Rauch seiner allgegenwärtigen Marlboro in mein Gesicht blies. Es machte mich fast verrückt vor Heißhunger auf eine Zigarette und verschaffte mir gleichzeitig einen angenehmen Nikotinkick. Aber am Ende war alles gut und jeder ging in dieser Nacht mit vollem Bauch, betrunken und glücklich nach Hause.

Kurz vor Mitternacht waren wir endlich mit Saubermachen fertig.

»Bonnie hat ins Blumenbeet gekotzt«, sagte ich.

Kathy seufzte. »Das macht sie jedes Mal. Wir haben zwei Badezimmer, und offenbar kann sie nie auch nur eines finden.«

»In ihrem Zustand? Verdammt, sie hätte nicht einmal die Tür aufbekommen.«

Kathy saß bei mir auf der Couch. »Al hat mich am Hintern begrapscht.«

Ich kicherte. »Du hast wirklich einen sehr schönen Hintern. Das kannst du ihm nicht verdenken. Ich konnte dich nicht retten, weil ich Bonnie abwehren musste. Auf eine ihrer Brüste ist eine Rose tätowiert, und sie hat immer wieder versucht, sie mir zu zeigen.«

»Sie hat immer wieder versucht, sie allen zu zeigen.«

»Sie ist sehr stolz auf das, was sie hat.«

Kathy seufzte wieder. »Es ist wirklich erstaunlich, was ein Pfund gut platzierten Silikons für das Selbstwertgefühl einer Frau tun kann.«

Wir plauderten noch ein wenig, dann ging Kathy zu Bett. Ich blieb auf der Couch liegen und sah mir ein altes Baseballspiel auf ESPN an. 1992, die Pittsburgh Pirates verpassten gerade den Atlanta Braves eine Tracht Prügel. Irgendwann während des Spiels gingen bei mir die Lichter aus. Ich schlief den tiefen, bewusstlosen Schlaf, der von zu viel Sonne, zu viel gutem Alkohol und zu fettem Essen kommt. Ich bin nicht sicher, wie lange ich weg war. Vielleicht zwei Stunden, wenn überhaupt.

Ich erwachte bei blitzendem Stroboskoplicht.

Zumindest schien es das zu sein. Ich öffnete die Augen und schloss sie sofort wieder, denn die Welt draußen war das reinste Chaos. Der Sturm stürzte sich auf uns, der Regen peitschte auf das Haus und der Donner krachte. Der Wind ließ die Bäume im Vorgarten knarren und ächzen. Das stroboskopartige Licht zwang mich, die Augen zu schließen. Es war einfach zu viel. Vor allem nach einem Trinkgelage, das den ganzen Abend gedauert hatte. Mir war klar, dass ich aufstehen und die Fenster schließen musste. Das gehörte zum Leben eines verantwortungsvollen Hausbesitzers dazu, aber bei Gott, ich war vollkommen hinüber. Mein Körper fühlte sich schwer an, als türmte sich auf ihm eine Ladung Steine, mein Magen schlug verbittert Purzelbäume, und mein Kopf hämmerte mit dem obligatorischen Kopfschmerz, den ein Kater mit sich bringt.

Schließlich richtete ich mich auf und alles fühlte sich nur noch schlimmer an.

Draußen durchzuckten noch immer Blitze die schwarze Nacht. Es war merkwürdig. Bei den meisten Stürmen blitzt es ab und an, dann kommt der Donner – aber das hier war wie ein pausenloses Schnellfeuer. Als würden tausend Blitzlichter gleichzeitig aufzucken, mit kaum einer Pause dazwischen. Der Timer hatte den Fernseher ausgeschaltet, das Wohnzimmer war schwarz … bis auf das zuckende Licht, das unregelmäßige Muster bildete. Für zwei, drei Minuten blitzte es rasch hintereinander, dann war eine Zeit lang nichts zu sehen, bevor es wieder von vorne losging. Etwas daran war mehr als merkwürdig, das spürte ich. Aber ich war zu verkatert, um darüber nachzudenken.

Ich stolperte umher und überprüfte die Fenster. Alle waren geschlossen. Das konnte nur bedeuten, dass Kathy mir wie so oft einen Schritt voraus war. Vermutlich war sie durchs Haus geschlichen und hatte die Fenster zugemacht, während ich schlief. Ich ging nach oben, kroch ins Bett neben sie und wartete auf das nächste Trommelfeuer.

»Bist du wach?«, fragte ich.

Keine Antwort.

»Kathy, bist du wach?«

Immer noch keine Antwort. Seit Jahren spielten wir dieses Spiel. Sie tat so, als würde sie schlafen, und ich flüsterte wieder und wieder ihren Namen, um sie zu wecken. Und wenn das nicht funktionierte, packte ich sie am Bein, woraufhin sie laut aufkreischte. »Kathy?«, fragte ich. »Bist du wach? Kathy? Kathy? Kathy? Hey, Kathy, bist du wach?« Ich bin mir nicht sicher, was es war, aber ich fühlte eine seltsame Art von Panik in mir aufsteigen. Es war sehr dunkel und ich konnte Kathy nicht sehen. Aber irgendein in mir verborgener sechster Sinn – ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll – sagte mir, dass sie nicht da war. Wir alle haben ihn manchmal. Bei mir schlug er in diesem Moment Alarm. Sie war nicht im Bett, das wusste ich auf die gleiche Art und Weise, wie man ein Haus betritt und sofort weiß, dass niemand zu Hause ist. In diesen Situationen liegt irgendetwas in der Luft, schätze ich.

Ich streckte die Hand aus. Ihre Seite des Bettes war leer.

In diesem Moment begann es erneut zu blitzen, und ich sah sehr deutlich, dass ich allein im Zimmer war. Der Donner grollte, der Wind blies – und das Haus bebte.

Kathy war verschwunden.

 

Kapitel 3

 

Ich war im Panikmodus und wusste wirklich nicht, warum.

Es gab beliebig viele logische Erklärungen. Sie war im Badezimmer. Sie war in der Küche oder im Esszimmer im Erdgeschoss – dort hatte ebenfalls nicht ich die Fenster zugemacht – oder, als ich nach oben kam, war sie gerade unten im Keller und schloss die Fenster. Das alles waren sehr plausible Szenarien. Nur, dass sich nicht eines von ihnen stimmig anfühlte. Stattdessen bekam ich die schlimmste Art von Warnsignalen ganz tief aus der Magengegend, verbunden mit einer Botschaft, die sich nicht ignorieren ließ. Ich gehörte nicht zu der schreckhaften Sorte, aber in diesem Moment hätte man einen ganz anderen Eindruck von mir gewinnen können.

Ich stieg aus dem Bett … nein, ich sprang aus dem Bett. Ich lief in Richtung Tür, stieß im Dunkeln gegen die Kommode und tastete nach dem Lichtschalter. Ich schaltete das Licht an. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Das Zimmer war leer. Ich konnte sehen, wo Kathy geschlafen hatte. An der Stelle war die Decke zurückgeworfen, aber das war alles. Sonst war nichts zu sehen … und doch blieb ich stehen und starrte, als ob es eine Spur geben müsse, die ich noch nicht entdeckt hatte.

Es gab keine.

Ich ging wieder nach unten und schaltete alle Lichter ein. Das nervte Kathy immer gewaltig. Sie war von Natur aus äußerst sparsam, und die Vorstellung, ich würde unnötig Strom verschwenden, ließ sie fast wahnsinnig werden. Warum musst du, egal wo du hingehst, immer eine Lichtspur hinter dir herziehen?, pflegte sie zu sagen. Die Erinnerung brachte mich zum Lächeln, aber es hielt nicht lange an. Ich machte jetzt überall das Licht an, aber nicht, weil ich ein fauler, unverantwortlicher Chaot war oder um sie zu ärgern, sondern weil mich ein ganz mulmiges Gefühl beschlich. Ich denke nicht, dass ich zu diesem Zeitpunkt Angst hatte, aber ich war auf dem besten Weg dahin. Oh ja.

Unten angekommen machte ich überall im Wohnzimmer und im Flur das Licht an und rief: »Kathy? Kathy? Verdammt, Mädchen, wo zum Teufel bist du?«

Obwohl meine Fantasie mehr als nur ein wenig überhitzt war und alle möglichen Horrorszenarien heraufbeschwor, die meiner Frau zugestoßen sein könnten, schob mein gesunder Menschenverstand all das beiseite und machte Raum für Möglichkeiten, die weitaus nüchterner, aber nicht weniger furchtbar waren. Kathy war auf den Kopf gestürzt, sie hatte einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt, ein Blutgerinnsel, das ihr Gehirn zerschossen hatte. Letzteres war meiner Cousine Shelli am Tag nach ihrem dreißigsten Geburtstag passiert, das hatte ich immer im Hinterkopf.

Ich rief noch ein paar Mal nach Kathy und ging dann die Kellertreppe hinunter. Ich betätigte alle Lichtschalter, die ich finden konnte. »Kathy?«, rief ich. »Bist du hier unten?« Ich bekam keine Antwort und wusste, dass sie nicht da war. Aber ich würde nicht aufgeben, bis ich nicht jeden Winkel des Hauses durchsucht hatte, für den Fall, dass sie irgendwo zu Boden gegangen war. Ich hatte eigentlich keinen Grund zu befürchten, dass sie einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt oder so etwas gehabt hatte. Sie war dünn, wie ihre ganze Familie. Im Gegensatz zu mir und meiner Sippe, die für etwas Speck auf den Rippen durchaus anfällig war. Sie ging jeden Tag drei Meilen zu Fuß und aß gesund. Dennoch … Shit Happens. Meine Tante Eileen war bei einem Herzinfarkt tot umgefallen, gerade mal einen Monat vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Dabei war sie jeden Tag zwei Meilen gelaufen, viermal pro Woche ins Fitnessstudio gegangen und hatte sich immer streng fettarm ernährt. Und doch passiert es immer wieder. Mein Onkel Rich hatte sie bis jetzt um zwanzig Jahre überlebt – ein Mann mit einem dicken, runden Bauch, der täglich zwei Päckchen rauchte, jeden Abend ein Sixpack vernichtete und an einem Tag mehr rotes Fleisch vertilgte als die meisten anderen in einer Woche. Typen wie der machen die Ärzte fix und fertig, aber manchmal sind es einfach die Gene. Du wirst ein langes Leben haben, wenn du dafür bestimmt bist, ein langes Leben zu haben. Wenn die Menschen in deiner Familie jung sterben, dann wirst du das wahrscheinlich auch.

Wie auch immer, dieser ganze Mist ging mir durch den Kopf, während ich Kathy suchte. Im Keller war sie nicht, also stieg ich die Treppe wieder nach oben und sah im Esszimmer nach. Genau in diesem Moment hörte ich ein klopfendes Geräusch, das nichts mit dem Sturm zu tun hatte.

Es kam aus der Küche.

Sobald ich dort ankam, roch ich den Regen. Was nicht allzu überraschend war, denn die Hintertür stand weit offen, und die Fliegengittertür schlug gefangen im Wind wieder und wieder gegen die Außenwand. Der kleine Hebel, mit dem sie an der Hintertür befestigt gewesen war, war aus der Halterung gerissen. Ich schaltete das Licht an, stand einfach nur da und versuchte, eins und eins zusammenzählen. Der Wind mochte die leichte Fliegengittertür aufgerissen haben, aber ganz sicher nicht die schwere Innentür. Nein, sie stand offen, weil jemand sie offengelassen hatte. Kathy musste zuletzt hier gewesen sein, um die Fenster zu schließen, und dann war sie nach draußen gegangen.

Ich stand in der Tür, der Regen prasselte in mein Gesicht, und ich rief ihren Namen.

Es kam keine Antwort. Wahrscheinlich hätte ich sie bei dem Tumult, den der Sturm veranstaltete, nicht einmal gehört. Die Blitze zuckten, und ich musste die Augen gegen das grelle Licht zusammenkneifen, während der Wind versuchte, mich in die Nacht hinauszuziehen. Irgendwann musste ich da rausgehen, so viel war klar. Ich fischte eine Taschenlampe aus einer Schublade voller Gerümpel, warf einen Mantel über und stieg in ein Paar Arbeitsstiefel.

Ich war gerade bis zur Tür gekommen, als ich etwas sah, das sich bewegte.

Aus dem Augenwinkel hatte ich es erspäht, etwas Schlangenartiges und Glänzendes. Es bewegte sich rasch und schlängelte sich in die Büsche. Gut hatte ich es in der Dunkelheit nicht sehen können, aber es sah verdammt noch mal sehr nach einer riesigen Schlange aus. Ich erstarrte in der Tür. Bei uns in der Stadt gibt es keine großen Schlangen. Draußen, auf dem Land, bekam man vielleicht von Zeit zu Zeit eine fette Rattenschlange zu sehen, aber nicht in der Stadt. Hier hatte es nie mehr Schlangen gegeben, als ab und zu eine kleine Strumpfbandnatter auf einem unbebauten Grundstück. Und das, was ich gesehen hatte, war ganz und gar keine Strumpfbandnatter … ich hatte nur einen kurzen Blick darauf erhaschen können, aber was auch immer es war, es war dicker als mein Arm und dazu schwarz, ölig schwarz.

Ich war sicher, dass ich es gesehen hatte.

Aber als ich dort stand und die Taschenlampe hin und her schwenkte, war überhaupt nichts zu sehen. Ich rief noch ein paar Mal nach Kathy, ging dann in den Sturm hinaus und redete mir zu, dass ich hier gerade alles Mögliche gesehen hatte, aber keine riesige Schlange.

Dann gingen die Lichter aus.

 

Kapitel 4

 

So, wie der Sturm tobte, hatte das früher oder später passieren müssen. Ich war eher überrascht, dass der Strom nicht schon längst weg war. Als die Straßenlampen erloschen, wurde das Haus dunkel, ebenso das ganze Viertel. Es ist erstaunlich, wie schwarz die Welt in der Nacht ohne elektrisches Licht sein kann. Ich ging in den Garten und ließ den Schein der Taschenlampe umherwandern, während der Regen kaltes Wasser in mein Gesicht sprühte. Dann begann es wieder zu blitzen, und ich musste die Hand vor die Augen halten.

Mochte Kathy auch hier draußen gewesen sein, jetzt war sie weg.

Ich sah sogar an den Rändern des Gartens nach, suchte sie neben dem Haus und stocherte in den Büschen herum, in denen ich die schlangenartige Gestalt hatte verschwinden sehen. Das kostete Nerven. Aber an diesem Punkt war aus meiner Panik nackte Angst geworden, und ich war ziemlich sicher, dass Kathy etwas zugestoßen war. Vermutlich hatte sie etwas gehört oder gesehen und war nach draußen gegangen. Vielleicht war sie immer noch hier draußen, möglicherweise irgendwo auf dem Boden.

Wieder und wieder rief ich ihren Namen. Ich bekam keine Antwort.

Was macht man in einer solchen Situation? Die Nachbarn wecken? Die Cops rufen? Ich entschied mich dafür, beides zu tun. Aber zuerst musste ich verdammt noch mal sicher sein, dass sie nicht im Haus war. Tropfnass ging ich wieder nach drinnen und sah noch einmal überall nach. Sie war nicht da. Okay. Ich ging wieder nach draußen und sah in der Garage nach. Vielleicht hatte sie sich verletzt und war hineingekrochen, um dem Sturm zu entkommen. Unwahrscheinlich wie Vanilleeis in der Hölle, aber ich dachte, es wäre einen Versuch wert. Die Tür stand auf, und ich ging hinein und leuchtete den Raum mit der Taschenlampe aus. Es gab nicht viel zu sehen. Ihr neuer Dodge Charger stand noch da. Ich ließ das Licht über den Rasenmäher wandern, die abgedeckte Schneefräse, meine Werkbank und meine Werkzeuge, die Schaufeln und Rechen und Hacken, die an ihren Haken an der Wand hingen. Das war’s. Ich sah sogar unter dem Auto nach und fühlte mich dabei mehr als nur ein bisschen dümmlich.

Nichts.