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Zum Buch

Luis Raffeiner wuchs in Karthaus im Südtiroler Schnalstal in der Zeit des Faschismus auf. Ende 1939 optierte der damals 22-Jährige für Deutschland und wurde in die Wehrmacht überstellt. Als Panzerwart einer Sturmgeschützabteilung zog er 1941 in den Krieg gegen Russland. Dort erlebte er, wie er selbst sagt, „Krieg in seiner brutalen und grausamen Wirklichkeit“. Eindrücke davon hielt er mit seiner Fotokamera fest, Jahrzehnte später erzählte er sie einer jungen Bekannten. Anschaulich und prägnant schildert Raffeiner Kindheit und Jugendzeit und vor allem die dramatischen Kriegserlebnisse. Dabei bricht er mit dem Mythos der sauberen Wehrmacht und nennt die deutschen Unrechtstaten beim Namen, zum Teil auch solche, an denen er selbst beteiligt war. Der Vernichtungskrieg an der Ostfront ließ ihn gleichzeitig zu Opfer und Täter werden. Seine Erinnerungen sind keine üblichen Landsergeschichten, sondern der Beitrag eines einfachen Mannes, die Schrecken des Krieges und sein Bemühen um Anständigkeit darzustellen.

Luis Raffeiner

Wir waren keine Menschen mehr

Erinnerungen eines Wehrmachtssoldaten an die Ostfront

Aufgezeichnet von Luise Ruatti
Bearbeitet von Thomas Hanifle
Mit einem Nachwort von Hannes Heer

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Inhalt

Thomas Hanifle: Vom Krieg erzählen

Klosterzelle Nummer 10

Ein Brand und seine Folgen

Faschistische Schikanen

Jugendlicher Übermut

Deutschland klang vielversprechender

Schönen Gruß vom Gauleiter Hofer

Ausbildung zum Panzerwart

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Im Judenghetto

Krieg kennt keine Gnade

Ende einer Freundschaft

Angriff auf Stalingrad

Ruhe vor dem Sturm

„Renn, Raffeiner, der Krieg ist aus“

„Die Toten tun uns nichts“

Reise in die Gefangenschaft

Kampf ums Überleben

Ein Versuchslazarett?

Endlich frei

Mein neues Leben

Hannes Heer: „Zeige deine Wunde“

Vom Krieg erzählen

Ein makaberes Schauspiel: Zwei russische Männer und eine Frau baumeln am Galgen auf dem Hauptplatz des russischen Ortes Maloarchangelsk. Um den Hals haben ihnen Männer der deutschen Wehrmacht ein Schild gehängt, auf dem in Russisch steht: „So enden Partisanen“. So geschehen im März 1942, mit der Kamera festgehalten von Luis Raffeiner. Das Fotografieren solcher Szenen war zwar vom NS-Regime streng untersagt worden, dennoch fühlten sich viele der deutschen Fotografen in Uniform von den Gräueltaten in diesem Vernichtungskrieg gegen Russland wie magisch angezogen. Streng kontrolliert dürften die Soldaten dabei ohnehin nicht geworden sein. Das legen auch Fotoausstellungen in Deutschland der jüngsten Vergangenheit nahe, die auf ebensolche Knipserfotos von ehemaligen Soldaten zurückgreifen, die bis vor Kurzem auf Dachböden oder in Rumpelkammern verstaubten.

Luis Raffeiner hatte jedenfalls keine Probleme, die Filmrollen und die mit Kameraden getauschten oder von Offizieren erhaltenen Fotos sicher nach Hause zu schaffen. Wie einen Schatz hat er das Fotomaterial und andere Andenken von Option und Krieg in einer kleinen Schachtel durch die Jahrzehnte hindurch gehütet. Die Fotografien unterscheiden sich nicht von dem, was man aus derartigen Alben kennt. Als Motiv überwiegt der „touristische“ Blick auf den Krieg: Es sind Schnappschüsse von Kameraden, Landschaften, der russischen Zivilbevölkerung oder Baumonumenten in den besetzten Gebieten, die den Krieg als ungefährlichen Ausflug erscheinen lassen und deshalb vom NS-Regime explizit gutgeheißen wurden. Sie sollten die Verbindung zwischen Heimat und Front herstellen und so entscheidend die Moral stärken, so das Kalkül der NS-Propaganda. Bilder von Verbrechen fehlen zum großen Teil in der Sammlung von Raffeiner. Auch jene Aufnahme der Gehängten von Maloarchangelsk, von denen Raffeiner sicher ist, sie fotografiert zu haben. Was war passiert? Einige Filmrollen hatte Luis Raffeiner bereits während des Krieges entwickeln lassen: Meist hatte er Kameraden damit beauftragt, die in deutschen Städten gerade auf Heimaturlaub waren. Rund zwölf Filmrollen jedoch, Raffeiner rechnet mit über 200 Fotos, hatte er nach dem Krieg seinem Cousin anvertraut, von dem er auch die Fotokamera und den Auftrag erhalten hatte, Eindrücke vom Krieg festzuhalten. Zurückbekommen hat er nur einen Teil davon, und das erst nach dem Tod des überzeugten Nazis. „Das sind aber nur mehr die harmlosen Fotos“, ist Raffeiner überzeugt, der davon ausgeht, dass sein Cousin die restlichen Fotos vernichtet hat.

Die Erinnerungen an das Erlebte konnte er ihm damit nicht nehmen, diese haben sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Immer wieder erzählte er davon nach der Kriegsheimkehr seiner Familie und episodenhaft auch Bekannten und Freunden. Zumindest jene Teile, von denen er anderen Menschen berichten wollte und konnte. Noch heute flüchtet er sich beim Erzählen in ein „Das könnt ihr euch nicht vorstellen“, wenn er Bilder vor Augen hat und diese nicht in Worte fassen kann. Oder er fällt beim Erzählen in die Rolle des nicht unmittelbar beteiligten Beobachters. Aus Hinweisen und Andeutungen erahnt man aber, wie nah Raffeiner auch am brutalen Kriegsgeschehen drangewesen sein muss, auch wenn ihn nach fast 70 Jahren sein Erinnerungsvermögen manchmal im Stich lässt. Mit dem Erzählen vom Krieg versucht Luis Raffeiner bis heute, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Gerade in der Nachkriegszeit wollte davon aber kaum jemand hören: Alle waren froh, dass der Krieg aus war. Raffeiner konzentrierte sich auf sein neues Leben.

Jahrzehnte später folgten zwei Schlüsselerlebnisse: 1989 besuchte Raffeiner in Bozen die Optionsausstellung, die selbstkritisch und erstmals im offiziellen Rahmen die Südtiroler Option von 1939, entweder im italienischen Südtirol zu bleiben oder ins Deutsche Reich auszuwandern, hinterfragte. Dabei wurde auch auf den „hausgemachten“ Südtiroler Nationalsozialismus und auf die unrühmliche Rolle vieler Deutschland-Optanten, etwa die Schikanen und Hetze gegen die Dableiber, eingegangen. Raffeiner fand seine Geschichte in der Ausstellung nicht wieder, seine damaligen Motive für die Option für Deutschland zu wenig thematisiert. Als er Jahre später von der Absicht erfuhr, die Erinnerungen des Dableibers Franz Thaler in einer Oper zu verarbeiten, stieß das auf sein Unverständnis. Thaler hatte sich durch die Flucht in die Berge dem Kriegseinsatz für Hitler-Deutschland entzogen, war dann verhaftet und schließlich ins KZ von Dachau deportiert worden. Bis in die 1980er-Jahre galten die wenigen Südtiroler, die Nein zum NS-Staat sagten, in der öffentlichen Meinung als Drückeberger. Erst nach Erscheinen der Erinnerungen Thalers in Buchform und der öffentlich geführten Diskussion darüber widerfuhr dem Kriegsverweigerer eine moralische Rehabilitierung, ja er wurde zur Symbolfigur des Widerstandes. Raffeiner fühlte sich wiederum vergessen. Thalers Leidensweg und vor allem die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, rückten sein eigenes Schicksal noch weiter in den Hintergrund. Er las Thalers Lebensgeschichte als sein Gegenstück: hier Dableiber, dort Optant, hier Deserteur, dort Kriegsteilnehmer, hier Antifaschist, dort Nazi, hier Held – und was war er? Im Krieg und dann vor allem in der Gefangenschaft hatte er auch viel mitgemacht. Und mit Hitler hatte er doch nie etwas am Hut gehabt. Sein Leidensweg sollte in der Geschichte auch seinen Platz haben, so das Ansinnen von Raffeiner.

In dieser Zeit breitete er seine Lebensgeschichte der jungen Naturnserin Luise Ruatti aus, die beiden kannten sich vom gemeinsamen Engagement beim örtlichen Theaterverein. Ruatti war beeindruckt. Vor allem wurde ihr bewusst, wie wenig sie und viele ihrer Generation von diesem Teil der (Südtiroler) Geschichte wussten. So kam sie vor knapp 15 Jahren auf die Idee, Raffeiners Leben für die Nachwelt aufzuzeichnen. Zwei Tage lang verschanzten sich beide in dem engen, dunklen Raum des lokalen Pfarrsenders „Sankt-Zeno-Funk“: Raffeiner erzählte, Ruatti zeichnete auf Tonband auf und brachte nach und nach seine Lebenserinnerungen zu Papier, aus denen nun in überarbeiteter Form das vorliegende Buch entstanden ist. Das Resultat: ein wichtiges Dokument für die Zeitgeschichte, das Nachahmer verdient, zumal die Kriegsgenera tion langsam ausstirbt. In jedem Dorf leben Zeitzeugen, die noch viel zu erzäh len haben – und auf deren Dachböden sich vielleicht Bilddokumente befinden, die ihre ganz eigene Geschichte erzählen.

Für das vorliegende Buchprojekt konnte zudem der Hamburger Historiker Hannes Heer gewonnen werden, der als Leiter der Ausstellung „Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in Deutschland 1995 für Aufsehen gesorgt hatte. Nach der Lektüre des Manuskripts hatte sich Heer bereit erklärt, eine historische Einordnung dieser Lebenserinnerungen vorzunehmen – nicht aber ohne vorher mit dem Protagonisten selbst gesprochen zu haben. Zwei Tage lang saß er mit dem mittlerweile 93-jährigen Raffeiner zusammen, rekonstruierte mit ihm die Einsatzroute seiner Einheit, hinterfragte Unstimmigkeiten und konfrontierte ihn mit Schreckensbildern dieses unmenschlichen Krieges. Sein Fazit: Raffeiner war kein Heiliger, weil ihn dieser Vernichtungskrieg gleichzeitig zu Opfer und Täter werden ließen. „Aber trotz allem ist er anständig geblieben und er hat nach dem Krieg den Mut gehabt, von den Verbrechen Zeugnis abzulegen, die er gesehen hat“, so Heer zu einem von Raffeiners Söhnen im Anschluss an das Treffen. Seinen Platz in der Geschichte hat Luis Raffeiner damit gefunden.

Thomas Hanifle

Naturns, Juni 2010

Klosterzelle Nummer 10

Geboren bin ich in der Klosterzelle Nummer 10 in Karthaus im Schnalstal, einem Seitental des Vinschgaus. In einer Klosterzelle deshalb, weil das Dorf innerhalb der Mauern des Kartäuserklosters Allerengelberg entstanden war. Vier Jahrhunderte lang, bis Ende des 18. Jahrhunderts, hatten hier in zwölf Zellenhäusern die frommen Kartäusermönche gelebt. Karthaus wird deshalb noch heute im Volksmund als „Kloster“ bezeichnet.

Mein Vater hieß Josef Raffeiner und war ein Sohn vom Oberleithof aus Vernagt bei Unser Frau im hinteren Schnalstal. Von einem Vetter erbte er besagte „Paterzelle“ in Karthaus und die am Bach unterhalb des Dorfes befindliche kleine Klostermühle. Somit wurde er zum neuen „Klostermüller“ und durfte sich glücklich schätzen, denn wer nichts besaß, dem blieb nichts anderes übrig, als Tagelöhnerdienste zu verrichten. Außerdem durfte man vonseiten der Kirche nicht heiraten, wenn man nicht eine Familie ernähren konnte. Vater übernahm also Häuschen und Mühle und fragte Aloisia Kofler vom Mühlhof in Katharinaberg, ob sie seine Frau werden wollte. Am 1. April 1912 fand daraufhin in Karthaus die Hochzeit statt.

In der Folge schenkte meine Mutter insgesamt sechs Kindern das Leben: Josef im Jahr 1913, Anton kam im Jahr darauf zur Welt. 1915 wurde Maria geboren. Der 23. Juli 1917 war jener Tag, an dem ich das Licht der Welt erblickte. Im Sommer 1919, dem Jahr der offiziellen Angliederung Südtirols an Italien, bekam unsere Mutter schließlich die Zwillinge Luise und Peter. Besonders hell leuchtete aber unser aller Licht nicht. Damit meine ich nicht die Tatsache, dass es keine Elektrizität, sondern nur Petroleumlampen gab, in unserem Falle die besonders sparsamen Salzburgerlampen. Es herrschte „Minimalismus“ in jeder Hinsicht, beim Essen, bei der Bekleidung und erst recht beim Geld. Da half es auch nichts, dass mein Vater nicht in den Ersten Weltkrieg ziehen musste, weil er als einziger Müller für das Dorf unentbehrlich war. Unsere kleine Mühle brachte leider nicht viel ein. Es reichte für die achtköpfige Familie kaum zum Leben. Die Leute ließen ihr Getreide mahlen, und oft wurde die Arbeit nur mit einem Vergelt’s Gott abgetan, weil sie selbst wenig besaßen.

In Karthaus gab es nur einen Großbauern, den Sennhofer, der selbst Getreide anbaute. Sein Hof steht majestätisch oberhalb des Dorfes mit einer Aussicht weit ins Tal hinein. Mit Kühen wurde früher sein Getreideacker umgefahren. Der Randstreifen des Ackers diente den Kühen zum Wenden. Diesen Streifen, die sogenannte „Onawond“, bekam mein Vater zum Mähen in Pacht. Als Gegenleistung musste er Sennhofers Getreide mahlen. Mehr oder weniger lebten die Leute von solchen Tauschgeschäften.

Weil meine Eltern nicht einmal so viel Grund besaßen, dass das Futter für eine Kuh reichte, mussten sie das Heu teils weit her mit der Kraxe auf dem Rücken nach Hause tragen. Sogar vom Vorderkaser, einem Hof im seitlich gelegenen Pfossental, holten sie das Futter. Der gesamte Aufwand, um ein paar wenige Haustiere zu versorgen, war enorm.

Meine Eltern besaßen eine Kuh, zwei Ziegen, wenige Hühner, ein Schwein und außer dem Garten hinter dem Haus, der schon den Mönchen gedient hatte, noch ein ganz kleines, buckliges Grundstück am Waldsaum oberhalb des Sennhofes. Dort oben auf steilem Gelände weideten unsere beiden Ziegen. Untergebracht waren unsere Tiere dagegen in einem Stall am Dorfplatz. Der dazugehörige Misthaufen war zwar keine Zierde für den Dorfplatz und störte wohl den einen oder anderen, aber er war nicht der einzige.

Den Mist verwendeten wir als Dünger für Wiese und Garten: Meine Mutter pflanzte dort vorwiegend Saubohnen, Kohl und Kartoffeln an. Da Karthaus auf über 1.300 Metern liegt, wuchs nicht viel. Und Gemüse wie Tomaten kannte man damals noch gar nicht. Die Kohlpflanzen holte meine Mutter von Platthüttl, einem Hof, der zwischen Karthaus und Neuratheis liegt. Damals wuchs dieses Gemüse viel höher als heute und hatte nur einen sehr kleinen Kopf. Jede Familie besaß ein Krautfass, in dem man Kohl sowie Rüben als Sauerkraut für den Winter einlagerte. Zum armseligen Inventar eines jeden Haushalts gehörte außerdem eine „Stinkölbundel“, eine Art Behälter, in dem man sich im einzigen Laden im Dorf das Petroleum für die Lampe abfüllen ließ.

Das Brot wurde beim Bäcker gekauft, denn nur die Bauern hatten einen eigenen Ofen zum Selberbacken. Das Getreide, also Gerste, Hafer und Roggen, verwertete meine Mutter zu Suppen oder auch Mus, einem nahrhaften Brei aus Milch und Mehl. Zu den Mahlzeiten morgens und abends gab es abwechselnd Mus oder eine recht dünne Brennsuppe: Weil sie so dünn war, nannten wir sie „Wosserschnoll“. Mittags gab es entweder Kartoffeln, Polenta, Knödel oder Gerstsuppe. Gegessen wurde üblicherweise aus einer Pfanne, die in die Mitte des Tisches gestellt wurde und aus der jeder nach einem Gebet herauslöffelte.

Kurz vor Weihnachten wurde das Schwein geschlachtet. Der Hauptanteil davon wurde „geselcht“, also geräuchert, und auf diese Weise haltbar gemacht. Den Winter hindurch gab es dann meistens Kraut und etwas Fleisch, nur zu Weihnachten sogar in Schweinefett gebackene, mit Kastanien gefüllte Krapfen. Leider waren die Portionen für die ganze Familie immer viel zu spärlich. Im Juli oder August war es dann aus mit dem letzten Speck, und wir mussten uns auf das nächste Weihnachten vertrösten.

Meine Mutter hatte es wie alle anderen Frauen damals nicht leicht. Sechs Kinder aufziehen, den Garten pflegen, die Tiere versorgen und von Hand die schmutzige Kleidung waschen. Die wenige Kleidung, die man damals besaß, musste dann auch noch ständig geflickt werden, damit sie die jüngeren Geschwister weiterverwenden konnten. Nur sonntags durfte nicht geflickt werden. Ein Spruch für Frauen und Mädchen lautete nämlich: „Sonntagsstiche brennen dich!“ Damit war das Feuer in der Hölle gemeint. Der Sonntag hatte große Bedeutung, galt als heilig, und die Kirche hatte allgemein großen Einfluss auf das Leben der Menschen. Nach jeder Geburt musste meine Mutter in die Kirche zur Aussegnung, da Frauen durch die Geburt als unrein galten. Bereits vor der Kirchentür begann der Priester mit dem aufwendigen Ritual, das der Frau wieder zu ihrem Reinheitsstatus verhalf.

Am Sonntag trafen sich die Männer nach der Messe im Wirtshaus. Davon gab es zwei im Dorf: den Rosenwirt und den Kreuzwirt. Mein Vater war kein großer Gasthausgeher und machte sich auch nicht viel aus Politik, über die dort gern gepoltert wurde. Er hielt sich häufig auch dann noch mit seinen Meinungen zurück, als sich der italienische Faschismus mit all seinen Folgen nach und nach im Tal und auch in Karthaus einnistete. Er ging den vorgeschriebenen Sonntagspflichten nach, und werktags arbeitete er in der Mühle. Als 1923 neben unserer Mühle ein kleines Elektrizitätswerk für die Stromversorgung des Dorfes gebaut wurde, übernahm mein Vater dessen Betreuung. Er war froh über den wenn auch geringen Zuerwerb. Seine Erziehungsmethode war wie jene meiner Mutter schlicht und effizient: „Wer nicht pariert, kriegt nichts zu essen!“ Das half meistens.

Natürlich hatten wir Kinder auch unsere Pflichten. Neben der Fütterung der Hühner waren wir für das Kleinholz zuständig. Das war eine mühsame Arbeit: Immer wieder mussten wir in den Wald hinauf, der Weg war weit und steil. Das wenige Holz, das man heimtrug, war schnell wieder verbraucht. Ab und zu nahmen wir auch „Haislstreib“ mit. Diese abgefallenen Nadeln der Waldbäume benötigte man als Streu für das Plumpsklo.

Zum Spielen trafen wir Kinder uns vor allem auf dem Dorfplatz. Fangen und Versteckspiele, Neckereien, aber auch Raufereien, waren dann angesagt. Am liebsten war ich mit Bernhard Grüner zusammen, manchmal spielte auch seine Schwester Marianne mit. Dass diese Freundschaft zu Bernhard einmal tragisch enden würde, konnte ich als Kind nicht ahnen.

Ein Brand und seine Folgen

Am 21. November 1924 kam es in Karthaus zu einer verheerenden Katastrophe. Es war so gegen 22.30 Uhr, ich lag schon in tiefem Schlummer auf meinem Strohsack, als ich mit den Worten „Auf, auf, es brennt!“ aus meinen Träumen gerissen wurde. Ich begriff überhaupt nicht, was los war. Schlaftrunken taumelte ich aus dem Bett. Meine Schwester Maria half mir in meine Kleidung. Hektische Anweisungen wurden hin und her gerufen, treppauf, treppab eilig die allernotwendigsten Sachen zusammengerafft. Ich stand da, wurde beiseitegeschubst, weil ich im Weg stand. Plötzlich drückte Maria auch mir etwas unter den Arm, und schon wurde ich mit meinen anderen Geschwistern zur Tür hinausgescheucht. Draußen hörte ich aufgeregte Stimmen, Gebrüll von Tieren, Laufschritte auf den Steinen des Klosterganges und Hundegebell. Laternenlichter schwirrten umher, es herrschte ein wirres Durcheinander. Zum Schauen blieb keine Zeit. Inzwischen hatte auch ich begriffen, was los war. Zusammen mit den anderen Kindern wurde ich außerhalb der Klostermauer gebracht. Vater hatte uns unterhalb des Dorfes, wo die Mauer am höchsten war, einen Platz angewiesen. Nachdem er die Kuh aus dem Stall geholt hatte, eilte er zurück, um das Schwein zu retten. Als er beim Stall ankam, hatten die Dachbalken bereits Feuer gefangen, so erzählte er uns später. Ein italienischer Finanzbeamter wollte ihn daran hindern, das Schwein zu holen. Mein Vater schubste den Mann aber unsanft beiseite und rettete unser Schwein aus dem brennenden Verschlag.

Ich wartete mit der Mutter und den Geschwistern inzwischen unterhalb des Dorfes. Die hohe Mauer, die uns schützte, versperrte uns zugleich den Blick auf das Geschehen. Man sah nur den Schein des Feuers, der die Nacht erleuchtete. Stimmenfetzen, Prasseln und Knacken trug der Wind zu uns herunter, Funken schwebten ins Tal, und Brandgeruch schwängerte die Luft. Plötzlich schoss es mir in den Kopf und ließ mir keine Ruhe: Ich musste unbedingt wissen, ob unser Haus auch brannte. Während Mutter mit den kleineren Geschwistern beschäftigt war, eilte ich unterhalb der Mauer entlang, bis ich zu der Stelle kam, wo die Mauer unterbrochen war. Von hier aus sah ich die Flammen, die aus den Häusern loderten. Und tatsächlich: Unser Haus brannte. Ich atmete auf. „Gott sei Dank, es brannte!“ Es gab da nämlich eine Sache, die seit geraumer Zeit schwer auf mein Kindergemüt drückte. Vater besaß nämlich eine silberne Taschenuhr, ein schönes Erbstück, das er nur zu ganz besonderen Anlässen trug. Sie musste ihm sehr wertvoll gewesen sein, denn er hatte uns unter strengster Strafandrohung verboten, diese Uhr anzufassen. Ich war aber ein wissbegieriger Lausbub, und meine Neugier war einfach stärker als die Vernunft. An einem günstigen Tag unterzog ich die Uhr mit meinem Taschenmesser einer gründlichen Inspektion. Mit der Spitze der kleinen Klinge schraubte ich die winzigen Schräubchen heraus. Die Zahnräder waren so dünn und filigran: Dieses technische Wunderwerk faszinierte mich. So zerlegte ich die ganze Uhr mit der Absicht, sie wieder ordnungsgemäß zusammenzusetzen. Leider war mein ehrliches Bemühen nicht von Erfolg gekrönt. Meine Ohren glühten, als ich nach vergeblicher Anstrengung das demontierte Corpus Delicti in die Schatulle meines Vaters zurücklegte. Seit dieser Stunde quälte mich mein Gewissen und noch mehr die Angst vor der Strafe. Deshalb war ich sehr erleichtert, als ich die Flammen sah, denn sie tilgten die Spuren meiner Tat. Das war meine persönliche, kindliche Perspektive dieses dramatischen Ereignisses. Der eigentlichen Tragweite der Flammen war ich mir nicht bewusst. Noch nicht.

Zurück bei meiner Familie verbrachten wir die Nacht an Ort und Stelle im Freien. Es waren die letzten Stunden des gemeinsamen Zusammenseins. Der Brand hatte in dieser Nacht eine verheerende Katastrophe angerichtet: Das ganze Dorf brannte bis auf wenige Häuser ab, auch die Kirche wurde ein Raub der Flammen. Viele Tiere konnten nicht gerettet werden und kamen erbärmlich in der Feuerhölle um. Zwei ältere Menschen fanden im Feuer den Tod, ein weiterer starb einige Tage später an den Folgen des Brandes. Bis heute konnte die Ursache des Feuers nicht restlos geklärt werden. Obdachlos und der wenigen Habseligkeiten beraubt, waren viele Familien der Verzweiflung nahe. Viele hatten Verwandte, die fürs Erste eine Unterkunft anboten, aber dennoch wurden die meisten Familien zerrissen.

In unserem Falle kamen die beiden jüngsten Geschwister Luise und Peter gemeinsam mit den Eltern armselig in der kleinen Mühle unterhalb des Dorfes unter. In der Mühle gab es nur einen kleinen abgeschlossenen Raum, das „Mühlstübele“. In diesem sauber getäfelten Raum schlief meine Mutter mit den Zwillingen. Die Milchzentrifuge passte gerade noch zwischen Schlafplatz und Wand hinein. Vater machte sich beim Treppenaufgang einen Verschlag, in dem er schlafen konnte. In unser Haus kehrten wir leider nie wieder zurück, da unserer Familie zur Sanierung die Mittel fehlten. Nach dem Brand richtete mein Vater den Stall wieder her, und die Mutter ging 17 Jahre lang dreimal am Tag ins Dorf hinauf, um die Tiere zu versorgen.

Wir anderen Kinder bekamen bei verschiedenen Bauern im Tal ein Obdach. Josef, der Älteste, kam auf Gorf, Anton auf Oberörl bei der Familie Spechtenhauser unter. Maria wurde im Elternhaus meiner Mutter, beim Mühlnhof in Katharinaberg, aufgenommen. Mich brachte meine Mutter am Tag nach der Katastrophe auch im benachbarten Dorf Katharinaberg unter, auf dem Mittereggerhof. Ich war sieben Jahre alt und erinnere mich noch gut daran, wie sie mich dorthin brachte und kurz darauf ohne Abschied verschwand. Nun begann eine schlimme Zeit für mich: Die Bauersleute taten mir nichts zuleide, doch lebte ein Knecht auf dem Hof, der mir das Leben zur Hölle machte. Gleich zu Beginn gab er mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich ihm zu „folgen“, also zu gehorchen hatte. Ich war vollkommen eingeschüchtert, und seine Überlegenheit bekam mein hagerer Körper nur allzu oft zu spüren.

Ich musste mit ihm täglich in den Stall gehen und die Schafe versorgen. Dort packte er mich und schmiss mich wie ein Tier von einer Schafskrippe in die andere. Außerdem hatte er bemerkt, dass mir leicht schwindelte. Nun musste ich am Sonntag mit ihm zur Messe gehen, und der Kirchweg von Mitteregg nach Katharinaberg führte ausgerechnet über eine besonders schmale, für mein Verständnis sehr hohe, wackelige Brücke. In der Mitte der Brücke packte er mich und hielt mich übers Brückengeländer. Wie mir dabei zumute war, lässt sich kaum beschreiben. Zum Glück hielt ich die Augen geschlossen.

Jeder Tag war ein Albtraum: Wann immer ihm danach war, packte er mich, stieß mich herum oder schlug mich. Und immer wieder bekam ich die Androhung zu hören: „Wehe, wenn du jemandem davon erzählst, dann geht es dir noch schlechter!“

Wie gerne hätte ich meiner Schwester mein Leid anvertraut. Sie war beim Bauern unterhalb des Mittereggers, beim Mühlnhof, untergebracht. Wenn ich sie auf dem Schulweg sah, fing ich oft zu weinen an. Ich ging ihr sogar aus dem Weg, damit ich nicht in Versuchung kam, ihr meinen Kummer mitzuteilen. So eingeschüchtert war ich. Zutiefst in meiner Kinderseele fühlte ich mich von aller Welt verlassen. Die Bauersleute waren gut zu mir, sie schienen von meinem Schicksal nichts zu ahnen. Nur ab und zu wunderten sie sich über mein seltsames Benehmen, vor allem beim Essen. Mein Peiniger gönnte mir nicht einmal das. Wenn er mich unter dem Tisch mit seinem Fuß anrempelte, musste ich sofort mit dem Essen aufhören. Dieses Spiel bereitete ihm sichtlich Vergnügen. Kein Wunder, dass ich ständig hungrig war. Das wäre mir an einem Wintertag fast zum Verhängnis geworden.

Im Winter, wenn der Weg verschneit und mühsam war, bekamen wir das Essen zur Schule mit. Wir, das waren die drei Kinder des Bauern und ich. Es gab ein Stückchen Speck und die Hälfte eines harten „Paarlbrotes“. Es reichte kaum für alle vier, und meistens kam ich hierbei zu kurz. Auch dieses Mal war ich leer ausgegangen. Da fielen mir jene Kinder ein, die ich im Herbst Pech kauend am Rande des Waldes gesehen hatte. Das schien mir der rettende Gedanke zu sein. Ich lief hinauf zur Kirche. Oberhalb des Untermoarhofes stand eine „Holzplum“, ein großer Holzstapel aus Lärchenstämmen. Da fand ich genügend Pech. Ich griff mir eine kleine Menge dieser zähflüssigen Masse und fing gierig an daran zu kauen. Leider wusste ich nicht, dass nur das Naturharz von Fichtenbäumen genießbar war. Schon nach kürzester Zeit klebte mir Lärchenpech im ganzen Rachen, und ich bekam keine Luft mehr. Ich krümmte mich, weinte und gestikulierte in Todesangst. Zu meinem Glück wurden die Frauen vom Untermoarhof auf mich aufmerksam. Als ich auf ihr Rufen keine Antwort gab, eilten sie mir sofort zu Hilfe. Sie säuberten meinen Mund und retteten mich aus der Erstickungsgefahr.

Ich spürte das Mitleid dieser Frauen: Sie ahnten, dass es mir nicht gut ging. Die Mesnerin, die beim Müller wohnte, lud mich deshalb ab und zu ins Haus ein. Meistens am Samstag, denn da brachte der Bäcker ihr das Brot. Wenn er vorbeiging, roch es verführerisch, und die Spitzen der Wecken schauten verlockend oben aus seinem Korb heraus. Wenn die Mesnerin die Wecken dann für den Sonntag in Scheiben schnitt, fielen immer ein paar Brotkrumen ab, die ich aufessen durfte. Doch nicht alle auf einmal, weil sie Angst hatte, ich könnte in meiner Gier daran ersticken. Manchmal steckte sie mir auch ein Stück Brot zu.

Der erste Winter fernab von daheim ging vorüber. Meine Eltern hatten mich nie besucht. Sie glaubten wohl, es wäre besser so für mich. Bis auf einen Sonntag im Frühling. Wie immer war ich mit meinem Peiniger zur Messe gegangen. Auf dem Heimweg kamen wir an eine Stelle, die man einst das „Protzegg“ nannte. Von hier sah man nach Katharinaberg hinüber, und hinter einer Biegung kam man durch das Tal zum Mittereggerhof. Hier glaubte sich der Knecht sicher, denn er trieb wieder einmal sein grausames Spiel mit mir. Wie einen Hund ließ er mich herum, prügelte auf mich ein und ohrfeigte mich. Da ertönte aus dem Wald eine resolute Stimme: „Jetzt haben wir genug gesehen, das werden wir daheim der Mutter erzählen!“ Daraufhin ließ der Knecht sofort von mir ab.

Am nächsten Tag kam tatsächlich meine Mutter und holte mich. Abgemagert, verwahrlost und zutiefst eingeschüchtert fand sie mich vor. In der notdürftig eingerichteten Mühle war kein Platz, deshalb brachte die Mutter mich noch am selben Tag zu einem anderen Bauern, nach Obervernagt auf den Raffeinhof. Da lebten herzensgute Leute, selbst kinderlos, die sich meiner sogleich erbarmten und mich mit nahrhaften Speisen aufzupäppeln begannen. Mein Körper war das üppige Essen aber nicht gewohnt und rebellierte. Ich war geplagt von fürchterlichem Durchfall und ständigem Erbrechen. Die Bauersleute befürchteten sogar, dass ich am Ende noch draufgehen würde. Als mein Zustand nach einer Woche unverändert war, kamen meine Wohltäter in ihrer Verzweiflung zu dem Entschluss, mir noch eine Frist von zwei Tagen zu geben. Ansonsten würden sie mich in einem Korb heim zu meiner Mutter tragen. Das erzählten sie mir freilich erst später, denn ich fing tatsächlich an zu genesen, und es ging mir sichtlich besser. Ich aß mit Appetit und ließ mir Milch und Butter schmecken. Diesen wie auch die weiteren drei Sommer verbrachte ich auf dem Raffeinhof: Es war eine unvergessliche, wunderbare Zeit, für die ich noch heute dankbar bin.

Faschistische Schikanen

Im Herbst 1924 war ich in Karthaus eingeschult worden, doch bald darauf war es zum Brand gekommen. Darauf besuchte ich in Katharinaberg die Volksschule. Als im Herbst 1925 das zweite Schuljahr für mich begann, wohnte ich auf dem Oberniederhof in Unser Frau bei einer Familie nahe der Schule. Am Raffeinhof hatte ich nicht bleiben können, da von dort aus der Weg zur Schule zu weit und zu gefährlich war, weshalb mich meine Eltern eben in Unser Frau unterbrachten. Dort gab es nur eine einzige Klasse, in der alle Altersstufen untergebracht waren. Nun bekamen auch wir Kinder die Folgen des Faschismus zu spüren. Fand der Unterricht in meinem ersten Schuljahr noch in deutscher Sprache statt, war dies ab sofort strengstens verboten. Die deutschsprachigen Lehrer wurden alle durch italienische ersetzt.

Als sich die wirtschaftliche Situation meiner Eltern ein wenig verbessert hatte, kehrte ich nach Karthaus zurück. Das war im Jahr 1926. Nun lebten wir zu fünft auf engstem Raum in der kleinen Mühle. Wir hatten weder Stube noch Küche, aber ich war einfach froh, wieder bei meiner Familie zu sein.

Ich besuchte fortan mit meinen Geschwistern die Schule in Karthaus. Nach der Brandkatastrophe hatte man diese notdürftig im Haus von Peter Grüner eingerichtet. In einem einzigen Raum fanden hier rund 30 Kinder Platz. Unsere Lehrerin war eine ganz junge Italienerin, gerade mal 19 Jahre alt, ihren Namen habe ich vergessen. Sie verstand und sprach kein Wort Deutsch, und wir verstanden kein Wort vom Unterricht.

Viele Erwachsene sagten zu uns Kindern, dass wir uns von der „Walschen“ – so wurden Italiener ja immer bezeichnet – nichts gefallen lassen sollten. Meine Eltern waren in dieser Hinsicht zwar unvoreingenommen und verhielten sich neutral. Dennoch blieben wir davon nicht unbeeinflusst. Die größeren Buben ärgerten die Lehrerin, und wir Kleineren fühlten uns dadurch angespornt. Wir unterstützten sie mit schallendem Gelächter, weil wir uns als Verbündete ihr Lob einheimsten. Einmal ging es sogar so weit, dass ein Freund meines Bruders ein Bolzgewehr mit in die Schule brachte und damit auf die Kreidemännchen auf der Tafel schoss. Wir kreischten vor Begeisterung. Die Lehrerin bekam es mit der Angst zu tun und verschanzte sich hinter dem Pultdeckel, der eine noch verlockendere Zielscheibe bot. Nun wurde auch darauf gezielt. Dann wurde es still im Raum. Man hörte leises Wimmern. Die Lehrerin kauerte hinter dem Pultdeckel, zitterte und weinte. Die Buben waren zu weit gegangen.

Ob es am schlechten Gewissen lag, am Wesen dieses Mädchens oder an irgendwelchen Mahnungen, kann ich nicht sagen. Jedenfalls lockerte sich die Beziehung allmählich. Der Unterricht wurde für beide Parteien erträglicher, häufig wurde er sogar in kreativer Weise ausgeführt. Die Mädchen lernten Handarbeiten, und wir Buben durften schnitzen. Dazu sollten wir außer dem Holz auch ein Taschenmesser mit in die Schule bringen.

Eines Tages kamen einige Männer der faschistischen Miliz, die in Karthaus stationiert war, in unsere Schule, um die Taschenmesser zu kontrollieren. Die Messerschneide durfte nicht länger als drei Finger breit sein. Alles was darüber hinausging, war verboten. Wir Schüler wussten das, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass das eine und andere Messer schnurstracks beim Fenster hinausgeschmissen wurde. Die Faschisten sammelten die Schnitzwerkzeuge auf und zogen die Eltern zur Rechenschaft.

Später, da war ich schon älter, unterrichtete uns ein Lehrer aus Riva am Gardasee, den ich in sehr guter Erinnerung behalten habe. Er wie auch alle anderen unserer italienischen Lehrer versuchten uns Kindern den Beitritt zur Balilla, also zur faschistischen Jugendorganisation, schmackhaft zu machen. Zugegeben, es war verlockend, denn wer wollte nicht ein neues, schönes Hemd besitzen? Aber meinen Vater brauchte ich nicht zu fragen, der hatte ganz andere Sorgen.