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Das Buch

Klaus Scholz könnte Ihr Nachbar sein. Der freundliche, ältere Herr mit dem Cord-Sakko, der höflich grüßt, wenn er die Mülltüten rausträgt. Doch wissen Sie, was er darin aufbewahrt?

Klaus Scholz lebt in einem Frankfurter Einfamilienhaus, ist zwangsweise im Vorruhestand und besucht seine demente Mutter im Pflegeheim. Sein neues Lebensziel: Er will Deutschlands bekanntester Serienmörder werden. Seine Opfer wählt Scholz danach aus, welche ihm die fettesten Schlagzeilen einbringen. Unter dem Pseudonym „Frankfurt Ripper“ bloggt er auf frankfurtripper.wordpress.com im Internet über seine Taten und gewinnt viele Anhänger. Bald zieht sich sein blutiger Pfad durch facebook und Youtube – und es scheint, als mache er vor nichts halt.

Wie wird ein Spießer zum Serienmörder? Was weckt die Bestie hinter der Maske des Biedermanns?

„Frankfurt Ripper“ ist das Psychogramm eines krank gewordenen Geistes und eine Satire auf eine ruhmsüchtige Gesellschaft, die sich mit aller Gewalt an den Rand des Abgrunds twittert.

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Autors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der Frankfurter Neuen Presse. Ebenso ist er als Moderator des Senders Radio Fortuna sowie als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig. Im Sommer 2011 erschien sein erstes Kinderbuch „Mach mich ganz – Fabeln und Gedichte über Glaube, Liebe und Hoffnung.“ Es folgten die gereimten Erzählungen „Wer hat den Wald gebaut?“ und „Wo ist der Tannenbaum?“ und Anfang 2013 Rybickis erster Krimi „Gekreuzigt“ bei mainbook. Weitere Infos über den Autor gibt es auf www.sonnige-sendung.de und www.facebook.com/krimiautor.

Martin Olden

Frankfurt Ripper

Aus dem Leben eines Serienkillers

Thriller

ISBN 9783944124278

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„Wir sind eure Söhne, wir sind eure Männer, wir sind überall.“
Ted Bundy, Serienmörder

„Wir stilisieren diese Verbrecher zu Berühmtheiten hoch.“
James Fox, Kriminologe

1

Frankfurt, 19. April 2013

Tropfen rinnen über die Fensterscheibe des Apartments in der Berliner Straße.

„Bist du lange durch den Regen gelaufen?“

Die junge Frau, die sich Clara nennt, schaut mich an. Ihre Augen sind groß und grün und haben noch nicht viel vom Leben gesehen.

„Nein“, antworte ich.

„Kommst du hier aus Frankfurt?“

Ihre Stimme klingt hell, beinahe kindlich.

Ich schüttele den Kopf. „Nein.“

„Wo kommst du denn her?“

„Aus Quakenbrück.“

Sie lacht. So wie die Jungs und Mädchen damals in der Schule: „Quakenbrück – Klaus kommt aus Entenhausen! Quak, Quak, Quak!“

„Von dem Ort habe ich noch nie gehört. Wo liegt das?“

„In Niedersachsen. In der Nähe von O…O…Osnabrück.“ Ihre Fragen machen mich nervös. Das Stottern kommt wieder.

„Aber du wohnst in Frankfurt?“

Ich nicke. „In Sindlingen.“

„Ich wohne in Bornheim“, meint Clara lächelnd. „Zusammen mit meinem Freund und unserem kleinen Hund. Ich find`s schön da.“

Sie hat einen Freund. Ob er weiß, womit sie ihr Geld verdient? Ich schaue zum Fenster. Der Aprilregen lässt nicht nach. Clara legt ihre feingliedrige Hand auf mein Knie. Ihre Berührung ist mir unangenehm. Ich möchte am liebsten weglaufen, aber ich kann nicht. Ich habe etwas zu erledigen.

„Was machst du so beruflich?“, fragt sie.

„Ich war Programmierer.“

Ihre Augen blitzen. „Cool! Für Playstation und so?“

„Nein. Systemprogrammierer in einem R…R…Rechenzentrum. Unsere Kunden waren Firmen und B…B…Banken.“

„Und das machst du jetzt nicht mehr?“

„Ruhestand“, sage ich knapp.

„Echt? Bist du schon so alt? Siehst gar nicht danach aus.“

Es gelingt mir, meine Gesichtsmuskeln zu der Andeutung eines Grinsens zu verziehen. „Danke.“

„Wie alt bist du?“

„Sechzig. Seit h…h…heute.“

„Krass! Herzlichen Glückwunsch!“

Ich spüre, wie sich ihre feuchten Lippen gegen meine Wange pressen.

„Da müssten wir eigentlich drauf anstoßen“, meint Clara. „Aber dummerweise ist kein Alkohol im Kühlschrank. Den müssen die Gäste selbst mitbringen, wenn sie welchen mögen. Hast du was dabei?“

„Nein. Ich trinke n…n…nie.“

„Schade. Dann feiern wir eben ohne. Bin ich etwa dein Geburtstagsgeschenk?“, fragt Clara sanft. Ihre künstlichen, rosa gelackten Fingernägel fahren durch meine grau-braunen Schläfen, über meine hohe Stirn bis zu dem lichten Haar an meinem Hinterkopf.

„Ja, das könnte man s…s…sagen“, antworte ich.

„Geschenke packt man aber aus, weißt du?“, flüstert Clara in mein Ohr und legt meine Hand in den Ausschnitt ihrer gelben Bluse, die sie unter einem weißen Hosenanzug trägt. „Oder möchtest du lieber, dass ich dich auspacke?“

Ihre Hand gleitet in meinen Schritt. Ich zucke zusammen. Für Schweinkram bin ich nicht hergekommen. „Du bekommst noch dein H…H…Honorar“, sage ich und nestele einen Briefumschlag aus der Innentasche meines braunen Cordsackos.

„Ach, das Geld … ja. Du hast für eineinhalb Stunden gebucht, richtig? Das macht 300 Euro.“

„Bitte.“ Ich gebe ihr den Umschlag. Clara öffnet ihn, zählt das Geld und sagt dabei: „Weißt du, ich find` den Job als Escort-Dame irgendwie spannend. Man trifft viele verschiedene Typen. Mit manchen macht sogar der Sex Spaß. Trotzdem will ich das nicht ewig machen. Ich würde später gerne Model werden oder Schauspielerin.“ Sie kichert. „Auf jeden Fall reich und berühmt. Wäre der Hammer, wenn ich mal in der Zeitung stehen würde. Mit meinem richtigen Namen natürlich. Clara ist ja nur mein Künstlername bei der Agentur.“

„Den Wunsch kann ich n…n…nachvollziehen. Du schaffst das“, sage ich ernst.

„Wow, glaubst du echt an mich?“, fragt Clara enthusiastisch und schüttelt ihre blonde Mähne.

„Ich garantiere dir, dass du in die Z…Z…Zeitung kommst.“

Clara legt den Umschlag auf einen gläsernen Tisch, der vor dem Ledersofa steht, auf dem wir sitzen. Sie sieht auf das King Size Bett mit den weißen Laken, das den größten Raum im Wohnzimmer des Escort Agentur-Apartments einnimmt. Dann beginnt sie, mein kariertes Hemd aufzuknöpfen.

„Also Klaus, wie wollen wir`s machen? Was hättest du gerne?“

„Ich will vorher ins B…B…Badezimmer“, sage ich und stehe auf.

„Okay. Soll ich mich in der Zwischenzeit schon mal ausziehen?“

Ich nicke hastig. „Ja, gut.“

Rasch gehe ich durch den Flur an einer kleinen Küche vorbei ins Bad, das genauso gewöhnlich eingerichtet ist wie der Rest der Wohnung. Es könnte das Zuhause von jedermann sein. Keine Spur von Bordell-Atmosphäre. Was innerhalb dieser Wände regelmäßig getrieben wird, ahnt draußen niemand. Das Apartment liegt in einem unauffälligen Frankfurter Mietshaus. Den Namensschildern auf den Klingelknöpfen nach zu urteilen, teilen sich Deutsche, Türken, Marokkaner und Jugoslawen die drei Etagen. Im Erdgeschoss ist ein Sushi-Laden. Ich lasse Wasser über meine behaarten Handrücken laufen und spritze mir auch einen Schwall ins Gesicht. Zur Erfrischung. Um klar zu werden. Ich brauche jetzt meine volle Konzentration. Im Spiegel sehe ich wie das Wasser über meine geschwungenen, dichten Augenbrauen tropft, die ich von meinem Vater geerbt habe. Darunter liegen Augen, klein und blau wie die von Mama. Ich wische mit einem Handtuch über meine leicht gebogene Nase und die tiefen Falten, die links und rechts davon abzweigen. Sie rahmen meine schmalen Lippen und das kantige Kinn ein. Wie Furchen, die sich im Laufe der Jahre in ein Bergmassiv eingegraben haben. Aus der Hosentasche meiner Jeans ziehe ich das Smartphone und logge mich unter meinem Benutzernamen „Frankfurt Ripper“ in meinen Twitter Account ein. Ich tippe die Nachricht: „Opfer # 6 ist dran. Benutze wieder das Messer. Details später im Blog unter http://frankfurtripper.wordpress.com.“

2

Frankfurt, 16. Januar 1963

„Hey Fischkopp! Du hast ja `n Eierwärmer aufsitzen!“

Wir standen auf dem Pausenhof der Körner Schule. Michael Becker zeigte auf meine rot-schwarz gemusterte Bommelmütze. Ein pausbäckiger Junge, der mich auf dem Kieker hatte, seit ich drei Wochen zuvor mit meinen Eltern von Quakenbrück nach Frankfurt gezogen war.

„Die hat mir meine Mama gestrickt“, antwortete ich.

„Was für ein hässliches Ding!“, schrie Michael und tanzte um mich herum. Dabei sang er: „Fischkopp trägt `nen Eierwärmer, Fischkopp trägt `nen Eierwärmer!“

Ich wollte in eine andere Ecke des Hofs gehen. Michael hielt meinen Arm fest. Paul und Kurt, zwei seiner Freunde, kamen dazu. Sie kreisten mich ein.

„Habt ihr schon mal einen so hässlichen Hut gesehen?“, fragte Michael.

Die beiden lachten schallend und schüttelten sich in gespieltem Ekel.

„Das ist kein Hut, sondern eine Mütze“, stellte ich klar.

„Unser Kläuschen ist ein Klugscheißer!“, rief Kurt.

„Hast auf alles `ne Antwort, häh?“, fragte Paul hämisch.

„Seine Mama hat ihm den Eierwärmer gestrickt. Das passt gut. Die sieht nämlich genauso scheußlich aus!“, schrie Michael.

„Das nimmst du zurück“, brummte ich.

„Wieso? Stimmt doch! Ich hab` sie gesehen. Die hat Zähne wie `n Pferd.“ Er machte Geräusche, die wie wiehern klingen sollten. „Deine Mutter ist ein Gaul! Deine Mutter ist ein Gaul!“

„Sei still!“

„Und wenn nicht? Was dann? Fischkopp! Fischkopp!“ Michael riss mir die Mütze vom Kopf und rannte weg, gefolgt von Paul und Kurt.

„Gib sie wieder her!“, rief ich und spurtete hinterher.

Michael blieb stehen. Er drehte sich zu mir um und zerrte an den Strickfäden der Mütze. „Die kannst du gleich in den Müll schmeißen“, grinste er.

Ich zitterte am ganzen Körper. „Mach sie nicht k…k…kaputt. Meine Mama hat sie m…m…mir geschenkt“, flehte ich stotternd. Es war das erste Mal, dass ich beim Sprechen über die Buchstaben stolperte.

„Is` mir piep egal“, entgegnete Michael. Er riss weiter an meiner Mütze.

Ich fühlte, wie sich meine Faust ballte. Ganz automatisch. Ohne dass ich darüber nachgedacht hätte. In der nächsten Sekunde schlug ich zu. Michael heulte und hielt sich die Hand vor die Nase. Blut lief heraus. Es kümmerte mich nicht. Ich hämmerte weiter auf sein Gesicht ein. Er duckte sich. Ich traf den Kopf. Mit beiden Fäusten. Gleichzeitig trat ich nach seinem Unterleib. Michael fiel auf den Boden. Jammerte wie ein Mädchen. Das spornte mich an. Ich stieß ihm mit dem Absatz meiner Schuhe ins Gesicht, als ob ich eine Ameise zertreten wollte. Bamm-Bamm-Bamm. Paul und Kurt liefen weg, kreischten um Hilfe. Ich kniete mich auf Michael und drosch auf seine feiste, blutige Nase ein. Es war herrlich! Ich konnte gar nicht aufhören! Herr Bachmann, unser Hausmeister, musste mich mit beiden Armen umschlingen und von Michael wegziehen.

„Scholz! Du kommst zum Direktor!“, brüllte Dr. Pfeiffer, der in der Pause Aufsicht führte.

„Ja, gut“, meinte ich gelassen und setzte meine Mütze wieder auf. Ich war mir keiner Schuld bewusst.

3

Frankfurt, 21. April 2013

Der Imkerweg in Sindlingen ist friedlich um acht Uhr morgens. Von meinem Haus aus kann ich die Pferdekoppel sehen, auf der ein paar der Tiere gemütlich grasen. Ich trete hinaus in die Frühlingsluft, die nach dem Regen der letzten Tage frisch und würzig riecht. Mein Weg führt mich über den gepflasterten Hof, hin zu dem gusseisernen Tor, das mein Grundstück vor ungebetenen Besuchern schützt. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Herr Schubert wird seinen Kiosk gleich öffnen. Ich möchte wie immer als Erster da sein, um die aktuelle Ausgabe der BILD zu kaufen. Bin gespannt, ob Clara und ich es wie geplant in die Schlagzeilen geschafft haben. Als ich das Tor abschließe, höre ich die brüchige Stimme meiner Nachbarin. „Herr Scholz! Kommen Sie mal!“

Ich mache die paar Schritte hinüber zu Frau Diekmanns Haus. Ein roter Backsteinbau – genau wie meiner.

„Was gibt`s denn?“, frage ich freundlich.

„Schauen Sie! Eben hat ein Paketmann geklingelt und mir diese Kiste hingestellt. Sie ist für meine Tochter. Aber ich weiß nicht, wie ich das Ding ins Haus bekommen soll.“

Frau Diekmann schüttelt ihren Runzelkopf, von dem ein Gewirr braun gefärbter Locken absteht, als trage sie eine Clownsperücke. Sieht lustig aus. Sie müsste jetzt um die achtzig sein. Wie Mama. Ich konnte sie schon immer gut leiden.

„Die Katrin ist nicht da. Sie bringt den Patrick zur Schule. Und mein Schwiegersohn … ach, von dem wollen wir gar nicht reden. Keine Ahnung, wo der sich wieder rumtreibt.“ Frau Diekmann winkt ab und wirft mir einen Blick aus wässrig braunen Augen zu, die zu einem Cocker-Spaniel passen würden. „Könnten Sie so freundlich sein und das Paket rein tragen? Ich bin ja noch relativ gut beieinander, aber das ist selbst für mich zu viel.“

„Sicher“, sage ich und hebe den Karton an. Unproblematisch. Ein toter Körper wiegt schwerer.

„Ja, da sieht man, was ein starker Mann wert ist“, sagt meine alte Nachbarin und klatscht dabei in die Hände. „Sie haben aber auch noch immer eine drahtige Figur, Herr Scholz. Ganz wie Ihr Vater früher.“

Mein Vater war ein Phänomen. Er blieb sein ganzes Leben lang schlank. Obwohl er gerne aß und nie Sport trieb. Auch das haben wir gemeinsam.

„Wo darf ich das Paket hinbringen?“

„Oh, wir stellen es am besten auf die Anrichte im Flur. Folgen Sie mir!“

Sie tappt mit gebeugtem Rücken vor mir her. Bucklig geworden durch die Last ihrer Jahre, dem Krebstod des Mannes, der verkorksten Ehe der Tochter und der Sorgen um das verschuldete Haus. Ein Schicksal unter Millionen. Ohne Belang für das öffentliche Interesse.

„Wie geht es eigentlich Ihrer Mutter?“, fragt Frau Diekmann, während wir die Treppen zur Eingangstür hinaufgehen.

„Den Umständen entsprechend.“

„Grüßen Sie sie von mir. Sie kann froh sein, einen Sohn wie Sie zu haben. Ich muss sie unbedingt mal wieder besuchen. Aber Sie sehen ja … ich bin noch voll im Haushalt eingespannt. Wer weiß, wie lange ich das noch schaffe.“

„Sie werden bestimmt hundert Jahre alt“, meine ich lächelnd.

Frau Diekmann lacht gackernd. „Ja, ja. Die Gesundheit bleibt doch das Wichtigste im Leben. Alles andere ist bloß eine Zugabe.“ Sie zeigt mit ihrem knochigen, von Altersflecken gesprenkelten Finger auf ein Schränkchen im dunklen Hausflur. „Hierhin, bitte!“

Ich stelle das Paket ab. Die betagte Dame strahlt mich an wie ein junges Mädchen. „Vielen, vielen Dank, Herr Scholz. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie aufgehalten habe.“

„Kein Problem. Ich war auf dem Weg zu Herrn Schubert. Brauchen Sie etwas? Eine Zeitschrift vielleicht?“

„Oh danke, nein“, sagt Frau Diekmann mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ich lese das alles gar nicht mehr. Die schreiben doch nur über Mord- und Totschlag. Warum kann nicht einmal etwas über nette Menschen wie Sie in der Zeitung stehen?“

„Keine Ahnung“, sage ich achselzuckend.

4

Blog Beitrag „Frankfurt Ripper“

Opfer # 6

19. April 2013

Sie nannte sich Clara. Ein Escort-Girl. Ihr Körper war schön. Jung. Straff. Unverbraucht. Nachdem ich mir im Badezimmer des Agentur Apartments die Hände gewaschen hatte, fand ich Clara im Schlafzimmer auf dem Bett liegend vor. Bekleidet mit einem rosafarbenen Büstenhalter und dem dazu passenden String-Tanga. Ich betrachtete sie. Clara fragte: „Willst du da stehen bleiben mit den Händen in der Tasche und mich anschauen? Komm! Zieh dich aus und lass uns Spaß haben!“

Ich kniete mich neben sie auf das Bett. Zog meine Hände aus den Sakkotaschen. Sie steckten in puderfreien Latex-Handschuhen der Marke PARAM. In der rechten Hand hielt ich ein japanisches Gyuto-Messer mit einer neunzehn Zentimeter Klinge aus Suminagashi-Edelstahldamast. Clara riss die Augen auf, wollte schreien, aber ich ließ ihr keine Zeit mehr zu reagieren. Ich drückte die linke Hand auf ihren Mund und führte mit dem Messer einen blitzschnellen Drosselschnitt entlang ihrer Kehle aus. Als die Klinge in ihre Haut eindrang, versuchte sie mit Armen und Beinen zu strampeln, nach mir zu schlagen und zu beißen. Doch ich schnitt viel zu flink, als dass sie eine ernsthafte Chance gehabt hätte. Aus den geöffneten Halsvenen strömte ihr Blut in Kaskaden über meine Hände und die Bettlaken. Ich löste die linke Hand von ihrem Mund. Claras Pupillen begannen sich bereits einzutrüben und ihre Schreie kamen als gurgelnde, unverständliche Laute aus ihrem Mund, da ich Luftröhre und Kehlkopf durchtrennt hatte. Um sicherzugehen, dass sie sterben würde, setzte ich das Gyuto-Messer in Höhe ihres Herzens an und rammte es ihr bis zum Heft in die Brust. Clara wand sich krampfartig. Die letzten Zuckungen. Ich nahm ein Büschel ihrer blonden Haare zwischen die Finger und wischte damit die blutverschmierte Klinge sauber. Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte es vollbracht. Wieder mal. Seid gespannt, was ich als Nächstes plane. Ihr lest von mir, Euer Frankfurt Ripper!

7 Kommentare:

Mister Blonde

„Ich hätte sie vorher ordentlich durchgefickt, Mann!“

Norman1960 @ Mister Blonde

„Du bist krank, Typ!“

Mister Blonde @ Norman1960

„Selber krank. Oder warum liest du den Scheiß?“

Norman1960 @ Mister Blonde

„Ich lese alles über Serienmörder. Fasziniert mich.“

Mister Blonde @ Norman1960

„Ich sag ja: krank!“

Norman1960 @ Mister Blonde

„Spast!“

Mister Blonde @ Norman1960

„Fick dich!“

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Frankfurt, 21. April 2013

Alfred Schubert lehnt sich aus dem schmalen Fenster seines Kiosks. Er schaut mich aus listigen braunen Augen an, während er über seinen kurz getrimmten Oberlippenbart fährt. „Geht`s Ihnen gut, Herr Scholz?“

„Ja, danke.“

Schubert grinst. „Das ist schlecht. Sogar sehr schlecht. Wissen Sie auch wieso?“

Ich weiß es nicht. Aber ich werde es sicher gleich erfahren. Wer bei Alfred Schubert Zeitungen, Zigaretten, Saure Drops, Eis, Limonade oder Bier kauft, bekommt Lebensweisheit gratis dazu. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, seit wann Schubert den Laden in Sindlingen führt. Er kam aus Berlin, soviel weiß ich noch. War das Mitte der 80er Jahre oder schon Ende der 70er? Ich könnte Mama danach fragen bei meinem nächsten Besuch. Ob ich eine vernünftige Antwort bekäme, ist allerdings fraglich. Auf jeden Fall ist Schubert gut und gerne zehn Jahre älter als ich. Doch er denkt nicht daran, seinen Kiosk zu schließen oder einem jüngeren Nachfolger zu übergeben. Warum sollte er? Die Arbeit erfüllt ihn mit Freude. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Im Gegenteil. Das tägliche Geschäft hält ihn scheinbar jung. Früher mochte ich ihn nicht. Da ging mir sein Geschwätz auf die Nerven. Mittlerweile höre ich ihm gern zu. Er ist sehr belesen und seine Sichtweise auf gewisse Themen finde ich interessant.

„Also, warum ist es schlecht, wenn es mir gut geht?“, frage ich zurück.

„Sie sind `n ruhiger und ausgeglichener Mensch, Herr Scholz“, sagt Schubert. Sein Berliner Dialekt ist noch schwach zu hören. „Und das macht Sie zu einer Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Ehrlich. Is` wahr.“ Er kratzt sich an seinem fast kahlen Schädel. „Schauen Sie, ein zufriedener Mensch ist ein schlechter Konsument. Er hat keinen Kummer, den er mit Alkohol, Tabak oder anderen Drogen betäuben müsste. Er kauft keine teuren Uhren, Autos oder Immobilien, um sich gut und wertvoll zu fühlen. Oder Glücksratgeber, die ihm Tipps geben, wie er sein Leben aus- und einrichten sollte. Nein, so ein Typ hat alles, was er braucht. Der ruht in sich. An Bürgern, die sich wohl fühlen geht Deutschland zugrunde, das sage ich Ihnen.“

„Dann fänden Sie es also besser, wenn es mir schlecht ginge?“, frage ich entgeistert.

„Aus menschlicher Sicht natürlich nicht. Aber als Unternehmer müsste ich mir das wünschen. Doch zum Glück gehöre ich noch zum alten Schlag, so wie Sie. Ich tanze nicht nach der Pfeife des Mafia-Kapitalismus wie Frau Merkel und Konsorten in Berlin. Soll ich Ihnen sagen, warum unsere Kanzlerin sich dermaßen anbiedert bei Wirtschaftsverbänden und Konzernbossen? Weil sie aus dem Osten kommt! Unter der Knute des Bolschewismus groß geworden ist. Dort lernte sie Strippen ziehen, bespitzeln und intrigieren – steckte aber innerlich voller Neidgefühle auf den Klassenfeind aus dem Westen und seine Konsumgüter. In der ehemaligen Täterä-Tätä gab`s ja nüscht zu koofen. Nach der Wiedervereinigung konnte sie ihren unbefriedigten Trieben freien Lauf lassen und nun ist die Raffgier ihr neues Manifest. Die Merkel muss im Übermaß kompensieren, was ihr früher verwehrt blieb. Wie ein Kind, das nie Weinbrandbohnen probieren durfte und später, als Erwachsener, Alkoholiker wird. Deshalb hält unsere eiserne Lady auch am Euro fest. Es geht nicht um Stabilität und Wirtschaftswachstum, von dem alle Bürger profitieren. Das Wohl des Einzelnen ist, wie gesagt, eher hinderlich für die Wirtschaft. Nein, es geht ihr allein um persönlichen Gewinn an Macht und Einfluss. Der Euro ist Merkels Peitsche, mit der sie wie eine Domina die europäischen Bündnispartner gefügig machen will. Wahrscheinlich sieht sie sich schon als Kaiserin Angela, Herrscherin über die Vereinigten Staaten von Europa. Aber darauf kann sie lange warten. Ein vereintes Europa wird`s nie geben.“

„Das verstehe ich nicht“, sage ich. „Europa ist doch schon lange vereint.“

Schubert lacht. „Ich will Ihnen erzählen, wie vereint dieses Europa ist. Für Krankheitserreger sind die Grenzen offen, klar. Weil die sich über jede Form der Bürokratie hinwegsetzen. Wer dagegen ein oder zwei Semester im Ausland studiert, wie mein Neffe, der muss fürchten, ob seine dort erbrachten Leistungen an einer deutschen Hochschule überhaupt anerkannt werden. Wenn nicht, hat er ein Jahr verloren, das er nachpauken darf. Und falls Sie jetzt die gemeinsame Währung ins Feld führen wollen. Die Einführung des Euro war ein wirtschaftliches Desaster und noch dazu von den Bürgern nicht gewollt. Wir Deutschen trauern unserer D-Mark hinterher, die Franzosen ihrem Franc. Verständlicherweise. Man kann Einheit nicht machen. Sie muss wachsen wie eine Liebesbeziehung. Die europäische Gemeinschaft ist aber eine Zwangsehe, von Lobbyisten im stillen Kämmerlein ausbaldowert und übers Knie gebrochen. Sie widerspricht völlig dem natürlichen Entwicklungsprozess von Volksgemeinschaften, der Jahrhunderte dauert und obendrein einen bestimmten begünstigenden Faktor benötigt. Wollen Sie wissen welchen?“

„Ja!“

„Druck von außen. Schauen wir in die Steinzeit: Da lebten die Clans nebeneinander her. Jeder machte sein Ding. Zu einer Verschmelzung der Stämme und der Bündelung ihrer Kräfte kam es nur dann, wenn ein Feind ihrer beider Existenz bedrohte. Gefahr schafft Gemeinschaft. Die Völkerwanderung entstand, weil die Germanen vor den Hunnen flüchteten. Die NATO war ein Bündnis gegen die Kommunisten. Und die Vereinigten Staaten von Amerika gründeten sich im Kampf gegen England. Um Zusammenzuwachsen bräuchte Europa einen Gegner, der bedrohlicher ist als eine instabile Währung oder fundamentalistische Terroristen, die ab und zu einen Anschlag auf westliche Einrichtungen verüben. Warten wir mal ab, was aus China noch so kommt. Apropos Anschläge. Was sagen Sie denn zu dem Bomben-Attentat in Boston?“

„Schlimme Sache“, meine ich.

„Schlimme Sache? Herr Scholz, haben Sie nicht zugehört, was ich Ihnen gerade erklärt habe? Das Gesetz des Marktes verlangt danach, dass es uns emotional dreckig geht, damit der Umsatz steigt. Also war der Anschlag eine wirtschaftlich bombige Sache“, sagt Schubert und grinst feist. „Es gab drei Tote und 264 Verletzte. Das entstandene Leid will gelindert werden. Und wie? Logisch – durch Konsum. Nicht zu vergessen die Einnahmen durch die Beerdigung der Opfer. Ich hab` mir die Preise neulich mal spaßeshalber angesehen. Siebentausend Euro kostet es hierzulande im Schnitt, um sich verscharren zu lassen! Da fallen so interessante Posten an wie die Ausstellung des Totenscheins für achtzig Euro, Beisetzungsgebühr für 600 Euro, Grabnutzungsgebühr für 1200 Euro und natürlich der Sarg mit Ausstattung, etwa Edelholz massiv für zweitausendzweihundert Euro. Besonders witzig finde ich die einhundert Euro für die Totenbekleidung. Als ob es irgendwen kümmert, was ich anhabe, wenn ich unter der Erde liege. Mir ist das so was von wurscht! Auch welche Musik gespielt wird. Ich kann sie sowieso nicht mehr hören. Dieser oberflächliche Quatsch dient allein dazu, das Gewissen der Angehörigen zu beruhigen. Wir haben seine Wünsche ein Leben lang nicht respektiert, doch immerhin dudeln wir noch mal zum Abschied sein vermeintliches Lieblingslied. Ein akustischer Ablassbrief. In der dazugehörigen Trauerrede wird der Verblichene quasi in den Heiligenstand befördert. Nur lobende Worte. Je mehr Beerdigungen ich besuche, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass ausschließlich gute Menschen sterben. Ich frage mich, wo das Pack bleibt, über das man immer in den Zeitungen und Statistiken liest. Die Typen, die ihre Frauen schlagen. Die Mütter, die Kinder misshandeln. Die Ausbeuter und Unterdrücker. Die Charakterschweine. Werden die nicht beerdigt? Dürfen die ewig leben? Das wäre ungerecht. Ich hätte gerne mal erlebt, dass jemand an einem Sarg steht und sagt: Diesen Dreckarsch wird niemand vermissen. Gut, dass er weg ist.“

Für einen Moment habe ich die Bilder von Vaters Beerdigung im Kopf. Wie Mama und ich am offenen Grab standen und der Pfarrer eine Lobeshymne vortrug über den fleißigen,disziplinierten und pflichtbewussten Flugsicherungsbeamten Josef Scholz. Mama weinte und die Abordnung der Kollegen vom Frankfurter Flughafen nickte zustimmend. Pietätvoll schwieg jeder an diesem Tag über allzu private Seiten von Josef Scholz. Ein Mann, dessen Wort Gesetz war. Wer es nicht befolgte, musste mit harten Strafen rechnen – auch wenn es sich bei dem Gesetzesbrecher um einen erst zehnjährigen Jungen handelte.

„Da stimme ich Ihnen zu“, sage ich zu Schubert. „So viel Ehrlichkeit darf man leider nicht erwarten.“

„Im Grunde ist der Beerdigungskram sowieso kompletter Unfug“, meint er. „Der Tod hat keinerlei spirituelle oder mystische Dimension. Wenn wir sterben, ist das ein technischer Vorgang. Unser Organ-Apparat versagt aufgrund eines Defekts.“

Da ist was Wahres dran, denke ich. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, kann man einen Menschen genauso leicht ausknipsen wie eine Maschine.

„Alles, was wir waren, was uns auszeichnete, wird gelöscht“, fährt Schubert fort. „Wie beim Systemabsturz eines Computers. Sie haben doch mit Computern gearbeitet, oder?“

„Ja, ich war Systemprogrammierer.“

„Na also, da wissen Sie, was ich meine. Beerdigen wir etwa unsere Computer und erinnern uns tränenreich an die schönen Momente, als wir mit ihrer Hilfe durchs Internet gesurft sind? Nee. Weil der Computer für uns eine Sache ist. Minderwertig. Wir Menschen aber halten uns für wertvoll. Für das Wertvollste schlechthin. Warum? Weil wir im Unterschied zu den Tieren lesen können?“

Er reicht mir die BILD-Zeitung und deutet auf die Titelseite.

„Über die Anschläge in Boston wird schon nicht mehr groß berichtet. Ist ja `ne Woche her. Es gibt Wichtigeres. Hier, lesen Sie mal: `Ernie und Bert sollen endlich heiraten! Schwuler startet Unterschriftenaktion gegen Macher der Sesamstraße.` Wahrlich, wenn man das sieht, weiß man, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist.“

„Ich find`s unterhaltsam“, sage ich, gebe Herrn Schubert exakt abgezählte 90 Cents, wünsche ihm einen schönen Tag und blättere auf dem Nachhauseweg auf die Seite mit den Lokalnachrichten. Wenn sie über mich und Clara berichten, dann dort. Für die Titelseite bin ich noch nicht reif. Das ist mir klar. So vermessen bin ich nicht. In der Spalte der Kurzmeldungen werde ich fündig. Wie enttäuschend! Es sind nicht einmal zehn Zeilen. Da steht etwas von einem Mord im Milieu an einer 20-jährigen Prostituierten.

„Idioten!“, knurre ich, knülle die Zeitung zusammen und werfe sie in den Rinnstein. Diese Mini-Notiz kommt nicht in meine Sammlung. Leise schimpfe ich vor mich hin. „Mord im Milieu! So ein B…B…Blödsinn! Haben sie nicht begriffen, dass Clara auf die g…g…gleiche Weise starb wie Sarah, die ich letzten Monat bei einer Agentur in M…M…Mainz buchte? Ihr habe ich auch die Gurgel durchgeschnitten. Ganz p…p…präzise.“ Jeder vernünftige Mensch sollte das Muster erkennen, denke ich. Da muss man doch anfangen, über einen Serientäter zu spekulieren. Ich verstehe es nicht!

„Tut mir leid Clara oder wie immer dein N…N…Name war. Wegen dieser unfähigen Schmierfinken konnte ich mein V…V…Versprechen nicht halten. Wir haben es nicht zu einem g…g…großen Artikel gebracht.“ Ich grüble, woran es liegen könnte, dass sie anders schreiben als vor einem halben Jahr. Damals war ich noch nicht so geübt, als ich Melissa vom Straßenstrich in Wiesbaden aufgabelte und in ein Waldstück zerrte. Sie zappelte dermaßen heftig, dass ich nervös wurde und den Drosselschnitt nicht anbringen konnte. Ich verlor die Kontrolle und hackte einfach drauflos. Ein Stich durchbohrte ihr rechtes Auge, ein zweiter drang in ihren Mund ein und zerschnitt die Zunge, ein dritter riss ihr das Ohr in Fetzen. Das ging ein paar Minuten so, bis sie aufhörte zu strampeln und ihr Gesicht aus einer breiigen Masse bestand, matschig wie der Waldboden unter uns. Das war der BILD immerhin eine Viertelseite wert. Mein größter Erfolg bislang. Ob ich beim nächsten Mal wieder genauso wild und brutal vorgehen sollte?

„Na, Herr Scholz! Haben Sie Ihre Zeitung bekommen?!“, ruft Frau Diekmann, während sie ihre Hofeinfahrt ausfegt.

„Ich mache es heute wie Sie und verzichte darauf. Steht nichts Vernünftiges drin.“ Meine Nachbarin lacht und nickt.

Es liegt sicher auch an der Wahl der Waffe, überlege ich. Ich muss variantenreicher sein. Ich darf es nicht noch mal mit dem Messer machen.

6

Eine Tasse Honig-Minze-Tee dampft auf meinem Schreibtisch vor sich hin. Der süße Duft erfüllt den mit alten Computern, Monitoren, Tastaturen und technischen Büchern zugestellten Arbeitsraum, der durch eine Schiebetür mit meinem Wohnzimmer verbunden ist. Ich beiße in ein Stück Schokoladenkuchen, den ich aus einer Backmischung zubereitet habe. Kuchen mag ich zu jeder Tageszeit, besonders zum Frühstück. Er schmeckt schokoladig, reicht aber an Mamas Kuchen nicht heran. Sie war in der Küche die Allerbeste. Ich surfe im Internet auf die Webseite moerder.blogspot.de und checke die Serienkiller-Hitliste. Mit meinen bisherigen sechs Opfern stünde ich auf Platz 164, wenn ich heute überführt und meine Identität der Öffentlichkeit preisgegeben würde. Das hebt meine Laune nicht gerade. Ich bin noch 21 Opfer entfernt von Fritz Haarmann auf Platz 32 und satte 74 Opfer von Bruno Lüdke, dem größten Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte. Wobei man bei Lüdke nicht weiß, ob er tatsächlich 80 Menschen erledigte oder ob viele Taten, die er gestand, nur in der Fantasie dieses geistig beschränkten Mannes stattfanden. Wenigstens habe ich den als Rhein-Ruhr-Ripper bekannten Frank Gust überholt. Damit wäre mir ein Wikipedia-Eintrag sicher. Davon ist auszugehen, weil Gust auch einen hat. Meiner soll aber länger werden. Der Tag wird kommen, an dem ich mich stelle und man sagt: Klaus Scholz war der erfolgreichste deutsche Serienmörder aller Zeiten. Dann prügelt sich die Presse um Statements von mir. Ich bin die Berühmtheit, die jeder interviewen will. Es muss mich auch nicht mehr kümmern, wie ich von meiner Rente das Haus, meine Hobbys und die Pflege von Mama finanzieren soll. Weil ich viel mehr Geld verdienen werde als jeder gewöhnliche Job mir einbringen könnte. Wenn ich überlege, was sich allein an Buch- und Filmrechten rausschlagen lässt! Ich habe im Internet von Ed Gein gelesen, dem Wisconsin-Killer. Vorbild für „Psycho“ und „Das Schweigen der Lämmer“. Im November 1957 wurde er verhaftet. Die Hollywood Produzenten verfolgten ihn bis in die Gefängniszelle und boten ihm eine große Summe für seine Geschichte. Ed plauderte alles aus. Die versprochene Gage bekam der Arme nie. Sie haben ihn übers Ohr gehauen. Das gelingt ihnen bei mir nicht. Ich bin schlauer. Allerdings sind wir nicht in Amerika und die deutsche Filmbranche hat vermutlich keine astronomisch hohen Budgets zur Verfügung. Trotzdem möchte ich mich so teuer wie möglich verkaufen. Und wenn einer dieser Filmfuzzis auch nur eine Sekunde meiner Lebensgeschichte ohne meine Erlaubnis dreht, werde ich ihn verklagen wegen Verstoß gegen meine Persönlichkeitsrechte. Armin Mewes, der Kannibale von Rotenburg, hat das auch gemacht, als die Produzenten eines Horrorfilms seine Erlebnisse ausbeuten wollten. Das Frankfurter Oberlandesgericht gab ihm Recht. Eine weitere Einnahmequelle könnte sich mit Glück bei meiner Festnahme oder dem Verhör ergeben. Es besteht die Möglichkeit, dass mich einer der Polizisten zu hart anfasst. Dann hole ich mir eine Entschädigung vom Staat, weil meine Grund- und Menschenrechte verletzt wurden. Clever muss man sein!

Während ich das alles bedenke, verbessert sich meine Stimmung wieder. Ich kann eigentlich nur gewinnen. Im Gegensatz zu meiner früheren Tätigkeit ist Serienmörder ein sicherer Job mit Zukunftsperspektive. Opfer gibt es genug und ich scheine ein natürliches Talent fürs Ausknipsen zu haben. Das einzige, was ich im Auge behalten muss, ist die Kosten-Nutzen-Bilanz. Die Ausgaben für mein Handwerkszeug sollten in jedem Fall niedriger sein, als die späteren Einnahmen aufgrund meiner Popularität. Das Gyuto-Messer hat mich 85 Euro gekostet auf japan-messer-shop.de. Nicht gerade billig. Und sehr oft benutzt habe ich es nun wirklich nicht. Ich genieße einen Schluck von dem Honig-Minze-Tee und suche im Web nach einem Instrument, das günstiger ist, trotzdem Eindruck hinterlässt und gut in der Hand liegt. „Du hast es nicht leicht, mein Freund“, sage ich laut und das Bedauern in meiner Stimme klingt echt.

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Frankfurt, 16. Januar 1963

Das Rektorzimmer durften Schüler fast nie betreten. Es war ein Privileg, das ich mir durch meine Schlägerei mit Michael Becker verdient hatte. Ich prägte mir die Einrichtung des Raums gut ein, damit ich meinen Mitschülern alles genau erklären konnte, falls sie mich hinterher danach fragen sollten. Er war mit grauem Teppichboden ausgelegt. Ein massives, nussbraunes Regal voller Bücher stand hinter dem Schreibtisch derselben Farbe. An der linken Wand hing ein gerahmtes Foto von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Daneben die Deutschlandfahne. Auf der rechten Seite konnte man durch eine Fensterfront auf Wiesen und Bäume sehen. Direktor Sattler saß hinter dem Schreibtisch. Seine rechte Hand lag auf der Arbeitsplatte, zur Faust geballt. Der linke Ärmel steckte unausgefüllt in der Tasche seines grau gemusterten Jackets. Er hatte seinen Arm im Krieg verloren. Ich hörte, wie Mama und Vater darüber sprachen. Sattler beugte sich nach vorn. Ich saß ihm gegenüber auf einem harten Holzstuhl. Sein hagerer Kopf auf dem dürren Hals erinnerte mich an einen Geier. Ein Geier mit Hornbrille.

„Scholz! Warum hast du das gemacht?“, fragte er schnarrend.

Der Direktor musterte mich. Er war nicht der einzige. Um mich herum standen mein Klassenlehrer, Herr Franke, dazu Dr. Pfeiffer, Herr Bachmann und die Schulsekretärin, Frau Hölker. Alle starrten mich an. Warteten, dass ich den Mund aufmachte. Als würde ich ein Geheimnis von großer Bedeutung mit mir herumtragen. Ich sagte erst einmal nichts. Ich genoss ihre Aufmerksamkeit und fand ihre Hilflosigkeit lustig. Die Erwachsenen, die sonst den Ton angaben, standen ratlos vor mir. Meine Tat hatte sie geschockt. Sie suchten nach einer Erklärung – und waren dadurch abhängig von mir.

„Was hat der andere Junge dir getan?“, fragte Sattler.

Interessant, dachte ich. Mich hat er beim Namen genannt. Von Michael spricht er nur als „der andere Junge.“ Weil ich wichtiger bin.

„Er wollte meine Mütze kaputt machen und hat schlimme Sachen über meine Mama gesagt“, erklärte ich.

„Deshalb schlägst du ihn fast tot?!?“, brauste Dr. Pfeiffer auf.

„Übertreiben Sie da nicht ein wenig, Herr Doktor? So böse war`s ja nicht“, meinte der Hausmeister.

„Von wegen!“, stieß Frau Hölker aus. “Wir haben einen Krankenwagen gerufen. Sein Kiefer ist wahrscheinlich gebrochen. Die Nase auch. Möglich, dass er sogar innere Verletzungen hat.“

Der Direktor zog geräuschvoll die Nase hoch. „Die Frage ist, ob es überhaupt stimmt, was Scholz uns auftischt. Ob der andere Bursche ihn wirklich geärgert hat.“