5-Minuten-Vorlesegeschichten
für Menschen mit Demenz
Annette Weber
Impressum
Titel
5-Minuten-Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz
Stammtischgespräche
Autorin
Annette Weber
Titelbildmotiv
© boing/photocase.com
Ein Hinweis für die Vorlesenden:
Seien Sie umsichtig im Umgang mit Demenzkranken, denn viele Betroffene reagieren beim Lesen des Wortes „Demenz“ sehr empfindlich. Im Einzelfall kann es daher sinnvoll sein, das Wort „Demenz“ im Titel des Covers abzukleben, oder Sie verwenden beim Vorlesen eine Schutzhülle als Buchumschlag.
Verlag an der Ruhr |
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© Verlag an der Ruhr 2013
ISBN eBook 978-3-8346-3136-7
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Inhalt
Vorwort
Über die Reihe
Der Heiratsantrag
Stadtväter unter sich
Immer dieses Gesindel!
Die Kirchenchorjugend
Karfreitagsliturgie
In der alten Schule
Das schwarze Bauernschaf
Ein schlechter Tausch
Endlich wieder Schützenfest!
Der Freddy-Quinn-Club
Der Enkeltrick
Der Freundschaftsdienst
Verbotenes Spiel
Stammtisch-Prahlerei
In letzter Minute
Das neue Katzenhaus
Liebe Vorlesende,
liebe Zuhörer!
Im vergangenen Jahr im Frühjahr habe ich schon einmal zwei Bücher für diese Reihe geschrieben und war sehr überrascht und erfreut, dass sie so gut angekommen sind. Das hat mich natürlich beflügelt, weitere Geschichten zu schreiben.
Ich heiße Annette Weber. Seit fast 30 Jahren schreibe ich Bücher, Geschichten und Theaterstücke für Kinder und Jugendliche. Nun auch einmal Geschichten für ältere Menschen aufzuschreiben, ist mir eine große Freude.
Die Gespräche beim Stammtisch sind immer besonders. Sie drehen sich oft um Politik, um Entwicklungen in der eigenen Stadt oder im Dorf, manchmal auch um einzelne Menschen, die etwas Außergewöhnliches erlebt haben.
So treffen auch in meinem Buch „Stammtischgespräche“ Menschen aufeinander, die einem gemeinsamen Verein angehören und die sich etwas Besonderes zu erzählen haben.
Die Arbeit an dem Buch hat mir viel Spaß gemacht. Ich hoffe, Sie spüren das zwischen den Zeilen.
Ich wünsche Ihnen mit diesem Buch viel Freude und hoffe, dass Sie sich beim Vorlesen oder Zuhören an persönliche Stammtischgeschichten und einzigartige Begegnungen erinnern.
Liebe Grüße
Annette Weber
Über die Reihe
Lesen ist eine der schönsten und zeitlosesten Freizeitbeschäftigungen für Jung und Alt. In Erzählungen abtauchen, sich in andere Personen hineinversetzen, via Fantasie Zeitreisen unternehmen … Lesen bietet die Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen und ihn gleichzeitig zu verarbeiten. Wem das Lesen jedoch Mühe bereitet, kann Lesevergnügen auch über das Vorlesen erleben.
Die Reihe „5-Minuten-Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz“ berücksichtigt die Einschränkungen von Demenzkranken mit kurzen, pointierten und einfachen Geschichten, die an das Alltagserleben anknüpfen. Mal humoristisch, mal nachdenklich oder auch religiös-besinnlich – je nach Anlass und Situation können Sie die passende Geschichte auswählen und die Zuhörer zum Gedankenaustausch anregen. Die entsprechenden Anschlussfragen zu jeder Geschichte bieten die dazu nötigen Anknüpfungspunkte – für ein abwechslungsreiches (Vor-) Lesevergn ügen!
Der Heiratsantrag
Auf die Freitage freute ich mich immer besonders. Das war Hildes und mein Tag. Zuerst kam sie mit ihren Turnschwestern zum Stammtisch in meine Gaststätte, dann blieb sie immer noch bis zuletzt, setzte sich zu mir an die Theke und wir unterhielten uns noch in wenig. Neuerdings blieb sie dann manchmal sogar über Nacht bei mir. Sie war einfach meine Traumfrau. Ich hatte mich sofort in Hilde verliebt, als sie das erste Mal meine Gaststätte betreten hatte.
Nun waren wir schon seit einem Jahr ein Paar. Aber immer noch hatte Hilde nicht den Mut gehabt, es ihren Freundinnen vom Stammtisch zu erzählen.
„Was denken die denn von mir? Verliebe ich mich in einen Wirt und verbringe die Nächte in einer Kneipe“, sagte sie immer.
Das ist mir schon oft mit Frauen passiert. Es gibt ja das dumme Vorurteil, dass Wirte Trunkenbolde und Taugenichtse sind. Aber auf mich traf das wirklich nicht zu. Ich trinke kaum Alkohol und meine Gaststätte führe ich gewissenhaft.
„Heute werde ich es endlich meinen Freundinnen erzählen“, hatte mir Hilde versprochen.
Wenn sie das tun würde, wollte ich auch ein Versprechen einlösen, das ich mir selbst gegeben hatte: Ich würde Hilde einen Heiratsantrag machen. In der letzten Woche hatte ich bereits Verlobungsringe gekauft.
Oh Mann, was war ich aufgeregt! Ich wagte kaum, zu Hilde hinüberzuschauen, als sie und ihre Turnschwestern die Gaststätte betraten. Sie setzten sich wie immer an den Tisch hinten in der Ecke, dann schnatterten sie los. Es gab so eine große Dünne – Lilo – die immer furchtbar viel redete und ein richtig lautes Organ hatte. Aber auch die anderen waren nicht gerade die leisesten. Sie lachten und schwatzten, tranken Bier, Wein oder Apfelsaft, hin und wieder auch mal einen Likör, und tauschten die Neuigkeiten aus, die sich im Dorf ereignet hatten.
„Hilde, jetzt erzähl uns doch endlich mal von deinem Freund“, blökte Lilo quer über den Tisch, so laut, dass sich alle in meiner Gaststätte nach Hilde umsahen.
Hilde warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte. Dann blickte sie sich im Kreis ihrer Turnschwestern um.
„Ja, wisst ihr es denn wirklich nicht?“, fragte sie und blickte in ratlose Gesichter.
Nein, die anderen hatten offensichtlich keine Ahnung. Hilde winkte mich darum zu sich herüber. Als ich neben ihr stand, zog sie mich neben sich auf die Bank, legte ihren Arm um mich und gab mir einen Kuss.
„Hajo und ich sind ein Paar“, sagte sie dann. „Sagt bloß, das habt ihr nicht gemerkt!“
Lilo klappte die Kinnlade herunter. Sie suchte nach Worten.
„Also … das ist ja … also … ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll“, stotterte sie perplex.
Auch die anderen waren zunächst sprachlos. Dann aber redeten sie alle wild durcheinander.
„Was seid ihr doch für ein schönes Paar.“
„Ihr passt wirklich gut zueinander.“
„Eine tolle Wahl“, so schwirrten die Stimmen durcheinander.
Nun war mein Moment gekommen. Ich stand auf und verneigte mich.
„Darf ich den Damen ein kleines Geschenk machen?
Ein Eis vielleicht?“
Das hatte ich mir extra so ausgedacht. Ich wusste, dass Hilde auf alle Fälle ja sagen würde. Sie liebte Eis über alles. Und auch die anderen hatten Appetit darauf. So verschwand ich in der Küche, holte sechs Eisschalen aus dem Schrank und gab Vanille- und Schokoladenkugeln hinein. Nur in ein Schälchen legte ich zuunterst den goldenen Ring. Als alle Becher fertig waren, gab ich noch Schlagsahne darüber. Ich kehrte in den Gastraum zurück und verteilte die Schälchen an die Turnerdamen. Dabei achtete ich sorgsam darauf, dass ich die Schälchen nicht verwechselte. Hilde musste natürlich den Eisbecher mit dem Ring bekommen. Wäre ja zu peinlich, wenn ich meinen Heiratsantrag an Lilo richten würde!
Die Frauen bedankten sich. Lachend und schwatzend machten sie sich über die Eiskugeln her und riefen immer mal wieder zu mir hinüber, wie gut es ihnen schmeckte.
Leise öffnete ich derweil hinter der Theke eine Flasche Sekt und verteilte ihn auf sieben Gläser. Dann wartete ich aufgeregt. Mein Herz klopfte. Gleich kam der Moment.
Da! Hilde schrie auf.
„Was ist denn … Oh, mein Gott, was ist das?“
Die anderen starrten sie erschrocken an: „Was ist denn los, Hilde?“
„Irgendetwas ist in meinem Eis. Igitt, was ist das nur?“ Sie fuhr mit ihrer Zunge im Mund herum und brachte schließlich den Ring zum Vorschein. Sie starrte ihn wie eine Fata Morgana an und auch die anderen schauten völlig verwundert.
Nun war mein Auftritt gekommen. Ich trat an den Tisch.
„Hilde“, sagte ich vor all ihren Freundinnen. „Willst du meine Frau werden?“
Jetzt war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen lassen können.
Hilde blickte fassungslos vom Ring auf mich, dann wieder auf den Ring.
„Möchtest du mich heiraten?“, fragte ich noch einmal.
„Ja“, stammelte Hilde fast tonlos, starrte dann wieder auf den Ring. Schließlich sprang sie auf, umarmte mich stürmisch und küsste mich.
„Mach das nie wieder“, lachte sie. „Beinahe hätte ich den Ring verschluckt und dann wäre es nichts geworden mit dem Heiraten.“
Jetzt lachten alle und redeten durcheinander.
Ich ging zur Theke hinüber und holte die Sektgläser. Dann prosteten wir uns zu.
„Auf die Liebe“, riefen wir. „Und dass sie ewig anhält!“