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© Querverlag GmbH, Berlin 2001

Erste Auflage März 2001

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schrift­liche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektro­nischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und graphische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung eines Photos von J.B. Higgins

ISBN 978-3-89656-612-6

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Für Pieter

Über die Verführung von Engeln

Engel verführt man gar nicht oder schnell.

Verzieh ihn einfach in den Hauseingang

Steck ihm die Zunge in den Mund und lang

Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell

Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock

Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen

Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen

Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt

Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen

Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen

Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt –

Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht

Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

Bertolt Brecht

Auf nach Amsterdam!

„Dann verpiss dich doch, du Sauhund! Nach allem, was ich für dich getan habe! Ich habe immer zu dir gehalten, und jetzt bist du schwul bist? Wie konntest du mir das antun, Conrad?“

Ich hätte nie gedacht, daß Karen so reagieren würde. Endlich hatte ich ihr die Wahrheit gesagt und dachte, wenn wir wirklich heiraten wollten, sollte sie von meiner Vergangenheit erfahren. Ich hätte ja auch lügen können.

Meine letzte schwule Beziehung hatte ich mit Scott. Nachdem ich mit ihm Schluß gemacht hatte, schrieb er mir einen langen melancholischen Brief und legte Fotos bei, die uns Arm in Arm und sogar innig küssend auf einer Geburtstagsparty zeigten. Jetzt, vier Jahre später, bedeutete mir dieser Brief nach wie vor sehr viel. Ein Relikt aus meiner bewegten Jugend. Daß Karen mein Versteck im Kleiderschrank finden würde, hatte ich nicht vermutet. Nun stand sie vor mir, hielt die Fotos in der Hand und konnte gar nicht aufhören, mich anzuschreien.

Ich wußte schon immer, daß ich schwul war. Aber als ich Karen kennenlernte, war es anders. Ich verliebte mich wirklich in sie und freute mich darauf, mit ihr eine Beziehung aufzubauen und mich weiterzuentwickeln. Doch es stellte sich heraus, daß sie unser Leben nicht als einen Prozeß sah, der stets im Wandel begriffen ist, sondern als Stillstand, als ein ewiges Auf-der-Stelle-Treten. Pause, aus, warten auf das Ende.

Und komischerweise schien sie zufrieden zu sein, wie es in unserem Leben lief. Aber mir fehlte etwas. Es kam dann immer öfter zu Streit in den zwei Jahren unserer Beziehung, und als sie von Scott erfuhr, versuchte sie mir jeglichen Gedanken an diese „verbotene Frucht“ – wie sie das ausdrück­te – zu untersagen. Plötzlich wurde mir klar, worauf ich in den letzten Jahren verzichtet hatte.

Bevor ich Karen kennenlernte, hatte sie bei ihrer Mutter in Phoenix, Arizona, gelebt. In San Francisco arbeitete sie als Sekretärin in einer Kanzlei und hatte vor, weitere Kurse zu belegen, um Anwaltsassistentin zu werden. Sie war erst zwanzig und dachte schon ans Heiraten und ans Kinderkriegen. Ich dagegen lief mit siebzehn von zu Hause weg und tobte mich in San Francisco aus. Am Anfang war ich Tresenkraft und Kellner in verschiedenen einschlägigen Lokalen; den Job bei GAP hatte ich schon eine ganze Weile, als ich Karen dort als Kundin kennenlernte.

Unter der Woche war ich Verkäufer und am Wochenende Barkeeper. Als sich die Beziehung zwischen Karen und mir festigte, gab ich den Barjob auf und beschloß, dieses Kapitel meines Lebens erst einmal abzuschließen.

Ich sehnte mich nach einer „richtigen“ Beziehung. Ich war dreiundzwanzig und bereit, das Schwulsein abzuhaken und einem „normalen“ Leben entgegenzusteuern. Man hatte mir beigebracht, wie es geht: Pflanze einen Baum, baue ein Haus und gründe eine Familie. Das sind die Dinge, die ein Mann tun muß!

Sicher war ich mir dabei nicht. Wörter wie „schwul“ oder „hetero“ engten mich nur ein. Ich hielt mich eher für „sexuell“. In erster Linie wollte ich Spaß haben – ob mit einem Mann oder einer Frau, war mir eigentlich egal. Ich sehnte mich nach einem Partner und hatte Angst davor, allein zu sein. Sicher hatte ich in den beinah fünf Jahren als schwuler Mann in San Francisco eine Menge erlebt, aber als ich Karen traf, wurde mir klar, wie mich das schwule Leben inzwischen anödete. Vielleicht war die Beziehung mit Karen eine Flucht, vielleicht war es aber auch Liebe. Ich kann es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Ich glaube, vor allem wollte ich mit dem „Ernst des Lebens“ endlich anfangen. Allerdings hatte ich auch während unserer Beziehung ein paar Seitensprünge mit Männern gehabt, von denen Karen nichts wußte.

Jetzt mußte ich mir aber eingestehen, es ein gewaltiger Fehler gewesen war. Dabei habe ich einige Menschen unglücklich gemacht: oben auf der Liste stand natürlich Karen. Zwei Jahre waren wir zusammen, und ich hatte das Gefühl, innerlich zu stagnieren. Im nachhinein sollte ich ihr dafür danken, daß sie Scotts Brief und die Fotos gefunden hatte. Doch plötzlich stand ich da und mußte mich entscheiden.

Um zu verhindern, daß die Situation mit Karen noch mehr eskalierte, entschied ich mich, lieber ein feiges Schwein zu sein als zu versuchen, weiterhin eine Lüge zu leben. Also reichte ich meine Kündigung ein, packte wenige Tage nach unserer Auseinandersetzung meine sieben Sachen und haute mitten in der Nacht ab. Stundenlang lief ich durch die Stadt, bis die Banken aufmachten, dann leerte ich mein Konto und machte mich auf zum Flughafen – ohne ein Auf Wiedersehen, ohne einen Abschiedsbrief. Mir schwebte der billigste Stand-by-Flug vor. Vielleicht New York oder Miami. Doch eigentlich war mir jedes Reiseziel willkommen. Hauptsache: raus aus San Francisco!

Ich wollte einfach alles hinter mir lassen. Sogar meine Pläne, Kunst zu studieren. Ich fühlte mich von allem eingeengt. Es war Zeit, San Francisco zu verlassen.

Daß es ein Flug nach Amsterdam sein würde, hätte ich nie erwartet. Europa hatte ich bei meinen Fluchtplänen gar nicht in Erwägung gezogen. Als ich jedoch das Angebot las, wußte ich, Amsterdam würde mir bestimmt den nötigen Abstand bieten, um wirklich neu anzufangen. Ich gab Karen in Gedanken einen Abschiedskuß. Ein neuer Start war mein einziges Ziel. Ein frischer Anfang auf der Suche nach mir selbst.

Der einzige, dem ich Bescheid sagte, war Ben, den ich noch aus meinen schwulen Jahren kannte. Er war auch der einzige, der mir aus dieser Zeit geblieben war. Hin und wieder telefonierten wir und tauschten Neuigkeiten aus. Wir sahen uns allerdings recht selten, aber der Kontakt war noch da.

Es war früh am Morgen, und Ben ging nicht ans Telefon, also hinterließ ich eine Nachricht auf dem Band: „Ben, ich bin’s, Conrad! Ich habe mit Karen Schluß gemacht und werde San Francisco für eine Weile verlassen. Ich wollte mich nur bei dir melden. Wenn ich in Amsterdam bin, rufe ich dich an und erzähle dir alles. Schade, daß ich dich nicht erreicht habe. Wünsch mir Glück! Tschüs!“

Jetzt konnte ich meine Reise antreten.

Ein ständiges Kommen und Gehen von Tausenden von Menschen, das ist Amsterdam. Als ich an der Zentral Station ankam, begrüßte mich ein sonniger, klarer, aber doch recht kühler Tag. Es war zwar Ende März, aber der Frühling würde noch auf sich warten lassen.

Am Flughafen von San Francisco hatte ich mir einen Reiseführer gekauft, also wußte ich schon, daß die Kanäle, die die ganze Stadt durchkreuzen, „Grachten“ heißen, und daß jede Gracht zahlreiche Brücken hat, um den Verkehr am Fließen zu halten. Schon auf dem Bahnhofsvorplatz sah ich, wie Touristen von den Drogendealern angesprochen wurden. Als ich die Bahnhofsvorhalle verließ, schaute ich den Damrak hinunter, die Hauptgracht der Stadt. Um diese Gracht, die früher die wichtigsten Anlegestellen für Handelsschiffe bot, ist die ganze Stadt in Hufeisenform gebaut.

Baltimore, wo ich aufwuchs, war recht klein und gemütlich, und San Francisco hatte meine Heimatstadt schnell an Gemütlichkeit übertroffen, doch auf das, was Amsterdam vor mir ausbreitete, war ich nicht vorbereitet. Wenn Amerikaner an Amsterdam denken, kommen wir gerade mal so weit: Holzschuhe, Tulpen, Redlight District und Marihuana.

Amsterdam ist aber so viel mehr. Es ist ein Sammelbecken für Menschen aus der ganzen Welt, die aus allen Richtungen in die Stadt strömen, um in Holland ihre ganz besondere Art von Freiheit zu entdecken. Jeden, der nach Amsterdam kommt, überkommt ein Gefühl von Entspannung und das Verlangen, einen richtig draufzumachen.

Ich stieg in einem billigen Hotel mitten im schwulen Viertel ab. Außer einem Bett und einer Kommode gab es in dem kargen Zimmer nichts: keinen Fernseher, keine Kaffeemaschine, nicht einmal einen Wecker. Die Dusche und das Klo befanden sich auf dem Flur. Bis ich einen Job gefunden hatte, mußte ich auf mein Budget achten.

Ratlos, wie ich mein Geld verdienen sollte, blätterte ich gleich am Tag nach meiner Ankunft eine der vielen schwulen Zeitschriften durch, die ich in einem Café mitgenommen hatte. Da fiel mir die Anzeige eines Callboyservice auf. „Bist du auf der Suche nach uns? Dann sind wir auf der Suche nach dir!“ stand unter dem Foto eines knackigen, dunkelhaarigen Typen, der auf einer Luftmatratze in einem Pool lag.

„Warum nicht?“ dachte ich mir und ging schnell zur nächsten Telefonzelle.

Wenige Minuten später hatte ich einen Termin für ein Vorstellungsgespräch. Als ich im Büro ankam, drückte mir ein Mann, der sich als Piet vorstellte, als allererstes ein selbstkopiertes Heft in die Hand mit den Worten: „Erklärst du dich mit den Regeln und den Tarifen einverstanden, gehen wir zu ‚Schritt Zwei‘ über”.

Ich überlegte kurz, wie viele Schritte es wohl gäbe, wollte es aber doch nicht so genau wissen.

Eigentlich war es ein ganz normales Büro, mit Chrommöbeln, schön blank geputzt, in der Ecke stand sogar ein Baum, ein Ficus benjaminis, glaube ich. An der Wand hingen Poster von nackten Jungs, und Piet, der mit mir das Einstellungsgespräch führen sollte, war sehr nett. Ich hatte fast das Gefühl, mich für einen stinknormalen Bürojob zu bewerben. Piet saß am Schreibtisch hinter seinem Computer; ich durfte auf einer schwarzen Ledercouch Platz nehmen und bekam Kaffee serviert, während er mich mit den Regeln und Preisen vertraut machte.

Das Heft war überraschend dick, was aber daran lag, daß es Übersetzungen in mindestens sechs Sprachen gab. Ich fand das Ganze sehr lustig, hatte das Heft schnell überflogen, konnte mich danach aber nur noch an ein oder zwei witzige Sätze erinnern. Es gab sogar einen Ratgeberteil mit Tips für merkwürdige Situationen: „Wenn du keinen hochbekommst, was jedem mal passieren kann, sag nie, es liegt daran, daß du schon fünf Kunden hattest, sondern daß deine Mutter schwer krank ist oder dein Hund im Sterben liegt.“

Als ich meine Lektüre beendet hatte, ging ich zu Piet und setzte mich auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

„Und? Hast du alles verstanden?“ fragte er mich.

„Glaube schon. Ist auch gar nicht so kompliziert. Eher witzig, stellenweise.“

„Na gut, dann erkläre ich dir, wie es bei uns läuft. Die Kunden rufen an, und der Typ vom Telefondienst schaut als erstes, wer auf Abruf ist. Dann geht er die Fragebögen durch, um zu checken, wer zu dem Kunden am besten paßt. Du kriegst einen Anruf, man sagt dir den Namen und die Adresse des Kunden. Nimmst du den Auftrag an, gehst du einfach hin. Je nachdem, wo der Ort ist, kann es sein, daß jemand vom Service dich hinfährt, oder du fährst zum Kunden mit den Öffentlichen oder mit dem Fahrrad. Ganz wie du willst. Danach rechnest du direkt mit dem Fahrer ab, oder du kommst einmal die Woche eins Büro und erledigst das hier. Es gibt immer eine Liste, die die Außenstände zeigt. Wenn du beim Kunden ankommst, rufst du als erstes bei uns an, um zu sagen, daß die Uhr läuft. Wenn der Kunde fertig ist, meldest du dich noch mal bei uns. So können wir mit dem Kunden genau abrechnen, und alles bleibt professionell und ehrlich. Wir kriegen natürlich unseren Prozentsatz, den Rest behältst du. Ich bin hier nur angestellt; der Besitzer heißt Kaywai, er kommt aus Thailand, lebt aber jetzt in Spanien.“

„KY?“

„Ja, auch wir denken natürlich gleich an das Gleitgel KY und müssen immer lachen, wenn wir seinen Namen hören. Jetzt nennen wir ihn statt Kaywai nur KY – oder besser noch: Madame. In Amsterdam ist er Gott sei Dank nur sehr selten. Wenn du länger bei uns bleibst, wirst du aber ganz bestimmt das Vergnügen haben. Alles klar?“

„Kein Problem, Piet. Das meiste steht auch im Handbuch drin.“

„Ja, ich wollte das nur noch mal zusammenfassen. Hast du noch irgendwelche Fragen?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich bin mit allem einverstanden. Auch mit den Preisen und Prozenten.“

Also gingen wir zu „Schritt Zwei“ über. Als erstes wollte Piet wissen, ob ich ein Handy hatte. Ich verneinte, mußte aber versprechen, mir sofort eins zu besorgen. Dann fragte Piet eine ganze Latte von Sachen ab, etwa ob ich aktiv oder passiv sei, gerne küsse und blase, bis hin zu Dingen, die ich auf keinen Fall machen würde. Piet wollte alles wissen und trug meine Antworten fein säuberlich in eine Tabelle ein, die der Person vom Telefondienst später vorliegen würde, wenn sie uns mit den Kunden verkuppelte.

Ich beschrieb mich als einundzwanzig Jahre alt, blond, blauäugig, 180 cm groß, unbehaart, nicht oral – also weder Küssen noch Blasen – und „versatile“, d.h. sowohl aktiv als auch passiv. Als Künstlernamen legte ich mir „Con“ zu. Das wird bei den Männern bestimmt gut ankommen, dachte ich mir. Kurz und direkt, mit einer Ahnung von „brutal“.

Als Begrüßungsgeschenk bekam ich eine Flasche Poppers, eine kleine Tube Gleitgel und ein paar Kondome. Piet sagte mir, ich könne jederzeit Kondome umsonst haben, Gleitmittel und Poppers gebe es zum Einkaufspreis über das Büro. Er ermahnte mich, auf jeden Fall immer genau diese drei Dinge bei mir zu haben und am besten auch noch einen Cockring – falls mein Schwanz mal nicht von allein stand.

Mit so einer einfachen Geschäftsphilosophie konnte ich wunderbar leben. Also hob ich meine Kaffeetasse und prostete Piet zu: „Auf gute Zusammenarbeit!“

„Willkommen an Bord, Con! Wir freuen uns immer, wenn wir mit solchen knackigen Jungs wie dir arbeiten können. Unsere Kunden werden dich lieben. Besorg dir schnell ein Handy, dann ruf an und sag Bescheid, wenn ich dich eintragen kann.“

„Mache ich als erstes, wenn ich hier fertig bin, Piet. Dann gebe ich euch die Telefonnummer durch.“

„Du wirst schon bald von uns hören, Con. Da bin ich mir sicher. Es könnte sogar sein, daß ich heute abend schon was für dich habe.“

„Hört sich toll an.“

„Also gut. Wir melden uns. Bis dann. Und danke.“

„Ich habe zu danken, bis später!“

Das Vorstellungsgespräch hatte kaum eine Stunde gedauert.

Wieder draußen hatte ich ein richtig gutes Gefühl. Das Überleben in einem fremden Land würde doch einfacher sein, als ich gedacht hatte. In meinen ersten Jahren in San Fran­cisco hatte ich schon so häufig Sex verschenkt. Nun war es an der Zeit, aus meinem Hobby Kapital zu schlagen. „Ich bin vielleicht eine Hure, aber auf jeden Fall eine teure!“ sagte ich zu mir selbst.

Gott sei Dank gibt es im kosmopolitischen Amsterdam keine Probleme, ohne Kenntnisse der holländischen Sprache den Alltag zu bestreiten. Irgend jemand konnte immer genug Englisch, und so war es ein Kinderspiel, mir noch am gleichen Tag ein Mobiltelefon zu besorgen. Nachdem ich den Handykauf hinter mich gebracht und Piet die Telefonnummer durchgegeben hatte, ging ich in mein Hotel und wartete auf den ersten Anruf vom Service.

Am gleichen Abend noch hatte der erste Kunde das Vergnügen, meine Dienste in Anspruch zu nehmen. In den ersten drei Tagen wickelte ich ungefähr zehn Kunden ab. Die Hälfte davon hat mir sogar Spaß gemacht, da die Männer verhältnismäßig jung waren. Die restlichen verliefen im Prinzip ebenfalls komplikationslos. Ein wirklich leicht verdientes Geld.

Vier Tage nach meinem Einstellungsgespräch bekam ich am Nachmittag einen Anruf vom Service.

„Con, ich habe was für dich.“ Die Stimme erkannte ich sofort. Schon nach ein paar Tagen konnte ich die Jungs vom Telefondienst auseinanderhalten.

„Schieß los, Oscar.“

„Ein Stammkunde von uns, ein Australier, ist wieder in der Stadt und verlangt nach ein paar neuen Gesichtern. Normalerweise bestellt er eine ganze Menge Jungs hintereinander. Ich bin mir sicher, du wirst ihm gefallen.“

Das Callboy-Handbuch hatte ich zu Hause genau studiert, also überraschte mich der Auftrag eigentlich nicht. Neuzugänge wurden gerne bei den Stammkunden als Frischfleisch herumgereicht. In der Regel mußte man jedoch zuerst die ganzen Stammkunden außerhalb Amsterdams durchmachen, bevor man die in der Innenstadt bekam, und diese Jobs fanden meistens in Hotels statt.

Am Anfang fühlten ich mich unwohl, wenn ich einen Termin in einem der vielen Hotels annahm, denn ich war mir sicher, daß jeder Angestellte sofort wußte, warum ich da war. Doch irgendwann fand ich genau dieses Gefühl toll. Weniger als fünfzehn Minuten, nachdem ich das Gebäude betreten hatte, verließ ich das Hotel in der Regel wieder, meist mit mehr Geld, als die Angestellten in zwei bis drei Tagen verdienten.

„Klingt gut, Oscar. Wo soll’s hingehen?“

„Moment mal. Diesmal ist es ein bißchen anders. Marc wird dabei sein.“

„Wer ist das denn?“ fragte ich, inzwischen etwas skeptischer geworden.

„Marc ist ein Deutscher, der erst letzte Woche bei uns angefangen hat. Ein wirklicher Leckerbissen. Der wird dir schon gefallen.“

„Und was müssen wir tun?“

„Es ist ganz einfach. Ihr sollt für den reichen Australier nur eine Show hinlegen. Ein bißchen rumficken und den Kunden heißmachen, bis er abspritzt.“

„Und muß ich’s mit dem Kunden auch treiben?“ fragte ich vorsichtig.

„Nein, nein. Das nicht. Er will nur zuschauen. Er sitzt ein bißchen abseits, feuert euch an und holt sich dabei einen runter. Ein Zuckerschlecken, glaub’s mir, Con. Genau das Richtige für dich nach den langweiligen Nummern der letzten Tage. Notier dir: American Hotel, Leidsekade, 20 Uhr.“

„Klingt wirklich einfach, Oscar. Na gut, ich melde mich, wenn ich dort ankomme.“

Ich hatte total feuchte Hände. Mit einem anderen Jungen vom Service eine Show hinzulegen war schon anders als das, was ich in den letzten Tagen hatte machen müssen. „Na ja, immerhin muß ich es nicht mit einem alten Sack treiben“, dachte ich mir, als ich mich auf den Weg machte.

Als ich das American Hotel betrat, war ich ganz schön aufgeregt. Ich riß mich aber zusammen, denn allein die Vorstellung, mit einem geilen Deutschen eine Nummer zu schieben, törnte mich tierisch an.

Der Australier war Ende Dreißig und sah gar nicht so schlecht aus. Er saß in einem Sessel, nur mit einem Lederharneß bekleidet, und schniefte Poppers, anscheinend eine ganze Weile, denn seine Lippen waren schon ziemlich blau.

Der Deutsche war schon da. Ich schätzte Marc auf 175 cm und mein Alter. Er wog um die 75 kg, hatte dunkelbraune Haare und braune Augen. Mit einem dunkleren Teint hätte man ihn bestimmt für einen Südländer gehalten. Er ging wahrscheinlich oft schwimmen, denn sein durchtrainierter Körper war der eines Ausdauersportlers und nicht der eines Bodybuilders. Sehr gelenkig und sehnig. Er hatte die starken Waden und Beine eines Fußballspielers, und seine gestutzten Brusthaare ließen darauf schließen, daß er sie neulich mit der Maschine gekürzt hatte.

Alles andere ging sehr schnell vorbei. Die Nummer war so neu, und da waren so viele Eindrücke, die ich gar nicht so schnell verarbeiten konnte. Ich fuhr völlig darauf ab, daß uns der Australier zusah, wie wir miteinander rummachten.

Marc und ich gingen an die Nummer ran, als würden wir es jeden Tag miteinander treiben. Sein Körper kam mir seltsamerweise vertraut vor, und intuitiv schien ich zu wissen, wie es ihm am besten gefiel. Ihm ging es ähnlich, das konnte ich spüren. Den Kunden vergaßen wir dabei völlig.

Sofort verliebte ich mich in Marcs Körper, der so muskulös, aber gleichzeitig so natürlich war. Und dann war da noch sein unbeschnittener Schwanz, den ich gleich in den Mund nehmen wollte. O Karen, dagegen kommst du wirklich nicht an!

Hin und wieder ließ der Australier von seinem Sessel aus einen Wunsch verlauten, etwa wie wir uns positionieren sollten, aber ansonsten überließ er uns unserer Phantasie.

Zuerst erforschten wir unsere Körper und steigerten uns dann mit heftigem Küssen. Wir warfen uns auf den Boden und rollten durch das Zimmer, dann lagen wir in der 69-Position und verwöhnten gegenseitig unsere Schwänze. Marcs Vorhaut war so weich, sein Schwanz schmeckte so gut. Normalerweise möchte man bei Bezahlung wirklich nicht alles frei Haus liefern und nur geben, was man unbedingt muß. Nicht in diesem Falle. Hemmungslos arbeiteten wir uns runter zu den Eiern. Er hatte einen schönen kräftigen Sack mit prallen Hoden, die sich in meinem Mund gut anfühlten.

Aber das Ziel dieser Reise war sein Arsch, ich wollte ihn schmecken. Ich hatte schon mal jemandem den Arsch geleckt, und es hatte mir gefallen, gehörte aber nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Marc hatte aber einen knackigen Arsch, der mit weichen blonden Haaren bedeckt war. Ich ließ vor Begeisterung meine Lippen von den Eiern runter zur Rosette gleiten, preßte meinen ganzen Mund drauf und ließ die Zunge kreisen.

Das Beste daran war, daß ich in diesem Moment das gleiche an meinem Arsch spürte. Der Sex war so intensiv und vertraut. Für einen Moment hatte ich sogar vergessen, daß ich bei einem Job war.

Das war die Art von sexuellem Austausch, von dem ich immer geträumt hatte. Bei dem man sich gehen läßt und nicht mehr – wie Karen – an die Frisur denkt oder überhaupt an irgendetwas anderes, sondern nur noch seinen Gelüsten gehorcht.

Ich hatte schon immer gewußt, daß es so etwas geben mußte. Daß ich es aber in Europa bei der „Arbeit“ kennenlernen sollte, wäre mir nie im Traum eingefallen.

Voyeurismus und Exhibitionismus. Beides sind, wenn richtig ausgelebt, wirklich starke Gefühle. Ich hatte mich ganz und gar auf Marc konzentriert, das Hotel hätte abbrennen können, ich hätte es nicht mitbekommen.

Wir leckten unsere Körper ab und massierten uns gegenseitig. Weder Marc noch ich mußten wirklich arbeiten. Alles lief wie von selbst. Anscheinend waren wir beide beim Service als „versatile“ gemeldet, denn wir fickten einander ohne Probleme, nach Anweisung unseres Zuschauers, und bekamen doch tatsächlich Applaus, als wir gleichzeitig kamen.

„Das ist mir ein gutes Trinkgeld wert. Ihr Jungs habt es echt drauf!“ grinste uns der Australier an, nachdem auch er ein paar Sekunden später abgespritzt hatte.

So viele Eindrücke, so eine Vertrautheit, und im nachhinein ärgerte ich mich, daß ich danach keine Gelegenheit hatte, Marc näher kennenzulernen. Ich hatte keine Ahnung, wie er wirklich hieß, ich konnte mich nicht mal daran erinnern, ob wir überhaupt ein Wort gewechselt hatten. Alles ging so schnell, und als ich vom Duschen zurückkam, war er schon weg. Ich hätte ihn gerne zu einem Joint eingeladen; es wäre schön gewesen, einen Freund in Amsterdam zu haben. Gott sei Dank hatte ich ihm einen Zettel mit meiner Telefonnummer und meinem Namen in die Hosentasche gesteckt, als er kurz aufs Klo ging. Jetzt konnte ich nur hoffen, daß er sich meldete.

Die Herengracht

„Markus, Süßer, ich bin’s, Jan, die Sonne deines Lebens. Ich komme gleich zur Sache: Ich muß meine Wohnung hier in Amsterdam auf unbestimmte Zeit untervermieten, da ich ein Engagement in den USA bekommen habe. Hast du Interesse?“ flötete Jan regelrecht durch die Leitung.

Ich erinnerte mich, daß wir bei meinem letzten Besuch darüber gesprochen hatten, wie gerne ich in Amsterdam leben würde. Sein Vorschlag kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Jan hatte Recht: In diesem Augenblick war er tatsächlich die Sonne meines Lebens.

Meine Beziehung in Berlin bröckelte, und ich wollte unbedingt einen Schlußstrich ziehen. Ich hatte die Nase voll und wollte mal wieder das Leben eines Single genießen, denn mit Martin hatte es einfach aufgehört, Spaß zu machen. Es war, wie ich es in jeder anderen Beziehung erlebt hatte: Man hockt vierundzwanzig Stunden am Tag zusammen rum, sieben Tage die Woche – kurz 24/7 – und hatte sich irgendwann nichts mehr zu sagen. Wir ödeten einander nur noch an, und mir war inzwischen klar: Ich wollte etwas anderes vom Leben, und mit Martin würde ich es ganz bestimmt nicht finden.

Auch Berlin interessierte mich nicht mehr. Ich hatte die Stadt mit einem anderen Charme kennengelernt, einem Charme, der jetzt dem einer Großstadt Platz machen mußte. Der Umzug des Bundestages, die ewigen Baustellen, ein Job, der mich langweilte, und dazu die Unzufriedenheit mit meiner Beziehung – all das machte es mir leichter, mich spontan zu entscheiden. Das beste für einen Neuanfang ist bekanntlich ein Ortswechsel. Also sprach alles für Amsterdam.

„Ja, ich nehme sie!“ Als ich diese Worte aussprach, wußte ich, das war die beste Entscheidung, die ich seit Jahren getroffen hatte.

Also verließ ich Berlin im Streit, denn in Frieden auseinanderzugehen, war mit Martin nicht möglich. Ich ließ ihn schreiend in der Wohnung stehen und ging nach Holland.

Einen Plan hatte ich aber: In Berlin gab es einen Callboyservice, für den ich hin und wieder gearbeitet hatte, um ein bißchen Taschengeld zu verdienen. Im schwulen Mekka Amsterdam, wo Prostitution legal ist und es noch dazu von Touristen wimmelt, da sollte es doch ganz einfach sein, die Miete zu verdienen. Holländisch konnte ich zwar nicht, aber Englisch würde in einer Stadt wie Amsterdam für den Anfang schon reichen.

Mit solchen guten Voraussetzungen kam ich in Amsterdam an und fühlte mich sofort zu Hause.

Jans Wohnung nahm die ganze untere Etage eines stattlichen Hauses an der Herengracht ein. Vom Wohnzimmerfenster aus hatte ich eine wunderbare Sicht auf die Gracht, und ich liebte es, auf dem Sofa zu sitzen und den Leuten zuzuschauen, die auf dem Bürgersteig vorbeiliefen. Alles war so traumhaft, und es machte mir gar nichts aus, daß die Leute ins Wohnzimmer schauen konnten. Gäbe es wirklich etwas zu sehen, würde ich die Aufmerksamkeit einfach genießen. Die Vorhänge hätte ich ja jederzeit zuziehen können.

Alles war so romantisch, das schmale Haus, die ruhige Gracht, die bunten Menschen; es war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich verliebte mich sofort in die Wohnung.

Dank meiner Erfahrung bei dem Berliner Callboyservice fiel es mir recht leicht, in Amsterdam in dem Metier Fuß zu fassen. Aus Markus wurde Marc – mein Alter ego, wenn es ums Geldverdienen ging.

Als ich noch neu im Geschäft war, ging ich zu den Kunden ins Zimmer und wollte soviel Zeit wie möglich verschwenden. Ich fragte nach einem Glas Wasser und rauchte eine Zigarette mit ihnen, oder ich fragte, ob ich die Toilette benutzen könnte. Alles Versuche, den Sex so lange wie möglich hinauszuzögern, um die ganze Stunde voll zu bekommen. Wie Piet mir beim Einstellungsgespräch aber erklärte, zahlten die Kunden sowieso für eine volle Stunde, ob ich zehn Minuten blieb oder fünfzig.

Irgendwann hatte ich selbst bemerkt, daß solche Hinhaltetaktiken nur bewirkten, daß ich die ganze Stunde beim Kunden verbringen mußte. Also fing ich an, sobald ich in der Wohnung ankam, dem Kunden die Klamotten vom Leib zu reißen und mit dem Sex loszulegen. Die meisten waren so ausgehungert, daß sie bei meiner zupackender Art nach wenigen Minuten kamen. Gleich danach konnte ich also abhauen, weil es ihnen peinlich war, daß sie so schnell gekommen waren.

Seit anderthalb Wochen war ich in Amsterdam, als Oscar vom Telefondienst mich fragte, ob ich Lust auf einen Dreier hätte. Er erklärte mir alles, und ich war neugierig auf den neuen amerikanischen Kollegen. Wenn es stimmte, was Oscar mir erzählte, würden wir dem Australier die Nummer seines Lebens präsentieren.

Ich fuhr gerade mit meinem Fahrrad durch die Fußgängerzone auf dem Weg zum Hotel; es war wunderschön warm draußen, und ich freute mich schon auf das Geld, das ich bald verdienen würde. Amsterdam an einem schönen Tag! Eine entspannte Fahrradtour zum Job. Ich fand, ich hatte das große Los gezogen; alle Probleme hatte ich hinter mir gelassen, ich war ein neuer Mensch. Ich fühlte mich so sorglos und frei wie seit langem nicht mehr, als ich plötzlich einen Schrei hörte. Ich hielt sofort an, drehte mich um und sah, wie ein Junge mitten in der Fußgängerzone krampfhaft versuchte, die Schläge und Tritte zweier Kerle abzuwehren, die ununterbrochen auf ihn einschlugen. Die Menschen, die vorbeiströmten, taten so, als würden sie nichts sehen.

Ohne zu überlegen, stieg ich ab und fing an, brüllend und wild gestikulierend auf die Angreifer zuzugehen. Da der Junge inzwischen bewußtlos war, ließen sie von ihm ab und drehten sich zu mir um. Der eine Kerl schlug mir ins Gesicht, und ich hatte gerade noch Zeit, selbst einen Schlag zu landen, bevor mich der andere angriff und ich zu Boden stürzte. Mein Rucksack machte es mir nicht besonders leicht, schnell wieder aufzustehen, doch kaum hatte ich mich aufgerichtet, waren die beiden schon verschwunden. Mein Fahrrad aber auch.

Ich kniete neben dem Jungen und hielt ihm den Kopf. Keine Ahnung, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte. Auf jeden Fall war ich plötzlich mitten drin im Geschehen.

Es war vermutlich die Besitzerin des Ladens, vor dem wir lagen, die die Polizei und den Krankenwagen rief, sie war auch die einzige, die uns zu Hilfe kam. Als die Sanitäter eintrafen, hielt ich dem bewußtlosen Jungen immer noch den Kopf. Ich mußte meine Aussage machen und ihnen meine Adresse und Telefonnummer geben. Mein Unterkiefer, der den Schlag abbekommen hatte, tat plötzlich weh, und ich fluchte, während ich den Weg zum Hotel zu Fuß zurücklegte. So schnell kann sich alles ändern. Ich radele gutgelaunt durch die schönste Stadt Europas, und dann passiert mir so was!

Rein und schnell wieder raus – das war mein einziger Gedanke, als ich mich unten an der Rezeption meldete.

Ich war viel zu durcheinander, um mich auf den Kunden, geschweige denn auf den neuen Kollegen einzulassen. Der Ami war zwar geil, und der Job verlief unkompliziert und ruhig, doch die Geschichte mit der Schlägerei hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß ich mich nicht richtig konzentrieren konnte.

Ich hatte kurz überlegt, ob ich nach dem ganzen Theater nicht lieber absagen sollte, aber so was Unkollegiales und Unprofessionelles konnte ich nicht tun. Ich nahm die Situation erst richtig wahr, als uns der Australier die Kohle und das Trinkgeld in die Hand legte. Er zeigte sich überaus spendabel.

Trotz meiner Verwirrung bemerkte ich, wie professionell der Amerikaner arbeitete. Er hatte eine überzeugende Art, mit dem Kunden umzugehen. Sein Lächeln war so verführerisch, sein Körper reagierte auf jede meiner Berührungen. Die Nummer für den Australier entpuppte sich als genau die richtige Therapie nach so einem traumatischen Erlebnis.

An viel mehr konnte ich mich eigentlich nicht erinnern. Ich war so sauer, daß sie mir das Fahrrad gestohlen hatten, daß ich nur noch weg wollte. Kaum hatte ich meinen Teil der Bezahlung in die Hosentasche gesteckt, war ich schon auf der Straße. Ich hätte mich vielleicht von dem Amerikaner verabschieden sollen, aber er war noch unter der Dusche. Ich mußte mir aber keine großen Sorgen machen: Amsterdam ist so eine kleine Stadt, daß ich mir sicher war, ihn bald wiederzusehen.

Ich wollte einfach nur schnell nach Hause, um mir dort einen schönen, fetten Joint zu gönnen. Unterwegs besorgte ich mir noch eine Flasche Wein, rief beim Service an und meldete mich ab. Diesen komischen Tag wollte ich so schnell wie möglich vergessen.

Zu Hause angekommen zündete ich ein paar Kerzen an, verbrannte meine Lieblingsräucherstäbchen aus Indien, Nag Champa, und gab mich dem Joint und dem Wein hin. Als ich Portemonnaie und Kleingeld aus meiner Tasche zog, stieß ich auf einen Zettel: „Hotel – Australier – ich der Amerikaner. Ruf mich an. Con.“ Darunter stand eine Handynummer.

Die Erinnerung an die geile Nummer mit dem knackigen Amerikaner zauberte sofort ein Lächeln auf mein Gesicht. Wie goldig! Ich nahm mir vor, ihn in den nächsten Tagen anzurufen.

Es war Mittwochabend, und ich hatte nichts Besonderes vor. Ich mußte auf dem Sofa eingeschlafen sein, denn plötzlich riß mich das Läuten des Telefons aus meinen Träumen.

Der Service konnte es nicht sein, denn ich hatte mich doch abgemeldet. Einerseits war ich schon neugierig zu erfahren, wer am anderen Ende war, doch gleichzeitig wollte ich nur meine Ruhe.

„Hallo?“

„Schatz, wie oft soll ich dir noch sagen, daß wir Holländer es als höflich betrachten, wenn du dich am Telefon mit Namen meldest: ‚Met Markus.‘ Das ist doch nicht so schwer. Versuch es doch wenigstens. Ein bißchen Holländisch kann dir nicht schaden.“

„Du hast ja recht, Fons, und vielen Dank, daß du immer wieder versuchst, mir Holländisch beizubringen.“

Ich nahm die letzten Züge von dem Joint, den ich im Aschenbecher hatte ausgehen lassen, und hörte die inzwischen allzu vertraute Stimme von Fons, einem Arbeitskollegen, den ich vor einigen Jahren bei einem Amsterdam-Besuch kennengelernt hatte. Seit meiner Ankunft in Holland war ich oft mit ihm ausgegangen, und wenn uns danach war, hatten wir auch Sex miteinander: unverbindlich und unkompliziert.

„Na, schöner Mann? Wie geht es dir? Ich habe dich seit Tagen nicht gesehen.“

„Ja, ich weiß. Ich hab gerade so viel um die Ohren“, sagte ich und erzählte ihm von der Schlägerei.

„Mensch, nach so einer Geschichte solltest du aber nicht zu Hause rumsitzen. Weswegen ich anrufe: Mein Mitbewohner und ich wollten dich zu einer kleinen, spontanen Sexparty bei uns zu Hause einladen. Claus, Mike und Adrian sind schon hier, Jarold und Chris kommen in der nächsten halben Stunde vorbei. Na, hast du Lust?“

Einen kurzen Augenblick dachte ich darüber nach. Während meine Augen über den Tisch streiften und nach den Zigaretten Ausschau hielten, blieb mein Blick auf dem Zettel mit der Telefonnummer des Amerikaners haften.

„Kann ich jemanden mitbringen? Ich habe heute einen Jungen vom Service bei einem Dreier kennengelernt. Er heißt Con und ist noch nicht so lange dabei. Er ist Amerikaner und sehr sympathisch. Kann ich ihn anrufen und fragen, ob er Lust hat, mit seinen neuen Kollegen eine kleine Party zu feiern?“

„Kein Problem, du kennst inzwischen meinen Geschmack. Wenn du meinst, er paßt zu uns, dann bring ihn einfach mit. Ich habe, wie du weißt, keinerlei Berührungsängste!“ freute sich Fons.

„Wunderbar, ich rufe ihn an. Wir sehen uns dann bald!“ Ich legte auf und wählte die Nummer, die auf dem Zettel stand.

Met Con!“

„He, Con, hier ist Marc. Wir hatten heute das Vergnügen beim Australier. Ich fand gerade deine Nummer in meiner Tasche. Was machst du im Moment?“

„Nicht viel. Ich liege im Bett und lese.“

„Ruf den Service an und melde dich ab, denn wir gehen auf eine private Sexparty, die ein paar Kollegen veranstalten. Hast du Lust?“

„Toll, das kommt mir gerade recht. Wo sollen wir uns treffen?“

„Die Party ist bei mir gleich um die Ecke. Wenn du willst, kannst du hier vorbeikommen. Ich wohne Herengracht 166. Und du?“

„Kerkstraat.“

„Na klasse, das liegt auf dem Weg. Komm doch vorbei, dann gehen wir gemeinsam hin.“

„Hört sich gut an. Gib mir fünfzehn Minuten. Tschüs!“

Ich hatte nicht gedacht, daß wir uns so schnell wiedersehen würden. Aber da war sofort eine Kommunikation, die stimmte. Direkt, ehrlich, ohne Umwege. So einen Freund hatte ich mir gewünscht. Jemanden, mit dem ich alles teilen konnte, aber trotzdem dabei mein eigenes Leben leben: Sex in Dark­rooms, Saunabesuche, meine Freiheit genießen. Sex konnte ich überall haben, eine Beziehung war dazu nicht nötig. Einen Freund zu finden war dagegen schon viel schwieriger.

Natürlich wäre es spannender gewesen, beides zu haben, aber ich hatte mir fest vorgenommen, nicht darauf zu warten. Wenn es sein mußte, würde ich mir beides eben einzeln suchen.

Das alte Rein-Raus

Zwei Jahre lang hatte ich mit einer Frau gelebt. Und kaum eine Woche nach dem Abschied von meinem Hetero-Dasein verdiente ich mein Geld, indem ich mit Männern Sex hatte! Nach meiner langjährigen Beziehung mit Karen schwebte mir zwar ein ausschweifendes schwules Leben vor, doch eine private Sexparty in der ersten Woche hatte ich nicht erwartet – gewünscht schon, aber nicht damit gerechnet.

Karen hatte mir gezeigt, daß mich die Welt der Heteros nicht erfüllte und daß es doch mehr im Leben geben muß als Monogamie, Ehe und eine einzige Variante von Sex: Rein-Raus. Ich sehnte mich nach mehr, nach einer Freundschaft, nach Gegenseitigkeit, freiwillig und ohne Besitzansprüche.

All das ging mir durch den Kopf, als ich unterwegs zu Marc war, neugierig, was diese neue Erfahrung mir bringen würde.

Als Marc mir die Tür öffnete, roch ich schon die Räucherstäbchen. Das Wohnzimmer strahlte eine sehr entspannte Atmosphäre aus, und überall brannten Kerzen.

Er war mir auf Anhieb sympathisch, und ich war froh, daß er mich angerufen hatte. Es war komisch, aber ich hatte das Gefühl, als kannten wir uns schon ewig. Seinen deutschen Akzent fand ich auch sehr erotisch. Komischerweise war es mir im Hotel gar nicht aufgefallen. Na ja, so viel hatten wir auch nicht miteinander geredet.

Es war wunderschön entspannend und witzig zugleich, sich mit Marc zu unterhalten. Wir harmonierten sofort und kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus. Gegenseitig beschrieben wir uns die Wege, die uns bis zu diesem Zeitpunkt in unserem Leben brachten. Nach Amsterdam, einer Stadt, in der alles möglich schien.