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Viele Frösche musst
du küssen,

Tinderella!

Eine wahre Liebesgeschichte
von Nina Ponath

Von der Zettelnachricht zum
Tinder-Match

»Ich dachte ja eigentlich immer, es gibt Leute, die sich normal kennenlernen, und es gibt die, die sich im Internet kennenlernen.«

An alle, die das hier lesen: Wahrscheinlich haltet ihr dieses Buch in euren Händen, weil euch selbst schon aufgefallen ist, dass Dating irgendwie nicht mehr so das Wahre ist. Oder sich zumindest sehr verändert hat, seit ihr zwölf Jahre alt wart und den ersten Anruf von diesem kleinen Jungen aus eurer Klasse bekommen habt, der euch im Auftrag seines besten Freundes gefragt hat, ob ihr mit ihm ins Kino gehen wollt. Oder auch seit ihr 15 wart, das erste Mal leicht beschwipst nach einem Bier (damals war es noch so günstig, sich zu betrinken) im Club eures Heimatortes mit dem Typen aus der Oberstufe getanzt habt und dann alles irgendwie ganz einfach war. So läuft das ja irgendwann leider nicht mehr. So wie aus unserem Nokia 3310 ein iPhone wurde, wurden aus den »Willst du mit mir gehen? – ☐ Ja ☐ Nein ☐ Vielleicht«-­Zetteln irgendwann Facebook-Pokes und Tinder-Matches.

Letzteres ist irgendwie immer noch nicht so ganz gesellschaftsfähig. Wenn ich nach der Kennenlerngeschichte von meinem Freund und mir gefragt werde, werde ich jedenfalls regelmäßig mit großen Augen angestarrt – bevor die anderen dann damit rausrücken, dass auch sie ihren Freund bei Tinder kennengelernt haben. Im Prinzip kann ich die »Plötzlich stand sie da an der Supermarktkasse«-­Geschichten ja auch verstehen. Es stimmt schon, bei Tinder wimmelt es von Vollidioten, die einem standardisierte Fragebögen schicken, und Perverslingen, die einem in der ersten WhatsApp-Nachricht zeigen, was sie in der Hose haben. Bei den Frauen sieht es anscheinend auch nicht anders aus. Wenn man denn überhaupt eine findet, die nicht auf jedem Bild ihr debiles Selfie-Gesicht in die Kamera hält, trifft man gern mal auf MILFs, die einem die gemeinsame Nacht kommentarlos bezahlen, ehemalige Provinz-­Beautywettbewerbs-Siegerinnen, die Männer nur als lukrative Toyboys halten wollen, oder man bringt sich einfach selbst in dämliche Situationen, weil alle Tinder nur als Online-Puff verstehen.

Kurz gesagt: Bevor mein Freund und ich uns rein zufällig, mehr oder weniger aus Langeweile, auf dem Handy-Display begegnet sind und beide nach rechts gewischt haben, haben wir über Tinder so manche Nachricht bekommen, die einem Psychologen genug Arbeit bis zur Rente sichern würde, und Menschen getroffen, die man sonst allenfalls in Fernseh-Talkshows sieht. Dieses Buch ist eine Sammlung unserer unterhaltsamsten und besonders einschneidenden Tinder-Erfahrungen, der typischen Stationen einer Tinder-Karriere wie »Jetzt lösche ich mein Profil endgültig – ehrlich!« und »Ich gehe jetzt nur zu diesem Date, weil ich heute Abend nichts Besseres vorhabe« – und wie dann doch alles ganz anders kam.

Trotzdem ist dieses Buch nicht rein autobiografisch (Wer bin ich denn auch, um eine Biografie zu schreiben?) und vereint die Erlebnisse meines Freundes, meiner Freundinnen und mir in leicht abgeänderter Form.

1

Go Tinder!

Ich kann super allein sein. Wirklich. Es stört mich gar nicht, das Bad so lange zu benutzen, wie ich will, und keine Angst haben zu müssen, dass mein Freund irgendwelche dubiosen Geräusche aus der Toilette hört. Noch viel besser finde ich, dass mein Kühlschrank voll mit leckerem Schrott ist und ich mir theoretisch jeden Tag Nutella auf mein Toastbrot schmieren kann, ohne dass mich irgendwer schräg anguckt. Ist doch toll.

Obwohl: Zählt man eigentlich überhaupt als Single, wenn der Exfreund direkt vom nächsten Lückenbüßer abgelöst wird? So war es nämlich bei mir, um ganz ehrlich zu sein.

Nach über vier Jahren Beziehung haben mein Exfreund Ben und ich festgestellt, dass wir außer gegenseitiger Abneigung keinerlei Gefühle mehr füreinander hatten, und endlich Schluss gemacht. »Ich glaube, wir sind nur noch aus Angst vor dem Alleinsein zusammen«, hatte ich zu Max gesagt und Nägeln mit Köpfen gemacht. Den Schritt hätte ich allerdings ganz sicher nicht gewagt, hätte es nicht Lorenz, eine Art Affäre aus München, gegeben, der mir zu diesem Zeitpunkt schon fleißig WhatsApp-Nachrichten schrieb und um ein Treffen bat.

Nach drei Dates hatte es sich mit dem aber auch schon wieder erledigt. Nicht kompatibel. Er fand mich nach zwei Gläsern Sekt einfach zu peinlich und ich war zu ehrlich: »Wie, du spielst Golf? Ich habe dich gefragt, ob du Sport machst …« Auch beim zweiten Date lief es nicht besser, was möglicherweise ein ganz kleines bisschen daran lag, dass Lorenz, wie gesagt, für mich den Ausschlag gab, mit meinem Exfreund Schluss zu machen. Als er mich dann zum ersten Mal in meiner Wohnung besuchen kam, fand er es vielleicht doch etwas merkwürdig, dass an meiner Klingel noch ein zweiter Name stand. Vielleicht haben ihn aber auch Max’ Möbel, die Fifa-Spiele und das gemeinsame Bild von uns im Flur gestört. Keine Ahnung. Auf jeden Fall war die Sache mit Lorenz danach durch.

Jetzt aber, wo ich nicht einmal mehr Lorenz als Lückenbüßer habe, merke ich, dass Alleinsein doch nicht so richtig mein Ding ist. Nutellatoast hin oder her, mir fehlt einfach jemand, den ich mit den kleinen und großen Katastrophen des Alltags zuspammen kann. Dafür müssen dann jetzt halt meine Freunde herhalten. Wofür hat man die auch sonst? Was mir am Singledasein fehlt, ist eigentlich auch nicht der Sex (nicht umsonst hatte ich in meiner Teeniezeit die Cosmopolitan abonniert), sondern eher die Aufmerksamkeit, die man in einer Beziehung bekommt.

»Aber Hasi, du bist doch nicht allein«, hat Timmi, mein Nachbar und bester Freund, gesagt, als ich mich neulich bei ihm darüber ausheulte, und mir dann geraten, ich solle es doch mal bei einem dieser Onlinedating-Portale versuchen. »Also ich habe über diese ganzen Flirt-Apps, Grindr und wie sie alle heißen, immer jemanden am Start, mit dem ich flirten kann. Sind zwar meistens die Falschen, aber wenigstens wünscht dir jemand abends eine gute Nacht mit Kuss-Emoji. Das braucht man halt manchmal fürs Ego.«

Da gehe ich absolut d’accord mit ihm.

»Probier es doch mal mit Tinder. Das ist echt ganz gut«, sagt dann auch Kathi, meine beste Freundin. »Eine Kollegin von mir ist da auch und die hat ständig irgendwelche Dates.«

Kathi ist gewissermaßen Dauer-Single und seit ein paar Wochen bei Tinder. Wobei ich mich frage, was sie da überhaupt möchte. Für mich gehören Internet und Flirten einfach nicht zusammen und ich habe da eine richtige Abscheu dagegen. Liegt vielleicht daran, dass ich noch zur »Generation studiVZ« gehöre – da gab es früher diese Gruppe: »Wer mich gruschelt, will Sex mit mir.« Das wäre bei mir einmal fast schiefgegangen. Da hatte mich Nicki, ein Typ, der mit mir zur Schule gegangen war, gegruschelt. Ich also zurückgegruschelt, woraufhin er gleich ganz ambitioniert fragte, ob wir am Wochenende was trinken gehen wollten. Damals dachte ich mir: Klar, warum nicht? Ich ging also zu Nicki, der sturmfrei hatte. Großer Fehler! Es sei denn, man steht darauf, von halbnackten Männern mit der rechten Hand im Schritt begrüßt zu werden. Auf jeden Fall hat meine Einstellung gegenüber allem, was mit Flirten und sozialen Netzwerken zu tun hat, seitdem erheblich gelitten. Kathi dagegen hat schon früher bevorzugt die Typen gegruschelt, die in besagter Sex-Gruppe waren, und es dann auch knallhart durchgezogen. »Warum soll ich mich erst fünfmal treffen, wenn ich einfach nur Sex will?«, meinte sie.

Das ist so gar nicht mein Ding. Andererseits, die Männer, die man im echten Leben kennenlernt, sind auch nicht gerade besser. Entweder sie zeigen dir, bevor ihr überhaupt richtig miteinander gesprochen habt, ihre Visitenkarte. Da frage ich mich dann immer, ob das auch so eine Art Ersatz-Penis ist, so von wegen: »Er ist sehr schmal, dafür auch sehr dünn, aber: Ich bin Banker.« Oder aber man gerät an Typen, die einem ohne Vorwarnung plötzlich beim Tanzen zwischen die Beine greifen. Stelle ich mir auch etwas schwierig vor, so ein erstes Date. Peinlich wird’s, wenn man dann später gefragt wird, wie man sich kennengelernt hat, und so was wie »Damals, als der Papa die Mama auf der Tanzfläche angegrapscht hat …« erzählen muss. Schwierige Kiste.

»Ehrlich, Maus. So geht’s mit dir auf jeden Fall nicht weiter«, sagt Kathi, die mir gegenüber am Küchentisch sitzt und erzählt, dass ich mir endlich mal wieder Ablenkung suchen muss. »Ich schaffe es sonst nicht mehr, deinen WhatsApp-­Newsticker zu beantworten.«

»Und du meinst, die Kerle bei Tinder sind so wild darauf, mit mir eine Brieffreundschaft zu führen?«, frage ich.

»Ja klar«, sagt meine beste Freundin überzeugt. »Wann bekommt man denn bitte sonst so viel Aufmerksamkeit wie beim Kennenlernen?«

Kann sein, dass sie recht hat. Meistens ist es ja wirklich so, dass man vor allem am Anfang so richtig an einer Person interessiert ist. Da gibt es ja auch noch so vieles, das man noch nicht kennt und erst erfassen muss. Deshalb schläft man am Anfang einer Beziehung auch so wenig; man muss sich noch so viel mitteilen und wann könnte man besser aus der Kindheit und von den Lieblingsfilmen erzählen als direkt nach dem Sex? Eben. Später zieht man eine Stunde Schlaf so einem Gespräch (und dem Sex) vor, keine Chance, da muss man sich nichts vormachen. Und so aufgeregt wie bei den ersten Nachrichten, die man bekommt, ist man nach ein paar Jahren Beziehung leider auch nicht mehr. Wäre wahrscheinlich auch ungesund, wenn einem jedes Mal, wenn das Handy ein Geräusch von sich gibt, das Herz fast durchgeht und man mit einem Freudenschrei erst mal schnell das Display umdrehen muss, wenn er dann tatsächlich geschrieben hat. So was geht in einer Beziehung irgendwann verloren und man registriert neue Liebesbekundungen per WhatsApp am Ende nur noch mit den zwei blauen Häkchen. Zur Kenntnis genommen, danke.

Vielleicht ist da Tinder doch die bessere Alternative. Um ehrlich zu sein, ist es nämlich auch so: Ich kann absolut nicht allein sein. Mich nervt es, jeden Morgen allein aufzuwachen, durch meine leere Wohnung, die immer noch nicht fertig eingerichtet ist, zu wanken und mir dann im Stehen kurz mein Frühstück reinzudrücken. Das Ganze meistens auch noch wortlos, denn der Einzige, mit dem ich reden könnte, ist Poldi, mein Hund. Nur antwortet der eher selten.

Also, was soll’s? Was habe ich denn auch großartig zu verlieren? Ist ja nicht so, als sei Dating sonst auch nur annähernd unkompliziert. Da klingt der Spruch »It’s like real life, only better«, den sich Tinder groß auf die Fahne schreibt, ja eigentlich ganz nett. Im echten Leben bringt es mir momentan nämlich so gar keinen Spaß, Leute kennenzulernen. Erst Lorenz, der Reinfall, und dann habe ich neulich Abend auch noch versehentlich mit einem Typen rumgeknutscht, der, wie sich später herausstellte, gerade seinen Junggesellenabschied feierte. Da ist es dann doch gar nicht mal so unglaubwürdig, dass eine Flirt-App besser sein soll als das echte Leben.

Wahrscheinlich war ich bisher ohnehin nur noch nicht bei Tinder, weil ich es nicht so mit Passwörtern habe und sämtliche meiner Sicherheitsschlüssel immer wieder mal wild miteinander kombiniere, die Handy-PIN in den Bankautomaten eintippe oder – wie es mir mit meinem iPhone passiert ist – so lange mein E-Mail-Passwort im App Store eingebe, bis ich gesperrt werde.

»Bei Tinder meldet man sich doch über Facebook an und das Passwort kriegt man ganz einfach wieder raus«, sagt Kathi. »Gib mal dein Handy her.«

Ich hasse es, wenn sie so die Regie übernimmt. Das macht sie immer, seit wir in der fünften Klasse nebeneinandergesetzt wurden und uns vom ersten Augenblick an absolut nicht leiden konnten. Ich fand ihre grüne Latzhose gewöhnungsbedürftig, sie gruselte sich vor meinen dunklen Augen und dem Psychoblick, den ich draufhabe, wenn ich mich konzentriere. Dann wurden wir von unserer Englischlehrerin aufgefordert, unsere Federtaschen herauszuholen, und, oh Wunder, wir hatten beide die gleiche Scout-Tasche mit den bunten Schmetterlingen. Natürlich wurden wir beste Freundinnen. Seitdem übernimmt Kathi die Führung bei Nachtwanderungen, beim Autofahren und bei der Wahl des richtigen Getränks. Wenn wir zusammen in den Urlaub fahren, ist klar, dass sie vom Flug bis zum Hotel die Buchung übernimmt, und auch jetzt wäre ich ohne meine beste Freundin wohl wieder mal verloren. Sofern man denn ohne eine Dating-App wie Tinder »verloren« ist.

»Bitte, geht doch«, sagt Kathi nach knapp drei Minuten und drückt mir mein iPhone zurück in die Hand.

Im App Store wird mir eine rote Flamme – Tinder – angezeigt. Jetzt installieren? Okay. Mögen die Tinder-Spiele beginnen!

*

Tinder? Ich glaube, davon habe ich das erste Mal im Onlinemagazin meines Vertrauens gehört beziehungsweise gelesen. Der Titel war »Dank Tinder haben wir jetzt jeden Tag einen One-Night-Stand« oder so etwas in der Art. Ganz genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern, aber ich weiß noch, dass ich mir dachte: Klingt ja gut. Dann kam mir aber auch schon Lotta, meine Ex, dazwischen, mit der ich bis vor einem Monat noch in einer Beziehung war. Sie ist zum Studieren in die USA und die Beziehung den Bach runtergegangen. Nicht so, wie man denkt, von wegen wir hätten uns langsam auseinandergelebt und dann entschieden, es sei besser, getrennte Wege zu gehen – nein! Vor genau neun Tagen bin ich zu ihr nach Missouri geflogen und dachte, wir würden uns dort eine nette Zeit machen. Ich wäre jetzt noch da, hätte sie mir nicht 24 Stunden nach meiner Ankunft eröffnet, dass sie »es halt nicht so fühlt«. Hätte ihr das nicht eventuell einfallen können, bevor ich knapp tausend Euro für den Flug hingeblättert habe? Es war dann auch der reinste Akt, wieder zurückzukommen. Bei Lotta wollte ich natürlich nicht mehr bleiben und habe dann alles nach Last-minute-Flügen abgeklappert. Am Ende hat es schließlich geklappt und ich bin ziemlich sauer in einem viel zu teuren Flieger zurückgeflogen. In Hamburg habe ich mich erst mal direkt von so ’nem Mädel abholen lassen, das mal auf mich stand. Man muss sich ja irgendwie ablenken. Bei meinen Kumpels bin ich seit der Nummer mit Lotta die Lachnummer. Wen wundert’s auch? Mein bester Freund Justus meinte, nachdem er sich vom Lachen wieder eingekriegt hat, ich sollte mal ein bisschen tindern. Meine Kumpels machen das alle schon eine Weile. Bei denen ist das der reinste Wettbewerb – ganz nach dem Motto: Schwanzvergleich war gestern, heute ist Matches-­Vergleich. Normalerweise ist so was ja nicht mein Ding, aber, wie gesagt, ich habe da mal so einen ansprechenden Artikel gelesen und überhaupt, wenn meine Jungs da unterwegs sind, muss man halt mitziehen …

Deshalb sitze ich jetzt wohl hier. Das Mädel, mit dem ich mich gleich treffe und das ich – abgesehen von ein paar Fotos – noch nie gesehen habe, hat mir auch absolut keine Wahl gelassen. »Also entweder wir treffen uns jetzt oder wir lassen das mit dem Schreiben.« Ich war dann ein bisschen hin- und hergerissen. Weil eigentlich brauche ich dieses Tinder ja gar nicht. Wenn ich ein Mädel gut finde, spreche ich sie halt an und meistens klappt es dann auch. Andererseits wird es schon auch seine Gründe haben, dass meine ganzen Kumpels bei Tinder unterwegs sind. Die meinen ja immer, eine leichtere Art, einen One-Night-Stand zu haben, gebe es gar nicht. Keine lästige Vorarbeit, so von wegen: »Darf ich dir was zu trinken ausgeben?« Wenn man darauf keinen Bock hat, schlägt man einfach direkt vor, sich abends zum Kochen zu treffen, und beide wissen ganz genau, was gemeint ist. So wie früher in der Oberstufe mit dem DVD-Gucken. Tinder ist sogar noch einfacher, meint Justus und der muss es wissen. Der macht das so richtig als Hobby. Morgens tindern, dann Fitnessstudio, anschließend im Supermarkt nebenan zwei Flaschen Wein besorgen und damit ab zum Tinder-Match. Mal schauen, wie es bei mir und Zoe läuft. Rein optisch würde ich auf jeden Fall nicht Nein zu ihr sagen, aber mal sehen. Ich habe ja keine Ahnung, wie so ein Tinder-Date abläuft, da sollte ich lieber nicht zu viel erwarten.

2

Kleine Tinder-Typologie für
Frauen und Männer

Einen Tag und 43 Matches später bin ich mir nicht so sicher, was ich von Tinder halten soll. Das Prinzip der App ist ja selbst für eine Technik-Legasthenikerin wie mich zu verstehen – warum alle so begeistert davon sind, dafür weniger. Die meisten Kerle, die mir bisher angezeigt wurden, sind jedenfalls nicht so wirklich brauchbar. Oder anders gesagt: Um den Großteil der Kerle, die man hier trifft und freiwillig matcht, macht man im echten Leben lieber einen großen Bogen. Überall Oberarm-Tribals und Oberlippenbärtchen, der reinste Ausverkauf. Da kann man doch auch einfach so bis zum Reste-Ficken in der Disco bleiben, ehrlich wahr. Bei beidem hat man eher die Qual als die Wahl. Zwischen den wenigen Guten, die man bei Tinder angezeigt bekommt und bei denen man aus Gewohnheit reflexartig meistens auch noch nach links wischt, findet man vor allem diese drei liebenswerten Artgenossen:

Der Protein-Shaker

Im normalen Leben läuft er einem leicht bekleidet und lautstark stöhnend im Discounter-Fitnessstudio über den Weg – und man selbst anschließend vor ihm weg. Der Protein-Shaker fällt einem vor allem wegen seiner überdimensionalen Oberarme ins Auge, die mühsam mit Whey, Shredz oder Ähnlichem herangezüchtet wurden. Damit der Oberarm auch richtig zur Geltung kommt, ist er zusätzlich mit einem Tribal, einem Tigerkopf oder einem chinesischen Schriftzeichen verziert. Auf Tinder setzt sich der Protein-Shaker gekonnt mit einem halbnackten Selfie vor dem Spiegel in Szene. Besonders wagemutige Exemplare der Gattung zeigen ihre nackte Kehrseite oder – noch besser – was ihr Tinder-Match beim Sex erwartet. Links.

Jungfrau, männlich, sucht …

Exemplare dieser Gattung sind im wahren Leben unauffällig. Bei Tinder sieht man aber mangels Auswahl ein zweites Mal genauer hin und tadaaa – schon entdeckt man blaue Augen, niedliche Locken und ein freundliches Lächeln. Was man auf der Straße gar nicht weiter beachten würde, zeigt plötzlich Wirkung, weil die Konkurrenz so mau ist. »Männlich, Jungfrau, sucht« kann hier auf den ersten Blick schnell mal attraktiv erscheinen. Error. Spätestens bei der dritten einschläfernden Nachricht bemerkt man, warum man diesen Tinder-Typen im wahren Leben noch nie getroffen hat – man ist bisher einfach schnurstracks vorbeigelaufen. Charme gleich null.

Ich will doch nur spielen!

Mit seinem charmanten Lächeln, dem durchtrainierten Körper und dem anziehenden Selbstbewusstsein fällt dieser Tinder-Boy auch im wahren Leben auf. Problem an der Sache: a) Er hat Tinder eigentlich gar nicht nötig und will hier nur mal checken, welche Mädels er das nächste Mal im Club ansprechen kann. b) Er hat Tinder gar nicht nötig, hat gerade aber einfach zu wenig Zeit, weshalb die Flirt-App die schnellste und effizienteste Lösung ist, um sich mal eben kurz einen One-Night-Stand klarzumachen. So oder so, von ihm sollte man besser die Finger lassen, denn auch wenn der Sex ganz gut ist – auf einen Rückruf wartet man vergeblich.

Bisher ist da wirklich kaum etwas dabei. Die Jungs, die ich einigermaßen gut fand, habe ich versehentlich auch gleich nach links gewischt, weil sich mein Finger schon so an die Richtung gewöhnt hatte. Das ist wie bei meiner ersten Führerscheinprüfung – da bin ich auch durchgefallen, weil ich beim Rechtsabbiegen rechts geblinkt habe und dann leider nach links gefahren bin, da ich an der Kreuzung sonst halt immer in die andere Richtung gefahren war. Den Fehler macht man bei Tinder ganz gern, denn wenn man erst mal so eine ganze Reihe potenziell krimineller Shredz-­Konsumenten hatte, will man einfach nur ganz schnell weg. Man bleibt dann aber irgendwie doch da – vielleicht aus Langeweile, vielleicht auch, weil man hofft, sein Ego so irgendwie boosten zu können. Im Prinzip ist Tinder da fast wie Pokémon spielen. Nur dass man statt kleiner bunter Viecher Männer sammelt. Das sieht man auch ganz gut an meinem aktuellen ­Tinder-Status: 43 Matches, nur knapp die Hälfte hat sich überhaupt zu einem müden »Hallo« bewegt. Sehr einfallsreich. Ist ja schon im Club nicht gerade der beste Spruch, aber bei so ’nem Online-Schrott, wo man wirklich alle Zeit der Welt zum Überlegen hat, könnte man doch wenigstens mit etwas Originellerem um die Ecke kommen. Vielleicht machen das ja die anderen 25 Matches und hüllen sich deshalb erst einmal in vornehmes Schweigen. Wäre ja ganz nice, besonders bei Alex, dreißig, Anwalt. »I always take my substitutes«, hat er in seinem Profil stehen und ist der Einzige, bei dem ich mich über das Match wirklich gefreut habe. Mit seinen blonden Locken und den strahlend blauen Augen passt er perfekt in mein Beuteschema – mal abgesehen davon, dass er einen echten Beruf hat und nicht im 13. Semester studiert/so ’n bisschen jobbt/mal schaut, was kommt. Keine Ahnung, was einer wie der überhaupt hier verloren hat. Wahrscheinlich braucht er die Tinder-Kontakte nur fürs Ego. Und wenn nicht? Was, wenn er hier wirklich jemanden kennenlernen will, wir uns aber beide zu schade sind, zuerst zu schreiben? Vielleicht sollte ich doch selbst den Anfang machen. Was hat man hier schon großartig zu verlieren?

»Hey, wollen wir uns auf eine Magnesium-Tablette treffen?«, tippe ich auf meinem iPhone und komme mir dabei unheimlich originell und humorvoll vor. Wenn er den versteht, sind wir wahrscheinlich schon mal einigermaßen auf einer Wellenlänge. Die reinste natürliche Selektion, ganz in Darwins Sinne. Für ein bisschen Ablenkung müsste der Gute allerdings irgendwann mal antworten, was er zwei Tage später immer noch nicht getan hat. Peinlich. Kann wirklich nur hoffen, dass ich diesem Alex nicht irgendwann zufällig über den Weg laufe. Was macht man eigentlich, wenn man jemanden trifft, von dem man bei Tinder abserviert wurde? Größe zeigen und ganz gleichgültig grüßen? Oder sich ignorieren, weil man sich vorher ja eigentlich eh noch nie getroffen hat? Wie sollte man sich überhaupt begrüßen? Mit Küsschen, Umarmung oder Händedruck? Alles so was von kompliziert, vielleicht sollte ich die App doch einfach wieder löschen. Dann kann man wenigstens nichts verkehrt machen. Gerade als mein Finger sich entschlossen auf den Menüpunkt »Einstellungen« zubewegt, blinkt eine neue Nachricht auf: Alex.

*

Langsam könnte Zoe ja schon mal kommen. Die Leute im Herren Simpel, der Bar, in der wir uns verabredet haben, gucken schon ganz komisch. Na ja, ich bin selbst daran schuld. Wir hätten uns ja nicht hier treffen müssen. Sie hatte noch vorgeschlagen, zu mir zu kommen, aber so finde ich es am unverfänglichsten. Ich meine, klar, ist ja nicht so, dass es einem nicht ab und zu ganz gelegen kommt, dass Frauen die neuen Männer sind und sich über die Zahl ihrer Bettgeschichten definieren. Aber ich bin mir immer gar nicht so sicher, ob ich mit so einer wirklich was anfangen will. Außerdem habe ich Zoe ja noch nie gesehen und es kann ja auch sein, dass jemand, der auf Fotos ganz gut aussieht, in Wirklichkeit das totale Grauen ist. Ich meine, von Tom Cruise denkt ja auch keiner, dass der perfekt auf ein Bobbycar passt. Sieht man auf Fotos eben leider nicht. Von daher sollte man bei so was immer vorsichtig sein – sonst liegst du am Ende des Abends mit Gollum im Bett. Man sollte sich die Möglichkeit zur Flucht halt irgendwie offenhalten.

Zumal die meisten Frauen, die bei Tinder unterwegs sind, einen kleinen Schaden haben. Vor allem drei Typen trifft man hier, die man eigentlich alle nicht wirklich kennen will:

Das Selfie-Girl

Das Selfie-Girl ist zwischen 17 und 23 Jahre alt und liebt es, sich schräg von unten in die Kamera guckend zu inszenieren. Beliebte Accessoires sind ein Duckface, die beste Freundin, niedliche Katzenbabys oder Hundewelpen (die ihr selbstverständlich nicht selbst gehören). Das Selfie-Girl hat so unheimlich spannende Interessen wie Lesen, Malen, Yoga und Reiten. Heimlich gehört auch Sex mit älteren Jungs zu ihren Lieblingsbeschäftigungen – das sagt sie aber lieber niemandem, weil »iiih« und so. Mit dem Selfie-Girl kann man super viel Spaß haben. Einzige Voraussetzung ist, dass man selbst ebenfalls gern liest/malt/Yoga macht und der größte Wunsch ist, Instagram-Star zu werden.

Die Romantikerin

Die Romantikerin hat beim Anlegen ihres Profils weder Kosten noch Mühen gescheut. Da gibt es tiefgründige Zitate (»Auch aus Steinen, die im Weg liegen, kannst du dir etwas Schönes bauen«) und professionelle Fotos aus der letzten Bewerbung. Mit ihr zu schreiben, fühlt sich einigermaßen verkrampft an, wenn man kein großer Fan von Liebeskomödien à la Frühstück bei Tiffany und Notting Hill ist. (»Ich bin auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben!«) Wer noch nicht genug Geld für eine Hochzeit im extragroßen Rahmen zusammengespart hat, sollte bei dieser Art von Frau lieber schnell nach links wischen.

Die Tinder-MILF

Die Tinder-MILF hat von ihren jüngeren Freundinnen (mit denen sie immer noch gern Party macht) gehört, dass Tinder jetzt DER SHIT ist. Und dass da viele Jungs unter 25 rumhängen. Also nichts wie hin! Auf Fotos erkennt man die Tinder-MILF nur mit einiger Übung, denn sie versteckt sich meist unter einer ­Extra-Schicht Make-up oder auf überfüllten Gruppenfotos. Wenn man sich dann versehentlich mit einer zum Date trifft, hilft nur noch »Augen zu und durch«.