Cover

MITCH WINEHOUSE

MEINE TOCHTER

AMY

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Dieses Buch widme ich meinem Vater Alec, meiner Mutter Cynthia und meiner Tochter Amy. Sie haben mir gezeigt, dass die Macht der Liebe stärker ist als alles, was wir uns vorstellen können. Die Liebe überwindet sogar den Tod. Sie werden ewig einen Platz in meinem Herzen haben.

Copyright © BIRD & BUTTERFLY 2012
Originaltitel: Amy – My Daughter by Mitch Winehouse
© 2012 der deutschen Ausgabe Edel Germany GmbH, Hamburg
www.edel.com

Projektkoordination: Dr. Marten Brandt
Übersetzung: Michael Sailer
Lektorat: Clemens Hoffmann für bookwise, München
Layout und Satz: BUCHFLINK Rüdiger Wagner, Nördlingen
Covergestaltung: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg | www.glcons.de

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

eISBN 978-3-8419-0154-5

DANKSAGUNG
UND EINE ANMERKUNG

Ein großes Dankeschön gilt meiner Frau Jane, die in der schwersten Zeit meines Lebens an meiner Seite stand und immer zu mir gehalten hat, meinem Sohn Alex für seine Liebe und sein Verständnis, Janis, der wunderbaren Mutter unserer Kinder, meiner Schwester Melody, der ganzen großartigen Familie und meinen Freunden, die immer für mich da sind, meinem Manager Trenton, meiner Assistentin Megan, Raye und allen bei Metropolis, meinen Agenten Maggie Hanbury und Robin Straus und den tollen Leuten bei HarperCollins. Besonders bedanken möchte ich mich bei Paul Sassienie, Howard Ricklow und Humphrey Price, die mir halfen, dieses Buch zu schreiben.

Mein gesamtes Autorenhonorar für dieses Buch geht an die Amy Wine-house Foundation, die wir, Amys Familie, gegründet haben, um Kindern und jungen Erwachsenen zu helfen, die mit ihren Problemen alleine nicht fertigwerden. Ich werde den Rest meines Lebens der Aufgabe widmen, Spenden für diese Stiftung zu sammeln.

Durch ihre Musik, die Arbeit der Stiftung und dieses Buch – davon bin ich fest überzeugt - wird Amy für immer unter uns sein.

PROLOG

Gerne würde ich behaupten, das erste Mal, dass ich meine neugeborene Tochter im Arm hielt, am 14. September 1983, sei ein unvergesslicher Augenblick gewesen, aber so einfach war die Sache nicht.

Manche Tage ziehen sich, an anderen vergeht die Zeit wie im Fluge. Der besagte Tag war einer von denen, an denen scheinbar alles gleichzeitig passiert. Anders als unser dreieinhalb Jahre zuvor geborener Sohn Alex, kam unsere Tochter im Eiltempo zur Welt – wie wenn ein Korken aus der Flasche ploppt. Schon wie sie zur Welt kam, war typisch für Amy – schreiend und um sich tretend. In meinem ganzen Leben habe ich kein Baby gehört, das so laut schreien konnte. Ich würde gerne behaupten, dass es ein melodisches Schreien war, aber es war einfach nur laut. Amy war vier Tage zu spät dran, und das blieb so: Ihr Leben lang kam sie immer zu spät.

Amy wurde im Chase Farm Hospital in Enfield im Londoner Norden geboren, nicht weit von unserer Wohnung in Southgate. Und nachdem es so schnell über die Bühne gegangen war, fand sich bald ihre gesamte Familie – Großeltern, Großtanten, Onkel und Cousins - rund um Janis’ Bett ein, umden Neuankömmling zu begrüßen. Wie das bei uns zu allen Anlässen üblich ist, ob erfreulich oder nicht.

Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, vor allem wenn es um die Familie geht, und als ich Amy im Arm hielt, dachte ich: Ich bin der glücklichste Mann auf Erden. Es war so schön, eine Tochter zu haben; nach Alex’ Geburt hofften wir auf ein Mädchen, damit er eine Schwester hatte. Janis und ich wussten schon, wie sie heißen sollte. Einer jüdischen Tradition gemäß beginnen die Namen unserer Kinder mit demselben Buchstaben wie der eines verstorbenen Verwandten. Alex ist nach meinem Vater Alec benannt, der starb, als ich 16 war; hätten wir noch einen Jungen bekommen, wollte ich ihn Ames nennen - ein jazziger Name. “Amy“, sagte ich, sah sie an und dachte, das klingt nicht so jazzig. Welch ein Irrtum. Und so wurde sie Amy Jade Winehouse – Jade nach Jack, dem Vater meines Stiefvaters Larry.

Amy war wunderschön und ihrem älteren Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Auf Bildern der beiden im selben Alter kann ich sie kaum unterscheiden. Am Tag nach ihrer Geburt nahm ich Alex mit zu seiner kleinen Schwester. Wir machten ein paar hübsche Fotos von den beiden, auf denen er Amy knuddelt.

Ich hatte diese Fotos viele Jahre nicht gesehen, als mich Amy im Juli 2011, fast 28 Jahre danach, eines Tages anrief.

Sie rief mich am Tag vor meiner Abreise nach New York an, und ich merkte sofort, dass sie sehr aufgeregt war.

“Papa, Papa, du musst vorbeikommen“, sagte sie.

“Ich kann nicht, Liebling“, sagte ich. “Ich habe heute Abend einen Auftritt und fliege morgen früh.“

Sie blieb hartnäckig. “Papa, Papa, ich habe die Fotos gefunden, du musst vorbeikommen.“ Plötzlich wusste ich, wieso sie so aufgeregt war. Irgendwann bei Amys vielen Umzügen war eine Schachtel mit Familienfotos verschwunden, und die hatte sie nun offenbar wiedergefunden. “Du musst rüberkommen.“ Sie bestand darauf. Schließlich fuhr ich mit meinem Taxi zum Camden Square und parkte vor ihrem Haus.

“Ich schaue nur kurz rein“, sagte ich und wusste nur zu gut, wie schwer es war, ihr was abzuschlagen. “Muss gleich weiter. Du weißt, dass ich heute viel zu tun habe.“

“Oh, du gehst immer zu schnell wieder“, antwortete sie. “Papa, bleib da.“

Ich folgte ihr hinein. Sie hatte die Fotos auf einem Tisch ausgebreitet. Ich schaute mir die Bilder an. Ich hatte bessere, aber diese hier, die sie ausgegraben hatte, bedeuteten ihr offenbar viel. Da war eines, auf dem Alex die neugeborene Amy hielt, und da war Amy als Teenager – auf allen anderen war jedoch nicht sie zu sehen, sondern Familie und Freunde.

Sie nahm ein Foto von meiner Mutter. “War Omi nicht schön?“, sagte sie. Dann griff sie sich das Bild von Alex und ihr und bemerkte mit Stolz und geschwisterlicher Rivalität in der Stimme: “Oh, schau ihn an.“

Ich sah ihr zu, wie sie die Fotosammlung durchging. Eins nach dem anderen nahm sie heraus. Zu jedem Einzelnen hatte sie etwas zu sagen, und ich dachte mir: Dieses Mädchen da ist weltberühmt, hat Millionen Menschen Freude gebracht, und sie ist einfach ein normales Mädchen, das seine Familie liebt. Sie war so gar nicht auf sich fixiert, und nach allem, was sie durchgemacht hatte, war ich wirklich stolz auf sie. Sie ist großartig, meine Tochter.

An dem Tag war sie gut drauf, und es war sehr nett mit ihr. Nach ungefähr einer Stunde musste ich schließlich gehen. Wir umarmten uns zum Abschied, und als ich sie in meinen Armen hielt, spürte ich, dass sie dabei war, zu sich zu finden und wieder zu Kräften zu kommen – sie hatte sich im Haus ein Fitnessstudio eingerichtet und mit Gewichten trainiert.

“Wenn du zurück bist, gehen wir beide ins Studio und machen das Duett“, sagte sie auf dem Weg zur Tür. Wir hatten zwei Lieblingssongs, “Fly Me To The Moon“ und “Autumn Leaves“, und Amy wollte einen davon mit mir aufnehmen. “Wir werden ordentlich proben“, fügte sie hinzu.

“Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, lachte ich. Wir hatten dieses Gespräch über die Jahre oft geführt, aber das letzte Mal war eine Weile her. Es war schön, sie wieder so reden zu hören. Als ich wegfuhr, winkte ich aus dem Auto. Danach habe ich meine geliebte Tochter nie wieder lebend gesehen.

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Freitag landete ich in New York und verbrachte einen ruhigen Abend allein. Tags darauf traf ich meinen Cousin Michael und seine Frau Alison in ihrer Wohnung in der 59. Straße – nachdem er Alison geheiratet hatte, war Michael ein paar Jahre zuvor in die USA ausgewandert. Sie hatten drei Monate alte Zwillinge, Henry und Lucy, und ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen. Die Kinder waren wunderbar. Henry saß auf meinem Schoß, als Michaels Vater, mein Onkel Percy, aus London anrief. Michael reichte mir den Hörer, damit ich Hallo sagen konnte. Das übliche: “Hallo Onkel, wie geht’s?“ “Hallo Mitch, wie geht’s dir? Und Amy?“ Ich antwortete ihm, ich hätte Amy vor meinem Abflug gesehen, und es gehe ihr gut.

Im selben Moment läutete mein Mobiltelefon. Auf dem Display stand “Andrew – Security“. Amy rief mich oft von Andrews Telefon an, also sagte ich zu Onkel Percy: “Ich glaube, das ist Amy“, und gab Michael den Hörer zurück. Henry saß noch auf meinem Schoß, als ich ranging.

“Hallo Liebling“, sagte ich. Es war aber nicht Amy, sondern Andrew. Ich konnte kaum verstehen, was er sagte.

Alles, was ich mitbekam, war: “Du musst heimkommen, du musst heimkommen.“

“Was? Wovon redest du?“

“Du musst nach Hause kommen“, wiederholte er.

Alles um mich herum begann zu verschwimmen. “Ist sie tot?“, fragte ich.

Und er sagte: “Ja.“

EPILOG

Amys Tod war und ist unerträglich. Unser Leben hat sich für immer verändert und wird nie mehr dasselbe sein.

Am Freitag, den 29. Juli 2011 durften Janis und Richard, Alex, Reg, Tyler und ich in Amys Haus am Camden Square, um einige persönliche Dinge von ihr abzuholen. Unter anderem nahmen wir ihre geliebte Gitarre in Verwahrung.

Wieder begrüßten uns trauernde Fans. Wachsende Berge von Blumen, Fotos und Botschaften säumten den Platz. Um den Fans meine Dankbarkeit für ihre Unterstützung und Liebe zu Amy zu zeigen, verteilte ich einige ihrer T-Shirts. Dabei versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen; angesichts ihrer Freude gelang mir sogar ein kleines Lächeln.

Am Samstag, den 30. Juli versammelte sich der engste Familienkreis und einige gute Freunde in der Finchley Reform Synagogue zu einem SabbatFrühgottesdienst, der auch Gebete für Amy umfasste.

Damit endete die schlimmste Woche meines Lebens.

In den folgenden Wochen und Monaten beanspruchten vier Dinge meine Zeit: die Gründung der Stiftung, das Warten auf die Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung, Amys musikalischen Nachlass zu ordnen und, ein Lichtblick, die Hochzeit meines Sohnes.

Unter den Unmengen von Karten und Briefen erreichten Jane und mich drei Sammelalben von einer jungen Dame um die 20 namens Florence, die an Lernstörungen litt. Die Alben waren randvoll mit Zeitungsausschnitten und Bildern von Amy, kommentiert von Florence. Zum Beispiel hatte sie neben ein Bild von Amy, die aus einer Kneipe kommt, geschrieben: „Nein, Amy, keine Kneipe, keine Kneipe.“ Wenn man sie rauchend sah, schrieb Florence: „Nicht rauchen, nicht rauchen, Amy, nicht rauchen.“ Dass die junge Dame uns ihre geliebte Sammlung zukommen lassen wollte, rührte uns so sehr, dass wir beschlossen, sie aufzusuchen. Wir gaben Florence die Alben zurück, damit sie sie weiter füllte, weil Amys Geschichte nicht zu Ende ist. Die Arbeit der Stiftung wird dafür sorgen, dass Florence ihrer Sammlung viele weitere Ausschnitte hinzufügen kann. Das ist mein fester Vorsatz.

Einige Monate später trafen Jane und ich Florence ein weiteres Mal und brachten ihr einige von Amys Bowling-Hemden mit. Die Begegnung mit ihr ließ mich glauben, aus unserer Tragödie könne vielleicht etwas Gutes hervorgehen.

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Mir ist klar geworden, dass einem der Verstand in Zeiten der Trauer Streiche spielen kann. In den Tagen und Wochen nach Amys Tod suchte ich nach Antworten und Zeichen und stieß auf eine Reihe unheimlicher Begebenheiten. Man könnte sie als Zufälle interpretieren und logisch erklären, aber ich fand sie tröstlich: Sie gaben mir das Gefühl, Amy sei mir nahe.

Es begann bei der Trauerfeier in der Edgwarebury Lane. Als ich die Grabrede hielt, kam ein schwarzer Schmetterling in den Saal geflogen.

Ich hielt den Kopf gesenkt, weil ich las, aber ich hörte die Leute murmeln und dachte, Paparazzi hätten sich Zugang zu dem Saal verschafft. Der Schmetterling landete auf Kelly Osbournes Schulter und flog dann um mich herum. Ich glaube, das war ein Zeichen Gottes, um Amys Lieben mitzuteilen, dass sie ihren Frieden gefunden hatte. Sie war im Geiste bei uns, und ich glaube, sie nahm in Gestalt dieses schwarzen Falters an ihrer eigenen Beerdigung teil.

Das nächste merkwürdige Ereignis folgte ein paar Abende danach im Haus meiner Schwester Melody. Eine kleine Amsel flog nachts ins Haus und landete auf Janes Fuß. Sie war sehr zutraulich und schien ganz glücklich, da zu sitzen. Wir brachten sie in den Garten und warfen sie sanft in die Luft; sie drehte ein paar Kreise und kam zurück. Immer wieder ließen wir sie fliegen, aber sie landete jedes Mal neben uns. Schließlich gaben wir ihr etwas Milch und Brot, und sie blieb den Rest des Abends bei uns.

Weitere Geschehnisse trugen sich auf Jamaika zu. Etwa drei Monate vor Amys Tod hatten Jane und ich Vorbereitungen getroffen, die Hochzeit des Sohnes eines Freundes zu besuchen. Am 6. August sollten wir abreisen. Als der Tag bevorstand, wollte ich nicht weg. Das Bild von Amy in der Leichenhalle ging mir nicht aus dem Sinn. Jane meinte, es werde uns guttun, wegzufahren – vielleicht könne ich so das Bild aus meinen Gedanken vertreiben. Schließlich stimmte ich zu. Als wir im Hotel ankamen, war ich jedoch immer noch völlig durcheinander und fühlte mich elend. Ich hatte keine Lust, auszupacken, ging auf den Balkon, und da begrüßten mich ein Vogel und ein Schmetterling, die umeinander Pirouetten drehten, als hätten sie auf mich gewartet.

Jeden Morgen machten Jane und ich einen Spaziergang am größtenteils verlassenen Strand, wir gingen, redeten und weinten. Und jeden Tag folgte uns ein Schmetterling. Blieben wir stehen, hielt auch der Schmetterling inne, gingen wir weiter, flog er mit uns. Wir probierten es aus, gingen den Weg zurück, den wir gekommen waren, und der Schmetterling folgte uns. Wir setzten uns in Liegestühle, und der Schmetterling blieb bei uns. Es war wirklich faszinierend.

Ich hatte zu meiner Mutter gebetet, Amy möge mir ein Zeichen senden, irgendwas, und ich hatte wirklich das Gefühl, die Gebete seien erhört worden. Wann sieht man schon mal einen Schmetterling in eine Halle voller Menschen flattern? Wann eine Amsel in einen Raum voller Leute fliegen und immer wieder zurückkommen? Wann einen Vogel und einen Schmetterling miteinander tanzen? Und wie oft folgt einem ein Schmetterling auf Schritt und Tritt?

Ich beschloss, die Gesellschaft, die die Geschäfte der Stiftung führen würde, „Bird & Butterfly“ zu nennen, außerdem sollten ein Vogel und ein Falter das Logo der Stiftung bilden.

Die Arbeit an der Stiftung half mir, die Schmerzen auszublenden. Aber während die Tage dahinzogen, wurde es eher schwerer als leichter. Das Ausmaß dessen, was geschehen war, wurde mir immer deutlicher bewusst. Amy fehlte mir so sehr, und ich war machtlos gegen meine Sehnsucht. Ich ertappte mich sogar dabei, wie ich ihr eine SMS schickte: „Wann kommst du nach Hause?“

Ich kann mir nicht helfen: Mein Herz ist gebrochen.

Ein paar Monate nach Amys Tod erreichte mich anscheinend erneut eine Botschaft von ihr. Trenton Harrison-Lewis, mein Manager, sagte, er habe Amy am Mittwoch vor ihrem Tod getroffen. Bei Dionnes Auftritt im Roundhouse kam sie auf ihn zu, tätschelte seinen Bauch und sagte: „Kümmere dich um meinen Papa.“

Das war merkwürdig. Hatte sie eine Vorahnung gehabt, dass ihr etwas zustoßen würde?

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Während die Untersuchung der Umstände von Amys Tod noch lief, suchten Janis, Jane und ich die Gerichtsmedizinerin auf, die uns sagte, in Amys Blut seien keine Spuren von Drogen gefunden worden. Ich hatte stets betont, dass Amy seit etwa drei Jahren keine Drogen mehr nahm, aber viele Leute glaubten mir nicht. Später bestätigten toxikologische Befunde, dass Amy zum Zeitpunkt ihres Todes keinerlei illegale Substanzen intus hatte. Der Alkoholspiegel war jedoch sehr, sehr hoch: 416 mg Alkohol auf 100 ml Blut. Die Pathologin, die die Obduktion durchführte, meinte, die tödliche Dosis liege bei etwa 350 mg pro 100 ml.

Am 26. Oktober hörten wir den Bericht der Gerichtsmedizinerin von St. Pancras, Suzanne Greenway: „Ungewollte Folge von Winehouse’ umfänglichem Alkoholkonsum war ihr plötzlicher und unerwarteter Tod.“ Dr. Romete hatte ausgesagt, Amy habe nicht gewusst, ob sie mit dem Trinken aufhören werde, aber „sie wollte nicht sterben“. Der Urteilsspruch lautete: Tod durch Unfall.

Danach hatte ich das Gefühl, etwas sei abgeschlossen. Dieses Gefühl ist mittlerweile verflogen, weil Ende Januar 2012 die Legitimität der Untersuchungsresultate infrage gestellt wurde. Das Gericht teilte uns mit, Suzanne Greenway habe im November 2011 gekündigt, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, sie sei für ihren Job nicht qualifiziert. Den Regeln zufolge durfte sie nur ernannt werden, wenn sie fünf Jahre lang als registrierte englische Juristin gearbeitet hatte, bei ihr waren es nur zweieinhalb. Weitere Voraussetzung waren fünf Jahre Tätigkeit als „qualifizierte praktische ärztin“; es wurde indes behauptet, sie sei in ihrer Heimat Australien nur zur Krankenschwester ausgebildet worden. Zur stellvertretenden amtlichen Gerichtsmedizinerin ernannt hatte sie ihr Ehemann Dr. Andrew Scott Reid, der Gerichtsmediziner des Bezirks Inner North London, der wie folgt zitiert wurde: „Im November erwies sich, dass ich bei der Ernennung einen Fehler begangen hatte. Zwar bin ich überzeugt, dass sämtliche Untersuchungen mit höchster Korrektheit durchgeführt wurden, ich bitte jedoch um Verzeihung, falls es durch diese Vorgänge zu unerwünschten Folgen gekommen sein sollte.“

Suzanne Greenway war für etwa 30 Obduktionen zuständig gewesen, die nun wie die von Amy sämtlich für ungültig erklärt werden könnten. Man teilte uns mit, dies geschehe nur, wenn Urteile vor dem High Court angefochten werden. Derzeit warten wir nach wie vor auf ein Untersuchungsergebnis.

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„Body And Soul“, das Duett von Amy und Tony Bennett, erschien am 14. September 2011, Amys 28. Geburtstag. Alle Erlöse aus dem Verkauf gingen an Amys Stiftung. Am 12. Februar 2012 wurde die Platte mit einem Grammy („Best Pop Duo/Group Performance“) ausgezeichnet. Janis und ich nahmen den Preis für Amy entgegen.

Inzwischen ist Amys drittes Album Lioness: Hidden Treasures auf dem Markt erschienen. Es war nicht der geplante Nachfolger für Back To Black, weil zur Zeit von Amys Tod erst zwei neue Songs fertiggestellt waren: „Between The Cheats“ und „Like Smoke“, sondern eine Sammlung von Aufnahmen aus der Zeit vor Frank bis hin zu Songs, an denen Amy 2011 arbeitete. Wäre meine geliebte Tochter am Leben geblieben, hätte sie noch viele großartige Alben veröffentlicht, da bin ich mir sicher, aber da sie nicht ahnen konnte, dass ihr Leben so früh und abrupt enden würde, hat sie nicht genug fertige Aufnahmen für ein komplettes Album wie Back To Black und Frank hinterlassen.

Das Album haben die Produzenten Salaam Remi und Mark Ronson mit unserem Einverständnis zusammengestellt. Salaam sagte: „Es wäre widersinnig, wenn diese Songs auf einer Festplatte verkümmern.“ Das Endergebnis gefiel uns sehr, deshalb befürworteten wir, Amys Familie, die Veröffentlichung.

Nach Amys Tod verbrachten Jane und ich viel Zeit mit Reg. Ich schätze, mit ihm zusammen zu sein gab mir ein Gefühl von Nähe zu Amy. Reg erzählte von der Zeit mit ihr, und wir lachten viel, weil es vor allem um Amys Witz und Sinn für Humor ging; wie schlau sie war, war auch ihm nicht entgangen. Es flossen jedoch keine Tränen. Ich wusste, dass Reg Amy so sehr vermisste wie wir alle und schrecklich darunter litt. Am Valentinstag 2012 brachte Reg Blumen für Amy zu ihrem Haus am Camden Square; ihre Katze Katie lebt nun bei ihm.

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© Press Association Images

Videoaufnahme zu „Body And Soul“ mit Tony Bennett im Studio, März 2011

Kürzlich erinnerte ich mich an ein Gespräch, das ich oft mit Amy führte. Sie machte gerne Späße darüber, dass sie mein Leben verfilmen wollte und die Besetzung der Rollen bestimmen würde. Ray Winstone, fand sie, sei perfekt geeignet, um mich zu spielen. Ich meinte, George Clooney wäre die bessere Wahl. Amy meinte, Reg könne die Rolle meines Vaters als junger Mann übernehmen, weil er ihm ähnlich sah. Jane sollte von Helen Hunt gespielt werden, meine Mutter von Elizabeth Taylor, die damals noch lebte. Dass daraus nie etwas werden würde, wussten wir beide, aber wir liebten dieses Gedankenspiel.

Wer sie selbst darstellen sollte, hat Amy nie gesagt.

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Amys Musik zu hören, selbst wenn sie nur aus einem offenen Fenster dringt, ist für mich noch immer schwer zu ertragen. Eines Abends kamen Jane und ich an einer Bar vorbei, wo „Rehab“ lief, und ich hörte die Zeile „My daddy thinks I’m fine“. Da schrieb ich in mein Tagebuch: „Es ist so hart. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann. Amy ist überall, wohin ich gehe, aber nicht hier. Ich brauche Trost, aber es gibt keinen.“

Aber Amy und meine Mutter Cynthia sind nun zusammen. Amy glaubte und ich glaube, dass die Liebe alles besiegt. Auch den Tod.

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Danke, dass ich die Geschichte von Amys allzu kurzem Leben mit euch teilen durfte. Dieses Buch zu schreiben hat alles wieder zurückgebracht: Ich habe meine Tagebücher gelesen, mich an schöne Tage erinnert und an die schlimmste Zeit, als Amy starb. Da in jenen Jahren so viel passiert ist und so viele Menschen von ihr und ihrer Musik berührt wurden, vergisst man leicht, dass Amy noch eine junge Frau war, als sie starb. Hin und wieder denke ich, dass ich in manchen Situationen vielleicht hätte anders handeln sollen, aber so bin ich eben. Mir selbst und meiner Familie zuliebe habe ich beschlossen, nichts zu bereuen, weil dies zu nichts führen würde. Ich habe für Amy immer mein Bestes gegeben, war jedoch manchmal schlicht überfordert. Und späte Einsicht kann sehr grausam sein.

Amy wird für immer in meinem Herzen sein. Ich vermisse sie so sehr, dass es manchmal körperlich wehtut. Ihr Vermächtnis prägt bereits jetzt auf positive Weise das Leben vieler junger Menschen, und wie gesagt: Ich werde den Rest meines Lebens der Arbeit für Amys Stiftung widmen. Gemeinsam mit meiner Familie, meinen lieben Freunden und den vielen, vielen anderen Menschen, die uns helfen, will ich dafür sorgen, dass man Amy nie vergessen wird.

Amy war ein wunderbares Mädchen mit einem großen Herzen. Bitte behaltet sie so in eurer Erinnerung.

BEVOR WIR ANFANGEN

Dies ist nicht das Buch, das ich eigentlich schreiben wollte. Ich hatte an einem Buch über die Geschichte meiner Familie gearbeitet, mit meinem Freund Paul Sassienie und seinem Partner Howard Ricklow. Es sollte dieses Jahr erscheinen.

Stattdessen musste ich dieses Buch schreiben und euch die wahre Geschichte von Amys Leben erzählen. Ich bin jemand, der Klartext redet. Amys viel zu kurzes Leben war eine Achterbahnfahrt; ich werde euch alles darüber berichten. Ich war nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr bester Freund, Vertrauter und Berater – nicht dass sie immer auf mich gehört hätte, aber sie ließ mich stets ausreden. Ich war für Amy der Fels in der Brandung, sie war – mit ihrem Bruder Alex – der Sonnenschein meines Lebens.

Durch dieses Buch, so hoffe ich, werdet ihr meine geliebte Tochter Amy besser verstehen und in einem anderen Licht sehen.

EINIGE BEMERKUNGEN
ÜBER DIE AMY WINHOUSE
FOUNDATION

Ein wesentlicher Faktor, der mir half, die Monate nach Amys Tod zu überstehen, war der Aufbau der Stiftung, die ihren Namen trägt.

Viele Menschen haben auf jede erdenkliche Weise dazu beigetragen, die Amy Winehouse Foundation zu gründen, zu finanzieren, ordentlich zu führen und sie in die Lage zu versetzen, Organisationen finanziell zu unterstützen, die unseren Zielen am ehesten entsprechen. Es sind zu viele, um sie hier alle zu nennen; unter meinen engsten Mitarbeitern bei der Errichtung der Stiftung waren meine Anwälte und Buchhalter, Universal Records, die Outside Organization und Comic Relief, deren US-Ableger America Gives Back uns bei der Sammlung von Spenden in den USA unterstützt.

Die Zahl der Menschen, die Wege gefunden haben, der Stiftung zu helfen, ist gewaltig. Matt Goss fragte, ob ich vor ihm in der Royal Albert Hall auftreten und meine Gage an die Stiftung spenden wolle. Amys Tod hatte ihn sichtlich bewegt, nachdem seine Schwester Carolyn 1988 bei einem Autounfall mit einem Betrunkenen starb. John Taylor von Duran Duran wollte mehr als finanzielle Unterstützung leisten und bot an, ein stiftungseigenes Rehabilitationszentrum für Jugendliche zu gründen; es wird noch dauern, bis es dazu kommt, aber sein großes Interesse an der Arbeit der Stiftung gab mir viel Auftrieb. Robbie Williams’ Mutter Jan, die für seine (ebenfalls von Comic Relief vertretene) Benefizorganisation Give It Sum arbeitet, hat uns eine Partnerschaft angeboten.

Das Spendenaufkommen ist gewaltig. Michael Bublé unterstützte uns großzügig. Als Tony Bennett und sein Label Sony uns mitteilten, sie würden 100 000 Dollar spenden, verschlug es mir den Atem – das war unglaublich. Amys Fans in aller Welt ließen uns Geld zukommen, und selbst die bescheidensten Summen erfreuen unser Herz, da sie allen, die für die Stiftung arbeiten und sie unterstützen, die fortdauernde Wertschätzung von Amys Leben und Werk zeigen.

Neben dem, was Amys Musik für die Stiftung einbringt, sammeln auch andere Organisationen Geld für uns. Fred Perry beschloss mit unserer Unterstützung, Amys Modedesigns mit Kollektionen für Herbst 2011 und Frühjahr 2012 fortzuführen; Amys Provisionen gehen an die Stiftung. Ausgearbeitet wurden die Kollektionen größtenteils bereits, als Amy am Bryanston Square lebte. Es hat mich stets fasziniert, wie es ihr gelang, ihre Vorstellungen zu Papier zu bringen. Ein weiteres ihrer vielen kreativen Talente.

Im Oktober 2011 gab Fred Perry bekannt, der Absatz von Amys Kollektion sei gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent gestiegen.

Im November wurde das Kleid, das Amy auf dem Cover von Back To Black trägt, vom Auktionshaus Kerry Taylor in der Londoner Galleria Pall Mall versteigert. Es ist eine Kreation der thailändischen Modedesignerin Disaya Sorakraikitikul, die es Amy 2006 für das Fotoshooting lieh und danach im Archiv aufbewahrte. Nach Amys Tod beschloss Disaya, das Kleid zu verkaufen und den Ertrag der Stiftung zu spenden. Sotheby’s schätzte das Kleid auf 10 000 bis 20 000 Pfund; verkauft wurde es schließlich für 43 200 Pfund an das Museo de la Moda in Chile. Unglaublich, was für eine gewaltige Summe Geld für die Stiftung! Das Geräusch eines Hammers kann sehr erlösend wirken, und wir alle sind Disaya, die mit mir bei der Auktion war, aufrichtig dankbar.

Die Stiftung hat eine Vielzahl von Projekten mit Hunderttausenden von Pfund gefördert, in Großbritannien und anderswo, darunter Hospize und andere Einrichtungen für unheilbar und chronisch kranke Kinder und Jugendliche wie das Chestnut Tree House bei Arundel, das Little Havens Children’s Hospice in Rayleigh, Essex, Hopes and Dreams, ebenfalls in Essex, und das LauraLynn House in Dublin, Irlands erstes Kinderhospiz. Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, all diesen Kindern in Amys Namen helfen zu können.

Amy hatte mir gesagt, sie wolle etwas für die Kinder auf St. Lucia tun – Janis kümmert sich im Namen der Stiftung darum und verhandelt derzeit über ein Langzeitprojekt mit der dortigen Regierung.

Außerdem unterstützt die Stiftung das New Horizons Youth Centre in Euston, London, bei der musikalischen Ausbildung von Jugendlichen und der kostenlosen Essensausgabe an Obdachlose.

Mit der Angelus Foundation, gegründet von der Autorin und TV-Moderatorin Maryon Stewart, die 2009 ihre Tochter Hester verlor, nachdem sie die „legale“ Droge GBL konsumiert hatte, unterstützt die Stiftung Bemühungen, die Regierung zur Einführung von Drogenaufklärung an britischen Schulen zu bewegen.

Ich hatte bereits mit Abgeordneten und Regierungsmitgliedern über Rehabilitationszentren für junge Süchtige gesprochen. Bei Treffen mit den Abgeordneten Keith Vaz, dem Sonderausschussvorsitzenden des Innenministeriums, und James Brokenshire, im Innenministerium zuständig für Kriminalität und Sicherheit, erfuhr ich, dass die Hälfte des Budgets zur Unterstützung von Menschen mit Suchtproblemen – um die 200 Millionen Pfund – dafür aufgewendet wird, abhängigen Straffälligen im Rahmen des Justizsystems Behandlungsplätze in Rehabilitationszentren zu beschaffen. Das bedeutet, dass ein verurteilter Krimineller eine fünf Mal so große Chance auf einen Behandlungsplatz hat wie jemand, der nicht straffällig geworden ist.

Bei einem weiteren Treffen mit hohen Regierungsbeamten sagte man mir, man betrachte stationäre Rehabilitation als „teuren Luxus“. Ihre Lösung war, die Leute zu behandeln, indem man beispielsweise an Heroinabhängige Methadon ausgibt. Das führt jedoch nur zur Ausweitung der Methadonsucht und zu einer wachsenden Zahl von Methadontoten. Man verstehe mich nicht falsch: Die Gemeinden leisten damit durchaus gute Arbeit, aber manche Menschen brauchen unbedingt stationäre Therapie, an der es momentan noch mangelt. Nach unseren Treffen mit Regierung und Parlamentariern hatte ich den Eindruck, zumindest kurzfristig sei von offizieller Seite keine Hilfe zu erwarten, was die dringend benötigte Bereitstellung stationärer Therapieplätze betrifft. Umso mehr liegt es mir am Herzen, dass Amys Stiftung Menschen unterstützt, die auf unsere Hilfe angewiesen sind.

Eine Organisation, die auf diesem Gebiet tätig ist, ist Focus 12. Ich hatte im September 2008 erstmals Kontakt mit ihr, als ich den Geschäftsführer Chip Somers kennenlernte. Amys Stiftung ermöglichte Focus 12 mit einem Beitrag von 30 000 Pfund die Einrichtung eines Vollzeit-Therapieplatzes für jugendliche Abhängige.

Focus 12 lag mir am Herzen, weil mich nur eine Woche nach Amys Tod die Freundin eines Freundes anrief, die kaum Geld hatte und verzweifelt Hilfe für ihre Tochter suchte. Die junge Frau war Alkoholikerin, kokain- und cannabisabhängig und litt an Essstörungen. Ich rief Chip an und vereinbarte für sie ein Treffen mit ihm in Bury St. Edmunds am folgenden Tag. Sie blieb sechs Wochen bei Focus 12, und ihre Familie war äußerst dankbar. Ich erklärte mich sofort bereit, aus meiner eigenen Tasche dafür zu bezahlen, aber Chip sagte, die Behandlung sei kostenlos.

Es gibt tatsächlich ein paar wundervolle, warmherzige Menschen auf dieser Welt.

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… UND DANN KAM AMY

Ich war von Anfang an wie vernarrt in meine Tochter, der Rest der Welt interessierte mich kaum noch. Kurz bevor Amy zur Welt kam, hatte ich meinen Job verloren – vermutlich weil ich mir für die Geburt vier Tage freinehmen wollte. Als Amy dann da war, spielte so etwas keine Rolle mehr. Obwohl ich arbeitslos war, zog ich los und kaufte eine JVC-Videokamera für fast einen Tausender. Janis war außer sich, aber das kümmerte mich nicht. Ich machte viele Stunden Filmaufnahmen von Amy und Alex; die Bänder habe ich heute noch bei mir.

Alex war großartig. Stundenlang hielt er Wache an ihrem Kinderbett. Einmal kam ich spätnachts in ihr Zimmer und fand Amy hellwach, während Alex am Boden schlief – ein toller Wächter. Ich war ein nervöser Vater und schaute oft in Amys Gitterbett, ob mit ihr alles okay war. Als sie noch ein sehr kleines Baby war, hörte ich sie einmal röcheln: „Sie atmet nicht richtig!“, schrie ich, und Janis musste mir erklären, dass alle Babys solche Geräusche machen. Ich war immer noch nicht beruhigt, also hob ich Amy hoch, und natürlich wollte sie danach nicht mehr schlafen. Aber alles in allem war sie ein braves Kind und schlief bald die Nächte durch. So fest, dass Janis sie manchmal zum Stillen wecken musste.

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Badezeit für die Kinder: ein Gewirr von Armen und Beinen, und der Boden war immer tropfnass.

An ihrem ersten Geburtstag lernte Amy laufen, von da an wurde sie ein bisschen schwierig. Sie war sehr neugierig, und wenn man nicht ständig ein Auge auf sie hatte, ging sie auf Erkundungsreise. Zum Glück hatten wir Hilfe – meine Mutter, mein Stiefvater und der größte Teil meiner Familie waren fast jeden Tag da. Manchmal kam ich spät von der Arbeit, und Janis teilte mir mit, sie hätten mein Abendessen aufgegessen.

Janis war und ist eine wundervolle Mutter; Alex und Amy konnten schreiben und lesen, bevor sie zur Schule gingen, und das verdankten sie ihr. Wenn ich von der Arbeit kam, hörte ich sie oben, schlich mich rauf und stand leise vor der Tür, um sie zu betrachten. Janis las ihnen vor, die Kinder saßen eng an sie geschmiegt, mit gespanntem Blick, was wohl als Nächstes geschehen würde. Ein schönes Bild. So verbrachten sie ihre gemeinsame Zeit, und ich wünschte, ich hätte mehr dabei sein können.

Ich konnte nicht genug kriegen von den Kindern, und wenn ich abends erst um zehn oder elf heimkam, weckte ich sie manchmal auf, um Gute Nacht zu sagen. Ich ging rein, stolperte gegen das Gitterbett, „Oh, schau, sie sind wach“, und drückte sie an mich, um sie zu knuddeln. Janis machte das wahnsinnig, und zwar mit Recht.

Ich war mit Leib und Seele Vater, aber wir tobten mehr herum, als dass ich ihnen Geschichten vorlas. Alex und ich spielten im Garten Fußball, später Kricket, und Amy wollte unbedingt mitmachen – „Papa! Papa! Gib mir den Ball!“ -, aber als ich ihn ihr sachte hinstupste, griff sie fröhlich danach und warf ihn über den Zaun.

Amy tanzte für ihr Leben gern, und wie es die meisten Väter mit ihren kleinen Töchtern tun, hielt ich sie an der Hand und balancierte ihre Füße auf meinen. So schwangen wir durchs Zimmer. Am meisten gefiel es Amy jedoch, wenn ich sie herumwirbeltesie liebte es, wenn sie dabei die Orientierung verlor. Angst kannte sie nicht, sie kletterte höher, als es mir lieb war, und turnte wie wild auf einem Klettergerüst im Park herum. Aber sie spielte auch gerne zu Hause mit ihren Puppen. Sie liebte ihre Cabbage-Patch-Puppen; wir mussten sogar die „Adoptionsurkunden“ abschicken, die den Puppen beilagen, damit sie zufrieden war. Wenn Alex sie triezen wollte, fesselte er die Puppen.

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Meine zwei Lieben, Alex und Amy, in der Schuluniform der Osidge Primary. Alex kümmerte sich stets um seine kleine Schwester.

Wenn ich früh genug nach Hause kam, las ich den Kindern vor: immer Noddy-Bücher von Enid Blyton. Amy und Alex waren Noddy-Experten. Amy liebte das Noddy-Ratespiel. Es war immer dasselbe und ging so:

Amy sagte: „Papi, was hatte Noddy an dem Tag an, als er Big Ears traf?“

Ich tat so, als dächte ich nach, und versuchte es: „Trug er sein rotes Hemd?“

Amy antwortete: „Nein.“

Dann sagte ich, das sei eine echt schwere Frage und ich müsse nachdenken. „Den blauen Hut mit dem Glöckchen an der Spitze?“ Wieder ein Nein von Amy. Da schnippte ich mit den Fingern und sagte: „Ich weiß es! Er hatte die kurze blaue Hose und den gelben Schal mit roten Punkten an.“

„Nein, Papi„, antwortete Amy darauf.

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Ein stolzer Papa und seine geliebte Tochter. Wahrscheinlich war ich gerade von der Arbeit gekommen und hatte sie geweckt, sehr zum Missfallen von Janis.

Also musste ich aufgeben und Amy fragen, was er anhatte. Bevor sie ein Wort herausbekam, kicherte sie schon los: „Er hatte gar nichts an, er war … nackt!“

Für gewöhnlich hielt sie sich die Hand vor den Mund, um ihr hysterisches Lachen zu unterdrücken. Wie oft wir das Spiel auch spielten, es lief immer gleich.

Wir waren keine von den Familien, die einfach so den Fernseher laufen ließen. Bei uns lief immer Musik, und ich sang die ganze Zeit im Haus. Die Kinder führten kleine Shows für uns auf. Amy war damals etwa zwei, Alex fünf. Ich moderierte sie an, Janis klatschte, und dann sangen sie – na gut, singen ist vielleicht ein bisschen viel gesagt. Alex konnte nicht wirklich singen, aber er versuchte es, und Amy schien nur ein Ziel zu haben: lauter zu singen als er. Es war klar, dass sie das Rampenlicht liebte, und wenn es Alex langweilig wurde und er lieber was anderes machte, sang Amy weiter – sogar wenn wir ihr sagten, sie solle aufhören.

Sie liebte auch ein kleines Spiel, das ich gerne mit ihr spielte, oft im Auto. Ich fing ein Lied an, und sie sang das letzte Wort. Ich sang: „Fly me to the …“ und Amy sang: „MOON“. Ich sang weiter: „… and let me play amongst the …“, und sie sang: „… STARS“. So konnten wir uns endlos amüsieren.

Irgendwann bekam Amy einen kleinen Plattenspieler und spielte immer wieder dieselben Kinderlieder. Es war alles, was man aus ihrem Zimmer hörte. Dann bekam sie ein Xylofon und brachte sich – langsam und mühselig – bei, „Home On The Range“ zu spielen. Es schallte durchs ganze Haus: pling, pling, pling, und ich wünschte, sie würde die richtigen Töne treffen, im Takt – es war eine Qual, es wieder und wieder zu hören.

So süß sie auch war, der Satz, der in Amys frühen Jahren am häufigsten bei uns zu hören war, lautete: „Sei still, Amy!“ Sie wusste nie, wann es genug war. Wenn sie zu singen anfing, war sie nicht zu stoppen. Und wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand, ließ sie sich was einfallen – manchmal auf Kosten ihres älteren Bruders. Auf der Feier zu Alex’ sechstem Geburtstag stahl ihm Amy die Schau und lieferte den Gästen einen spontanen Auftritt als Sängerin und Tänzerin. Alex war ganz und gar nicht begeistert, und ehe wir eingreifen konnten, schüttete er ihr sein Getränk über den Latz. Amy brach in Tränen aus und rannte aus dem Zimmer. Ich brüllte Alex derart an, dass er zu Tode erschrak und ebenfalls weinend rauslief. Nach der Party saß Amy schmollend in der Küche auf dem Boden, und Alex wollte nicht mehr aus seinem Zimmer kommen.

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Amy war ein entzückendes Baby, immer lächelnd und glücklich, und wenn sie mal nicht zufrieden war, wussten es alle. Wir fuhren schon früh mit ihr in Urlaub, und sie liebte den Strand.

Obwohl so etwas vorkam, waren sich Alex und Amy sehr nahe und machten viel gemeinsam. Sie gingen schwimmen und nahmen Stepptanzunterricht, vergnügten sich stundenlang. Auch als sie älter wurden und eigene Freundeskreise hatten, blieben sie sich sehr nahe, und das sollte sich nie ändern.

Amys Freundschaft zu ihrem Bruder hielt sie nicht davon ab, sich in den Mittelpunkt zu drängen – für Aufmerksamkeit tat sie alles. Sie konnte schelmisch, frech und übermütig sein. Bald nach Alex’ Geburtstagsfeier, als sie drei Jahre alt war, nahm Janis Amy mit in den Broomfield Park, nicht weit von zu Hause. Nach kurzer Zeit war Amy weg, und Janis konnte sie nicht mehr finden. In Panik rief sie mich in der Arbeit an, Amy sei fort. Ich raste in den Park, außer mir vor Sorge. Als ich ankam, war die Polizei bereits da, und ich war auf das Schlimmste gefasst – das ist meine Art, mit Dingen umzugehen; in meiner Vorstellung war sie nicht verschwunden, sondern entführt worden. Meine Mutter und Tante Lorna waren auch da - alle suchten nach Amy. Offensichtlich war Amy nicht mehr im Park, und die Polizei riet uns, heimzugehen, was wir auch taten. Janis und ich saßen da, heulten uns die Augen aus, und dann, fünf Stunden nach Amys Verschwinden, läutete das Telefon. Es war Ros, eine Freundin meiner Schwester Melody. Amy war bei ihr. Gott sei Dank.

Was passiert war, war typisch Amy. Ros war mit ihren Kindern ebenfalls im Park gewesen. Als Amy weglief, sah sie Ros und rannte zu ihr. Ros fragte sie natürlich, wo ihre Mami sei, und die freche Amy sagte, ihre Mami habe sie allein gelassen und sei nach Hause gegangen. Also nahm Ros Amy mit, aber statt uns anzurufen, rief sie meine Schwester Melody an, die Lehrerin war. Ros erreichte sie allerdings nicht, hinterließ Melody in der Schule aber die Nachricht, dass Amy bei ihr sei. Als Melody erfuhr, dass sich Ros um Amy kümmerte, dachte sie nicht groß darüber nach, weil sie ja keine Ahnung hatte, dass Amy vermisst wurde. Als sie schließlich zu Hause angekommen war und von Amys Verschwinden erfuhr, wurde ihr allerdings einiges klar. Eine Viertelstunde später stand Melody mit Amy vor der Tür, und ich umarmte sie unter Tränen.

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Amy mit drei Jahren in Spanien. Sie trug nichts, was nicht rosa war.

„Nicht weinen, Papi, jetzt bin ich zu Hause“, beruhigte sie mich.

Leider lernte Amy offenbar nichts aus der Geschichte. Ein paar Monate danach fuhr ich mit den Kindern ins Brent-Cross-Einkaufszentrum im Londoner Nordwesten. Wir waren gerade im John-Lewis-Kaufhaus, und plötzlich war Amy verschwunden. Eben war sie noch da, im nächsten Augenblick war sie weg. Alex und ich durchsuchten die unmittelbare Umgebung, weit konnte sie ja nicht sein. Aber keine Spur von ihr. Ich dachte: Jetzt geht das wieder los - diesmal ist sie wirklich gekidnappt worden.

Wir weiteten unsere Suche aus, und als wir an einem Ständer mit langen Mänteln vorbeikamen, hüpfte sie hervor und rief: „Buh!„ Ich war wütend, aber je mehr ich schimpfte, desto mehr lachte sie. Ein paar Wochen später versuchte sie es wieder. Diesmal wusste ich Bescheid und lief sofort rüber zu den langen Mänteln. Da war sie nicht. Ich durchsuchte sämtliche Kleiderstangen: keine Amy. Als ich mich richtig zu sorgen begann, sagte eine Stimme über Lautsprecher: „Wir haben die kleine Amy hier, wenn Sie sie verloren haben, kommen Sie bitte zur Kundeninformation.“ Sie hatte sich woanders versteckt und wirklich verlaufen, und jemand hatte sie abgegeben. Ich schärfte ihr ein, sich nicht mehr zu verstecken oder wegzulaufen, wenn wir unterwegs waren. Sie versprach es und tat es nicht mehr. Aber ihre nächsten Streiche sollten vor einem größeren Publikum stattfinden.

Als Kind habe ich mich mal an einem Apfel verschluckt und versetzte meinen Vater damit in Panik. Als sich Alex kurz vor seinem siebten Geburtstag beim Abendessen verschluckte, geriet ich ebenso in Panik, steckte ihm die Finger in den Hals und wollte das Ding rausziehen. Ich hatte wirklich Angst. Es dauerte nicht lange, da verlegte sich Amy, des Versteckspiels überdrüssig, auf das Erstickspiel. Eines Samstagnachmittags waren wir bei Selfridges, dem Kaufhaus in der Oxford Street, und es war brechend voll. Plötzlich warf sich Amy auf den Boden, hustete und hielt sich den Hals. Ich wusste, dass sie nur spielte, aber sie machte ein solches Theater, dass ich sie schließlich auf die Schulter packte und wir aus dem Laden flohen. Danach bekam sie überall „Erstickungsanfälle": bei Freunden, im Bus, im Kino. Irgendwann ignorierten wir es einfach, und schon hörte es auf.

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Ich bin zwar in Nordlondon geboren, aber ich fühlte mich immer als East-Ender, weil ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern Ben und Fanny Winehouse in ihrer Wohnung über Bens Friseursalon in der Commercial Street verbrachte. Auch das Haus meiner anderen Großmutter Celie Gordon in Albert Gardens lag im Herzen des East End. Ich ging sogar im East End zur Schule. Mein Vater arbeitete als Friseur bei seinem Vater, meine Mutter war Damenfriseurin im selben Laden, und auf dem Weg zur Arbeit lieferten sie mich um die Ecke in der Schule an der Deal Street ab.

Schon als sie noch sehr jung waren, faszinierte das East End Amy und Alex, und ich fuhr oft mit ihnen hin. Sie liebten es, Geschichten über unsere Familie zu hören, und zu sehen, wo sie gelebt hatte, erweckte die Geschichten zum Leben. Amy hörte am liebsten die Geschichten über meine Wochenenden im East End, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich erzählte ihr, dass ich jeden Freitag mit Mama und Papa nach Albert Gardens kam, wo wir bis Sonntagabend blieben. Das Haus war vollgestopft bis unter das Dach. Oma Celie war da, ihre Mutter, Urgroßmutter Sarah, Celies Bruder, Großonkel Alec, die Brüder meiner Mutter, Onkel Wally und Onkel Nat, und die Zwillingsschwester meiner Mutter, Tante Lorna. Als wären das noch nicht genug Leute, wohnte im obersten Stock noch Izzi Hammer, ein Überlebender des Holocausts, der im Januar 2012 leider gestorben ist.

Die Wochenenden begannen mit dem traditionellen jüdischen Abendessen am Freitag: Hühnersuppe, Grillhähnchen, Bratkartoffeln, Erbsen und Karotten. Zum Nachtisch gab es „Lokshen“-Kugeln mit Rosinen.

Wo all diese Leute schliefen, weiß ich wirklich nicht mehr, jedenfalls waren die Wochenenden magisch, es wurde gesungen, getanzt, Karten gespielt, es gab Unmengen zu essen und trinken. Gelegentliche lautstarke Streitereien mischten sich mit dem Lachen und der Lebenslust einer großen, glücklichen jüdischen Familie. Diese Tradition behielten wir Amys Leben lang bei; es war immer etwas Besonderes und später ein Prüfstein für Amys Freundschaften – wer stand ihr nahe genug, um zum Freitagsmahl eingeladen zu werden?

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Meine Eltern Cynthia und Alec 1953 in ihrer Wohnung in der Rectory Road in Stoke Newington. Amy hat Alec nie kennengelernt, er starb lange vor ihrer Geburt. Sie kannte ihn jedoch aus meinen Geschichten, und sein Stil prägte ihre Vorliebe für Retrosachen.

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Amy mit ihrem größten Fan, meiner Mutter

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Da ich die Woche über arbeitete, verbrachte ich mehr Zeit am Wochenende mit den Kindern. Als Alex zwei war, nahm ich ihn mit zum Fußball. Damals konnte man da noch kleine Kinder auf dem Schoß haben. Spurs gegen West Bromwich Albion, Februar 1982. Es war eiskalt, so kalt, dass ich eigentlich nicht hinwollte, aber Alex hatte sich so darauf gefreut. Janis zog ihm seinen gefütterten Schneeanzug an, in dem er doppelt so groß aussah – er konnte sich kaum rühren. Als wir dort waren, fragte ich ihn, ob alles in Ordnung sei, und er sagte Ja. Fünf Minuten nach dem Anstoß sagte er: „Papi, ich muss Kacka.“ Also brachte ich ihn aufs Klo; es war gar nicht so einfach, ihn aus dem Anzug rauszukriegen. Ich benötigte noch mal zehn Minuten, um ihn wieder einzupacken. Kaum saßen wir wieder, musste er pinkeln, also das ganze Spiel von vorne. Und in der Halbzeit sagte er: „Papi, ich mag gehen, ich will nach Hause.“

Amy nahm ich mit zum Fußball, als sie etwa sieben war. Als wir wiederkamen, fragte Janis, wie es ihr gefallen habe. Amy sagte, es sei furchtbar gewesen. Janis fragte, wieso sie nicht gesagt habe, dass sie heimmöchte, und sie sagte: „Daddy hat es gefallen, und ich wollte ihn nicht verärgern.“ Das war typisch für die kleine Amy, sie dachte immer an andere.

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Zeichnungen aus Amys Schulzeit: Amy mit ihren Freundinnen Juliette und Gemma. Weshalb sie ihre Haare nicht in der richtigen Farbe zeichnete, weiß ich nicht. Die herzförmigen i-Punkte, die sie als Schülerin zeichnete, fand ich bezaubernd.

Inzwischen ging Amy zur Schule. Nach der Vorschule kam sie mit fünf auf die Osidge Primary School, wo auch Alex schon war. Dort lernte sie Juliette Ashby kennen, die ihre beste Freundin wurde. Die beiden waren unzertrennlich und blieben befreundet, solange Amy lebte. Amys zweitbeste Freundin auf der Osidge war Lauren Gilbert – Amy hatte sie bereits gekannt: Onkel Harold, der Bruder meines Vaters, war Laurens Stiefgroßvater.

Amy musste ein hellblaues Hemd mit Schlips, Pulli und einen grauen Rock tragen. Die Vorschule hatte ihr gefallen, und sie war glücklich, alt genug zu sein, um ihrem Bruder in die Schule zu folgen, aber in Osidge hatte sie von Anfang an Probleme. Jeder Tag dort konnte ihr letzter sein. Sie stellte nichts Schlimmes an, sondern störte einfach nur und suchte ständig Aufmerksamkeit, was zu regelmäßigen Beschwerden führte. Still sitzen konnte sie nicht. Sie kritzelte in ihren Büchern herum und trieb Schabernack. Einmal versteckte sie sich unter dem Lehrerpult. Als der Lehrer reinkam, fragte er die Klasse, wo Amy sei, und Amy musste so lachen, dass sie sich den Kopf anstieß und nach Hause geschickt wurde.

Mit sieben hinterließ Amy bleibenden Eindruck bei ihrer Zweitklass-lehrerin, Miss Cutter (heute Jane Worthington), die mir kurz nach Amys Tod schrieb:

Amy war ein sehr aufgewecktes Kind und wuchs zu einer schönen, begabten Frau heran. Meine bleibende Erinnerung ist die an ein Kind, das sein Herz auf der Zunge trug. Wenn sie glücklich war, erfuhr das die ganze Welt, wenn sie sich ärgerte, ebenfalls. Es war offensichtlich, dass ihre Familie Amy liebte und förderte.

Amy war ein schlaues Mädchen, und wenn sie Interesse gehabt hätte, wäre sie in der Schule gut gewesen. Irgendwie war sie aber nie so interessiert. Sie war gut in Sachen wie Mathe – aber nicht in dem Sinne, dass sie gute Noten hatte. Janis war richtig gut in Mathe, und sie brachte es den Kindern bei. Amy liebte Analysis und quadratische Gleichungen, all diese Dinge, die ich nicht kapierte - und da war sie noch in der Grundschule. Kein Wunder, dass sie sich in den Mathestunden immer langweilte.

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Meine Tochter, das frühreife Talent, immer glücklich, wenn sie sich präsentieren konnte. Hier 1988 zu Hause in der Osidge Lane in Southgate

Eine Neigung, von der jeder wusste, war ihre Liebe zur Musik. Ich hatte die ganze Zeit Musik an, zu Hause, im Auto, und Amy sang alles mit. Sie liebte die Big-Band- und Jazzsongs, die ich auflegte, aber sie interessierte sich auch schon für R&B und Hip-Hop. Eine besondere Vorliebe hatten Juliette und sie damals für die US-R&B/Hip-Hop-Gruppen TLC und Salt-n-Pepa. Außerdem mochten sie die Backgroundsängerinnen von Wham!, Pepsie & Shirlie; sie kleideten sich wie sie und sangen ihre Lieder. Als Amy etwa zehn war, gründete sie mit Juliette die kurzlebige Rapgruppe Sweet ‘n‘ Sour – Juliette war Sweet, Amy Sour. Sie probten viel, zu Auftritten kam es jedoch leider nicht.

Ich liebte meine Familie rückhaltlos, aber als Amy und Alex älter wurden, veränderte sich etwas – nicht an meiner Liebe und Hingabe zu ihnen, sondern in anderer Hinsicht. Obwohl wir eine gute Ehe führten und zwei wundervolle Kinder hatten, trennten Janis und ich uns 1993.

Ein paar Jahre zuvor hatte mir ein guter Freund, der verheiratet war, gestanden, dass er sich mit einer anderen traf. Es ging mir nicht in den Kopf, wie er das tun konnte. Er hatte eine wunderbare Frau und einen fantastischen Sohn. Warum in aller Welt setzte er all das für eine Affäre aufs Spiel? Er sagte: „ Es ist nicht nur eine Affäre. Wenn du diesen besonderen Menschen findest, weißt du, dass es das Richtige ist. Wenn dir das je passiert, wirst du’s begreifen.“

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Janis und ich 1975, frisch verlobt. An wen erinnert sie wohl?

Unglaublich, aber bald darauf fand ich mich in der gleichen Lage und begann meinen Freund zu verstehen. 1984 hatte ich eine neue Marketingmanagerin angestellt, Jane, und wir verstanden uns sofort. Es war nichts Romantisches: Jane hatte einen Freund, ich war glücklich verheiratet. Aber es hatte definitiv zwischen uns gefunkt. Lange Zeit passierte nichts, dann auf einmal doch. Jane besuchte mich, seit Amy achtzehn Monate alt war, und hatte Janis und die Kinder unzählige Male getroffen. Sie hielt eisern daran fest, dass sie sich nicht zwischen mich und meine Familie drängen wollte. Die Kinder mochten Jane.

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Amy, stolz auf ihren Bruder Alex, bei dessen Bar-Mizwa 1992

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