Coverbild

Ruth Gogoll

WIDERSTAND IST ZWECKLOS

Eine Liebesgeschichte

© 2012

édition el!es

www.elles.de
info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-941598-43-0

Coverillustration:
© Eky Chan – Fotolia.com

»Mist!« Professor Kathryn Dunn schaute zum wiederholten Male auf die Uhr am Armaturenbrett ihres Mietwagens. Sie würde zu spät kommen. Sie hasste es, zu spät zu kommen, aber sie hatte den Weg in dieses kleine, entlegene Kaff in Deutschland unterschätzt.

Nach unzähligen Dörfern, durch die sie gefahren war, tauchte ein Ortsschild vor ihr auf. Konstanz. »Auch nicht mehr als ein Dorf«, murmelte sie missgelaunt vor sich hin, während sie das Ortseingangsschild passierte. Aber wo war jetzt diese verdammte Uni?

Die halblangen, rotbraunen Haare umrahmten ihr Gesicht, gaben ihm einen weichen Ausdruck, der die Entschlossenheit in ihren Augen milderte. Unpünktlich am ersten Tag! Das machte ihr wirklich zu schaffen. Wie sollte irgendjemand Respekt vor ihr haben, wenn sie kein Vorbild war?

Endlich zeigte sich ein Hoffnungsschimmer am Horizont – oder eher auf der großen Schildtafel, die neben der Straße aufragte und auf der mehrere Ziele angegeben waren.

Universität. Das war doch mal eine Ansage. Sie setzte den Blinker und fuhr bis zu der roten Ampel vor, nach der sie links abbiegen musste. Ungeduldig trommelte sie auf das Lenkrad. Geduld war noch nie ihre stärkste Seite gewesen. Und schon gar nicht, wenn sie zu spät dran war.

Kurz davor, die rote Ampel zu ignorieren, legte sie geräuschvoll den Gang ein. Aber da sprang das Licht auch schon um. »Dein Glück«, knurrte sie. Mit quietschenden Reifen beschleunigte sie, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Hätte gerade jetzt jemand beschlossen, vor ihr die Straße zu überqueren, wäre das wohl sein Pech gewesen.

Ein Blick auf die Uhr. »Verdammt!« Sie fluchte laut, aber außer ihr war ja niemand im Wagen, der sie hören konnte. Und das war auch gut so. Sie fluchte nur allein. Die meisten Leute trauten ihr das wahrscheinlich gar nicht zu, weil sie in Gegenwart anderer immer so souverän erschien. Das war sie auch . . . wenn ihr die Zeit nicht gerade davonlief.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie oben auf dem Berg angekommen war, auf dem die Uni lag. Die Straße hatte sich schier endlos hinaufgewunden.

Nun ja, ein Berg war es wohl nicht, eher ein Hügel im Wald, aber musste diese Uni unbedingt da oben liegen? Sie fuhr in Richtung des Haupteingangs, aber eine Schranke hielt sie auf.

Offenbar durfte dort oben niemand parken, nur Besitzer eines speziellen Ausweises konnten diese Schranke mit einem Auto passieren, wie ihr von einem Schild mitgeteilt wurde. Für alle anderen gab es Parkplätze, die viel zu weit entfernt lagen, um auch nur an eine etwas pünktlichere Ankunft zu denken.

Sie setzte den Wagen zurück und parkte auf einem grasbewachsenen Randstreifen, der ganz offensichtlich nicht dafür gedacht war. Diverse Schilder warnten davor, hier zu parken. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.

Sie riss ihre Aktentasche vom Beifahrersitz, warf einen kurzen Blick in den Spiegel der Sonnenblende, die sie heruntergeklappt hatte, weil sie der Sonne entgegengefahren war, und stellte fest, dass sie genauso gehetzt aussah, wie sie sich fühlte.

Nein, das war jetzt nicht gut. Kurz schloss sie die Augen und sammelte sich. Sie musste ihre innere Mitte finden. Ruhig. Ganz ruhig.

Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert. Er wirkte, als hätte sie die Gelassenheit gepachtet, als könne ihr nichts auf der Welt etwas anhaben.

So kannten sie alle, und so sollte auch der erste Eindruck hier an ihrem neuen Arbeitsplatz sein. Die kompetente Wissenschaftlerin auf dem Weg zu einer herausfordernden Aufgabe.

Widerwillig erklomm sie das letzte Stück des Hügels bis zum Universitätsgebäude hinauf. Das erste, was sie beantragen würde, war so ein Ausweis!

Sie war nicht unsportlich – im Gegenteil, sie hatte sich immer bemüht, in Form zu bleiben –, aber dieser Fußmarsch stellte eine unnötige Verschwendung von Zeit und Energie dar, und sie hasste Verschwendung.

Und gerade heute machte sie diese Verschwendung wütender als sonst schon. Sie war zu spät. Sie kam nie zu spät. Nur weil dieser blöde Flieger zu spät angekommen war, musste sie sich jetzt beeilen und würde es trotzdem nicht schaffen.

Ich hätte doch den Flug einen Tag früher nehmen sollen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Aber ihre Familie in Indiana hatte sie nicht gehen lassen wollen, sie war einfach viel zu selten zu Hause.

Die Erinnerung an den Besuch bei ihrer Familie beruhigte sie etwas, wenn sich auch Bedauern in dieses Gefühl mischte. Sie hatten sie angefleht, doch einmal wieder einen Job in Amerika anzunehmen, näher bei den Menschen, die sie liebte und die sie liebten.

Aber irgendwie zog es Kathryn immer wieder hinaus. Sie konnte es sich selbst nicht erklären. Es war wie eine Sucht. Die ganzen letzten Jahre hatte sie im Ausland verbracht, kürzer oder länger, und nun diese Chance, da konnte sie einfach nicht nein sagen.

Diese Universität – aus Kathryns Sicht am Ende der Welt – hatte ihr das verlockende Angebot gemacht, hier ein neues Institut für interkulturelle Kompetenz aufzubauen. Interkulturelle Kompetenz, das war als Thema doch wie gemacht für eine Amerikanerin, die ständig überall in der Welt herumschwirrte und dadurch viele Kulturen kennengelernt hatte.

Sie hatte bereits Bücher zu dem Thema veröffentlicht, und ihr Ruf war ihr vorausgeeilt an diesen entlegenen Ort, von dem sie zuvor noch nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte.

Sie atmete tief durch. Endlich war sie am Eingang angekommen. Hinter einer Glasscheibe sah sie einen Raum mit vielen Monitoren. Ein Mann, der sich allerdings wenig für das Geschehen auf den Bildschirmen zu interessieren schien, saß davor. Er biss gerade herzhaft in ein Butterbrot und blätterte in einer Zeitung.

Kathryn fragte sich, ob das wohl der Pförtner war. Irgendwie sah er nicht so aus. Es gab auch keine Öffnung in der Glaswand, durch die man ihn hätte ansprechen können.

Mit einem Winken versuchte Kathryn ihn auf sich aufmerksam zu machen, aber er war zu sehr in die Lektüre der Sportergebnisse vertieft. Ärgerlich klopfte sie laut gegen die Scheibe.

Sie musste mehrmals klopfen, bevor er sie bemerkte. Er blickte hoch, schien sich aber nicht angesprochen zu fühlen, und kehrte, ohne auf Kathryn zu reagieren, zum Lesen seiner Zeitung zurück.

In Kathryn begann Wut aufzusteigen. Dann eben nicht. Sie riss die schwere Metalltür auf, die neben diesem in Glas eingefassten Raum direkt in eine Halle führte.

Sie war überrascht, wie ansprechend diese Halle, das Tor zur Universität, gestaltet war.

Die architektonisch interessante Ausformung verlieh dem Eingangsbereich fast den Charakter eines mediterranen Marktes, auch das Kopfsteinpflaster und das Holz, das dekorativ Teile der Konstruktion verdeckte. Im Hintergrund sah man einen sich wellenförmig aufschwingenden rot gepflasterten Hügel mit einem Brunnen in einer Art Innenhof, wie es schien, der wiederum an südliche Gefilde erinnerte. Dahinter fiel der Blick auf den blau schimmernden Bodensee.

Diese Uni war offensichtlich klein, aber fein.

Wenigstens etwas. Noch einmal holte sie tief Luft, warf einen vernichtenden Blick auf den Mann im Glaskasten, der das aber gar nicht wahrnahm, und ging los, um das Sekretariat zu suchen, oder was immer ihr irgendwie dabei helfen würde herauszufinden, wo sie hin musste.

Glücklicherweise gab es an dieser Uni Hinweisschilder, durch die man sich kaum verlaufen konnte. Das Universitätsgebäude war nach Buchstaben aufgeteilt, und sie musste, nachdem sie dieses einfache System einmal entdeckt hatte, nur den entsprechenden Schildern folgen, die zu dem Gebäudeteil mit dem Buchstaben V führten.

Den Blick auf die Schilder gerichtet, die über ihrem Kopf hingen, so dass sie stets nach oben schauen musste, bekam Kathryn sonst nicht viel von der Uni mit. Menschen stießen gegen sie, oder wohl eher stieß Kathryn gegen die anderen, es war ein ständiges Laufen auf diesen Korridoren.

Bis sie in Abteilung V angekommen war. Dort herrschte plötzlich eine unerwartete Stille.

Kathryn blieb abrupt stehen und schaute sich um. Das Gewusel in den Gängen, durch die sie hierher gelangt war, ließ diesen Ort geradezu wie eine Oase erscheinen.

Aber sie hatte keine Zeit, es zu genießen. Sie atmete tief durch und straffte ihre Schultern. Irgendwo hier musste so etwas wie ein Sekretariat sein, ein Raum, in dem sie irgendjemand fand, der ihr sagen konnte, wie es nun weiterging.

Neben ihr öffnete sich eine Tür. »Professor Dunn?«

Kathryn wandte den Kopf. Eine Frau mittleren Alters mit graumelierten Haaren musterte sie fragend.

»Ja.« Kathryn nickte. »Ich weiß, ich bin zu spät –«

»Das macht nichts.« Die Frau lächelte und streckte Kathryn die Hand hin. »Wir sind froh, dass Sie da sind. Ich bin Elke Eisenkraut.«

Kathryn schüttelte die Hand, und die Wärme, die sie ausstrahlte und die sich ebenso in Elke Eisenkrauts Augen wiederfand, gab ihr ein Gefühl von Angekommensein. »Der Name passt aber gar nicht zu Ihnen«, sagte sie.

»Oh, denken Sie das nicht!« Elke Eisenkraut lachte. »Es gibt durchaus Leute, die mich die Eiserne Lady nennen. Das weiß ich.« Sie trat einen Schritt zurück. »Kommen Sie doch herein.«

Kathryn folgte Elke Eisenkraut in ein Büro, das in der Mitte von einem Schreibtisch beherrscht wurde, auf dem sich Formulare und andere Papiere stapelten.

»Das sind die Anmeldungen für Ihre Seminare«, erklärte Elke Eisenkraut. »Und ich bin Ihre Sekretärin.« Sie lachte leicht. »Oder sagen wir besser: das Mädchen für alles für das ganze Institut.« Sie wies mit der Hand auf eine Tür, die von ihrem Büro in ein weiteres Zimmer führte. »Das ist Ihr Reich.«

Sie ging voraus, und Kathryn betrat hinter ihr zum ersten Mal ihre neue Wirkungsstätte. Es war ein eher nüchternes Zimmer, funktional eingerichtet, und auf dem Schreibtisch stand ein Bildschirm, der wohl zu einem Computer gehörte.

Kathryn stellte ihre Aktentasche auf den Schreibtisch. Sie war müde. Müde vom Flug, müde von der Fahrt, müde von ihrem Ärger über die Verspätung, aber obwohl das alles hier wenig persönlich aussah, fühlte sie sich sofort zu Hause.

Sie warf einen leicht entschuldigenden Blick auf Elke Eisenkraut. »Ich weiß, Sekretärinnen sind nicht dafür da, aber hätten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee für mich, Frau Eisenkraut?«

»Gerade frisch aufgebrüht.« Elke Eisenkraut lächelte Kathryn freundlich an. »Sie können sich jederzeit bedienen. Und sagen Sie doch einfach Eisi zu mir, das tun alle.«

»Eisi.« Kathryn konnte es nicht verhindern, sich leicht zu schütteln, während sie Elke Eisenkraut hinaus zur Kaffeemaschine folgte, die neben ihrem Schreibtisch stand. »Das klingt frostig.«

»Nur weil Sie es englisch aussprechen«, behauptete ihre Sekretärin. »Aber wenn Sie die Abkürzung nicht mögen, können Sie mich auch Elke nennen. Ich weiß, in Amerika ist es üblich, den Vornamen zu benutzen.«

»Außer jetzt bei meiner Familie war ich lange nicht mehr in Amerika«, erwiderte Kathryn, während sie sich Kaffee eingoss und dann daran nippte. »Deutscher Kaffee. Daran muss ich mich erst wieder gewöhnen.«

»Ich hätte auch Milch und Zucker.« Eisi wies auf das Tablett neben der Maschine.

»Nein, danke. Schwarz.« Kathryn lächelte. Der heiße Kaffee, nach deutscher Art stark und lecker, baute sie langsam wieder auf.

»Der Rektor erwartet Sie seit einer halben Stunde«, fuhr Eisi fort, »aber ich habe ihm schon mitgeteilt, dass Ihr Flug aus Amerika Verspätung hatte. Soll ich einen neuen Termin für Sie vereinbaren?«

Kathryn nahm schnell noch einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann ab. »Nein. Es ist ohnehin unhöflich genug, dass ich ihn habe warten lassen.«

»Sie konnten ja nichts dafür.« Eisi sah zu, wie Kathryn eilig in ihr Büro ging und ihre Aktentasche holte.

»Können Sie mir zeigen, wo es ist?« Innerhalb einer Sekunde stand Kathryn wieder vor dem großen Schreibtisch mit den vielen Papieren.

»Ich bringe Sie hin.« Eisi zeigte Kathryn den Weg ins Verwaltungsgebäude, wo die Sekretärin des Rektors sie bat zu warten.

Und sie musste eine ganze Weile warten. Sie merkte, dass der Rektor über ihre Verspätung verstimmt war, als er sie endlich zu sich rief. Deutsche waren immer so furchtbar pünktlich. Sie mochten es nicht, wenn man zu spät kam.

Dennoch behandelte der Rektor sie einigermaßen freundlich, wenn auch ein wenig patriarchalisch von oben herab. Allerdings war er auch schon ziemlich alt, sein Haar war fast weiß. Er begrüßte sie als neue Mitarbeiterin an der Uni, und darauf folgten eine Menge Hinweise, wie sie sich als deutsche Professorin zu verhalten hatte. Anscheinend nahm er an, dass sie als Amerikanerin das nicht wüsste.

Soviel zum Thema interkulturelle Kompetenz, dachte Kathryn. Und die deutsche und die amerikanische Kultur sind noch nicht einmal so weit voneinander entfernt.

Nach seinen epischen Ausführungen, in denen das Wort Pflicht eine herausragende Rolle spielte, wünschte er ihr viel Erfolg und entließ sie mit einem strengen Blick in ihren Verantwortungsbereich. Offensichtlich erwartete er, dass sie sich sofort in die Arbeit stürzen würde.

Kathryn war froh, als sie sein Büro – um etliches größer als ihr eigenes – verlassen konnte. Sie atmete tief durch, nachdem sie endlich vor der Tür stand. Die Müdigkeit machte sich nun immer mehr bemerkbar. Vielleicht würde ein wenig von Eisis Kaffee helfen.

Sie lächelte. Sie musste sich wirklich daran gewöhnen, den Namen mit einem weichen »s« auszusprechen, wie im Deutschen üblich, denn eisig war Eisi nun wirklich nicht.

Sie ging, wesentlich langsamer als zuvor, durch die Korridore und suchte nach dem Weg zurück in Gebäudeteil V. Vielleicht war sie verrückt, aber auf einmal dachte sie, sie wüsste, wofür das V stand. Für Victory. Sieg.

Sie war angekommen, sie würde hier ein völlig neues Institut aufbauen, sie hatte eine nette Sekretärin, der Kaffee war gut.

Was mehr konnte sie sich wünschen?

° ° °

»Da wartet jemand auf Sie«, begrüßte Eisi sie bei ihrer Rückkehr mit einem merkwürdigen Blick. »Sie ist schon mal«, Eisi hüstelte, »in Ihr Büro gegangen.«

Kathryn hob die Augenbrauen. Sie hatte dieses Büro selbst kaum gesehen, und schon wurde es von Fremden besetzt? »Wer ist es?«, fragte sie und ging zur Kaffeemaschine. Wer auch immer dort drin auf sie wartete, konnte das noch eine Minute länger tun.

»Ihre«, wieder machte Eisi eine bedeutungsvolle Pause. Kathryn fragte sich, warum, »Assistentin.«

Diesmal runzelte Kathryn irritiert die Stirn. »Sie sollte doch erst morgen kommen.«

»Ich fand es höchst ineffizient, einen ganzen Tag zu vergeuden«, antwortete eine kühle Stimme von Kathryns Bürotür her, »da ich ja wusste, dass Sie heute ankommen würden.«

Da wusstest du mehr als ich zeitweise, dachte Kathryn und drehte sich mit der Kaffeetasse in der Hand um. Fast hätte sie sie fallen gelassen. Das war . . . weit mehr, als sie erwartet hatte. Sie hätte sich nach ihrer Ankunft vielleicht doch erst einmal umziehen und zurechtmachen sollen.

Aber selbst dann hätte ich es kaum mit ihr aufnehmen können. Vor ihr stand eine unglaublich elegante Frau, von Kopf bis Fuß so perfekt gestylt, dass Kathryn sich dagegen wie ein Bauerntrampel vorkam.

»Nicolle Vonneun«, sagte die fast unwirklich erscheinende Gestalt und kam auf Kathryn zu. »Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu arbeiten, Professor Dunn.« Sie streckte Kathryn die Hand hin.

Kathryn hielt immer noch ihre Kaffeetasse fest, sie war für einen Moment überfordert. Nicolle Vonneun war einen halben Kopf größer als sie selbst, und ihr Äußeres erinnerte an das Ebenbild einer griechischen Statue – nur dass sie blond war und nicht nackt. Obwohl die Formen ihres Körpers, die sich unter ihrer Kleidung abzeichneten, den Wunsch in Kathryn aufkommen ließen, diesen Zustand zu ändern.

Daran denke ich besser nicht. Kathryn räusperte sich, nahm ihre Kaffeetasse in die andere Hand und begrüßte ihre neue Assistentin mit einem kräftigen Händedruck, der auf dieselbe Art erwidert wurde. Schüchtern ist sie wirklich nicht, sie traut sich was zu.

»Ich hatte gehofft, ich kann mich heute noch etwas erholen«, erwiderte sie leicht lächelnd.

»Professor?« Eine Braue über blauen Augen hob sich fragend.

»Ich bin seit fast vierundzwanzig Stunden auf den Beinen«, erklärte Kathryn. »Gestern war ich noch bei meiner Familie in Indiana.«

»Das wusste ich nicht.« Die Antwort kam kühl von den vollen Lippen.

Kathryn hätte geschluckt, wenn sie sich nicht im letzten Moment beherrscht hätte. Diese Lippen waren wie geschaffen für – Sie gab sich einen Ruck. »Konnten Sie ja auch nicht«, sagte sie, drehte sich um und stellte ihre Kaffeetasse neben der Maschine ab. So konnte sie dem Blick aus den unergründlichen blauen Augen für eine Sekunde entkommen.

»Sie möchten lieber, dass ich gehe.« Das war eine Feststellung, keine Frage. Und sie klang ebenso kühl wie jeder andere Satz zuvor, den Nicolle Vonneun von sich gegeben hatte.