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1.

Der Soldat Jake Tinkler stolperte durch das nächtliche Dunkel. Nasse Zweige peitschten ihm ins Gesicht, von der Irischen See wehte ein eisiger Wind.

Seine Zähne schlugen aufeinander, wenn eine Bö in seine nassen Kleider fuhr. Am liebsten hätte er sich irgendwo verkrochen wie ein verwundetes Tier, das die Sicherheit und Wärme seiner Höhle sucht. Aber er wußte, daß er nicht schlappmachen durfte, daß er weiter mußte, zu der kleinen Bucht im Nordosten der Dungarvanbai, in der die drei britischen Galeonen lagen.

Er stieß mit der Stirn gegen einen Ast, den er in der Dunkelheit nicht bemerkt hatte. Die harte Borke riß den dünnen Schorf von der langen Messerwunde, und der plötzliche Schmerz ließ ihn stöhnend zusammenbrechen.

Jake Tinkler blieb liegen und schloß die Augen. In dieser momentanen Schwächeperiode spürte er auch wieder die brennenden Schmerzen der anderen Wunden, des tiefen Messerstichs im rechten Oberschenkel und der angeschwollenen Platzwunde auf dem Kopf, die ihm ein irischer Musketenkolben geschlagen hatte.

Deutlich sah er die Szene des Kampfes am Bootsanleger wieder vor sich. Nach einem sinn- und planlosen Angriff auf den Landekopf der Iren und Spanier waren er und drei Kameraden von einer Übermacht auf die Bootspier abgedrängt worden. Sie hatten sich verzweifelt gewehrt und sechs oder sieben ihrer Gegner erledigt, bis einer nach dem anderen gefallen war.

Deutlich sah er die beiden riesigen, bärtigen Iren vor sich, die ihn immer wieder auf die morschen Bohlen des Anlegers hinausgetrieben hatten. Seine Muskete hatte er längst verloren. Er wehrte sich mit dem kurzen Entersäbel gegen die beiden Männer und wußte, daß er ihnen nicht entkommen konnte. Dort, wo die Pier zu Ende war, würde auch sein Leben zu Ende gehen. Spätestens am Ende der Pier. Und wenn er dennoch verbissen und mit aller Kraft weiterkämpfte, so nur, weil sein Überlebensinstinkt stärker war als die Erkenntnis des unvermeidbaren Endes, und um wenigstens einen der beiden in die Ewigkeit mitzunehmen.

Und das hatte er auch geschafft. Einer der beiden Iren war mit einer spanischen Muskete bewaffnet, gewesen, der andere mit einem langen, gekrümmten Messer. Jake Tinkler wußte, daß der Mann mit dem Messer der gefährlichere der beiden war. Die Muskete war leergeschossen, und der Mann schwang die schwere, plumpe Waffe wie eine Keule. Den langen, weitausholenden Schlägen konnte er ausweichen, wenn er aufpaßte, nicht aber den raschen, kurzen Stichen des Messers. Einmal hatte der Ire ihn schon erwischt. Der Stich hatte ihn zwar nicht in die Halsgrube getroffen, wie es beabsichtigt gewesen war, aber seine Ausweichbewegung war zu langsam gewesen, um ihn ganz fehlgehen zu lassen. Die scharfe Klinge hatte seine Stirn getroffen und eine lange, tiefe Wunde gerissen.

Jake Tinkler hatte den Musketenmann ständig im Auge behalten und die weitausgeholten Schläge der Waffe durch Abducken und rasche Sprünge zur Seite vermieden. Gleichzeitig mußte er die Klinge des anderen Gegners durch Ausweichen und Paraden mit seinem Entersäbel abwehren und nach einer Gelegenheit suchen, ihn zu erledigen.

Sie war gekommen, als er das Ende der Pier fast erreicht und kaum noch Raum zum Ausweichen hatte. Der Mann hatte wieder einen von oben geführten Stich in die offene, vom Brustpanzer ungeschützte Halsgrube führen wollen. Dabei war er für den Bruchteil einer Sekunde ohne Deckung, und Tinkler nutzte die Gelegenheit, um ihm den Entersäbel bis zum Heft unter die Rippen zu stoßen. Der Mann war tot, als er auf die Planken der Pier sank. Das hatte ihn für einen Augenblick von dem Mann mit der Muskete abgelenkt. Er spürte einen harten Schlag auf dem Hinterkopf, und dann versank seine Welt in einem tiefen, weichen Dunkel.

Der Schock des eisigen Wassers und Atemnot hatten ihn Sekunden später wieder aus der Bewußtlosigkeit erwachen lassen. Zu seinem Glück hatte ihn die Strömung unter die Holzpier getrieben. Ohne den Halt an den dicken, halb verrotteten Pfeilern und Querverstrebungen wäre er nie wieder an die Wasseroberfläche gelangt. Und außerdem hätten ihn die Iren und Spanier sonst auch sofort entdeckt und mit ihren Musketen erschossen.

Er hatte sich an eine der glitschigen Querstreben geklammert und völlig ruhig verhalten, bis sein Kopf wieder einigermaßen klar war. Er hörte den verebbenden Kampflärm und wußte, daß jetzt auch die letzten seiner Kameraden hingemetzelt wurden. Sie waren alle tot, bis auf ihn. Und bis auf den Bastard, der fünfzig Männer sinnlos geopfert hatte, nur um seinen Willen gegen den Seewolf, Philip Hasard Killigrew, durchzusetzen.

Seine Schmerzen, die eisige Kälte des Wassers und seine Benommenheit waren vergessen, als er an Captain Isaac Henry Burton dachte, der ihn und die anderen in den Tod gehetzt und sich dann, zusammen mit dem Profos, feige verdrückt hatte.

Burton würde für dieses Verbrechen bezahlen, nahm Tinkler sich vor, und wenn er selbst daran zugrunde gehen sollte. Und der Haß auf Burton gab ihm die Kraft, durchzuhalten. Sein Verstand funktionierte wieder mit der gewohnten Klarheit des erfahrenen Soldaten, der seit elf Jahren, seit seinem siebzehnten Lebensjahr, gegen Spanier und Iren gekämpft hatte.

Zunächst einmal mußte er seinen Brustharnisch ablegen, überlegte er, der ihn jetzt nur behinderte. Es kostete ihn erhebliche Mühe, die vom Wasser aufgequollenen Riemen zu lösen, und dabei auch möglichst kein Geräusch zu verursachen. Er atmete erleichtert auf, als er den Harnisch endlich frei hatte und ihn im flachen Wasser versinken ließ. Aber damit versank auch der letzte Teil seiner Ausrüstung. Er trug jetzt nur noch Hose und Hemd, und als einzige Waffe ein Messer im Gürtel.

Er duckte sich unwillkürlich zusammen, als er über sich schwere Schritte auf den Bohlen der Pier hörte. Durch die Ritzen sah er die Schatten der Männer, die jetzt zum Kopfende der Pier gingen, hörte spanische und irische Flüche, und dann das Schleifgeräusch, als sie die Toten an Land zogen. Wenn nur einer auf den Gedanken verfallen wäre, durch die breiten Ritzen zwischen den Bohlen unter die Pier zu blicken, wäre er erledigt gewesen. Aber es sah keiner hinunter. Sie waren überzeugt, daß er durch den Kolbenhieb erledigt worden oder ertrunken war.

Jake Tinkler spürte, wie die Kälte in ihm emporkroch, und er wußte, daß er es nicht mehr lange aushalten würde. Aber solange es hell war, bestand nicht die geringste Aussicht, ungesehen von hier zu entwischen. Er mußte warten, bis es dunkel war, aber er bezweifelte, ob er es so lange aushalten würde.

Durch die eisige Kälte des Wassers wurden auch die Schmerzen seiner Wunden stärker spürbar. Mehrere Male war er nahe daran, wieder bewußtlos zu werden. Sein dunkles Haar war blutverklebt. Wie eine steife Perücke hatte das trocknende Blut es ihm an den Schädel geklatscht. Vorsichtig tastete er nach der Beinwunde. Er wußte nicht, ob die Feuchtigkeit, die er fühlte, Wasser oder Blut war. Der Stich im Oberschenkel bereitete ihm am meisten Sorge. Wenn er nicht mehr gehen konnte, würde er nie …

Er entdeckte die Kiste erst, als sie die Pier fast erreicht hatte. Es war eine alte, roh zusammengehämmerte Holzkiste, wie man sie auf den Schiffen für Zwiebeln und Gemüse verwendete. Der Ebbstrom trieb sie in knapp drei Yards Entfernung am Kopf der Pier vorbei.

Bevor Jake noch richtig bewußt wurde, daß ihm das Schicksal hier eine Möglichkeit des Entkommens bot, hatte er schon tief Luft geholt und schwamm mit ein paar Stößen unter Wasser auf die treibende Kiste zu. Sekunden später tauchte sein Kopf wieder aus dem Wasser – innerhalb der Kiste, die vom Ebbstrom langsam zum anderen Ufer der Dungarvanbai getrieben wurde.

Der Soldat Jake Tinkler erhob sich stöhnend und ging weiter. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und es fror ihn noch mehr als vorher. Aber die Kälte half ihm auch, wach zu bleiben. Er mußte in dieser Nacht wach bleiben, hellwach, wenn er sein Ziel erreichen wollte: die Ankerbucht der drei englischen Galeonen.

Voraus sah er plötzlich einige matte Lichter durch das Dunkel schimmern. Er blieb stehen und lehnte sich an einen Baum, um zu überlegen und sich zu orientieren. Er war hier am Westrand der Dungarvanbai. Das Dorf, das da nur eine knappe halbe Meile entfernt vor ihm lag, mußte Dungarvan sein.

Jake Tinkler ging weiter, vorsichtiger und noch wacher als zuvor. Als er sich den Lichtern auf zwei-, dreihundert Yards genähert hatte und schon die Umrisse der Häuser erkennen konnte, verhielt er wieder. Wie ein sicherndes Wild starrte er zu der kleinen Ansammlung der Häuser hinüber. Häuser in Irland bedeuteten Menschen, Gefahr.

Ich sollte das Dorf in weitem Bogen umgehen, dachte er, und hinter ihm wieder zum Ufer der Bucht zurückkehren. Aber er wußte, daß er am Ende seiner Kräfte war, daß jedes Mehr ihm die letzten Reserven rauben würde, die ohnehin eigentlich überhaupt nicht mehr vorhanden waren. Außerdem bedeutete ein Dorf Wasser, einen Brunnen. Fünfzehn Stunden waren seit dem Kampf auf der Bootspier vergangen, fünfzehn Stunden ohne einen Tropfen Wasser. Der Blutverlust steigerte seinen Durst ins Unerträgliche, sein Körper schrie nach Flüssigkeit.

Noch ein paar Sekunden zögerte er, dann wurde der brennende Durst stärker als die warnende Stimme. Wer sollte um diese Stunde denn noch auf sein? dachte er. Es war jetzt schließlich elf Uhr nachts oder sogar noch später. Die meisten Häuser waren dunkel, und die paar Menschen, die jetzt noch wach waren, hatten anderes zu tun, als draußen herumzulaufen.

Eine knappe Viertelstunde später hatte er den Ortsrand von Dungarvan erreicht. Ein typisches irisches Fischerdorf, stellte er mit einem Blick fest. Zumindest einfache, schon etwas windschief wirkende Holzhäuser, nur die Kirche und ein Haus in der Nähe der Bootspier waren aus Stein erbaut. Vor dem Steinhaus befand sich der kleine Dorfplatz mit dem Brunnen.

Jake Tinkler blickte sich um. Kein Mensch war zu sehen, nirgendwo vernahm er einen Laut. Nur aus der Ferne hörte er das Jaulen eines Hundes, und von der Bai her ertönte der heisere Schrei einer Möwe. Geduckt ging er auf den Brunnen zu. Gott sei Dank, der Trog war noch halb gefüllt. Er brauchte das Wasser nicht heraufzuziehen. Jake sank am Brunnenrand in die Knie und trank. Nein, er trank nicht, er soff wie ein verdurstendes Tier, ließ das Wasser in den ausgedörrten Körper hineinlaufen und hatte das Gefühl, noch nie etwas so Herrliches, Köstliches getrunken zu haben.

Er richtete sich auf, als er Stimmen aus dem Dunkel hörte, Stimmen, die sich dem Platz und ihm näherten. Er sprang auf, und beinahe wäre das verletzte Bein unter der plötzlichen Belastung zusammengeknickt. An Flucht war nicht zu denken und an einen Kampf erst recht nicht.

Er hatte nicht mehr Zeit, sich nach einer passenden Deckung umzusehen. Mühsam humpelte er auf das Steinhaus zu, das dem Brunnen am nächsten war, und drückte sich in den tiefen Schatten einer Nische zwischen Tür und einem aufgeschichteten Haufen Feuerholz.

Drei Gestalten tauchten aus den Schatten der Holzhäuser am Südrand des Dorfes auf. Es waren drei Männer, die sich dem Brunnen näherten und an ihm vorbeischritten.

Sie gingen genau auf Tinkler zu.

Er preßte sich noch fester an die rauhe, feuchte Hauswand und wäre am liebsten in sie hineingekrochen. Einer von ihnen war ein Spanier, wie er an dem mühsamen Englisch erkannte. Die beiden anderen waren Iren.

Unmittelbar vor seinem Versteck blieben die drei stehen. Jake Tinkler hielt den Atem an, als einer der drei sich mit der Hand gegen die Hauswand stützte. Unmittelbar neben seinem Gesicht Die Hand roch nach Fisch und Zwiebeln, stellte er mechanisch fest. Dann wurde sie weggezogen, und die drei Männer traten ins Haus.

Jake Tinkler rutschte an der Wand in die Knie und ging in die Hocke, bis Atem und Herzschlag wieder ruhig geworden waren.

Weg, war sein einziger Gedanke, du mußt weg von hier, so rasch wie möglich, bevor die drei Männer wieder auftauchen.

Doch nach diesen Gedanken der ersten Paniksekunden schaltete sich sofort der Verstand des Soldaten wieder ein. Wer war der Spanier? Was wollte er hier? Wahrscheinlich ein Offizier einer der fünf spanischen Karavellen, die den irischen Aufständischen Waffen und Munition gebracht hatten, was Kapitän Francis Drake mit seinen drei Galeonen zu verhindern versucht hatte. Er mußte erfahren, was die drei zu besprechen hatten.

Jake Tinkler hob den Kopf. Die beiden vorderen Fenster des Hauses waren dunkel. Wahrscheinlich befanden sich die drei Männer in einem der rückwärtigen Zimmer.

Er löste sich aus der dunklen Nische und schlich vorsichtig um das Haus herum. An der Hausecke blieb er ein paar Sekunden stehen. Ja, er hatte recht gehabt. Aus einem der Fenster fiel Licht, und jetzt hörte er auch leise Stimmen.

Aber der kleine Hof hinter dem Haus war ohne Schatten und Deckung. Der Mond stand zwar hinter einer dichten Wolkendecke, doch sein Licht war immer noch ausreichend, um jede Gestalt, jede Bewegung deutlich erkennen zu lassen – wenn man darauf achtete, schränkte Jake Tinkler ein, als er an den Stellagen mit ihren zum Trocknen aufgespannten Fischernetzen vorbei zur Hauswand blickte. Er mußte sich eben darauf verlassen, daß die drei Männer – und auch alle anderen Dorfbewohner in der Nähe – andere Dinge zu tun hatten, als aus dem Fenster in den Hinterhof zu blicken.

Mit einer mechanischen Bewegung griff er nach seinem Messer und überzeugte sich, daß es an seinem gewohnten Platz im Gürtel steckte. Dann drückte er sich von der Mauer ab und schlich langsam, tief geduckt, auf das halboffene Fenster zu, aus dem der Lichtschein fiel.

„… wenn nicht dieser verdammte Engländer die Höhle mit dem Pulver und den Waffen in die Luft gesprengt hätte“, hörte er eine wütende Stimme sagen.

Jake Tinkler grinste. Er hatte sich etwas Ähnliches gedacht, als er nach Überqueren der Bai unter der treibenden Kiste zitternd vor Kälte und Schmerzen im Schutz der Uferklippen gehockt und das Krachen einer Explosion gehört hatte.

„War das der Große, Dunkelhaarige, der drüben am Südufer der Bai mit sieben anderen Männern alle unsere Angriffe abgewehrt hat?“ fragte eine Stimme mit breitem, irischen Tonfall.

„Ja, der war es. Wahrscheinlich einer der Offiziere.“

„Nein, der Kapitän“, sagte die dritte Stimme. „Ich habe schon von ihm gehört. Sie nennen ihn den Seewolf.“

Jake Tinkler nickte befriedigt. Der Mann, der sich dem sinnlosen Einsatz Captain Burtons am schärfsten widersetzt hatte: Philip Hasard Killigrew.

„Wir werden den Wolf mal das Schwimmen lehren“, sagte die Stimme des Spaniers amüsiert. „Seine verdammte Galeone blockiert die Ausfahrt der Stiefelbucht und hält uns hier fest. In genau einer Stunde, um Mitternacht, gehen wir mit ein paar Booten längsseits, um sie zu entern und zu kapern. Die ‚Isabella von Kastilien‘ ist ohnehin rechtmäßig spanisches Eigentum, das dieser Freibeuter uns gestohlen hat.“

Die beiden anderen lachten. Jake Tinkler hörte das Klirren von Gläsern und weitere Gespräche. Er hörte sie, aber er nahm sie nicht auf, weil sein Verstand damit beschäftigt war, nach einem Weg zu suchen, den Seewolf und die Männer der „Isabella“ vor dem bevorstehenden Überfall zu warnen. Aber wie?

Er brauchte ein Boot, um rasch an Bord der „Isabella“ oder eines der beiden anderen Geleonen zu gelangen. Normalerweise war das kein Problem. In jedem Fischerhafen lagen irgendwelche Kähne herum, die man nur ins Wasser zu schieben brauchte. Aber in seinem jetzigen Zustand würde er nicht einmal eine lose Planke vom Ufer schleifen.

„Wir müssen die Galeone unbedingt heute nacht beseitigen, weil morgen ein zweiter Transport von Waffen und Munition eintrifft“, sagte der Spanier jetzt, und damit war Tinklers Aufmerksamkeit wieder bei der Unterhaltung der drei Männer. „Die Engländer sollen nicht glauben, daß die Vernichtung dieses einen Lagers in den Drum Hills die Absichten Spaniens vereiteln kann.“

„Sehr richtig.“ Die Stimme des Iren klang wie eine rostige Feile. „Wir wissen schon, warum wir uns mit dem König von Spanien verbündet haben.“

„Dem Verteidiger der Rechtgläubigen“, sagte der Spanier salbungsvoll.

„Jawohl, auch wegen der Kirche, und weil unser Pfarrer sagt, daß wir gegen die Ketzer kämpfen sollen.“ Das war der andere Ire, dessen Stimme so träge und schleppend klang, als wenn er jedes Wort durch dicken Sirup zog. „Aber vor allem, weil uns die Spanier mit allem versorgen, was wir für den Kampf gegen die Engländer brauchen.“

„Und für die Befreiung Irlands“, sagte die Stimme, die wie eine rostige Feile klang. „Was bringen die Schiffe denn mit, die morgen eintreffen sollen? Wir brauchen vor allem Musketen und Pistolen, um einzelne Briten abschießen zu können. Für größere Unternehmen sind wir noch nicht bereit.“

„Ich weiß auch nicht genau, was die Schiffe geladen haben.“ Die Stimme des Spaniers klang etwas gereizt und ungeduldig, fand Jake Tinkler. „Aber das werden Sie ja morgen selbst sehen.“ Er machte eine kurze Pause, und Tinkler hörte ein leises Klirren, wie es beim Einschenken entsteht, wenn der Flaschenhals an den Rand des Glases stößt. „Wo wollen Sie das Zeug lagern? Das erscheint mir im Augenblick eine viel wichtigere Frage.“

„Im zweiten Lager“, sagte die träge Stimme.

„Und wo ist das?“

„Auch oben in den Drum Hills, südwestlich von dem anderen, das die verdammten Briten gesprengt haben.“

„Ist das nicht sehr unvorsichtig, zwei geheime Lager in den Drum Hills anzulegen?“

„Im Gegenteil. Wenn die Engländer eins entdeckt haben, werden sie niemals vermuten, daß sich noch ein anderes in der Gegend befindet. Sie werden glauben …“

„Trotzdem können wir die neuen Waffen nicht dort unterbringen“, unterbrach die rostige Stimme.

„Und warum nicht?“ fragte der andere Ire.

„Weil es voll ist, Trottel.“

„Dann müssen wir es eben vergrößern. Wenn ein Dutzend Männer heute nacht die Höhle erweitern, ist doch Platz genug, um eine Ladung unterzubringen.“

„Und was ist mit den Engländern, he? Glaubst du, die sind blind? Sie brau chen doch nur die frische Erde zu sehen, die du aus der Höhle schaffen mußt, dann jagen sie auch unser zweites Munitionslager in die Luft. Mit den neuen Waffen und dem ganzen Zeug …“

„Bitte, Señores“, unterbrach der Spanier scharf. „Wir sind doch nicht zusammengekommen, um uns zu streiten. Sie müssen selbst entscheiden, wo Sie die Lieferung sicher lagern können. Zunächst aber müssen wir dafür sorgen, daß sie überhaupt an Land gebracht werden kann. Und dazu muß die britische Galeone, die in der Einfahrt zur Stiefelbucht liegt, beseitigt werden.“ Jake Tinkler hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, und wußte, daß der Spanier jetzt aufstand. „Zu den Booten, Señores.“

Jake Tinkler wartete, bis das Licht erlosch und das Fenster dunkel geworden war. Als ergeduckt zur Hausecke zurückschlich und auf den kleinen Platz spähte, sah er die beiden Iren und den Spanier aus der Haustür treten und zur Pier gehen.

Er hörte leise Rufe und Kommandos, die er nicht verstehen konnte. Eine knappe Minute später sah er einige Boote, die sich von der Pier gelöst hatten und mit kaum hörbaren Ruderschlägen in der Dunkelheit verschwanden.

Jake Tinkler wartete noch etwas, dann humpelte er, sich immer im Schatten der Häuser haltend, aus dem Dorf. Er ging auf dem Uferweg entlang nach Norden, auf die Stelle zu, an der der Colligan in die Bai mündete. Es war nur eine knappe Meile, und er marschierte über fast ebenes Gelände, doch bei seinem Zustand brauchte er fast eine Stunde dafür.

Diese Stunde war ein einziger Kampf gegen seine Schwäche, seine Müdigkeit und Erschöpfung. Immer wieder stürzte er zu Boden, immer länger wurden die Pausen, die er brauchte, um sich zu zwingen, wieder aufzustehen und weiterzuhumpeln.

Kurz vor Mitternacht sah er die Mündung des Colligan vor sich, eine von der Strömung gekräuselte Wasserfläche, von der das mattsilberne Mondlicht reflektiert wurde.

Wasser! Wieder war der Durst übermächtig geworden, stärker als Hunger, Müdigkeit und Erschöpfung. Er humpelte schneller. Er spürte kaum, wie die Anstrengung sein Herz schneller schlagen, seinen Atem in kurzen Stößen keu chen ließ, und die letzte Reserven seines Körpers mobilisierte und verbrauchte.

Zu Tode erschöpft brach er am sandigen Ufer des Flusses in die Knie und ließ sich vornüber fallen, mit dem Gesicht in das kühle Wasser.