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Ashley Carrington

Isabella –
Im Tal der wilden Katzen

Erzählung

hockebooks

1

Zwischen den kleinen Adobehütten der mexikanischen Ansiedlung brodelte die Hitze eines langen Sommertages.

Das niedrige Haus von Maria und Pedro Gomez stand am Ende einer von kümmerlichen Oleanderbüschen gesäumten Gasse und besaß einen winzigen Garten, der nach hinten hinausging.

Dort ließ sich jetzt Pater Dominico ächzend in einen Korbsessel nieder, zog ein Tuch aus der Kutte und betupfte sich damit das schweißglänzende rosige Gesicht. »Es ist so weit«, sagte er dabei und wich Marias fragendem Blick aus.

Die füllige Mexikanerin hob sogleich ein lautes Gejammer an, das sich noch steigerte, als ihr Mann Pedro sie zu beschwichtigen versuchte.

»Sei um Himmels willen ruhig, Frau!«, beschwor er Maria. »Wenn dich jemand hört! Du bringst uns alle in Gefahr!«

Aber Marias Zorn war stärker als ihre Angst, und nichts konnte ihre Anklage bremsen. Einmal musste es aus ihr heraus. Viel zu lange war die Wahrheit schon verschwiegen worden.

»Bring Isabella nach Santa Barbara oder Hidalgo del Partal. Am besten noch über die Grenze nach El Paso. Nur fort von hier, ehe man das Kind holt und auf die Hazienda verschleppt.«

»Dazu ist es längst zu spät«, meldete sich der Pater wieder zu Wort, und aus seiner Stimme klang Besorgnis. »Ich habe vom Kirchturm aus eine Staubwolke gesehen, die sich dem Dorf nähert. Es sind Reiter, und sie kommen aus westlicher Richtung.«

»Von der Hazienda des Dons!«, rief Maria entsetzt.

Der Pater nickte. »Aber das allein beunruhigt mich nicht.«

»Was …? So reden Sie schon, Pater«, drängte Maria und schob dem Dorfgeistlichen sein Weinglas näher.

»Don Alfonso de Lopez liegt im Sterben. Das ist es, was ich in Erfahrung gebracht habe. Mein Amtskollege, Pater Benito aus San Franzisco del'Oroa, ist schon auf der Hazienda eingetroffen.«

»Was haben Sie noch gehört, Pater?«, fragte Pedro bestürzt.

»Dass er … seine Enkelin sehen will. Pah, als ob das die anderen so einfach hinnehmen würden!« Seufzend schüttelte der Pater sein Haupt und trank vom einfachen Landwein.

Aus dem Haus trat das junge Mädchen, um das es ging, die neunzehnjährige Isabella, und bei ihrem Anblick hob die dickliche, gutmütige Mexikanerin beide Hände anklagend zum Himmel.

»Seht das Kind! Hat denn niemand Erbarmen? Wie schön Isabella ist, wie rein und unschuldig. Kann sie etwas dafür, dass sich ihre Eltern liebten und dass sich der junge Francesco beim Sturz von seinem wilden Hengst das Genick brach? Wo bleibt Gottes Gerechtigkeit auf Erden, Pater?«

»Versündige dich nicht, Frau!« mahnte Pedro sie. »Und nun schweig besser.«

»O nein!«, rief Maria Gomez. »Bei der Madonna von Guadelupe, jetzt werde ich reden!«

Isabella lachte ahnungslos und kam näher. Sie trug auf einem Holztablett einen ganzen Stapel noch heißer Tortillas sowie Schalen mit Chili, Frijoles und anderen Köstlichkeiten.

»Ich höre, dass du redest, Maria«, sagte sie und stellte das Tablett auf den derben, grob gezimmerten Rundtisch, ehe sie sich neben die Hausherrin auf die Bank setzte. »Was ist nur geschehen? Ihr seid alle so aufgelöst.«

Pater Dominico betrachtete die bildschöne Isabella mit gemischten Gefühlen. Wohl glich sie rein äußerlich dem armen, viel zu früh verstorbenen und einzigen Sohn des reichen Don Alfonso de Lopez. Diese stolze, ja fast hochmütige Familie, die das Tal am San Juan noch wie vor Jahrzehnten mit fester Hand regierte und beherrschte, diese Familie hatte noch nie jemanden in ihren Reihen geduldet, der nicht aus einer der ersten Familien des Landes kam. So betrachtet, hatte der junge Don Francesco an allem schuld, als er sich in die junge deutsche Touristin einfacher Herkunft verliebt und sich nicht gescheut hatte, sie gegen den Willen des Vaters auf die Hazienda zu bringen.

»Was hast du nur, Maria?«, fragte Isabella und legte den Arm um die fülligen Schultern der Frau, die sie vor fünf Jahren liebevoll bei sich aufgenommen hatte. Isabella hatte sofort Vertrauen zu ihr gefasst. Nach vielen bitteren Jahren, die sie in Waisenhäusern und bei bestenfalls gleichgültigen Pflegeeltern verbracht hatte, hatte sie bei Maria und Pedro Gomez endlich erlebt, was Geborgenheit innerhalb einer Familie bedeutete. Sie hatte lange Zeit in einem Kinderheim in El Paso gelebt. Dort hatte sie zum ersten Mal die Frage gestellt, wo ihre Eltern seien. Und man hatte ihr geantwortet, ihre Eltern seien tot. Sie sei eine Waise.

Eine Waise ohne jegliche Verwandtschaft, so hatte sie all die Jahre geglaubt. Doch an diesem heißen Nachmittag enthüllte sich für Isabella die erschütternde Wahrheit …

Mit nunmehr leiser, fester Stimme erzählte Maria dem jungen Mädchen, dass sich vor vielen Jahren der einzige Sohn des reichen Don Lopez in eine wunderschöne Touristin aus Deutschland verliebt hatte, die er in Acapulco kennengelernt habe.

Der schon damals alte Don Lopez fluchte und wetterte, die übrige Verwandtschaft reagierte mit Hohn und Verachtung. Aber Francesco blieb hart, und sein Vater sehnte sich nach einem Enkel. Das Glück der beiden Verliebten nahm jedoch ein jähes, tragisches Ende. Der junge Francesco stürzte vom Pferd und war auf der Stelle tot. Seine junge Braut erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch, von dem sie sich nur langsam erholte. Man hielt die Deutsche so lange auf der Hazienda, bis ihr Kind das Licht der Welt erblickte. Dann …

Hier brach Maria Gomez ab und senkte vor den großen, zornerfüllten Augen Isabellas den Blick. Und der Pater rutschte unruhig im Sessel hin und her.

»Und dann?«, drängte Isabella mit fast schriller, wütender Stimme. »Sprich weiter, Maria! Was geschah dann? Dieses Kind … das bin doch ich, nicht wahr? Aber wo ist meine Mutter?«

Der Pater war es, der mit gesetzter Stimme weitersprach: »Man sagte deiner Mutter, du seist tot geboren worden und schon begraben, ja, in der Familiengruft an der Seite deines Vaters. Man hielt deine Mutter so lange auf der Hazienda, bis sie genesen war. Dann schickte man die Ärmste zurück nach Deutschland. Was hätte man auch sonst tun können? Wahrscheinlich hat ihr der alte Don noch einen ansehnlichen Geldbetrag mitgegeben. Aber das Kind … das Kind gab man der Frau nicht. Das hatte man längst in ein Kinderheim abgeschoben.«

Fassungslos hatte Isabella zugehört. Ihr schmales Gesicht mit den großen dunkelgrünen Augen wirkte unter der sonnengebräunten Haut fahl.

»Warum erfahre ich das gerade heute? Was geschieht nun mit mir? Und was fürchtest du so, Maria?«, fragte sie tonlos.

Spröde schürzte die Mexikanerin die Lippen. »Der alte Lopez hat irgendwie immer seine schützende Hand über dich gehalten. Sonst hätte die Verwandtschaft schon längst dafür gesorgt, dass diese ›Familienschande‹, wie sie es nannte, aus der Welt geschafft würde. Doch das hat er nie zugelassen, denn du, Isabella, bist und bleibst die Tochter seines einzigen Sohnes.«

Nun liegt der alte Mann im Sterben, und mit seinem Tod wirst du auch seinen mächtigen Schutz verlieren, mein armes Kind. Man wird dich holen. Pater Dominico hat eine Staubwolke aus westlicher Richtung auf unser Dorf zukommen sehen. Es sind ohne Zweifel Reiter von der Hazienda. Immerhin bist du die Tochter des verstorbenen Francesco de Lopez. Und damit bist du die Erbin – du!«

Wie eine Drohung standen diese Worte plötzlich zwischen den vier Menschen im kleinen Garten hinter dem Häuschen der einfachen Leute, die Isabella von Herzen liebte. Und dann fügte Maria leise und bitter hinzu: »Diese reichen Menschen kennen und achten nur ihresgleichen. Solange du lebst, werden sie immer in der Furcht sein, du könntest eines Tages doch noch Ansprüche anmelden. Darum wird man versuchen, dich zu … töten.«

Isabella erstarrte. Wollte Maria noch etwas hinzufügen? Sagen, dass sie sich irren würde?

Wie auch immer, sie kam nicht mehr dazu. Denn plötzlich waren sie da, die drei Männer in Reitkleidung. Ihre Pferde mussten sie vor der Gasse auf dem Dorfplatz zurückgelassen haben.

Mit harten Schritten betraten sie den Garten. Rücksichtslos zertrampelten ihre Stiefel zierliche Blumen. Sie postierten sich vor dem Tisch auf. Der mittlere Mann unterschied sich in seiner eleganten schwarzen Kleidung und seinem Auftreten deutlich von den anderen beiden, die offensichtlich nur einfache Vaqueros waren.

Kurz und befehlsmäßig sagte der Schwarzgekleidete nun zu Isabella: »Ich bin Fernando de Lopez, dein Vetter. Ich habe den Auftrag, dich zur Hazienda zu bringen. Meine Männer haben ein Reitpferd für dich mitgeführt. Da du geeignete Reitkleidung trägst, wirst du sofort mit uns kommen.«

Isabella hatte sich neben Maria hoch aufgereckt und den Redner stolz und abweisend betrachtet.

»Warum sollte ich mit Ihnen reiten?«, fragte sie nun unerschrocken und spürte Marias warme Hand flüchtig an ihrem Unterarm.

Fernando de Lopez musterte sie überrascht, wobei es in seinen dunklen Augen kurz aufsprühte. »Du bist schön, und du besitzt Mut. Das wusste ich nicht. Aber nun genug! Stell keine Fragen, und komm mit, du … Bastard!«

Das hätte er besser nicht gesagt. Fünf Jahre lebte Isabella nun schon unter Marias Obhut und Pedros Fürsorge. Und oftmals hatte sie sich ein wenig über die beiden an sich so gutmütigen Pflegeeltern gewundert, die ihr eine überaus harte Lebensschule vermittelten. Isabella hatte alles lernen müssen, was ein junges mexikanisches Mädchen eigentlich niemals lernte … reiten, schießen, jagen, sich in der unwegsamen Landschaft der Sierra Madre zurechtfinden.

Sie hatte Dinge gelernt, die man braucht, wenn man eines Tages gezwungen wird, sich seiner Haut zu wehren … oder vielleicht um sein Leben kämpfen muss!

Maria und Pedro haben dies vorhergesehen, überlegte Isabella flüchtig, ehe sie auf den Mann, der mit hochmütigem Gesicht vor ihr stand und sich ihr Vetter nannte, zusprang. Wie eine Raubkatze sprang sie ihn an und fuhr ihm blitzschnell mit ihren Fingernägeln über das Gesicht.

Völlig überrascht taumelte er zurück, riss die Augen erschrocken auf und schrie vor Schmerz und Zorn, als ihre Nägel blutige Schrammen auf seinen Wangen hinterließen.

Das währte jedoch nur einen kurzen Moment, dann packten seine harten Hände Isabellas Schultern und schleuderten das junge, federleichte Mädchen zurück.

Unterdessen erwachten die beiden Vaqueros aus ihrer Trägheit und griffen mit ein. Sie hielten die sich heftig wehrende Gestalt an beiden Armen fest, während sich Fernando de Lopez die blutenden Wangen mit einem Seidentuch abtupfte. Seine Augen glühten bedrohlich, und sein Gesicht hatte eine schmutziggraue Tönung.

»Du Katze! Das hättest du besser nicht gewagt! Man greift einen Lopez nicht ungestraft an!«, stieß er hervor.

»Auch ich bin eine Lopez!«, erwiderte Isabella heftig und riss sich mit einer jähen Bewegung von einem der beiden mexikanischen Cowboys los. »Und man beleidigt mich nicht ungestraft … Vetter!«

Fernando gab dem zweiten Vaquero, der sie noch immer festhielt, einen Wink, und er ließ Isabella frei.

»Nun gut! Versuchen wir es mit Vernunft. Dein Großvater liegt im Sterben und möchte dich sehen. Wirst du nun freiwillig mitkommen? Oder hast du vielleicht Angst?«

Das kam so lauernd und mit kaum verhohlener Boshaftigkeit, dass Maria mit tränenerstickter Stimme rief: »Oh, geh nicht mit ihm, mein Kind! Lass dich nicht reizen! Bleib der Hazienda fern!«

Fernando warf ihr nur einen verächtlichen Blick zu. Und einen Moment zögerte Isabella tatsächlich. Sie kannte niemals ein Gefühl der Furcht, aber jetzt riet ihr eine innere Stimme, nicht mit auf die Hazienda zu reiten.

Als sie jedoch das Grinsen im Gesicht ihres Vetters sah, warf sie stolz den dicken schwarzen Zopf über die Schulter. »Gut, wenn mein Großvater mich zu sprechen wünscht, reite ich mit. Mir macht niemand Angst, Vetter Fernando. Und was Don Lopez betrifft, so hätte ich ihn so oder so aufgesucht. Ich habe ihm nämlich eine Frage zu stellen, die er mir hoffentlich im Angesicht des Todes beantworten wird.«

»Du hochmütiges Luder!«, zischte Fernando de Lopez und machte einen Schritt auf sie zu. »Was willst du von ihm wissen?«