Einführung


Die Idee

Anfang aller Weisheit ist die Verwunderung.

Aristoteles


Das Leben wie eine Zitrone auspressen und in sich aufnehmen, selbst mit anfangs verzogenem Gesicht lohnt es sich. Die Keime der Vitalität strömen dann durch die Zellen und setzen die Lebensenergie in vollen Zügen frei. Vor Abenteuern nicht scheuen, sich an Kleinigkeiten erfreuen, einzigartige Erfahrungen und wunderschöne Erinnerungen sammeln – so will ich meine Zeit auf der Erde verbringen. Und zwar nicht nur gelegentlich, sondern auch im ganz normalen Alltag. Ohne Frage, so lange wie es nur geht. Freude ist ein angeborenes Grundgefühl. Anscheinend kann sie jeder empfinden, unabhängig von Herkunft und kulturellem Hintergrund. Selbstverständlich ist das nicht immer und dauerhaft möglich. Allzu langanhaltende trübe Zeiten wirken  destruktiv und können  bekanntermaßen negative Folgen für unser Leben haben. Das durfte ich am eigenen Leib in Erfahrung bringen:  Es ist noch nicht lange her, da traf mich eine existenzielle Sinnkrise und meine Freude am Leben verschwand plötzlich. Mein Ursprünglicher Ist-Zustand: intensive aber erfüllende Arbeit, weit über vierzig Stunden pro Woche im Einsatz, dafür tolles Gefühl und breiter Karriereweg. Ein paar Jahre später: Verlust an Körpergefühl und Ausgleich. Ich musste mir freinehmen. Ein starkes Bedürfnis nach Distanz und Reflexion hat mich für ein paar Wochen aus dem Hamsterrad gezogen. Diagnose: Burn-out. Die Arbeit, die mein Leben bisher bestimmt hatte, war auf einmal weg. Ganz weg. Schlichtweg weg. 

So stand ich da. Mit der Zeit und dem Raum, die Ziele und mein bisheriges Verhalten im Leben zu hinterfragen. Nacht für Nacht saß ich, nachdem ich wie betäubt die täglichen Angelegenheiten erledigt hatte, verzweifelt Zuhause. Wo ist meine Lebensfreude?! – fragte ich mich. Meine Seele brauchte Nahrung und schrie nach Aufmerksamkeit, während meine alten, kognitiv orientierten rationalen Verhaltensmuster und Gedanken ihren eigenen, lange besetzten Königsplatz verteidigten. Ich war Schauplatz und Opfer dieses Kampfes zugleich, und trieb  energielos auf den Straßen Tübingens herum. Mir fielen komischerweise alle Menschen auf, die eine lebensbejahende Ausstrahlung hatten. Mit Neid fing ich an, diese Personen zu beobachten. Einige Zeit später stellte ich überrascht fest: Meine Observierungsobjekte waren vor allem Senioren! Wahrscheinlich lag es hauptsächlich daran, dass die Mehrheit meiner Gleichaltrigen die Tageszeit überwiegend in der Arbeit verbringt. Ich hatte ein Aha-Erlebnis: Nun liefert mir das Universum Menschen, die nicht nur aufgrund ihrer Erfahrung von Lebensfreude viel Ahnung, sondern eventuell auch Zeit für mich haben! Als ich das Verhalten der Senioren ein bisschen genauer unter die Lupe nahm, fing ich an, nicht nur die Lebensfreude in den alten Herzen zu sehen. Intensives Beobachten ließ bei manchen auch Resignation, Depression und vor allem Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber erkennen. Tag für Tag versank ich in meiner Neugier und fragte mich, wie man Lebensfreude im Alter beibehält, beziehungsweise entwickelt – und wie passiert es, dass man sich gegen die Lebendigkeit und Freude wendet? Langsam kristallisierte sich eine Idee heraus: Senioren zu beobachten und zu befragen, würden mir vielleicht Antworten für meine eigene Lebenssituation geben und gewissermaßen Weisheit schenken, die ich anschließend für mich selbst nutzen könnte. Ich würde dann wissen, wie ich zu meiner Freude komme und sogar auch, wie ich sie bis ins hohe Alter nicht verliere! Die Idee ist nicht neu. Bis zum Beginn der Modernisierung waren die Alten die selbstverständlichen Verwalter der Alltagsphilosophie und des „richtigen Lebens“. Erst das Aufkommen der Moderne mit ihrem Jugendwahn hat ihnen diese Rolle weggenommen. Aber ich war bereit zu versuchen, die Uhr zurückzudrehen. Bis heute macht mir die überall herrschende Informationsflut gewisse Schwierigkeiten, den für mich richtigen Input herauszufiltern. Als ich jünger war, konnte ich zwar problemlos dem medialen Überangebot Widerstand leisten (auf Fernseher verzichtet, keine Zeitungen gekauft). Unglücklicherweise hat mir das Internet mit der Zeit viel zu viel ersetzt und anscheinend nicht nur mir. Der Fakt, dass ich in meinem Alltag vor allem mit toten Gegenständen in Berührung komme (Laptop, Handy, Stifte, Auto, Tür, Briefkasten, Schlüssel usw.), leistet zu meiner Existenz als Säugling in der Familie des Homo Sapiens keinen besonders positiven Beitrag. Lesen und mich informieren von maschinellen, elektronischen Quellen habe ich auf verschiedene Art und Weise während meiner Ausbildung gelernt. Von Gefühlen war da weniger die Rede. Leider haben mir weder Logik noch kopfgesteuerte Aktionen geholfen, die Lebensfreude zurückzugewinnen. Im direkten Kontakt mit Menschen sah ich die mögliche Lösung.


Der Prozess

Was immer du tun kannst, oder träumst es tun zu können,

fang damit an! Mut hat Genie, Kraft und Zauber in sich.

J.W. Goethe


Als ausgebildete Ingenieurin mit starkem Fokus auf strukturierte Vorgehensweisen setzte ich mir ein persönliches Ziel und suchte Wege zu Begegnungen mit Senioren, die das Leben positiv angenommen haben, beziehungsweise die mir zu diesem Thema etwas beibringen könnten. Der innere Kritiker (was? spinnst du? Hast du nichts Besseres zu tun? Wer wird mit dir reden wollen?) wurde erfolgreich mit ein paar guten Tricks von Dr. Wayne Dyer zum Schweigen gebracht.

Ja, ein Projekt über Lebensfreude (im Alter) macht Sinn! Ja, es gibt Menschen, die an Generationenweisheit in der Internet-Ära immer noch glauben. Ja, es gibt genug Menschen, die die Idee unterstützen, mitmachen und sich gerne mit mir austauschen! – Bewaffnet mit diesen Bestätigungen ging ich entschlossen meinen Weg. Die Absicht war klar: Die Bedingungen für die Lebensfreude im Alter erforschen und herausfinden, was die entscheidende Rolle im Leben spielt, um Freude im Alter (und hoffentlich auch unabhängig davon) zu haben. Ich wollte wissen, wie ich mein Leben steuern sollte, damit ich jetzt – und bis ins Seniorenalter – energievoll bleibe, mit Lust auf mehr. So begab ich mich optimistisch auf die Suche nach Senioren, die sich für das Projekt begeistern lassen könnten. Ich wollte keine bekannten Persönlichkeiten aus der Welt der Medien, Politik oder Wirtschaft ansprechen. Ich suchte vielmehr die Alltagshelden, die in ihrer Art und Lebensweise mich eher inspirieren könnten. Aktiven Einfluss habe ich darauf jedoch nicht genommen. Ausgetauscht habe ich mich mit allen, wie sie gekommen sind. So entstand ein bunter Strauß aus den unterschiedlichsten Stimmen und Ansichten. 

Ich informierte mich zuerst in der Breite. Um auszuloten, ob Interesse für das Thema vorhanden ist, habe ich Workshops für Senioren organisiert. Davor kam die Werbekampagne mit kreativem Austoben, sprich: mit manuell erstellten Plakaten und Flyern. Zur ersten Veranstaltung in der Hirsch-Begegnungsstätte kamen über fünfzig Personen, was mir Motivation zum Weitermachen gab. Anschließend ging die Recherche in die Tiefe. Ich suchte Personen für ein „face to face“-Gespräch, die mir Einblicke in ihre Biographie hinsichtlich Lebensfreude liefern könnten. Ich erhoffte mir, sichtbare Parallelen in den Erzählungen zu entdecken. Nach dreizehn Monaten spontaner sowie geplanter Recherche, die sich durch glückliche Zufälle und auf wunderbare Weise entwickelten, habe ich die Antworten auf meine Fragen schlussendlich gefunden. Es ist mir gelungen, den Schleier des Geheimnisses über Lebensfreude im Alter und ihrer Bedeutung zumindest ein wenig zu lüften. Meine Erwartungen wurden dabei weit übertroffen. Die Weisheit der erfahrenen Generation erhellte mir den Blick auf das Wichtige im Leben. Ich bin in der Lage in neuen Bahnen zu denken und das tägliche Geschehen anders wahrzunehmen. Die Freude herrscht in meinem Herzen wieder, die Seele tanzt wie ein Cheerleader. 


Das Buch 

Du schreibst ein Buch auf Deutsch? Kennst du die Sprache so gut?

Nein, aber Lebensfreude ist einfach. Mein Deutsch reicht aus.

 

Die Veröffentlichung der Projektergebnisse halte ich für meine gesellschaftliche Pflicht. Sie ist auch die Erfüllung meines Herzensbedürfnisses. Lange keimte die Idee in meinem Inneren, um am Ende schließlich zum Vorschein zu gelangen. Einfach war das nicht immer. Öfter musste ich Rückschläge und gescheiterte Anläufe hinnehmen, die meine Pläne verzögerten oder sogar das ganze Projekt in Gefahr brachten. Aber das Kreative hat den Weg schließlich gefunden. Selbstvertrauen, Zeit und mentaler Raum sowie Unterstützung ergaben sich unerwartet, nachdem ich es mir selbst erlaubt habe, mich dem Thema immer mehr zu widmen. Ich hoffe, dass die gefundene Weisheit der Älteren zur Lebensfreude durch diese Dokumentation auch für andere wieder in den Fokus kommt und diejenigen erreicht, die sie brauchen und zu schätzen wissen. 

Auf den folgenden Seiten werden Selbstreflexionen ganz verschiedener Menschen in Form von Monologen präsentiert. Meine Alltagshelden, die den größten Teil des Lebens hinter sich haben, teilen ihre Erkenntnisse, Erlebnisse und definieren ihre Freude sehr unterschiedlich. Sie haben jedoch auch viele Gemeinsamkeiten: Lebenslust, Zukunftspläne und Wünsche. Sie betonen die Wichtigkeit eines Menschen, Offenheit dem Neuen gegenüber, den großen Wert sozialer Kontakte und der Achtsamkeit im Alltag. Einen besonderen Teil stellt das Kapitel mit der Geschichte der Oma Yaga dar. Hier komme ich als Barbara mit meinem Alter Ego Yaga ins Gespräch. Es ist ein Versuch, die Auswirkung der gesammelten Lehren auf meine Lebensfreude im Alter zu projizieren. Darin beinhaltet sind außerdem die Ergebnisse der einführenden Workshops, in denen ich in größeren Gruppen von Senioren, die Bedingungen der Lebensfreude ausgearbeitet habe.

Ich möchte mit dem Buch die Inspiration teilen und damit den Funken, der für mich altersunabhängigen Lebendigkeit und der Vitalität der Senioren. Ich schrieb diese Geschichten auf, damit Sie wissen, dass sich die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit vor allem sich selbst gegenüber lohnt. Es lohnt sich, frische Blumen Zuhause zu haben, auch wenn man allein wohnt. Es lohnt sich, draußen auf dem Weg mal anzuhalten, um Vögel zu beobachten und an Blumen zu riechen. Es lohnt sich, beim Morgengrauen im Winter früher aufzustehen, um einen Kaffee auf dem Balkon zu genießen, bevor man in die Arbeit geht. Es lohnt sich, nach dem Aufstehen das Bett zu machen, so dass jede Nacht neu und angenehm anfangen kann. Es lohnt sich, vorbeilaufende Menschen anzulächeln. Es lohnt sich, zwei Tage zu investieren, um selber ein Roggenbrot zu backen, und selbst bei kurzen Besuchen, den Tisch schön zu decken. Und es lohnt sich, unter der Dusche oder im Auto auf dem Weg zur Arbeit laut zu singen. Ich schreibe, damit Sie wissen: Aus den Kleinigkeiten besteht die Welt und dort wohnt auch die Freude. 

Des Weiteren möchte ich Ihnen durch mein Projekt den Mut machen, das Leben nach Herzensbedürfnissen zu führen. Ich habe mir selbst lange Zeit nicht erlaubt, meine Wünsche zuzugeben. Skepsis überwog stets die leise Stimme des Mutes. So schwamm ich bisher mit dem Strom, wohin es auch immer ging. Mein Leben habe ich unbewusst gestaltet – nicht unbedingt wie ich es wirklich wollte; ich habe mich nicht mal gefragt, was ich wollte. In der Regel habe ich mich mit dem Geschehen abgefunden und dabei versucht, das Beste daraus zu machen. Es war auch sehr bequem. Sobald man sich entscheidet, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, passiert etwas Schreckliches: Plötzlich gibt es niemanden mehr, dem man die Schuld zuweisen könnte. Nur: Wenn man sich den eigenen Wünschen doch nicht stellt und eher fremdgesteuert als selbstbestimmt lebt, kommt leider irgendwann die schwierige Frage nach dem Lebenssinn. Ich möchte Ihnen mit dem Buch die Motivation zu allen Ihren Traumaktionen geben. Es ist nie zu spät. Es gibt immer einen Weg. Und wenn nicht, schaffen Sie ihn selbst! Wenn eine sozial kaum angebundene Polin den Zugang zu deutschen Seniorenherzen ad hoc gefunden hat, was könnte dann unmöglich sein? 

Ein glückliches Leben ist eine Perlenkette von glücklichen Momenten. Jedoch erkennt die Mehrheit die glücklichen Momente nicht. Sie ist zu beschäftigt damit, das glückliche Leben anzustreben. Hiermit möchte ich Sie einladen auf eine Reise ohne Sextanten oder Kompass, geführt von intuitiven Gedanken. Bevor die Reise beginnt, findet eine Zeit der Vorbereitung statt. Suchen Sie sich bitte eine persönliche Zufluchtsstätte, so dass Sie das Abenteuer mit voller Bewusstheit erleben. So dass Sie die einzelnen Momente erkennen und genießen können. Stellen Sie sich vor, dass Sie in einem Raum mit einer absolut fremden Person sitzen und in ungewöhnlicher Atmosphäre ein Gespräch führen (genau wie ich damals). Ihr lebenserfahrenes Gegenüber hat sich wohlwollend entschieden, vor Ihnen das Herz zu öffnen. Anfangs leicht verunsichert, beginnen Sie, das Gesagte in ihrem Inneren willkommen zu heißen. Die Sprache wird langsam unwichtig. Die im Raum herrschenden Bedingungen spielen keine Rolle mehr. Bedeutung hat nur noch das Echo des Mitgeteilten und der pure Wille, einen hilfreichen Beitrag aus der großen Schatzkiste der Erfahrungen miteinander zu teilen. Bleiben Sie wach. Das Ziel bleibt immer gleich. Es gilt, die Lebensfreude zu finden! Mögen sich diese Weisheiten für Sie als ebenso wertvoll erweisen wie für mich. 

Barbara Yaga Mierzwa, Tübingen 

1_Gottesmädchen

Gottesmädchen

Jahrgang 1925 


Ich arbeite nicht mehr. Auch ehrenamtlich nicht. Ich genieße jetzt, dass ich Freiheit habe. Ich habe ein wildbewegtes Leben hinter mir. Ich könnte einen spannenden Film drehen. Ich war gerade im Gedächtnistraining bei der Hirsch Begegnungsstätte; ich gehe da zu Vorträgen hin. Ich verbringe meine Zeit generell sehr gemütlich. Mir ist es wichtig, menschliche Kontakte und gute Unterhaltung zu haben. Ich gehe mal zum Beispiel zum Seniorennachmittag zu Kaffee und Kuchen in eine Kirche. Eine Pfarrerin organisiert das sehr gut und hat immer ein Thema dazu. Wir haben letztens vom Geld gesprochen. Alte Leute tauschen sich aus, wie es ihnen früher ging. Ich gehe dahin und dadurch habe ich viele Kontakte. Aber die richtig netten Leute sind bei mir leider schon gestorben. Ich hatte eine nette Nachbarin – alles ist weg! Das ist also ein gewisses Problem. Ich habe noch zwei Leute, wo die Chemie stimmt, sozusagen. So dass man eben wirklich merkt: Man hat ungefähr die gleiche Einstellung. Es ist für mich ein Geschenk: ein gutes Gespräch und der Kontakt. Goethe wurde mal gefragt: „Haben sie lieber eine Landschaft zum angucken oder ein gutes Gespräch?“ Und da hat er gesagt: „Ein gutes Gespräch“. Einen Gedankenaustausch zu verschiedenen Sachen finde ich wichtig. Ich gehe regelmäßig in einen Sportclub: in den Lady-Club – Radfahren, Gymnastik. Wenn ich wollte, könnte ich dort auch manche Kontakte haben, aber das schaffe ich nicht mehr alles. Ich gehe auch mal für mich alleine mit zwei Stöcken spazieren – muss ich auch manchmal. Aber wie gesagt, mir ist ein guter Kontakt, das Menschliche, am Wichtigsten. 

Ich habe jemanden im Haus, sie ist auch sehr positiv, und da freue ich mich, wenn ich sie sehe. Sie soll mir beim Aufräumen helfen. Aber da kommt sie, wir lachen mal wieder, machen sonst was. Ich lebe jetzt eigentlich sehr locker und gammle gerne rum. Ich konnte nie gammeln, früher musste es immer schnell dorthin, dorthin und alles. Heute ist die Zeit ein Geschenk. Ich genieße es sehr, Zeit für mich zu haben. Ich möchte aber diese Zeit sinnvoll nutzen. Und bewusst! Ich lese gerne und habe viele gute, hochinteressante Bücher. Getanzt habe ich auch immer gerne. Mit 78 habe ich noch ein zweites Mal geheiratet! Und mit meinem Mann lebte ich zehn Jahre zusammen. Mit ihm habe ich auch noch getanzt. Ihn habe ich geführt! Ich habe ihm immer gesagt: „Jetzt mach mal so und so“, und die Leute haben immer gesagt: „Er tanzt so gut!“. Und dann hat eine Frau gefragt: „Darf ich noch mit ihrem Mann tanzen?“ – ich war einverstanden, da hat sie ihn einfach stehen gelassen!  Humor haben ist wichtig! 

Für Musik bin ich auch. Das kommt jetzt im Lady-Club! – sie wollen so eine Tanzsache machen, wo man nach Musik irgendwie nach eigener Phantasie tanzt. Ich will sehen, wie das ist. Das fängt jetzt an. Ich habe viel Freude an der Bewegung. Und Singen bringt mir viel Freude. Wenn es mir manchmal schlecht geht, singe ich ein paar Lieder und zwar aus dem Gesangbuch mit Jesus. Dann geht es mir schon ein Stück besser. Also durch das Glauben kriege ich dann doch wieder Freude. Zum Glauben bin ich erst mit 52 gekommen. Ich fühlte mich total am Ende. Das war für mich der Anfang, zu glauben. Ich habe so viel Gutes durch den Glauben erlebt. Wenn ich heute vom Glauben reden kann, freue ich mich auch. Das ist mein Leben: „Jesus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn“.

Theater habe ich früher auch gerne gespielt. Zu Hause mit meiner Schwester haben wir uns manchmal etwas ausgedacht. Mein Vater hat gedichtet, er hat immer schöne Ideen gehabt. Es war schon toll. Wir mussten alles lernen und das dann aufführen. Es gab immer einen Bezug zur Familie oder zu allen möglichen Sachen. Es machte viel Spaß. Und jetzt, zu meinem 90. Geburtstag auch, aber ganz kurz: „Wie man gescheit wird“. Da war eine die Bauersfrau und ich war die tolle Frau aus Berlin, die nach Tübingen kam. Das macht wirklich Spaß, wenn einige Leute dabei sind... Fotos aus den alten Zeiten anschauen, mag ich auch. Manche sagen: „Da war es schön damals und jetzt geht es mir so mies“. Und ich sage: „Damals war ja auch nicht alles wunderbar, gell?“ 

Mit 65 Jahren ging ich in den Ruhestand, und habe mir bewusst Tätigkeiten vorgenommen. Ich habe ehrenamtlich Blinde und Rollstuhlfahrer betreut, Freizeiten für sie organisiert und zehn Jahre in der Telefonseelsorge gearbeitet. Ich habe oft Nachtschicht gemacht und saß in primitiven Büros. Ich habe Menschen in Notsituationen geholfen, die zum Beispiel Suizid begehen wollten. Diese Tätigkeiten – ohne Bezahlung! – haben mich sehr befriedigt. Es ist wichtig, eine Aufgabe zu haben – besser als die Zeit zu vergammeln. Es lohnt sich, wenn man Pflichten hat. Es ist wichtig, sich im Ruhestand sinnvolle Aufgaben zu suchen und menschlichen Kontakt zu haben. 

Lebensfreude ist für mich ein gutes Gespräch, wenn wir uns hier nett unterhalten. Man hat einen Kontakt, das finde ich sehr wertvoll. Mir ist die Esserei gar nicht immer so wichtig, ich esse gerne mal was Gutes, so ist es nicht, aber, wenn man älter ist, braucht man auch nicht mehr so viel. Ich guck' auch mal einen netten Film; im Fernsehen oder so. Da gibt es manchmal gute Filme. Etwas ganz Interessantes: Ich habe ab und zu in mir selber eine Lebensfreude – und zwar ohne irgendwas! So richtig schön! Manchmal bin ich auch depressiv, und es geht mir elend. Da habe ich manchmal gar keine Freude. Und dann bete ich. Wenn ich eine Weile gebetet habe, merke ich, dass ich dann wieder sehr zufrieden bin. Zufriedenheit ist eigentlich sehr wichtig. Man muss nicht immer „hoch“ sein. Ich kann manchmal auch lustig sein. Einen Witz machen oder eine lustige Situation haben, da freue ich mich auch dabei. Und ich freue mich auch, wenn ich anderen eine Freude machen kann. Ich merke, wenn die Leute sich wohlfühlen bei mir – da bin ich zufrieden. Wenn ich Lebensfreude spüre, und es kommt Musik – da könnte ich sofort tanzen!