Jens Meyer


Die Besatzung vom 3001 Kino an das BKM* 2002- 2016

für Hanno, der am 2. Februar 2037 25 Jahre alt wird

für David, der am 27. Juni 2040 25 Jahre alt wird



* Bundeskulturministerium

Impressum

© Text und Fotos: Jens Meyer
www.3001-kino.de

Protokoll

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Texte, kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form, durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren, ohne schriftliche Genehmigung des Verlages schriftlich reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Ines Lasch, Hamburg

e-Booking: GAMB Cross-Media-Design, Fulda, www.gamb.biz

Druck(der gedruckten Form): FINIDR, s.r.o., Český Těšín, Tschechische Republik

ISBN: 978-3-86436-384-9 (Print)

ISBN: 978-3-86436-383-2 (eBook PDF)

ISBN: 978-3-86436-382-5 (eBook mobi Pocket)

ISBN: 978-3-86436-381-5 (ePUB)

© 2016 Ingo Koch Verlag & Co. KG, Warnowufer 32, 18057 Rostock

www.ingokochverlag.de

Einreichung 2002

Zehn Jahre alt. Das 3001 Kino wurde im Jahr 2001 zehn Jahre alt. Als wir im Mai 1991 mit unserem Kino anfingen, da sah Hamburg kinomäßig noch ganz anders aus. Die Kinostadt gehörte der Ufa, ein Kinounternehmer aus Hannover versuchte (meist vergeblich) auch an die kommerziell interessanten Filme heranzukommen. Für uns war das alles nichts. Der beste Film ist ohnehin „Sein oder Nichtsein“ aus dem Jahr 1942. Die anderen Kinos, das waren in Hamburg das kommunale Metropolis-Kino, das Abaton-Kino, das Magazin-Filmkunsttheater im Stadtteil Winterhude – für eine Großstadt erschreckend wenige Möglichkeiten, die Filmgeschichte im Kino zu entdecken.

Neid. Wir sahen nach Berlin (West) und München und waren voller Neid. Aber wir sahen auch nach Frankfurt und waren voller Mitleid. Jedenfalls war das unser Start. Wir beschlossen, diese Repertoirelücke zu füllen und uns nicht in das Gerangel um die Erstaufführungen einzumischen. Heute, zehn Jahre später, haben wir Verhältnisse, die wir damals für völlig unmöglich hielten. Die Filmverwurstungsbetriebe, wie Wolf Donner sie einst in der Wochenzeitung „Die Zeit“ nannte, sind verschwunden. Nicht durch Gerichtsprozesse – das Publikum hat sich entschieden. Allüberall in Hamburg gibt es jetzt den neuen Sitzkomfort und die neue Technik. Das ist anders. Und noch etwas ist anders. Früher wurden die Filme exklusiv bei der einen oder anderen Firma gespielt.

Alle Filme überall. Inzwischen gibt es alle Filme überall. Unsere Vermutungen von damals haben sich leider und Gott sei dank bewahrheitet: Die Ufaucikinopoliscinemaxx-Ketten bringen keine größere Filmvielfalt in die Metropole Hamburg. Es gibt im Unterschied zu früher überall die Filme, die es überall gibt. Das ist Defekt wie Chance zugleich für das 3001 Kino. Unser Programm zeigt auch, wie viele Filme in den anderen Kinos nicht zum Einsatz kommen.

Auswahl. Die Auswahl der Filme ist immer noch so schwierig wie am ersten Tag vor zehn Jahren. Mit einiger Übung und einer nötigen Portion geübten Halbwissens gelingt es fast jedem Kinodisponenten herauszufinden, ob es sich um ein Produkt gehobener oder eher niedriger Qualität handelt; so auch uns. Einen guten Film können wir inzwischen von einem schlechten Film schnell unterscheiden. Manchen von uns fünf Programmmachern gelingt diese Einteilung bereits nach einer Sichtung von höchstens fünfzehn Minuten. Schwieriger, ja oft nahezu unmöglich ist die Einschätzung vor dem Start eines Filmes, welche Chancen dieser Film heute beim Publikum haben wird. Inzwischen wissen wir: Jeder Kinodisponent, der anderes von sich behauptet, lügt. Oft begegnen uns Filme, die wir zwar für sehr gelungen halten, wo wir aber denken, dass nicht besonders viele Zuschauer deswegen ins 3001 Kino gehen werden.

Irren ist erfreulich. Wir programmieren sie dennoch und manchmal sind wir dann wider Erwarten beim Publikum erfolgreich. Sich in dieser Richtung zu irren, ist besonders erfreulich. Inzwischen sind wir im Laufe der Jahre so ehrlich geworden, dass wir nicht mehr hinterher behaupten, wir hätten mit dem Erfolg dieses oder jenes Filmes gerechnet. Vielleicht sind es ja auch die fast privaten Beziehungen zu unserem Publikum, die solche Überraschungserfolge von Filmen ermöglichen.

Play it again. Eine Filmreihe in drei Kinos: Gewiss, wir haben uns diese Reihe und deren Konzept vor ein paar Jahren nicht selber ausgedacht. Christiane Niewald und Thomas Bastian aus Potsdam/Stuttgart haben es uns vorgemacht und bei der Umsetzung auf Hamburger Verhältnisse geholfen. Inzwischen ist die Repertoire-Reihe „Play it again“ auch in Hamburg etabliert. Zusammen mit dem Abaton-Kino und dem Zeise-Kino zeigen wir über fünfzig Filme pro Jahr. Nur unterbrochen durch das Filmfest Hamburg. „Play it again“ geht jetzt ins vierte Jahr und erfreut sich beim Publikum zunehmender Beliebtheit. Das Hauptproblem, die Beschaffung guter – oder doch zumindest spielbarer – Kopien, gibt es immer noch, wie am ersten Tag.

Recherche ist alles. Recherchieren ist alles. Über fünfzig Filme in drei Kinos in dreihundert Veranstaltungen, mit einem Zuschauerschnitt von fünfzig Zuschauern. Soviel zum Thema, das Repertoire im Kino sei tot, wie oft behauptet wurde und wird. Wenn man es liebevoll pflegt und es pressemäßig begleitet, dann kann das Repertoire durchaus zu neuem Leben erweckt werden. Voraussetzung ist die relativ aufwendige Recherche, wo sich gute oder zumindest spielbare Kopien befinden, da viele Filmverleihe (besonders die großen) dazu übergegangen sind, die Prüfung der Kopien den Kinos selbst zu überlassen.

(Es kamen bisher keine Beschwerden).

Trash und Camp mit Emmi. Monatlich einmal kommt Emmi Hempel Berta „das Trüffelschwein der Filmgeschichte“ ins 3001 Kino. Der Schauspieler Christoph Dompke hat diese siebzigjährige rüstige Dame erfunden. Freitagabends präsentiert Emmi die Perlen aus den Giftküchen der internationalen Filmproduktion. Emmi Hempel Berta (in einem wunderbaren Kostüm) moderiert in köstlicher Weise vor allem solche Filme an, die sich bisher erfolgreich der positiven Anerkennung als Schlüsselwerke der Filmgeschichte widersetzen konnten. Mit großer Sachkenntnis und spürbarer Zuneigung entschlüsselt er in seinen Objekten tieferliegende Ebenen, die mitnichten nur Momente unfreiwilliger Komik entlarven. Vielmehr wird durch seine Darlegungen so manches Mal deutlich, welch merkwürdigen Anteil des wahren Lebens es auch in jenen Filmen zu entdecken gilt, die sich auf den ersten Blick gar nicht so reich zeigen mögen.

Samurai-Schwert. Heute können wir über den Besuch eines japanischen Schauspielers, der eigentlich nur einen Apfel mit dem Samurai-Schwert durchteilen wollte, schon wieder lachen. Damals war uns eher zum Heulen zumute, als statt des Apfels die Leinwand geschlitzt wurde. Warum geben wir eigentlich so viel Geld für die Reisekosten eines japanischen Schauspielers aus, der auch noch verlangt hatte, Business Class zu reisen? Das wäre doch viel einfacher (und vor allem viel billiger) gewesen, selbst ein kleines Messer zu erstehen und die Leinwand durchzuschneiden, als zu diesem Zwecke extra einen Schauspieler aus Japan einfliegen zu lassen. Kinomachen mit Events ist eben nicht ohne Risiko.

Milch und Honig aus Rotfront. Nicht alle Dokumentarfilme haben Titel, die selbst schon eine Frage bergen und wenn es nur die nach „richtigem Deutsch“ ist. Der Dokumentarfilm und das 3001 Kino – das ist eine ziemlich spezielle Veranstaltung, die wir im Laufe der Zeit immer wieder variiert haben. Inzwischen lernen wir mühsam, aber stetig, dass es nicht nur wichtig ist, ein ungeschwätziges Produkt zu haben, sondern mehr noch, die entsprechenden Zuschauer für diesen Film in der Stadt zu finden. Mit den exotischen Musikfilmen aus Übersee hatten wir auch 2001 Erfolge, weil inzwischen Emigranten aus Lateinamerika zu unserem Stammpublikum gehören. Dokumentarfilm kann alles Mögliche sein. Nur langweilen darf man das Publikum nicht. Dann denken die Leute, sie wären zuhause vor dem Fernseher und bleiben in Zukunft dort.

Sein oder Nichtsein. Im zehnten Jahr unserer Existenz sind wir diesen Sommer (nach einem ersten zaghaften, völlig verregneten Versuch im Jahr davor) auch nach draußen gegangen. Outdoor-Cine – Das Sommerkino am Wasserturm, so haben wir unser Open-Air-Kino genannt. Am 9. August ging es los und wir hatten schon am ersten Abend 348 Zuschauer bei „Ghost Dog“. Unser Lieblingsfilm „Sein oder Nichtsein“ hatte die schlechtesten Startbedingungen. Bis kurz vor Beginn der Veranstaltung regnete es in Strömen, die Wiese war nur noch mit Gummistiefeln zu betreten, die gefühlte Temperatur lagen am 12. August kurz über null Grad, so einen Eindruck hatte man jedenfalls. Dreizehn Aufrechte in Pullovern und Gummizeug waren dennoch geblieben.

Kann man Brecht verfilmen? Wir wissen es nicht. Aber manchmal, wenn wir über uns und die anderen und die Kulturförderung oder die Filmförderung nachdenken, dann kommt jenes Gedicht von Brecht über die Moldau in Erinnerung.

„Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag. Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne.
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine. Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

(Bertolt Brecht aus: „Schweyk im zweiten Weltkrieg“, 1943).

Jens Meyer
für die Besatzung vom 3001 Kino

Protokoll

Einreichung 2003

Pressearbeit. Vielleicht ein falscher Ausdruck. Denn gemeint ist nicht die Arbeit der Presse, sondern eher jene Arbeit, durch die die Presse dazu gebracht werden soll, dass sie etwas bringt. Möglichst viel und groß und mit Bildern über die Filme zu berichten, die wir zeigen. Das gelingt manchmal, aber nicht immer. Jede einzelne Veröffentlichung wird immer wichtiger, weil die Anzahl der erscheinenden Zeitungen in Hamburg zurzeit abnimmt. Im Vorjahr war es die „Hamburg 19“, im letzten Jahr verschwanden die „Hamburger Rundschau“ und „Die Woche“ von der Bildfläche. Lange her die Zeit, als die Anzeigenabteilung die Größe der Filmbesprechungen und deren Tendenz bestimmte. Auch die Werbeabteilungen der Verleihfirmen ändern ihre Strategien. Wurde man im Jahr 2001 von allen Verleihern mit Papier zugeschüttet (oft blieb nur der Weg zur Sammelstelle in die thermische Verwertung), so muss jetzt auch bei neuen Filmen mehrfach telefoniert werden, bis dann endlich mal die Plakate und die Trailer eintreffen. Da hat es ein kleines Kino manchmal nicht leicht, Presse und Publikum bei Laune zu halten.

Filmkopien. Das Wichtigste im Kino sind noch immer die Filmkopien. Und es lohnt sich, den Zustand der Kopien herauszufinden, bevor man die Filme programmiert. Gut ist leider oft nicht gleich gut. Seit Jahren wollen wir gerne einmal wieder einen der Filme von Jean Pierre Melville zeigen: Zum Beispiel „Vier im roten Kreis“. Oder den einzig guten Film (jedenfalls, soweit uns erinnerlich ist) von Claude Lelouch: „Die Entführer lassen grüßen“ („L’aventure, c’est l´aventure“) mit Lino Ventura, Jacques Brel, Aldo Maccione und Charles Denner. Leider haben wir bisher keine spielbaren Kopien gefunden. Und die Einschätzung, was spielbar und was noch zumutbar auf einer Skala von 1 bis 6 ist, ist manchmal sehr unterschiedlich. Da lohnt es sich, eng mit denen zusammenzuarbeiten, die die Filme verleihen oder die selber ein Kino betreiben. Im November glaubten wir jedenfalls, wir hätten jetzt eine gute Kopie von „Vier im roten Kreis“ gefunden und wollten schon in unser Programm schreiben: Wiederaufführung mit neuer Kopie. Wir haben es dann Gott sei Dank gelassen. Es war leider nur eine Kurzversion des 140-Minuten-Filmes.

Manchmal hat man Glück. Und manchmal sogar mehr Glück als andere. Zum Beispiel mit dem Wetter. Während ganz Deutschland in Flutwellen von Wasser versank, war unser Kino draußen (Open-Air-Kino im Schanzenpark) nur einmal von einem Sturzbach mit zwanzig Litern Wasser pro Quadratmeter in zwei Stunden bedroht. Leider kam diese Flutwelle genau am ersten August um 18.00 Uhr. Vier Stunden bevor wir unseren Lieblingsfilm über die Freunde der italienischen Oper mit einer wunderbaren, nagelneuen Kopie im Park zeigen wollten. Und Jack Lemmon und Osgood Fielding konnten ihren Dialog: („Aber Osgood, ich bin ein Mann!“ „Niemand ist vollkommen!“) vor nur vierzig Zuschauern in den Park rufen.

Auf der Suche nach dem verlorenen „UNG“. „Play it again“ hat Ingrid Bergman in dem Film „Casablanca“ nie gesagt. Hier irrte Woody Allen. Sie sagte: „Spiel es Sam. Spiel: As Time goes by.“ Und er sagte: „Wenn sie es ertragen kann, kann ich es auch. Spiel es.“ (Aus: „Wie ‚Casablanca’ gemacht wurde.“) Bei der Wiederaufführung dieses Filmes in unserer Play-it-again-Reihe wurden wir vom Verleih (Neue Visionen) darauf aufmerksam gemacht, dass 1952 auf den westdeutschen Verleihmarkt eine Version dieses Filmes kam, die zwanzig Minuten kürzer und völlig verändert war. Schlicht eine Fälschung. Aus dem tschechischen Widerstandskämpfer Victor László war der norwegische Erfinder Viktor Larsen geworden, Conrad Veidt (der Mann vom Dritten Reich) war komplett herausgeschnitten worden und konnte folglich auch nicht mit seinen „Kameraden“ die „Wacht am Rhein“ singen und am Ende des Filmes auch (leider) nicht erschossen werden. Kein Wunder, dass damals eine Wochenzeitung aus Hannover (genannt „Spiegel“) dem Film eine abfällige Kritik verpasste:

„CASABLANCA (USA). Beklemmend edelmütig ausgetragener Dreieckskonflikt, nicht ohne Spannung so kunstreich kompliziert, daß alle drei am Leben bleiben: Ingrid Bergman, liebend, lächelnd, wie nur sie es kann, zuweilen eine Träne vertropfend; Humphrey Bogart als Barbesitzer, ein Amerikaner in Casablanca, zu vielem fähig geworden; Paul Henreid als Leuchte der Naturwissenschaft, zur Zeit politischer Flüchtling. Peter Lorre spielt einen Mann, der gemordet hat. In den Hauptrollen der Weltkrieg II und Casablanca, Umsteigequartier für Schiffbrüchige aller Art. Bessere Hollywood-Konfektion. (Warner Bros.)“. Spiegel vom 24. September 1952 (S. 30). Auf der Suche nach den damals Verantwortlichen für diese Casablanca-Fälschung fiel uns ein Zeitungsausschnitt in die Hände. Der Journalist Dr. Kurt Joachim Fischer hatte dem Verleih geschrieben und auch Antwort erhalten: „... Der Film wurde im Jahr 1942 gedreht, und da er in seiner Originalfassung nicht mehr zeitgemäß und nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet war, haben wir bei der Synchronisation des Filmes verschiedene Schnitte bzw. Änderungen vorgenommen, bevor der Film der Freiwilligen Selbstkontrolle vorgelegt wurde. Da Casablanca zu einem der eindrucksvollsten Bergman-Filme gehört, wollten wir diesen Film dem deutschen Publikum nicht vorenthalten und haben uns deshalb zu dieser Neufassung entschlossen.“ Leider wurde die Firma namentlich nicht genannt, sodass weitere Recherche nötig war. Ein Archivar hatte handschriftlich auf dem Ausschnitt vermerkt: Die Neue Zeit; 24./25. Januar 1953. Der Ausschnitt ließ sich nicht finden, in keiner der „Neuen Zeiten“ und es gab zu jener Zeit reichlich von den neuen Zeiten. Selbst die Zeitung der (Ost-)CDU hieß so. Herr Fleischfresser vom Altarchiv des Deutschen Bundestages hat es dann für uns herausgefunden und den Leserbrief kopiert. Es war die: „DIE NEUE ZEITUNG“, erschienen in Berlin und Frankfurt. Und damit war auch der Auftraggeber für diese Fassung klar. Es war die Firma Warner Bros. mit Sitz in Frankfurt. Generaldirektor: Hans W. Kubaschewski (Gatte von Ilse Kubaschewski = Gloria Film Verleih), ehemals hochgestellter Mitarbeiter in Goebbels’ UFI-Konzern (volkstümlich auch UFA genannt).Die Zuschauer jedenfalls waren von unseren Recherchen begeistert. Das wollten sie schon immer mal fragen, hatten sich bis dahin nur nicht getraut. Womit eigentlich auch noch einmal drauf hingewiesen werden soll, dass Pressearbeit immer wichtig ist, besonders für kleine Kinos.

Jens Meyer
für die Besatzung vom 3001 Kino

Einreichung 2004

Roger and me. Der Erfolg von Michael Moores Film ließ uns einen alten Film von ihm wieder ausgraben, der jahrelang bei Warner vorrätig gehalten wurde und den wir (wenig erfolgreich) 1992 bei uns gezeigt hatten. Nun hatten wir in sechs Vorführungen 320 Zuschauer. Ein Erfolg, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Nicht bei allen Filmen funktioniert die Methode des Liegenlassens.

Montag Morgen. Ein Mann steigt jeden Morgen in seinen R 4, zieht die Pantoffeln aus, um am Abend nach acht Stunden in der Fabrik an gleicher Stelle wieder hineinzurutschen. Die Filme von Otar Iosseliani sind gewöhnungsbedürftig und einige haben wir ausgelassen. Diesen nicht. „Montag Morgen“ haben wir 14 Mal gezeigt und hatten 809 Zuschauer.

The Big One. Jahrelang stand er in der Startliste der Firma Kinowelt, dieser Film von Michael Moore. Sie hatten ihn gekauft, aber nicht herausgebracht. Die freundliche Disponentin hat dann eine Kopie für uns gefunden. Und siehe da, auch dieser Film fand sein Publikum.

Robert Crumb in Hamburg. Im April hatte der Buchladen 2001 Robert Crumb nach Hamburg eingeladen. Es sollte ein neuer Comic bei 2001 erscheinen. Wir erinnerten uns an den Dokumentarfilm von Terry Zwigoff, der bei den Freunden der Kinemathek zu haben ist. Die Gelegenheit seines Besuches in Hamburg wollten wir nicht auslassen. Aber Künstler sind eben schwierige Menschen. Und so gestaltete sich auch die Kontaktaufnahme mit Crumb sehr schwierig. Man könnte auch sagen, sie kam gar nicht zustande, bis auf ein kurzes Gespräch im Buchladen. Es stellte sich heraus: Robert Crumb hasst diesen Film über sich und seine Arbeit. An jedem anderen Ort hätte er sich mit unserem Kollegen getroffen, nur nicht im Kino.

Eintritt frei am 1. Mai. Nun ist das Dutzend voll. Am 1. Mai 1991 war unser erster (chaotischer) Spieltag. Zwölf Jahre haben wir (in fast gleicher Besetzung) gebraucht, um herauszufinden, wie man ein Kino von morgens um 9.00 Uhr bis in die Nacht um 1.00 Uhr mit Zuschauern füllt. Jetzt wissen wir es: Am einfachsten ist es, wenn man auf das Eintrittsgeld verzichtet. Man spart Kassenpersonal und es hat auch sonst weitere Vorteile. Leider lassen sich diese Vorzüge nur alle zwölf Jahre umsetzen. Best of W. C. Fields haben wir das Programm genannt, das aus insgesamt zwölf Filmen bestand, die zwischen 1930 und 1941 hergestellt worden sind.

Gerüchte und Glück. Oder: Manchmal ist Kinomachen wie das Leben. 1990 wurde ein französisches Buch in Deutschland zum Bestseller, das im Jahr 1967 in Frankreich erschienen war: „Auf den Spuren der Roten Kapelle“. Titel der französischen Originalausgabe „L’Orchestre rouge“. Autor Gilles Perrault war drei Jahre auf der Suche nach Überlebenden durch Europa gereist. Ihm gelang, was westliche Geheimdienste seit 1945 vergeblich versucht hatten: Er fand den Grand Chef, der der Gestapo entkommen konnte, um anschließend in Stalins Gefängnissen zu verschwinden. Erst nach Stalins Tod erlaubte man Leopold Trepper, nach Polen heimzukehren. Das Buch von Perrault wurde von uns deswegen so begeistert aufgenommen, weil es sich wohltuend von jener Propagandaliteratur unterschied, die den Erfolg dieser Widerstandsgruppe gegen die Nazis ausschließlich den Kommunisten stalinscher Prägung zubilligte. Jedenfalls hatte irgendjemand das Gerücht aufgebracht, nach dem Buch von Perrault sei ein Spielfilm entstanden. Wir machten uns auf die Suche. Und fanden nichts. Aber wir fanden einen neuen Dokumentarfilm des Berlin-New-Yorker Stefan Roloff. Geboren in Berlin, hatte er seinen Vater immer für einen Spießer gehalten. Doch dann (er war schon lange in die USA ausgewandert) befragte er, kurz vor dessen Tod, noch einmal seinen Vater und fand heraus, was wir alle gern über unsere Väter erfahren hätten. Sein Vater war Mitglied einer Widerstandsgruppe und kam trotz Verhaftung durch die Gestapo mit dem Leben davon. Nach über fünfzig Jahren beendete der Vater sein Schweigen. Und wir hatten einen erfolgreichen Dokumentarfilm im Kino: „Die Rote Kapelle“ von Stefan Roloff.

Sexuell pervertiert oder die Zeiten ändern sich. Ein Beispiel dafür, wie sich in kurzer Zeit die Zeiten ändern können, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung, ist die Rezension der Katholischen Filmkritik (aus dem Jahr 1969) zu dem Bergman-Film „Das Schweigen“. Einen Ausschnitt davon hatten wir im Mai-Heft (anlässlich der Wiederaufführung in der Play-it-again-Reihe) zitiert: „Am Beispiel zweier sexuell pervertierter Schwestern will der Regisseur demonstrieren, daß eine Welt, auf der das Schweigen Gottes lastet, zur Hölle wird. Diese These wird jedoch weder im Bild noch im Dialog deutlich und rechtfertigt nicht die szenische Entartung, die hier entschieden über ein vertretbares Maß hinausgeht und ein negatives Gesamturteil nahelegt. ABZULEHNEN“. (Aus Handbuch der Katholischen Filmkommission für Österreich, Erzbischöfliches Ordinariat Wien vom 11. Februar 1969).

Die Dänen kommen. König Christian der Fünfte aus Dänemark rückte mit 16.000 Mann an. Das war vor 317 Jahren, im August des Jahres 1686. Der Kampf tobte vom 21. bis 25. August 1686. Heute gibt es an gleicher Stelle einen schönen alten Park mit einer Naturbühne und einem Wasserturm, vom 3001 Kino zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen. Seit 2001 machen wir dort im Sommer Open-Air-Kino. Letztes Jahr waren wir 31 Tage dort (vom 24. Juli bis 24. August) mit 28 verschiedenen Filmen. Der Wasserturm steht unter Denkmalschutz, ist 59 Meter hoch, wurde 1910 in Betrieb genommen und hat (einmalig in Europa) zwei schmiedeeiserne Behälter mit einem Durchmesser von 25 Meter und einem Rauminhalt von je 2.350 Kubikmeter. Nach 80 Jahren wurde der Turm 1990 (als wir die ersten Pläne für unser Kino entwarfen) von den Wasserwerken der Stadt Hamburg an einen Spekulanten verkauft, der den Turm seither verfallen lässt, aber nicht müde wird, die Politiker der Stadt mit Lügenmärchen einzuwickeln. Was er nicht schon alles bauen wollte: einen Büroturm mit Schwimmbad und Restaurant. Ein Luxus-Hotel zusammen mit einer französischen Hotelkette. Dann wieder ein Multiplex-Kino. Dann mal ein Imax-Kino. Jetzt ist es mal wieder ein Luxushotel mit 180 Betten, das er zusammen mit einer Eiscremefirma bauen will. Passiert ist seither nichts. Alle warten darauf, dass der Bau von selber einstürzt. Der Pseudobauherr hat nicht viele Freunde in der Stadt, aber die, die er hat, sitzen dort, wo Bauanträge genehmigt und andere Nutzungen deshalb abgelehnt werden. Für uns jedenfalls sieht es so aus, als wenn das Open-Air-Kino im Schanzenpark dieses Jahr nicht stattfinden kann. Doch auch die Dänen mussten trotz ihrer Streitmacht am 26. August 1686 ohne Erfolg wieder abziehen. Aber wenigstens eine Straße am Bahnhof Sternschanze hat man nach ihnen benannt, was dem derzeitigen Turmbesitzer sicher nicht passieren wird.

Popcornreste. Auch in Hamburg war der August der Jahrhundertsommer. Alle Menschen waren in den Parks und Gartenkneipen und keiner war in den Kinos. In den Zeitungen erschienen die Wehklagen der Kinobesitzer. Eine Kinokette in Hamburg berichtete der Zeitung gar, dass es eigentlich völlig normal sei, dass im Sommer keine Miete bezahlt würde. Eine andere Firma aus Freiburg diktierte der Zeitung, sie würde sich nur von Popcorn ernähren, was zu dem Witz führte, dass Kinobesitzer sich ausschließlich von den Popcornresten ernähren würden, die die wenigen Zuschauer in den Kinos zurückließen.

Filmfest Hamburg und Systemstörung (Ost). Der neue Filmfestleiter (Albert Wiederspiel) hat die Kinos an der alten Straßenbahnlinie 2 ausgewählt. Auch ein Gedanke. Das 3001 Kino liegt etwas abseits der gedachten Linie, was den Zuschauern offensichtlich nichts ausgemacht hat. Unsere „Ostpunkfilmreihe“, die in der Woche vor dem Hamburger Filmfest stattfand, hatte es da wesentlich schwerer beim Publikum. Gezeigt wurden: „Systemstörung Ost“, ein Kurzfilmprogramm, das Claus Löser vom Kino in der Brotfabrik aus Berlin zusammengestellt hatte, „Führer EX“ (der letzte Film, den das Studiokino der UFA im Dezember 2002 vor seiner Schließung gezeigt hatte, „Flüstern und Schreien“ und das „Ministerium für Staatssicherheit – Alltag einer Behörde“.

Wir kamen vom anderen Stern. Thorwald Proll ist nicht nur ein Buchhändler für uns. Hin und wieder schreibt er auch selbst. Zusammen mit dem Journalisten Daniel Dubbe hat er ein Interviewbuch über seine Zeit mit Andreas Baader gemacht: „Wir kamen vom anderen Stern“. An einem Sonntagmorgen hatten wir dann beide auf der Bühne, sie lasen aus ihrem Buch über einen Kaufhausbrandstifter-Prozess. Anschließend gab es einen Kurzfilm, der mit 1968 zeitlich nichts, aber inhaltlich viel zu tun hatte. Der Film von Marion Ram „Ich bin eine kriminelle Vereinigung“ handelt von einer Gruppe junger Leute aus Passau, die nur deshalb bundesweit verfolgt wurden, weil sie etwas gegen den jährlichen Aufmarsch der Nazis in Passau unternommen hatten. Im Abspann dieses Filmes singt Jan Delay sein Lied „Endlich sind die Terroristen weg und es herrscht Ordnung und Ruhe und Frieden“.

Donner aus dem Jenseits. Wolf Donner war der Journalist, der den UFA-Schachtel-Kinobesitzer Heinz Riech mit einem einspaltigen, 87 Zeilen langen Artikel in der Hamburger „Zeit“ vom 21. März 1975 (zwei Überschriften: (klein:) „Die Filmförderungsanstalt unterstützt Heinz Riech statt die AG Kino.“ (groß) „Subventionen für Ramschläden“) so reizte, dass dieser beschloss, für viel Geld einen Prozess gegen „Die Zeit“ zu führen. Der Prozess ging für Heinz Riech nicht gut aus (Urteil vom 6. Mai 1982). Zahlreiche Zeugen, meist Filmkritiker, wurden vom Gericht befragt und konnten die Aussagen von Wolf Donner nur bestätigen: Ramschläden, Schuhkartons, Film-Verwurstungsbetriebe, vollautomatische Ausbeutung wurden von nun an geflügelte Worte, wenn man von den UFA-Kinos sprach. Wer diesen Artikel heute noch einmal liest, stellt fest, dass die eigentliche Wut Wolf Donners sich gegen die Mitglieder der Projektkommission der Filmförderungsanstalt (FFA) wendete, die einem solchen Kinobesitzer auch noch Förderungsgelder hinterherwarf, einen Antrag der Programmkinos dagegen ablehnte. Die beiden letzten Sätze seines Artikels in der „Zeit“ unterstreichen diese Wut Wolf Donners. Da liest man auf Seite 17:

„Nur mühsam können die Mitglieder der AG Kino ein neues Filmbewußtsein aufbauen, das Leute wie Riech systematisch demontieren. Darum ist die Entscheidung der FFA für Riech und gegen die AG Kino absurd und skandalös.“

Wolf Donner ist früh verstorben. Wir haben einen Text von ihm gefunden, den er vor zwölf Jahren geschrieben hat und der (leider) immer noch nicht alt klingt:

„Apparatschiks. Sie kakeln und mirakeln landauf, landab, sie beraten und beschließen, sie verwalten, vertagen, verwerfen. Man trifft sie auf allen Konferenzen, Kongressen, Messen, auf allen Filmfestivals, bei Premieren und Festen. Sie geben große Essen und Empfänge, sie reisen permanent, steigen in feudalen Hotels ab, verplempern immer mehr Geld und propagieren zunehmend sich selbst, einen neuen Berufsstand, die hauptamtlichen Filmförderer. Eine pompöse Halbwelt hat sich da etabliert, eine gschaftelhubernde Funktionärs-Kamarilla auf glamourösem Champagner-Level. Sie reden und bewegen sich wie Filmmogule, aber auf dem satten Polster von Steuergeldern. Institutionalisierte Amtsanmaßung in Permanenz.“ (Wolf Donner: Gegenkurs, Ausgewählte Kinotexte, Stemmler Verlag Berlin. Erstveröffentlichung im „Tip, Dezember 1992). Da kommt man doch ganz schön ins Grübeln, wenn man so Förderanträge stellt.

Jens Meyer
für die Besatzung vom 3001 Kino

Abbildung Comic

Einreichung 2005

Kinoliebe. Am 7. Februar auf Seite 16 des „Hamburger Abendblattes“ die Überschrift: „St. Georg. Kampf ums Broadway-Kino“ (mit der städtischen Sprinkenhof Immobilien Management Immobilien GmbH SIM). Abgebildet mit einem Schwarzweißfoto der Kinobesitzer Lutz M. Stübs vom Neuen „Broadway“, Größe des Fotos 20,5 cm x 14,7 cm. Am 16. Februar ist die Schlagzeile auf Seite eins des „Hamburger Abendblattes“: „Hamburger Liebesfilm gewinnt die Berlinale“, dazu ein dreispaltiges Farbfoto 14,5 cm x 16 cm groß. Auf Seite drei dann nochmal ein Farbfoto, Größe 24,5 cm x 15,5 cm, darauf der Regisseur mit dem Bären.

Bilder finden. Ein Film über den polnisch-jüdischen Schriftsteller und Maler Bruno Schulz wird uns angeboten. Christian Geissler hat ein Hörspiel dazu gemacht: „In den Zwillingsgassen des Bruno Schulz“. Dort gibt es folgenden Text: „Am neunzehnten November 1942 ist Bruno Schulz in einer Hatz am Rande eines kleinen Parks in Drohobycz von einem SS-Passanten erschossen worden. Gelegenheitsarbeit großdeutsch. Danach bleiben neunundfünfzig Jahre lang die Wandbilder unbekannt. Im Februar zweitausendeins hat der Filmregisseur Benjamin Geissler die Bilder gesucht und gefunden. Geissler konnte in Drohobycz nicht lange bleiben. Seine Abwesenheit haben Spezialisten aus Israel genutzt. Sie haben Teile der Wandbilder von den Wänden gelöst und heimlich nach Yad Vashem gebracht. Yad Vashem ist in Jerusalem die Weltgedenkstätte aus der Erfahrung SHOA. Inzwischen haben Antisemiten, endlich von allen Sowjetgesetzen befreit, ein Denkmal aufgerichtet in Drohobycz für Stepan Bandera – neunzehn Meter weit von den Steinen, auf denen einst Bruno Schulz verblutet ist. Stepan Bandera war 1941 und 1942 im Bunde mit der SS. Sie hat in Ost-Galizien, in Dörfern dort und in Wäldern ungezählte Judenfrauen und Judenmänner und Judenkinder gejagt und gefangen und erschossen und erhängt und verbrannt. Für den galizischen Dichter und Maler BRUNO SCHULZ hat im Stadtbild von Drohobycz bis heute niemand ein Denkmal aufgerichtet.“ (Aus: „Die Aktion“, Heft 205, Edition Nautilus)

Nix tau supen. Unseren Geburtstag lassen wir dieses Jahr (wir werden dreizehn) ungenutzt verstreichen. Aber am 6. Mai ist es dann endlich soweit. Der erste plattdeutsche Seinsfiktschenfilm „De Apparatspott“ kommt in unser Kino. (De Apparatspott = Elektrischer Einmachtopf) Und da Plattdeutsch in Hamburg als Amtssprache benutzt werden kann, hier eine Kostprobe aus dem Filmtext (ist allerdings kein Hamburger Platt): „Dei Film spält dorvon, dat Plengonen (Plengonen = Außerirdische) dei Bruereien vonne Erde klaut, so dat dei Lüe dor ünnen denn keen Beie (Beie = Bier) mehr tau supen häpt. Dormit ist dat Schützenfest in grode Gefohr. Nun hät Käpten Kork mit sine Bonzen de Upgabe, mitn Apparatspott in dän Weltrum to fleign und düsse Bruerei wedder trog tohalen.“ Leider stellt sich heraus, dass diejenigen, die plattdeutsche Filme sehen wollen, immer früh zu Bett gehen bzw. die letzte Bahn bekommen müssen und da ist der Beginn mit 23.15 Uhr doch zu spät.

Zweite Chance für „Pardon, Genossen! Edel sei der Mensch, hilflos und reich“. Bei intensivem Studium des Axtmann-Katalogs fiel mir ein französischer Film mit einem Titel auf, den wir (ich) noch nie gesehen hatte(n), aber eigentlich gesehen haben müsste(n). Zeit, Thema, Land: Alles passte. Das katholische Filmlexikon zeigt in Richtung amüsante Komödie über Kapitalismus, Sozialismus und Kirchenveralberung. Zutaten, die einen guten Film vermuten lassen. Nur der deutsche Titel hat mich 1973 vermutlich von einem Kinobesuch abgehalten: „Pardon, Genossen! Edel sei der Mensch, hilflos und reich“. Der Verleih wusste auch nicht so recht, was er da anbietet. Und so sahen wir uns einfach mal die Filmkopie an und stellten fest, dass ich da eine Entdeckung gemacht hatte. Aber warum hatte ich mir den Film damals nicht angesehen? Da gibt es nur zwei Vermutungen: der dämliche deutsche Titel und vielleicht konnte ich 1973 über solche Witze, wie sie in dem Film gemacht werden, nicht so richtig lachen? Also haben wir Französisch/Italienisch-ExpertInnen um eine neue Übersetzung des Titels gebeten. Die aus dem Italienischen „Unser täglich Geld gib uns heute“ würde uns auch nicht ins Kino locken, es lockt uns ja nicht einmal in die Kirche. „Ich Geld haben wollen“ aus dem Französischen übersetzt gefiel da schon besser. Wir haben uns dann für „Du mich Geld geben“ entschieden, nicht ohne unseren Übersetzer Alfons (Emmanuel Peterfalvi) darauf hinzuweisen, dass es sich um falsches Deutsch handelt, der dann ohne weiteres konterte: „Is ja auch kein richtiges Französisch.“ Jedenfalls bekommt „Du mich Geld geben“ eine zweite Chance und die Kopie ist in einem guten Zustand. Sogar einige Farben sind noch vorhanden. Zum Nachmachen hier noch die Daten:

Du mich Geld geben (Moi y‘en vouloir des Sous/ Dacci Oggi Soldi Quotidiani) Frankreich/Italien 1972. Regie: Jean Yanne; Buch: Jean Yanne, Gérard Sire; Kamera: Jean Boffety; mit Jean Yanne, Bernhard Blier, Michel Serrault, Nicole Calfan, Jacques Francois. 107 Min. Deutsche Erstaufführung am 12. Oktober 1973. Verleih Alamode.

Beginn der Regenzeit. Wegen angekündigter Baumaßnahmen im Sternschanzenpark haben wir unser Open-Air-Kino einen Monat vorverlegt. Ein schwerer Fehler, wie wir vierzig Tage später wissen. Bei dem Wiedersehen mit dem Eröffnungsfilm „Eins, zwei, drei“ (von Billy Wilder) fällt uns (wieder mal) das geniale Gespann aus Wilder und I. A. L. Diamond auf.

Selbst beim Lesen sind die Dialoge noch reizvoll. Da ist zum Beispiel die Szene bei der ostdeutschen Polizei. Ralf Wolter (Borodenko) soll Otto Ludwig Piffl (Horst Buchholz) aus dem Polizeigefängnis rausholen: (mit dabei: „Die Herren Kommunisten sind da“: Borodenko (Ralf Wolter), Mishkin (Peter Capell), Peripetchikoff (Leon Askin))

Borodenko: „Borodenko, geheime russische Polizei. Haben Sie einen Gefangenen namens Piffl?“

Volkspolizist: „Nu, freilich.“

Borodenko: „Wir wollen ihn, wir nehmen ihn gleich mit.“

Volkspolizist: „Hier ist alles drauf ... (zeigt das Geständnis) ... amerikanischer Spion.“

Borodenko: „Amerikanischer Spion? Moment.“

(wendet sich zu Mishkin und Peripetchikoff)

„Habt ihr gehört? Das hier ist ein amerikanischer Spion.“

Mishkin: „In dem Fall ich will nichts haben damit zu tun. Wenn sie das jemals finden heraus in Moskau.“

Peripetchikoff: „Er hat recht. Keine Sekretärin ist wert das Risiko.“

Borodenko: „Andererseits, wie sollen sie finden heraus in Moskau? Ich werde sie nicht informieren.“

Mishkin: „Aber wenn sie doch finden heraus?“

Borodenko: „Dann wir gehen auf andere Seite von Grenze nach West-Berlin.“

Peripetchikoff: „Du kannst vielleicht reden, weil du bist Junggeselle. Aber wenn ich türme, weißt du, was sie werden tun mit meine Familie? Sie stellen sie an Wand und schießen tot allesamt: Meine Frau, meine Schwiegermutter, meine Schwägerin, meinen Schwager – Genossen, wir tun es!“

Die Bank von Gammesfeld. Alex Rühle macht uns in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Freitag, dem 30. Juli 2004, auf den Film über Fritz Vogt mit seiner Gammesfelder Bank aufmerksam. Eine Bank ohne Computer, ohne Fax und ohne E-Mail. Die kleinste Bank Deutschlands. Er schreibt: „1845 gab es, verursacht durch mehrere Missernten, eine Hungersnot im Westerwald. Die Bauern wurden durch Wucherkredite bei großen Geldinstituten in den Ruin getrieben.“ „Heute sind die kleinen Leute dem Großkapital fast wieder so ausgeliefert wie damals“, sagt Vogt. In dem Film „Schotter wie Heu“ erzählt er von einem Telefonat mit der Raiffeisenzentrale in Stuttgart. „Nach dem 11. September habe man ihm doch einen Brief geschickt, mit der Aufforderung zu prüfen, ob Taliban-Konten bei ihm eröffnet worden seien. Vogt sagt, er habe den Brief weggeschmissen. Die Empörung ist groß. Er solle sofort antworten, ob es unter seinen Kunden Taliban gebe. Voigt provozierend ruhig: ‚Ich hab kein Fax.‘ Dann eben per E-Mail. ‚Wenn ich kein Fax hab, hab ich doch erst recht kein Mail.‘ Er werde postalisch mitteilen, ob er unter den Gammesfelder Bauern Taliban ausfindig mache. Taliban gab es keine.“ Wir bestellen eine Videokassette zur Ansicht und bringen ihn dann bei uns ins Kino. Wenn er nicht untertitelt wäre, würden wir Norddeutschen den Film gar nicht verstehen.

Günther Simon, wie aus dem Ei gepellt. Oder Ernst Thälmann und das „Hamburger Abendblatt“. Am 18. August 1944 wird Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD, im KZ Buchenwald ermordet. Selbst das „Hamburger Abendblatt“, sonst nicht so sehr auf der Seite der Kommunisten, erinnert in einem halbseitigen Artikel an den 60. Todestag unter der Überschrift: „Ernst Thälmann – er ahnte seinen Tod voraus“. Wir mögen keine Todestage feiern und zeigen deshalb den Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ schon am 16. Juli im Park. Einige Aufnahmen aus dem Film sollen an der Bahnstrecke spielen, die unweit des Sternschanzenparks die Bahnhöfe Dammtor und Sternschanze miteinander verbinden. Aber ein Kenner der Orte kann doch sehr genau erkennen, dass die Aufnahmen des Filmes an einer Eisenbahnanlage in Berlin und nicht an den Gleisen der Verbindungsbahn in Hamburg entstanden sind. Wahrscheinlich hätte die DEFA-Produktion in Hamburg 1954 keine Drehgenehmigung erhalten. Uns fällt auf, dass der Thälmann-Darsteller (Günther Simon) immer wie aus dem Ei gepellt aussieht, selbst dann, wenn er kurzfristig mal in die Kanalisation (während des Hamburger Aufstandes 1923) hinunter muss.

Schlammloch Sternschanzenpark. Als die Regenzeit zu Ende geht und unser Kino im Sternschanzenpark auch (am 25. Juli nach vierzig Tagen), da fällt auch noch der letzte Film ins Schlammloch Sternschanzenpark. Und da gehört der junge Belmondo (Cartouche, der Bandit) nun wirklich nicht hin. Wir verlegen die Veranstaltung wegen Dauerregens nach drinnen. Belmondos Dialog-Schlusssatz (kaum hat er die tote Claudia Cardinale in der silbernen Kutsche ins Wasser geschoben) kommt auch drinnen gut: „Jetzt werde ich Rache nehmen.“ „Und wo wird das enden?“ „Am Galgen.“ „Ich hoffe, es geht schnell.“ Während die eine Crew völlig entnervt in den Urlaub entschwindet, versucht die zweite Crew im Stadion des FC St. Pauli (dort gibt es immerhin eine überdachte Tribüne) ein trockenes Open-Air-Kino zu machen. Am letzten Tag (29. August) spielen wir (mit einer passablen Kopie) Sergio Leones „Zwei glorreiche Halunken“ (Il Buno, Il Bruto, Il Cattivo) und da gibt es ja auch Dialoge, die es lohnen, genau zuzuhören. Zum Beispiel den von der Kanone und der Schaufel oder auch den von den Yankees und dass Gott die Idioten hasst.

Das Spiel ist aus. Im September sind wir dann doch überrascht, dass Sartre auch bei heutigen Siebzehnjährigen noch (oder wieder) so populär ist. Der Film von Jean Delannoy in der Play-it-again-Reihe, die wir zusammen mit dem „Abaton“ und dem „Zeise-Kino“ machen, findet überraschend viele junge Zuschauer, während gleichzeitig „West Side Story“ nur sehr wenige Menschen (weder Jung noch Alt) sehen wollen.

Eine Aufgabe für Supergoof: Ein Architekt aus Hamburg hat Entwürfe für ein Kino in Dannenberg gemacht und fragt, ob wir uns den Standort in der Marschtorstraße mal auf seine Kinotauglichkeit hin ansehen können. Das ist eine Aufgabe für Supergoof. Expansion in die Provinz, das hat uns Werner Grassmann in Boizenburg gerade vorgemacht. Ich fahre nach Dannenberg und schreibe nach der Besichtigung einen Brief:

„... bin zu dem Ergebnis gekommen, dass der gewählte Standort für ein Kino dieser Größe, wie Sie es geplant haben, optimal ist. Dennoch bin ich persönlich zu der Auffassung gelangt, dass ich (bzw. wir) dieses Kino nicht machen wollen. Das hat mit der zurzeit fehlenden – ich nenne es mal – ‚Infrastruktur für das Kino‘ zu tun. Um eine solche Infrastruktur zu schaffen, muss man sich eine Menge Zeit nehmen. Bis ein solches Programmkino kostendeckend arbeiten kann, dauert es an diesem Standort mindestens fünf Jahre Entwicklungsarbeit. In diesen fünf Jahren müssten aus meiner Sicht städtebaulich eine Menge Voraussetzungen geschaffen werden. Ich habe deshalb mal lose meine Überlegungen nummeriert, die einen solchen Erfolg des Kinos möglich machen könnten:

1) Die Marschnerstraße müsste verkehrsberuhigt werden, damit der zurzeit offenbar unvermietbare Wohnraum vermietbar wird. Für das Kino würde es bedeuten, dass in unmittelbarer Nähe jüngere Zuschauer angesiedelt würden, die noch nicht die Kino-Angebote in Lüchow, Salzwedel und Platenlaase mit eigenem PKW oder Moped nutzen können.

2) Die Stadt machte mir an dem besagten Sonnabend den Eindruck, dass die letzte Kneipe um 18.00 Uhr schließt, und wenn die Läden schließen und die letzten Autos verschwunden sind, dann ist die Innenstadt von Dannenberg tot.

3) Ein für Kinozuschauer attraktives gastronomisches Angebot für den Besuch hinterher fehlt. Auch das müsste entwickelt werden. Der Parkplatz hinter dem Haus, der für einen Lebensmittelmarkt und verschiedene Händler reserviert ist, war an diesem Samstag um 12.00 Uhr nur von vier Fahrzeugen belegt, sodass man davon ausgehen kann, dass dieser Verkaufsstandort bei der Bevölkerung nicht besonders beliebt ist.

4) Es fehlt ein breiter Zugang, der von diesen Parkplätzen direkt in die Einkaufspassage führt. Die vorhandene Passage ist düster und muffig und lädt nicht dazu ein, dass man sie durchquert.

5) Im Langzeitgedächtnis der Zuschauer ist der Standort des Kinos nicht verankert. Bei der Besichtigung des Kinos in Dömitz, das seit einigen Jahren leer steht, wusste jeder, der im Ort von mir angesprochen wurde, sofort, von welchem Ort die Rede war. Erinnerungen ans Kino brachen sofort hervor. Solche Erinnerungen führen oft dazu, dass die Eltern ihre Kinder an diese Orte bringen, an denen sie selbst früher viele schöne Erlebnisse hatten. Ein Effekt, der nicht zu unterschätzen ist. Der Erfolg des Kinos in Boizenburg ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Langzeitgedächtnisse der älteren Zuschauer gut funktionieren und die Erinnerungen an das Kino durch Flüsterpropaganda an die nächste Generation weitergegeben werden.

6) Ein Kino dieser Größe braucht, um wirtschaftlich arbeiten zu können, rund 50.000 Zuschauer pro Jahr. Da man nicht davon ausgehen kann, dass jeder Dannenberger zehnmal pro Jahr ins Kino geht, sondern höchstens zweimal pro Jahr, muss das Angebot des Kinos und das Angebot, das drumherum geboten wird, überregional attraktiv sein.

7) Da Dannenberg mit öffentlichen Verkehrsmitteln fast nicht zu erreichen ist, muss die Attraktivität der Stadt auch in dieser Richtung entwickelt werden. Öffentliche Verkehrsverbindung im ½-Stunden-Takt mit Hitzacker, Dömitz, Lüchow sind anzustreben. Fast alle Busse, die ich an diesem Sonnabend gesehen habe, waren riesengroß und gleichzeitig menschenleer.

8) Die Verkehrsplanung zwischen Bus und Bahn scheint nicht stattzufinden. Man stellt sich die Frage, warum am Sonnabend ein Bus zum Bahnhof Dannenberg Ost fährt, wenn der entsprechende Zug um 14.11 Uhr ab Dannenberg Ost am Sonnabend nicht verkehrt, der Bahnhof abgeschlossen ist und nicht einmal ein Unterstellplatz vorhanden ist, wo doch der nächste Zug erst um 15.11 Uhr fährt, der für die kurze Strecke nach Lüneburg über eine Stunde braucht.

9) Gleichzeitig fährt ein leerer Bus um 13.55 Uhr nach Uelzen. Selbst mit diesem Bus, der laut Busfahrer erst um kurz vor vier in Uelzen ist, würde man Lüneburg schneller erreichen, als mit der direkten Bahnverbindung. Ich gebe zu, auch hier saßen auf der Hinfahrt vier Personen und auf der Rückfahrt drei Personen in den beiden Triebwagen, die zudem nicht besonders attraktiv waren ..., da gibt es immer eine Wechselwirkung. Das sieht man an der Verbindung Hamburg Hbf. – Lüneburg mit dem Metronom. Der Zug braucht eine halbe Stunde bis Lüneburg und fährt halbstündlich; die Doppelstockwagen waren voll, sauber und man kann sogar noch einen Kaffee bekommen.

10) Mag sein, dass der Stadt Dannenberg Mittel zur Verfügung stehen, um sich in beschriebener Weise zu entwickeln und damit auch die fünfjährige „Entwicklungszeit“ eines Kinos lohnend zu machen. Lohnen – nicht nur im finanziellen Sinne – würde es sich, auch für die Entwicklung der Stadt und der Region.“

Dieser Brief ging Anfang 2004 an den Architekten. Bisher scheint sich niemand daran gemacht zu haben, die Kinopläne von Dannenberg zu realisieren. Auch auf der anderen Seite der Elbe in Dömitz wird nur die ehemalige Festung restauriert und nicht das Kino. Aber das wäre zu wünschen, meinte:

Jens Meyer
für die Besatzung vom 3001 Kino

Abbildung Entwürfe