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HANNES BAHRMANN

ABSCHIED VOM MYTHOS

Sechs Jahrzehnte kubanische Revolution

Eine kritische Bilanz

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Gewidmet der neuen Generation:

Leo Bahrmann (2004)

Anna Bahrmann (2008)

Tonka Bahrmann (2010)

Carla Bahrmann (2011)

Zitate sind der neuen Rechtschreibung angepasst worden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2. Auflage als E-Book, August 2017
entspricht der 2., aktualisierten Druckauflage vom Dezember 2016
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de
Cover: Stephanie Raubach, Berlin
Motiv: Graffiti von »Che« Guevara, Havanna, 2014
(StreetMuse/Thinkstock)

eISBN 978-3-86284-352-7

Inhalt

Prolog

Das alte Kuba

Das Phänomen Batista

Elend auf dem Land

Havanna als Jackpot der Mafia

Revolution

Ein Argentinier radikalisiert Fidel

Der Sieg

Die Auseinandersetzung mit den USA

Utopie um jeden Preis

Das Desaster in der Schweinebucht

Die Raketenkrise von 1962

Mordversuche an Fidel Castro

Kuba und das Kennedy-Attentat

Die Sorge um Fidels Sicherheit

Fidel privat

Die Planung des Wirtschaftsruins

Die Irrtümer des Ernesto »Che« Guevara

Der »neue Mensch«

Disziplin durch Umerziehung

Der Abschied von der Utopie

Kampf im Inneren der Partei

Fidel Castro omnipotent

Repression nach innen

Der Fall Reinaldo Arenas

Die bleierne Zeit

Kuba wird Teil des »sozialistischen Lagers«

Massenflucht

Abenteuer in Afrika

Vorwärts – wir müssen zurück

Die Affäre Ochoa

Überlebenskampf

Die Armee verändert das Land

Die Rückkehr der Prostitution

Proteste und erneute Massenflucht

Der Fall Elián

Miami Five

Vorschnelles Ende der Reformen

Venezuela – der Retter in der Not

Transit

Fidel Castro: Der Weltenlenker

Don Quijote und sein treuer Sancho Panza

Das Exil stabilisiert Kubas System

Das wirtschaftliche Erbe ist verbraucht

Die Zuckerbarone von heute

Der Vormarsch des »Marabú«

Eine historische Abschweifung

Zunehmende Ungleichheit

Bildung, Gesundheit, Renten, Wohnen

Freiheiten?

Repression

Der Fall Oswaldo Payá

Das unfreie Internet

Die Wandlung des Pablo Milanés

Das neue Kuba

Überraschung aus Washington

»Die Isolierung Kubas hat nicht funktioniert«

Wie reagiert die Exilgemeinde?

Aufrechnungen

Ein denkbares Szenario

Keine Prognose

Ist Kuba eine Diktatur?

Das Exil hat keinen Plan

Anhang

Zeittafel

Abbildungsverzeichnis

Karte

Über den Autor

Prolog

»Wir haben es vielleicht nicht so mit dem Produzieren, aber kämpfen können wir gut!«

Fidel Castro 1970

Havanna, Anfang November 2015: Nach stundenlanger Busfahrt erreiche ich das Hotel »Inglaterra«. In der schwülwarmen Abendluft drängen sich Taxifahrer mit ihren aufpolierten Oldtimern vor dem Eingang. Drinnen wimmelt es von Gästen, die Bar ist dicht umlagert, die Lobby voller Leute. Nur für mich ist hier kein Platz. »Sie sind bei mir nicht gebucht«, lautet der Bescheid der strengen Rezeptionistin. Ich überreiche ihr meine Reservierung vom August. »Tut mir leid, wir sind hoffnungslos überbucht.«

Ich bin sauer und muss meinen Unmut unterdrücken. Später wird mir bewusst, dass man solche Gespräche in Kuba doch ganz anders führt. Am Anfang steht ein schmeichelndes amorcita (Liebchen) oder papíto (Väterchen), gefolgt von einem verharmlosenden, mit Diminutiven gespickten Anliegen. Etwa: »Weißt du, ich habe da ein klitzekleines Problemchen, eigentlich nicht der Rede wert. Ich bräuchte ein Zimmerchen – kein Ding, ich weiß, aber vielleicht findest du in deinem Computerchen noch eins. In meiner Hand warten auch ein paar ›chavitos‹ – was meinst du?«

An diesem Abend, wie auch an jedem anderen zu dieser Zeit, hätte auch diese Dramaturgie ihren Zweck verfehlt. Das touristische Havanna ist voll, platzt aus allen Nähten. Es herrscht eine stille Verabredung: Alle Welt will noch einmal nach Kuba, bevor …

Bevor was?

Es liegt ein Duft von Veränderung in der Luft. Nur will es niemand so deutlich sagen. »Ich will Kuba noch so sehen, wie es vielleicht nicht mehr sein wird« oder »Jetzt ist es noch so ursprünglich, wer weiß, bald sieht es aus wie überall.« Mich befällt eher Schwermut, wenn ich sehe, dass es immer noch so aussieht wie beim letzten Mal. Und es tut mir innerlich weh, wenn die Neuankömmlinge von Havannas Altstadt jenseits der Touristenmeile angesichts der einstürzenden Altbauten von einem »Kriegsgebiet« sprechen.

In den 80er Jahren war ich mehrmals hier, arbeitete mit Kubanern, hatte Freunde, von denen kaum noch jemand da ist. In den 90er Jahren habe ich den Zusammenbruch des Sozialismus auf der Insel erlebt – und ich war im Sozialismus nicht auf Urlaub, sondern habe zuvor 37 Jahre meines Lebens in der DDR gelebt und erkenne Details und Strukturen wieder.

Mit der »Chronik der Wende«, die von der ARD in 167 Folgen als Dokumentationsserie verfilmt wurde, haben Christoph Links und ich 1989 den Abschied einer Gesellschaft im Alltag dokumentiert, in »Am Ziel vorbei« 15 Jahre später zogen wir mit zahlreichen Autoren eine Zwischenbilanz. Jetzt geht es mir um die Frage, was sich in sechs Jahrzehnten seit dem Sieg der Revolution in Kuba entwickelt hat.

Doch kann man das nicht besser aus dem Land selbst heraus beurteilen?

Marcel Kunstmann aus Jena studiert derzeit in Havanna und betreibt den Blog »Cuba heute«. Er schreibt: »Es ist einfacher aus dem Ausland über Kuba zu schreiben als innerhalb des Landes. Ohne Internet sind wir nicht nur uninformiert, was außerhalb Kubas vorgeht, wir wissen nicht einmal, was um uns herum passiert. Selbst wenn wir regelmäßig die Zeitung lesen, so müssen wir den kondensierten Kaffeesatz von wortkargen Versammlungsberichten als Interpretationsrichtschnur für die nächsten Schritte der Regierung verwenden.«

Das vorliegende Buch ist keine rein subjektive Sicht auf die Dinge, es ist auch keine wissenschaftliche Arbeit. Mein Ziel war es, zusammenzutragen, was sich wie ereignet hat und warum es so gekommen ist. Ich betrachte die Dinge von außen und bemühe mich, keine Schuld zuzuweisen. Jede der beteiligten Seiten hatte Gründe für ihr Handeln, manchmal gute – manchmal weniger gute. Am Ende steht die Frage: Hat sich das große Gesellschaftsexperiment gelohnt? Die Antwort darauf muss jeder selbst finden.

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Sechs Jahrzehnte nach dem Sieg der Revolution ist das Land erschöpft. Die 11,5 Millionen Kubaner leben im permanenten Ausnahmezustand. Das einst reiche Kuba der 50er Jahre ist verarmt, die Infrastruktur heute beklagenswert, Maschinen und Anlagen der meisten Industriebetriebe sind verschlissen. Die Landwirtschaft kann das Land trotz günstiger natürlicher Voraussetzungen nicht einmal im Ansatz ernähren. Die Substanz der Städte nähert sich gefährlich dem Abriss.

Die Utopie einer neuen Gesellschaft hielt nur wenige Jahre. Die Zeit des Überlebens dauert hingegen schon Jahrzehnte. Die Generation der heutigen Großeltern erinnert sich wehmütig, die der Eltern ist beschäftigt mit dem alltäglichen Kampf um alles und jedes, und die junge Generation interessiert gänzlich anderes. Gerade erst debütierte der 19-jährige Toni, ein Enkel Fidel Castros, als Model.

Die Revolutionäre von damals waren keine gesichtslosen Männer in grauen Anzügen ohne Visionen, wie sie die sozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa repräsentierten. Sie sahen mit ihren Bärten verwegen aus. Und: Sie hatten ohne Hilfe von außen gesiegt. »Unsere Revolution war kein Geschenk der Roten Armee, wir haben sie selbst erkämpft«, machte Fidel Castro klar, wenn er selbstbewusst mit seiner neuen Schutzmacht in Moskau stritt.

Dass das revolutionäre Kuba 90 Meilen vor der Küste der USA bis heute überlebte, grenzt an ein Wunder. Der Preis war hoch: Der Kampf um Kubas Souveränität brachte die Welt 1962 an den Rand einer nuklearen Katastrophe und damit in die größte Gefahr seit Menschengedenken. Es war ein Glück, dass die Kontrolle der Zündung der Atomraketen einem altgedienten sowjetischen General unterstand und nicht einem der heißblütigen Comandantes.

Irritierend ist bis heute die Aussage Ernesto »Che« Guevaras, der im November 1962 – verärgert über den Abzug der Nuklearwaffen – dem Daily Worker, der Zeitung der KP Großbritanniens, sagte: »Wären die Raketen hier geblieben, hätten wir sie in unserer Verteidigung gegen die Aggression alle eingesetzt und sie direkt auf das Herz der USA gerichtet, sogar auf New York.« Auch Fidel Castro hätte ein nukleares Inferno in Kauf genommen – und nannte es in seinen späten Jahren eine »Jugendsünde«. Ein atomarer Overkill zur Durchsetzung einer Idee?

Der Versuch, in den 60er Jahren auf Kuba den »neuen Menschen« zu formen, der ohne finanzielle Anreize vor allem aus seinem Bewusstsein heraus handelt, endete im wirtschaftlichen Fiasko. Dass sein maßgeblicher Erfinder Ernesto »Che« Guevara, genervt vom mangelnden Einsatz vieler Kubaner, auch zum Erfinder von Arbeitslagern wurde, ist ein Makel der Revolution, der seine Folgen zeigte.

Die gesellschaftliche Utopie scheiterte nicht zuletzt an den harten Realitäten des Kalten Krieges, der keinen dritten Weg zuließ. So blieb als einziger Ausweg die weitgehende Unterordnung unter das sowjetische Herrschaftsmodell. Die UdSSR gliederte Kuba in ihr sozialistisches Wirtschaftsbündnis ein und sorgte dafür, dass das Überleben der Insel gesichert wurde. Wie viel das gekostet hat, lässt sich nur schätzen. Wie das meiste Zahlenmaterial aus Kuba mit Vorsicht zu genießen ist. Es gibt keine unabhängige Statistik in Kuba. Das Statistische Jahrbuch erschien 1989 für mehrere Jahre zum letzten Mal. Alle Zahlen unterliegen einer strengen staatlichen Prüfung: Passen sie nicht ins Bild, werden sie neu berechnet oder weggelassen.

Ein Grund für das wirtschaftliche Überleben Kubas ist die Existenz von zwei Währungen. Der nationale Peso (CUP) ist eine Schwachwährung und steht im Verhältnis zur Hartwährung, dem konvertiblen Peso (CUC), 2016 in einem Verhältnis von 24:1. Geht es aber an die Statistik, so verwandelt sich die Schwachwährung wie von Geisterhand im Verhältnis 1 CUP = 1 CUC auf Dollarhöhe. Und weil das bei der Darstellung des Bruttoinlandsprodukts immer noch nicht reichte, rechneten die offiziellen Statistiker in Havanna auch noch die Aufwendungen für die Bildung und Gesundheitsbetreuung mit hinein, was international unüblich ist. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen setzte Kuba deshalb auf eine rote Liste der Staaten, deren Angaben nicht vertrauenswürdig sind. Nordkorea befand sich bereits auf diesem wenig schmeichelhaften Index.

Es ist eine beklagenswerte Tatsache, dass die kubanische Revolution mehrheitlich auf Pump finanziert wurde. Ohne ausländische Hilfe wäre Kuba nicht sechs Jahrzehnte lang über die Runden gekommen. Die Sowjetunion unterstützte das Land nach Berechnungen der russischen Ökonomin Irina Zorina mit über 100 Milliarden Dollar. Darin unberücksichtigt sind die Milliarden an Rüstungshilfe. Die letzten Milliarden, die Russland noch in seinen Büchern hatte, wurden 2014 gestrichen.

Nachdem die UdSSR wirtschaftlich ruiniert war und andere Hilfen ausblieben, stand Kuba am Abgrund: Die frühen 90er Jahre wurden zur período especial – zur sogenannten Sonderperiode, zur Kriegswirtschaft in Friedenszeiten. Es gab fast nichts mehr. Die Existenz Kubas unter der insgesamt 49 Jahre dauernden Regierung von Fidel Castro stand auf Messers Schneide.

Dann bekam Ende der 90er Jahre Venezuela eine revolutionäre Regierung. Hugo Chávez, der neue Präsident, war ein großer Bewunderer der kubanischen Revolution und bereit, das Land seines Vorbilds Fidel Castro zu einem nicht geringen Teil zu finanzieren. 15 Jahre später ist auch dieses Land – immerhin mit den größten Erdölreserven weltweit gesegnet – durch allzu großzügige Hilfen an Kuba, vor allem aber durch den dramatischen Verfall des Erdölpreises selbst kurz vor der Pleite. Es herrscht eine schwere Energiekrise (!), die Behörden dürfen deshalb nur noch zwei Tage in der Woche arbeiten, die Regale in den Supermärkten sind leer. Zum Stromsparen soll zusätzlich am 1. Mai die Uhrzeit um eine halbe Stunde vorgestellt werden, um das Tageslicht besser zu nutzen. Der sozialistische Präsident hatte auch noch einen patenten Rat an Venezuelas Frauen parat: Er forderte sie auf, nicht mehr ihre Haare zu föhnen. Der Erdrutschsieg der bürgerlichen Opposition bei den Parlamentswahlen Ende 2015 schließt eine Fortsetzung der Kuba-Hilfe nahezu aus. Die Folgen dürften wieder dramatisch ausfallen: Ein Drittel ihres gesamten Handels wickelt die Insel mit Venezuela ab.

Das südamerikanische Land deckt im Austausch für die Dienste von über 30 000 kubanischen Ärzten gut die Hälfte des kubanischen Erdölbedarfs. Auf der Sitzung des Parlaments im Juli 2016 machte Präsident Raúl Castro bereits unheilvolle Ankündigungen: Aufgrund gefallener Rohstoffpreise und eines »gewissen Einbruchs in den mit Venezuela vereinbarten Treibstofflieferungen« befinde sich das Land in einer akuten Liquiditäts- und Energiekrise und müsse entsprechende Einsparungen vornehmen.

Das hatten die Kubaner bereits durch zahlreiche Stromabschaltungen mitbekommen. Vier Fünftel der Stromversorgung erfolgt durch russische Erdölkraftwerke. Die üppigen Öllieferungen der letzten Jahre hatten den Stromverbrauch um ein Drittel ansteigen lassen. Jetzt ist das Elektrizitätsnetz der Insel am Rand seiner Kapazität angekommen.

Castro wies Spekulationen über den bevorstehenden wirtschaftlichen Kollaps und den Rückfall in den Notstand der 90er Jahre zurück. »Wir leugnen nicht, dass Beeinträchtigungen, vielleicht auch noch stärkere als bisher, auftreten können.« Zugleich räumte er Rückstände in den Zahlungen an die Gläubiger und Handelspartner ein. Insgesamt ist die Wirtschaftsleistung der Insel 2016 wieder einmal rückläufig.

Mehr Dollar als aus dem Export von Nickel, den Einnahmen aus dem Tourismus und dem verbliebenen einstigen Weltmarktprodukt Nr. 1, dem kubanischen Zucker, kommen vom kubanischen Exil. Enteignet, ausgewandert und geflohen, leben heute rund zwei Millionen Kubaner im Ausland – davon 90 Prozent in den USA und dort wiederum die meisten im Bundesstaat Florida. Diese 1,8 Millionen (inbegriffen ihre Nachkommen, die Kuba nur vom Erzählen kennen) überweisen ihren Angehörigen auf der Insel regelmäßig Unterstützungsgelder.

Die Höhe dieser Gelder gehört zum Heikelsten im Zahlenspiel um Kubas Soll und Haben: Das Exil ist stolz darauf, dass die Auswärtigen ihre Familie daheim nicht im Stich lassen, und geben die Summen aus ihrer Sicht möglichst hoch an; Kubas Regierung möchte diese Zahl am liebsten ignorieren. Konservativ geschätzt sind es jährlich 2,9 Milliarden Dollar, andere Quellen geben fünf Milliarden an, was der Summe aller kubanischen Exportgüter zusammen entsprechen würde. Es ist so gut wie unmöglich, die Zahl exakt zu ermitteln: Die meisten Zahlungen gehen über Western Union, es wird auch auf Devisenkonten bei kubanischen Banken eingezahlt, und die Hunderttausenden, die ihre kubanischen Angehörigen pro Jahr besuchen, haben die Dollars in der Tasche – legal, aber nicht erfasst.

Die Existenz der zwei Währungen spaltet mittlerweile das Land und seine Wahrnehmung: Touristen kommen zumeist mit dem Teil in Kontakt, in dem die Dollarwährung allgegenwärtig ist. Hier herrschen bescheidene Gesetzes des Marktes, hier verdienen mittlerweile 500 000 Kubaner als kleine Gewerbetreibende die begehrte Zweitwährung des Landes, die auch chavito genannt wird (Spielgeld).

Das Territorium des touristischen Teils der kubanischen Realität ist nicht besonders groß: hauptsächlich das Zentrum Havannas (und auch hier nur ein Gebiet von wenigen Straßenblocks), die Halbinsel Varadero oder der historische Kern der Kolonialstadt Trinidad. Hier befinden sich die meisten Touristentaxis, die Privatherbergen casas particulares sowie die privaten Restaurants paladares. In dieser Realität kommt es schon zu vereinzelt sichtbarem Wohlstand.

Der eigentliche Nutznießer ist jedoch stets der Staat. Er verkauft mit der Lizenz an die kleinen Gewerbetreibenden lediglich ein Nutzungsrecht, hat keine Kosten und verdient so ohne Aufwand eine Menge Devisen. Die lizenzierten Nutzer haben dagegen eine Unmenge an Hürden zu überwinden, um ihre Dienstleistungen in gleichbleibender Qualität anbieten zu können. Der sócio – der Partner –, der etwas besorgt, der Ersatzteile beschaffen kann, der etwas repariert, ist der entscheidende Faktor in diesem Wirtschaftssystem. Deshalb spricht man in dieser Welt nicht mehr vom Sozialismus (socialismo), sondern vom sóciolismo.

Der übergroße Teil des Landes lebt von den Touristen meist unbeobachtet in der Welt des gescheiterten Sozialismus, einer Gesellschaft, in der es theoretisch keinen Privatbesitz an Produktionsmitteln, keine Ausbeutung, aber Gleichheit und Gerechtigkeit gibt. In der Praxis bedeutet es allerdings die gleichmäßige Verteilung des Mangels. Und es mangelt an allem und jedem. Die Schwachwährung Peso cubano (CUP) dient einzig zur Bezahlung der Löhne und Gehälter; für lebensnahe Dienstleistungen sowie zum Kauf der hochsubventionierten Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs gibt es eine Bezugsberechtigung in Form eines Heftchens, das Libreta de Abastecimiento heißt. Dieses System reichte bis vor 15 Jahren aus, um die Lebensmittel zu kaufen, die es gerade gab, die Miete zu zahlen, deren Preis die Erwähnung nicht lohnt, sowie Wasser und Strom. Bildung ist ebenso kostenlos wie die Gesundheitsfürsorge (wenn es im Krankenhaus nicht gerade an Medikamenten mangelt).

Gleichheit und Gerechtigkeit sind Vergangenheit: Die Existenz der Parallelwährungen spaltet die kubanische Gesellschaft ebenso wie die Dollarmilliarden aus dem Exil: Sie gehen zu vier Fünfteln in den traditionell wohlhabenderen Westteil der Insel um Havanna und vorrangig an weiße Kubaner, weil die auch diejenigen waren, die etwas verloren hatten oder neue Chancen in den USA suchten. Die Afrokubaner – traditionell im Ostteil des Landes beheimatet – waren vor allem Landarbeiter und profitierten eher von der Revolution, die diese vernachlässigten Regionen gezielt entwickelte und heute nicht mehr in der Lage ist, die Ungleichheiten auszutarieren.

Die Mehrheit der Kubaner muss in den Staatsbetrieben arbeiten, die miserable Löhne zahlen. In dieser Alltagswelt ist die Arbeit nicht gerade das zentrale Element des Daseins, um es dezent auszudrücken. »Mein Chef tut so, als wenn er mich bezahlt, und ich tue so, als ob ich arbeite«, lautet die gängige Formel. Das wird zum Teufelskreis: Die Staatswirtschaft kann keine besseren Löhne zahlen, weil die Produktivität so niedrig ist und umgekehrt.

Nach Jahrzehnten des Sozialismus und des Kampfes ums Überleben ist Kuba nun seit Jahren im Transitbereich und sucht nach einem Ausweg. Aufgeben ist für die Führung keine Option. Und deshalb liegt vielleicht der Duft von Veränderung in der Luft, doch die vollzieht sich vermutlich nicht in einem einmaligen Ereignis, sondern eher in ganz kleinen Schritten.

Ihre Lage schildert die Bloggerin Yoani Sánchez aus Havanna so: »Ich lebe eine Utopie, die nicht die meine ist. Eine Utopie, für die meine Großeltern ihr Leben gegeben haben und meine Eltern ihre besten Jahre geopfert haben. Für mich ist sie eine Last, sie drückt mich nieder, aber ich weiß nicht, wie ich sie abschütteln soll. Manch einer, der diese Utopie nicht erlebt hat, will mir einreden, dass man sie bewahren muss. Aber solche Leute können eben nicht ermessen, wie unfrei es macht, die Träume anderer mit sich herumzuschleppen und mit Illusionen zu leben, die einem eigentlich fremd sind.«

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Yoani Sánchez, das Gesicht des unabhängigen Kuba, auf ihrem von ihr selbst im Internet abgebildeten Personalausweis

Das alte Kuba

Reich, modern und ungerecht – Fast wäre die Insel ein US-Bundesstaat geworden – Batista, der Präsident der Kommunistischen Partei – Gesetzlicher 8-Stunden-Tag und Mindestlohn mit Verfassungsrang – 1950 wird das Fernsehen in Kuba als zweitem Land der Welt eingeführt – Gesundheitsversorgung auf dem Niveau von Industrieländern, Bildung in den Städten vorbildlich – auf dem Land nicht.

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Liest man die meisten Darstellungen der kubanischen Revolution, so werden die Verhältnisse vor 1959 zumeist mit kurzen Stichworten abgehandelt: Batista-Diktatur, ungerechte Verteilung des Wohlstands, arme Landbevölkerung ohne Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, bewaffneter Kampf, Sieg Fidel Castros und seiner Rebellen. Danach folgt die Innenwelt der Revolution und ihrer Entwicklung. Ohne den Vorher-nachher-Vergleich ist es aber nicht möglich, die Frage zu beantworten, die sich bei einer solch tiefgreifenden Veränderung irgendwann stellt: War es das wert?

»Perle der Karibik« – dieser Slogan ist nicht einem cleveren Tourismusmanager eingefallen, sondern war Ausdruck einer grenzenlosen Bewunderung seit Jahrhunderten: Strategisch außerordentlich gut gelegen, als größte Insel der Karibik von angemessener Ausdehnung, mit besten Voraussetzungen für die tropische Landwirtschaft und wertvollen Bodenschätzen ausgestattet, war Kuba die schönste der verbliebenen spanischen Kolonien.

Seit Staatsgründung waren die Vereinigten Staaten von Amerika an Kuba außerordentlich interessiert. Mit zahlreichen Häfen zur Karibik und zum Golf von Mexiko und nur 90 Meilen von Florida entfernt, mussten sie befürchten, dass die Insel in die Hände anderer europäischer Kolonialmächte fallen könnte. 1762 hatten die Briten Havanna schon einmal eingenommen – und ein Jahr später im Tausch gegen ganz Florida den Spaniern zurückgegeben.

1809 schickte US-Präsident Jefferson einen Boten nach Spanien mit dem Auftrag, Kuba zu kaufen – umsonst. »Ich bekenne aufrichtig, dass ich schon immer in Cuba die interessanteste Erwerbung für unser Staatensystem gesehen habe«, schrieb er seinem Nachfolger Madison. Der wies seinen Botschafter in London an, Großbritannien von allen Absichten abzubringen, seinerseits begehrliche Blicke auf Kuba zu werfen.

Spanien spürte den Druck und gestattete Kuba ab 1818 den Freihandel. Alle Häfen der Insel durften fortan ohne Behinderungen angelaufen werden. Zwei Jahre später waren die Vereinigten Staaten Kubas größter Handelspartner. Die USA kauften den größten Teil des kubanischen Zuckers, Tabaks, Kakaos, Kaffees, seine tropischen Früchte und Nüsse, Eisenerz und Kubas gesamte Kupferproduktion. US-Präsident Adams schrieb schon in Vorfreude, Kuba werde eines Tages den USA »wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen«.

Sein Nachfolger James Monroe erklärte 1823 den gesamten Doppelkontinent Amerika zum Einflussgebiet der USA und warnte damit die europäischen Großmächte, sich einzumischen. (Was die USA nicht daran hinderte, sich ihrerseits mit Bezug auf die »Monroe-Doktrin« in den folgenden 150 Jahren in die inneren Angelegenheiten der Länder Lateinamerikas einzumischen.) 1848 legten die USA den Spaniern erneut ein verlockendes Angebot vor: 100 Millionen Dollar – das entspräche heute etwa 2,3 Milliarden. Spanien wusste aber um den Wert der Besitzung und blieb stark. Auch ein erhöhtes Angebot von 130 Millionen fand kein Gehör.

Die Unabhängigkeit Kubas leiteten zunächst Plantagenbesitzer um Carlos Manuel de Céspedes ein. 1869 wurde er einseitig zum ersten unabhängigen Präsidenten erklärt. Den zehnjährigen Kampf führten befreite Sklaven mit amerikanischen Waffen. Doch eine offizielle Anerkennung durch Washington blieb aus. Zu dieser Zeit machte der kubanische Handel mit den USA bereits 83 Prozent aus, Spanien blieb nur noch ein Rest von sechs Prozent.

1898 griffen US-Truppen in den Kampf um die Unabhängigkeit Kubas ein. Anlass war die Explosion der »Maine«, eines amerikanischen Schlachtschiffs, das gegen den entschiedenen Protest der spanischen Kolonialverwaltung zu einem »Freundschaftsbesuch« nach Havanna entsandt worden war. Geschwächt durch einen jahrzehntelangen Kampf gegen die kubanische Unabhängigkeitsbewegung unterlag die erschöpfte Kolonialmacht den überlegenen US-Truppen. Allein an einem Tag wurde nahezu die gesamte spanische Atlantikflotte vernichtet.

Spanien verlor seine letzten bedeutsamen Kolonien: Kuba, Puerto Rico (inklusive der Spanischen Jungferninseln), Guam und die Philippinen. Kuba wurde zwar formal unabhängig, blieb aber zunächst unter US-Besatzung. Der Plan, Kuba als neuen Staat der USA aufzunehmen, scheiterte am Widerstand der amerikanischen Zuckerproduzenten, die die Konkurrenz nicht ins Land lassen wollten.

Der konstituierenden Versammlung in Havanna legten die US-Vertreter ans Herz, in die neue Verfassung einen Zusatz aufzunehmen, der den USA das Recht einräumte, »zur Wahrung der kubanischen Unabhängigkeit« zu intervenieren (Artikel III). Außerdem schrieb ein Verfassungszusatz, das sogenannte Platt Amendment, in Artikel VII das Recht der USA fest, Land von Kuba zu kaufen oder zu pachten und dort Marinestützpunkte zu errichten.

Die Kubaner lehnten dieses Ansinnen zunächst mit 24: 2 Stimmen entschieden ab. Man bat sie daraufhin nach Washington, wo man ihnen drohte, die Insel so lange besetzt zu halten, bis eine Mehrheit für die Annahme stimmte. Die Verfassung wurde wunschgemäß verabschiedet und Kuba 1902 zur Republik erklärt. Erst 1934 hob US-Präsident Franklin D. Roosevelt im Rahmen seiner »Politik der guten Nachbarschaft« die eingeschränkte Souveränität Kubas wieder auf – mit einer Ausnahme: Artikel VII, der den Bestand des 1903 errichteten US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay sicherte.

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Havanna – 1910 reich, modern und hochentwickelt

Kuba wies zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem Rest Lateinamerikas bereits einen bemerkenswerten Entwicklungsstand auf:

– 1829 setzte es als erstes Land Dampfmaschinen in der Schifffahrt und bei der Verladung ein;

– 1837 wurde hier die erste Eisenbahnlinie eröffnet – es war weltweit erst die fünfte;

– 1877 erstrahlte in Havanna die erste öffentliche Straßenbeleuchtung;

– 1900 fuhr die erste Straßenbahn durch Havanna;

– 1900 fuhren hier die ersten Autos;

– 1907 wurde hier die erste direkte Telefonverbindung ohne Vermittlungsstelle in Betrieb genommen;

– 1907 führte man das erste Röntgengerät ein;

– 1913 startete das erste Flugzeug;

– 1918 führte Kuba als erstes Land des Kontinents das Scheidungsrecht ein;

– 1922 wurde hier die erste Radiosendung ausgestrahlt (als zweites Land der Welt);

– 1940 führte Kuba als erstes Land den Acht-Stunden-Tag, den Mindestlohn und die Universitätsautonomie ein;

– 1940 wurde hier eine der fortschrittlichsten Verfassungen der damaligen Zeit mit der Einführung des Frauenwahlrechts, der sexuellen und rassischen Gleichberechtigung sowie dem Recht der Frau auf Arbeit verabschiedet;

– 1950 führte Kuba als zweites Land der Welt das Fernsehen ein;

– 1951 eröffnete mit dem »Riviera« in Havanna das weltweit erste Hotel mit zentralgesteuerter Klimaanlage;

– 1952 wurde mit dem FOCSA-Gebäude in Havanna das weltweit zweite Hochhaus aus Stahlbeton gebaut;

– 1957 wurde mit dem El Cine Radio in Havanna das erste Multiplex-Kino eröffnet;

– 1958 führte Kuba das Farbfernsehen als zweites Land der Welt ein (in Deutschland West: 1967/Ost: 1969).

Havanna entwickelte sich zur schönsten Stadt Lateinamerikas. Hier entstanden luxuriöse Theater, traten die bekanntesten Künstler der damaligen Zeit auf. Die Zuckerbarone bauten sich Paläste und die aufsteigende Mittelschicht repräsentative Villen. Das einheimische Bürgertum stieg ungeachtet der starken amerikanischen Präsenz auf, die Wirtschaft boomte, und nach der Weltwirtschaftskrise verzeichnete Kuba Wachstumsraten von über zehn Prozent jährlich und stand damit an der Spitze aller lateinamerikanischen Länder. Die USA investierten zwischen der Unabhängigkeit und der Revolution drei Mal so viel (!) in Kuba wie in ganz Lateinamerika.

Das Phänomen Batista

Lateinamerikas Geschichte ist voll von Diktatoren, den sogenannten Caudillos. So könnte man annehmen, Fulgencio Batista wäre nur einer mehr – doch weit gefehlt. Der spätere Präsident Kubas entstammte einer Familie des Unabhängigkeitskampfes. Sein Vater war ein Mambí, ein Angehöriger des schlecht bewaffneten Heeres der Unabhängigkeitskämpfer gegen die spanische Kolonialherrschaft. Auch seine Mutter unterstützte aktiv die Bewegung. Er wurde als Rubén Zaldívar geboren, weil sich sein Vater weigerte, ihn anzuerkennen. Erst mit der Einschreibung in das Militär gelang es ihm, unbemerkt den Namen seiner Vaters einzufügen. (Für seine spätere Präsidentschaftskandidatur war das misslich, denn im Geburtsregister in seinem Ort in der heutigen Provinz Holguín blieb der Name unverändert.)

Die Familie galt als eher arm, und Batista musste schon mit acht Jahren arbeiten gehen, zunächst als Bote im Büro, ab 12 dann bei der kubanischen Eisenbahn. Mit 21 schrieb er sich beim Militär in Havanna ein, war zunächst bei der Landwehr, der Guardia Rural, eingesetzt, wechselte dann aber als Telegrafist in den Generalstab. Es war die Zeit der Präsidentschaft von Gerardo Machado, der 1925 die Wahlen gewonnen hatte, sich aber zunehmend seiner breiten politischen Unterstützerfront entledigte und seine Machtbasis beim Militär konzentrierte. Dort war er bei den unteren Rängen sehr beliebt, weil er den Aufstieg zahlreicher Unteroffiziere in den Offiziersrang förderte. In seiner Amtszeit wurden die das ganze Land durchquerende Autobahn – die Carretera Central – sowie der Sitz des Parlaments, das Kapitol in Havanna, gebaut. Es entstand nicht zufällig nach dem Vorbild in Washington, denn Machado war auch ein Interessenvertreter der großen US-Konzerne in Kuba.

Im August 1933 wurde Machado von einer breiten Protestbewegung gestürzt, und Ramón Grau San Martin, der Vertreter der Studentenbewegung, die den Kampf maßgeblich initiiert hatte, wurde Präsident. Im kubanischen Militär nahm man den Regierungswechsel schlecht auf. Im September 1933 kam es zu Protesten, unter deren Anführern Batista war. Der war kein Afrokubaner im klassischen Sinne, sondern Mulatte mit schwarzen, chinesischen und spanischen Vorfahren. In der Truppe hieß er nur El Indio. In der damaligen kubanischen Gesellschaft blieb ihm der Zugang zur Oberschicht wegen rassistischer Vorbehalte zunächst verschlossen. So weigerte sich auch der noble Havana Yacht Club, ihn als Mitglied aufzunehmen. Der von ihm maßgeblich mitgetragene »Aufstand der Unteroffiziere« richtete sich gegen die eigenen Offiziere. Bei einer Versammlung wurde Batista von einem solchen zur Ordnung gerufen, doch der Subalterne antwortete: »Sie haben nur die Unterordnung unter die Disziplin, doch ich habe 15 000 Bajonette.«

Das Offizierskorps entledigte sich des Problems, indem es den populären Anführer per Dekret zum Oberst beförderte. Eines der ersten Treffen nach seiner Ernennung hatte Batista mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten in Havanna, dem späteren stellvertretenden Außenminister Sumner Wells, der ihm seine Besorgnis über die »radikalen Elemente« in der neuen Regierung anvertraute. 1934 wurde Grau San Martín als Präsident abgesetzt und Batista zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte Kubas ernannt.

Er erwies sich als politisches Naturtalent und verstand es geschickt, die unterschiedlichsten Kräfte zu bündeln. Während er den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei als Gegengewicht zur Studentenbewegung förderte, war er gleichzeitig der Mann des Vertrauens des US-Kapitals und der Regierung in Washington. 1939 stellte er sich an die Spitze eines breiten Bündnisses unter Einbeziehung der Kommunistischen Partei Kubas, die vor allem in den Gewerkschaften stark verankert war, und erreichte schließlich eine Mehrheit in der verfassungsgebenden Versammlung. Danach wurde er von der breiten Linkskoalition zum Präsidentschaftskandidaten ernannt und gewann die Wahlen von 1940. Die Kommunistische Partei folgte mit ihrer Teilnahme an der Regierung den Vorgaben der Kommunistischen Internationale in Moskau zur Bildung von breiten Volksfrontregierungen zur Unterstützung der Sowjetunion und stellte zwei Minister.

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Ein Wahlplakat von 1939. Die Kommunisten Kubas bildeten mit Batista die Regierung und verweigerten sich dem Guerillakampf von 1956–1958.

Kuba nahm Flüchtlinge aus Nazideutschland ebenso auf wie die unterlegenen republikanischen Kämpfer des spanischen Bürgerkrieges. Auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion folgte. Die Gewerkschaften erhielten breite Entfaltungsmöglichkeiten und wurden von der Lotterie mit großen Summen bedacht. Die beiden kommunistischen Minister (ohne Geschäftsbereich) Carlos Rafael Rodríguez und Juan Marinello sollten in der kubanischen Revolution später noch eine wichtige Rolle spielen.

Die erste Regierungszeit Batistas stand wirtschaftlich unter einem guten Stern: Die Alliierten kämpften gegen die Nazis, und Kuba konnte seine Produkte aus der Landwirtschaft und aus Bodenschätzen zu Höchstpreisen verkaufen. Die Regierung investierte in die Infrastruktur, baute neue Schulen, förderte die Mechanisierung der Landwirtschaft und entwickelte gezielt den Aufbau einer eigenen Leichtindustrie.

Die Wahlen von 1944 kehrten die Verhältnisse um: Diesmal gewann Ramón Grau San Martín, den Batista zehn Jahre zuvor abgesetzt hatte. Doch der Geschlagene hatte vorgesorgt: In die Bestimmungen zur Versetzung in die Reserve von Generälen hatte Batista einen Passus einfügen lassen, der ihm als oberstem militärischen Befehlshaber jederzeit die Rückkehr in den aktiven Dienst ermöglichte. Und er hatte finanziell vorgesorgt. Der damalige US-Botschafter notierte in einem Lagebericht an das State Department: »Es wird immer deutlicher, dass Präsident Batista der neuen Regierung mit allen Mitteln das Leben so schwer wie möglich machen will, insbesondere im Finanzbereich.« Der Diplomat wurde ganz undiplomatisch, sprach von einem »systematischen Raub der Ressourcen« und prognostizierte: »Doktor Grau wird bei seinem Amtsantritt leere Kassen vorfinden.«

Rückblickend betrachtet war die erste Regierung Batista dennoch ein Glücksfall für Kuba: Die breite – nach heutiger Betrachtung sozialdemokratisch ausgelegte – Regierungsbasis gab dem Land eine neue Perspektive. Die Verfassung war eine der fortschrittlichsten der damaligen Zeit: Umfassende Arbeitnehmerrechte wie Mindestlohn und Acht-Stunden-Tag, Landreform, Allgemeine Schulpflicht, Recht auf Eigentum und Unabhängigkeit der Justiz waren festgeschrieben. Die Gewinne aus der Sonderkonjunktur wurden in die soziale Infrastruktur und die Diversifizierung der Wirtschaft investiert. Das schlug sich in den darauffolgenden Jahren bis zur Revolution von 1959 in den sozioökonomischen Fakten nieder:

Allgemeine Wirtschaftsdaten:

– Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 356 Dollar kam Kuba 1958 auf Platz drei in Lateinamerika; weltweit lag Kuba unter den Wirtschaftsnationen auf Platz 29 (1958) – ungeachtet seiner geringen Größe und mit nur 6,5 Millionen Einwohnern.

– Die Staatseinnahmen betrugen 387 Millionen aus Steuern, die Staatsausgaben lagen bei 385 Millionen, die Gesamtverschuldung betrug 9 Millionen Dollar.

– Größter Einzeletat waren 1958 die Ausgaben für Bildung mit 23 Prozent, gefolgt vom Militär (13) und für öffentliche Gesundheit mit 7 Prozent.

– 1958 lag der Durchschnittslohn pro Tag nach Angaben der Weltarbeitsorganisation ILO in der Industrie bei 6 Dollar (weltweit auf Platz acht und noch vor Westdeutschland) und in der Landwirtschaft bei 3 Dollar (das entsprach Platz sieben).

– Kuba besaß eine starke Mittelschicht, der ein Drittel der Bevölkerung zugerechnet wurde, 23 Prozent der Arbeiter hatten eine Berufsausbildung.

– Kuba war mit 87 Prozent das am weitesten elektrifizierte Land Lateinamerikas.

– 1953 lebten 57 Prozent der Kubaner in Städten, ein Sechstel davon in Havanna, das damit die drittgrößte Hauptstadt der Welt nach London und Wien im Verhältnis zur absoluten Einwohnerzahl war.

– 1958 hatte Kuba mit 24 die höchste Anzahl von Autos pro 1000 Einwohner in Lateinamerika (Spanien: 6, Japan: 4), ebenso die höchste Dichte an elektrischen Haushaltsgeräten, die meisten Radiogeräte und das längste Schienennetz des Subkontinents.

Soziale Indikatoren:

– Mit 7 Prozent hatte Kuba 1958 die niedrigste Arbeitslosigkeit Lateinamerikas.

– 1957 lag der Selbstversorgungsrad der kubanischen Landwirtschaft bei 75 Prozent.

– 79,9 Prozent der Häuser verfügten über ein Innen-WC.

– Nach Uruguay war Kuba mit einer durchschnittlichen Kalorienzahl von 2870 kcal pro Person und Tag die Nummer zwei des Subkontinents.

– Beim Fleischkonsum lag es hinter Argentinien und Uruguay.

– 1954 kam auf jeden Kubaner statistisch fast eine Kuh (Viehbestand: 6 Millionen), die Milchproduktion lag 1958 bei 800 000 Tonnen.

Gesundheitsversorgung:

– Kuba belegte 1958 mit 32 auf 1000 Geburten Platz zwei bei der geringsten Kindersterblichkeit in Lateinamerika – und lag im weltweiten Vergleich noch vor Frankreich, Belgien, der Bundesrepublik, Österreich, Italien, Spanien und Portugal.

– Mit einem Arzt pro 1000 Einwohner lag Kuba laut UNO-Statistik an der Spitze in Lateinamerika (1957) und vor den USA.

– Mit 35 000 Krankenhausbetten kam Kuba auf ein Verhältnis von einem Bett pro 190 Einwohner und lag damit im Mittelfeld der westlichen Industriestaaten.

Bildung:

– Laut UNO-Statistik (1956) belegte Kuba mit 23,6 Prozent Analphabeten Platz zwei in Lateinamerika (zur gleichen Zeit hatte das benachbarte Haiti 90 Prozent Analphabeten).

– Mit 23 Prozent der Staatsausgaben für Bildung lag Kuba vor Costa Rica (20 Prozent) in Lateinamerika vorn.

– Kuba hatte drei staatliche und drei private Universitäten, 35 000 Lehrer arbeiteten im staatlichen Schulwesen, weitere 3500 in Privatschulen.

Medien:

– Kuba hatte in Lateinamerika eine der höchsten Zeitungsdichten aufzuweisen: 18 Tageszeitungen allein in Havanna, über 60 im ganzen Land, die verbreitetste Wochenzeitschrift Bohemia hatte eine Auflage von 250 000 Exemplaren.

– Schon 1928 sendeten in Kuba 61 Radiostationen, 43 davon allein in Havanna, 1958 gab es 23 Fernseh- und 160 Radiosender.

Elend auf dem Land

So modern, so reich und so entwickelt das Leben in Havanna und den großen Städten Kubas war, so elend waren die Verhältnisse auf dem Land. Die Zuckerwirtschaft gab den Landarbeitern nur drei bis vier Monate Arbeit, die restliche Zeit mussten sie mit dürftigen Erträgen aus eigenen kleinen Beeten überleben.

Eine Statistik gab an, dass ein Landarbeiter am Tag durchschnittlich 25 Centavos (der kubanische Peso stand seit der Unabhängigkeit paritätisch zum US-Dollar) für Essen und Kleidung zur Verfügung hatte. 60 Prozent wohnten in bohíos, Lehmhütten ohne Fußböden, ohne Latrinen, ohne fließendes Wasser. 85 Prozent hatten generell keinen Zugang zu fließendem Wasser, 44 Prozent nie eine Schule von innen gesehen. Licht, Strom, Fernseher oder Kühlschrank waren Fremdworte. So konnten auch keine Lebensmittel über längere Zeit aufbewahrt werden.

Die Ernährung bestand hauptsächlich aus Reis, Bohnen und Kochgemüse. 96 Prozent der Landbevölkerung aßen kein Fleisch – und keineswegs deshalb, weil sie Vegetarier waren. Nur 11 Prozent hatten frische Milch. Vitamine waren ebenso rar wie lebensnotwendige Mineralien in der Ernährung. Statistisch fehlten jedem Landbewohner täglich durchschnittlich 1000 kcal. Die Folgen der Unterernährung waren grassierende Krankheiten wie Tuberkulose oder Typhus.

Doch wohin mit den Kranken? Es gab im ländlichen Raum Kubas nur ein einziges Krankenhaus. Und das bei einer Ost-West-Ausdehnung von rund 900 Kilometern. Havanna hatte dagegen mit nur einem Fünftel der Bevölkerung 65 Prozent aller Ärzte und 62 Prozent aller Krankenhausbetten. Die Kindersterblichkeit auf dem Land war hoch, die Lebenserwartung mit 58 Jahren niedrig.

Havanna als Jackpot der Mafia

Amerikanische Touristen liebten die Insel. In den 20er Jahren lockte sie vor allem der unbegrenzt fließende Rum – zuhause herrschte Alkoholverbot. In den 50er Jahren kamen schon Millionen: Der Weg war kurz und das Vergnügungsangebot riesig. 270 Bordelle hatten sich in Havanna offiziell registrieren lassen, Tausende Frauen arbeiteten als Prostituierte. Für seine wenigen Urlaubstage bekam der Durchschnittsamerikaner in Kuba, was zuhause entweder illegal war oder missbilligt wurde. Susan Sonntag, scharfzüngige Schriftstellerin, beschrieb 1969, was ihre Landsleute an Kuba so geliebt hatten: »Tanz, Musik, Prostituierte, Zigarren, Abtreibungen, Kluburlaub und Pornos«.

In der Aufzählung fehlte allerdings eine weitere wichtige Attraktion: das Glücksspiel. Seit den 20er Jahren schossen die Kasinos in Kuba wie Pilze aus dem Boden. Glücksspiel war das Kerngeschäft der amerikanischen Mafia. Ihr Kassenwart Meyer Lansky musste zunächst feststellen, dass die kubanische Variante vor allem darin bestand, die Kunden übers Ohr zu hauen. Bei der US-Botschaft häuften sich die Klagen über das betrügerische Treiben in den Kasinos. Lansky eröffnete eine Croupier-Schule und beschäftigte später nur noch ausgebildete Kräfte, denn nur so konnte er die wirklich großen Fische anziehen. In seinem »Montmartre« kamen die Blackjack-Karten aus dem Automaten, überwachten professionelle Beobachter das Geschehen.

Havanna wurde zu einem sicheren Ort der Mafia-Paten. In der Vorweihnachtszeit 1946 trafen sich im Hotel »Nacional« die Capos der einflussreichsten Familien unter Vorsitz von Lucky Luciano. Der sollte eigentlich in den USA eine jahrzehntelange Haftstrafe verbüßen, doch die Geheimdienste waren mit der Bitte an Meyer Lansky herangetreten, ob er über seinen Einfluss bei den Hafenarbeitergewerkschaften an der Ostküste mögliche Sabotageakte der Nazis verhindern könne. Lanskys Preis war die Freilassung Lucianos.

Nach Kriegsende wurde Lucky nach Italien deportiert und seine Einreise in die USA auf Lebenszeit verboten. Über Venezuela und Mexiko traf er schon im Dezember 1946 in Havanna ein. Lansky empfing ihn und empfahl, sich mit einem »Eintrittsgeld« von 150 000 Dollar am Hotel »Nacional« zu beteiligen, das ihm gehörte – und seinem stillen Teilhaber, dem kubanischen Expräsidenten Fulgencio Batista. Das Geld war schnell zusammen, denn alle Eingeladenen Capos drückten ihre Ergebenheit mit prall gefüllten Umschlägen für Luciano aus. Auch der Eröffnungsabend hatte es in sich: Als Überraschungsgast trat Frank Sinatra auf. Er kam zusammen mit Al Capones Cousins, die Luciano als Gastgeschenk einen Koffer mit 2 Millionen Dollar überreichten.

Das Spitzentreffen von Havanna – das wichtigste seit dem Gipfel von 1929 in Atlantic City – stellte die Weichen für die weiteren Investitionen im kubanischen Kasinogeschäft, dem weltweiten Drogenhandel und dem Glücksspiel in Las Vegas. Man beschloss, künftig Drogen über Kuba in die USA und Kanada zu verteilen. Luciano sollte für die Kontrolle der Häfen in Kuba sorgen, Lucianos Gewährsleute für die Sicherheit in den Häfen entlang der amerikanischen Ostküste. Auf dem Treffen wurde auch das Todesurteil über Bugsy Siegel, den Verantwortlichen für das Casinogeschäft in Las Vegas, gefällt. Sein »Flamenco« war gefloppt. Monate später wurde er in seinem Haus in Los Angeles hingerichtet.