»Die Sprache der Menschen in diesem Stück ist so, dass sie Verwirrung jeder Art ausdrückt, dass eine Figur nicht wirklich versteht, was die andere meint, jede nur sich selbst ausdrückt … Es ist so, wie wenn Menschen in fremden Sprachen zueinander sprechen würden – ohne sie zu kennen; nur glauben sie, dass sie die Sprache kennen, wodurch eine neue Dimension des Nichtverstehens entsteht.« Elias Canetti über sein Theaterstück Hochzeit
Hanser E-Book
Carl Hanser Verlag
Personen
Vorspiel
Die Hochzeit
Die Gilz, Hausbesitzerin
Toni, ihre Enkelin
Lori, ein Papagei
Thut, Professor
Leni, seine Frau
Der Säugling
Anita, ein besseres Mädchen
Peter Hell, junger Herr mit Blumenstrauß
Gretchen, Geschäftsfrau
Max, ein Mann
Franz Josef Kokosch, Hausbesorger
Seine sterbende Frau
Seine blödsinnige Tochter Pepi
Oberbaurat Segenreich, Brautvater
Johanna, die Brautmutter
Christa, die Braut
Karl, ihr Bruder im dritten Semester
Mariechen, das Jüngste, vierzehnjährig
Direktor Schön, ein Freund
Horch, ein Idealist
Witwe Zart
Dr. Bock, Hausarzt, achtzigjährig
Gall, Apotheker
Monika Gall, seine Frau
Rosig, Sargfabrikant
Anita
Pepi Kokosch
Toni Gilz
Michel, der Bräutigam
1. Bild
2. Bild
3. Bild
4. Bild
5. Bild
Die Gilz, Hausbesitzerin, ihre Enkelin Toni, Lori, ein Papagei.
Eine freundlich gebückte, weißhaarige Frau sitzt an einem altdeutschen Tisch und strickt. Ihre Stube hat Butzenscheiben. Eine Katze spielt mit dem Wollknäuel. Ein Papagei faucht. Herein läuft lustig ein junges Mädchen, blondgezopft, blauäugig, mit zärtlichen, weiblichen, etwas vollen Bewegungen.
Toni: Großmutterle! Großmutterle!
Die Gilz: Bist du es, Kind?
Toni: Ja, i bins, I bin so glaufn. Auf der Stiegen steht ein Mann, der ist ganz bsoffen. Er hat mich küssen wollen.
Die Gilz: Aber, aber, Kind!
Toni: I kann doch nix dafür! Dem sein Mund hat nach Wein gschmeckt. I bin eh gleich furtglaufn.
Die Gilz: Jetzen hast du dich doch net küssen lassen, Kind?
Toni: Die Pussi spielt wieder mit der Wolln! Willst du wohl! Ksch! Ksch!
Die Gilz: Laß die Katz in Ruh!
Toni: Geh i mag di net!
Die Gilz: Was hast du nur alleweil mit der Katz?
Toni: Zache Viecherln sans'. Siebn Leben habens'. Wie's fallt, immer fallts auf d' Füß. Was s' mit der Wolln hat! Alleweil die Wolln. Stricken kanns' do net. Jetzt bist scho alt, Pussi!
Die Gilz: Laß die Katz in Ruh!
Toni: Jetzen gibts kane Pussi net, Pussi! Jetzen schaut a jeder glei weg. Wird einem ja übel, wann mr nur hinschaut! – Großmutterle, wie fühlst dich heuten?
Die Gilz: Besser.
Toni: Besser?
Die Gilz: Vül besser.
Toni: Ja, aber Großmutterle, gestern hast gsagt, du fühlst dich so schlecht. Sterbensübel is dir. Und die Kreuzschmerzen was d' ghabt hast. Du machst es nimmer lang hast gsagt. Keine Luft kriegst alleweil net und das böse Herz. Ein Herz mueß mr haben hast gsagt, ohne ein gesundes Herz kommt ein Mensch net weit und der Doktor meint auch.
Die Gilz: Heut is besser.
Toni: Großmutterle, weißt noch, gestern mit die gschwollenen Füß, nicht aufstehn hast können!
Die Gilz: Heut kann i.
Toni: Großmutterle, i glaub, du lüegst. Weil gehn kannst ja do net.
Die Gilz: I kann scho.
Toni: Geh zeig!
Die Gilz: I wüll net.
Toni: Sigst es, so redst alleweil daher!
Die Gilz: In mein Haus kann i redn wiar i wüll.
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Jö, die Lore! Fangst schon wieder an, Rabenvieh!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Großmutterle, die deinige Hausbesorgerin unten, die stirbt a schon. Grad hab i einigschaut. Die schaut aus, sag i dr, zum Wegschaun, an Totenschädel is schener.
Die Gilz: Die is scho alt.
Toni: Die liegt jetzen schon eine ganze Wochen im Sterben und bringt's net zusamm. Der Hausbesorger, was ihr Mann is, betet und schreit, so verzweifelt ist dir der Mensch.
Die Gilz: Kein Wort bringt die nicht mehr heraus. Die is scho gar alt.
Toni: Was glaubst, wie alt ist sie, Großmutterle?
Die Gilz: Die muß scho sein: bald 75!
Toni: Da bist du do jünger, Großmutterle?
Die Gilz: I bin 73. Kannst ausrechnen. Die ist gleich zwölf Jahr älter.
Toni: Zwei Jahr willst sagen.
Die Gilz: Zwölf. 75 und 73, das macht 12.
Toni: Zwei macht des. Du kannst ja net rechnen, Großmutterle.
Die Gilz: I scho. Du net. Des macht zwölf!
Toni: Na, zwei.
Die Gilz: Zwölf! Zwölf!
Toni: I wer do net lüegn, weil du's bist, Großmutterle.
Die Gilz: Den Rechenlehrer mecht ich kennen, den was du ghabt hast.
Toni: Weißt was, mir fragen wem andern! Den Professor vom Gymnasium der was nebenan wohnt.
Die Gilz: Na.
Toni: Sigst es!
Die Gilz: In mein Haus kann i rechnen, wiar i wüll.
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Großmutterle, herst was? Na, du herst ja nimmer nix.
Die Gilz: I her scho.
Toni: Des glaub i dr net. Geh sag, was herst denn jetzen?
Die Gilz: An Dunner her i.
Toni: In Dezember an Dunner! In Dezember an Dunner! Ja, Großmutterle, du bist scho ganz taub. Des is do d' Musi von der Hochzeit im ersten Stock. Die Christa Segenreich hat heut ihre Hochzeit.
Die Gilz: Hochzeit gibts kane. I her an Dunner.
Toni: I mecht aa so a Musi, wann i heiraten tu. Die haben glei sechs Musikanten auf einmal.
Die Gilz: Is net wahr!
Toni: Herst?
Die Gilz: An Dunner her i.
Toni: Jetzen bist du schon ganz taub.
Die Gilz: In mein Haus kann i hern was i wüll.
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Weißt, schad is scho, Großmutterle, daß du des nimmer erleben wirst, wann i heiraten tu. Dafür krieg ich des Haus, gell, Großmutterle, und mein Mann was sein wird und ich, mir gedenken denn alleweil dein.
Die Gilz: Was hast gsagt, Kind?
Toni: Gell, das Haus, des krieg i, Großmutterle?
Die Gilz: I kann di gar net verstehn. I her nix.
Toni (lauter): Wannsd' amal nimmer da bist, das Haus!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Die Gilz: Die Lore schreit grad so. Ich versteh nix.
Toni: Das Haus, sag i, das Haus!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Jetzt hörst scho auf, tepperter Papagei, gscheckerter!
Die Gilz: Was hast alleweil mit dem Lorle, so lieb is'.
Toni: Net schmecken kann ichs, das Luder, wanns d' nimmer da bist, ich erwürgs! Verstehst mi net, das Haus! Das Haus!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: I kumm do alleweil auf Besuch. I schau alleweil nach dir. Die Resl, die kommt nie! Da mecht i doch das Haus zum wenigsten, das d' mir das Haus laßt. Die Resl die brauchts net, das Haus! Die Resl die hat scho an Mann!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Verstehst no net? (weinend) Das Haus! Haus! Haus!
Papagei: Haus. Haus. Haus.
Toni: Jeden Tag is dieselbe G'schicht mit dem Papagei, Haus! Haus! Haus!
Papagei: Haus! Haus! Haus! (Beide immer lauter, sie überschreien sich, das Mädchen läuft schluchzend weg)
Die Gilz (hat während des Lärms zu stricken aufgehört, die eine Hand ans Ohr gelegt und ihre Enkelin mit der verständnislosesten Miene von der Welt angeblickt. Kaum ist das Mädchen weg, verstummt der Papagei. Die Alte hebt sich, schleicht mühselig zum Käfig und steckt einen Finger in den Schnabel des Vogels): I leb alleweil no.