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Über die Autoren

Tobias Schuffenhauer ist seit 2003 Radio-Redakteur bei ERF Medien in Wetzlar. Der Umgang mit Worten ist seine große Leidenschaft – er betreibt einen Blog mit Lyrik und Geschichten und produziert Hörspiele und Hörbücher mit der TOS-hörfabrik, die er zusammen mit seinem Kollegen Tobias Schier betreibt. Mit den „5 Geschwistern“ hat er lesen gelernt und später, als Jugendlicher, zusammen mit seiner Schwester neue Abenteuer erfunden. Dass er sich jetzt ganz offiziell neue Geschichten ausdenken darf, ist die Erfüllung eines Kindheitstraums. Tobias Schuffenhauer ist verheiratet und lebt in Hüttenberg bei Wetzlar.

Tobias Schier ist Mitbegründer und Leiter des Radiosenders ERF Pop von ERF Medien. Er hat Germanistik und Medienwissenschaften in Düsseldorf studiert und war acht Jahre lang beim WDR im Bereich Hörspiel- und Featureproduktion tätig. Schon als Siebenjähriger hat er erste Schreibversuche unternommen. Im Teeniealter kamen dann Gedichte und Kurzgeschichten dazu. Seine Kinder schließlich weckten die Lust am Schreiben wieder. Tobias Schier lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Wetzlar.

www.5Geschwister.de

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ACTION IN DER NACHT

DAS GEHEIMNISVOLLE RÄTSEL

AUF SCHATZJAGD

MISSERFOLG

DIE SITUATION SPITZT SICH ZU

DES RÄTSELS LÖSUNG

Anmerkungen

Klick. Alexander stöhnte. Klick. Viel zu laut atmete er durch die Nase ein. Klick. Gedankenverloren ließ er den Druckknopf des Kulis auf seinen Oberschenkel hinabsausen. Klick. Alexander saß mit Hans-Georg, Esther und Petra im Wohnzimmer des Pfarrhauses und schaute aus dem Fenster auf den alten Birnbaum, der vor dem regenverhangenen Himmel genauso traurig aussah, wie er selbst sich gerade fühlte. Klick. Seine ältere Schwester Esther, die ihm gegenübersaß, blickte auf.

„Alex, jetzt reicht es. Du machst mich ganz nervös mit deinem … diesem … Geklicke.“

„Oh, sorry. Es ist nur …“ Alexander legte seinen Kopf in den Nacken und seufzte tief. „Mir ist so langweilig! Dass wir uns dieses Jahr so gar nicht auf ein Urlaubsziel einigen konnten … ich geh kaputt.“

Petra legte ihre Pferdezeitschrift zur Seite. „Urlaub auf Balkonien hatten wir aber noch nie. Wir können ja mal in einen Freizeitpark gehen oder einen Ausritt machen, statt durch die Weltgeschichte zu touren.“

„Oder wir schlafen mal eine Nacht hier auf dem Friedhof, Alex. Gruselig …!“ Hans-Georg versuchte die Stimmung bei seinem kleinen Bruder zu heben. „Das wäre doch mal cool, oder?“

„Ja, ich weiß. Habt ihr ja alles schon mehrfach gesagt. Aber ein Urlaub so ganz ohne Abenteuer – könnt ihr euch das …?“

„Hey!“ Marianne unterbrach den Jüngsten und drückte die Schiebetür beiseite, die das Wohnzimmer vom Esszimmer trennte. Sie strahlte übers ganze Gesicht und ihre Augen blitzten vor Freude und Abenteuerlust. „Ihr glaubt ja nicht, wer mir heute geschrieben hat!“

Alexander wollte sich nicht so schnell von ihrer Freude anstecken lassen und schaute sie gelangweilt an. „Du wirst es uns sicher gleich verraten!“

„Meine alte Brieffreundin Jaqueline.“

Mit einem Mal saßen ihre vier Geschwister aufrecht in den gemütlichen Sesseln. Jaqueline – damit hatten sie nicht gerechnet. Sie hatte Marianne und ihre Geschwister vor ein paar Jahren in ein altes Herrenhaus nach Frankreich eingeladen – inklusive Abenteuer mit überraschendem Erbe, denn es stellte sich heraus, dass sie die Tochter eines Grafen war.

„Ihr schreibt euch noch Briefe?“, schaute Esther, die Drittjüngste, Marianne fragend an. Doch bevor die Älteste antworten konnte, wiegelte Alexander schon ab.

„Quatsch, Esther. Gibt doch E-Mails. Wer schreibt denn heute noch Briefe? Das ist doch …“

„Nein, nein. Wir schreiben tatsächlich immer noch Briefe.“ Damit hielt sie drei handbeschriebene Zettel hoch, die mittig gefaltet waren.

Marianne hüpfte fast die zwei, drei Schritte zur Sitzgruppe, pflanzte sich freudestrahlend neben Petra auf die Couch, verschränkte ihre Beine zum Schneidersitz und faltete in ihrem Schoß die Blätter auseinander.

Bevor sie fertig war, brachte Hans-Georg schon die nächste Frage hervor: „Und? Wo gehts hin?“

„Wie jetzt?“

„Na ja, ein Brief – auch wenn er von Jaqueline kommt – ist ja jetzt nicht so hip, dass du hier so aufgeregt Rabatz machen müsstest. Da muss schon mehr dahinterstecken …!“

Marianne staunte immer wieder über die Auffassungsgabe ihres kleinen Bruders. Sie zwinkerte ihm geheimnisvoll zu und wandte sich dann wieder dem Brief zu. „Ja, es stimmt. Sie hat gefragt, ob wir ihr helfen könnten.“

„Halleluja!“ Alexander klatschte mit beiden Händen über seinem Kopf zusammen. Seine braunen Haare hüpften dabei auf und ab, so sehr freute er sich.

„Also haben wir doch noch ein Reiseziel für dieses Jahr gefunden: Südfrankreich!“ Esther seufzte erleichtert. Sie war froh, dass Alex nun nicht mehr den ganzen Sommer mit dem Kuli klicken würde …

„Ah – fast! Wir werden auf eine Insel fliegen. Es geht 600 Kilometer westlich vor die Küste Chiles. Auf die Juan-Fernandez-Insel oder auch Robinson-Crusoe-Island.“

„Oh, wer war das noch gleich?!“ Alexander ahnte, dass er hier wohl eine große Wissenslücke hatte. „Ein Politiker? Irgendeine Berühmtheit, oder?“

Petra schüttelte den Kopf. „Mensch, Alex! Robinson Crusoe! Nein?!“

Esther half ihrem Bruder auf die Sprünge: „Schiffbrüchiger? Landet auf einer Insel – kämpft gegen Kannibalen, lernt Freitag kennen und kann erst nach Jahren fliehen …?“

Alex’ Blick war ein einziges Fragezeichen. „Wie jetzt?! Gab es vorher nur vier Wochentage? Ist er der Erfinder des Freitages?“

Jetzt seufzte auch Hans-Georg. „Nee … Freitag war ein Mensch!“

„Ach so, Moment – ich hatte den Namen nicht mehr im Kopf: Ihr meint Cast away – den Film mit Tom Hanks und diesem Volleyball?!“

Marianne, die ein Fan von guter Lektüre war, verdrehte die Augen. „Im Grunde ja – nur das Original! Wie auch immer – Jaqueline ist ja zurück in die USA gegangen, um dort zu studieren. Sie studiert Geoarchäologie, das ist Gesteinsforschung. Momentan machen sie eine Exkursion auf ebendieser Insel. Und wir sollen ihr helfen bei ein paar merkwürdigen Dingen, die dort auf der Insel passieren …“ Sie dehnte die letzten Worte, um die genaue Textstelle in ihrem Brief zu finden. Doch bevor sie die Stelle gefunden hatte, setzte Petra an: „Du brauchst gar nichts weiter zu sagen, Marianne!“

Und Hans-Georg ergänzte: „Das wird ein großartiges Abenteuer!“

***

„Bitte … was …? Was wollt ihr?“, fragte die Mutter mit riesigen Augen. Sie konnte gar nicht glauben, was sie da gerade von ihren Kindern gehört hatte. Schnell stellte sie den Teller, den sie gerade abgetrocknet hatte, wieder auf den Tisch, bevor sie ihn vor Schreck fallen ließ.

„Bitte! Oh bitte, Mama!“ Alexander schaute sie mit einem bettelnden Hundeblick an. „Das wäre so dermaßen cool!“

„Wisst ihr denn überhaupt, welche Impfungen ihr dafür braucht? Das ist Südamerika – da können noch ganz andere Krankheiten auf euch warten, als ihr sie hier aus Deutschland kennt.“

„Wir gehen alle vorher noch brav zum Arzt, Mama!“ Marianne wusste um die Verantwortung, die sie bei ihren Reisen übernehmen musste. Und bisher war auch noch nie etwas Schlimmes passiert. Gut … schlimm ist relativ, dachte Marianne. Man sollte dabei außen vor lassen: Entführung, Bedrohung durch Schusswaffen, Drogenmafia, … Aber das musste sie jetzt natürlich nicht alles vor ihrer Mutter ausbreiten und sie wieder daran erinnern.

„Und wie wollt ihr das bezahlen? So ein weiter Flug kostet schließlich eine Menge Geld“, bohrte die Mutter weiter nach, die schon ahnte, dass sie ihre abenteuerlustigen Kinder von ihrem Vorhaben nicht mehr abbringen konnte.

„Jaqueline meinte, dass sogar noch Fördergelder der Uni frei sind, die verbraucht werden müssten und zumindest unsere Flüge bezuschusst werden könnten.“ Esther setzte einen treuherzigen Blick auf.

„Na gut, ihr Lieben. Aber du bringst mir deine Geschwister alle wieder heil nach Hause, Marianne!“

„Wie immer.“

„Danke Mami! Du bist die Beste!“ Alexander fiel seiner Mutter um den Hals. Fast wäre sie nach hinten umgefallen. Alexander war zwar der Jüngste, aber nicht mehr der Leichteste …

Sie lachte und umarmte ihre Kinder.

***

Die Mutter wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und nahm ihre Kinder in den Arm. Der Abschied am Flughafen in Frankfurt am Main war lang und innig. Jetzt musste sie ihre fünf ziehen lassen. Ganz wohl war ihr immer noch nicht bei dieser Sache. Aber sie wusste, dass sie ihre Kinder auch nicht vor allen Gefahren im Leben behüten konnte. Das konnte nur Gott. Und so bildete die ganze Familie mitten im chaotischen, lauten Gewirr von umherhastenden Menschen auf dem Flughafen einen Kreis. Der Vater sprach ein Gebet.

„Guter Gott, lieber Vater im Himmel. Danke, dass du meine Kinder so begabt hast. Dass sie so viel Abenteuerlust haben und schon so viele Rätsel und Ungerechtigkeiten gelöst und aufgeklärt haben. Ich bitte dich, dass du sie jetzt auf der langen Reise bewahrst und auch auf der Insel, wo sie nicht wissen, was da auf sie zukommt. Lass sie zum Segen werden, selbst wenn sie das Rätsel nicht lösen sollten. Ich bitte dich, dass du sie begleitest und ihnen immer wieder deinen Frieden und Trost schenkst. Amen.“

„Amen!“ Die fünf Geschwister umarmten noch mal ihre Eltern und gingen dann mit ihrem Handgepäck durch die Sicherheitskontrolle.

Sie flogen mit einer großen Boeing 747. Im Sitz des Vordermanns war für jeden Passagier ein kleiner Bildschirm eingebaut. Dort konnten die Geschwister Filme schauen, was besonders Alexander freute. Oder ihren aktuellen Standort begutachten, was wiederum Esther faszinierte. Länger als einen Tag würden sie unterwegs sein, bis sie ihr Ziel erreicht haben würden. Eine sehr lange Zeit. Marianne las noch ein weiteres Mal Robinson Crusoe, passend zur Insel, auf die es jetzt ging – eine Insel aus längst vergessener Zeit.

Robinson Crusoe war – wie die fünf Geschwister selbst – ein Abenteurer gewesen. Fernab der Heimat. Auf einer einsamen Insel, im Dschungel. Irgendwo dort im Dickicht hatte er sein Lager aufgeschlagen. Hatte sich Fallen und Waffen ausgedacht, um die Kannibalen fernzuhalten, die immer wieder auf seine Insel kamen.

War er jetzt vielleicht wieder zurückgekehrt? War sein Geist auf der Suche nach Frieden an diesem menschenfeindlichen Ort? Da stand er plötzlich vor Marianne, zückte sein gebogenes Schwert und holte aus – die langen, zotteligen Haare wirbelten um seinen Kopf und …

Marianne riss die Augen auf.

„Hallo!? Du tust mir weh!“

„Oh, entschuldige, Petra.“ Marianne hatte panisch mit ihrer Hand nach Petras Oberarm gegriffen. „Ich habe wohl …“

Petra legte ihr Buch über Gesteine neben sich. „Einen Albtraum gehabt? Ja, klang so!“

„Sorry!“ In Mariannes entschuldigendem Blick war auch ein Hauch Erleichterung zu erkennen.

„Kein Problem!“ Petra grinste. „Du hast nur etwas vor dich hin gewimmert … nix passiert! Hast du etwa von Robinson Crusoe geträumt?“

„Gewimmert? Puh … äh, ja, das habe ich.“

Jetzt mischte sich Hans-Georg ein, der rechts neben Marianne am Fenster saß: „Ich habe dir schon immer gesagt, dass Lesen nicht so gut ist.“

„Ach, aber deine unheimlichen Serien, die du immer guckst?! Nee, danke!“

Esthers Nase lugte durch die Ritze zwischen den beiden Vordersitzen hindurch. „Ich hab auch gelesen. Historisch hat die Insel nämlich echt viel zu bieten: Juan Fernandez, ein spanischer Seefahrer, entdeckte die Insel im 16. Jahrhundert. Sie war von da an Schauplatz von so manchen Kämpfen vom 17. bis ins 19. Jahrhundert gewesen. Piraten gegen Spanier, Spanier gegen südamerikanische Ureinwohner, gegen Portugiesen, gegen Briten …“

„Und einer von den Briten war der Romanheld Robinson Crusoe, der dann irgendwann Pate für die Insel wurde“, warf Marianne ein.

„Ja. Und wisst ihr was? Sogar ein gesunkenes deutsches Kriegsschiff befindet sich vor der Insel und ist von der chilenischen Regierung zum Nationaldenkmal ernannt worden.“

„Cool!“ Das kam natürlich von Alexander, der neben Esther in der Reihe am Fenster saß.

Es knackste kurz im Lautsprecher über ihnen und dann meldete sich die Stimme des Piloten: „Sehr geehrte Damen und Herren, die aktuelle Ortszeit ist sieben Uhr achtundzwanzig. Sie bekommen in Kürze noch ein Frühstück vom Bordpersonal serviert und in circa einer Stunde befinden wir uns dann im Luftraum von Santiago, Chile. Das Wetter am Zielort ist hervorragend. Klarer Himmel, Sonnenschein, fünfunddreißig Grad im Schatten. Wir melden uns dann kurz vor der Landung noch einmal von hier vorne. Ladies and Gentlemen, it’s 7:28 a.m. and …“

Hans-Georg hörte nicht weiter zu, es kam eh nur noch die englische Übersetzung. Er schaute aus dem Fenster und freute sich an der beeindruckenden Landschaft, die so winzig wirkte aus 10 000 Metern Entfernung.

Am Flughafen von Santiago mussten die fünf Geschwister dann eine Stunde warten, bis sie mit einer kleinen zweimotorigen Maschine weiterflogen zur Insel, die 600 Kilometer weiter draußen im Pazifischen Ozean lag. Außer ihnen war sonst kein weiterer Passagier an Bord. Und als sie das Flugzeug verließen, wussten sie auch warum: Der Flughafen bestand aus einem etwas größeren Lehmgebäude und einer Schotterpiste, die zwar mal geteert worden war – „Aber vor Urzeiten“, wie Hans-Georg naserümpfend anmerkte.

Von hier aus ging es dann in einem rot-weißen Kutter, den Petra aufgrund seines Alters von der ersten Sekunde an skeptisch ansah, einmal um die halbe Insel herum, nach San Juan Bautista – ein beschauliches Örtchen, das in einen halb geöffneten Vulkankessel hineingebaut war.

Alle fünf standen auf dem Oberdeck an der Reling und bestaunten die gewaltige, imposante Insel. Lief die Insel zur Küste hin wüstenartig aus, so erstreckte sich im Innern ein in sattes Grün gehülltes vulkanisches Gebirge, das fast tausend Meter hoch war.

„Der beste Schauplatz für ein neues Abenteuer.“ Alexander nickte selbstbestätigend.

„Unsere Schatzinsel!“, ergänzte Petra, die sich an „ihre“ Abenteuerburg erinnert fühlte.

„Schatzinsel? Ja, das ist sie wirklich!“ Die fünf drehten sich überrascht um.