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Kurt Kaeres

Das verstummte Hurra

Hürtgenwald 1944/45

Helios

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Das gedruckte Buch ist in der 6. Auflage 2010

im Helios-Verlag unter der ISBN 978-3-933608-50-5 erschienen.

eISBN 978-3-86933-168-3

Für Brigitte

Colonel Jerry Alexis

Lieutenant Colonel Raymond E. Fleig

Lieutenant Colonel William O. Hickok, 5th

Lieutenant Colonel Douglas E. Nash

Colonel Richard O. Troy

Hans Stefan Wegener

Dies ist die Geschichte zweier Einheiten, einer deutschen und einer amerikanischen, die durch die Hölle des Hürtgenwaldes gingen – gleichzeitig ist es die Geschichte eines Waldes, in dem das kampfermutigende „Hurra“ verstummte.

Die Handlung dieses Buches geht auf die Kämpfe und das Erleben in der Nordeifel, Oktober 1944 bis Februar 1945, zurück. Auf eine Wiedergabe von Ereignissen unter Anlegen präziser kriegshistorischer, strategischer und/oder taktischer Maßstäbe wurde zugunsten der Handlung und der verschiedenen Einzelschicksale verzichtet.

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen des Autors

Vorbemerkungen des Autors zur Neuauflage

Prolog – 1984

Die Ereignisse 1944/45

Interludium – 1946

Epilog – 1984

Alphabetisches Verzeichnis von Begriffsbestimmungen und Abkürzungen

Vorbemerkung des Autors

Mit Ausnahme weniger Szenen wurde dieses Buch in der Sprache und Philosophie von Menschen, die durch die letzten Kriegsjahre geprägt wurden, verfasst, insbesondere der 18- und 19-jährigen Soldaten. Demzufolge soll „Das verstummte Hurra“ den Leser nicht zu einer retrospektiven Betrachtung der Ereignisse veranlassen, sondern ihn hineinversetzen in das Handeln und Denken von Menschen, in Ereignisse, in Orte, in wiederauflebende Vergangenheit, um ihn teilhaben und daraus lernen zu lassen.

Es hat den Anschein, als ob die Erlebnisse und äußeren Einflüsse gerade des achtzehnten Lebensjahres den Menschen besonders beeindrucken, ihn besonders formen, ihm eine Richtung in die Zukunft aufzeigen. Vielleicht sollen die Erinnerungen an diesen Lebensabschnitt, zwischen Jung-, Unbefangensein und Erwachsenwerden, besonders glücklich, sozusagen eine Reserve sein, auf die der Mensch zurückgreifen kann, wenn ihm das Leben später Enttäuschungen bereitet oder ihn besonders hart anfasst. – Vielleicht – wir wissen es nicht.

Befragungen haben ergeben, dass Angehörige der Jahrgänge 1926 und 1927 Ereignisse und Erlebnisse der Kriegsjahre 1943/44/45 bis heute noch nicht völlig verarbeitet haben – dass sie in ihnen immer wieder lebendig werden.

Fest steht, in irgendeiner Ecke unseres kaum erklärbaren Ichs halten wir gerade die Erinnerungen an das achtzehnte Lebensjahr besonders wach, selbst gegen den Versuch, sie wegzustecken oder ganz zu löschen.

„Und auf einmal – steht es neben dir“, unaufgefordert, ungerufen, ob herbeigewünscht oder verbannt. – Inhalte des achtzehnten Lebensjahrs. Sie begleiten uns, melden sich immer wieder.

Irgendwie bleiben wir alle achtzehn! – Und wahrscheinlich ist das gut so, immer vorausgesetzt allerdings, dass wir viele glückliche Erinnerungen an gerade dieses Lebensjahr bewahren.

Kurt Kaeres
Im Hürtgenwald, Herbst 1984

Vorbemerkung des Autors zur Neuauflage

Seit dem Jahre 1985, in dem dieser Roman erstmals ver- öffentlicht wurde, ist beinahe eine neue Generation herangewachsen. Die Reihen der Kriegsteilnehmer hingegen lichteten sich zusehends, damit die der Zeitzeugen, die von ihrem Erleben aus diesen grausigen Tagen zu berichten vermochten. Nur, ist dies überhaupt gefragt? Schließlich ist doch alles schon so lange her. Warum sich da, wo einem das Leben sowieso schon schwer genug gemacht wird, mit Dingen, die einen zusätzlich belasten könnten, herumplagen? Hinzu kommt, dass es oft den Anschein hat, als klängen die persönlichen Schilderungen reichlich übertrieben. So schlimm hatte es doch eigentlich gar nicht sein können, oder? – Außerdem fand der Krieg, bis auf die schweren Luftangriffe und die letzten Kriegsmonate, meist fern der Heimat statt.

Und der Hürtgenwald, wer kennt ihn schon, weiß schon, dass dort monatelang in Matsch, Nässe und eisiger Kälte auf beiden Seiten hart und äußerst verlustreich gekämpft wurde, in einem Krieg, der eigentlich wie alle Kriege sinnlos war, dessen Fortsetzung aber von einer gewissenlosen obersten politischen Führung mit brutalsten Mitteln erzwungen wurde.

Wenn wir heute in einem demokratischen Rechtsstaat leben, so sind sich viele dessen gar nicht bewusst, wie schnell eine verhältnismäßig kleine Clique fragwürdiger Politiker die Herrschaft über ein ganzes Volk zu erzwingen vermag. Die Verteidigung des Hürtgenwaldes verlängerte einen Krieg, der bereits verloren war, aber was den verbrecherischen Parteipolitikern viel wichtiger erschien, er verlängerte ihr Leben. Hürtgenwald, eine Schlacht, die es nie gegeben haben sollte, denn, strategisch gesehen, rechtfertigte sie in keiner Weise die Bindung und Opferung derart starker Armeeverbände. So äußerte sich ein amerikanischer Kriegsteilnehmer. Todesfabrik, die grüne Hölle, waren Bezeichnungen amerikanischer Soldaten für diesen Wald. Die Erinnerung wach halten, an die deutschen und amerikanischen Soldaten, die dort kämpften, vielleicht für immer gezeichnet wurden oder gar ihr Leben verloren, darin sehe ich den Sinn der diesmal illustrierten* Ausgabe des Buches, in dem in Wort und Bild nichts beschönigt werden soll, einfach, um die Verherrlichung des Krieges ad absurdum zu führen.

Kurt Kaeres, 2002

* Anmerkung des Verlages: Auf die Abbildungen wurde in diesem E-Book verzichtet. Sie sind der gedruckten Ausgabe vorbehalten.

Und auf einmal merkst du äußerlich:
Wie viel Kummer zu dir kam, Wie
viel Freundschaft leise von dir wich,
Alles Lachen von dir nahm.

(Joachim Ringelnatz,
Und auf einmal steht es neben dir)

Prolog – 1984

Flughafen Düsseldorf. Ankunft der Lufthansamaschine aus München. Die Passagiere verlassen das Flugzeug, begeben sich zu den Ausgängen.

Ansage: „Gepäck, Lufthansaflug 934 aus München, auf Band 2!“

Walter Morras, 57 Jahre, Geschäftsführer einer kleineren Maschinenfabrik in Süddeutschland, ortet seinen Koffer auf dem Transportband und strebt dem Schalter einer Mietwagenfirma zu. Ein paar Formalitäten, dann übernimmt er den Wagen, steuert ihn durch die Düsseldorfer Innenstadt auf den südlichen Zubringer, über die Leverkusener Autobahn nach Köln.

Für seine Familie, Freunde, und Bekannten zählt Morras zu den Leuten, deren Terminkalender kaum noch Lücken aufweisen.

Bei den Fluggesellschaften, auf den Routen in die USA, nach Australien, dem Fernen Osten oder den Staatshandelsländern, ist er als Stammfluggast gern gesehen. Seine deutschen und ausländischen Kunden halten ihn für einen Geschäftsmann internationalen Zuschnitts, der sich überall in der Welt zurechtfindet, ja überall zu Haus sein könnte. Etwas zu ernst und unpersönlich vielleicht, meinen sie, aber kompetent und unbedingt zuverlässig. Nur selten sitzt Morras am Schreibtisch im Werk. Termine in Stuttgart lösen Verhandlungen in Frankfurt, Düsseldorf oder Köln ab. Anschließend Besprechungen in Dortmund, Hannover, Hamburg oder eine Auslandsreise. Für die Familie bleibt wenig Zeit. – Noch weniger Raum bleibt, um sich der eigenen Person, dem Menschen Walter Morras, zu widmen.

Gespräch mit einem Zulieferanten in Köln. Zurück auf die Autobahn, nach Aachen.

Dunkelgrau, nur durch das grüne Band des bepflanzten Mittelstreifens unterbrochen, durchzieht die Europastraße 5 das Grenzgebiet zwischen Rhein, Rur und Maas, von Köln in Richtung Aachen.

Flaches Gelände, Äcker, Wiesen und Waldgebiete, noch im frischen Grün des späten Frühlings.

In der Ferne, zur Linken, heben sich verschwommen, allmählich deutlicher werdend, erst in blassem, kaum wahrzunehmendem Grau, das in Hellblau überwechselt und jetzt in kräftiger Blauzeichnung die Konturen der Nordeifel gegen den klaren blauen Himmel ab.

Die Leitlinienmarkierung weist den Weg nach vorn, geradewegs zum Horizont. In frischerstandenem Weiß, den Gesetzen der Perspektive gehorchend, verengen sich die Markierungsstriche mit zunehmender Entfernung; sind schließlich nur noch als dünne Linie wahrnehmbar. Blaue Tafeln zeigen in weißer Schrift die einzelnen Abfahrten und die in dieser Richtung liegenden Orte an.

Noch zwanzig Kilometer bis Aachen.

Wäre ich doch besser mit der Bahn gefahren, denkt Morras. Hätte eigentlich auch andere Dinge erledigen können. Die Verhandlungen in Köln und Aachen sind zwar wichtig, aber wiederum nicht so wichtig, als dass sie nicht auch einer meiner leitenden Herren hätte führen können.

Jetzt fahre ich hier durch die Gegend, lasse die Landschaft an mir vorbeigleiten, ganz gegen meine sonstige Gewohnheit. Normalerweise benutze ich das Auto nur auf Kurzstrecken oder Urlaubsfahrten.

Die Nordeifel, da drüben! – Dort, wo der Fernsehturm, zu sehen ist, da vor dem Abhang müsste Gey liegen. Dahinter Großhau, Kleinhau, Hürtgen, Vossenack, die Kallschlucht. Zu deren anderer Seite der Buhlert, Kommerscheidt und Schmidt.

Ausgerechnet diese Namen musste ich mir merken – warum eigentlich? Erinnerungen an Ereignisse, die lange, vierzig Jahre etwa, zurückliegen, aber nicht verdrängt wurden. Im Gegenteil, die immer wieder lebendig werden.

Schatten der Vergangenheit, die plötzlich größer werden, länger und dunkler. Die mich einfangen, mich umgeben wie die Mauer eines alten Turms oder Brunnens.

Filme, die sich, bin ich mit meinen Gedanken und Träumen allein, automatisch abspulen, ohne dass ich es verhindern könnte.

Szenen aus jenen grausigen Tagen werden erneut vor dem geistigen Auge projiziert: Der Tod der Kameraden. – Der Panzerschütze. – Der abgeschossene amerikanische Pilot. – Tiefschürfende Gespräche mit Schmolke. – Die Nässe, der Matsch, der Winter, die bittere, beißende Kälte. Meist werde ich aus der Zuschauerrolle herausgerissen, werde in die Handlung miteinbezogen, sehe, erlebe mich selbst – schreie manchmal entsetzt auf.

Die anderen Mitwirkenden in diesen Filmen?

Da waren zunächst die eigenen Kameraden. Sie existieren nur noch auf einigen abgegriffenen vergilbten Fotos oder als Namen auf einem der Soldatenfriedhöfe hier in der Eifel oder drüben in Belgien, aber auch das ist recht ungewiss.

Die Akteure auf der anderen, der gegnerischen Seite – die Feinde? Seltsam, ihre Plätze werden durch Amerikaner, die er in der Kriegsgefangenschaft oder später als Geschäftsmann kennenlernte, eingenommen. Entweder langjährige Bekannte oder gar Freunde oder aber Menschen, denen er drüben nur kurz begegnete, mit denen er kaum ein paar Worte wechselte.

Zur ersten Kategorie zählte der bullige Henry, Henry C. Walsh, von der First National. Er schlüpfte in die Rolle eines Obersten, Kommandeur eines amerikanischen Infanterieregiments in der Nordeifel. Aber auch sein Anwalt in New York, Howard B. Williams, der als Major ein Bataillon in eben demselben Regiment kommandierte. Der freche Corporal polnischer Abstammung im Kriegsgefangenencamp. Der Sohn des Farmers, dem er als Kriegsgefangener, als Piodabbeljuh, zugeteilt war – oder der arrogante, einsilbige New Yorker Taxifahrer in der Rolle eines Militärpolizisten. Der fiel zweifelsohne unter die zweite Kategorie.

Oder George S. Philipps.

Auf der letzten Reise nach Vietnam. Wann war das noch, 65 oder 66? – Richtig, Frühjahr 66. Das kleine schäbige, schummerige Hotel L‘Admiral auf Saigons Rue Catinat. – Herberge für Kurzurlauber, Geschäftsreisende, für Armeen von Kakerlaken aller Größen, von den kleinen, etwa einen halben Zentimeter messenden gierigen, die im Laufe einer Nacht – einen Stapel Wäsche durchlöchern, bis zu den großen, etwa vier Zentimeter langen, die wohl. vornehmlich darauf bedacht sind, neue Armeen von unersättlichen Fressern zu zeugen.

Hotel L‘Admiral, Absteige für kurz verweilende Gäste mit ihren Liebschaften, für ein paar Stunden oder eine Nacht, und für diejenigen, die nicht in den großen Hotels Caravelle und Continental unterkommen konnten.

Morras gelingt es, einen Tisch in der Halle zu ergattern, zwischen angetrunkenen amerikanischen Soldaten und den herausfordernden Blicken aus mandelförmigen Augen lokaler Schönheiten.

Ein mürrisch einherschlurfender Kellner nimmt seine Bestellung auf. Eine Flasche Bier, in Cholon gebraut, ein noch tropfendes Glas werden auf die schwarze Kunststoffplatte des kleinen Tisches gestellt, als der Oberst zusammen mit einem anderen amerikanischen Offizier die von Alkoholdunst, Zigarettenrauch und menschlicher Ausdünstung geschwängerte Hotelhalle betritt.

Er sieht ihn heute noch vor sich, wie vor fast zwanzig Jahren. Langaufgeschossen, das auch ihm wohl bekannte Abzeichen einer amerikanischen Infanteriedivision am Ärmel. Ein kleines, beinahe scheues, wohl entschuldigendes Lächeln zu ihm herüber, das sich wahrscheinlich mehr auf den Tisch bezieht, den einzigen in der Halle, an dem noch zwei Plätze frei zu sein scheinen.

Die beiden nehmen Platz.

Unauffällige, musternde Blicke aus den Augenwinkeln.

Morras registrierte – ein Mittvierziger, schmales von Sommersprossen übersätes, zerfurchtes Gesicht, ein rötlicher Haarschopf. Das eine Auge, das linke, ist aus Glas, gut gemacht, aber auf kürzere Distanz doch nicht zu übersehen und irgendwie irritierend.

Mit Amerikanern kommt man schneller ins Gespräch als mit den eigenen Landsleuten.

Fragen werden gestellt, nach dem Woher und Warum in Vietnam. Gemeinsame Berührungspunkte werden aufgedeckt – die Stationierung in Süddeutschland, Orte, Sehenswürdigkeiten, Hotels, Restaurants, Golfplätze.

Austausch von Familienfotos.

Einschätzen des Alters.

Dann die Frage des Obersts:

„Waren Sie auch im Krieg?“ – Korea und Vietnam schien der Oberst nicht als Krieg zu werten. –

„Im letzten Krieg?“

„Ja, schon.“ Morras‘ Blick gleitet über das Divisionsabzeichen des Obersten. „An der Front, zwar nur von Herbst 1944 bis Februar 1945. Aber auch das hat gereicht – damals, in der Nordeifel.“

Der Oberst blickt Morras forschend an.

„… Hürtgenwald – oder?“

„Genau, dort, Sir.“

„Da lag ich auch, als junger Captain.

Übrigens … “, die schmale, nervige Hand des Obersts streckt sich Morras entgegen, „ich heiße George.“

„Walter.“

Zwei Hände umfassen sich für einen Augenblick, kehren zu den Gläsern zurück.

„Cheers oder prost – das bleibt sich gleich!“

Und wieder die bekannten Namen: Schmidt, Vossenack, Hürtgen, Germeter, das Kalltal, der Rennweg, Schevenhütte, Großhau, Kleinhau … Die Schilderung persönlicher Erlebnisse. Die Erwähnung bestimmter Truppenteile und was gewesen wäre, wenn … Gläser füllen sich, immer wieder von neuem. Leere Bierflaschen in Reihenformation.

Ungeniert greift der Oberst an die linke Augenhöhle, entfernt das Glasauge, poliert es an seiner Hemdtasche, benetzt es mit einer Flüssigkeit, fügt es wieder in die Augenhöhle ein.

„Ein persönliches Andenken an Korea, Walter – ein winziger kleiner Splitter.“

Der bisher schweigsame und nachdenkliche Begleitoffizier mischt sich ein. „Das tut der Oberst immer, wenn Emotionen ihn überkommen oder … wenn die Vergangenheit in ihm wach wird“, kommentiert er lächelnd das ungewöhnliche Verhalten seines Vorgesetzten.

„Ich war damals viel zu jung für die Front und kann vieles nicht beurteilen, was im Zweiten Weltkrieg geschah. Aber irgendwie, meine ich, hat der letzte Krieg den Menschen anders geformt, als Korea das tat oder als das hier in Vietnam der Fall ist. Warum, die Frage vermag ich nicht zu beantworten.“ – Der Oberst erinnert sich:

„Wissen Sie, Walter, damals in Schnee und Matsch, in der Kälte, dem Durcheinander in eurem finsteren Grimmschen Märchenwald und auf den nackten Hügeln, die uns Divisionen kosteten, da war‘s auf einmal aus mit dem Donner und Gloria. Da versagten die Börsenmanager und Verkaufsleiter, die man zu Kommandeuren ernannt hatte. Da verstummte das Hurra auf beiden Seiten, meine ich, und – wenn ich je darüber schreiben müsste – würde ich meinen Bericht mit ‘Das verstummte Hurra’ betiteln, zur Erinnerung an Plätze und Ereignisse, die in Vergessenheit geraten sind oder, präziser ausgedrückt, unliebsame Erinnerungen wecken.“

„Vielleicht sollte man wirklich darüber schreiben, George, den Titel kaufe ich Ihnen ab, ich finde ihn gut. Nur, wer sollte den Bericht lesen?“

„Ich glaube schon, dass ein Interesse besteht an Schilderungen, nicht von Heldentum, nein, von Situationen, in denen sozusagen das Menschliche vom Menschen abblättert, in denen der Mensch zur Kreatur wird, still sein Leid erträgt, aber doch nicht bereit ist, aufzugeben und sein letztes bisschen Leben bis zum Äußersten verteidigt.“

Zwei weißbemützte Militärpolizisten schauen herein: „Sperrstunde, in fünfzehn Minuten! – Sehen Sie zu, dass Sie in Ihre Quartiere kommen, falls Sie nicht im Hotel untergebracht sind!“

Die Runde verabschiedet sich voneinander.

Sie blieben miteinander in Verbindung. Vor einigen Jahren besuchte er den inzwischen pensionierten Oberst in Florida. Ein wenig gebeugt und schief stand er da, unsoldatisch in Zivil.

„Das verstummte Hurra.“ Immer wieder fiel ihm dieser Titel ein.

Wie alt war ich damals? – Gerade erst achtzehn. Achtzehn, wie mein Ältester, der in diesem Jahr ins Abitur geht und doch noch ein großes Kind ist, mit etwas wirren Ansichten, mit dem Drang, dem Leben die beste Seite abzugewinnen und … der Lebensangst. Warum bin ich nun hierhergekommen, lasse mir morgen den ganzen Tag Zeit, um herumzufahren, mir das eine oder andere anzusehen? Möglicherweise, um festzustellen, dass dies nicht mehr der Schauplatz des Geschehens von damals ist. Dass die Spuren getilgt wurden. Vielleicht gelingt es, die Filme hier ins Archiv zu geben, auf Nimmerwiedersehen, oder sie zu löschen, wie ein Videoband, durch gleichzeitiges Drücken auf die Rekordertasten „Aufnahme“ und „Wiedergabe“.

Autobahnkreuz Aachen.

Verhandlungen mit belgischen Kunden – den ganzen Tag über. Abendessen im Steigenberger Parkhotel Quellenhof. Anschließend an der Hotelbar.

Zwanglose Plauderei mit unbekannten Gästen des Hauses über Politik, die Wirtschaft im allgemeinen und besonderen, die Steuern. Zu irgendeinem Zeitpunkt, schon recht spät, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die noch immer nicht bewältigt wurde. Und dann unweigerlich die Schilderung von Ereignissen und Erlebnissen aus jenen Tagen.

Morras blendet sich aus, verabschiedet sich von der Runde, zieht sich auf sein Zimmer zurück.

Wie sagte doch der Gast aus Freiburg? „Vielleicht ist es möglich, Phasen der Vergangenheit zu bewältigen, wenn man versucht, den Weg vom Endpunkt der Entwicklung zurückzugehen bis zu dem Punkt, an dem alles begonnen hatte, dem Start also. Dann sollte man sich vorstellen, wie es hätte verlaufen können.“

Quatsch – wie hätte es denn anders verlaufen können?

Aber wann und wie hatte es denn begonnen? Eigentlich damals, als wir im Zug saßen, an jenem kalten Oktobertag 1944.

Die Ereignisse 1944/45

 

1

Ende Oktober 1944 – sechstes Kriegsjahr. Der Zug rattert und faucht auf ausgeleierten Schienen nach Westen.

Es ist Nacht.

Nur ein Schimmer der Lokomotivbeleuchtung durchdringt die Dunkelheit und wird schwach von den Schienen reflektiert.

Für diese Jahreszeit ist es schon recht kalt. Die Reisenden frösteln in den nur mäßig beheizten Abteilen und Gängen. Ab und zu hält der Zug, sind Städte und kleinere Orte zu erkennen. Überall Narben des Krieges. – Nicht zu übersehen. Zerbombte Häuser mit nackten Fensterhöhlen oder nur noch Fassaden, die sich in bizarren Formen vom dunklen, wolkenverhangenen Nachthimmel abheben.

Es ist ratsam, bei Dunkelheit zu reisen.

Am Tag machen schießwütige Thunderbolts, Mustangs und Lightnings auf alles Jagd, was da kreucht und fleucht. Eisenbahnzüge sind für sie besonders beliebte Ziele, Lokomotiven die ideale Schießscheibe. Den nach Tieffliegern Ausschau haltenden „Luki-Lukis“ gelingt es zwar meist noch, den Lokomotivführer rechtzeitig vor einem Angriff zu einer Vollbremsung zu veranlassen. Fluchtartig klettern die Reisenden aus dem Zug, um rechts und links des Bahndamms Deckung zu suchen. Nur in besonderen Fällen wird der Zug von einem mit einer Zwillings- oder gar Vierlingsflak bestücktem Wagen begleitet.

Das Leben im Großdeutschen Reich wird immer gefährlicher im Herbst 1944. – Die Heimat wurde zur Front. Der Himmel gehört den fliegenden Festungen, den Liberators, Lancasters und Feindjägern. Nur selten ist ein Flugzeug mit dem Balkenkreuz zu erblicken.

Bei den schweren Flakbatterien haben Stahl- die Messingkartuschen ersetzt. – Feuererlaubnis wird nur noch bei erkanntem Anflug von über dreißig Feindflugzeugen auf das eigene Schutzobjekt erteilt. Der Feind hat die Reichsgrenze im Osten und Westen überschritten. Aachen, die alte Kaiserstadt, wurde vor etwa zwei Wochen von den Amerikanern erobert.

Das Zweite-Klasse-Abteil ist nur schummerig beleuchtet, das Fenster mit einem Rollo verdunkelt.

Munge, Leutnant seit dem 20. April 1944, mustert die Mitreisenden, einen Oberstfeldmeister vom Reichsarbeitsdienst und einige ihm unbekannte Dienstgrade von der Organisation Todt. Ein Gespräch kommt, abgesehen vom Austausch einiger Höflichkeitsfloskeln, nicht zustande, aus Müdigkeit oder Resignation oder aus Angst vor der eigenen Mitteilsamkeit. Der Leutnant ist auf dem Weg zu einer neuaufgestellten Einheit, einem Grenadierregiment mit vierstelliger in einer Volksgrenadierdivision mit dreistelliger Nummer. Seine Gedanken kehren zurück zum Heimatlazarett, in dem er eine heimtückische Typhuserkrankung auskurierte, die er sich an der Ostfront zugezogen hatte. – Mit einem Lächeln gesteht sich der Leutnant, dass er im Lazarett wohl einer der wenigen Patienten war, die nicht das Verwundetenabzeichen erhielten.

Wer Munge begegnet, hält ihn für den Inbegriff des jungen deutschen Offiziers, groß, gertenschlank, blond und blauäugig. Ein begehrtes Objekt für den Waffen-SS-Werber, der sich bei ihm eine freundliche Abfuhr holte. Munge äußerte ihm gegenüber die Absicht, in ein preußisches Traditionsregiment einzutreten, wie sein Vater und Großvater.

Befremden muss den Betrachter nur, dass der so schmucke Leutnant bisher offensichtlich im Abseits des großdeutschen Ordenssegens gestanden hatte. Denn kein buntes Ordensband oder Stück Metall ziert seine Feldbluse. – Wohl noch keine Fronterfahrung, denkt der Oberstfeldmeister. Sein Blick gleitet an der linken Seite der eigenen Uniformjacke hinunter zum Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse ohne Schwerter. Munge entgeht dies nicht, ein kaum wahrnehmbares Lächeln huscht über sein Gesicht. Der Gedanke an Orden und sonstige Auszeichnungen schert ihn herzlich wenig. Er ist sicher, Orden werden weiter produziert und verliehen, der eine oder andere wird auch für ihn reserviert sein.

In der dritten Wagenklasse reisen zwölf Soldaten, alle unter Zwanzig, von einem Unteroffizier begleitet. Alle frisch eingekleidet, in Feldgrau – keine dunkelgrünen Kragen mehr, keine Knobelbecher. Die Uniformen sind unauffälliger geworden. Spiegel und Hoheitsadler heben sich von der Feldbluse kaum noch ab, die Hose im selben Farbton wie die Feldbluse, die Schnürstiefel mit den Segeltuchgamaschen. Selbst die Tressen des Unteroffiziers glitzern nicht mehr achtunggebietend oder warnend, sie wurden durch schlichte hellgraue Baumwolltressen ersetzt.

Dicke feldgraue Mäntel, fußlang, mit überbreiten, hochstellbaren Kragen, liegen zusammen mit dem Marschgepäck in den Gepäcknetzen. Zigarettenrauch hat sich im Wagen ausgebreitet.

Es riecht nach billigem Orienttabak, eingefettetem Lederzeug, Malzkaffee und nach Mensch. Gesprächsstoff liefert wie so häufig das Thema Nummer eins: die Beziehungen zum anderen Geschlecht. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei der Schilderung amouröser Abenteuer ist jeder bemüht, den Vorredner zu übertreffen, an Effekten und der sorgsamen Wahl von Ausdrücken der Landsersprache.

Unglaublich, diese jungen Burschen und die Vielfalt ihrer Erlebnisse. Doders, Schmolke und Morras sind diese übertriebenen, meist wohl erdichteten oder von anderen übernommenen Darstellungen zuwider. Sie finden sich in einer anderen Ecke der reservierten Wagenhälfte zusammen.

Schmolke, ein langer, schmaler Blondschopf, zückt seine Mundharmonika und beginnt kaum hörbar, dann etwas lauter werdend, die tragische Weise vom nassen Seemannsgrab zu spielen, auf dem keine Rosen blühen.

Doders, klein, untersetzt und trotzdem flink, hasst dieses Lied wie all die schmalzigen Weisen von Mamatschi und dem Pferdchen oder der Frau, die unbedingt Kameradin sein will und was da sonst die Front mit der Heimat verbindet, jeden Sonntag von vier bis sechs, im Wunschkonzert des Großdeutschen Rundfunks.

Ein Blick von Doders. Eine abfällige Bemerkung über den sentimentalen Blödsinn. Schmolke vergeht die Lust am Harmonikaspiel.

Morras beobachtet amüsiert die kurze Szene. Schade, der Streit wurde bereits im Keim erstickt. Sein Blick bleibt am Glutkringel seiner Zigarette haften – schon wieder mal zu hastig gezogen. Der Begleitunteroffizier nutzt die Zeit nach altbewährter Landserart. Er schläft, Kopf und Oberkörper hinter seinem Mantel verborgen.

In einem anderen Abteil der dritten Wagenklasse sitzen drei Unteroffiziersdienstgrade. Sie sind auf dem Weg zu ihrer Einheit, einem Luftwaffenfeldbataillon. Ihre Uniformen sind fliegerblau, doch ohne die gelben, roten oder braunen Spiegel. Die Dienstgradschwingen sind auf den nackten Kragen montiert.

Feldwebel Weiß, die Unteroffiziere Weber und Köhl saßen noch vor drei Monaten am Steuerknüppel eines Kampfflugzeugs vom Typ Heinkel He 111. Der Verband wurde wegen der immer kritischer werdenden Spritversorgung aufgelöst. Besatzungsmitglieder und Bodenpersonal wurden zu Luftwaffenfeldverbänden abkommandiert.

Weiß, Weber und Köhl erhielten eine zweite infanteristische Ausbildung. Unmittelbar anschließend durchliefen sie an einer Heeresunteroffiziersschule einen Gruppenführerlehrgang. Von den Ausbildern als Schlipssoldaten gehänselt, legten sie ihre Frontflugspangen und Flugzeugführerabzeichen ab. Nichts weist mehr darauf hin, dass sie noch vor kurzer Zeit zum fliegenden Personal gehörten. Dass sie sich im Kampf bewährt hatten, dafür spricht das EK I an ihren Monturen.

Zwei junge Frauen auf der gegenüberliegenden Sitzbank werfen den Männern verheißende Blicke zu. Die Schuhspitzen der einen, einer mittelblonden Schönheit um die Dreißig, arbeiten sich langsam in die Richtung Stiefel von Feldwebel Weiß vor. Kurz vor dem Ziel teilen sie sich. Die Füße gleiten aus den Schuhen. Seidenbestrumpfte Zehen beginnen das linke Bein des Feldwebels zu massieren, anfangs ganz sacht, dann heftiger und schneller.

Den beiden Unteroffizieren fällt dies in dem stark abgedunkelten Abteil nicht auf. Sie dösen vor sich hin, befinden sich mehr oder weniger schon im Halbschlummer. Der Feldwebel wechselt den Platz, setzt sich neben die Blondine, legt seinen Mantel über ihren und seinen Schoß.

Die andere rückt bereitwillig zur Seite, starrt auf das Verdunkelungsrollo.

Hände, dann Finger suchen und finden ihren Weg. Männer sind rar geworden in der Heimat. Die daheim blieben, haben um so größere Auswahl und Chancen bei manchen Frauen und Mädchen, die auf ihre Männer warten oder das Warten aufgeben mussten.

Der Zug endet in einer rheinischen Kleinstadt, etwa fünfzig Kilometer von der Reichsgrenze im Westen entfernt.

Langsam kommt die Lokomotive zum Stillstand. Ihr Fauchen wird leiser und leiser, bis nur noch ein leises, stoßweises Zischen zu vernehmen ist. Weißer Qualm strömt in dünnen Schwaden über den Bahnsteig. Passagiere quellen aus den Abteilen.

Feldgendarmerie, zwei Kettenhunde sorgen dafür, dass alle Wehrmachtsangehörigen sich bei der Bahnhofskommandantur sammeln.

Marschpapiere und Soldbücher werden kontrolliert.

Fronturlauber, auch die gibt es noch vereinzelt im Herbst 1944, werden weitergeleitet.

Alle Wehrmachtsangehörigen mit Marschbefehlen werden die erste Nacht in der Hindenburgkaserne untergebracht.

Wegen der Tiefflieger wird die Kaserne tagsüber geräumt. Im nahen Wald wurde daher ein Barackenlager errichtet. Dort sollen die Einheiten zusammengestellt, sollen Waffen und Munition ausgegeben werden.

Etwa sechzig Mann setzen sich auf Kommando in Richtung Kaserne in Bewegung. Ein Kettenhund weist ihnen den Weg.

Genagelte Stiefel poltern über das Kopfsteinpflaster. Ein unterdrückter Fluch, als einer auf die Hacken seines Vordermannes tritt.

Die Stadt ist menschenleer.

Marschkolonnen sind hier etwas Alltägliches – auch Verwundetentransporte aus der entgegengesetzten Richtung, vom etwa dreißig Kilometer entfernten Frontgeschehen.

Irgendwo brummt ein einzelnes Flugzeug, bestimmt kein deutsches. Zwei Scheinwerfer blitzen auf. Ihre Strahlen werden von der niedrig hängenden Wolkendecke aufgesogen.

2

Graugrün gespritzte 2,5-Tonnen-Lkw. Die Kühlerhaube als Fliegererkennungszeichen mit einem großen weißen Stern versehen. Links und rechts davon an den Kühlerhaubenseitenkanten, ebenfalls in weißer Farbe, die Buchstaben U.S.A., gefolgt von einer siebenstelligen Registriernummer.

Die Straße ist in schlechtem Zustand, die Decke stark beschädigt, auch der Untergrund schon arg mitgenommen.

Die Lkw holpern über die Straße nach Südosten.

Dazwischen Jeeps und ¾-Tonnen-Fahrzeuge.

Die C-Kompanie, Charlie Company, des Regiments wird aus Belgien herangeführt. Sie soll eine andere Einheit ablösen.

Rechts und links der Straße dichter, dunkler, nichts Gutes verheißender Nadelwald, da und dort durch Beschuss schon stark gelichtet.

Eine Straßensperre.

Militärpolizei stoppt den Konvoi.

Der Befehl zum Absteigen und Sammeln!

Amerikanische Soldaten, GI’s, in olivfarbenen Monturen klettern aus den Fahrzeugen und sammeln sich am Straßenrand.

Leichter, aber steter Nieselregen. Kleine Wasserrinnsale auf graugrünen Gummimänteln.

Die Mündungen der Gewehre und Karabiner M1, der Thompson-Maschinenpistolen zeigen nach unten.

Kampfverpflegung, K-Rationen werden ausgegeben.

Maschinengewehre, leichte Granatwerfer und Munitionskästen aufgenommen.

Beidseits der Straße formieren sich Marschkolonnen. Auf Befehl des Kompaniechefs, Captain Howard B. Williams, setzen sich die Soldaten in Schützenreihe in Marsch.

Die Transportfahrzeuge wenden und warten auf die abgelöste Kompanie.

Die Charlie Company besteht etwa zur Hälfte aus kampferprobten Infanteristen, die bei der Invasion in der Normandie mit der zweiten Welle landeten; der andere Teil der erst kürzlich in Belgien aufgefrischten Kompanie, Ersatz aus den Staaten und nach dem Ausdünnen von Nachschubeinheiten zur Kampftruppe abkommandierte GI’s.

Bis zu den Stellungen sind es etwa drei Kilometer. Neben der Straße ein beinahe unübersehbares Feld von Granat- und Minentrichtern, heller, braungrauer, zäher Schlamm zwischen zerschossenen Bäumen. Leere zerbeulte Konservendosen, zertrümmerte Verpflegungskartons, entschärfte Minen, von Geschossen und Splittern durchlöcherte Helme, mit Wasser vollgesogene Kleidungsstücke liegen herum.

Da und dort im minenverseuchten Feld ein nasses Bündel, das einmal ein Mensch oder ein Teil von ihm war.

Es ist ziemlich ruhig an der Front.

Das Wetter hat sich verschlechtert. Leichter Nebel ist aufgekommen. Mit Unterstützung durch die Thunderbolts, Mustangs und Lightnings ist nicht zu rechnen an einem solchen Tag.

Vereinzelt Störfeuer, eigenes oder feindliches? Es ist zu weit weg, um es voneinander unterscheiden zu können.

Dann plötzlich, ebenfalls weit entfernt, das schnelle Rattern eines deutschen MGs und Gewehrfeuer.

Jetzt ist es wieder verstummt.

Die Kompanie erreicht die Stellung, eine Ansammlung von Erdbefestigungen und Kampfständen.

Der Kompaniechef haust in einem eroberten Westwallbunker.

Neugierig mustern die Neuankömmlinge ihre Kameraden, von der anderen Kompanie, einer Einheit, die bereits in Tunesien und Italien gekämpft hatte, bei der Landung in der Normandie und beim Durchbruch bei Avranches dabei war.

Was sie zu sehen bekommen, ist nicht gerade ermutigend. Bleiche, unrasierte Gesichter, von Übermüdung gerötete Augen, verdreckte Uniformen, schlammbedeckte Gummiüberschuhe. Einsilbig sind die Kameraden aus der anderen Kompanie. Auf Fragen antworten sie entweder nur mit einem „Ihr werdet schon noch selbst erleben, was das hier für eine gottverdammte Mistsituation ist“ oder winken anstelle einer Antwort einfach ab.

„Überreif für eine ausgedehnte Erholungspause“, meint Oberleutnant George S. Philipps, der Führer des zweiten Zuges der C-Kompanie.

Die anderen räumen die Stellung.

Müde und schwerfällig bewegt sich die Kolonne auf die Transportfahrzuge zu. Erst jetzt, als sie die Kolonne an sich vorbeziehen sehen, bemerken die Männer der C-Kompanie, welche Verluste die anderen hinnehmen mussten, weit über die Hälfte ihrer Leute.

Die vier Zugführer werden zum Kompaniechef beordert. Etwa eine halbe Stunde später kehren sie zurück.

Die Stellung wird bezogen.

Maschinengewehre und Granatwerfer werden in Schussposition gebracht, Unterstände gesäubert, das lockere Erdreich aus den Deckungslöchern entfernt.

Man macht es sich so bequem wie eben möglich, sucht unter Zeltbahnen und Wolldecken Schutz vor Nässe und Kälte.

Soweit das Blickfeld reicht, zerschossene Bäume. Vorn links die Ruine eines Bauernhofs, dahinter eine dunkle Wand dichten Hochwalds.

Was dieser Wald, die Hochebenen und tiefen Schluchten, als Schicksal für die GIs der C-Kompanie bereithält, lässt sich nicht voraussagen.

Vier Monate sind vergangen, seit die Amerikaner in der Normandie gelandet sind. Drei Monate brauchten sie von der Küste bis zur Reichsgrenze. Etwa vier Monate werden sie in diesem Wald kämpfen, werden sie brauchen, um diesen Wald, die Nässe, die Kälte und die Menschen, die sich ihnen entgegenstellen, zu bezwingen.

Hürtgenwald lautet der Name dieses dichtbewaldeten unübersichtlichen Kampfgebietes. Auf etwa 70 000 Soldaten wird sich der Zoll, den dieser Wald fordert, belaufen.

3

Das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz zwischen den Kragenspiegeln des kleinen, untersetzten Offiziers ist kein Paradestück mehr. Die mattschwarze Farbe ist an einigen Stellen abgeblättert, die silberne Umrandung schwarz angelaufen, blind geworden.

Der Regimentskommandeur – Oberstleutnant Derhaus.

Das Offizierskorps des neuaufgestellten Regiments ist im Kantinenraum des Barackenlagers versammelt.

Der Kommandeur wirkt ruhig und ausgeglichen. Kein Scharfmacher, denkt Leutnant Munge, und offensichtlich ein verdienter Truppenführer. Das kann wichtig sein für das Überleben der Offiziere und Mannschaften gleichermaßen.

„Ich bitte um Ruhe, meine Herren, Hauptmann Sänger, Kommandeur des zweiten Bataillons und NS-Führungsoffizier des Regiments, wird jetzt zu Ihnen sprechen.“

„Offiziere“, schnarrt dieser, „der Führer und Oberkommandierende der Wehrmacht, Adolf Hitler, beweist sein Vertrauen in gerade dieses Regiment, als es dazu ausersehen ist, die amerikanischen Gangster aus unserem Vaterland zu vertreiben und zu vernichten.

Unser heißgeliebter Führer erwartet von Ihnen, dass Sie und Ihre Soldaten sich dieser Aufgabe würdig erweisen – unter Einsatz Ihres Lebens. Offiziere, es gilt etwas wettzumachen, den Makel, der seit dem 20. Juli auf dem deutschen Offizierskorps liegt. Führer, Volk und Vaterland verlassen sich in diesen schweren Stunden auf uns.

Sie würdigen unsere Opfer. Wollen wir durch unsere Tapferkeit beweisen, dass der deutsche Soldat immer noch der beste der Welt ist.

Wir kämpfen, um zu siegen!

Unserem Führer und Oberkommandierenden, Adolf Hitler, ein dreifaches Sieg Heil! … Sieg Heil! … Sieg Heil!“

Leutnant Munge war nie ein Freund von Parteiversammlungen, Aufmärschen und Worten von Parteibonzen. Etwas beklommen sieht er der Begegnung mit seinem Bataillonskommandeur, Hauptmann Sänger, entgegen. Oberstleutnant Derhaus, der die großen und eleganten Reden offensichtlich lieber anderen überlässt, richtet ein Wort des Dankes an Hauptmann Sänger. Er beschließt den offiziellen Teil der Zusammenkunft mit dem Offizierskorps des Regiments. Abschätzend, wie um ein Echo auf Hauptmann Sängers Ansprache bemüht, gleitet sein Blick über die versammelten Offiziere.

„Meine Herren, Sie haben es gehört. Ich wünsche, dass Sie Hauptmann Sängers Worte beherzigen, so, wie ich das auch tun werde. – Ich möchte Ihnen jetzt Gelegenheit geben, sich miteinander bekannt zu machen.“

Allgemeines Vorgestelle. – Raucherlaubnis wird erteilt.

Eine Ordonnanz erscheint mit Gläsern. Es wird eingeschenkt. Man prostet sich zu, rechten Ellenbogen angewinkelt, dritter Knopf von oben. Erfahrungen und Erinnerungen werden ausgetauscht.

Die üblichen Fragen nach dem Woher, der Familie, dem letzten Urlaub.

„Munge, Herr Oberstleutnant, Grundausbildung und Frontbewährung beim Grenadierregiment 9.“

„Graf Neun, Potsdam, Wahlspruch ‘Semper talis – der Erste unter Gleichen’“, bemerkt Derhaus lächelnd. „Schön, Sie dabeizuhaben, Munge.“

„Sänger, Herr Oberstleutnant, Hauptmann der Reserve, Studienrat aus Hindenburg.“

„So, so, Lehrer also und aus Oberschlesien“, meint Derhaus. „Aber nicht aus Hindenburg gebürtig, ich komme aus Goslar“, fügt Hauptmann Sänger hinzu.

„Auch gut“, stellt der Oberstleutnant fest und wendet sich einem jungen Oberleutnant zu.

Nach etwa einer halben Stunde beendet der Oberstleutnant den gesellschaftlichen Teil. „Meine Herren, ich bitte um Ruhe …! Zum Abschluss noch ein paar Worte.

Unsere Division, Kommandeur: Generalmajor Hastenfeld, besteht aus unserem Regiment, den Grenadierregimentern … und … mit jeweils zwei Bataillonen, dem Füsilier-Bataillon …, den Artillerie-Abteilungen I/ … und II/ …, Teilen der Sturmgeschütz-Brigade …, der schweren Panzer-Jäger-Abteilung …, dem Heeres-Pionier-Bataillon …, Nachschub und Versorgungseinheiten.

Sie werden zugeben, eine schlagkräftige, bewegliche Division, von der übrigens nur unser Regiment hier direkt hinter der Front neu aufgestellt wurde. Die anderen Teile der Division wurden von der Ostfront nach hier verlegt.

Die Division wird in den nächsten Tagen Stellungen beziehen, die zur Zeit von zwei zerriebenen Infanteriedivisionen mühevoll gehalten werden. Nach ihrer Ablösung sollen diese beiden Divisionen zu einer neuen Division, die taktische Nummer steht noch nicht fest, zusammengefasst werden.

Der Gegner, vier gut ausgerüstete amerikanische Divisionen, ist von Nordwesten, von Belgien kommend, ins Reich vorgedrungen. Er hat sich nach erbitterten Kämpfen in den großen Waldgebieten der Nordeifel festgesetzt.

Zur Zeit ist es an der Front ziemlich ruhig. – Offensichtlich gönnen sich beide Seiten eine Atempause und regenerieren ihre Kräfte.

Unsere Aufgabe, meine Herren, ist klar vorgezeichnet. Nämlich die Stellungen der Amerikaner auszuheben, sie vernichtend zu schlagen, um wieder die Oberhand auf dem westlichen Kriegsschauplatz zu gewinnen.

Sie sollten beachten, die Kämpfe spielen sich fast ausnahmslos in hügligen, teils felsigen, dichten Waldgebieten ab, wenn wir einmal vom Ortskampf in den kleinen Eifeldörfern absehen. Das erfordert, dass jeder Grenadier auf das Verhalten im Waldkampf vorzubereiten ist. Dafür steht herzlich wenig Zeit zur Verfügung. Nutzen Sie sie!

Die Kompaniechefs erhalten jetzt von ihren Bataillonskommandeuren Listen mit den Namen der ihnen unterstellten Unteroffiziers- und Mannschaftsdienstgrade. Meine Empfehlung, lassen Sie die Zugführer ihre Leute selbst auswählen! Sehen Sie zu, dass in jedem Zug einige Grenadiere sind, die bereits Waldkampferfahrung aufzuweisen haben, oder die im Gelände besonders beweglich sind.

Das Regiment tritt um 14.00 Uhr – Uhrenvergleich: meine Uhr zeigt jetzt genau 11.27 Uhr – zum Appell an.

Die Besprechung ist beendet.

Ich bitte die Herren Bataillonskommandeure noch kurz zu mir. – Aber bitte erst die Listen ausgeben!

So, das wär‘s, meine Herren.“

Ehrenbezeigungen, Hackenzusammenschlagen, stramme Kehrtwendungen, Türenschließen.

4

Feldwebel Weiß wurde zum Zugführer ernannt, außerdem Feldwebel Dornstadt und Unteroffizier Stein, der die zwölf jungen Soldaten im Zug begleitet hatte.

Die Unteroffiziere Weber und Köhl wurden vorerst als Gruppenführer eingeteilt.

Dass Weiß, Weber und Köhl eigentlich einer Luftwaffenfeldeinheit zugeführt werden sollten, wird ignoriert.

„In Fliegerblau sind sie mir genauso lieb und teuer wie in Feldgrau“, meint Leutnant Munge, jetzt Chef der 1. Kompanie. „Außerdem wird morgen Tarnkleidung ausgegeben, dann ist der Unterschied eh nicht mehr zu erkennen.“

Pünktlich um 14.00 Uhr tritt das Regiment zum Appell an. Oberstleutnant Derhaus schreitet, gefolgt von seinem Adjutanten, die Front ab. Die Bataillonskommandeure und Kompaniechefs melden. Wie auf dem Exerxierplatz.

Der Oberstleutnant begutachtet, unterhält sich kurz mit dem einen oder anderen der Männer.

Anschließend gibt der Oberstleutnant einen Bericht zur Lage. Dann erteilt er Hauptmann Sänger, dem er die Aufgaben des NS-Führungsoffiziers als Träger der politischen Meinungsbildung im Regiment übertragen hatte, das Wort. Hauptmann Sänger hält eine zündende Führer, Volk- und Vaterlandsansprache. Wie seine Worte aufgenommen werden, lässt sich nicht von den Gesichtern der Offiziere und Soldaten ablesen.

Munge fragt sich, ob Sänger wirklich meint, was er so pathetisch von sich gibt, oder ob er vielleicht nur schauspielert.

Das Ansehen des „Gröfaz“, des „Größten Feldherrn aller Zeiten“, Adolf Hitler, ist nicht mehr das allerbeste bei der Fronttruppe.

Das Kommando zum Wegtreten.

Eine halbe Stunde später geht es zugweise zum Waffenempfang. Schwere und leichte Granatwerfer, Maschinengewehre, Sturmgewehre, Karabiner 98K, Panzerfäuste, Handgranaten und Munition werden ausgegeben.

Eigentlich verblüffend, dass im Herbst 1944 der Truppe noch derartig viel Material zugeführt wird. Die Ausrüstung des Regiments kann als vollauf befriedigend gewertet werden.

Wer weiß denn schon, welche Quellen Oberstleutnant Derhaus angezapft hatte, wo er betteln, drohen, organisieren und sich durchsetzen musste, um das Regiment seinen eigenen Vorstellungen entsprechend auszurüsten.

Nach der Waffenausgabe geht es zurück in die Unterkünfte.

Waffenpflege.

Wäscheausgabe, Wäschewechsel.

Abendverpflegung wird ausgegeben. Ein Viertel Kommissbrot, ein Klatsch Margarine, eine dicke Scheibe Kunsthonig, ein Stück rosafarbene Gummiwurst. Zum Trinken gibt es Pfefferminztee.

5

Am nächsten Morgen.
Die Waffen werden eingeschossen. – Gleich danach geht es in ein nahegelegenes Waldgebiet.

In Schützenrudel mit Voraus- und Seitensicherung werden das Vorgehen im Wald, das Ausspähen und Beseitigen von Fallen und Sperren geübt, wird nach Baumschützen Ausschau gehalten und eine Stellung gestürmt.

Unteroffizier Stein und sein Zug marschieren nach der Karte.

Grenadier Schmolke ist Nahsicherer.

Doders und Morras sichern an den Seiten der Schützenrudel.

Schmolke bahnt sich seinen Weg zwischen den Fichten, schiebt Äste zur Seite, weicht Baumstümpfen aus. Immer wieder bleibt er stehen, hält den Atem an und horcht in den Wald hinein. War da nicht eben ein Geräusch?

Ein warnendes Handzeichen von Schmolke.

Unteroffizier Stein befiehlt: „Volle Deckung!“

Unvermutet taucht der Verursacher des Geräuschs, Hauptmann Sänger, auf.

„Unteroffizier, das hätte viel schneller gehen müssen, im Ernstfall wären sie jetzt alle erledigt! – Wer ist der Mann, der Nahsicherer, Unteroffizier?“

„Grenadier Schmolke, Herr Hauptmann.“ „Wechseln Sie ihn aus, der Mann ist unfähig als Nahsicherer!“

„Jawohl, Herr Hauptmann – Grenadier Schmolke zu mir!“ Stein löst Schmolke durch den Grenadier Tielemann ab.

Hauptmann Sänger entfernt sich.

In Stein kocht es. Das wäre nicht nötig gewesen. Schmolke hatte schnell reagiert, schnell genug für den Ernstfall.

Unteroffizier Stein beschließt, den Fall auf sich beruhen zu lassen, sich Schmolke gegenüber so zu verhalten, als ob nichts vorgefallen wäre. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Schmolke die Sache von sich aus zur Sprache bringen würde. Auf die Frage, was er denn nun falsch gemacht hätte, gab Stein ihm zu bedenken, dass er halt zu langsam reagiert und den Zug damit gefährdet hätte.

Die Übung geht weiter. Langsam gewöhnen sich die Männer an den Wald. Das Knacken der Äste verstummt beinah. Geschickt wird die Deckung ausgenutzt, wird ohne Verheddern im Astwerk oder Stolpern mit der Waffe im Hüftanschlag gestürmt.

Mehrmals tauchen Oberstleutnant Derhaus und sein Adjutant auf.

„In zwei Jahren Russland habe ich meinen Regimentskommandeur nicht so oft zu sehen bekommen wie den hier an einem einzigen Tag“, stöhnt Unteroffizier Stein.

Leutnant Munge kümmert sich um den 1. Zug von Feldwebel Weiß. Ihn interessiert, wie sich der Flieger im Waldkampf verhält.

Munge übernimmt den Zug für die Einweisung und den ersten Teil der Übung. Dann gibt er das Kommando an Weiß ab. Mit der Art und Weise, wie der Feldwebel den Zug führt und die Grenadiere seine Befehle ausführen, gibt Munge sich zufrieden.

Beim 1. und 2. Zug lässt Hauptmann Sänger sich nicht mehr blicken. Nur Oberstleutnant Derhaus und sein Adjutant sehen noch mehrmals nach dem Rechten. Offensichtlich hatte der Regimentskommandeur nichts am Verhalten der Männer auszusetzen, wenn ja, so behielt er es jedenfalls für sich.

Es beginnt dunkel zu werden. – Befehl zum Sammeln und zum Rückmarsch.

Am folgenden Morgen, der Übung zweiter Teil. Schanzen und Verteidigen einer Waldstellung. Mit dem Spaten ist dem steinigen Boden nicht beizukommen. Die Grenadiere Schmolke, Doders und Morras greifen zu Spitzhacke, Spaten und Schaufel. Kampfstände und Deckungslöcher werden ausgehoben und getarnt.

Schmolke und Morras richten zwei Baumschützenplätze her und lassen sich dort nieder.

Doders wird als Beobachter eingeteilt. Er erklettert einen weiter vorne gelegenen Baum.

Als Hauptmann Sänger unvermutet die Szene betritt, sieht er sich plötzlich von den Grenadieren des 3. Zuges umringt, die wie Pilze aus dem Waldboden schießen.

Unteroffizier Stein meldet:

„Dritter Zug beim Schanzen und Tarnen, Herr Hauptmann.“

„Danke! – Unteroffizier, wo ist denn der Mann von gestern, der Nahsicherer?“

„Grenadier Schmolke, Herr Hauptmann?“

Ästeknacken.

„Hier, Herr Hauptmann“, tönt es von einem nahegelegenen Baum herunter.

„So, so“, meint Sänger und entfernt sich mit der Aufforderung: „Weitermachen!“

Das Regiment übt noch einen dritten Tag das Verhalten im Waldkampf. In den Abendstunden wird es nach vorn verlegt.

Für Oberstleutnant Derhaus waren diese Tage des Kennenlernens und der Einschätzung seiner Truppe, der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften von nicht zu unterschätzendem Wert. In gewisser Hinsicht handelte es sich um einen zusammengewürfelten Haufen alter Frontschweine, Abkommandierter und junger Marschierer.

Die vergangenen drei Tage schafften jedoch zumindest einigermaßen gute Voraussetzungen für das Zusammenhalten der Gruppen, Züge, Kompanien und Bataillone im Kampf mit einem Gegner, den Derhaus nicht unterschätzt, einem Gelände, das äußerst schwierig zu bewältigen ist, und einer Witterung, bei der man lieber hinter dem warmen Ofen sitzt, als sich in Unterständen und Erdlöchern zusammenfindet, um die Heimat zu verteidigen.

6

Die Kolonne, Transportfahrzeuge verschiedener Größen und Marken vom Opel-Blitz über den Ford bis zum Faun, rumpelt über die aufgeweichte Landstraße. Zehn Kilometer hinter der Front halten die Wagen.

„Absitzen und sammeln!“

„Ohne Tritt marsch!“

In lockerer Marschformation geht es weiter.

„Das Ganze haallt!“

Die Einweisung in die Stellungen beginnt.

Dass bei den Deutschen etwas im Gange ist, bleibt den Amerikanern nicht verborgen. Alarmposten melden Truppenbewegungen bei den Jerries. Captain Williams befiehlt Oberleutnant Philipps, einen Spähtrupp zusammenzustellen. Im Morgengrauen setzen sich Oberleutnant Philipps, Platoon Sergeant Thornton und vier amerikanische Soldaten in Bewegung.

Es ist neblig und nass.

In gebückter Haltung geht es schräg durch den Wald auf die deutschen Linien zu. Mehrmals befiehlt Philipps „Halt!“, um die Gefahr einer Entdeckung durch die Deutschen zu verringern.

Die GIs rasten. – An Bäume gelehnt, streifen ihre Blicke die nähere Umgebung, horchen sie in den Wald hinein.

Der Oberleutnant und Thornton suchen die Baumkronen nach versteckten Scharfschützen ab.

Ein leises Knacken voraus. Die Männer bringen ihre Karabiner in Anschlag. Ihre Körper und Karabinermündungen gehen automatisch in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Tiefgeduckt hocken sie hinter Bäumen oder im Farn versteckt.

Wieder ein Knacken, ganz deutlich.

Ein Reh springt ab. –

Vogelkrächzen, das plötzlich verstummt.

Absolute Stille.