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ADAM LASHINSKY

UBER MACHT

FAHRZIEL WELTHERRSCHAFT –
WIE UBER WELTWEIT
NICHT NUR DIE TAXIBRANCHE
AUFMISCHT

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Wild Ride: Inside Uber’s Quest for World Domination

ISBN 978-0-73521-139-1

Copyright der Originalausgabe 2017:

Copyright © 2017 by Adam Lashinsky.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright der deutschen Ausgabe 2017:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Sascha Mattke

Umschlaggestaltung und Herstellung: Johanna Wack

Buchsatz: Bernd Raubbach

Lektorat: Egbert Neumüller

Druck: GGP Media, Pößneck

ISBN 978-3-86470-441-3

eISBN 978-3-86470-442-0

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

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Für meine Familie:
Ruth, Leah, Amy, Paula,
Robert, Bernard und Marcia,
die ich nie vergessen werde
.

INHALT

VORWORT von Kai Diekmann

VORWORT des Übersetzers

VORWORT des Verlags

KAPITEL 1
Eine wilde Fahrt durch China

KAPITEL 2
Die ersten Schritte // Üben für Uber

KAPITEL 3
Magere Zeiten

KAPITEL 4
Kalanicks JamPad // Jammen in San Francisco

KAPITEL 5
Die Anfänge // Wie alles begann

BILDTEIL

KAPITEL 6
Kalanick übernimmt das Steuer

KAPITEL 7
Wachstumsschmerzen

KAPITEL 8
Nicht zu stoppen

KAPITEL 9
Auf dem Fahrersitz

KAPITEL 10
Die autonome Zukunft

KAPITEL 11
Ausmanövriert in China

KAPITEL 12
Eine langer Spaziergang durch San Francisco

DANKSAGUNGEN

VORWORTE

VORWORT VON KAI DIEKMANN

Meine erste Fahrt mit Uber war im Herbst 2012. Ein schlichter Chevrolet brachte mich nachts von San Francisco zu meiner WG in Palo Alto. Der Fahrer mit deutschen Wurzeln war höflich, das Fahrzeug sauber. Wo ich herkomme, was mich nach Kalifornien bringt, fragte er interessiert. Nach 30 Minuten waren wir am Ziel. Völlig unspektakulär. Nur wenige Unterschiede wiesen darauf hin, dass es sich nicht um eine x-beliebige Taxifahrt handelte: dass mir eine Wasserflasche angeboten wurde. Dass mir während der Fahrt auf dem Smartphone die optimale Strecke angezeigt wurde. Und dass ich völlig bargeldlos zahlte – direkt über die App.

So ist das mit bahnbrechenden – heute würde man sagen: disruptiven – Entwicklungen. Sie kommen im Gewand des Gewöhnlichen daher. Sie werden so schnell Teil unseres Alltags, dass wir ihre Veränderungskraft leicht unterschätzen. Das Potenzial von Uber bemisst sich nicht an einer einzelnen Fahrt. Erst wenn jederzeit und überall ein Fahrzeug auf Knopfdruck verfügbar ist, beginnt der mentale und gesellschaftliche Wandel, mit all seinen positiven Effekten. Warum noch ein Auto besitzen, das die meiste Zeit ungenutzt herumsteht, wenn Mobilität immer, wenn ich sie brauche, günstiger und bequemer als Dienstleistung verfügbar ist? Warum lange Blechlawinen in unseren Straßen als gegeben akzeptieren, wenn durch Fahrtenpooling Staus und umweltschädliche Emissionen reduziert werden können? Warum kostbaren innerstädtischen Raum für Parkplätze verschwenden, wenn weniger besser genutzte Fahrzeuge ausreichen würden? Uber stellt den Status quo radikal infrage.

Uber startete als Bestellservice für Oberklasse-Limousinen. Erst durch Skalierung und die Einbeziehung von Mittelklassemodellen wurde Uber zu dem unersetzlichen Dienst, der es heute an vielen Orten ist. „Pivoting“ nennt man das im Silicon Valley: mit Ehrgeiz eine Idee so lange weiterzudrehen, bis sie revolutionären Charakter hat. Das bedeutet aber auch: ausprobieren und scheitern, sich verrennen, Widerstände überwinden.

Mit diesem Ansatz tun wir Deutsche uns oftmals schwer. Neues auszuprobieren, ohne die Auswirkungen bis in letzter Konsequenz durchdacht zu haben, widerstrebt unserem vorsichtigen Naturell. Immer wieder stoßen Ideen aus dem Silicon Valley deshalb hierzulande zunächst auf Widerstand. Was gab es für einen öffentlichen Aufschrei, als Google Street View in Deutschland startete! Heute bucht niemand mehr eine Reise oder besichtigt eine Wohnung, ohne sich vorher einen virtuellen Eindruck von den Örtlichkeiten zu verschaffen.

Viele nehmen den Rückstand beim Breitbandausbau als Indikator für die mangelnde Digitalisierung in Deutschland. Sie wollen die Ärmel hochkrempeln und anpacken, lieber heute als morgen. Das ist auch richtig, allerdings bedeutet besseres Internet noch lange keine Veränderung der Geisteshaltung hin zu mehr Ausprobieren, mehr Innovation, mehr Digitalisierung. Deutlich wird dies im Fall von Uber, wo Deutschland mit seinen bestehenden Regelwerken der Digitalisierung maßlos hinterherhinkt. Der Konflikt mit dem viele Jahrzehnte alten Personenbeförderungsgesetz war daher geradezu vorprogrammiert. Zwar hat sich Uber gerade in der Anfangszeit extrem ungeschickt angestellt und durch zahlreiche Fehltritte die Unternehmensreputation hierzulande erheblich beschädigt. Das Kernanliegen, die monopolistischen Taxistrukturen aufzubrechen und technische Innovationen zum Wohle der Verbraucher zuzulassen, ist jedoch nach wie vor absolut berechtigt. Die Möglichkeit, einen Fahrer nach jeder Fahrt zu bewerten, sorgt beispielsweise für mehr Qualität als jeder staatlich reglementierte Sachkundekurs.

In Deutschland laufen wir Gefahr, bei der Digitalisierung durch zu viel Vorsicht und überkommene Regeln den Anschluss zu verlieren. Mit SAP wurde das letzte wirklich große Digitalunternehmen hierzulande Anfang der 1970er-Jahre gegründet. Microsoft, Apple, Amazon, eBay, Google, Facebook sind zum Teil wesentlich jünger. Dabei steht der technische Wandel erst am Anfang. Märkte werden sich in den kommenden Jahren radikal verändern, gerade im Bereich der Mobilität. Wenn deutsche Unternehmen wie Daimler, BMW oder VW auch zukünftig zur Weltspitze zählen sollen, müssen wir Freiräume schaffen, um Neues zu erproben – ob bei der Elektromobilität, beim Ridesharing oder dem autonomen Fahren.

Adam Lashinsky erzählt in diesem Buch, wie man die Zukunft gegen Widerstände gestaltet. Mit dem Blick des kritischen Journalisten verschließt er dabei nicht die Augen vor Fehlentwicklungen, sondern benennt diese klar. Das sollte auch Deutschlands Haltung sein: Neues annehmen, ohne dabei in Überschwang zu geraten. So könnten sich der „Silicon Valley Spirit“ und der deutsche zeitintensive Perfektionismus perfekt ergänzen.

Kai Diekmann

September 2017

VORWORT DES ÜBERSETZERS

Ich liebe Uber mehr als alles andere in der Welt. An diesem schwierigen Punkt in meinem Privatleben habe ich die Bitte der Investoren akzeptiert, zur Seite zu treten, damit Uber sich wieder um seinen Aufbau kümmern kann, statt von einem weiteren Kampf abgelenkt zu werden“, schrieb Travis Kalanick Ende Juni 2017 an die Mitarbeiter von Uber und gab damit seinen Rücktritt als CEO des Unternehmens bekannt. Wenige Wochen zuvor war seine Mutter bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, der Vater wurde schwer verletzt.

Die Entscheidung hatte sich angebahnt. Denn die Reihe der Skandale, die in diesem Buch aufgezählt werden, war nach Drucklegung der englischen Fassung noch lange nicht beendet. So berichtete Anfang März 2017 die New York Times, Uber habe Vertreter von Behörden in neu erschlossenen Städten mithilfe von Software-Tricks in seiner App in die Irre geführt. Bei einer internen Untersuchung stellte sich heraus, dass Führungskräfte in Indien medizinische Akten einer von einem Uber-Fahrer vergewaltigten Frau herumgereicht hatten. Und ein weiterer Medienbericht enthüllte, dass Kalanick mit männlichen Führungskräften und einer weiblichen Kollegin eine zweifelhafte Karaoke-Bar in Südkorea besucht hatte, was hinterher vertuscht werden sollte.

All das hätten die Investoren, die Kalanick dann hinausdrängten, wahrscheinlich noch hingenommen, wenn die Zahlen weiter gestimmt hätten. Zunehmend aber schien nicht nur das Image, sondern auch das Geschäft von Uber unter dem Feuerwerk der unschönen Nachrichten zu leiden. Zumindest einige der beteiligten Wagniskapitalgeber wollten das Risiko Kalanick deshalb offenbar nicht mehr eingehen: Zwei Partner von Benchmark Capital folgten dem CEO auf einer Reise nach Chicago und überreichten ihm einen Brief, in dem sie und vier weitere große Geldgeber seinen Rücktritt verlangten.

Am selben Abend kam Kalanick dieser Aufforderung nach. Doch der Kampf, den er mit seinem Abgang nach eigenem Bekunden verhindern wollte, kam anschließend erst richtig in Gang.

Uber brauchte einen neuen CEO, vorzugsweise einen weiblichen, um die Abkehr von der männlich dominierten Vergangenheit zu signalisieren, wie es hieß. Die Suche erwies sich als schwierig. Erst fand sich kein weiblicher Kandidat, dann sah es auf einmal so aus, als würde Kalanick selbst versuchen, sich den CEO-Posten zurückzuholen. Immerhin hatte er nach seinen Erfahrungen bei zwei früheren Start-ups darauf geachtet, auf keinen Fall die Kontrolle bei Uber abzugeben – zusammen mit zwei Vertrauten hält er nach wie vor die Mehrheit der Stimmrechte. „Der neue Chef von Uber Technologies Inc., der die schwierige Aufgabe hat, den abgesetzten visionären Mitgründer und CEO Travis Kalanick zu ersetzen, wird definitiv Travis Kalanick sein“, amüsierte sich der Bloomberg-Kolumnist Matt Levine über das Hin und Her bei der Nachfolger-Suche.

Andere fanden das Geschehen weniger lustig. Tatsächlich brach im August 2017 offener Streit zwischen den Kalanick-Anhängern unter den Kapitalgebern und seinen Gegnern aus. Wie die gut informierte Tech-Nachrichtenseite Axios berichtete, reichte Benchmark Capital eine Klage gegen Kalanick wegen Betrug, Vertragsbruch und Verletzung von Treuepflichten ein. Das Ziel dabei war, dem Mitgründer seinen Sitz im Board des Unternehmens zu nehmen, in dem er trotz seines Rücktritts als CEO immer noch saß und mitbestimmen konnte. Der Gegenschlag ließ nur einen Tag auf sich warten: Eine Investoren-Gruppe um Kalanicks Vertrauten Shervin Pishevar forderte Benchmark per E-Mail auf, mindestens 75 Prozent seiner Uber-Anteile zu verkaufen und sich aus dem Board zurückzuziehen.

An diesem Punkt sah es so aus, als könnte die Lage endgültig eskalieren. Der Mega-Erfolg Uber drohte durch den Streit unter den Kapitalgebern und das von Kalanick hinterlassene Machtvakuum komplett aus der Spur zu geraten. Passend dazu erschienen Berichte, laut denen mehrere Fondsgesellschaften den Wert ihrer Uber-Anteile um bis zu 15 Prozent heruntergeschrieben hatten. Und bei einer anstehenden Finanzierungsrunde mit neuen Geldgebern, so hieß es, würde das Unternehmen zum ersten Mal in seiner Geschichte keine höhere Bewertung mehr erreichen als bei den vorigen.

Viele Milliarden standen auf dem Spiel. Das war offenbar auch den streitenden Beteiligten selbst klar. Das Board suchte trotz allen internen Gezerres weiter und konnte knapp zwei Wochen nach Bekanntwerden der Benchmark-Klage tatsächlich einen Nachfolger für Kalanick präsentieren.

Neuer CEO von Uber wurde Anfang September 2017 weder eine Frau (als Favoritin war zwischendurch die frühere HP-Chefin Meg Whitman im Gespräch gewesen) noch Kalanick selbst, sondern Dara Khosrowshahi. Der aus dem Iran stammende Manager hatte seit dem Jahr 2005 das börsennotierte Online-Reisebüro Expedia geleitet und in dieser Zeit den Umsatz der früheren Microsoft-Tochter mehr als vervierfacht. Khosrowshahi gilt als ähnlich ambitioniert wie Kalanick, soll aber ganz anders als sein Vorgänger stets besonnen und umgänglich und ein Familienmensch sein. Bei einer Vollversammlung vor den Mitarbeitern traten die beiden zusammen auf. Sie umarmten sich sogar – wohl als Demonstration dafür, dass bei Uber jetzt wieder alle an einem Strang ziehen.

Das wird auch nötig sein. Denn noch hat das Unternehmen nicht bewiesen, dass es nicht nur rasant wachsen, sondern auch Geld verdienen kann. Der Transportexperte Hubert Horan behauptet sogar, im Geschäftsjahr 2015 habe Uber jede vermittelte Fahrt mit vollen 59 Prozent der wahren Kosten subventioniert. Der Plan dahinter sei, auf diese Weise alle Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und anschließend als Monopolist mit höheren Preisen massive Gewinne zu machen.

Doch ob das funktionieren wird, zumal (fast) überall in der Welt? In Deutschland etwa ist Uber wegen strenger Regulierung nur in zwei Städten überhaupt vertreten, in China musste sich das Unternehmen bereits einem stärkeren lokalen Wettbewerber geschlagen geben (siehe Kapitel 11) und selbst im Heimatmarkt USA gibt es mit Lyft einen ebenfalls gut finanzierten Konkurrenten, der obendrein ein viel freundlicheres Image hat. Khosrowshahi und sein Team werden also alle Hände voll zu tun haben. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob Uber auch unter einer weniger gnadenlosen Führung eine echte Ubermacht bleibt.

Auf den nun folgenden Seiten können Sie die Geschichte von Travis Kalanick und Uber bis zum vorläufigen Höhepunkt ihres Erfolgs nachlesen, gefolgt von den ersten Rückschlägen. Weder für den Manager noch für das Unternehmen sollte man ausschließen, dass die Erfolgsstory bald wieder in Gang kommt und sie das bisher Erreichte in den Schatten stellen. Sicher aber ist das in beiden Fällen nicht.

Sascha Mattke

September 2017

VORWORT DES VERLAGS

Mit „Ubermacht“ verlegen wir ein zeitgenössisches Dokument. Die aktuelle Phase rasanten technologischen Wandels – das Buzzword lautet „Disruption“ – ist die Kulisse dieses Werkes. Sie hat in kürzester Zeit Unternehmen wie Tesla, Airbnb oder eben auch Uber von Newcomern zu Schwergewichten werden lassen. Die Geschwindigkeit des Wandels macht aber auch vor den Protagonisten nicht immer halt und damit auch nicht vor denen, die über sie berichten. Travis Kalanick ist heute nicht mehr Unternehmenslenker bei Uber. Dennoch ist in diesem Buch sehr oft von ihm die Rede. Ist das Buch somit veraltet? Wir glauben, nein.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dieses Buch unverändert in Deutschland zu verlegen, obwohl Kalanick Uber verlassen hat. Die Prozesse, Szenen und Abläufe, die der Autor in seinem Werk beschreibt, haben dennoch so stattgefunden und geben dem Leser einen tiefen Einblick in die rasante Welt des Silicon Valley und einer seiner schillerndsten Figuren. Der Wert als zeitgenössisches Dokument, bei dessen Lektüre die Leser in einigen Jahren mit dem Kopf nicken oder schütteln mögen, bleibt unverändert. Wir wünschen unseren Lesern viel Spaß dabei!

Plassen Verlag

September 2017

1. EINE WILDE FAHRT DURCH CHINA

Travis Kalanick sitzt im Fond eines schwarzen Mercedes mit Chauffeur, der sich seinen Weg durch die verstopften Straßen von Peking bahnt. Es ist Hochsommer 2016 und der Himmel über der chinesischen Hauptstadt ist düster vor Dreck, die Luft schwül und unbewegt. Als CEO von Uber, des wertvollsten Start-ups der Welt, kommt Kalanick seit inzwischen drei Jahren ungefähr alle drei Monate nach China. Alle diese Reisen von seiner Heimatbasis in San Francisco aus sind Teil eines teuren und abenteuerlichen Versuchs, den globalen Erfolg von Uber als disruptivem Mitfahr-Dienst im bevölkerungsreichsten Land der Welt zu wiederholen.

Die drei Tage zuvor hat Kalanick in Tianjin verbracht, einer Megacity am Gelben Meer, zwei Stunden südöstlich von Peking. Er war dort Co-Vorsitzender bei dem vom Weltwirtschaftsforum (WEF) organisierten Jahrestreffen der New Champions, auch als Sommer-Davos bezeichnet. Wenige Wochen vor seinem 40. Geburtstag war Kalanick der Star von Tianjin und konnte die erheblichen Vorteile seiner neuen weltweiten Bekanntheit genießen. Das von ihm geführte Start-up aus Kalifornien gibt es erst seit sechs Jahren, doch bei der internationalen Konferenz in der Nebensaison bekam er eine Audienz beim zweitmächtigsten Mitglied der chinesischen Regierung, Premierminister Li Keqiang. Kalanick nahm an WEF-Podiumsdiskussionen teil, die von westlichen und chinesischen Fernsehjournalisten moderiert wurden, versuchte bei einem privaten Abendessen mit den lokalen Uber-Managern für Tianjin mutig, einen traditionellen Pfannkuchen zu wenden, und steckte die Köpfe mit anderen Entrepreneuren zusammen. Einer von ihnen war Lei Jun, Gründer des hoch bewerteten chinesischen Smartphone-Herstellers Xiaomi. Dessen mutige Aussagen und das umstrittene Geschäftsmodell seines Unternehmens, ultrabillige Telefone zu verkaufen, haben dafür gesorgt, dass Lei in China so berüchtigt ist wie Kalanick überall sonst.

Schon jetzt ist Kalanicks Reise ein Erfolg, jedenfalls gemessen an den dem Image förderlichen Erwähnungen in der chinesischen und internationalen Presse. Premierminister Li, der sich offensiv für Unternehmertum in China einsetzt, nannte Kalanick einen „Pionier“. Das tat er auf Englisch, eine schmeichelhafte Geste und ein Detail, auf das die in China tätigen Helfer des Uber-CEO die lokale Presse eifrig hinwiesen. Tatsächlich sorgt jede einzelne Äußerung von Kalanick auf dieser Reise für Schlagzeilen. Bei einem WEF-Kamingespräch wird er gefragt, ob autonome Autos von Menschen gefahrene überflüssig machen könnten. Als Antwort feuert Kalanick einen der Einzeiler ab, für die er bekannt ist und manchmal kritisiert wird, eine Kombination aus Leichtfertigkeit, Prahlerei und Humor von der Sorte „leg dich nicht mit mir an“. „Manche werden vielleicht noch ein Auto besitzen, so wie andere ein Pferd“, gab er unter den bewundernden Blicken des Publikums trocken zum Besten. „Sie wissen schon, um am Wochenende ein bisschen damit herumzufahren oder so.“

Nach der Abfahrt aus Tianjin und in der Privatheit seines von einem Menschen chauffierten Autos auf der Straße nach Peking jedoch weicht Kalanicks freche gute Laune einer gereizten Angespanntheit. Tatsächlich hat er gerade eine ausgewachsene Krise zu überstehen. Er wählt sich in eine Telefonkonferenz mit Uber-Führungskräften aus drei Ländern auf zwei Kontinenten ein. Ein Team von Kommunikationsmanagern ist aus San Francisco dabei. Andere Teilnehmer rufen aus Seoul in Südkorea an. Zwei weitere Führungskräfte sitzen mit Kalanick im Auto, beide entscheidend für die Pläne von Uber in Asien. Einer von ihnen heißt Emil Michael, ist Chief Business Officer von Uber und die rechte Hand des Chefs für alle Fälle; ihm hat Kalanick just auf dieser Reise den Auftrag gegeben, geheime Verhandlungen über den Verkauf des Uber-Geschäfts in China an den größten Konkurrenten Didi Chuxing zu führen, bei denen viel auf dem Spiel steht. Die zweite Führungskraft im Auto heißt Liu Zhen, ist Strategieleiterin bei Uber China und die bekannteste chinesische Mitarbeiterin des Unternehmens. Liu ist zugleich Cousine ersten Grades von Jean Liu, einem früheren Goldman-Sachs-Banker; er selbst ist heute President von Didi, sein Vater der Gründer des Computer-Giganten Lenovo.

Bei der Telefonkonferenz geht es um die Frage, ob Kalanick am nächsten Tag wie geplant für einen höchst ungewöhnlichen Termin nach Seoul reisen sollte. Ende 2014 hatte ein koreanischer Staatsanwalt ihn angeklagt, weil er ihn für den nach Ansicht der südkoreanischen Behörden illegalen Taxi-Dienst von Uber in dem Land verantwortlich machte. Konkret ging es um eine Variante des in den USA beliebten Dienstes UberX, bei dem private Fahrer Passagiere in ihren eigenen Autos transportieren. Kalanick hat sich bereit erklärt, vor Gericht zu erscheinen, um auf die Vorwürfe zu reagieren. Nach langen Verhandlungen mit der koreanischen Staatsanwaltschaft hatte das Rechtsteam von Uber sich folgenden Plan ausgedacht: Kalanick sollte sich eines Vergehens schuldig bekennen, das im Prinzip nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt – und dann sofort freigelassen werden.

Aus rein rechtlicher Sicht ist der Auftritt vor einem Gericht in Seoul ein geringes Risiko. Die Staatsanwälte haben den Uber-Anwälten versichert, dass Kalanick auf jeden Fall eine Bewährungsstrafe bekommen wird, sodass er Seoul nach Belieben verlassen kann. Das wäre kein Problem für den CEO, der inzwischen daran gewöhnt ist, Streit mit Regulierungsbehörden und anderen offiziellen Stellen in der ganzen Welt anzufangen. Seit der ersten Unterlassungserklärung der Stadt San Francisco im Jahr 2010 liegt Uber im Clinch mit Gegnern von Seattle bis New York und von Paris bis Neu-Delhi und noch weiter – und häufig facht der kampfeslustige CEO das Feuer mit aufwieglerischen Aussagen in den Medien und haarsträubenden Twitter-Nachrichten noch weiter an. Hinzu kommt: Südkorea war gar kein sehr wichtiger Markt, weil die restriktiven Gesetze des Landes dafür sorgten, dass Uber dort nur die teuerste Limousinen-Version seines Dienstes anbieten konnte. Uber war also weniger aus geschäftlichen Gründen daran interessiert, den Fall abzuschließen, als durch den Wunsch, einen lästigen und peinlichen Stachel in der Flanke des CEO loszuwerden.

Doch während sich das Auto durch den Verkehr in Peking schlängelt, wird Kalanick zunehmend aufgeregt. Er befürchtet, dass aus dem eigentlich einfachen Gerichtsverfahren etwas werden könnte, das er als „Shit Show“ vor Ort in Südkorea bezeichnet. Mehrmals fragt er seine PR- und Rechtsberater, was es bedeuten würde, wenn die lokalen Medien von der Ankunft des Rebellen-CEO in Seoul erfahren. Sein Ziel ist, so wenig Aufsehen zu erregen wie möglich. Aus diesem Grund hat Uber einen Privatjet gemietet, der abflugbereit auf einem Rollfeld in Peking steht, um Kalanick nach Südkorea und wieder heraus zu fliegen, ohne dass die Presse von seinem Erscheinen erfährt. Doch irgendjemand, wahrscheinlich von der Staatsanwaltschaft, hat verraten, dass Kalanick am nächsten Tag kommen soll. Kalanick hat das denkbar schlimmste Szenario für seine eigene Marke und die von Uber vor Augen: Fotos von ihm, wie er in Handschellen durch einen koreanischen Gerichtssaal geführt wird – eine öffentliche Zurschaustellung in Asien genau zu der Zeit, zu der er hart daran arbeitet, in China und im Rest des Kontinents ein Bild von Führungsstärke zu vermitteln.

Wenn es darum geht, sein Image zu bewahren, ist Kalanick kein Detail zu unbedeutend. Zum Beispiel will er wissen, wie viele Türen es in dem Gerichtssaal gibt – um schon mal die besten Fluchtwege planen zu können. Wie sicher ist das Versprechen, ihn sofort freizulassen? Wird er die Zollkontrolle unauffällig im Privatflug-Terminal passieren können? Meinungen fliegen durch die Leitungen, während sich die Manager gegenseitig ins Wort fallen, sogar dem CEO. In einem besonders erhitzten Moment weist Kalanick seinen Mann in Seoul, den obersten Manager für Geschäftsentwicklung in Asien, an, er solle „aufhören, mich zu unterbrechen“.

Es wird Stunden dauern, bis Kalanick beschließt, den Gerichtstermin ausfallen zu lassen und seinen koreanischen Anwälten den Auftrag zu geben, zum vierten Mal eine Vertagung zu beantragen. Das ist ein kalkuliertes Risiko. Einen koreanischen Richter zu verärgern könnte bedeuten, dass Kalanick auf Dauer nicht willkommen in dem Land ist. Doch zumindest kurzfristig zahlt sich das aus. Dass Kalanick nicht erscheint, wird in der südkoreanischen Presse nur kurz erwähnt und überall sonst, auch in den USA, ignoriert. Monate später hat sich in dem Fall immer noch nichts getan, und das dürfte auch so bleiben, bis Uber beschließt, dass es sich wegen des Geschäfts in Südkorea lohnt, sich wieder mit der Angelegenheit zu beschäftigen.

In der Zwischenzeit hat die Uber-Entourage ihr Ziel in Peking erreicht, das glitzernde Shangri-La Hotel. Direkt daneben befindet sich ein Kongresszentrum, in dem Kalanick auf einer von dem chinesischen Internet-Unternehmen NetEase veranstalteten Konferenz auftreten wird. Er und seine Kollegen ziehen sich kurz in einen privaten Raum zurück, um ihre Telefonkonferenz zu Ende zu bringen. Währenddessen wartet in der mit Stroboskoplicht beleuchteten und von plärrenden Lautsprechern beschallten Kongresshalle ein Publikum aus 1.000 zumeist jungen Mitarbeitern von chinesischen Internet-Unternehmen auf seinen Auftritt.

Trotz des Underdog-Status von Uber in China ist Kalanick für das junge, internetaffine Publikum des Landes ein Star. Weil sie begeistert von allem sind, was mit Digitalisierung und Unternehmertum zu tun hat, kennen die Beschäftigten in der Technologiebranche die Geschichte des globalen Erfolgs von Uber und seiner Bemühungen in China sehr gut. Auch wenn Uber in China von Didi klar übertroffen wird, hat sich Uber ein ansehnliches Stück vom Markt gesichert, und der Name Kalanick ist dem Publikum ein Begriff. Der vollgepackte Saal ist skeptisch, aber fasziniert von Kalanicks Ruf als Querdenker und seiner bewiesenen Hartnäckigkeit. Niemand hier weiß, wie dicht vor einer Kapitulation in China Uber steht. Und ebenfalls weiß niemand, wie abgelenkt Kalanick von der Aussicht auf eine mögliche Festnahme in Seoul ist. Das Gefühl der Aufregung im Raum ist spürbar.

Für Kalanick dagegen geht es nur um eine weitere Rede, gefolgt von einem öffentlichen Interview mit einem lokalen Rundfunkjournalisten, der perfektes Englisch spricht. Das Publikum setzt sich die Kopfhörer für die Simultanübersetzung auf und der Uber-CEO geht in seinem schicken grauen Anzug und seinem weißen Hemd auf der Bühne herum; beides hatte er schon vormittags beim Treffen mit dem chinesischen Premierminister getragen. Er hält eine gekürzte Version einer Rede, die er Monate zuvor bei der weltbekannten TED-Konferenz in Vancouver vorgetragen hatte, wieder mit dem Foto von der Vorstadt von Los Angeles, in der er aufgewachsen ist. Immerhin hat er die Wiederholung auf das chinesische Publikum abgestimmt. Hinzugekommen sind neue Informationen über das drei Jahre alte China-Geschäft von Uber, das inzwischen Dienste in rund 60 Städten umfasst. In einer kurzen Fragerunde nach der Rede wird Kalanick gefragt, ob es ihm etwas ausmacht, nur Zweiter auf dem chinesischen Markt zu sein, wo Uber doch fast überall sonst auf der Welt führend ist. Er lacht leise und gibt eine Nicht-Antwort: „Ich betrachte das so: Unser Job ist es, besseren Service für Fahrer und Fahrgäste zu bieten. Wenn wir das letztlich schaffen, werden wir die meisten Kunden haben. Und dafür liegt noch etwas Arbeit vor uns.“ Auch einer direkten Frage nach dem Erstplatzierten Didi weicht Kalanick aus: „In einer idealen Welt bieten wir besseren Service für diese Kunden, und die meisten dieser Kunden sind unsere.“

Es ist später Nachmittag und Kalanick ist nicht nur erschöpft, sondern hat auch Wichtigeres im Kopf als die Frage, ob sich die chinesische Internet-Community davon überzeugen lässt, dass Uber Didi überflügeln kann. Sein Auftritt dauert kaum 20 Minuten. Anschließend verlässt der CEO eilig die Halle, um sich in einem nahe gelegenen Hotel wieder mit seinem Korea-Problem zu beschäftigen.

UBER

Beim Frühstück am nächsten Tag im robusten und luxuriösen Hotel Rosewood Beijing ist die dunkle Wolke, die am Tag zuvor über Kalanick hing, komplett verschwunden. Nachdem er bereits beschlossen hat, den Ausflug nach Korea ausfallen zu lassen, hat er sich neuen Dingen zugewandt. Frisch rasiert und jetzt wie eher üblich mit Jeans und Polohemd bekleidet, ist er ausgeruht und entspannt. Er behauptet, die quälenden Überlegungen ohne irgendwelche Nachwirkungen hinter sich gelassen zu haben. Das Hin und Her mit den Behörden sei ein notwendiger Tanz, erklärt er mir, und er führe nur seine pflichtgemäßen Schritte aus. In der Weltsicht von Kalanick hängt das gesamte Geschäftsmodell von Uber davon ab, überholte Gesetze infrage zu stellen, die erlassen wurden, um alte Interessen zu schützen und Innovationen zu verhindern, statt Verbrauchern zu helfen. Das gesamte Konzept von Taxi-Lizenzen und festen Preisen zum Beispiel behindere das Angebot und halte die Preise hoch – beides Nachteile für die Kunden. Für Kalanick ist es Teil seines Jobs geworden, das zu bekämpfen, was er für Ungerechtigkeit hält. Wo die Welt einen Provokateur sieht, schaut er in den Spiegel und sieht einen Wahrheitssucher.

Weil er für diesen angenehmen Sommervormittag eigentlich vorgehabt hatte, still und leise nach Korea zu fliegen, hat Kalanick jetzt einen leeren Terminkalender vor sich, was nur selten vorkommt. Erst am nächsten Tag steht mit Hangzhou sein nächstes Ziel auf dem Plan. Nachdem er ein Omelett vertilgt hat, will er sich an seinen Computer setzen und mal sehen, „ob ich irgendwo Ärger anzetteln kann“, wie er erklärt.

Und so beginnt Kalanick genau in diesem Moment, mir die Geschichte seines Lebens zu erzählen. Ich hatte einen guten Teil der vergangenen zwei Jahre damit verbracht, den widerwilligen CEO davon zu überzeugen, für ein Buch über Uber mit mir zu kooperieren. Als Autor für Forbes mit Sitz in San Francisco hatte ich seit fast 20 Jahren über die wichtigsten Unternehmen im Silicon Valley berichtet und hatte im Jahr 2012 ein Buch über Apple geschrieben. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten und Gesprächen über weitere Gespräche hatte Kalanick endlich nachgegeben. Ich hatte vor, das Buch mit oder ohne ihn zu schreiben, also entschied er pragmatisch, sich lieber dazu zu äußern als zu schweigen. Ein paar Wochen zuvor hatte er mich eingeladen, ihn auf seiner Reise nach China zu begleiten, weil das Land eine zentrale Rolle für die Uber-Story spiele. Zudem hatten Kalanick und seine Berater korrekt vorhergesehen, dass eine Reise weit weg vom Hauptquartier Gelegenheiten bringen würde, bei denen der gehetzte Chef Zeit hat, um mit mir zu sprechen.

Tatsächlich hört Kalanick, als er erst einmal begonnen hat, mit dem Reden gar nicht mehr auf. Wir setzen unser Gespräch im Verlauf der nächsten Tage in China fort und auch dann noch, als wir beide wieder zurück in San Francisco sind. Wir sprechen während eines Fluges – in der Maschine, die ihn eigentlich nach Korea bringen sollte – in die Küstenstadt Hangzhou, wo er die Führungsspitze von Uber China sowie Jack Ma treffen will, Gründer von Alibaba und die wichtigste Internet-Persönlichkeit Chinas. Wir sprechen in einem Van, der Kalanick in ein Resort-Hotel am Rand von Hangzhou bringt. Wir sprechen Mitte Juli wieder zu Hause in San Francisco, bei einem dreistündigen Spaziergang durch die Stadt. Und wir sprechen bei vielen weiteren formellen und informellen Gelegenheiten.

Die Geschichte von Uber ist nicht identisch mit der von Travis Kalanick, aber er spielt die zentrale Rolle darin. Dabei stammte die Idee für Uber ursprünglich gar nicht von ihm. Das gesamte erste Jahr seiner Existenz über war Kalanick nur in Teilzeit für das Unternehmen tätig, weil er sich noch von seinem letzten Job erholte und sich Optionen für den nächsten offen halten wollte. Trotzdem war Kalanick schon fast bei der Gründung von Uber dabei, und er hat die entscheidenden Erkenntnisse beigesteuert, die aus der lediglich interessanten Idee von jemand anderem etwas unbestreitbar Bahnbrechendes machten. Seit der Zeit, als das Unternehmen erstmals in Schwung kam und über San Francisco hinaus expandierte, war er sein gnadenloser, omnipräsenter CEO. Als Folge davon wurde Uber so sehr mit Kalanick identifiziert wie Microsoft mit Bill Gates, Apple mit Steve Jobs und Facebook mit Mark Zuckerberg.

Ob Uber ebenso mächtig und wertvoll wird wie diese ausdauernden Technologie-Titanen oder nicht: Sein CEO ist bereits jetzt zu einem Objekt der Faszination und für viele auch des Abscheus geworden. In der kurzen Zeit, in der sich Uber von einer Idee zum größten der sogenannten Einhörner – nicht börsennotierte Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind, was einst eine Seltenheit war – entwickelte, wurde Kalanick selbst weltbekannt für seine Skrupellosigkeit, seinen Mangel an Empathie und seine Bereitschaft, die Regeln von allen anderen zu ignorieren. Er war ein Paradebeispiel für die „Brogrammer“-Kultur von San Francisco, ein von Männern dominiertes Universum aus Technikern, die zu Entrepreneuren geworden sind. Kalanick war älter als Gates, Jobs oder Zuckerberg, als diese ihre Unternehmen gründeten. Doch als er zu Uber kam, war er als Manager bereits eine feste Größe in der Start-up-Community von San Francisco, die sich nach der Dotcom-Blase dort gebildet hatte.

Und während er sich bei seinen vorigen Start-ups schwertat, war Kalanicks Timing bei Uber perfekt. So wie Microsoft die Revolution mit Personal-Computern definierte, Apple das nächste Kapitel der digitalen Unterhaltung schrieb und Facebook die mächtigste Publishing-Plattform des 21. Jahrhunderts schuf, so steht Uber beispielhaft perfekt für alle Merkmale der nächsten Welle in der IT-Industrie. Weil Uber auf das Prinzip „mobile first“ setzt, würde es das Unternehmen ohne iPhone gar nicht geben. Fast von Anfang an setzte Uber auf eine globale Expansion – viel früher, als es im Zeitalter der Softwarepakete und klobigen Computer möglich gewesen wäre. Uber ist führend in der sogenannten Gig-Economy und schafft geschickt eine Verbindung zwischen der eigenen Technologie und den Vermögenswerten (Autos) von anderen Menschen sowie deren Arbeitskraft; sie werden als freie Mitarbeiter bezahlt und bekommen daher keine teuren Sozialleistungen. Solche „Plattform“-Unternehmen waren schwer in Mode, als Uber bekannt wurde. Airbnb musste keine Immobilien besitzen, um Gewinn mit deren Vermietung zu machen. Thumbtack und TaskRabbit wiederum sind nur zwei Beispiele für Unternehmen, die Kunden mit Dienstleistern auf der Suche nach Aufträgen zusammenbringen – ohne selbst jemanden einstellen zu müssen.

Ende 2016 stand Uber an einem Scheideweg. Das Unternehmen hatte 17 Milliarden Dollar Kapital von privaten Investoren aufgenommen und eine für ein noch junges, nicht börsennotiertes Unternehmen unerhörte Gesamtbewertung von 69 Milliarden Dollar erreicht. Wenige Wochen nach Kalanicks wilder Fahrt durch die Straßen von Peking sollte Uber mit seinem Ausstieg aus dem chinesischen Markt Kritiker und Fans gleichermaßen schocken. Denn damit verließ das Unternehmen das Land, in das Kalanick persönlich enorm viel Energie und Glaubwürdigkeit investiert hatte, vom Geld seiner Investoren ganz zu schweigen. Fast 20 Jahre lang war Kalanick der ewige Entrepreneur gewesen, der niemals aufgibt. Doch da stand er jetzt, schwenkte in China die weiße Fahne und führte als Grund dafür Pragmatismus an: „Als Entrepreneur habe ich gelernt, dass man, um Erfolg zu haben, sowohl auf seinen Kopf hören als auch seinem Herz folgen muss“, schrieb er in einem Blog-Beitrag, in dem er den Verkauf von Uber China an Didi ankündigte.

Die Chancen dafür waren schlecht gewesen, doch es hatte so ausgesehen, als würde Uber in China vorankommen. Immerhin war es dem Unternehmen gelungen, von der chinesischen Regierung eine stillschweigende Genehmigung für sein Angebot zu bekommen, was Google, Facebook, eBay und andere nicht geschafft hatten. Doch pro Jahr verlor Uber in China eine Milliarde Dollar und durch den Verkauf an Didi – durch den Uber zum größten Aktionär von Didi wurde und einen Vertreter von Didi ins eigene Board of Directors bekam – erlebte Kalanick die schmerzhafteste Niederlage seiner Karriere und einen seiner größten Triumphe gleichzeitig. Im Handstreich hatte er aus einer Investition von zwei Milliarden Dollar einen Anteil an einem entstehenden Monopolisten in China mit einem Wert von sechs Milliarden Dollar gemacht. Und indem er den Geldabfluss aus den Kassen von Uber stoppte, für den kein Ende abzusehen war, stärkte er die Finanzen des Unternehmens und bereitete so den Weg für einen späteren Börsengang in den USA.

Auch Kalanick selbst stand an einem Scheideweg. Seit dem Alter von 20 Jahren war er stets der rauflustige Entrepreneur mit Ecken und Kanten sowie einem losen Mundwerk gewesen. Beim ersten Start-up, bei dem er involviert war, ging er aufs Ganze – und verlor. Sein zweites Technologieunternehmen wurde zu einem bescheidenen, aber anstrengenden Erfolg. Bei Uber hatte er dann schon schwindelerregende Höhen erreicht, bezahlte dafür aber einen hohen Preis. In der ganzen Welt war er als Arschloch bekannt, als skrupelloser, den Behörden trotzender Libertär, bewundert für seine Hartnäckigkeit, aber verhasst wegen seiner Verbrannte-Erde-Taktik. Dieses Image gefiel ihm nicht. Selbst intime Kenner der Szene im Silicon Valley könnten es überraschend finden: Travis Kalanick fühlte sich missverstanden.

Nichts zu rütteln aber gab es an der Tatsache, dass er jetzt CEO eines großen Unternehmens war, eines mit einem Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Dollar und etwa 10.000 Mitarbeitern. Selbst Kalanick war klar, dass es vorbei war mit den Tagen, als er noch eine Smartphone-App zusammenbasteln und der Öffentlichkeit zum Ausprobieren vorsetzen oder ohne Konsequenzen offen aussprechen konnte, was er denkt. Der Mann, der eher gewohnt war, bei einem „Jam“ einen „Hack“ für ein Problem zu finden, von dem die Kunden gar nicht wussten, dass sie es hatten, stand jetzt im Epizentrum der etablierten Geschäftswelt (Ende 2016 berief der damals neu gewählte US-Präsident Donald Trump Kalanick in ein 18-köpfiges „Strategic and Policy Forum“, eine Gruppe von Beratern aus der Wirtschaft. Wenige Tage nach der Amtseinführung Trumps und dessen plötzlichem Einreiseverbot für Bürger aus sieben mehrheitlich islamischen Ländern, das für Zorn bei Mitarbeitern und Kunden sorgte, gab er diese Position eilends wieder auf. Die Geschichte von Kalanick – und seines Unternehmens – bietet einen Blick auf die wichtigsten Wirtschaftstrends in einem Umfeld, das geprägt ist von Smartphones, leichtem Zugang zu Kapital und der Nutzung von künstlicher Intelligenz, wie sie sich Informatiker seit Jahren erträumen. Damit erzählt dieses Buch die Geschichte eines Unternehmens, das prägend ist für seine Zeit, und seines einzigartigen CEO. Der Streit darüber, ob Kalanick ein Arschloch ist oder nur falsch verstanden wird, wird sich möglicherweise nicht beenden lassen. Doch wie Kalanick und Uber zu dem wurden, was sie heute sind, und wie sie derart erfolgreich werden konnten, kann man durchaus erklären.

UBER

Zum ersten Mal getroffen habe ich Travis Kalanick im Juli 2011, weniger als ein Jahr, nachdem er CEO von Uber geworden war. Damals war das Unternehmen winzig, und nur ein paar Hundert lizenzierte Limousinen-Fahrer, alle in San Francisco, nutzten seine App. Trotzdem hatte Uber zu dieser Zeit schon den Glanz eines aufsteigenden Startups aus San Francisco erreicht. Noch allerdings sollte es zwei Jahre dauern, bis es die Strategie eines seiner Konkurrenten übernehmen und normalen Autobesitzern erlauben sollte, über die Uber-App Geld zu verdienen. Das Unternehmen war also schon cool und angesagt, hatte aber noch nicht das explosive Wachstum begonnen, das es bald zum höchstbewerteten Start-up der Welt machen sollte.

Bei diesem ersten Treffen schilderte mir Kalanick, damals 34 Jahre alt, die Grundzüge seiner bisherigen Karriere. In Los Angeles geboren, brach er ein Informatikstudium an der dortigen University of California im Hauptstudium ab, um für ein Unternehmen namens Scour zu arbeiten, das ein paar seiner Kommilitonen gegründet hatten. Scour hatte Ähnlichkeit mit Napster, dem Dienst, den die Medienindustrie kurz zuvor aus dem Geschäft geklagt hatte. Die Filesharing-Konzepte von Scour nutzte Kalanick dann, um ein weiteres Unternehmen zu gründen: Red Swoosh, das „aus Klägern Kunden machen“ sollte, indem es Peer-to-Peer-Software entwickelte, die Medienunternehmen für legale Angebote einsetzen konnten. Sechs lange Jahre später verkaufte er dieses Unternehmen an Akamai, den dominierenden Software-Anbieter in diesem Bereich. Der Kaufpreis reichte für Kalanick gerade aus, um in den Klub der Entrepreneure aus San Francisco aufgenommen zu werden, denen ein „Exit“ gelungen war – also ein Finanzierungsereignis, das etwas Geld in ihre privaten Taschen brachte.

Bei unserem ersten Gespräch erzählte mir Kalanick außerdem von den Anfängen von Uber – einen im Nachhinein erdichteten Gründungsmythos, wie ihn jedes erfolgreiche Start-up aus dem Silicon Valley braucht. Er und ein Freund namens Garrett Camp hätten ein Aha-Erlebnis gehabt, als sie bei einem Sturm in Paris Ende 2008 kein Taxi finden konnten. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, das eigene Telefon als Taxizentrale zu nutzen! „Der Kern der Idee stammt von Garrett“, sagte Kalanick, „von mir kam die Geschäftsarchitektur.“

Drei Jahre später war Uber bei seiner jungen, hauptsächlich männlichen Kundschaft schon überaus beliebt – bei Leuten wie Kalanick und Camp selbst, die Gefallen an dem revolutionären Konzept fanden, einen Knopf auf ihrem Smartphone zu drücken und sich dann von einer Lincoln-Limousine zu Hause abholen zu lassen. Wenn man bedenkt, wie schwierig das Verhältnis zwischen Uber und seinen Fahrern heute ist, fällt umso mehr auf, wie sehr Kalanick bei unserem Treffen Mitte 2011 betonte, dass er die Fahrer liebe. Immer wenn sie im Hauptquartier von Uber seien, so sagte er, bekämen sie eine Umarmung von ihm. „Wenn sie hier sind“, also in den bescheidenen Uber-Büros an der Ecke Fourth Street und Market Street in San Francisco, „sage ich immer ‚Los, dicke Umarmung!‘“ Außerdem erzählte Kalanick die Geschichte von der ersten Krise des Unternehmens, an einem Tag im Herbst des Vorjahres, als die Stadt San Francisco ihm eine Unterlassungserklärung zustellte. Das Unternehmen, damals noch unter dem Namen UberCab, kam zu dem Schluss, die Stadt sei gar nicht zuständig, erstens weil Uber nur eine Technologie-Plattform sei, die keine Autos besitzt und keine Fahrer beschäftigt, und zweitens weil seine „Partner“ Limousinen führen und keine Taxis. „Also haben wir das ‚Cab‘ aus unserem Namen gestrichen“, so Kalanick. Ansonsten kümmerte sich Uber nicht um die Aufforderung der Stadt, das Vermitteln von Fahrten einzustellen.

In diesem Sommer 2011 sprühte Kalanick vor Optimismus. In New York war Uber bereits aktiv und für wenig später war der Start in Seattle, Washington, Boston und Chicago geplant. Kalanick prahlte mit der schwierigen Mathematik, die Uber einsetze, um zu berechnen, wann Fahrgäste mit dem Eintreffen ihres Fahrers rechnen können. In der „Mathematik-Abteilung“ von Uber, so formulierte er es, würden ein Computer-Statistiker, ein Raketenwissenschaftler und ein Kernphysiker arbeiten. Sie würden eine Gauß’sche Prozess-Emulation nutzen, also ein raffiniertes Statistikmodell, um die in den Landkarten-Produkten von Google verfügbaren Daten zu verbessern. „Unsere Schätzungen sind denen von Google weit überlegen“, sagte Kalanick.

Zum ersten Mal lernte ich gleich auch den arroganten Kalanick kennen. Ich sagte ihm, ich hätte eine Idee für einen neuen Markt für Uber. Vor Kurzem hatte ich einen Babysitter über den Dienst nach Hause fahren lassen, was sehr praktisch war, denn ich konnte mit meiner Kreditkarte bezahlen und dann den Weg des Autos auf meinem Telefon nachverfolgen, um sicher zu sein, dass der Babysitter sicher zu Hause ankommt. Ich musste dafür nicht einmal das Haus verlassen. Ich war ganz sicher, dass auch andere Eltern das attraktiv finden würden und dass Uber mit einer Vermarktung bei dieser Zielgruppe sein Image verbessern könnte. Kalanick hätte den Vorschlag einfach weglächeln können. Stattdessen machte er unmissverständlich deutlich, dass er nicht interessiert sei. Meine Idee passte nicht zu Kalanicks Bild von Uber als einem Dienst für Siegertypen, mit dem wohlhabende Single-Männer wie er standesgemäß durch die Stadt reisen können. Das Motto von Uber zu dieser Zeit lautete „Ein privater Chauffeur für jeden“. Ein Dienst, mit dem Eltern ihre Babysitter nach Hause schicken können? Uninteressant.

In der Zeit darauf traf ich Kalanick immer mal wieder in San Francisco, manchmal im Battery, dem schicken privaten Dining-Club in einer umgebauten Marmorfabrik aus der Zeit vor dem großen Erdbeben, oder bei Branchenkonferenzen. Als ich ihm in der Schlange vor einem Frühstücksbuffet erzählte, dass ich Uber liebe, aber nicht in einer Luxuslimousine herumgefahren werden möchte oder muss, sagte er mir, ich solle Geduld haben. Ein neuer Dienst namens UberX werde meine Meinung über Uber ändern.

Anfang 2014 dann, also zu der Zeit, als Uber gerade zu einem weltweiten Phänomen wurde, schrieb ich Kalanick per E-Mail, dass ich ein Buch über sein Unternehmen schreiben wolle. Seine Antwort war kurz – und passte zu seinem Charakter. „Ich bin ein Fan Ihrer Arbeit und ich bin geschmeichelt, dass Sie darüber nachdenken, ein Buch über Uber zu schreiben“, schrieb er zurück. „Allerdings ist meiner Meinung nach jetzt nicht die richtige Zeit dafür. Ich weiß nicht, ob Sie vorhaben, das Buch trotzdem zu schreiben. Aber ich werde den Leuten, die ich kenne, deutlich sagen, dass sie dabei nicht kooperieren sollen, und wenn Sie trotzdem dabei bleiben, werde ich einen anderen Autor finden, der ein autorisiertes Buch schreibt, mit dem er Ihrem Konkurrenz macht und für das er uneingeschränkten Zugang zu uns bekommt. Diese Vorgehensweise würde ich nur ungern wählen, aber es geht um ein wichtiges Thema, das mir sehr am Herzen liegt.“ Er beendete die E-Mail mit „Danke, T.“