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Utta Danella

Regina auf den Stufen

Roman

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Stella Termogen

oder die Versuchungen der Jahre

978-3-95751-199-7

Zunächst scheinen Stella Termogens Chancen auf ein sorgenfreies und glückliches Leben denkbar schlecht zu stehen. Das Mädchen mit dem ungewöhnlichen Namen wird zwischen den beiden Weltkriegen geboren. Aber Stella ist eine Kämpferin. Aus dem traurigen Kind wird ein unbeschwertes, fröhliches Mädchen. In Berlin endet für Stella die vielleicht schönste Zeit, aber dafür beginnt ein aufregendes Leben: Sie arbeitet als Mannequin für ein Berliner Modehaus, wird zur Weltenbummlerin. Doch von einem entfernt sie sich immer mehr: von der Liebe des Mannes, bei dem sie eine Heimat finden kann.

Die Autorin

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Utta Danella

Utta Danella ist mit 43 Romanen und einer Auflage von weltweit rund 70 Millionen Büchern die erfolgreichste deutschsprachige Schriftstellerin der Nachkriegszeit. Geboren am 18. Juni 1920 in Leipzig und aufgewachsen in Berlin, begeisterte sich Utta Danella (eigentlich Utta Denneler) früh für Theater, Oper und Musik und nahm neben der Schule Schauspielunterricht, Tanz- und Gesangstunden. Schon als 14jährige versuchte sie sich heimlich an einem ersten Roman. Nach dem Abitur schrieb sie Beiträge für verschiedene Zeitungen und für den Rundfunk. Sie zog später nach München und veröffentlichte 1956 ihren ersten Roman Alle Sterne vom Himmel, nachdem das ursprünglich über 1000 Seiten umfassende Manuskript um die Hälfte gekürzt worden war. Obwohl sich nur ein bescheidener Erfolg einstellte, drängte Verleger Franz Schneekluth die Autorin, für die er auch das Pseudonym erfand, ihre schriftstellerische Arbeit fortzusetzen. Und mit ihrem vierten Roman Stella Termogen gelang Utta Danella auch der Durchbruch: Die Auflage stieg rasch auf über 100.000 Exemplare. Von da an reihte sich ein Bestseller an den anderen. Utta Danella lebt heute nach wie vor in München. Im November 1998 verlieh ihr Bundespräsident Roman Herzog das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Im Juni 2000 erwarb die Bavaria Film die Verfilmungsrechte an sämtlichen Danella-Romanen. Zahlreiche Romane wurden verfilmt. Die beliebte Autorin verstarb 2015 in München, im hohen Alter von 95 Jahren.

Fräulein Marie langweilte sich grässlich. Der Arm lag in Gips, schmerzte verhältnismäßig wenig und heilte brav vor sich hin. Einige Tage hatte sie genossen, früh länger zu schlafen, oder besser gesagt, im Bett zu liegen, denn pünktlich wie nun schon seit vielen Jahren weckte die inwendige Uhr sie um 5.30 Uhr.

Die Witwe Biermann, bei der sie wohnte, erschien meist so gegen 7.30 Uhr, um bei der Bereitung des Frühstücks zu helfen, denn mit einem Arm im Gips stellte man sich etwas ungeschickt an beim Kaffeekochen und Brötchenstreichen. Frische Brötchen brachte übrigens jeden Morgen der Lehrbub von Mosers herüber, doch das tat man Fräulein Marie zuliebe. Sonst hatte es die Bäckerei noch nicht wieder eingeführt, den Kunden morgens die Brötchen ins Haus zu liefern. Man wusste zwar, dass einige Bäckereien in der Stadt diese übersteigerten Vorkriegsbräuche wieder aufgenommen hatten, aber hier draußen, wo man keine Konkurrenz besaß, erübrigte sich dies. Herr Moser hatte es mal erwogen, doch seine Frau erklärte energisch: »Schmarrn. Wer Semmeln will in der Früh, der soll sich’s selber holen.« Und das taten die Leute denn auch.

Nach dem Frühstück folgte der Morgenschwatz mit Frau Biermann, der aber nicht sehr ergiebig war, da Frau Biermann das Haus seit dem Abendschwatz nicht mehr verlassen hatte. Sonst stellte ja auch Fräulein Marie die Hauptnachrichtenquelle dar. Während eines langen Tages hinter dem Ladentisch der Bäckerei hörte und erfuhr sie genug, um Frau Biermann abends zu unterhalten.

Nachdem Marie eine Serie von Romanheften ausgelesen hatte, sämtliche Illustrierten dazu, die ihr besorgte Nachbarn brachten, und da auch das Rundfunkprogramm nicht wesentlich zur Unterhaltung beitrug, begann sie sich heftig nach der Bäckerei Moser zu sehnen. So tauchte sie eines Vormittags im Laden auf, den Arm in der Schlinge, eine entsprechende Leidensmiene aufgesetzt, aber sonst ganz munter. Natürlich wollte sie nicht arbeiten, nur mal sehen und hören, was los war, und die Vertreterin beäugen. Von Reginas Vorhandensein und Wirken war sie natürlich unterrichtet.

Die gesamte Belegschaft der Bäckerei nahm von ihrem Erscheinen gebührend Notiz, Fräulein Marie erzählte mehrmals ausführlich, wie alles passiert war und wie sie sich fühlte, dann setzte sie sich hinter dem Ladentisch auf einen Stuhl und sah Regina beim Arbeiten zu. Sie schüttelte missbilligend den Kopf, wenn die Aushilfe Schokoladenwaffeln mit Nougatwaffeln verwechselte, wies, kaum dass die Kunden ausgesprochen hatten, auf die verlangten Kuchenstücke und wusste bei den meisten überhaupt schon vorweg, was sie kaufen wollten.

Die Kundinnen waren sehr angetan, Fräulein Marie wiederzusehen, erkundigten sich lang und breit nach ihrem Befinden, worauf Marie jedes Mal aufs Neue von dem Unfall erzählte. Nach wenigen Stunden hatte Regina das Gefühl, sie habe selbst den Arm gebrochen. Nichts an dem ganzen Vorgang war ihr noch fremd.

Ihrerseits erzählten die Kundinnen dann von den letzten Neuigkeiten, denn wenn man sich eine Weile nicht gesehen hatte, war viel geschehen, was des Erzählens wert sein mochte.

Abends spürte Regina ihre Nerven wie noch nie. Sie war nahe daran zu weinen und betrachtete die arme Marie mit feindseligen Augen. Hoffentlich würde die am nächsten Tag nicht wiederkommen.

Aber sie kam, sogar schon früher. Und dabei blieb es. Am liebsten hätte Regina ihre Tätigkeit in der Bäckerei Moser kurz entschlossen beendet. Aber konnte sie sich das leisten? Auch der Gedanke an Martin bestimmte sie dazu auszuharren. Warum sah sie ihn so selten? Er schien gar keine Lust mehr zu haben, sie zu treffen.

Sie sah ihn zufällig eines Abends, als sie gerade gehen wollte.

»Man sieht sich gar nicht mehr«, sagte sie, einen kleinen Vorwurf in der Stimme.

»Ja«, erwiderte er verlegen, »ich weiß. Es tut mir leid. Viel Arbeit. Ich muss auch gleich noch mal weg.«

»So«, sagte sie. »Gefällt es dir da vorn?«

»Wie man’s nimmt. Es geht. Es ist mir egal, was ich tue. Spielt für mich keine Rolle mehr.«

»So«, sagte Regina noch einmal. Das hatte er schon öfter gesagt. Aber jetzt klang es nicht mehr ganz glaubwürdig. Er wirkte nicht mehr so gedrückt, machte keinen so resignierten Eindruck, das Gesicht war entspannt, sein Blick hatte den unsteten Ausdruck verloren.

Eine kurze Weile standen sie stumm voreinander. Keiner wusste mehr etwas Rechtes zu sagen. Regina war enttäuscht. Martin fühlte sich unbehaglich.

»Ja also«, sagte er, »ich muss laufen. Ich will mich nur schnell umziehen. Wiedersehen.«

Er streckte ihr die Hand hin, Regina legte ihre hinein. Sie schaute ein wenig traurig drein, Martin lächelte flüchtig. Oben, während er ein sauberes Hemd anzog und seinen grauen Anzug, hatte er fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Aber warum eigentlich? Doch er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Lore Roth hatte ihn aufgefordert, abends herüberzukommen. Es war schon das zweite Mal. Und Martin ging ganz gern hin.

Das erste Mal war er nicht lange geblieben und war nicht aus seiner Reserve herauszulocken gewesen. Diesmal ging es schon besser. Sie waren oben in der Wohnung, Lore hatte belegte Brote zurechtgemacht und eine Flasche Wein stand auf dem Tisch. Die Abrechnungen und Angebote lagen da, doch Lore schien keine Lust zum Arbeiten zu haben. Sie plauderte ein bisschen über dies und über das. Martin fiel es schwer, ihren leichten Ton aufzunehmen, ihre Blicke zu erwidern. Sie war auch zu hübsch. Nicht blass und hilflos wie Regina, nein, gesund, blühend und voll Leben. Sie trug einen weiten schwarzen Rock, der mit einem bunten Muster geschmückt war. Dazu wieder einen Pullover, eng um die Brust, doch tief ausgeschnitten, man sah Hals, Schultern und den Ansatz der Brust. Es hätte auch einen anderen Mann, der nicht so schwerfällig war wie Martin, verwirrt.

»Wohnen Sie eigentlich immer noch bei dem Bäcker?«, fragte Lore.

»Ja, natürlich.«

»Ich dachte, Sie suchen sich jetzt mal was anderes. Dort wohnen Sie doch ziemlich eng und unbequem, nicht?«

Von wem wusste sie das nun wieder? Sicher hatte ihr Mädchen mit der Marie vom Laden geschwatzt. Dass diese Weiber doch immer miteinander reden mussten!

Martin bekam eine zugeknöpfte Miene und einen abweisenden Blick. Lore übersah es.

»Es kann sein«, sagte sie, »dass bei mir unten demnächst ein Zimmer frei wird. Das können Sie haben.«

Sie bewohnte den oberen Stock des Hauses, das Herr Roth hinter der Tankstelle gebaut hatte. Unten wurde ein Teil als Lagerraum benutzt, in zwei Zimmern wohnten Untermieter.

»Es ist ein hübsches Zimmer. Ich lass es Ihnen billig.«

Martin gab keine Antwort. Warum war sie so nett zu ihm? Wusste er es nicht schon?

»Erzählen Sie mir ein bisschen von sich«, bat sie und lehnte sich zurück.

»Die Abrechnungen …«, wich er aus.

»Die laufen uns nicht davon. – Ich möchte wissen, wie Sie sich fühlen, jetzt, wieder hier, nach all den Jahren. Enttäuscht es Sie?«

Es war unmöglich ihr zu erklären, wie es ihn enttäuscht hatte.

»Haben Sie eigentlich keine … keine Frau?«, fragte Lore. Dabei war sie auch darüber genau informiert.

»Nein«, sagte er steif. »Nicht mehr.«

»Und Sie sind immer ganz allein?«

»Ich bin am liebsten allein.«

»Wirklich? Ich finde es schrecklich, allein zu sein.« Sie machte ein betrübtes Gesicht. »Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es für mich ist, seit mein Mann tot ist. Ich bin so liebesbedürftig. Bei einer Frau ist eben manches anders.«

Ein blödes Gespräch. Martin rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Was sollte das alles? »Sie werden ja sicher wieder heiraten«, sagte er.

»Vielleicht. Aber das muss man gut überlegen. Und die Männer heutzutage …«, sie seufzte, »die haben gar keine Zeit für die Liebe, so wie eine Frau sie sich wünscht. Und ohne Liebe würde ich nie heiraten.« Sie machte eine wirkungsvolle kleine Pause, seufzte noch einmal und lachte dann ein wenig. »Aber Sie wollten mir von sich erzählen, Martin.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich arbeite hier, dann gehe ich nach Hause und schlafe. Das ist alles, und von den vergangenen Jahren möchte ich lieber nicht sprechen.«

»Das kann ich verstehen. Sie sollen es ja auch vergessen. Es ist schlimm genug.« Ihre Stimme klang weich und mütterlich, und das war echt.

»Schmeckt Ihnen der Wein?«

»Ja, danke. Sehr gut.«

Sie füllte die Gläser. »Na dann, prost. Auf eine bessere Zukunft.«

Dachte Martin noch an Regina? Nein. Das war alles ganz anders hier, viel leichter. Er kannte auch Lore erst seit drei Wochen. Aber sie kam nicht, um seine Einsamkeit zu teilen, sie fegte sie einfach beiseite, warm, lebendig. Er wusste selbst nicht, wie es kam, plötzlich saß er neben ihr auf der Couch, sie war ganz nahe, das glänzende schwere Haar, halbgeschlossene Augen, ein süßes Parfüm. Sie lehnte sich ein wenig an ihn und lachte.

»Ich glaube, ich habe einen kleinen Schwips. Ich trinke jetzt so selten Wein. Seit ich allein bin, habe ich ja auch keinen Grund dazu.« Es war eine glatte Lüge, aber das konnte er nicht wissen. Ganz nah bei ihm war die weiße zarte Haut einer Frau, ein voller weicher Mund. Dann küsste er sie auf einmal. Oder küsste sie ihn?

Er hielt sie im Arm, eine wirkliche, lebendige Frau, ihre Zunge zuckte spielerisch an seinen Lippen, er spürte ihre Brust, den warmen, bereitwilligen Leib.

Hatte sie gedacht, es würde schwer sein, ihn zu erobern? Es war ganz leicht. Er war so einsam, so hungernd nach ein wenig Zärtlichkeit und immer noch nicht richtig daheim. Was für sie nur ein Spiel war, ein immer wieder neues, immer wieder genossenes Spiel, das war für ihn ein neues, wiedergeschenktes Leben.

Gaby kam am Nachmittag aus der Kinderklinik, wo sie ihren kleinen Sohn wie jeden Tag besucht hatte. Zwar durfte sie nicht zu ihm ins Zimmer, sie sah ihn nur durch ein kleines Fenster, doch selbst auf die Entfernung sah sie, dass es ihm schon viel besser ging. Er war sehr krank gewesen. Das runde kleine Gesicht war blass und spitz geworden, ganz mager. Es gab ihr jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn sie es sah.

Die ersten Tage war sie halb verrückt gewesen vor Angst. All die beruhigenden Worte des Arztes, das gute Zureden Pauls hatten sie nicht aus dem lähmenden Entsetzen reißen können, das der Anblick des nach Luft ringenden Kindes verursacht hatte.

Immer und immer wieder der gleiche Gedanke: Das ist die Strafe. Ich habe Martin den Tod gewünscht, Gott straft mich jetzt und lässt mein Kind sterben.

Sie hatte in Pauls Armen verzweifelt geschluchzt und immer wieder gestammelt: Es ist meine Schuld. Es ist die Strafe.

Paul hatte nicht gefragt, wofür es die Strafe sein sollte. Er wusste, was sie meinte, und begriff ihre Erschütterung. Daher vermied er es, auf das begonnene Gespräch zurückzukommen, obwohl er wusste, dass sie eines Tages doch würden darüber sprechen müssen.

Gaby ging langsam die wenigen Schritte zum Wagen. Es war ein klarer, sonniger Tag, gar nicht kalt. Fast schon Frühlingswetter. In ihrem Herzen war Dankbarkeit, dass Michi gesund werden würde. Alles war sie bereit herzugeben, Paul, das angenehme Leben, das er ihr bot, Sicherheit, Ruhe, alles, nur das Kind, der kleine blonde Bub da oben in seinem Bettchen, er durfte ihr nicht genommen werden. Seltsam, wie so etwas kam! Man konnte es nicht begreifen, wenn man es von anderen hörte, erst wenn man selbst ein Kind hatte, verstand man es.

Als sie damals gemerkt hatte, dass sie ein Kind bekommen würde, war es ihr gar nicht recht. Endlich war ihr Leben ein wenig leichter geworden. Paul sorgte für sie, er liebte sie. Gaby fand das Leben endlich wieder einmal ganz vergnüglich.

Sie hatte schwere Jahre hinter sich. Ganz fremd kam sie in diese Stadt, die Nachkriegsjahre waren schwer und trübe gewesen. Sie arbeitete für wenig Geld. Zuerst bei den Amerikanern. Während dieser Zeit hatte sie eine kurze Affäre mit einem amerikanischen Offizier, der sehr gut zu ihr war. Doch dann ging er zurück nach Amerika.

Längere Zeit hatte sie dann ein Verhältnis mit einem jungen Schauspieler, der noch weniger besaß als sie selbst und der sie mehr quälte als liebte.

Zu jener Zeit dachte sie noch, dass Martin tot sei. Als sie die erste Nachricht von ihm erhielt, auf tausend Umwegen, weinte sie vor Freude und war bereit, wieder an die Zukunft zu glauben. Aber die Jahre vergingen, eines nach dem anderen, er kam nicht zurück.

Nach der Währungsreform bekam sie eine gute Stellung in einem großen Betrieb. Da sie tüchtig und gewandt war, hatte sie sich nach zwei Jahren zur Chefsekretärin heraufgearbeitet.

Sie verdiente gut, konnte endlich etwas angenehmer leben. Dann lernte sie Paul kennen. Er war Ingenieur und arbeitete zu jener Zeit als Vertreter einer großen Maschinenbaufirma. In dieser Eigenschaft kam er öfter zu ihr ins Büro. Sehr männlich, ein wenig von der sieghaften, draufgängerischen Art, die den meisten Frauen so gefällt, dabei immer höflich, ja galant und niemals zudringlich, konnte man ihm schwer widerstehen. Ihm gefiel die charmante kleine Frau, die so tüchtig war und mit der man so nett plaudern konnte. Seine Einladung, mit ihm auszugehen, nahm sie mit natürlicher Sicherheit an. Privat lernte er sie von einer anderen Seite kennen, kapriziös, temperamentvoll, ein wenig leichtlebig, dabei eine Frau, mit der man sich überall sehen lassen konnte. Als er sie das erste Mal küsste, spürte er, dass sie das Alleinsein satt hatte.

Auch der Gedanke an den Mann im fernen Russland ließ es sie nicht leichter ertragen.

Paul verliebte sich ernstlich. Und sie erwiderte seine Gefühle. Sie verlebten eine glückliche Zeit. Er war viel auf Reisen, doch wenn er kam, waren es wunderschöne Tage. Sie fuhren zum Wochenende ins Gebirge, sie machten herrliche Ferienreisen zusammen und verstanden sich immer besser. Aus Verliebtheit wurde Liebe. Es kam wohl daher, dass sie so gut zusammenpassten. Sie hätten ohne Weiteres heiraten können, wenn es möglich gewesen wäre. Paul kam rasch voran. Er bekam die Generalvertretung seiner Firma und verdiente viel Geld. Nun hatte er in der Stadt ein Büro, reiste seltener; er war ein Mann, dessen Zukunft, soweit dies möglich war, gesichert schien. Und dann meldete sich Michi an. Zunächst sann Gaby auf Abhilfe. Aber Paul wollte davon nichts wissen. Seine Freude an dem erwarteten Kind steckte sie an. Ja, warum eigentlich sollte sie kein Kind haben? Früher hatte sie es sich stets gewünscht. Sie wurde nicht jünger. Dass sie zunächst nicht heiraten konnten, war nicht so schlimm. Man würde es zu gegebener Zeit nachholen. Endgültig löste sich ihr Herz von Martin.

Sie gab ihre Stellung auf und zog ganz zu Paul. Zunächst hatten sie eine etwas unbequeme Wohnung in der Innenstadt, doch bald nach der Geburt des Kindes zogen sie in die Neubauwohnung im besten Viertel der Stadt. Gaby lebte jetzt nicht anders als jede glücklich verheiratete Frau und Mutter, die ein normales Familienleben und geordnete Verhältnisse hat. Die meisten ihrer Bekannten wussten gar nicht, dass sie und Paul nicht verheiratet waren.

Manchmal sprachen sie von Martin, der in immer größere Entfernung rückte. Wenn er wiederkam, würde man die Angelegenheit regeln, so fair und anständig, wie es eben ging. Ein wenig Angst vor dem Zusammentreffen war da, ein wenig Schuldbewusstsein, sie schoben es beiseite und sprachen immer seltener davon.

Aber nun war Martin da. Die Tatsache, dass er lebte und hier war, ließ sich nicht so leicht ignorieren, wie Gaby es gern gewollt hätte, wenn es auch keinen Zweifel daran gab, dass sie viel mehr mit Paul verband als mit Martin. Nicht nur das Kind und die lebendige Gegenwart ihrer Liebe, auch die Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, zählte nach Tagen und Stunden ja viel mehr als die kurze Ehe damals mit Martin, als sie zudem noch ein halbes Kind gewesen war. Doch es ließ sich nicht leugnen, dass diese Ehe ihr eine Verpflichtung auferlegte und eine Aufgabe stellte, der sie nicht aus dem Weg gehen konnte.

Immer und immer wieder fragte sie sich: Aber was hätte ich denn tun sollen? Ihn empfangen, als sei alles in Ordnung? Und dann erst, wenn er glaubte, heimgekehrt zu sein, zu ihr, zu seiner Frau, dann sagen, es ist alles nicht wahr, ich gehöre nicht mehr zu dir, ich lebe seit Jahren mit einem anderen Mann? Alles war gleich grausam und herzlos, wie Paul es genannt hatte. So hatte Martin die Wahrheit erfahren, gleich als er gekommen war. Aber Paul war es, der sie ihm gesagt hatte, vielleicht war das falsch gewesen.

Mit gesenktem Kopf saß Gaby hinter dem Steuer und konnte sich nicht entschließen wegzufahren. Nur wenn sie bei Michi war, nur in seiner Nähe schien ihr Leben noch Sinn zu haben, war sie noch im Einklang mit der Umwelt.

Paul war am Tag zuvor geschäftlich nach London geflogen. Es hatte deswegen einen kurzen Streit zwischen ihnen gegeben. Gaby fand, er brauche nicht gerade wegzufahren, solange Michi krank sei. Paul erwiderte, die Gefahr sei doch vorüber.

»Ich mache mir noch immer Sorgen«, sagte Gaby darauf. »Du brauchst mich nicht gerade jetzt allein zu lassen.«

Und etwas ungeduldig und gereizt, wie oft in letzter Zeit, hatte Paul erwidert: »Liebes Kind, du solltest wirklich nicht nur immer deine Person und deine Belange in den Mittelpunkt deiner Gedanken stellen.«

Darauf war Gaby beleidigt gewesen. Ja, es kriselte zwischen ihnen, daran war kein Zweifel. Paul war aus der Verliebtheit der vergangenen Jahre aufgeschreckt und betrachtete sie mit kritischen Augen. Das machte Gaby unsicher. Es machte sie ungerecht und kleinlich und empfindlich und kühlte auch ihre Gefühle ab. Gewiss, solche Zeiten gab es in jeder Ehe. Aber ihr Zusammensein war eben keine Ehe, das machte alles noch schwieriger.

Paul hatte es gleich danach leidgetan. Er sagte: »Nun komm, sei vernünftig, Gaby! Michi wird bald wieder ganz gesund sein. Dann nehme ich mir ein bisschen Urlaub und wir fahren ins Gebirge zum Skilaufen, das wird uns beiden guttun.«

Sie waren bisher jeden Winter zu einem Urlaub weggefahren. Paul war ein guter Skiläufer und Gaby hatte den schönen Sport auch wieder ausgeübt. Als junges Mädchen war sie auch schon Ski gelaufen, damals, daheim im Riesengebirge. Martin hatte es ihr beigebracht. Er und sein Bruder waren erstklassige Läufer, sie beteiligten sich an Wettbewerben und Meisterschaften und brachten manchen Preis nach Hause. Kein Wunder, im Gebirge aufgewachsen, waren sie gleichsam auf Skiern großgeworden, der schneereiche schlesische Winter und das günstige Gelände des Riesengebirges boten ausreichende Trainingsmöglichkeiten. Auch Martins Vater lief damals kaum schlechter als die Söhne. Und oft war Gaby mit allen drei Männern auf Skiern unterwegs gewesen.

Martins Vater! Wenn sie an ihn dachte, tat ihr jedes Mal das Herz weh. Sie hatte ihn so liebgewonnen, genaugenommen war er ihr vertrauter und näher gewesen als Martin selbst. In den letzten Kriegsjahren, nachdem ihre Mutter gestorben war und der Krieg Martin ganz verschluckt hatte, lebte sie bei ihm, sie half im Betrieb, war eine zärtliche und liebevolle Tochter, dankbar für alles, was ihr geboten wurde. Sie hatte seinen Schmerz geteilt, als die Nachricht kam, dass der älteste Sohn gefallen sei. Und sie hatten gemeinsam geweint, als sie erfuhren, dass auch Martin von einem Spähtrupp nicht zurückgekommen war.

Heinrich Scholz war plötzlich alt und müde geworden, die immer so jugendlich elastische Gestalt beugte sich, er sprach nicht mehr viel. Er kümmerte sich kaum mehr um die Hotels, lief stundenlang mit den Hunden in den Wäldern herum. Und am Abend hörte Gaby, wie er ruhelos durch die Zimmer ging.

Sie kannte Martin schon seit einiger Zeit, als er sie damals übers Wochenende nach Hause eingeladen hatte. Nach Hause, das war der bekannte Kurort im Gebirge, das waren die beiden ersten Hotels am Platze. Gaby staunte. Sie hatte in ihrem Leben noch nie in einem Hotel gewohnt, die Eleganz und gediegene Vornehmheit, die sie dort umgaben, schüchterten sie zunächst ein. Ein Portier, der sich verneigte und gnädiges Fräulein zu ihr sagte, ein Empfangschef, der sie zum Lift geleitete, ein Page, der vor ihr die Tür aufriss! Sie hatte alle Mühe gehabt, ihre Befangenheit zu verbergen. Und natürlich imponierte es ihr ungemein, Martin zu sehen, der sich mit Nonchalance und Sicherheit in diesem Rahmen bewegte, der Sohn des Hauses, der zukünftige Chef oder einer der zukünftigen Chefs. Doch hier würden sich keine Konflikte ergeben, er verstand sich prächtig mit seinem Bruder, der zwei Jahre älter war und Medizin studierte. Wie die Brüder ihr auseinandersetzten, bestand der Plan, später einmal ein Sanatorium zu erbauen und den Hotels anzugliedern.

»Ich die medizinische Leitung und Martin die kaufmännische und gastronomische«, erklärte Lutz eifrig. »Ein Sanatorium, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Das Modernste vom Modernen, gründliche Restaurierung des gesamten Menschen nach neuesten Forschungsergebnissen. Die gehetzten Großstadtmenschen müssen von Grund auf umgekrempelt werden. Eine Mischung aus Ferien vom Ich und Bogomoletz. Verstehst du?«

»Aha«, hatte Gaby verständnislos gesagt.

»Eine Frau, die vier Wochen bei mir in Behandlung war, muss mindestens zehn Jahre jünger aussehen und sich zwanzig Jahre jünger fühlen, wenn sie abreist.«

Hier hatte Gaby übermütig gelacht und gesagt: »Also dann melde ich mich schon heute zur Behandlung an.«

Dann aber war die ganze Welt von Grund auf umgekrempelt worden, die Menschen wurden nicht restauriert, nicht verjüngt und erfrischt, sie wurden getötet, vernichtet, von Bomben erschlagen, von Panzern zerquetscht. Und aus den friedlichen Bergen, die Gabys Heimat geworden waren, wurden sie verjagt.

Auch Lutz war tot, ehe er seine menschenfreundlichen Pläne ausführen konnte. Und Martin, der die Hotelfachschule besucht hatte und später in Breslau Volks- und Betriebswirtschaft studierte, um einmal Hotels und Sanatorium in Höchstform zu bringen, kehrte nicht zurück.

Wie mochte es heute in dieser Heimat aussehen? Gaby dachte oft darüber nach. Die geliebte Landschaft, lieblich und herb zugleich, die weiten tiefen Wälder, endlos aufsteigend an den Hängen, die sanfte Kette der Berge, unvergessen blieb dieses Bild, unvergessen der Abschied von dem Vater; denn das war Heinrich Scholz ihr in den schweren Jahren des Krieges geworden. Die Hotels waren leer, das Personal schon fort, in alle Winde zerstoben, kalt und seltsam fremd wirkte das riesige, einst so lebendige Haus.

Bis zuletzt hatte Gaby den Vater unter Tränen gebeten, doch mitzukommen.

»Nein, Kind«, hatte Heinrich Scholz gesagt, »warum sollte ich fortgehen? Ich habe alles verloren. Meine Söhne sind tot. Wenn die Russen kommen oder die Polen, werden sie meine Häuser zerstören und anzünden, was weiß ich? Ich bin dann nichts mehr als ein armer alter Mann, ohne Heimat, ohne Aufgabe. Warum sollte ich dieses Schicksal auf mich nehmen? Wovon sollte ich leben? Du bist jung, du hast dein Leben noch vor dir und musst es retten. Geh mit Gott, mein Kind.«

»Ich gehe nicht ohne dich, wenn du bleibst, dann bleibe ich auch.«

»Gaby, du musst das begreifen. Ich kann die Heimat nicht verlassen. Ich kann nicht. Sie ist das Letzte, was mir geblieben ist. Sieh hinaus.«

Er hatte sie ans Fenster geführt und war schweigend neben ihr stehengeblieben.

Berge und Wiesen und Wälder, alles lag in tiefem Schnee, wie eine Märchenlandschaft war es, unwirklich in ihrer Schönheit, erhaben in ihrem reinen Frieden.

Frieden? Wenn man auf der anderen Seite des Hauses aus dem Fenster sah, erkannte man die Täuschung. Zerstampft war der Schnee auf den Straßen, der Ort war in Bewegung, mit Schlitten und Wagen, bepackt und beladen waren die Menschen im Aufbruch. Sie flohen ins Ungewisse. Sie flohen, als seien sie Menschen aus grauer Vorzeit, als lebten sie nicht im 20. Jahrhundert, sondern in einer unbelehrten rohen Vergangenheit, da Stämme und Völker einander überfielen und jagten und töteten. Konnte dies heute geschehen, in dieser Zeit, in diesem Jahrhundert, war dies möglich?

Gaby erinnerte sich an ihren ersten Besuch im Hotel, als ein internationales, wohlhabendes Publikum in diesen Räumen wohnte, speiste, lachte und tanzte. Elegante Frauen, reiche Männer, sie gingen in diesen Wäldern spazieren, lagen in der Sonne, scherzten, flirteten, schöne Frauen saßen nachmittags auf der Terrasse beim Tee und abends in der Bar. War das wirklich erst sechs Jahre her? Konnte sich die Welt in so kurzer Zeit so grausam verändern?

Sie schlang ihre Arme um Heinrich Scholz und weinte bitterlich.

»Ich bleibe bei dir. Ich lasse dich hier nicht allein.«

Er streichelte ihr tröstend übers Haar. »Du musst gehen, Gaby. Du kannst nicht hierbleiben. Und ich bin nicht allein.« Er wies hinaus auf den Hof, wo die beiden Hunde spielten, übermütig im Schnee übereinander kugelten, nichts ahnend von dem Verhängnis, das die Menschen traf. »Nicht einmal im Tode werde ich allein sein. Die beiden werden mit mir zusammen sterben.«

Gaby wusste, woran er dachte. Sie hatte am Tage zuvor, als sie merkte, dass seine Weigerung, mit ihr zu fliehen, Ernst war, heimlich in seinem Schreibtisch nach dem Revolver gesucht und hatte ihn nicht gefunden. Er hatte sie dabei überrascht. »Du brauchst nicht zu suchen, Gaby«, sagte er. »Er ist hier.« Und er hob die Waffe aus der Tasche. »Ich werde ihn brauchen.«

Seitdem hatte Gaby mit Tränen und Bitten und zornigen Worten versucht, ihn zum Gehen zu bewegen. Vergebens. »Dann bleibe ich auch«, war ihr trotziger Entschluss.

Doch Heinrich Scholz kümmerte sich nicht darum. Der große Mercedes war randvoll aufgetankt und alle Reservekanister waren gefüllt. Es lagen warme Decken darin, Lebensmittel für viele Tage. Mehr konnten sie nicht mitnehmen; denn Fritze, der Chauffeur, hatte noch seine Familie darin untergebracht, die Frau, seine drei Kinder und die alte Großmutter. Auch er versuchte bis zum letzten Moment, seinen Chef zum Mitfahren zu überreden. »Sei still«, fuhr ihn Heinrich Scholz schließlich an, »ich habe hier gelebt, ich hatte hier meine Lebensaufgabe und ich werde jetzt hier sterben. Denkst du, ich will anderswo von Almosen leben? Ich will jetzt nichts mehr hören.«

Gemeinsam mit Fritze hatte er die weinende Gaby halb mit Gewalt in den Wagen gesetzt. »Los jetzt, abgefahren!«, befahl er. »Wollt ihr so lange warten, bis einer kommt und den Wagen beschlagnahmt? Fahr zu, Fritz! Und wenn dich einer anhalten will, gib Gas. Jetzt kann jeder nur noch an sich selber denken.«

Gaby hatte nichts mehr gesehen, nicht das Haus, nicht die Berge, nicht den Vater. Blind vor Tränen hatte sie neben Fritze gekauert und all das Furchtbare kaum begriffen.

Elf Jahre war das nun her. Fast auf den Tag elf Jahre. Gaby erwachte aus ihren Grübeleien. Sie richtete sich auf und startete den Wagen. Das war alles lang vorbei.

Aber Martin lebte und war da. Zumindest war sie ihm schuldig, dass er erfuhr, wie sie seinen Vater verlassen hatte. Vielleicht würde er dann auch sagen, dass sie treulos und herzlos sei. Ja, treulos sowieso, das wusste er schon. Und herzlos? War sie wirklich herzlos, weil sie ein bisschen Glück, ein bisschen Liebe gewollt hatte, ehe das Leben vorbei war?

Ihr Entschluss, eine Begegnung mit Martin herbeizuführen, stand fest. Und zwar bald. Am besten, solange Paul noch fort war. Das Dumme war nur, dass sie nicht einmal wusste, wo Martin sich aufhielt. Es war ihr bekannt, dass Paul versucht hatte, noch einmal Verbindung zu ihm aufzunehmen. Von irgendeiner Heimkehrerstelle hatte er die Adresse erfahren. Eines Tages erzählte er, er wisse nun, wo Martin sei. Er wohne bei einem Bäcker, irgendwo am Stadtrand. Und dann, einige Tage später, berichtete er, dass Martin es abgelehnt habe, mit ihm zu sprechen.

Diese kurzen Mitteilungen waren immer so zwischendrein erfolgt. Sie hatte gesagt »Ach?« und »So?« und war nicht näher darauf eingegangen. Heute verstand sie sich selbst nicht mehr. Wie konnte sie nur so töricht sein!

Bei einem Bäcker. Systematisch begann sie Pauls Notizbücher zu durchforschen. Im Terminkalender auf dem Schreibtisch stand nichts. Das Buch mit den Telefonnummern und Adressen würde er eingesteckt haben. Ob seine Sekretärin etwas wusste? Davon sicher nicht. Wo konnte man nachfragen? Auf der Polizei? Einwohnermeldeamt? Nun, sie hatte ja Zeit. Sie würde ihn schon finden.

So kam es, dass einige Tage später ein Wagen vor der Bäckerei Moser hielt. Im Laden befanden sich Frau Moser selbst, Fräulein Marie, Regina und eine Kundin. Man unterhielt sich über die empörende Tatsache, dass der Mann von Frau Käsbacher eine Freundin hatte und sich scheiden lassen wollte, ernsthaft und in aller Entschiedenheit. Frau Käsbacher erzählte es seit Tagen in der gesamten Nachbarschaft herum mit vielen interessanten Details und fand überall ein williges und mitfühlendes Ohr. Herr Käsbacher konnte sich seitdem nur noch bei Dunkelheit durch die Straßen bewegen.

In der Bäckerei Moser sprach man also auch über den Fall. Das heißt, Frau Moser, Fräulein Marie und die Kundin. Regina schwieg dazu. Erstens interessierte sie die Ehetragödie Käsbacher nicht sonderlich, und zweitens hatte sie in den letzten Wochen Gelegenheit gehabt, Frau Käsbacher kennenzulernen, und war daher geneigt, Herrn Käsbacher Verständnis und Sympathie entgegenzubringen. Aber sie hütete sich natürlich, dies laut werden zu lassen.

Als der Wagen am Straßenrand hielt und eine sehr elegante Dame ausstieg, verstummte das Gespräch. Durch das breite Schaufenster konnte man über Kuchen und Semmeln hinweg alles sehr schön beobachten, das lenkte vorübergehend von Frau Käsbacher ab. Die Dame blieb einen Moment zögernd stehen und sah sich unsicher um. Dann kam sie auf die Ladentür zu. Sie war wirklich sehr elegant, ein hellbrauner Pelz, ein kleines grünes Hütchen, Schuhe mit hohen Absätzen.

Als die Ladentür bimmelte und die Fremde eintrat, blickten ihr vier Augenpaare neugierig entgegen. Wenn jemand mit einem Auto vor einer Bäckerei in der Vorstadt vorfuhr, kam er doch wohl kaum, um Brötchen zu kaufen.

Die Dame enttäuschte das Quartett nicht. Sie sagte höflich: »Guten Tag« und auf Frau Mosers einladendes »Bitt schön, die Dame, was darf’s denn sein?«, fragte sie mit leiser Stimme: »Ich hätte gern … ich möchte gern Herrn Scholz sprechen. Er wohnt doch hier?«

Eine winzige Überraschungspause entstand, dann sagte Frau Moser: »Ja. Doch. Er wohnt hier.«

»Wo kann ich ihn finden, bitte?«

»Er ist tagsüber nicht da. Nur abends.«

»Ach!« Das klang enttäuscht.

»Soll ich ihm etwas ausrichten?«

»Eh, nein … ich … ich müsste ihn schon selbst sprechen. Wo ist er denn tagsüber?«

»Er arbeitet natürlich«, sagte Frau Moser mit Nachdruck und nicht ganz unparteiisch. Anständige Leute arbeiten selbstverständlich am Tage und fuhren nicht im Auto spazieren.

»Er arbeitet?«, fragte Gaby erstaunt. Paul hatte doch gesagt, Martin gehe kaum aus dem Haus. Was arbeitete er denn?

Sie brauchte nicht zu fragen. Fräulein Marie, die schließlich auch etwas sagen wollte, klärte sie auf. »Er ist vorn an der Straße in der Tankstelle beschäftigt.«

»In der Tankstelle?«

»Na ja, als Mechaniker halt.«

»Als Mechaniker«, wiederholte Gaby erstaunt, »so.«

Wieder eine Pause. Dann lächelte Gaby und blickte die versammelten Damen liebenswürdig an. »Vielen Dank.«

Einen Moment lang war sie gebannt von zwei hellen graugrünen Augen in einem schmalen zarten Gesicht. Das Mädchen blickte sie unverwandt an. Wie apart, dachte Gaby flüchtig, wie kommt so etwas in die Bäckerei?

Sie wandte sich zum Gehen. »Dann werde ich es mal an der Tankstelle versuchen. Wo ist das, bitte?«

Jetzt war die Kundin an der Reihe. Sie stellte sich neben Gaby an die Ladentür und erklärte umständlich das kurze Stück Weg.

»Vielen Dank«, sagte Gaby noch einmal. »Guten Tag.«

Und auf ihren hohen schmalen Absätzen schritt sie anmutig wieder zum Wagen und fuhr davon.

»Wia ma nachher nur auf solche Absätz laufa kann, des möcht i amoal wissen«, meinte die Kundin gedankenvoll hinter ihr her.

»Mei, die jungen Madln laufen heut alle so herum«, sagte Marie.

»Die war aber koa jungs Madl net.«

»Nein«, sagte Frau Moser nachdenklich, »das war’s net. Und deswegen denk’ ich mir … es könnte … es könnte …«, drei Augenpaare hingen gespannt an ihren Lippen, »ja, könnt’s nicht die Frau vom Martin gewesen sein?«

»Seine Frau?«

»Na ja, er kennt doch sonst niemand hier in der Stadt.« Sie besann sich auf Regina. »Außer Ihnen natürlich.«

Alles blickte jetzt Regina an, die errötete ein wenig.

»Wissen Sie, wie seine Frau aussieht?«, wollte Frau Moser wissen.

»Nein.«

»Hm. Er hat mal gesagt, dass es ihr gut geht. Sie könnt’s schon gewesen sein.«

»Vielleicht will sie sich wieder mit ihm versöhnen«, meinte Fräulein Marie.

»Da wird sie wohl kein Glück bei ihm haben«, vermutete Frau Moser. »Außerdem hat sie ja einen anderen.«

»Ja. Aber verheiratet ist sie schließlich noch mit ihm.«

»Das ist wahr. Verheiratet ist sie noch mit ihm.«

Darauf sahen alle drei Frauen noch einmal Regina an. In Frau Mosers Gesicht stand etwas: Armes Hascherl, wenn der Martin die sieht, da hast du keine Aussichten mehr.

Dann kehrten die Damen zum Thema Käsbacher zurück.

Die Musterung durch die vier Frauen hatte Gaby nervös gemacht. Sie fuhr langsam bis zur Hauptstraße vor, stoppte dort den Wagen und blieb eine Weile überlegend darin sitzen. Was nun?

Martin arbeitete. Und dazu noch in einer Tankstelle. Als Mechaniker. Komisch. Dass er das überhaupt konnte. Und es passte so gar nicht zu dem Bild des Martin, den sie kannte.

Damals war er ein flotter junger Mann gewesen, groß, breitschultrig, mit einem hübschen Gesicht, dichtem braunem Haar, ein liebenswerter Junge, sehr sportlich, leicht zu Spaß und Unfug aufgelegt, doch auch ein wenig grüblerisch veranlagt, mit vielerlei Interessen. Der typische Sohn aus wohlhabendem Hause mit einigen Allüren, er kleidete sich sehr gut, trug nur reinseidene Hemden und urteilte schnell über Leute mit weniger guten Manieren, als er sie hatte. Überdies interessierte er sich sehr offenkundig für hübsche Frauen, was Gaby manchmal ein wenig Angst machte. Denn sie wusste wohl, dass sie außer ihrer Jugend, ihrem niedlichen Gesichtchen nicht viel zu bieten hatte. Und sie war selbst Zeuge davon, dass reizende und charmante Frauen an Martin Gefallen fanden. Die verwöhnten weiblichen Gäste unterhielten sich gern mit ihm, er begleitete sie auf Ausflügen, bei Ausritten und bei manchem abendlichen Bummel. Gaby gab sich große Mühe, sich in dieser fremden, großzügigen Welt zurechtzufinden und eine Frau zu werden, die anspruchsvollen Männern gefiel.

Viel Zeit blieb ihr nicht. Der Krieg vereinheitlichte alles. Aber es war wohl diesen frühen Eindrücken und Martins Einfluss zu verdanken, dass sie sich zu einer vollkommenen Dame entwickelte.

Später dann, als er während des Krieges auf Urlaub kam, war er verändert, ernst geworden, hager, älter wirkend, als er war. Aber sie verstanden sich gut und waren glücklich in den wenigen Tagen, die ihnen geschenkt wurden.

Gaby seufzte. Sie drehte den Zündschlüssel und fuhr an. Immer diese müßigen Erinnerungen an früher. Sie musste zu einem Entschluss kommen, was hier und heute zu geschehen hatte!

Langsam fuhr sie an der Tankstelle vorbei. War es nicht taktlos, wenn sie einfach da hineinfuhr, im Wagen des Mannes, mit dem sie jetzt lebte? Und Martin arbeitete dort als Mechaniker. Wer weiß, was er sagen würde. Sich umdrehen und weggehen. Nun, dann konnte sie Gas geben und wegfahren. Aber damit war nichts geholfen. Sie musste mit ihm sprechen.

Sie umfuhr einen Häuserblock und kehrte zurück, fuhr langsam bis zur Endstation der Straßenbahn, wendete dort und kam den gleichen Weg zurück. Diesmal stand ein Wagen unter dem Vordach und tankte. Kurz entschlossen fuhr sie auch hinein und stellte sich dahinter auf. Vorsichtig blickte sie sich um.

»Was darf’s sein, gnädige Frau?«, fragte ein junger Bursche. Aufgestört blickte sie auf.

»Zehn Liter, bitte.« Und dann sah sie Martin plötzlich. Er kam aus dem Glasgehäuse, warf der Dame am Steuer einen kurzen Blick zu und ging dann über den Hof.

Gabys Herzschlag hatte eine Sekunde lang ausgesetzt. Er war es. Und er hatte sie nicht einmal erkannt. War das möglich?

»Noch einen Wunsch, bitte?«

Der Junge musste seine Frage wiederholen. Abwesend sah Gaby ihn an. »Nein, danke.« Sie reichte einen Zwanzigmarkschein zum Fenster hinaus.

»Brauchen Sie eine Quittung, gnädige Frau?«

»Nein, danke.«

Während sie auf das Wechselgeld wartete, blickte sie verstohlen über die Schulter. Martin war auf dem Hof, er beugte sich über die offene Kühlerhaube eines Wagens, der dort stand. Er sah nicht mehr auf. Und er hatte sie wirklich nicht erkannt. Ja, so war das. Dreizehn Jahre waren eine lange Zeit. Nicht nur für sie, auch für ihn.

Wenn sie ausstiege und einfach zu ihm hinginge? Nein, sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht, jetzt nicht.

Sie nahm das Geld in Empfang, steckte es achtlos in die Tasche und fuhr weg. Sie würde ihm schreiben.

»Ihre Zeitung, Herr Oldenhoff«, sagte der Portier. »Wünschen Sie auch noch ein Abendblatt?«

»Ja, bitte«, sagte Paul, nahm die Blätter entgegen und überflog gewohnheitsmäßig die Titelseiten. »Ich erwarte einen Anruf. Ich bleibe hier in der Halle.«

Vom Eingang des Hotels her kam ein großer breitschultriger Mann auf ihn zu, noch im Skidress. Paul sah ihn an, so wie man die Gäste ansieht, mit denen man zusammen in einem Hotel wohnt, doch nie hätte er auf den ersten Blick in dem braungebrannten, gut aussehenden Menschen Martin Scholz erkannt. Der Portier streckte dem Herankommenden bereits unaufgefordert den Zimmerschlüssel entgegen.

»Danke«, sagte Martin und dann erkannte er zuerst Paul. »Guten Abend, Herr Oldenhoff.« Er sagte es ruhig und selbstverständlich und lächelte Paul ohne Scheu zu.

Paul war stehengeblieben und sah den anderen verwundert an. »Herr Scholz!«, sagte er. »Sie sind es wirklich? Ich hätte Sie im Leben nie wiedererkannt.«

Sie schüttelten sich die Hände, und während Martin ganz unbefangen war und wirklich so etwas wie Freude zeigte Paul wiederzusehen, war Paul ziemlich aus der Fassung geraten. Martin hier? Er wohnte offensichtlich im Hotel. Und er hatte sich sehr verändert seit jenem Tag, als er ihn an der Bahn abgeholt hatte. Lieber Himmel, wie hatte er sich verändert!

»Ich hätte Sie kaum wiedererkannt«, sagte Paul noch einmal mit verlegenem Lachen. »Sie haben sich großartig erholt. Man sollte es nicht für möglich halten. Wenn man Sie damals gesehen hat, als Sie kamen …« In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Was sollte er jetzt tun? Gaby war auch hier. Was, um Himmels willen, würde geschehen, wenn die zwei jetzt hier zusammentrafen? So ohne Vorbereitung und ohne Warnung.

»Ja«, sagte Martin und lachte, »man sollte es wirklich nicht für möglich halten, was für ungeahnte Reserven so ein Körper und so eine Seele haben.«

»Sie sind schon länger hier? Zum Skifahren?«

»Seit zehn Tagen«, erwiderte Martin. »Es ist die beste Erholung für mich. Ich war schon immer ein leidenschaftlicher Skiläufer.«

»Wir sind gestern erst angekommen«, sagte Paul und betonte das Wir. »Ich hatte ganz überraschend ein paar Tage frei, da dachte ich, es würde uns guttun ein bisschen herauszukommen.«

»Ist Gaby auch hier?«, fragte Martin, auch dies ganz unbefangen und, wie es schien, durchaus erfreut, so als erkundige er sich nach einer guten Bekannten. Erst als er es ausgesprochen hatte, kam ihm das Merkwürdige der Situation zum Bewusstsein, bemerkte er ganz deutlich Unbehagen und Verwirrung in Pauls Gesicht.

»Ja«, erwiderte Paul gepresst. »Es ist … was machen wir nun? Sie hat ja keine Ahnung, und … Lieber Himmel, da kommt sie schon.«

Verwundert fragte sich Martin, warum Paul ihr Zusammentreffen so dramatisierte. Gewiss, rein äußerlich war die Situation noch nicht geklärt, aber das war wohl nur noch eine Formsache. Gaby und er waren über das Schlimmste hinweg. Er konnte ja nicht wissen, dass Paul von seinen Begegnungen mit Gaby keine Ahnung hatte.

Gaby kam die Treppe herunter, langsam, ein wenig schlendernd, sie hatte sich umgezogen, um mit Paul in der Halle Tee zu trinken. Sie trug einen weiten Samtrock und einen grünen Pullover und als Zugeständnis an die kuriose Mode des Après-Ski schwarze Samtpantöffelchen und lange schwarze Hänger mit Kugeln an den Ohren. Sie sah sehr jung und sehr reizend aus, wie sie da kam, und war überdies gut gelaunt und neugierig darauf, was Paul wohl zu ihrem Aufzug sagen würde. Er liebte keine Extravaganzen an ihrer Garderobe. Sie freute sich schon im Voraus auf sein indigniertes Gesicht.

Noch auf der Treppe sah sie Martin. Im gleichen Moment drehte Paul sich um und sah sie kommen, und die Bestürzung und die Ratlosigkeit in seinem Gesicht amüsierten sie noch mehr. Aber dann bemächtigte sich ihrer ebenfalls Verwirrung. Verflixt, das war ja eine schöne Geschichte! Und sie hatte Paul nichts davon erzählt, dass sie Martin getroffen hatte. Sie hatte es sich immer noch als besondere Pointe aufgehoben. Außerdem war vielleicht auch noch ein anderer Grund dafür vorhanden, dass sie es ihm verschwiegen hatte, ein Grund, den sie selbst nicht genau hätte erklären können. Im Moment jedenfalls verwünschte sie ihre Geheimniskrämerei. Was würde Paul dazu sagen?

»Verflixt«, sagte sie halblaut zu sich selbst, »das haste jetzt davon.«

Lächelnd und mit scheinbar sicherer Anmut ging sie auf die beiden Männer zu.

»Gaby«, begann Paul, als sie sich näherte, »hör zu, ich …«

Aber er kam nicht weiter. Gaby hatte bereits Martin die Hand hingestreckt und sagte heiter: »Hallo, Martin. Auch hier? Du läufst wieder Ski? Das ist prima.«

Paul war sprachlos, noch mehr, als er sah, dass auch Martin ganz selbstverständlich Gabys Hand ergriffen hatte und sie begrüßte, als hätten sie sich gestern erst gesehen.

Gaby befand sich nach zwei Seiten hin in einer peinlichen Situation. Da war Paul, der nicht wusste, dass sie Martin bereits zweimal getroffen hatte. Und da war Martin, der nicht ahnte, dass Paul nichts davon wusste. Gaby überbrückte den gefährlichen Punkt zunächst mit lebhaftem Geplauder nach beiden Seiten, einem etwas nervösen und sprunghaften Geplauder. Sie erzählte Paul, was für ein großartiger Skiläufer Martin früher gewesen sei, berichtete Martin, dass sie es noch immer zu keiner besonderen Meisterschaft gebracht habe. »Ich rutsche halt so ein bisschen mit, weißt du. Wie früher schon. Ich glaube, ich bin zu feig.« Dann lobte sie wortreich das Hotel. »Wir haben schon öfter hier gewohnt, weißt du, Martin. Man ist wirklich gut untergebracht, findest du nicht auch? Kamst du per Zufall her oder hat es dir jemand empfohlen? Bist du schon lange hier? Ist aber wirklich nett, dass wir uns getroffen haben. Trinkst du mit uns Tee?«

Hier machte sie endlich eine Pause und hoffte nur, dass Martin nicht etwa ja sagen würde. Erst musste sie mit Paul allein sprechen.

»Danke«, sagte Martin glücklicherweise. »Ich will mich erst umziehen. Und ich habe schon eine Verabredung zum Tee.«

»Oh là là!«, sagte Gaby und lachte ein wenig albern. »Fängst du schon wieder an, den Frauen die Köpfe zu verdrehen?« Und dann verstummte sie, als habe sie jemand abgestellt, und stand mit etwas ratloser Miene zwischen den beiden Männern.

Paul wusste nicht, was er denken sollte. Sicher, sie waren zivilisierte Mitteleuropäer; man war gewohnt, sich zu beherrschen und die gesellschaftliche Fassade zu wahren. Man fiel nicht mitten in einer Hotelhalle in Ohnmacht oder stieß einen Schrei aus, nein, Gott sei Dank nicht. Aber er hätte erwartet, dass Gaby blass und erschrocken gewesen wäre, und vielleicht auch, dass Martin sich auf dem Absatz herumgedreht hätte und weggegangen wäre. Nichts von dem, sie standen hier und machten Konversation, so ein bisschen leeres dummes Geplauder, wie man es immer machte, wenn man irgendwo Bekannte traf.

Nein, Paul wusste wirklich nicht, was er davon denken sollte. Und er wusste jetzt auch nicht, was er sagen sollte. Am wenigsten beeindruckt schien Martin zu sein. »Ja dann«, sagte er, »ich gehe mal nach oben. Wir sehen uns ja später noch.« Er nickte den beiden zu und wandte sich zur Treppe.

Im gleichen Moment trat ein anderer Gast durch die Eingangstür, eine hübsche kleine Frau in besonders auffallendem Skidress, sie trug himmelblaue, ganz knapp und prall sitzende Hosen und dazu einen maisgelben Anorak von besonderem Schick. Auf dem Kopf trug sie nichts. Ihre dichte, lange, rotbraune Lockenmähne war aber durchaus bemerkenswert. Auch sie war braungebrannt und außerordentlich hübsch, wenn auch im Typ etwas herausfordernd, um nicht zu sagen vulgär.

»Martin«, rief sie dem Davongehenden nach, nicht eben gerade leise. »Warte. Ich hab’s bekommen.« Sie schwenkte ein Päckchen in der Hand und beeilte sich, Martin einzuholen. Zu allem Überfluss rief sie noch, gerade als sie bei Gaby und Paul vorbeiging: »Hast du den Schlüssel?«

Martin hatte sich umgesehen und war unhöflicherweise noch einige Schritte weitergegangen, ehe er stehenblieb, um auf sie zu warten. Sein Blick glitt zurück zu Gaby und Paul, die beide etwas verblüffte Gesichter machten. Und Martin, dessen Sinn für Humor sich immer mehr retablierte, dachte amüsiert: Genaugenommen hätte Gaby jetzt einen Scheidungsgrund. Sie entdeckt mich mit einer Frau im Hotel, und die Frage nach dem Schlüssel bekennt, dass wir ein gemeinsames Zimmer haben. Es ist eine Situation wie aus einer französischen Komödie. Ich wohne mit einer anderen Frau hier und meine Frau mit einem anderen Mann, und keiner kann etwas dabei finden. Nur ist es eben nicht komisch. Nein, wirklich nicht. Aber ist es eigentlich noch tragisch? Das ist es auch nicht mehr.

»Du hörst ja gar nicht zu«, sagte Lore vorwurfsvoll, sie gingen zusammen die Treppe hinauf und sie erzählte ihm irgendetwas.