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Alexandre Dumas

 

Ingénue

 

 

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp


Digitalisierung: Gunter Pirntke




2017 andersseitig.de


ISBN

9783961182664 (ePub)

9783961182671 (mobi)



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Dresden

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Inhalt

Impressum

I Das Palais-Royal

II Der Baum von Krakau

III Die Neuigkeitsliebhaber

IV Bei Danton

V Das Mittagsmahl

VI Der Sozialclub

VII Der Club der Menschenrechte

VIII Der Weißenhandel

IX Der Marstall von Monseigneur dem Grafen von Artois

X Marat zu Hause

XI Was Marat im Jahre 1788 war

XII Der Fürst Obinsky

XIII Cicilie Obinska

XIV Der Roman schürzt sich

XV Der Roman entwickelt sich

XVI Wie sich die Abenteuer von Marat mit denen eines Königs vermengt finden

XVII Wie Marat, nachdem er Bekanntschaft mit den Offizieren des Königs von Polen gemacht, mit den Kerkermeistern der Kaiserin von Russland Bekanntschaft machte

XVIII Zwei verschiedene Arten, zu sehen

XIX Der Strohmann der Place Dauphine

XX Das Haus von Herrn Reveillon, Tapetenhandler im Foubourg Saint'Antoine

XXI Der Vater und die Tochter

XXII Der Aufstand

XXIII Christian

XXIV Wie der Verdacht von Rétif auf eine traurige Art bestätigt wird

XXV Der Versucher

XXVI Die Treuherzigkeit von Ingénue

XXVII Herr Auger

XXVIII Der Pfarrer Bonhomme

XXIX Die Beichte

XXX Rétif und Ingénue verzeihen

XXXI Ein Aristokrat und ein Demokrat des Faubourg Saint-Antoine

XXXII Das Mittagessen von Rétif

XXXIII Der Verwundete und sein Arzt

XXXIV Die Konsultation

XXXV Wo Danton zu glauben anfängt, der Roman des jungen Potocky sei weniger ein Roman, als eine Geschichte

XXXVI Bei Marat

XXXVII Wie die Gräfin die Liebe verstand

XXXVIII Ingénue geht allein aus und begegnet einem Manne und einer Frau

XXXIX Wer die Unbekannte war, welche Marat eine Ohrfeige gegeben hatte

XLDie Liebe der Tugend und die Tugend der Liebe

XLI Auger verliebt

XLII Genesung von Christian

XLIII Was während dieser Zeit in der Rue des Bernardins vorging

XLIV Der Hochzeitabend

XLV Das Brautgemach

XLVI Wie der Herr Graf von Artois Auger empfing

XLVII Prinz und Edelmann

XLVIII Wo der Graf von Artois und Christian vernünftig reden

XLIX Sympathie

L Was im Zimmer von Ingénue vorfiel, während Christian auf der Straße lauerte

LI: Der Jardin du Roi

LII Wo der Autor genötigt ist, ein wenig Politik zu treiben

LIII Auger rührt sich

LIV Réveillon ist undankbar

LV Wie Rêtif de la Bretonne von einem Erstaunen zum andern übergeht

LVI Wo der Sturm wächst

LVII Wo der Blitz einschlügt

LVIII Das Portrait

LIX Der Schlüssel des Glückes

LX Echte und falsche Tränen

LXI Der erste Probebogen von einem neuen Roman von Rétif de lo Bretonne

LXII Was man durch das Loch eines Bohrers sieht

LXIII Wo man Auger während seines Mahles stört

LXIV Wo Rétif Mittel findet, Réveillon zu zerstreuen

Epilog

 

I Das Palais-Royal

 

Will uns der Leser mit jenem Vertrauen folgen, das wir ihm seit den zwanzig Jahren, die wir ihm als Führer durch die tausend Krümmungen des Labyrinths dienen, welches wir, ein moderner Dädalos, zu erbauen unternommen, eingeflößt zu haben uns schmeicheln, so werden wir ihn in den Garten des Palais-Royal am Morgen des 24. Aug. 1788 einführen.

Ehe wir uns aber unter den Schatten der wenigen Bäume wagen, welche die Art der Spekulation verschont hat, sagen wir ein Wort vom Palais-Royal.

 

Das Palais-Royal, — das zu der Zeit, wo wir den Vorhang von unserem ersten revolutionären Drama aufziehen, eben durch seinen neuen Eigentümer, den Herzog von Chartres, der seit dem 18. Oktober 1785 Herzog von Orleans geworden ist, einer bedeutenden Umwandlung unterworfen wird, — verdient in der Tat durch die Wichtigkeit der Szenen, welche in seinem Umkreise vorgehen sollen, dass wir die verschiedenen Phasen, die es durchlaufen hat, erzählen.

 

Im Jahre 1629 fing Jacques Lemercier, Architekt Seiner Eminenz des Kardinal-Herzogs von Richelieu, an auf der Stelle der Hotels Armagnac und Rambouillet das Gebäude zu errichten, das Anfangs bescheiden den Titel Hotel Richelieu annahm; sodann, da diese Macht, die sich von Tag zu Tag vergrößerte, eine ihrer würdige Wohnung bedurfte, sah man allmählich vor diesem Manne, dessen Geschick es war, alle Wände zu durchbrechen, die alte Ringmauer von Karl V. einstürzen; niederstürzend, füllte die Mauer den Graben, und die Schmeichelei konnte ebenen Fußes in das Palais-Kardinal eintreten.

 

Darf man den herzoglichen Archiven glauben, so hatte das Terrain allein, auf welchem sich das Meisterwerk von Jacques Lemercier erhob, beim Ankaufe achtmalhundertsechzehntausend sechshundert und achtzehn Livres gekostet, eine ungeheure Summe für jene Zeit, die jedoch sehr gering im Vergleiche mit der war, welche man für das Gebäude selbst ausgegeben; diese verheimlichte man sorgfältig, wie später Ludwig XIV. sorgfältig verheimlichte, was ihn Versailles gekostet hatte; wie dem sein mag, diese Summe trat durch eine solche Pracht an den Tag, dass der Verfasser des Cid, [Cornel.] der in einer Dachkammer wohnte, vor dem Palaste des Verfassers von Mirame ausrief:

 

Non, l'univers entier ne peut rien voir d'égal

Aux superbes dehors du Palais-Cardinal;

Toute une ville entiére, avec pompe bâte,

Semdle d'un vieux fossé par miracle sortie,

Et nous fait présumer, à, ses superbes toits,

Que tous ses habitans sont des dieux ou des rois.

[Nein, das ganze Weltall kann nichts sehen,

was der äußern Herrlichkeit des Palais-Kardinal gliche;

eine ganze Stadt, mit Pracht gebaut,

scheint ans einem alten Graben durch Wunder hervorgegangen zu sein

und lässt uns nach ihren kostbaren Dächern denken,

alle ihre Einwohner seien Götter oder Könige.]

 

Dieser Palast war in der Tat so prachtvoll mit seinem Schauspielsaale, der dreitausend Zuschauer fassen konnte; mit seinem Salon, wo man Stücke spielte, die man gewöhnlich auf dem Theater der Marais-du-Temple gab; mit seinem in Mosaik auf Goldgrund von Philipp von Champagne dekorierten Gewölbe; mit seinem Museum großer Männer gemalt von Vouet, Juste d'Egmont und Paerson, ein Museum, in welchem, der Zukunft vertrauend, der Kardinal zum Voraus seinen Platz bezeichnet hatte; mit seinen antiken Statuen, welche von Rom und Florenz gekommen; mit seinen lateinischen Distichen von Bourdon komponiert; mit seinen Devisen von Guise, dem königlichen Dolmetscher, ersonnen, — dass der Kardinal-Herzog, der doch bekanntlich nicht leicht erschrak, vor dieser Herrlichkeit erschrak und, um sicher zu sein, seinen Palast bis zu seinem Tode bewohnen zu können, denselben zu seinen Lebzeiten König Ludwig XII. schenkte.

 

Eine Folge hiervon war, dass am 4. Dezember 1649, an welchem Tage der Kardinal-Herzog verschied, Gott bittend, er möge ihn bestrafen, wenn er im Laufe seines Lebens etwas getan habe, was nicht für das Beste des Staates gewesen sei, dieser Palast, in welchem er gestorben, den Namen Palais-Royal annahm, ein Name, den ihm die Revolutionen von 1793 und 1848 entrissen, um ihm die Namen Palais-Egalite und Palais-National zu geben.

 

Da wir aber zu denjenigen gehören, welche, trotz der Dekrete, den Menschen ihre Titel erhalten und, trotz der Revolutionen, den Monumenten ihre Namen bewahren, so wird, wenn unsere Leser es gütigst erlauben wollen, das Palais-Royal fortwährend für sie und für uns das Palais-Royal heißen.

 

Ludwig XIII. erbte also das glänzende Gebäude. Ludwig XIII. war aber nur ein einen Leichnam überlebender Schatten, und wie es der Geist in Hamlet seinem Sohne macht, so winkte der Geist des Kardinals Ludwig XIII, ihm zu folgen, und Ludwig XIII., mit welchem Widerstande er sich auch bleich und zitternd an das Leben anklammerte, folgte ihm fortgezogen durch die unwiderstehliche Hand des Todes.

 

Dann war es der junge König Ludwig XIII. der diesen schönen Palast erbte, aus welchem ihn eines Morgens die Herren Frondeurs verjagten, weshalb er einen solchen Hass gegen denselben fasste, dass er, als er am 21. Oktober 1652 von Saint-Germain nach Paris zurückkam, nicht mehr im Palais-Royal, sondern im Louvre abstieg, so dass dieses Gebäude, welches den großen Corneille so sehr in Verwunderung setzte, der Aufenthaltsort von Frau Henriette wurde, die das Schafott von Whitehall zur Witwe gemacht hatte, und der Frankreich die Gastfreundschaft gab, welche England zwei Jahrhunderte später Karl X. geben sollte, die Gastfreundschaft, die zwischen Stuart und Bourbon geübt wird.

 

Im Jahre 1692 bildete das Palais-Royal die Mitgift von Francoise Marie von Blois, dieser matten, schläfrigen Tochter von Ludwig XIV. und Frau von Montespan, von der uns die Prinzessin von der Pfalz, die Frau von Monsieur, ein so interessantes Portrait hinterlassen hat.

 

Es war der Herzog von Chartres, später Regent von Frankreich, welcher, die Backe noch gerötet von der Ohrfeige, die ihm seine Mutter gegeben, als sie seine zukünftige Verbindung mit der königlichen Bastardtochter erfahren hatte, unter dem Titel einer Apanage-Erhöhung, das Palais-Royal dem Hause Orleans als Eigentum brachte.

Diese Monsieur und seinen von ihm aus gesetzlicher Ehe abstammenden männlichen Kindern gemachte Schenkung wurde beim Parlament am 13. März 1693 registriert.

 

Während der zwischen der Flucht des Königs und der Schenkung des Palais-Royal an Monsieur abgelaufenen Periode waren große Veränderungen im Schloss vorgegangen. Anna von Österreich hatte zur Zeit ihrer Regentschaft einen Badesaal, ein Betzimmer, eine Galerie und über allem dem den berufenen geheimen Gang beigefügt, von dem die Prinzessin von der Pfalz spricht, und durch welchen sich die Königin Regentin zu Herrn von Mazarin begab, und Herr von Mazarin zu ihr: »denn,« setzt die indiskrete Deutsche hinzu, »es ist heute weltbekannt, dass Herr von Mazarin, der kein Priester war, die Witwe von Ludwig XIII. geheiratet hatte.«

 

Diese Tatsache war noch nicht, wie die Prinzessin von der Pfalz sagte, weltbekannt, doch durch sie sollte sie sich sonderlich im Volke verbreiten.

Seltsame Laune eines Weibes und einer Königin, die einem Buckingham widersteht und einem Mazarin nachgibt!

 

Die von Anna von Österreich beigefügten Konstruktionen verunstalteten indessen durchaus nicht die glänzende Schöpfung des Kardinal-Herzogs.

Der Badesaal war mit Blumen und Chiffres gezeichnet auf Goldgrund verziert; die Blumen waren von Louis und die Landschaften von Belin.

 

Das Betzimmer war mit Gemälden geschmückt, in welchen Philipp von Champagne, Vouet, Bourdon, Stella, Lahire, Dorigny und Paerson das Leben und die Attribute der Jungfrau dargestellt hatten.

 

Die Galerie endlich, die man am abgelegensten Orte des Schlosses angebracht hatte, zeichnete sich zugleich durch ihren Plafond, der von Vouet, und durch ihren Boden in eingelegter Arbeit, der von Macé war, aus.

 

In dieser Galerie hatte die Königin Regentin 1650 durch Guitaut, ihren Kapitän der Garden, die Herren von Condé, von Conti und von Longueville verhaften lassen.

 

Der Garten enthielt damals ein Mail, eine Reitschule und zwei Bassins, von denen man das größere das Rond-d'Eau nannte: er war mit einem Wäldchen bepflanzt, das buschig und einsam genug, dass König Ludwig XIII., der letzte der französischen Falkner, darin Elsternjagd halten konnte.

 

Überdies hatte man dem Palais einen zur Wohnung des Herzogs von Anjou bestimmten Bau beigefügt und, um denselben zu errichten, den linken Flügel des Palastes eingerissen, der von Philipp von Champagne dem Ruhme des Kardinals geweiht worden war.

 

Monsieur starb an einem Schlaganfalle am 1. Juni 1701.

 

Es war dies der Mensch, den Ludwig XIV. am meisten auf der Welt geliebt hatte; dessen ungeachtet, als zwei Stunden nach seinem Tode Frau von Maintenon in das Zimmer ihres erhabenen Gemahls, — denn sie war auch verheiratet, — eintrat, dessen ungeachtet, sagt Saint-Simon, fand sie ihn eine kleine Opernarie zu seinem eigenen Lobe singend.

Von dieser Stunde an wurde also das Palais-Royal Eigentum von demjenigen, welcher vierzehn Jahre später Regent von Frankreich werden sollte.

 

Wir wissen alle, etwas mehr, etwas weniger, etwas besser, etwas schlechter, was in dem ernsten Bau des Kardinals vom 1. September 1715 bis zum 25. Dezember 1723 vorging; — und seit jener Zeit vielleicht hat sich das Sprichwort verbreitet: »Die Wände haben Augen und Ohren.«

 

Außer den Augen und den Ohren hatten die Wände des Palais-Royal eine Sprache, und diese Sprache hat durch den Mund von Saint-Simon und durch den des Herzogs von Richelieu seltsame Dinge erzählt.

 

Am 25. Dezember 1723 fühlte der Regent, der bei Frau von Phalaris saß, seine Stirne ein wenig beschwert; er neigte den Kopf auf die Schulter des kleinen schwarzen Raben, — so nannte er seine Geliebte, — stieß einen Seufzer aus und starb.

 

Am Tage vorher hatte Chirac, sein Arzt, den Prinzen dringend ermahnt, er möge sich zur Ader lassen; doch der Herzog hatte die Sache aus den andern Tag verschoben. Der Mensch denkt, Gott lenkt.

 

Mitten unter allen seinen Lustbarkeiten, so seltsam sie waren, hatte der Regent, der im Ganzen Künstler, durch seinen Architekten Oppenort einen herrlichen, als Eingang für die von Mansart errichtete Galerie dienenden Salon bauen lassen; diese zwei Konstruktionen erstreckten sich bis zur Rue de Richelieu und haben dem Saale des Théatre-Francais Platz gemacht.

 

Dann ließ Louis, der gottesfürchtige Sohn eines sittenlosen, leichtfertigen Vaters, Louis, auf dessen Befehl für dreimalhunderttausend Franken Bilder von Albano und Tizian wegen der Nuditäten, die sie darstellten, verbrannt werden sollten, Louis ließ, mit Ausnahme der großen Allee des Kardinals, die er beibehielt, den Garten des Palais-Royal nach einer neuen Zeichnung pflanzen; das den Buntspechten teure buschige Gehölze verschwand; zwei schöne Grasplätze dehnten sich aus eingefasst von Ulmen mit Kugelform, welche ein in einem Halbmonde angebrachtes und mit Gitterwerk und Statuen geschmücktes großes Bassin umgaben; dann, jenseits dieses Halbmondes, fand sich eine Kreuzpflanzung von Linden, die sich der großen Allee anschloss und eine für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Laube bildete.

 

Am 4. Februar 1752 starb Louis von Orleans in der Sainte-Geneviéve-Abtei, in der er seit zehn Jahren seine Wohnung genommen hatte; es war, als hätte er sich, ein frommer Sohn, zurückgezogen, um über die Sünden seines Vaters zu beten! »Das ist ein Seliger, der viele Unglückliche zurücklässt,« sagte Maria Leszinka [Gemahlin von Ludwig XV.], diese andere Heilige, als sie den frühen Tod des seltsamen Fürsten erfuhr, der seinen Leib der königlichen Chirurgie-Schule vermacht hatte, damit er zum Unterrichte der Zöglinge diene.

 

Louis Philipp von Orleans folgte ihm als Erbe: die Berühmtheit von diesem bestand darin, dass er sich zur ersten Ehe mit der Schwester des Prinzen von Conti und zur zweiten mit Charlotte Jeanne Béraud de la Haie de Riou, Witwe des Marquis von Montesson, verheiratet hatte.

Das war überdies, — denn wir geben die ruchlose Verleugnung des Sohnes nicht zu, — das war überdies der Vater des berufenen, unter dem Namen Philipp Egalite bekannten, Herzogs von Orleans.

Die Leichenrede dieses Fürsten wurde vom Abte Maury gehalten, eine so seltsame Rede, dass der König den Druck derselben verbot.

 

Seit einigen Jahren hatte der Herzog von Orleans, der bald auf seinem Landgute Bagnolet, bald in seinem Schloss Villers-Coterets zurückgezogen lebte, seinem Sohne nicht nur den Genuss, sondern sogar das Eigentum des Palais-Royal überlassen; da bekam dieser die Idee, das Schloss des Kardinal-Herzogs in einen großen Bazar zu verwandeln.

 

Es bedurfte hierzu der Ermächtigung des Königs: der König gab sie durch Patent vom 12. August 1784.

 

So gleichgültig er im Übrigen war, der Herzog von Orleans erwachte bei der Kunde, sein Sohn wolle Spekulant werden. Vielleicht kam ihm eine Karikatur zu Gesichte, welche zu jener Zeit erschien und den Herzog von Chartres als Lumpensammler verkleidet und Mietsleute [Ein unübersetzbarer Calembour: cherchant des loataires, Mietsleute suchend, und cherchant des loques à terre, Fetzen auf der Erde suchend.] suchend darstellte.

 

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der alte Herzog, »die öffentliche Meinung wird gegen Sie sein, mein Sohn.«

»Bah!« versetzte dieser, »die öffentliche Meinung, ich würde sie für einen Thaler geben!«

 

Dann sich verbessernd:

»Für einen großen, wohlverstanden!«

 

Es gab zweierlei Arten von Thalern, die kleinen und die großen; die kleinen waren drei Livres, die großen sechs wert.

 

Dem zu Folge wurde zwischen dem Prinzen und seinem Baumeister Louis beschlossen, das Palais-Royal sollte nicht nur ein anderes Ansehen, sondern auch eine andere Bestimmung erhalten.

Der alte Herzog starb ein Jahr, nachdem dieser Beschluss gefasst worden war, und als man eben die Arbeiten auszuführen begann. Man hätte glauben sollen, um nicht zu sehen, was vorgehe, verhülle der Enkel von Heinrich IV. seine Augen mit dem Steine eines Grabes.

 

Von da an stand den Plänen des neuen Herzogs von Orleans kein Hindernis mehr entgegen, wenn nicht etwa jene öffentliche Meinung, mit der ihn sein Vater bedroht hatte.

 

Die ersten Gegner waren die Eigentümer der Häuser, welche ans Palais-Royal grenzten, und deren Fenster auf den prächtigen Garten gingen: sie machten dem Herzog von Orleans einen Prozess, den sie verloren, und in ihre Hotels durch die neuen Erbauungen eingemauert, waren sie genötigt, zu niedrigen Preisen zu verkaufen, oder in dunklen, ungesunden Winkeln zu wohnen.

Die anderen Gegner waren die Spaziergänger; jeder Mensch, der zehnmal in einem öffentlichen Garten spazieren gegangen ist, betrachtet diesen Garten als ihm gehörig und glaubt ein Recht der Opposition gegen jede Veränderung zu haben, die man, daran vornehmen will; die Veränderung war aber groß: die Art fällte einen nach dem andern die vom Kardinal gepflanzten herrlichen Kastanienbäume! Keine Siesta mehr unter ihren Blättern, keine Plaudereien mehr in ihrem Schatten; Alles, was blieb, war die Kreuzpflanzung von Linden, und mitten unter diesen Linden der berühmte Baum von Krakau.

 

Sagen wir, was dieser berühmte Baum von Krakau war, dessen Fall im Jahre 1783 beinahe einen Aufruhr, nicht minder ernst als der Fall der Freiheitsbäume im Jahre 1850, hervorgerufen hätte.

 

II Der Baum von Krakau

 

Der Baum von Krakau war, die einen sagen eine Linde, die Andern ein Kastanienbaum; die Archäologen sind geteilt über diese wichtige Frage.

 

In jedem Falle war es ein Baum viel höher, viel buschiger, viel reicher an Schatten und Kühle, als die anderen Bäume, die ihn umgaben. Zur Zeit der ersten Zerstückelung von Polen, im Jahre 1772, hielten sich die Neuigkeitskrämer und die Politiker unter diesem Baume in der freien Luft zu ihren Besprechungen auf. Der Mittelpunkt der Gruppe, welche über das Leben und den Tod dieser von Friedrich und Katharina ans Kreuz geschlagenen und von Ludwig XV. verleugneten edlen Missetäterin diskutierte, war ein Abbé, der, da er Verbindungen in Krakau hatte, sich zum Verbreiter aller nach Frankreich aus dem Norden kommenden Gerüchte machte, und dieser Abbé, welcher, wie es scheint, überdies ein großer Taktiker war, ließ jeden Augenblick und bei jedem Anlass eine Armee von dreißigtausend Mann manövrieren, deren Märsche und Gegenmärsche die Bewunderung der Zuhörer verursachten.

 

Eine Folge hiervon war, dass der Strategie-Abbé den Beinamen der Abbé dreißigtausend Mann erhielt und der Baum, unter dem er seine geschickten Manövers ausführte, der Baum von Krakau genannt wurde.

 

Vielleicht hatten auch, die Nachrichten, die er mit derselben Leichtigkeit verkündigte, mit welcher er seine Armee manövrieren ließ, dazu beigetragen, dass dieser Baum unter seiner fast ebenso gasconischen, als polnischen Benennung bekannt wurde.

 

Wie dem sein mag, der Baum von Krakau, der unter den im Palais-Royal vom Herzog von Orleans vorgenommenen Veränderungen stehen geblieben war, bildete fortwährend den Mittelpunkt der Zusammenkünfte, welche 1788 nicht minder zahlreich im Palais-Royal, als 1772; nur bekümmerte man sich nicht mehr um Polen unter dem Baume von Krakau, sondern um Frankreich.

 

Der Anblick der Menschen hatte sich auch beinahe ebenso sehr verändert, als der der Örtlichkeiten.

 

Was besonders diese Veränderung im Anblicke der Örtlichkeiten bewerkstelligt hatte, das waren der Circus und das Lager der Tartaren, was Beides der Herzog von Orleans, begierig, Nutzen aus seinem Terrain zu ziehen, hatte bauen lassen: den Circus mitten im Garten, und das Lager der Tartaren auf der Seite, welche den Hof schloss, und die heute die Galerie d'Orleans einnimmt.

 

Sagen wir zuerst, was der Circus war, in den wir in einem gegebenen Augenblicke den Leser einzuführen veranlasst sein werden.

Das war ein verlängertes Parallelogramm bildendes Gebäude, das sich verlängernd die zwei reizenden Grasplätze von Louis dem Frommen verschlungen hatte und, ehe es nur vollendet, schon besetzt war, einmal von einem Lesekabinett, einem damals ganz neuen Etablissement, dessen Eigentümer, ein Herr Girardin, durch diese Erfindung die jedem Neuerer gebührende Berühmtheit erlangt hatte; sodann von einem Club, den man den Club Sozial nannte, und der der Sammelplatz aller Philanthropen, aller Reformatoren und aller Negrophilen war; und endlich von einem Truppe Gaukler, welche zweimal im Tage, wie zur Zeit von Thespis, Vorstellungen auf improvisierten Gerüsten gaben.

 

Dieser Circus glich einer ungeheuren Laube, ganz bekleidet, wie er war, mit Gittern und grünem Blätterwerk. Zweiundsiebzig Säulen von dorischer Ordnung, die ihn umgaben, stachen allerdings ein wenig gegen diesen ländlichen Anblick ab, doch zu jener Zeit gab es so viel entgegengesetzte Dinge, die sich einander zu nähern und sogar mit einander zu vermengen anfingen, dass man nicht mehr auf dieses, als auf die andern, achtgab.

Was das Lager der Tartaren betrifft, Mercier, der Verfasser des Tableau de Paris, wird uns sagen, was es war.

 

Man höre die Diatribe dieses zweiten Diogenes, der beinahe so zynisch und so witzig als der, welcher mit einer Laterne in der Hand am hellen Tage unter den Säulenhallen des Gartens von Akademos einen Menschen suchte:

»Die Athenienser,« sagt er, »errichteten ihren Phrynen Tempel; die unsern finden den ihren in diesem Bezirke. Dahin gehen gierige Agioteurs, welche das Seitenstück zu den hübschen Freudenmädchen bilden, dreimal täglich im Palais-Royal, und der Mund aller dieser Menschen spricht nur von Geld und von politischer Prostitution. Die Banque wird in den Kaffeehäusern gehalten, und da muss man die plötzlich durch den Verlust oder den Gewinn entstellten Gesichter sehen und studieren: Dieser gerät in Verzweiflung, Jener triumphiert. Dieser Ort ist also eine hübsche Büchse Pandoras; sie ist ziseliert, sie ist ausgearbeitet; jedermann aber weiß, was die Büchse der durch Vulcan belebten Statue enthielt. Alle Sardanapale, alle die kleinen Lucullus wohnen im Palais-Royal in Gemächern, um welche sie der König von Assyrien und der römische Konsul beneidet hätten.«

 

Das Lager der Tartaren, das war die Höhle der Diebe und der Winkel der Lustdirnen; — es war endlich das, was wir bis zum Jahre 1828 unter dem Namen Galerie de Bois [Diese hölzerne Galerie wurde durch eine steinerne ersetzt.] gesehen haben.

Sich verändernd, hatte der Anblick der Örtlichkeiten dazu beigetragen, den Anblick der Menschen zu verändern.

 

Was aber hauptsächlich zu dieser Metamorphose beigetragen, das war die politische Bewegung, welche um diese Zeit in Frankreich vor sich ging und von unten nach oben kommend die Gesellschaft von ihren Tiefen bis zu ihrer Oberfläche erschütterte.

In der Tat, man begreift, welcher Unterschied es für wahre Patrioten ist, ob sie sich mit dem Loose einer fremden Nation, oder mit den Interessen ihres Landes beschäftigen, und man wird nicht leugnen, dass die Nachrichten, welche zu dieser Stunde von Versailles kamen, viel erregender für die Pariser sein mussten, als es sechzehn Jahre früher die waren, welche von Krakau kamen.

 

Gleichwohl sah man noch mitten unter der politischen Aufregung, wie Schatten aus einer andern Zeit, einige von jenen heiteren Gemütern oder einige von jenen beobachtenden Geistern umherirren, welche ihren Weg durch die reizenden Träume der Poesie oder die herben Tumulte der Kritik verfolgen.

 

So kann, abgesehen von der im Schatten des Baumes von Krakau gruppierten großen Menge, welche das Journal de Paris oder die Iunette philosophique et litteraire lesend die Nuvelles à la main erwartete, der Leser, der uns begleitet, in einer nach den Linden mündenden Seitenallee zwei Männer von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren bemerken, welche beide die Uniform, der Eine der Dragoner von Noailles mit rosa Revers und rosa Kragen, der Andere der Dragoner der Königin mit weißen Revers und weißem Kragen tragen. Sind diese zwei Männer Offiziere, die von Schlachten sprechen? Nein, es sind zwei Dichter, welche von Poesie sprechen, zwei Verliebte, welche von Liebe sprechen.

 

Sie sind übrigens reizend, was die Eleganz, und vollkommen, was den guten Ton betrifft. Das ist die Aristokratie in ihrem bezauberndsten und vollständigsten Ausdrucke; in dieser Zeit, wo der Puder von den Anglomanen, von den Amerikanern, kurz von den Vorgerückten ein wenig vernachlässigt zu werden anfängt, ist ihr Kopfputz äußerst sorgfältig behandelt, und um seine Harmonie nicht zu derangieren, trägt der Eine seinen Hut unter dem Arme, während ihn der Andere in der Hand hält.

 

»Also, mein lieber Bertin,« sagte derjenige von den Spaziergängern, welcher die Uniform der Dragoner der Königin trug, »es ist bei Ihnen fester Entschluss, Sie verlassen Frankreich und verbannen sich nach St. Domingo?«

»Sie irren sich, mein lieber Evariste: ich ziehe mich nur nach Cythera zurück.«

»Wieso?«

»Sie begreifen nicht?«

»Bei meinem Ehrenworte, nein.«

»Haben Sie mein drittes Buch der Amours gelesen?«

»Ich lese Alles, was Sie schreiben, mein lieber Kapitän?«

»Nun, dann erinnern Sie sich wohl gewisser Verse?«

»An Eucharis oder an Catilie?«

»Ach! Eucharis ist tot und ich habe meinen Tribut der Tränen und der Poesie ihrem Andenken bezahlt; ich spreche also von meinen Versen an Catilie.«

»Welche meinen Sie?«

 

»Diese:

Va, ne crains pas que je l'oublie,

Ce jour, ce fortune moment,

Où, peins d'amour et de folie,

Tous les deux, saus savoir comment,

Dans un rapide emportement,

Nousi fimes le teudre serment,

De nous aimer toute ta, vie!

[Oh! fürchte nicht, ich vergesse ihn,

den Tag, den seligen Augenblick,

wo wir, von Liebe trunken,

Beide, ohne zu wissen, wie,

uns in einer raschen Anfwallung

voll Zärtlichkeit uns unser ganzes

Leben lang zu lieben schworen.]

 

»Nun?«

»Nun, ich halte meinen Schwur: ich erinnere mich . . .«

»Wie! Ihre schöne Catilie . . .?«

»Ist eine reizende Creolin von St. Domingo, , mein lieber Parny, welche vor einem Jahre nach dem Meerbusen von Mexico abgereist ist.«

»Und Sie folgen ihr nach?«

»Ich folge ihr nach und heirate . . . Sie wissen übrigens, mein lieber Parny, ich bin, wie Sie, ein Kind des Äquators, und wenn ich nach St. Domingo gehe, werde ich glauben, ich kehre nach unserem Heimatlande, nach unserer schönen Insel Bourbon mit ihrem Azurhimmel, mit ihrer üppigen Vegetation zurück; habe ich nicht das Vaterland, so werde ich doch sein Äquivalent haben, wie man noch das Portrait hat, wenn man das Original nicht mehr besitzen kann.«

 

Und der junge Mann sprach mit einer Begeisterung, welche heute sehr lächerlich scheinen würde, zu jener Zeit aber sehr schicklich war, die folgenden Verse:

 

Toi dont 1'image en mon coeur est tracée,

Toi qui recus ma premiere pensée,

Les Premiers sons que ma bouche a formes,

Mes premiers pas sur la terre imprimes

Sous d'autres cieux cherchant un autre monde

J'ai vu tes bords s'enfuir au loin dans l'onde. . .

Que de regrets ont suivi mes adieux!

Combien de pleurs ont coulé de mes yeux!

Que J'aime encore, aprés quinze ans d'absence,

Ce Col, temoin des jeux de mon enfance!

[Du, deren Bild in meinem Herzen eingegraben ist,

Du, die Du meinen ersten Gedanken,

die ersten Laute, die mein Mund gebildet,

die ersten Tritte, die ich der Erde eingedrückt,

empfingst, unter einem anderen Himmel

eine andere Welt suchend, sah ich Dein

Schiff in die Ferne auf der Woge fliehen.

Welche Klagen folgten meinem Abschied!

Wie viel Thränen entflossen meinen Augen!

Wie liebe ich noch nach einer Abwesenheit

von fünfzehn Jahren dieses Col [Name eines Schlosses, das Herrn Desforges, einem reichen Pflanzer der Insel Bourbon, gehörte.],

den Zeugen der Spiele meiner Kindheit!]

 

»Vortrefflich, mein lieber Bertin! Doch ich sage Ihnen vorher, Sie werden mit Ihrer schönen Catilie kaum dort sein, so haben Sie die Freunde, die Sie in Frankreich zurücklassen, vergessen.«

»Oho! Mein lieber Evariste, wie täuschen Sie sich!

 

En amitié fidéle, encor plus qu'en amour.

Tout ce qu'aima mon coeur, il l'aima plus d'un jour.

[In der treuen Freundschaft mehr noch als in der Liebe liebte mein Herz Alles, was es liebte, mehr als einen Tag.]

 

»Wird nicht überdies, mein großer Dichter, Ihr Ruf da sein, um zu machen, dass ich an Sie denke? Wäre ich so unglücklich, Sie zu vergessen, haben nicht Ihre Elegien Flügel, wie die Schwalben und die Amoretten, und der Name einer anderen Eleonore wird mich dort schauern machen wie ein Echo von diesem schönen Paris, welches mich so gut aufgenommen, und das ich dennoch mit so großer Freude verlasse!«

»Es ist also beschlossen, mein Freund, Sie reisen ab?«

 

»Oh! so fest beschlossen, als nur etwas beschlossen sein kann . . . Hören Sie, mein Abschied ist schon vollendet:

 

Oui, c'en est fait, j'abandonne Paris;

Qu'un peuple aimable, y couronnant sa téte,

Change l'année en un long jour de féte:

Pour moi, je pars! Où sont mes matelots?

Venez, montez et sillonez les flots;

Au doux Zéphyr abandonnez la voile,

Et de Vénus interrogez l'etoile

[Ja, es ist entschieden, ich verlasse Paris; hier sein Haupt bekränzend, verwandle ein liebenswürdig .Volk das Jahr in einen langen Festtag; ich reise ab! Wo sind meine Matrosen? Kommt, besteigt das Schiff und durchfurcht die Wogen; dem sanften Zephyr überlasst das Segel und befragt den Stern von Venus!]

 

»Ah! Sie wissen wohl, an wen Sie Ihr Gebet richten, mein lieber Bertin!« sagte eine dritte Stimme, sich ins Gespräch mischend; »Venus ist Ihre Jungfrau Maria!«

»Ah! Sie da, mein lieber Florian!« riefen gleichzeitig die zwei Freunde, indem sie auch zugleich ihre Hände ausstreckten, welche Florian in den seinigen drückte.

Dann fügte Parny rasch bei:

»Empfangen Sie meinen Glückwunsch zu Ihrem Eintritte in die Akademie, mein Lieber.«

»Und mein Kompliment zu Ihrem reizenden Hirtengedichte Estelle,« sagte Bertin.

»Bei meiner Treue!« fuhr Parny fort, »Sie haben Recht, dass Sie auf Ihre Hammel zurückkommen: wir brauchen Ihre Hirtenwelt, damit sie uns die Welt von Wölfen, in der wir leben, vergessen macht; sehen Sie, Bertin verlässt sie auch.«

 

»Ah! es war also kein poetischer Abschied, der Abschied, den Sie soeben von uns nahmen, mein lieber Kapitän?«

»Nein, in der Tat, es war ein wirklicher Abschied.«

»Und erraten Sie, nach welchem Antipoden er abreist? Nach St. Domingo, nach der Königin der Antillen. Er wird Kaffeepflanzer, Zuckerraffinierer, während wir . . . Gott weiß, ob man uns nur wird Kohl pflanzen lassen. Aber was schauen Sie denn so?«

»Ei! bei Gott! wenn ich mich nicht täusche, ist er es!« rief Florian.

»Wer, er?«

»Oh! meine Herren,« sprach der neue Akademiker, »kommen Sie doch mit mir, ich habe ihm ein paar Worte zu sagen.«

»Wem?«

»Rivarol.«

»Gut! ein Streit!«

»Warum nicht?«

»Ah! Sie sind also immer noch Raufer?«

»Oh! ich habe seit drei Jahren keinen Degen angerührt.«

»Und Sie wollen sich die Hand wieder gelenk machen?«

»Dürfte ich eintretenden Falles auf Sie zählen?«

»Bei Gott!«

 

Die drei jungen Leute gingen in der Tat zum Verfasser des Petit Almanach de nos Grands hommes, wovon eben eine zweite Ausgabe erschienen war, welche noch mehr Lärm gemacht hatte, als die erste.

Rivarol saß oder lag vielmehr auf zwei Stühlen, den Rücken an einen Kastanienbaum angelehnt und dem Anscheine nach nicht sehend, was um ihn her vorging; nur von Zeit zu Zeit warf er nach rechts und nach links einen von jenen Blicken, worin die Flamme des ausgezeichnetste französischen Witzes knisterte, der je existiert hat.

 

Sodann, nach diesem Blicke, der ein Factum einregistrierte oder eine Idee angab, näherte er seine zwei Hände einander und schrieb auf die Tabletten, die er in der einen hielt, ein paar Worte mit dem Bleistifte, das er in der andern hatte.

 

Er sah die drei Spaziergänger heranschreiten, doch, obgleich er sich denken konnte, sie kommen zu ihm, gab er sich den Anschein, als schenkte er ihnen keine Aufmerksamkeit, und fing wieder an zu schreiben.

 

Plötzlich warf sich indessen ein Schatten auf sein Papier: es war der der drei Freunde. Rivarol sah sich genötigt, den Kopf zu erheben.

Florian grüßte ihn mit der größten Höflichkeit; Parny und Bertin verbeugten sich leicht.

Rivarol richtete sich auf seinem Stuhle auf, ohne seine Lage zu verändern.

»Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie in Ihren Betrachtungen störe!« sagte Florian zu ihm; »doch ich habe eine kleine Reklamation an Sie zu machen.«

»An mich, Herr Edelmann?« versetzte Rivarol mit seiner spöttischen Miene. »Wäre es wegen des Herrn von Panthiévre, Ihres Meisters?«

»Nein, mein Herr, es betrifft mich selbst.«

»Sprechen Sie.«

»Sie hatten mir die Ehre erwiesen, meinen Namen in der ersten Ausgabe von Ihrem Kleinen Almanach unserer großen Männer aufzuführen.«

»Das ist wahr, mein Herr.«

»Wäre es unbescheiden, Sie zu fragen, mein Herr, warum Sie meinen Namen in der zweiten Ausgabe, welche soeben erschienen ist, herausgenommen haben?«

 

»Weil Sie zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe das Unglück gehabt haben, zum Mitgliede der Akademie ernannt zu werden, und weil, so dunkel auch ein Akademiker sein mag, er doch nicht das Privilegium der Unbekannten ansprechen kann; Sie wissen aber, Herr von Florian, unser Werk ist ein philanthropisches Werk, und Ihr Platz ist reklamiert worden.«

»Von wem?«

»Von drei Personen, welche, ich muss es in Demuth gestehen, auf dieses Glück noch mehr Rechte hatten, als Sie.«

»Und wer sind diese drei Personen?«

»Drei reizende Dichter, welche der Erste ein Akrostichon, der Zweite ein Distichon und der Dritte einen Refrain gemacht haben. . . Was das Lied betrifft, — es wird uns unaufhörlich versprochen, doch da der Refrain gemacht ist, so können wir warten.«

»Und wer sind diese drei ausgezeichneten Männer?«

»Die Herren Grouber von Groubental, Fenouillot de Falbaire von Quingey und Thomas Minau von Lamistringue.«

»Wenn ich Ihnen aber jemand empfehlen würde, Herr von Rivarol?«

»Ich müsste Sie zu meinem Bedauern zurückweisen, Herr von Florian: ich habe meine Armen.«

»Derjenige, welchen ich Ihnen empfehle, hat nur einen Viervers gemacht.«

»Das ist viel!«

»Soll ich Ihnen denselben rezitieren, Herr von Rivarol?«

»Gewiss, Herr von Florian, rezitieren Sie! . . . Sie sprechen so gut!«

»Nicht wahr, ich habe nicht nötig, Ihnen zu sagen, an wen er gerichtet ist?«

»Ich werde mein Möglichstes tun, um es zu erraten . . .«

»Also! . . .«

»Ich höre.«

 

Ci-gît Azor, chéri de ma Syvie;

Il eut même penchant que vous, monsieur Damon:

A mordre il a passê sa vie;

Il est mort d'un coup de bâton.

[Hier liegt Azor, geliebt von meiner Sylvie;

er hatte denselben Hang wie Sie, Herr Damon:

er hat sein Leben mit dem Beißen zugebracht;

an einem Stockstreiche ist er gestorben!]

 

»Ah! Herr von Florian,« rief Rivarol, »sollte dieses kleine Meisterwerk von Ihnen sein?«

»Nehmen Sie an, es sei von mir, Herr von Rivarol: was hätten Sie von mir zu verlangen?«

»Oh! mein Herr, ich hätte von Ihnen zu verlangen, dass Sie es mir dictiren, nachdem Sie es mir recitirt haben?«

»Ihnen?«

»Ja, mir.«

»Wozu?«

»Ei! um es zu den Noten meiner dritten Ausgabe zu setzen . . . Jeder an seinem Platze, mein Herr; das Ganze ist, dass man sich Gerechtigkeit widerfahren lässt. Ich habe keine andere Prätension, als die, in der Literatur das zu sein, was der Schleifstein in der Messerschmiede ist: ich schneide nicht, ich mache schneiden.«

 

Florian kniff sich in die Lippen: er hatte es mit einem mächtigen Gegner zu tun; er sprach indessen:

»Und nun, mein Herr, um ein Ende zu machen: wenn ich Ihnen sagte, in dem Artikel, den Sie mir zu widmen die Güte gehabt, sei Etwas gewesen, was mir missfallen?«

»In meinem Artikel Etwas, was Ihnen missfallen? Unmöglich! er hat nur drei Zeilen.«

»Es ist dennoch so, Herr von Rivarol.«

»Oh! wahrhaftig? . . . Wäre es im Geiste?«

»Nein.«

»Wäre es in der Form?«

»Nein.«

»In was denn?«

»Es ist im Grunde.«

»Oh! wenn es der Grund ist, das geht mich nichts an, Herr von Florian, das geht Champcenetz, meinen Mitarbeiter, an, der auf- und abgehend dort mit der Nase von Métra plaudert. Ihr Diener, Herr von Florian!«

 

Wonach Herr von Rivarol wieder ruhig zu schreiben anfing.

Florian schaute seine zwei Freunde an, und diese bedeuteten ihm mit den Augen, er müsse sich als geschlagen betrachten und es folglich hierbei bewenden lassen.

»Ah! mein Herr,« sagte Florian, »Sie sind entschieden ein Mann von Geist, und ich nehme meinen Viervers zurück.«

»Ach! mein Herr,« rief Rivarol mit einer komisch verzweifelten Miene, »es ist zu spät!«

»Wi so?«

»Ich habe ihn in meinen Tabletten aufgezeichnet, und es ist schon, als ob er gedruckt wäre; doch wollen Sie einen andern, so werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, Ihnen denselben an der Stelle des Ihrigen anzubieten.«

»Einen andern? und immer über denselben Gegenstand?

»Ja, ganz frisch diesen Morgen mit der Post angekommen; er ist an mich, so wie an Champcenetz adressiert: ich kann also in seinem Namen und in meinem darüber verfügen. Es ist ein junger pikarischer Advokat, Namens Camille Desmoulins, der bis jetzt nur dies gemacht hat, aber verspricht, wie Sie sehen werden.«

»Ah! ich höre, mein Herr.«

»Zum Verständnis der Sache müssen Sie wissen, mein Herr, dass gewisse Neidische mir und Champcenetz den Adel streitig machen, wie sie Ihnen das Genie streitig machen. Sie begreifen wohl, dass dies dieselben sind. Sie sagen, mein Vater sei Wirth in Bagnols gewesen, und die Mutter von Champcenetz Haushälterin, ich weiß nicht wo. Nachdem dies vorausgestellt ist, hören Sie meinen Viervers, der durch die Erklärung, die ich Ihnen gegeben, nur gewinnen kann:

 

Au noble hôtel de la Vermine

On est, logé très proprement:

Rivarol y fait la cuisine,

Et Champcenetz, l'appartement.

[Im edlen Gasthause zum Ungeziefer

wohnt man sehr reinlich!

Rivarol besorgt dort die Küche

und Champcenetz die Wohnung.]

 

»Sie sehen, mein Herr, der erste bildet ein bewunderungswürdiges Seitenstück zum zweiten, und verkaufte ich den einen ohne den andern, so wäre der, den ich behielte, unvollständig.«

 

Man konnte einem solchen Manne nicht länger grollen. Florian reichte ihm folglich eine Hand und Rivarol nahm sie mit dem seinen Lächeln und dem leichten Blinzeln der Augen, was nur ihm eigentümlich.

In demselben Momente entstand um Métra und in der Gegend des Baumes von Krakau eine Bewegung, welche die Ankunft einer wichtigen Nachricht bezeichnete.

Die drei Freunde folgten dem von der Menge, die sich unter den Linden zusammenscharte, gegebenen Impulse und ließen Rivarol sich wieder an seine Notizen machen, die er mit derselben Gleichgültigkeit, als ob er allein gewesen wäre, fortsetzte.

Er tat dies jedoch nicht, ohne auf einen Blick von Champcenetz, der besagen wollte; »Was gibt es?« durch einen Blick geantwortet zu haben, welcher bedeutete: »Noch nichts für diesmal.«

 

III Die Neuigkeitsliebhaber

 

Métra, den Rivarol genannt hatte, und der, wie gesagt, mit Champcenetz plauderte, hatte sich zu einem der wichtigsten Menschen dieser Zeit gemacht.

Geschah dies durch seinen Geist? Nein; sein Geist war mittelmäßig. Durch seine Geburt? Nein; er gehörte dem Bürgertum an. Durch die übermäßige Länge seiner Nase? Nein, auch nicht.

Es geschah durch seine Neuigkeiten.

 

Métra war der vorzugsweise Mann der Neuigkeiten: unter dem Titel Corresponcdance secréte ließ er — erraten Sie, wo? . . . in Neustadt am Ufer des Rheins, — ein Journal alle Pariser Neuigkeiten enthaltend erscheinen.

 

Wer wusste das wahre Geschlecht des Chevalier oder der Chevaliére d'Eon, dieses Menschen, dem die Regierung den Befehl gegeben, sich an Weiberkleider zu halten, und der das Kreuz des St. Ludwigs-Ordens an seinem Halstuche trug?

Métra.

 

Wer erzählte in ihren kleinsten Einzelheiten, und als ob er denselben beigewohnt hätte, die fantastischen Soupers des berühmten Grimod de la Reyniére, welcher einen Augenblick die Casserole mit der Feder vertauschend so eben die Parodie des Songe d'Athalie geschrieben hatte?

Métra.

 

Wer durchschaute das Rätsel der Exzentrizität des Marquis von Brunoy, des exzentrischsten Menschen jener Zeit?

Métra.

 

Die Römer, wenn sie sich auf dem Forum begegneten, fragten einander drei Jahrhunderte hindurch: Quid novi fert Africa? (Was bringt Africa Neues?) Die Franzosen fragten sich drei Jahre lang: »Was sagt Métra?«

 

Es gibt gewisse Perioden im Leben der Nationen, während welcher eine seltsame Unruhe sich eines ganzen Volkes bemächtigt: das ist so, wenn dieses Volk allmählich unter seinen Füßen den Boden weichen fühlt, auf dem in den abgelaufenen Jahrhunderten ruhig seine Voreltern gegangen sind; es glaubt an eine Zukunft, denn wer lebt, hofft; doch außer dem, dass es nichts in dieser Zukunft unterscheidet, so düster ist sie, fühlt es noch, dass ein dunkler, tiefer, unbekannter Abgrund zwischen der Zukunft und ihm ist.

 

Dann wirft es sich in die unmöglichen Theorien; dann liegt es der Aufsuchung unfindbarer Dinge ob; dann sucht es, wie jene Kranken, die sich so verzweifelt fühlen, dass sie die Ärzte fortjagen und die Quacksalber rufen, die Heilung nicht in der Wissenschaft, sondern im Empirismus, nicht in der Wirklichkeit, sondern im Traume. Denn um dieses ungeheure Chaos zu bevölkern, wo der Schwindel herrscht, wo das Licht fehlt, — nicht, weil es nicht geboren worden, sondern weil es stirbt, — erscheinen die Männer der Mysterien, wie Swedenborg, der Graf von Saint-Germain, Cagliostro; Jeder bringt seine Entdeckung, eine unerhörte, unerwartete, fast übernatürliche Entdeckung: Franklin die Elektrizität; Montgolfier die Luftschifffahrt; Mesmer den Magnetismus. Dann begreift die Welt, so blind und so schwankend sie ist, dass sie einen Schritt gegen die himmlischen Mysterien gemacht hat, und das hochmütige Menschengeschlecht hofft eine Stufe der Leiter, welche zu Gott führt, erstiegen zu haben!

 

Wehe dem Volke, das diese Zerrungen fühlt, denn diese Zerrungen sind die ersten Schauer des Revolutionsfiebers! es naht für dasselbe die Stunde der Umstaltung; ohne Zweifel wird es aus dem Kampfe glorreich und auferstanden hervorgehen, doch es wird während einer Todesnot, wo es Blut geschwitzt, sein Leiden, seine Schädelstätte und sein Kreuz gehabt haben.

Dies war der Zustand der Geister in Frankreich in der Zeit, zu der wir gekommen sind.

 

Jenen Vögeln ähnlich, welche in großen Flügen fortbrausen, welche in den Lüften wirbeln und bis in die Wolken aufsteigen, von wo sie sich ganz schauernd niedersenken, — denn sie haben den Wetterstrahl um Kunde gefragt, und der Blitz hat ihnen geantwortet, — jenen Vögeln ähnlich, sagen wir, liefen große Volkssturmwinde verwirrt hin, ließen sich auf die Plätze nieder; dann, nachdem sie gefragt: »Was gibt es?« nahmen sie wieder ihren wahnsinnigen Flug durch die Straßen und über die Kreuzwege.

 

Man begreift also, welchen Einfluss auf die Menge die Leute gewannen, die auf ihre ungeheure Frage dadurch antworteten, dass sie ihr Neuigkeiten gaben.

 

Darum war Métra der Mann der Neuigkeiten am 24. August 1788 noch mehr umgeben, als an den andern Tagen.

 

Man fühlte in der Tat seit einiger Zeit, wie die Regierungsmaschine dergestalt gespannt war, dass etwas darin brechen musste.

Was? Das Ministerium wahrscheinlich.

Das zu dieser Stunde funktionierende Ministerium war äußerst unpopulär.

Es war das von Herrn von Loménie von Brienne, welches auf das von Herrn von Calonne gefolgt war; dieses, das die Versammlung der Notabeln getötet hatte, war selbst auf das Ministerium von Herrn Necker gefolgt.

Aber, mochte nun Métra an diesem Tage keine Neuigkeiten haben, oder mochte Métra haben und sie nicht sagen wollen, — statt dass Métra zu seiner Umgebung sprach, sprach seine Umgebung zu ihm.

 

»Herr Métra,« fragte eine junge Frau, die ein Kleid à la lévite anhatte, auf dem Kopfe einen mit vielen Blumen verzierten Hut trug, und in der Hand einen langen Stocksonnenschirm hielt, »ist es wahr, dass die Königin bei ihrer letzten Arbeit mit Leonard, ihrem Friseur, und Mademoiselle Bertin, ihrer Putzmacherin, nicht nur die Zurückberufung von Herrn Necker angekündigt, sondern es auch übernommen hat, ihm diese Zurückberufung kund zu tun.«

 

»Eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Das ist möglich!«

»Herr Métra,« fragte ein äußerst zierlich frisierter elegant, der einen olivenfarbigen Rock und eine mit Kattunstreifen eingefasste Weste trug, »glauben Sie, dass sich Monseigneur der Graf von Artois, wie man sagt, gegen Herrn von Brienne ausgesprochen und dem König gestern entschieden erklärt hat, wenn der Erzbischof nicht in drei Tagen seine Entlassung als Minister nehme, so sei er so sehr auf das Heil Seiner Herrlichkeit bedacht, dass er sie selbst von ihm verlangen werde?«

»Eh! eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Ich habe dergleichen erzählen hören!«

»Herr Métra,« fragte ein Mann aus dem Volke mit bleichem Gesichte und abgemagertem Leibe, der eine abgeschabte Hose und ein schmutziges Wams trug, »ist es wahr, dass man Herrn Sieyés gefragt hat, was der dritte Stand sei, und dass Herr Sieyés geantwortet: »»Nichts für die Gegenwart und alles für die Zukunft!««

»Eh! eh! eh!« machte Métra mit einem Tone, der besagen wollte: »Ich weiß nicht, ob Herr Sieyés dies gesagt hat, wenn er es aber gesagt hat, so könnte er wohl die Wahrheit gesagt haben!«

 

Und alle riefen im Chore:

»Herr Métra, Neuigkeiten! Neuigkeiten, Herr Métra!«

»Neuigkeiten, Bürger,« sprach unter der Menge eine kreischende Stimme, »wollt Ihr? ich bringe Euch.«

 

Diese Stimme hatte einen so sonderbaren Ausdruck, einen so seltsamen Ton, dass Jeder sich umwandte und mit den Augen denjenigen, welcher gesprochen, suchte.

Es war ein Mann von sechsundvierzig bis achtundvierzig Jahren, nicht fünf Fuß hoch, mit krummen Beinen, in grauen, schräge blau gestreiften Strümpfen und klaffenden Schuhen, an denen eine zerzauste Schnur die Bänder ersetzte; auf dem Kopfe einen Hut à la Andromane, das heißt mit niedrigem Oberteil und aufgestülpter Krempe; sein Leib war eingeschlossen in einen kastanienbraunen, überall abgeschabten, am Ellenbogen durchlöcherten Rock, der sich auf der Brust öffnete, um hinter einem schmutzigen, auseinanderstehenden Hemde ohne Krawatte das hervorspringende Schlüsselbein und die Muskeln eines Halses zu zeigen, der von Gift angeschwollen zu sein schien.

Was sein Gesicht betrifft, — verweilen wir einen Augenblick bei demselben, denn es verdient eine besondere Erwähnung.