cover

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Emons Verlag GmbH // 2016
Alle Rechte vorbehalten
Texte: John Sykes
© Alle Fotografien von Birgit Weber, außer
Kapitel 4, 8, 15, 20, 25, 28, 30, 35, 52, 53, 59, 69, 85, 102, 106 ( John Sykes)
Gestaltung: Emons Verlag
Kartenbasisinformationen aus Openstreetmap, © OpenStreetMap-Mitwirkende, ODbL
ISBN 978-3-86358-502-0
E-Book der gleichnamigen Originalausgabe erschienen im Emons Verlag


Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons:
Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1_Albert Bridge |
Ein Veteran bleibt im Dienst

2_The Albert Memorial |
Gold und Prunk für einen deutschen Prinzen

3_Apothecaries’ Hall |
Zunfthalle der Apotheker

4_The Argyll Arms |
Kneipenhimmel neben Shopping-Hölle

5_The Athenaeum Club |
Die Göttin bittet nicht jeden hinein

6_The Barbican |
Denkmalgeschützte Betonburg mit Kultur

7_Belgrave Square |
Eine Familie hält ihr Vermögen zusammen

8_Berry Bros. & Rudd |
Weinhändler seit 300 Jahren

9_Die Bevis-Marks-Synagoge |
300 Jahre jüdische Gemeinde

10_Borough Market |
Gourmetmarkt an der Kathedrale

11_Der Bottle Kiln in Notting Hill |
Von Schweinezüchtern und Superreichen

12_Brompton Cemetery |
Überwucherte Friedhofspracht

13_Die Brunswick-Platane |
Bäume, die London prägen

14_Bunhill Fields |
Mittagspause zwischen den Gräbern

15_Cabbies’ Shelter bei Grosvenor Gardens |
Denkmalgeschützter Pausenraum für Taxifahrer

16_Café E. Pellici |
Wo Lasagne auf Bacon & Eggs trifft

17_Centre Point |
Extrem grob oder denkmalwürdig?

18_Chalybeate Well |
Das heilende Wasser von Hampstead

19_Cheyne Walk |
Schon lange eine gute Adresse

20_Chinatown |
Fernöstliches Flair in Soho

21_Christie’s |
Niveauvoller als Auktionen bei eBay

22_City Hall |
Ein Reichstag für London

23_The Coade Stone Lion |
Der Brückenlöwe mit bescheidener Herkunft

24_College Garden |
Ein versteckter Mönchsgarten

25_Cousin Lane Stairs |
Eine Treppe zur Themse hinunter

26_Der Crossbones-Friedhof |
Gedenkstätte für Ausgestoßene

27_Dr. Johnson’s House |
Ein Wörterbuch und eine Katze

28_Die Duke-of-York-Säule |
Eine königliche Karriere bis ganz oben

29_Eccleston Mews |
Schöner wohnen in der Stallung

30_Edgware Road |
»Klein-Beirut« in London

31_Eel Pie Island |
Insel der Musiker und Künstler

32_Electric Avenue |
Reggae oder Salsa, Rasta-Locken oder Perücke?

33_Fournier Street |
Geister der Hugenotten und jüdischen Schneider

34_Freemasons’ Hall |
Tempel der Freimaurer

35_Fulham Palace |
Bischöflicher Landsitz an der Themse

36_Die Gaslaterne in der Carting Lane |
Straßenbeleuchtung durch Kanalisationsgas?

37_Greenwich Foot Tunnel |
Die Themse unterqueren, und ab nach Schottland!

38_The Grenadier |
Ein gemütlicher Pub, bis das Gespenst erscheint

39_Hawksmoors Pyramide |
Ein Rätsel auf dem Kirchhof

40_Holland Park |
Es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht …

41_Horse at Water |
Der Pferdekopf am Marble Arch

42_James Smith & Sons |
Hier kauft ein Gentleman seinen Regenschirm

43_Die Jamme-Masjid-Moschee |
Ein Haus für drei Religionen

44_Jean Cocteaus Malereien in Notre Dame |
Die sechstgrößte französische Stadt heißt Londres

45_Jewel Tower |
Demokratie, Maße und Gewichte

46_Die K2-Telefonzelle |
Der Prototyp einer Designikone

47_Das Kindertransportdenkmal |
10.000 jüdische Kinder kamen hier an

48_Leadenhall Market |
Römer, Käsehändler, Banker

49_Liberty |
Flaggschiffladen? Nein, Schlachtschiffgeschäft

50_Lincoln’s Inn |
Eine ruhige Enklave der Juristen

51_Lloyd’s Building |
Futuristisch und doch ein Denkmal

52_London Stone |
Ein mythischer Unort

53_Lord’s Cricket-Stadion |
Heiligtum einer unergründlichen Sportart

54_Das MI6-Hauptquartier |
Das Büro von James Bond

55_The Monument |
Als 13.000 Häuser abbrannten

56_Mudchute City Farm |
Tiere für Stadtkinder

57_Neal’s Yard |
Eine alternative Enklave seit über 30 Jahren

58_Die Nische der Old London Bridge |
Ein Brückenteil wurde ins Krankenhaus eingeliefert

59_Old St Pancras |
Der Eis- und Eisenbahnheilige

60_Orbit |
Aussichtsturm am Olympiagelände

61_The OXO Tower |
Brühwürfelarchitektur mit Panorama

62_Parliament Hill |
Ganz London zu Füßen

63_The Peace Pagoda |
Fernöstlicher Glanz im Battersea Park

64_Peabody Estate in der Whitecross Street |
Sozialer Wohnungsbau seit 150 Jahren

65_The Piccadilly Line |
Design und Architektur für die U-Bahn

66_Pimlico Road Farmers’ Market |
Mozart überwacht lokale Qualitätsprodukte

67_Das Polizeiversteck auf Trafalgar Square |
Ein Beobachtungsposten bei Demonstrationen

68_Postman’s Park |
Ein Denkmal für unbekannte Helden

69_Primrose Hill |
Ein kostenloser Panoramablick

70_The Princess Diana Memorial Fountain |
Planschen wird geduldet

71_The Prospect of Whitby |
Henkerstrunk in der Hafenkneipe

72_Quantum Cloud |
Wissenswertes zwischen Fön und Gaslaterne

73_Queen Square |
Ein Platz für Eltern, Kinder und Königinnen

74_The Regent’s Canal |
Muße und Arbeit am Wasser

75_Richmond-on-Thames |
Wo Londons Fluss ländlich wird

76_Richmond Palace |
Ein schöner Ort zum Leben und Sterben

77_Richmond Park |
Gras und Bäume, so weit das Auge reicht

78_Die römische Stadtmauer |
Londinium bleibt präsent

79_The Royal Arcade |
Königliche Empfehlung fördert den Umsatz

80_Shad Thames |
Schickes Wohnen in Dickens’ Elendsviertel

81_Shadwell Basin |
Die Verwandlung der Hafenbecken

82_Shoreditch Street Art |
Legal oder illegal, subversiv oder arriviert

83_Shri Swaminarayan Mandir |
Der Hindu-Tempel ist für alle offen

84_Soho Square |
König Charles, Paul McCartney und Casanova

85_Somerset House |
Vom Beamtenpalast zum Volks- und Kunstpalast

86_Spencer House |
Altes Geld, sicherer Geschmack

87_St Anne’s Church, Soho |
Grabstätte des deutschen Königs von Korsika

88_St Bartholomew |
Die Kirche des Hofnarren, heute eine Filmkulisse

89_St Bride’s |
Ein Turm wie eine Torte, eine Krypta zum Schaudern

90_St Helen’s Bishopsgate |
Die christliche Botschaft im Finanzviertel

91_St James’s Square |
Adresse für Privilegierte, Picknickplatz für alle

92_St John-at-Hampstead |
Dorfkirche für Kreative und Prominente

93_St John’s Lodge Garden |
Ein abgeschiedener Blumengarten im Regent’s Park

94_St Pancras Station |
Bierfässer und ein Wunder der Ingenieurskunst

95_St Sepulchre Drinking Fountain |
Eine Maßnahme gegen Bier und Cholera

96_Temple Bar |
Wo Monarchen begrüßt wurden

97_Three Mills Island |
Mahlen mit der Kraft der Gezeiten

98_Tower Bridge Wharf |
Freier Blick auf den Fluss

99_Trellick Tower |
Ein Architektur-Bösewicht wird rehabilitiert

100_Twinings Teeladen |
Steigert das Bruttosozialprodukt seit 300 Jahren

101_Tyburn Convent |
Schrein katholischer Märtyrer

102_Waterloo Bridge |
Ein bezaubernder Blick entlang der Themse

103_Wellington Arch |
Ein Denkmal für den Krieger und den Friedensengel

104_The Westbourne |
Der Bach, der durch eine U-Bahn-Station fließt

105_Westminster Cathedral |
Wie kommt der Stiefkind-Dom zu seinem Schmuck?

106_Whitechapel Bell Foundry |
Die Glockengießerei, die Big Ben hervorbrachte

107_Whitechapel Gallery |
Kunst für alle und vergoldete Lebensbäume

108_Der Wildblumengarten in Lambeth |
Es blüht zwischen den Gräbern

109_Wilton’s Music Hall |
Abbröckelnder Putz einer Varietébühne

110_Ye Olde Mitre |
Eine gut versteckte Kneipe

112_York Watergate |
Das Tor am Wasser sollte Eindruck machen

Bildteil

Übersichtskarten

111 Orte in London, die man gesehen haben muss

John Sykes

emons: Verlag

Übersichtskarte 1

Übersichtskarte 2

Übersichtskarte 3

Übersichtskarte 4

Übersichtskarte 5

Vorwort

Wir haben im regenreichsten englischen Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen endlose Streifzüge durch London unternommen, weit mehr als 111 Orte aufgesucht und dabei circa 8.000 Fotos gemacht, um die hier präsentierte Auswahl zu treffen.

Die berühmten Sehenswürdigkeiten wie Big Ben und große Museen wie das British Museum sind in diesem Band nicht aufgeführt, denn zahllose Reiseführer beschreiben sie bereits. Wir richteten unser Augenmerk auf manche Orte, für die man erst beim zweiten oder fünften Besuch in London Zeit findet, und auf andere, die man beim Erstbesuch als Ergänzung zum Standardprogramm besichtigen kann. Sie befinden sich schwerpunktmäßig in zentral gelegenen Stadtteilen, aber Ausflüge in alle Himmelsrichtungen gehören auch dazu.

Wir möchten die schier unglaubliche Vielfalt der britischen Hauptstadt zeigen. In London treffen sich alle Kulturen der Welt. Es gibt edle Boutiquen und schräge junge Mode, Residenzen der Aristokratie und denkmalgeschützte Holzhütten, Gentlemen’s Clubs mit strengen Aufnahmebedingungen und urige Pubs für jedermann. Wir nehmen den Leser mit zu einer Moschee, einer Synagoge, einem Hindu-Tempel, einer buddhistischen Pagode, in die eine oder andere Kirche und zu einem ungeweihten Friedhof.

Wir zeigen, wo ein deutscher König von Korsika begraben wurde, welcher Weinhändler über das Körpergewicht seiner Kunden Buch führt, warum Piraten im Fluss erhängt wurden, welcher unterirdische Radweg nach Schottland führt, welcher Feind von James Bond Wohntürme baute und wo sich Bonds Büro befindet.

Übrigens: Die in deutschen Ohren magisch klingende Zahl »111« gilt manchen in England als Unglückszahl. Deshalb fehlt sie im Inhaltsverzeichnis: nach Ort 110 kommt Ort 112. Die Erklärung für diesen Aberglauben ist bei Ort 53 nachzulesen.

Wir wünschen dem Leser so viel Freude bei der Lektüre, wie wir beim Recherchieren, Fotografieren und Schreiben hatten.

John Sykes & Birgit Weber

Zum Vollbild

1_Albert Bridge

Ein Veteran bleibt im Dienst

weiter

Ikonenstatus hat die Tower Bridge, aber keine Londoner Brücke ist schöner als die Albert Bridge im Westen der Stadt, vor allem nachts, wenn 4.000 Glühbirnen einen Zauber auf ihre achteckigen Türme und eisernen Streben legen. Der Anstrich in zarten Pastelltönen – Rosa, Blau, Gelb – hebt ihre filigrane Gestaltung hervor. Die zierliche Anmutung der Albert Bridge trügt nicht, denn seit der Eröffnung 1873 ist sie ein Problemfall. Im 19. Jahrhundert hieß sie »die zitternde Dame«. Schilder mahnen Soldaten, nicht im Gleichschritt hinüberzumarschieren.

Rowland Mason Ordish entwarf die nach Königin Victorias Ehemann benannte Albert Bridge nach seinem eigenen Prinzip als abgewandelte Hängebrücke. Bereits 1884 musste sie verstärkt werden. 1973 kamen Pfeiler als Unterbau in der Flussmitte hinzu, nachdem eine Kampagne mit prominenter Beteiligung den Abriss verhinderte. Die Albert Bridge verbindet den wohlhabenden Stadtteil Chelsea mit Battersea am Südufer der Themse. Der Reichtum der Chelsea-Bewohner und das Hundeparadies »Battersea Park« wurden ihr zum Verhängnis, denn schwere, teure Autos mit Allradantrieb werden nicht umsonst »Chelsea Tractor« genannt, und nicht jeder Mops hält sich so lange zurück, bis er im jenseitigen Grün pinkeln kann. Die Konstruktion aus sprödem Gusseisen mit einer Holzplatte unterhalb der Fahrbahn war nie für den motorisierten Verkehr gedacht. Eine Verengung der Zufahrten hält Lastwagen fern, aber Kolonnen von Chelsea Tractors erschüttern die Träger, und Pudel-Urin zersetzt das Holz.

Info

Adresse Chelsea Embankment/Cheyne Walk (Nordseite der Brücke) | ÖPNV Sloane Square (Circle, District Line); Bus 170 ab Victoria, Haltestelle Albert Bridge | Tipp Das Royal Hospital Chelsea mit einer sehenswerten Kapelle und Great Hall entwarf Christopher Wren ab 1682 (Royal Hospital Road, Mo–Fr 10–16 Uhr).

Nach teurer Sanierung wurde die Albert Bridge Ende 2011 wiedereröffnet. Zur offiziellen Feier führte man zwei Hunde, »Prince« und »Albert« aus dem Tierheim von Battersea, über die Brücke. Fein herausgeputzt, doch altersschwach, wie die prächtig uniformierten Veteranen des nahe gelegenen Militärheims im Royal Hospital, versieht die Albert Bridge weiterhin ihren Dienst.

In der Nähe

Cheyne Walk (0.13 km)

The Peace Pagoda (0.6 km)

The Westbourne (1.24 km)

Pimlico Road Farmers’ Market (1.28 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

Albert Bridge

Zum Text

Zum Vollbild

2_The Albert Memorial

Gold und Prunk für einen deutschen Prinzen

zurück

weiter

Londons extravagantestes Denkmal ehrt Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819–1861). In Bronze gegossen und vergoldet, thront der Ehemann von Königin Victoria unter einem 54 Meter hohen neugotischen Baldachin in den Kensington Gardens. In nachdenklicher Haltung, den Kopf leicht nach links gedreht, blickt er nicht direkt auf die Royal Albert Hall gegenüber, sondern zum Museumsviertel South Kensington. In der Hand hält er den Katalog der allerersten Weltausstellung, die er federführend mitgestaltete. Im Jahr 1851 fand diese Schau der Errungenschaften westlicher Länder unter dem Dach eines »Crystal Palace« aus Eisen und Glas statt. Als führende Industrienation und mächtigste Kolonialmacht feierte Großbritannien seine Wissenschaften und Künste. Mit den Gewinnen der Ausstellung bewirkte Albert den Kauf der Grundstücke in South Kensington, auf denen heute Museen und Bildungseinrichtungen stehen.

Das von seiner Witwe Victoria 1876 enthüllte Denkmal verkörpert den Fortschrittsglauben Alberts und seines Zeitalters. Figurengruppen aus weißem Marmor am Sockel symbolisieren Industrie, Handel, Ingenieurskunst und Landwirtschaft. Darunter reihen sich 169 lebensgroße Darstellungen europäischer Schriftsteller, Maler, Komponisten, Architekten und Ingenieure. Ein prächtiger Zaun um das Ensemble hält Besucher fern, doch die Allegorien der Kontinente in den Ecken kann man von Nahem bewundern. Trotz der exotischen Gewänder der Menschengestalten stehlen die Tiere ihnen die Schau: ein freundlich blickender Elefant für Asien, ein naserümpfendes Kamel für Afrika. Machtvoll sitzt Europa auf ihrem Stier mit Zepter und Kugel als Herrschaftszeichen, neben ihr Britannia mit dem Dreizack, Symbol der Seemacht. Zu Lebzeiten lehnte Albert ein Denkmal ab: Er befürchtete ein »künstlerisches Ungeheuer«. Tatsächlich schufen der Architekt George Gilbert Scott und das Bildhauerteam ein Meisterwerk.

Info

Adresse Kensington Gardens, Südseite, SW7 2AP | ÖPNV Knightsbridge (Piccadilly Line) | Tipp Der Cast Court (Abgusshof, tägl. 10.00–17.45 Uhr) des Victoria and Albert Museum ist ein verrücktes Sammelsurium kopierter Bildhauerei, wo sich die Trajanssäule aus Rom neben einem Kathedralenportal, Monumentalgräbern, den Bronzetüren von St. Michael in Hildesheim und anderen Spitzenwerken emporreckt.

In der Nähe

The Princess Diana Memorial Fountain (0.49 km)

Tyburn Convent (1.56 km)

The Grenadier (1.58 km)

Horse at Water (1.72 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

The Albert Memorial

Zum Text

Zum Vollbild

3_Apothecaries’ Hall

Zunfthalle der Apotheker

zurück

weiter

In den Gassen zwischen Ludgate Hill und der Themse ist das alte, kleinteilige London noch zu spüren – zum Beispiel in der engen Black Friars Lane neben dem Eisenbahnviadukt. Hier lebten einst die Dominikaner, die schwarzen »friars« (Bettelmönche), deren Speisesaal nach der Auflösung aller englischen Klöster zum Theater wurde. Shakespeare spielte dort – der Ort heißt heute Playhouse Yard – und kaufte ein Haus im angrenzenden Ireland Yard. Einen anderen Teil des Klosters übernahm 1632 die Society of Apothecaries, eine der 108 Londoner »Livery Companies«.

Die Livery Companies (»Livree« – jede hat einen eigenen Talar) entstanden im Mittelalter als Zünfte der Schneider, Weinhändler, Goldschmiede und so weiter. Sie regelten Handel und Handwerk, hatten  religiöse  Aufgaben  und  wählten  den  Bürgermeister, den »Lord Mayor«. Sie bestehen heute noch, meist als wohltätige Organisationen, aber manche erfüllen weiterhin Aufgaben als Berufsverband. Die Apotheker besitzen die älteste verbliebene Zunfthalle mit Räumen aus der Zeit um 1670, darunter die 18 Meter lange Great Hall mit Eichentäfelung, einem riesigen Leuchter und Porträts ehemaliger Würdenträger. Die bescheidene Fassade in der Black Friars Lane schmückt ein Wappen, auf dem Apoll einen Drachen, Symbol der Krankheit, besiegt.

Info

Adresse Black Friars Lane, EC4V | ÖPNV Blackfriars (Circle, District Line) | Tipp Trost dafür, dass Apothecaries’ Hall fast nie öffentlich zugänglich ist, bietet der Pub The Black Friar (Ecke New Bridge Street) mit einem wunderbaren Interieur, einem Gesamtkunstwerk im Arts-&-Crafts-Stil.

Die ursprünglich zur Zunft der Pfefferhändler gehörenden Apothecaries erhielten 1617 eine eigene Gesellschaft. 1673 gründeten sie zu medizinischen Zwecken einen botanischen Garten, den wunderschönen, noch existierenden Chelsea Physic Garden. Zu den Mitgliedern gehörten der Dichter John Keats und Elizabeth Garrett Anderson (1836–1917), die erste englische Ärztin. Bis 1922 betrieb die Society einen pharmazeutischen Handel. Heute ist sie eine Prüfinstanz für medizinische Spezialgebiete und verleiht einen Preis für Medizingeschichte. Die Ältesten der Gesellschaft dürfen heute noch den Lord Mayor wählen.

In der Nähe

St Bride’s (0.19 km)

Temple Bar (0.38 km)

St Sepulchre Drinking Fountain (0.41 km)

Dr. Johnson’s House (0.42 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

Apothecaries’ Hall

Zum Text

Zum Vollbild

4_The Argyll Arms

Kneipenhimmel neben Shopping-Hölle

zurück

weiter

In der überfüllten Oxford Street geben sich Londoner und Besucher aus aller Welt dem kollektiven Kaufrausch hin. Viele finden diese Straße unerträglich, und auch Modefans, die freiwillig dorthin gehen, brauchen nachher eine Erfrischung. Wie praktisch, dass es in der Seitenstraße Argyll Street eine der allerschönsten Kneipen gibt! Der Herzog von Argyll residierte im 18. Jahrhundert dort, und das Kneipenschild zeigt das herzogliche Wappen (»arms«). Seit 1742 steht ein Wirtshaus in der Straße, das herrliche Interieur des Argyll Arms stammt aber aus dem Jahr 1895, aus einem Goldenen Zeitalter der Kneipeneinrichtung. Brauereien kauften damals Pubs und ließen sie prächtig renovieren, da die Konkurrenz durch andere Amüsierbetriebe wie Theater wuchs. Außerdem wollte man angesichts einer Anti-Alkohol-Bewegung ein wenig Niveau zeigen.

The Argyll Arms glänzt mit einer Einrichtung aus dunklem Holz, Spiegeln und geätztem Glas. Die Vorliebe für gemütliche kleine Räume (»snugs«) zwecks Diskretion und der Trennung von sozialen Schichten ist hier sichtbar.

Info

Adresse 18 Argyll Street, W1F 7TP | ÖPNV Oxford Circus (Bakerloo, Central, Victoria Line) | Tipp Fahren Sie zwei Stationen östlich mit der Central Line nach Holborn, um herrliche Fliesen und Spiegel sowie eine historische Herrentoilette im Pub The Princess Louise (Adresse: 209 High Holborn) zu bewundern.

Wer von der Straße durch die Tür rechts eintritt, kommt in den ersten Snug. Zwei weitere waren nur durch die linke Tür über einen Flur zu betreten. Die Trennwände bestehen aus geschnitztem Mahagoni und Milchglas mit eingeätzten Mustern – Pflanzenmotive, Vasen, Füllhörner. Gedämpftes Lampenlicht dringt durch die Scheiben, funkelt in verzierten Spiegeln und erzeugt ein magisches Spiel von Hell und Dunkel. Verstärkt wird diese Stimmung von der dunkelrot gestrichenen Decke aus Linkrusta, einem historischen Tapetenmaterial mit Reliefmuster. Im hinteren Bereich befindet sich ein seltenes erhaltenes Beispiel eines Wirtsbüros, auch mit Abtrennungen aus Glas und Mahagoni.

Viele tolle Kneipeninterieurs gingen verloren, doch das denkmalgeschützte Argyll Arms bleibt traditionsbewussten Trinkern und erschöpften Shoppern erhalten.

In der Nähe

Liberty (0.15 km)

Soho Square (0.63 km)

The Royal Arcade (0.66 km)

St Anne’s Church, Soho (0.7 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

The Argyll Arms

Zum Text

Zum Vollbild

5_The Athenaeum Club

Die Göttin bittet nicht jeden hinein

zurück

weiter

Aus den grauen Steinfassaden im »Clubland«, dem Revier der altehrwürdigen Clubs für Gentlemen im Stadtteil St James’s, sticht eine dank eines cremefarbenen Anstrichs, einer Nachbildung des Parthenonfrieses auf blauem Grund und einer goldglänzenden Frauenfigur hervor. Die Göttin Athene steht mit Helm und Speer über den Säulen des Portals und scheint mit ausgestreckter linker Hand und gesenktem Blick würdige Sterbliche in den Club einzuladen.

Ein Kreis eminenter Personen um den Politiker und Schriftsteller John Wilson Croker und den Maler Sir Thomas Lawrence gründete den Athenaeum Club 1824 als Refugium und Treffpunkt für Männer mit herausragenden Leistungen in Wissenschaft, Kunst und Literatur. Im Gegensatz zu anderen Clubs, deren Reihen sich beispielsweise aus Armeeoffizieren, Politikern, Weltreisenden oder Spielern und Trinkern rekrutierten, galt er als Hort der Intellektuellen. Die Entscheidung für den teuren Parthenonfries (die Alternative war ein Eislager für gastronomische Zwecke) unterstrich den geistigen Anspruch. Zu den Mitgliedern gehörten Charles Darwin und bisher 52 Nobelpreisträger, die Autoren Joseph Conrad und Rudyard Kipling und der Maler J. M. W. Turner. Der Wissenschaftler Michael Faraday – sein Rollstuhl wird als Devotionalie aufbewahrt – sorgte bereits 1886 für elektrische Beleuchtung der Räume. Am Fuß der breiten Treppe versöhnten sich 1863 nach jahrelangem Zwist die Autoren Charles Dickens und der sterbenskranke William Makepeace Thackeray.

Info

Adresse 107 Pall Mall, SW1Y 5ER | ÖPNV Piccadilly Circus (Bakerloo, Piccadilly Line) | Öffnungszeiten Vergessen Sie es! – Es sei denn, ein Mitglied lädt Sie ein. | Tipp Ein Spaziergang entlang Pall Mall führt an einigen nicht durch Schilder markierten Clubs vorbei: der Travellers Club, 104 Pall Mall; der Reform Club, 106 Pall Mall; der Army and Navy Club, 36 Pall Mall; der Oxford and Cambridge Club, 71 Pall Mall.

Heute sind Staatsminister, hochrangige Beamte und Bischöfe in den erlauchten Räumen zu finden. Wer aufgenommen wird – Frauen erst seit 2002! –, darf im Club speisen und übernachten, die 80.000 Bände der imposanten Bibliothek lesen, Gäste zu privaten Veranstaltungen einladen oder einfach im Morning Room in einem ledernen Sessel unter wuchtig gerahmten Porträts bei der Zeitungslektüre einschlafen.

In der Nähe

Die Duke-of-York-Säule (0.07 km)

St James’s Square (0.18 km)

Christie’s (0.33 km)

Das Polizeiversteck auf Trafalgar Square (0.39 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

The Athenaeum Club

Zum Text

Zum Vollbild

6_The Barbican

Denkmalgeschützte Betonburg mit Kultur

zurück

weiter

In der »City« wohnt kaum jemand, heißt es. Gemeint ist die Quadratmeile innerhalb Londons historischer Stadtmauer, heute ein Arbeitsplatz für mehr als 300.000 Menschen und Wohnort für nicht einmal 12.000. Ein Drittel dieser Bevölkerungszahl hat ihr Zuhause in einem Viertel namens The Barbican.

Die Bomben des Zweiten Weltkriegs machten aus der Pfarrei Cripplegate ein unbewohntes Trümmerfeld. Um der City neues Leben einzuhauchen, begannen kurz nach 1950 Planungen für ein Neubaugebiet, aber erst Mitte der 1970er Jahre war das Projekt weitgehend abgeschlossen. Das Ergebnis: knapp über 2.000 Wohnungen in einer Architektur aus rauem dunkelgrauem Beton, viele davon in drei 42-stöckigen, 123 Meter hohen Türmen. Das Labyrinth aus Treppen und erhöhten Gängen zwischen den 13 Wohnblöcken führt jeden Uneingeweihten in die Irre. »Barbican« bedeutet das »Vorwerk einer Festung«, und dieser Komplex verschließt sich tatsächlich der Außenwelt. Ein Unort also?

Info

Adresse nördlich von London Wall, EC2Y 8DT | ÖPNV Barbican (Circle, Hammersmith & City, Metropolitan Line) | Öffnungszeiten Conservatory meist So 11–17 Uhr, siehe www.barbican.org.uk | Tipp Südlich von The Barbican steht Guildhall, Londons historisches Rathaus, auf den Resten eines römischen Amphitheaters, das wie die 1411 erbaute Halle und angeschlossene Kunstausstellung zugänglich ist (Mo–Sa 10–17 Uhr, So 12–16 Uhr).

The Barbican erfreut sich als Wohnlage unerwarteter Beliebtheit. Autoverkehr fehlt, und die Geschlossenheit der Anlage hält den Stadtlärm fern. Stattdessen lauscht man plätscherndem Wasser auf der Caféterrasse und in Gärten neben dem großen Teich, in dem Seerosen und Schilf wachsen. Im Barbican Arts Centre gibt es Theater, Programmkino, Konzerte, Ausstellungen und einen Wintergarten mit 2.000 tropischen Pflanzen. Auch Historisches ist hier zu finden, beispielsweise St Giles-without-Cripplegate, eine 1.000 Jahre alte Gründung. In dieser Kirche, 1394 in ihrer heutigen Gestalt gebaut und immer wieder erneuert, heiratete Oliver Cromwell, und die Gebeine des Dichters John Milton ruhen hier. Ein Wassergraben und Gärten säumen Reste der Stadtmauer auf ihren römischen Fundamenten. Da die äußeren Steine entwendet wurden, blieb nur der Kern übrig – grobes Mauerwerk, kaum schöner als die Oberfläche der Betontürme.

In der Nähe

Peabody Estate in der Whitecross Street (0.34 km)

Bunhill Fields (0.47 km)

Postman’s Park (0.49 km)

St Bartholomew (0.49 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

The Barbican

Zum Text

Zum Vollbild

7_Belgrave Square

Eine Familie hält ihr Vermögen zusammen

zurück

weiter

Eine geglückte Heiratspolitik war in vergangenen Jahrhunderten der Schlüssel zum Erfolg für so manches Adelsgeschlecht. Im Fall der Familie Grosvenor, deren Oberhaupt den Titel Herzog von Westminster trägt, wirkt eine gelungene Brautwahl bis in die Gegenwart, denn die einst unbebauten Ländereien, die eine Erbin im 17. Jahrhundert in die Ehe brachte, sind jetzt die begehrten Stadtviertel Mayfair, Belgravia und Pimlico. Diese Besitztümer gehören immer noch der Familie und machen den 1951 geborenen sechsten Herzog zum reichsten britischen Staatsbürger.

Besonders nobel wohnt man in Belgravia, zum Beispiel am Belgrave Square. In der Nordecke des Platzes steht ein Denkmal für Robert Grosvenor, der in den Jahren bis 1840 auf einem sumpfigen, für Wegelagerer berüchtigten Gelände die klassizistischen Häuserreihen mit ihren Säuleneingängen und weißen Stuckfassaden bauen ließ. Auf jeder Seite von Belgrave Square entwarf der Architekt George Basevi eine Reihe von elf oder zwölf imposanten Häusern. Dazwischen, in den Ecken, entstanden frei stehende Stadtpaläste, während das weitläufige Areal in der Platzmitte als Park angelegt wurde. Wo damals Aristokratie oder Geldadel wohnte, haben heute die Botschaften von Deutschland, Portugal, Serbien, Bahrein, Norwegen und Syrien eine repräsentative Adresse. Der Herzog selbst hat seine Londoner Residenz am nahe gelegenen, nach dem Landsitz der Familie benannten Eaton Square. Zu seinen Nachbarn zählen Roman Abramovich und Andrew Lloyd Webber.

Info

Adresse Belgrave Square, SW1X 8PZ | ÖPNV Hyde Park Corner (Piccadilly Line) | Tipp Hinter der deutschen Botschaft im Belgrave Mews befindet sich eine empfehlenswerte Kneipe, The Star Tavern, die das gute Bier der Londoner Brauerei Fullers ausschenkt und deftiges Pub-Essen zu annehmbaren Preisen serviert.

Eingezäunt, abgeschlossen und teilweise durch Sträucher vor den Blicken neugieriger Normalbürger versteckt, ist der Garten von Belgrave Square. Doch einmal jährlich im Juni beim Open Garden Squares Weekend hat jeder die Gelegenheit, in Gärten zu spazieren, die sonst Anwohnern vorbehalten sind. Wer selbst in den Besitz eines Schlüssels kommen will, sollte einige Millionen Pfund übrig haben.

In der Nähe

Eccleston Mews (0.2 km)

The Grenadier (0.34 km)

Cabbies’ Shelter bei Grosvenor Gardens (0.39 km)

Wellington Arch (0.43 km)

Zur Online-Karte

Zum Kapitelanfang

Belgrave Square

Zum Text

Zum Vollbild

8_Berry Bros. & Rudd

Weinhändler seit 300 Jahren

zurück

weiter

Schon der dunkelgrüne Anstrich des Weingeschäfts erzählt von einer langen Geschichte. Die Flächen um Fenster und Türen sehen aus, als hätte man sie hundertmal überstrichen, aber nie richtig abgeschliffen. Sie weisen Dellen, Beulen und abgerundete Kanten auf, besitzen einen gediegenen Glanz. Die Eichentäfelung und der abschüssige Dielenboden im dunklen Interieur verstärken den Eindruck. Das Haus stammt aus dem Jahr 1731, aber bereits 1698 gründete die Witwe Bourne an dieser Adresse einen Lebensmittelhandel, der für Gewürze, Tee und Kaffee, bald auch für Wein bekannt wurde. Hinweise auf diesen Ursprung bleiben: das Schild mit Kaffeemühle am Eingang und innen eine riesige Waage für Kaffeesäcke, mit der auch Kunden gewogen wurden. Die Ergebnisse, zum Beispiel das Körpergewicht von Lord Byron, trug man in ledergebundene Bücher ein.

1810 übernahm George Berry das Unternehmen. Es trägt heute den Namen seiner beiden Söhne und des späteren Partners Hugh Rudd, eines Fachmanns für deutsche Weine, und beschäftigt heute fünf ausgebildete »masters of wine«, um anspruchsvolle Kunden zu beraten. Im Laden gibt es einen separaten Raum für »Fine Wine Reserves«, aber jeder kann hineinspazieren und zum vertretbaren Preis eine Flasche für das Abendessen kaufen. Wenn der passende Jahrgang   im   Regal   fehlt,  greifen   die   freundlichen  Verkäufer auf 20.000 weitere im Keller zurück.

Info

Adresse 3 St James’s Street, SW1A 1EG | ÖPNV Green Park (Piccadilly, Victoria Line) | Öffnungszeiten Mo–Fr 10–18 Uhr, Sa 10–17 Uhr | Tipp