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Der Normanne, der Knappe und das verschenkte Schwert

 

Historischer Roman

von Claudia Speer

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-946531-61-9 (E-Book)

ISBN 978-3-946531-59-6 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Osterdeich 241 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Juliane Stadler

Umschlaggestaltung: Esther Bieback

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

1 – Sündige Verlockung

 

 

Allerheiligen Anno Domini 1197

 

Guy hörte das helle Klingen von Hämmern, die Meißel in Stein trieben. Schemenhaft tauchte die Stadtmauer von Etiningem vor ihnen auf. Das Tal lag an diesem kaltfeuchten Spätnachmittag im Nebel, der langsam die Hänge des angrenzenden Waldes hinaufstieg, als er und Jakob den Swarzwald hinter sich ließen. Jede Menge Furchen zerschnitten die Straße entlang des kleinen Flusses Alb. Ein Zeichen für eine umtriebige Stadt, der vom Kaiser vor wenigen Jahren Marktrechte gewährt worden waren. Auf den Türmen brannten Fackeln.

Der feine Niederschlag des Nebels sammelte sich auf den Mähnen der Pferde zu Perlen, die herabglitten und auf dem Boden zu kleinen Fontänen zersprangen. Kälte kroch in Guys Glieder und gab dem Schmerz seiner jüngsten Verletzungen Nahrung. Bald bist du nicht mehr nur ein mittelloser, sondern auch ein alter Ritter, dachte er bei sich. Selbst sein schwarzes Ross schlug missmutig mit dem Kopf. Hinter sich hörte er Jakob schimpfen. Guy zügelte den Hengst und wartete, bis sein Schreiberling zu ihm aufgeschlossen hatte. Der Junge saß wie ein Sandsack auf dem Braunen, während er das Packpferd mehr schlecht als recht am Strick hinter sich herzerrte. Reiten war nicht des Schreiberlings Stärke. »Hample nicht so herum. Du machst das Tier ja taub im Maul.«

Es kam wie es kommen musste, der Wallach, bepackt mit dem Wenigen, das Guy noch geblieben war, stemmte die Hufe in den weichen Grund und machte einen langen Hals, um möglichst wenig Zug im Maul zu bekommen.

»Ihr habt leicht reden. Sitzt da auf Eurem feinen Schlachtross und überlasst mir die Plackerei.« Jakobs Schenkel zappelte an der Flanke hin und her, weshalb das Pferd versuchte, auszuweichen. Dadurch bekam der Junge langsam aber sicher Schlagseite. »Nein! Nicht da lang, du Mistvieh.« Mit einem Aufschrei landete Jakob auf der Straße. Dummerweise steckte ein Fuß im Steigbügel fest, und während sein Reittier weiter vor Jakobs Gezeter und Hilferufen zurückwich, spannte es den Schreiberling gewissermaßen zwischen beiden Tieren auf, da der Junge die Zügel des Packpferdes nicht aufgeben wollte.

Das war nicht mit anzusehen. Guy ließ den Hengst rückwärts gehen und angelte sich die fallengelassenen Zügel des Reitpferdes. »Ruhig Brauner. Ich weiß, du würdest den Tölpel gerne zu Tode schleifen, aber ich brauche ihn noch.«

Er beugte sich hinab und befreite Jakob, der unsanft mit dem Hintern auf den Boden plumpste. »Au! Wie herzerfrischend besorgt Ihr um mich seid.« Jakob funkelte ihn wütend an, während er sich auf die Beine kämpfte. »Wirklich! Zuvorkommend, wie immer. Und das, nachdem ich Euch vor Kurzem erst das Leben gerettet habe. Danke auch, Sir Gisborne.«

Guy wendete sich ab, denn er musste grinsen, wie meist, wenn sich Jakob zum Narren machte. Sein Schreiberling war im Recht. Ohne Jakobs Übersetzungskünste und dessen Mut, wäre ihr Abenteuer in Phorzein schlecht für Guy ausgegangen.

Seine Hand strich über die Seite seiner Brust, die von Dornhalls Messer durchdrungen worden war. Aber er wollte Jakob nicht ermutigen noch aufmüpfiger zu werden, als es schon der Fall war.

Der Hengst tänzelte. Er wollte weiter, witterte das Ende des Ritts, eine Schütte Hafer und das duftende Heu eines trockenen Stalls. »Du bist ein Jammerlappen, Jakob.« Guy warf ihm die Zügel zu und lenkte seinen Schwarzen in Richtung Stadt. Er sehnte sich nach einem Becher ordentlichen Weins, wohlwissend, dass er derartiges in der Gegend selten finden konnte. Die Gerstensäfte waren mitunter genießbar. Er hatte sich schon fast daran gewöhnt. Sobald er jedoch eine brauchbare Sorte Wein entdeckte, kaufte er gleich mehrere Krüge ein. Jedenfalls bisher. Bedauerlicherweise war sein Vorrat an Silbermünzen zusammengeschrumpft. Außerdem mussten sie sich beeilen, wenn sie die Alpen vor dem ersten Schnee überqueren wollten. Guy rechnete sich gewisse Chancen aus, in der Lombardei unter den streitsüchtigen Stadtstaaten und Fürstentümern seine Geldreserven aufzufrischen.

Jakob kletterte auf den Pferderücken zurück. »Meint Ihr, Schwester Elisabetha und Sieglind werden in Frauenalb zurechtkommen?«

Daher wehte also der Wind. Die Grübelei war eine Nachwirkung des Kusses, den die Nonne seinem Schreiberling gegeben hatte. In Guys Augen eine billige Entlohnung, da Jakob sein Leben für ihre Tochter riskiert hatte. »Abt Sebastianus hat, so denke ich, ein wachsames Auge auf sie.«

»Ja, aber nicht jeder ist geschaffen für ein solches Leben, Herr. Das habt Ihr selbst gesagt.« Jakob sprach wohl eher von sich selbst, denn er hatte dem Klosterleben, gegen den Willen seiner Familie entschlossen den Rücken gekehrt. Eine mutige Tat für einen Jungen, der sich bis vor Kurzem für unfähig hielt, seine Fäuste einzusetzen. Ein Mut, der ihn schneller in Gottes Himmelreich befördern konnte, als ihnen beiden lieb war, solange er ohne Ausbildung blieb. Seit Phorzein liebäugelte Guy mit dem Gedanken, den Schreiberling als Knappen zu unterweisen.

»Ob dafür geschaffen oder nicht, die beiden haben keine Wahl.« Er warf einen kurzen Blick in Jakobs Gesicht, der seine Unterlippe unzufrieden nach vorne schob. Was für ein Kindskopf! Mit vierzehn galt man als Mann. Guy hätte in diesem Alter alles gegeben, um endlich von der Kette gelassen zu werden, doch sein weiser Vormund hatte ihn zurückgehalten. Zwei Jahre später durfte er endlich in seine erste Schlacht ziehen, um den Tod seiner Familie zu rächen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nur sein Erbe konnte er dabei nicht zurückgewinnen. Er musste von vorne anfangen. Vor dem Ritterschlag und der Schlacht standen lange Jahre harter Übungen an allen Waffen. Abläufe mussten so lange wiederholt werden, bis man sie im Schlaf beherrschte, denn der Kopf verlor zu leicht den Überblick. Wehe dem, der im Kampf Mann gegen Mob anfing zu denken. Anders beim Kampf Mann gegen Mann. Da gehörten ein kühler Kopf und etwas Grips dazu. Jakob brachte möglicherweise alles mit – außer dem nötigen Selbstvertrauen.

Den Sohn eines Kaufmanns in seine Dienste zu nehmen, verstieß gegen die Regeln. Doch Guy pfiff auf Traditionen, die ihm keinen Nutzen brachten, und hielt sich an jene, die ihm sinnvoll erschienen. Ein König konnte besonders herausragende und mutige Kämpfer adeln. So hatte sich das Rittertum entwickelt. Der vererbbare Titel kam erst später. Jakob hatte das Zeug dazu. Er konnte aufsteigen. Doch es würde ein steiniger Weg werden.

Nicht nur für Jakob, auch für Guy, der seinem langen und bitteren Abstieg ein Ende setzen wollte. In Phorzein verpasste er seine bisher beste Chance nach seinem Scheitern im Sherwood Forest, nicht nur seine Verbannung aufzuheben, sondern auch seinen Besitz zurückzuerhalten. Er hatte sie sich wie Wasser durch die Finger rinnen lassen und stattdessen einem Kind das Leben gerettet. Warum hatte er nicht ein klein wenig an sich selbst gedacht? Was nutzte ihm ein Schulterklopfen, oder ein wohlmeinendes Nicken? Das Leben schenkte einem nur selten etwas. Und er hatte seine Chance weggeworfen. Der Gedanke machte ihn schwermütig. Würde er jemals wieder nach Hause kommen? Was blieb ihm noch, als in der Fremde auf einem Schlachtfeld zu sterben?

»Ich werde sie vermissen.« Jakob stieß einen Seufzer aus.

»Du solltest die beiden vergessen, Schreiberling. Damit ist allen am meisten gedient«, knurrte Guy griesgrämig.

Der Nebel wurde durchlässiger. Hinter der Stadtmauer stiegen die Rauchsäulen der Herdfeuer kaum über die strohgedeckten Dächer hinaus. Das Tor auf der anderen Seite einer Holzbrücke stand einladend offen. Guy kannte solche Konstruktionen. Die Brücke war mit wenigen Hammerschlägen zum Einsturz zu bringen und machte es etwaigen Angreifer schwerer, sich der Stadt zu bemächtigen.

Das Klappern der Hufe scheuchte einen krummbeinigen Mann mit grauem Bart und einem Spieß aus der Wachstube. »Halt! Was ist Euer Begehr?«

Guy gab Jakob einen Wink. Der Schreiberling rollte mit den Augen und übernahm das Sprechen. »Gott zum Gruß. Ritter Gisborne und meine Wenigkeit suchen Obdach auf dem Weg nach Süden. Meint Ihr, wir werden es schaffen, die Berge vor dem Winter zu passieren?«

Der Mann zog Schleim den Rachen herauf und spuckte aus. »Seh ich aus, als könnt ich hellsehen. Ritter Gisbert? Wo kommt er her, der feine Herr? Hat er das Kreuz genommen? Dann kommt er zu spät. Der Kaiser ist tot. Was man so hört, findet kein weiterer Kreuzzug statt. Wie auch? Der zweijährige Friedrich kann das Kreuz ja nicht tragen.« Der Wachmann fand sein Gerede witzig. Er legte beim Lachen den Kopf so weit in den Nacken, dass Guy die gelben Zähne zählen konnte.

Jakob übersetzte die lange Rede des Wächters in bemerkenswerter Kürze. »Er will wissen, wo wir herkommen, Herr, und hält uns für Kreuzritter.«

Wörter wie ,Kaiser‘ oder der Name von dessen Sohn Friedrich waren Guy vertraut. Genauso verstand er den Ausdruck ‚bewaffnete Wallfahrt‘ und ‚Heiliges Land‘, oder das überhebliche Getue. Es war nicht zu übersehen welches Selbstbewusstsein diese Städter entwickelten. »Hat der Tölpel mich gerade Gisbert genannt? Tsts, aber warum nicht? Nicht jeder Bauer muss wissen, was ich plane. Sag ihm, wir sind den Rhin entlang geritten.«

»Warum lügen? Wir suchen keinen Erben des Kaisers mehr.« Jakobs Missbilligung war deutlich zu hören.

Guy zuckte mit den Schultern. »Wir sind lediglich ein paar Meilen von Phorzein entfernt. Falls es einen weiteren Mann wie Dornhall gibt, ist es sicherer, die Spur weiterhin zu verwischen.«

Jakob schnitt eine Grimasse. »Kein Mensch wird Euch mehr Glauben schenken, wenn Ihr selbst an Allerheiligen Lügen erzählt. Denkt Ihr nicht an die Höllenqualen, die Euch das bescheren wird?«

Eine Moralpredigt von seinem Schreiberling fehlte Guy gerade noch zu seiner schlechten Stimmung. Er hatte in Frauenalb schon die Kirche besucht und damit entschieden genug Zeit auf den Knien verbracht. »Was zur Hölle geht dich mein Seelenheil an? Frag sofort nach einer Unterkunft und zeig dich mir gegenüber respektvoller. Schließlich bist du mein Knappe!«

»Knappe?« Jakob machte große Augen. »Ich soll Euer Knappe sein? Das wäre, als würde man einem Schaf den Wolfspelz überziehen.«

Es war ausgesprochen. Vielleicht hätte Guy sich besser auf die Zunge beißen sollen, statt Jakob so früh auf seine Pläne zu stoßen. Er stemmte seine Füße in die Steigbügel und suchte sich eine bequemere Sitzhaltung. »Jakob, frag nach der Unterkunft oder ich schneide dir deine gotteslästerliche Zunge heraus. Und hör auf, meine Anweisungen in Frage zu stellen.«

Der frisch gekürte Knappe schnaubte, erfüllte dann aber seine Pflicht und übernahm nach einer weitschweifigen Antwort des Torwächters die Führung. »Folgt mir!«, befahl er frech. Guy ließ ihn gewähren und tröstete sich mit dem Gedanken, dass er ihm bei späterer Gelegenheit dafür die Ohren langziehen würde.

Der Marktplatz öffnete sich rechter Hand hinter dem Tor. Linker Hand standen eine Kirche und daneben ein wohl dazugehöriges Klostergut. »Bruder Radulf sagte, es gehört zu Kloster Wissemburg – also auch Benediktiner«, erklärte Jakob einmal mehr Dinge, denen Guy nur mit halbem Ohr lauschte.

»Nicht schon wieder!« Ihm war nicht nach den strengen Regeln der Brüder. Er brauchte Zerstreuung, etwas um seine trüben Gedanken zu verscheuchen. Und dieses Mal würde Jakobs moralisches Getue ihn nicht davon abhalten, sich ein bisschen Spaß zu gönnen.

Auf dem Marktplatz herrschte geschäftiges Treiben. Aus einem Taubenschlag nahe der Mauer kletterte gerade ein Bursche mit einem halben Dutzend Jungtauben, die an einer Schnur baumelten, die Leiter herab.

»Täubchen.« Guy lief das Wasser im Mund zusammen. Etwas weiter hinten wurden Säcke mit Hilfe eines Seilzuges in den Speicher eines Steingebäudes gehievt. Ein Hirte tränkte die Ziegen am Brunnen. »Zicklein in Milch geschmort.« Zielsicher steuerte Guy auf ein Haus zu, dessen Schild über der Tür einen Krug zeigte. Er hörte Musik und derbe Stimmen, dazwischen das Lachen von Frauen. Ein paar junge Burschen, den Lederschürzen und bemuskelten Oberarmen nach Steinmetzgesellen, schlugen denselben Weg ein. Es roch unwiderstehlich nach Braten.

»Im Klostergut gibt es bestimmt eine saubere Unterkunft, Sir Gisborne. Etwas, wo man sich kein Ungeziefer einfängt. Und die Ställe werden auch besser sein. Wenn wir uns beeilen, können wir die Vesper besuchen.« Jakobs Stimme wurde drängender, doch Guy ließ sich nicht beirren. Er stieg ab und warf Jakob die Zügel und eine Münze zu. »Stell die Pferde bei den Brüdern unter und reib sie ordentlich trocken, sonst gerbe ich dir das Fell.«

Irgendwo gackerten Hühner, ein Hund schnüffelte, die Schnauze im Unrat des Rinnsteins, nach Leckerbissen und ein Schwein grunzte abgeschirmt von den Mauern eines Hinterhofs. Sicher war es von der Eichelmast fett und rund und harrte geduldig auf den Tag, da der Metzger das Messer am Schleifstein wetzen würde. Guy konnte schon das Fett ins Feuer triefen sehen. Er wollte nicht für eine kärgliche Mahlzeit mit den Brüdern der Lesung lauschen. Die letzten Wochen waren hart gewesen und Abt Sebastianus leider ein Asket, der meist sehr schlicht aß. Er spürte Jakobs durchdringenden Blick auf sich ruhen. Guy sah seine Nasenflügel zucken und seinen Adamsapfel hüpfen. »Braucht Ihr mich nicht zum Übersetzen?«

Diese Frage ließ Guy offen. »Riechst du das? Das könnte Zicklein sein oder eine fette Gans. Wenn du fertig bist, kannst du zum Essen kommen. Wir feiern deinen Einstand als Knappe.«

Ein Schatten huschte über Jakobs Gesicht, dabei knurrte sein Magen vernehmlich. »Am Martinstag beginnt das Weihnachtsfasten, Sir.«

Alter Moralapostel, dachte Guy. Ein Grund mehr, sich das gute Essen nicht entgehen zu lassen. Vierzig Tage gab es lediglich eine schmale Mahlzeit am Tag und kein Bier, geschweige denn Wein, mit Ausnahme der Tage des Herrn. Er konnte in Jakobs Gesicht ablesen, wie dieser das gute Essen gegen die Huren und das maßlose Saufen abwog, dem sich Guy hinzugeben gedachte.

Um Jakobs Nase bildete sich ein weißer Kringel, wie immer, wenn er wütend wurde oder sich gedemütigt fühlte. Als ehemaliger Novize tat sich sein Begleiter mit den Weibern schwer. Über den Kuss der Nonne war er noch nicht hinausgekommen. »Ich werde auf Euch warten, Sir«, entschied der frisch gebackene Knappe pikiert, riss die Zügel herum und trabte zum Klostergut. Man konnte niemanden zu seinem Glück zwingen. Guy atmete durch, dann schlug er die Lederhaut vor dem Eingang zurück und folgte den Verlockungen des Lebens.

 

»Weibergeiler Kerl!« Waren alle Ritter so? Manchmal war Gisborne schlimmer als ein Hirsch in der Brunft. In seiner Rage überquerte Jakob den Platz vor der Kirche etwas zu schnell und bemerkte den Burschen erst, als der Wallach scheute. Sein kleiner Tross kam zum Stehen. »Kannst du nicht aufpassen, du Tölpel?« Es tat gut, zur Abwechslung einmal andere anzupflaumen, als selbst die Schelte einzustreichen. Mit großen Augen sah der junge Kerl zu Jakob hoch. Er hatte etwas Gehetztes, Scheues an sich und verschwand hastig in der nächsten Gasse.

Es einem Stadtjungen gegeben zu haben, hob Jakobs Laune. Im Klostergut wurde er freundlich empfangen. Ein Laienbruder half ihm, die drei Pferde in den Stall zu bringen und zeigte ihm, wo er Einstreu und Heu finden konnte. Den Tieren band er Hafersäcke vors Maul, nachdem er sie getränkt, abgesattelt und Guys Gepäck in einem Verschlag gelagert hatte. Ihre Habe sollte im Hofgut sicher sein. Trotzdem wollte er sich später daneben schlafen legen. Man wusste ja nie.

Jakob sah sich um. Die meisten Tiere im Stall waren, neben einem großen Eselhengst und ein paar trächtigen Stuten, Maultiere. Diese Saumtiere waren ausdauernde und genügsame Träger schwerer Lasten. Jakobs Vater, ein Kaufmann, bevorzugte sie bei seinen Reisen über die Pässe der Alpen. Der Gedanke an das schroffe Gebirge machte ihm Sorgen. Sie waren für eine Überquerung dieser lebensfeindlichen Berge sehr spät unterwegs. Im Winter forderten die Urgewalten der Natur noch mehr Leben als im Sommer. Aber der vermaledeite Normanne wollte davon nichts hören. Vielleicht sollte er ihm wenigstens raten, das Packpferd für diese gefährliche Reise durch ein trittsicheres Maultier zu ersetzten? Am Ende der Stallgasse fiel ihm ein grauer Wallach auf, dessen langer Rücken nicht zu den hiesigen Rassen passte. Vielleicht war es das Tier eines anderen Reisenden.

Jakob kletterte auf den Dachboden und warf Heu durch die Luke in die Stallgasse. Dann sprang er hinunter auf den duftenden Haufen getrockneten Grases und verteilte es auf die Raufen seiner Schützlinge. Zum Stallburschen degradiert! Sollte er sich als Schreiber und Übersetzer nicht zu gut sein für diese Arbeit? Knappe sollte er werden? Was dachte sich der feine Herr dabei? Stallarbeit machte sich nicht leichter, nur weil man sich plötzlich Knappe nennen durfte.

Er holte den Striegel und die Kardätsche aus den Satteltaschen. Gleich nach dem absatteln hatte er den dampfenden Leibern der Tiere Stroh aufgelegt, um die gröbste Feuchtigkeit aus dem Fell zu bekommen. Jetzt packte er das Stroh und rubbelte über das Fell des Schwarzen, der den Kopf hob und mehrfach nickte, um ihn dann wieder prustend ins Heu zu stecken. »Das gefällt dir, nicht wahr?«

Zu Anfang hatte Jakob großen Respekt vor dem Streitross gehabt, das Gisborne sich vom Mörder der Hebamme erkämpft hatte. In der Zwischenzeit verstanden sie sich. Es war ja nicht so, dass Gisborne sich sonst nicht selbst um den Hengst kümmerte. Sobald der Normanne nach seiner Verletzung dazu in der Lage gewesen war, hatte er sich an die Fähigkeiten des Rosses herangetastet und begeistert festgestellt, wie gut es ausgebildet worden war.

Wahrlich, Gisborne würde ihm den Kopf abreißen, wenn dem Hengst etwas zustieße. Mit dem Striegel entfernte er den gröbsten Schmutz, um dem Fell anschließend mit hundert Kardätschenstrichen den Glanz zu verleihen, den das edle Tier verdiente. Jakob trat Schweiß auf die Stirn und sein Magen rumorte stärker, als er, um sich eine kleine Pause zu gönnen, den Schweif und die Mähne verlas. Als Letztes kontrollierte er die Hufe. Die Eisen waren dünn gelaufen, sie würden bald einen Schmied brauchen. Zufrieden mit sich, betrachtete er das glänzende Fell des Streitrosses. Jedoch nur kurze Zeit, denn es warteten zwei weitere Pferde auf die gleiche Pflege.

Der Laienbruder, der mit zwei Burschen die anderen Tiere versorgt hatte, lugte zu ihm in den Ständer. »Du machst das gut! Dabei siehst du gar nicht wie ein Stallbursche aus.«

Jakob lächelte. »Ich mag Pferde.«

Er erntete ein freundliches Nicken. Der Bruder konnte nicht viel älter sein als Jakob. »Mein Name ist Bertram. Es wird gleich zur Vesper läuten. Wenn du willst, kannst du nach der Messe mit uns essen.«

Leider wusste Jakob nur zu gut, dass er hier nicht alles stehen und liegen lassen konnte. »Das ist nett, aber ich mache das hier fertig. Ich heiße Jakob und komme aus der Gegend um Augsburg.«

»Augsburg? So hörst du dich gar nicht an. Du sprichst wie ein Gelehrter.«

»Weit gefehlt, doch lesen und schreiben kann ich schon.«

Bertram hob die Augenbrauen. »Richtig schreiben und lesen? Ich kann nur meinen Namen zeichnen.«

Jakob beschloss seine Sprachkenntnisse vorerst für sich zu behalten, damit der Bursche ihn nicht gleich für einen Aufschneider hielt oder in Ehrfurcht vor ihm erstarrte. Er beeilte sich, die Situation zu glätten. »Ich bin nicht so klug, wie du vielleicht denkst.«

»Machst du dich lustig über mich? Du bist etwas Besseres und redest mit mir, als wäre ich ebenbürtig?« Bertram stieß ein erstauntes Schnauben aus. »Du bist wahrlich seltsam.«

Jakobs Schultern sackten nach unten. So war es bisher immer in seinem Leben gewesen. Die Anderen hielten ihn für seltsam. Er hatte sich schon als Kind schwer getan, Freunde zu finden.

Das Vesperläuten setzte ein. Jakob wandte sich dem Striegeln zu. »Ich denke, du musst jetzt gehen«, murmelte er ernüchtert. Er hörte hinter sich die raschelnden Schritte von Bertram im Stroh, dann ein Zögern.

»Ich bringe dir etwas zu essen mit. Bis später.« In Jakobs Brust tat sein Herz einen Sprung. Er hob den Kopf und nickte Bertram zu. Gleich ging das Putzen viel leichter von der Hand. Stille kehrte in den Stall ein, nachdem die Anderen der Glocke gefolgt waren. Nichts war zu hören als das zufriedene Mahlen und Rascheln der hungrigen Mäuler, die ihre Rationen nach Leckerbissen durchsuchten, und der vom Wind schwach herübergetragene Gesang aus der Kirche.

Jakob hing seinen Gedanken nach, fühlte sich zerrissen ob der Verletzung, die ihm das Abenteuer in Phorzein eingebracht hatte, und dem Stolz, Sieglind das Leben gerettet zu haben. Was würde die Zukunft bringen? Konnte Guy in der Lombardei tatsächlich ein kleines Vermögen verdienen? Die Berge im Süden flößten ihm Furcht ein. Er hatte so viele tragische Geschichten über Abstürze, Steinschläge und Lawinen gehört. Bei den letzten vier Hufen angelangt, bückte sich Jakob, entfernte eingetretene Steine und prüfte den Sitz der Eisen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er den Schatten, der die Holzwand passierte. Jakob hob den Kopf.

Ein Mann schlich die Gasse entlang. Er schien Wert darauf zu legen, nicht entdeckt zu werden, denn er sah sich mehrfach um. Jakob duckte sich. Wer war das? Und warum verhielt er sich so seltsam? Langsam schob Jakob die Nase wieder über die Ständerwand. Der Fremde stemmte den Deckel einer Haferkiste hoch und griff mit beiden Händen in die Körner. Er wühlte darin herum, als suche er etwas.

Die Körner rannen durch seine Finger. Schon riss er den Deckel der zweiten Kiste nach oben. Noch hastiger als zuvor stieß er seine Hände tief in das Getreide. Da klapperte das Stalltor und er erstarrte. Sein Gesicht ruckte herum und Jakob konnte es deutlich sehen. Er hatte helles Haar bis zu den Schultern und etwas war seltsam an seinen Augen. Das eine schien hell, das andere dunkler zu sein. Aber vielleicht kam das von der kantigen Nase, die schräg aus seinem Gesicht wuchs. Unter der Lippe zeigte sein Bart erstes Grau.

»So Jakob! Da habe ich dir etwas Brot und Suppe mitgebracht.« Bertram wechselte die heiße Schüssel von einer Hand zur anderen. Der Fremde zog sich in den Schatten zurück. Jakobs Herz wummerte bis zum Hals. Solche Männer wollten keine Mitwisser haben. Rasch ließ Jakob sich in das Heu gleiten und tat so, als würde er schlafen. »Heda! Bist du eingeschlafen?« Bertram trat ihm in Ermangelung einer freien Hand leicht gegen das Bein. Jakob spielte den Überraschten. »Was, ist die Messe schon vorbei? Ich habe nicht geschlafen. Ich habe mich nur ein bisschen ausgeruht.« Bertram lachte und händigte ihm die Schale aus. »Wers glaubt, gelangt ins Himmelreich. Ich habe mich ein bisschen früher aus der Messe gestohlen. Bruder Melchor ist eingeschlafen. Hier – das Brot. Erst vor Kurzem gebacken.«

Jakob beugte den Kopf über die Schüssel, doch seine Augen suchten verstohlen die Stallgasse ab und seine Ohren lauschten auf jedes ungewöhnliche Geräusch. Er fühlte, wie sich ein düsterer Blick in seinen Rücken bohrte und darauf wartete, dass er Bertram seine Beobachtungen gestand. Jakob wusste nicht warum, aber etwas in seinem Inneren fürchtete, der Fremde würde sich auf sie beide stürzen. Seine Hände hatten Mühe die Schüssel zu halten, ohne die Suppe zu verschütten. Schnell nahm er ein paar große Schlucke und zwang sich nicht aufzuspringen und davonzulaufen.

»Du bist ja weiß wie ein Leichentuch. Deine Hände zittern. Geht es dir gut? Ich kann dir einen Kräutersud machen.« Bertram machte Anstalten aufzustehen. Jakob griff rasch nach seiner Hand. »Nein, es ist die Müdigkeit, und ich habe zu lange schon nichts gegessen. Es ist alles gut. Bleibe hier und erzähle mir, was es so Neues gibt? Oder wird man dich strafen, wenn sie dich erwischen?«

Um nichts in der Welt wollte er jetzt allein bleiben. Bertram sank zurück ins Stroh. »Melchor ist harmlos. Er zieht mir höchstens ein paar laue Schläge über den Rücken. Neuigkeiten? Mal sehen. Man munkelt, die Tochter des Krugwirts sei in Erwartung. Ihr Name ist Maria, doch von einer unbefleckten Empfängnis kann wohl nicht die Rede sein.«

Jakob zwang sich zu einem Lachen. »Die Jungfrauen sind auch nicht mehr das, was sie früher waren.« Gisborne hätte so etwas Ähnliches dazu gesagt.

Bertram fuhr fort. »Sie suchen den Sohn des Färbers, weil er bei einer Rauferei sein Messer gezogen und den Seilerlehrling angestochen hat. Wenn es schlecht für ihn ausgeht, kommt er dreißig Tage in den Turm. Der Meister fordert natürlich den Ausfall ein. War der Bub bis jetzt in seinen Augen ein nichtsnutziger Faulpelz, so ist er nun die beste Arbeitskraft, die er je hatte. Meinst du solche Neuigkeiten?«

Dieses Mal musste Jakob wirklich lachen. Die gewöhnlichen Leute – waren sie nicht allerorten gleich? Die Angst wich aus Jakobs Gliedern. Kaufleute, die Kundinnen um Ellen besten Stoffs betrogen, Bäcker in den Städten, die zu kleine Brote backten. Mönche und Priester, die vom Messwein betrunken waren.

Ihr letztes Abenteuer hatte wohl Jakobs Sinn für die Realität verdreht. Möglicherweise gab es eine einfache Erklärung für den Fremden und dessen Verhalten. Was um alles in der Welt hatte ihn in solche Hirngespinste gleiten lassen. Nicht überall ging es um Mord und Totschlag. Jakob schüttelte den Kopf. »Erzähl mir mehr, Bertram. Das sind genau die Neuigkeiten, die ich hören wollte.«

 

»Du wirst verbannt. Es hätte viel schlimmer kommen können, Guy. Er hätte deinen Kopf verlangen können.« Prinz John verpasste ihm einen aufmunternden Hieb auf die Schulter. »Eines Tages werde ich König sein und dann kann ich dir deine Treue vergelten.«

Löwenherz war nach seiner Gefangenschaft auf die Insel zurückgekehrt und hatte die Aufständischen samt Locksley begnadigt. Ein geschickter politischer Schachzug, um die Lords wieder hinter sich zu vereinen. Prinz John hatte sein Möglichstes getan, seine Anhängerschaft unter den Adeligen zu vergrößern. Doch er besaß nicht Richards Charisma. Natürlich verzieh der König seinem kleinen Bruder den beabsichtigten Thronraub. Dafür durfte er, Guy of Gisborne, den Sündenbock spielen. John grinste schief. »Ach, komm schon, so schlimm wird es nicht werden.«

Der Prinz hatte gut reden. Er fiel weich, konnte sich auf seine Mutter verlassen. Guy verlor zum zweiten Mal in seinem Leben seinen gesamten Besitz und es gab niemanden, der ihm auch nur eine Handbreit entgegen kommen würde. »Gebe Gott, dieser Tag möge schnell kommen.« In Guys Stimme schwangen all der Zorn und die Zweifel mit, die ihm seine Ohnmacht diktierte. Er wollte aufbegehren, kämpfen, laut in die Welt hinaus brüllen, was für ein unfähiger Tölpel John doch war. Warum hatte der Prinz nicht den Mut und das Genie des Löwen? Doch hätte er das getan, hätte selbst John ihn nicht mehr vor Richards Sinn für Gerechtigkeit geschützt.

Guy hielt nichts davon, sein Leben leichtfertig zu verschleudern. Für einen kurzen Moment verlor er jeden Mut. Für diese Demütigung würde Locksley teuer bezahlen. »Achte auf deine Worte, Guy. Du weißt, wie jähzornig Richard sein kann.« In diesem Augenblick waren laute Stimmen vor der Tür zu hören. John drehte den Kopf. »Jesus! Da kommt er schon. Ich sagte dir doch, dass du ihn nicht provozieren sollst. Hörst du mir zu?« Johns Stimme verwandelte sich in ein weinerliches Wimmern.

Guy starrte die Tür, an ohne sich bewegen zu können. Sie schwang auf und eine Horde Nordmänner mit roten Bärten, die sich lebhaft unterhielten, stürmte herein. Sie ähnelten dem König auf sonderbare Weise. Guy versuchte angestrengt Löwenherz auszumachen, damit er sein Knie vor ihm beugen konnte. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, ihn entdeckt zu haben, war es ein fremder Mann. Ebenso groß und rothaarig wie Richard, aber anders und unvertraut.

»Sir Gisborne! Guy, erwacht!«

Die dumpfe Benommenheit in seinem Kopf wurde durch einen stechenden Schmerz ersetzt. Die Nachwirkungen einer durchzechten Nacht. Wie schade, dass das Vergessen nicht länger dauern konnte. Jemand jammerte neben ihm. Ein Mann brüllte in unflätigem Teutsch im Raum herum.

»Sir, wacht auf, wir haben ein Problem!« Das war Jakobs Stimme.

Guy blinzelte unbeholfen den Schlaf aus den Augen. Im Raum diskutierten verschiedene Personen miteinander. Bei Gott, standen die Nordmänner in seinem Schlafgemach? Unbehaglich richtete Guy sich auf. Seine Augen lieferten ein verschwommenes Bild. »Was soll der Lärm? Wer erdreistet sich, meinen Schlaf zu stören? Lumpenpack!« Guy tastete nach seinem Schwert und fand die weiche Haut einer Frau. Oh, ja, Maria. Er erinnerte sich und musste lächeln.

Jemand zerrte das Mädchen neben ihm aus dem Bett. Es klatschte und ihm wurde klar, woher das Wimmern aus seinem Traum gekommen war. Maria wollte nicht mehr aufhören damit. Warum gab ihr keiner den Gnadenstoß? Langsam wurden die Gestalten im Raum klarer. Zum einen war da der Wirt, ein kleiner Mann mit geschwollenem Bäuchlein, über dem sein Schurz grotesk, fast als hätte er gar keine Beine, ins Leere baumelte. Er war gestern Abend sehr zuvorkommend gewesen, hatte ihm die Tochter auf den Schoss geschoben und ihn dazu köstlich bewirtet. Jetzt zeigte sich sein feistes Gesicht mit wutroten Wangen, die Augen zu hinterlistigen, schmalen Schlitzen verkniffen. Dabei hielt er die Tochter am Handgelenk fest und schüttelte das Mädchen durch. Hoppla, was war denn hier los? Jakobs schmale Silhouette und sein helles Gesicht wirkten, wenn man vom weißen Kringel absah, besorgt. Es war nie gut, wenn sich sein stets zuversichtlicher Schreiberling Sorgen machte.

Hinter ihm standen zwei Stadtwachen mit ihren Spießen, breitbeinig und zu allem entschlossen. Der eine lachte schmutzig.

Guy wurde auf einen Schlag nüchtern. »Was ist hier los, Jakob?« Wo waren seine Kleider und wo war sein verdammtes Schwert? Bis auf das einfache Hemd, das ihm gerade bis zur Hälfte der Schenkel reichte, fühlte es sich doch recht luftig um die Beine an. Guy entdeckte das Schwert samt Heft in der Hand des älteren Wachmanns. Das war nicht gut. Er schielte nach seinen Stiefeln, die zusammen mit den Kleidern unordentlich vor dem Bett lagen.

Während der Wirt dem Schreiberling pausenlos Dinge einsagte, sah Jakob Guy mit einem Blick an, der ihm geradewegs die Schuld an der Misere gab. Der weiße Kringel um seine Nase zeichnete sich jetzt noch deutlicher gegen die roten Wangen ab. »Der Wirt behauptet, Ihr hättet sein jungfräuliches Kind geschändet und verlangt von Euch die Wiederherstellung seiner Ehre.«

»Was?« Mit einem Satz stand Guy auf dem Bett, was den Wirt zurückzucken ließ und die Wache veranlasste, ihre Spieße auf seine Brust zu richten. »Wenn das Mädchen etwas anderes ist als eine gewöhnliche Hure, bin ich ein Heiliger.«

Jakob hielt die Hände vor dem Schoss übereinander gelegt. Sah er da etwas Schalk in den Augen? »Ich zweifle nicht an Euren Worten. Doch der Wirt hofft auf eine finanzielle Unterstützung. Die beiden Männer der Stadtwache sind seine Verwandten und stehen zu seiner Verfügung, Sir.«

»Den Teufel werde ich!« Guy überlegte, ob er an sein Messer heran kommen konnte, das unter dem Kleiderhaufen lag. Aber mit den Spießen vor der Brust, war das nicht möglich. Die Wachen hatten den Tonfall seiner Antwort aufgefangen und scheuchten ihn mit ihren Waffen rückwärts, bis er verheddert in der Decke ins Stolpern geriet. Sie nutzten die Situation und legten ihm eine Schlinge um die Hände. »Nein, lasst das, ihr Halunken!« Im nächsten Moment zerrten sie ihn unter den Armen gepackt aus dem Raum.

»Jakob! Meine Kleider – bring meine Kleider mit. Nein – ihr verdammten Bauerntölpel! Lasst mich los! So schleift ihr mich nicht auf die Straße. Ich bin ein Ritter. Versteht ihr mich? Ein Ritter!« Sie wollten ihn im Unterkleid auf der Straße dem Hohn der Leute aussetzen. Guy wartete, bis sie zur Treppe gelangten, ging etwas in die Knie und stellte dem vorangehenden Mann ein Bein. Zugleich warf er sich mit voller Wucht gegen den Hintermann und quetschte ihn an die Wand. Die Wache ließ laut fluchend los. Mit kühnen Sprüngen setzte Guy die Treppe hinunter, um an sein Schwert zu gelangen, das dem Mann, ebenso wie der Spieß, entglitten war.

Doch der rappelte sich schon wieder auf. Mit gebundenen Händen versetzte Guy ihm einen Kinnhaken und hechtete nach seiner Waffe. »Jakob! Schnell, hol die Pferde!« Er hatte sie fast erreicht, da nahm der Kerl ihn in den Schwitzkasten und auch der jüngere Mann kam mit seinem Spieß die Treppe herunter gepoltert. »Jakob!« Während er einen Ellenbogen in den ledergepanzerten Bauch seines Kontrahenten bohrte und mit dem Fuß den Mann mit dem Spieß auf Abstand zu halten versuchte, sah er den Wirt, der Jakob am Schlafittchen gepackt hielt. Wenigstens hatte sein Schreiberling, wie befohlen, die Kleider gesichert. Guy rang nach Luft. Mit letzter Kraft brachte er seinen Gegner aus dem Gleichgewicht. Sie stürzten über Tische und Bänke, die zu Bruch gingen.

Der Wirt geriet außer sich und erging sich in einem Schwall wutschäumender Worte.

Der jüngere Wachbursche nahm Anlauf mit dem Spieß. Guy warf sich zur Seite. Der Spieß hakte sich im Fass fest und ließ eine kleine Fontäne Bier hervorspritzen.

»Nein!« Der Wirt quiekte jetzt ähnlich hoch wie seine Tochter. Der Wachmann stürzte sich mit den Fäusten auf Guy und verpasste ihm, der sich gerade aufrappeln wollte, eine gekonnte Rechte. Guy taumelte zurück. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, dann schüttelte er sich und konnte gerade rechtzeitig den nächsten Schlag parieren, indem er dem Burschen in das Gemächt trat. Der Mann klappte lautlos zusammen.

Wo war sein Schwert? Er würde den Wirt lehren, einen Ritter übers Ohr hauen zu wollen. Bevor er es in den Trümmern ausmachen konnte, rammte der ältere der beiden Kerle ihn mit Kriegsgeschrei und Anlauf zur Tür hinaus. Guy landete hart auf dem Rücken und japste nach Luft. Seine erst halb verheilte Verletzung meldete sich.

Eine Schwäche, die sein Gegner gut hätte nutzen können. Was er jedoch nicht tat. Im Gegenteil, der Mann ließ ihn überraschend los und schritt über ihn hinweg. Auch der andere Wächter, der Wirt und Jakob, die ihnen nachgeeilt waren, richteten ihre Blicke über ihn hinweg auf eine versammelte Menschenmenge, deren Erregung sich in vielstimmigem Gemurmel zeigte. Guy verrenkte sich den Hals, während der Wirt Jakob losließ und, seiner Neugier folgend, in die versammelten Städter eintauchte. Was war das nun wieder? Er besann sich, aufzustehen und wankte außer Atem an Jakobs Seite. »Ein schöner Knappe bist du mir!« Er klaubte ein Messer aus seinen Kleidern von des Schreiberlings Arm, löste die Fesseln und zog rasch die Sachen über.

»Da ist wohl jemand im Bottich des Gerbers ertrunken«, murmelte Jakob, der die Gespräche zu deuten versuchte.

»Wie nett von dem Kerl, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.« Guy rannte in die Kneipe zurück, wo die Tochter des Wirts ihn mit ängstlich geweiteten Augen empfing. Sie hatte seinen Münzbeutel in der Hand und wollte gerade zählen. Er funkelte sie zornig an, warf ein paar Trümmer beiseite und gürtete sein Schwert um die Hüfte. Dann trat er zu dem erstarrten Mädchen, nahm ihr die Börse aus der Hand und füllte die Münzen zurück. »So viel war es nicht wert.«

Das Mädchen warf sich auf die Knie und flehte um Vergebung. Eigentlich hatten sie und ihr Vater es verdient, auf den Kosten der Zerstörung sitzenzubleiben. Aber das Schluchzen der Kleinen bewegte sein Gemüt. »Gott verdamme mich! Warum prüfst du immer mich und nicht die anderen?« Mit verdrehten Augen kramte er eine Münze aus dem Beutel und drückte sie ihr in die Hand. Sprachlos vor Überraschung gaffte sie ihm hinterher. Draußen nahm Guy dem wartenden Jakob die Stiefel ab und zwängte sich herumhüpfend hinein. »Los Jakob! Lass uns verschwinden, solange sie gaffen.«

Jakob schien ihn erst jetzt richtig wahrzunehmen. »Ist das nicht seltsam? Genau wie in Phorzein. Wir sind kaum angekommen und schon stirbt ein Mensch.« Guy schüttelte den Kopf und drängte den Jungen vor sich her. »Wenn ein Säufer sich im Bottich ertränkt, hat das nichts mit uns zu schaffen.«

»Der Herr sei seiner armen Seele gnädig«, raunte sein Übersetzer. Guy gab ihm einen Stoß. »Du kannst später für ihn beten.« Endlich kam Schwung in die Schritte des Schreiberlings. Es wurde höchste Zeit, von hier zu verschwinden.

2 – Fersengeld

 

 

Jakob schüttelte den mit einer Kapuze bedeckten Kopf, woraufhin die Regentropfen in alle Richtungen spritzten. Der Auwald verbarg die verwachsenen Eichen, die aufgeschossenen Ulmen und Eschen, an denen vereinzelt welkes Laub raschelte, erneut in Nebelschleiern. Flechten hingen in dichten Bärten von den knorrigen Ästen. Ein Ahornbaum warf die letzten feurig roten Blätter ab und spiegelte sich gespenstisch in den Wasserlachen, welche die letzte Überflutung mit sich gebracht hatte. Und wer wusste schon genau, in welchem Bett der Rhin sich wälzte. Er war ein launischer Fluss, der während der Frühjahrsfluten Häuser und Vieh verschlang. Sie hätten einen höher gelegenen Weg benutzen sollen. Die Windungen des Rhins schlängelten sich in weiten Bögen über die Ebene. Ihnen zu folgen war ein mühsames Unterfangen war.

Ihre Lage hatte sich, seit sie in Etiningem Fersengeld geben mussten, nicht gerade gebessert. Und wessen Schuld war es, dass sie an Allerseelen diese den Dämonen und Geistern verschriebene Landschaft bereisen mussten?

Guy of Gisborne ritt stolz vor ihm her, als hätten sie sich nicht gerade wie Strauchdiebe aus einer Stadt stehlen müssen. Dabei hatte sich in Phorzein doch alles zum Guten gewendet. Sie hatten den Mörder gefunden und die unschuldige Jungfer gerettet.

In seinem langen schwarzen Mantel hoch zu Ross wirkte Gisborne ritterlich. Doch was war er in Wahrheit? Ein Rauf- und Trunkenbold, ein Lüstling, der ihrer beider Leben für eine Nacht mit einer Hure aufs Spiel setzte. Und Jakob sollte sein Knappe sein?

Vielleicht war es an der Zeit, das Pferd zu wenden und nach Augsburg zurückzukehren? Er musste sich lediglich linker Hand halten. Die Gegend war ihm vertraut. Was nutzte es ihm, Knappe eines Mannes zu sein, der ihn wie einen Knecht schuften ließ? Seit er sich von ihm hatte anwerben lassen, musste er die Launen des Ritters ausbaden.

Warum gleich hatte er damals in der Brügger Schenke zugestimmt, dem edlen Herren von der Insel als Übersetzer zu dienen? In seiner Erinnerung taumelte er durch den nasskalten Tag mit der steifen Brise aus Nordwest, stieß die Tür zu dieser Kaschemme noch einmal auf, schüttelte den Regen aus dem Mantel und trat an die Theke.

»Heda, Wirt! Könnt Ihr mir sagen, welches der Schiffe im Hafen nach Porto fährt?« Jakob hatte brüllen müssen. Um ihn herum grölten die Matrosen, würfelten, soffen aus ihren Holzkrügen und betatschten die Weiber, die sich ihnen feilboten.

Gerade riss eine Hure ihr Maul zu einem schrillen Lachen auf, das Jakobs Ohr zum Klingeln brachte. Ein Kerl hatte ihr, zur Aufforderung mit ihm in eine der Seitengassen zu verschwinden, eine Münze in den tiefen Ausschnitt gesteckt. Jakob fragte sich, wie alt sie wohl war? Die Hälfte ihrer Vorderzähne fehlte, doch das konnte auch den Prügeln geschuldet sein, denen solche Weiber nicht selten ausgesetzt waren. »Was glotzt du so? Willste deinen Wurm zwischen die Schenkel stecken?«

Mit zusammengekniffenen Augenbrauen drehte sich Jakob von ihr und ihrem üblen Atem ab. »Herr im Himmel, bewahre mich.« Er schlug ein Kreuz zur Abwehr des Bösen. Da er kein Geld hatte, sich eine Überfahrt zu kaufen, würde er jede Art von Arbeit annehmen müssen, die ihm eine Passage verschaffte. Der Wirt musterte ihn kurz und lachte. »Was bist du denn für einer? Wie‘n Matrose siehst do mir nich‘ aus, min Jongen.«

»Ich kann hart arbeiten!« Auch wenn sein Vater und die Brüder im Kloster ihn nicht geschont hatten, wusste Jakob um den Unterschied zu dem, was ihn auf einem Schiff erwarten würde. Der Wirt stieß ein Gackern aus. »Hast du das gehört, Broeck?«

Die Frage war an einen grauhaarigen Alten gerichtet, der einen einzelnen braunen Zahn besaß, um den sich seine Zunge wie ein Aal schlängelte, bevor er den Holzbecher ansetzte. Er ließ ihn auf die Theke knallen und strich sich den Schaum aus dem Bart. »Gib ihm ein Tuch, damit er sich trocken wischen kann hinter den Ohren.«

Der Spott gebar Wut in Jakob. »Ich kann lesen, schreiben und rechnen. Doch falls daran kein Bedarf besteht, so bin ich Manns genug, als Matrose anzuheuern.«

Sein Gezeter hatte die Aufmerksamkeit der Gäste erregt. »Hört, hört! Wer bereit ist so hart zu arbeiten, der sollte auch trinken.« Der Wirt entkorkte einen Tonkrug und stellte ihn vor Jakob ab. »Hier, nimm einen Schluck!«

Das Kreischen der Meute verstummte abrupt. Jakob zögerte, wer wusste schon, was der Wirt in diesem Krug für ein Schlangengift bereithielt? Gleichzeitig fürchtete er, sein Gesicht zu verlieren, wenn er sich nicht als echter Kerl beweisen konnte. Er nahm den Krug und schnüffelte. Es roch irgendwie fruchtig, weder vergoren noch schimmlig. »Was denn? Hast du Angst? Das is‘ was ganz Besonderes. Eine Medizin von weit her!«

Diese Anpreisung verstärkte Jakobs flaues Gefühl im Magen. Die Blicke aller lasteten auf seinen Schultern. Er war kein Feigling! Jakob kniff die Augen zusammen und nahm einen Schluck. Das Gesöff brannte auf seiner Zunge. Er riss die Augen auf und zwang die brennende Flüssigkeit seine Kehle hinab, obwohl er sie liebend gerne ausgespien hätte. Sie brachte ihn zum Keuchen, »Sancta Dei Genitix, aqua ardens! Brennendes Wasser.« Das musste es sein. Der Wirt hatte die Wahrheit gesprochen. Vater hatte, als er und sein Bruder Kinder waren, in Byzanz einen kleinen Krug erworben. »Die Seldschuken behaupteten, es heile jede Krankheit.« Das Lachen in der Kaschemme verstummte. Der Krug musste ein Vermögen wert sein. Jakob versuchte schon wegen der heilenden Wirkung einen weiteren Schluck zu ergattern, doch der Wirt entwand ihm das Gefäß und stöpselte den Pfropfen in die Öffnung. Jetzt sah er nicht mehr so schadenfroh aus. Dafür lachten seine Gäste über sein grimmiges Gemaule und Jakob lachte mit.

Er fühlte eine wohlige Wärme in seiner Brust aufsteigen. Der Erfolg machte ihm Mut. »Ihr seht, ich kenne mich aus. Ich kann verschiedene Zungen sprechen!« Zum Beweis stellte er sich in der Romana Lingua vor. Die Leute freute es, ihn wie einen noblen Herrn sprechen zu hören. Sie klatschten. Angefeuert von ihrem Beifall wiederholte er es auf Latein, Griechisch und in der einfachen Zunge des englischen Landvolks. Der Beifall nahm zu. Also verneigte er sich wie ein Spielmann und versuchte sich in allen möglichen Sprachen, die er in Bruchstücken auf den Reisen mit seinem Vater aufgeschnappt hatte. Die Leute hatten ihren Spaß. Mit einem Mal fühlte sich Jakob unwohl in dieser Rolle. Sich zum Narren zu machen, verschaffte ihm keine Passage auf einem Schiff. Seine Heiterkeit verflog. Jemand legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du sprichst die gewöhnliche Sprache der Angelsachsen?«

Er drehte sich, steif vor Schreck, um die eigene Achse. Vor ihm stand ein elegant gekleideter Mann von großer Statur. Das Schwert an seiner Hüfte wies ihn als Edlen aus. Ebenso das aus feinstem Tuch hergestellte Hemd unter dem Lederwams, das von gleicher schwarzer Farbe war wie sein sauber gestutzter Bart und seine kinnlange Haartracht. Die grauen Augen bohrten sich in Jakobs. Ein adeliger Normanne, dessen Françeis der Romana Lingua verwandt war. Warum suchte er jemanden, der Angelsächsisch beherrschte?

»Hauptsächlich westsächsisch, Sir.« Wo war dieser Mann so plötzlich hergekommen? Hinter ihm stand eine junge Hure, die lustlos an ihren Röcken zupfte, als würde sie auf die Rückkehr ihres Freiers warten.

»Wie ist dein Name? Welche Dialekte des Kaiserreichs kannst du sprechen?«

»Jakob Grabendorfer, Sir«, antwortete er überrascht. »Ich stamme aus der Mitte des Landes, Herr. Von der Küste her den ganzen Rhine entlang kann ich die Menschen verstehen und mich verständlich machen. Auch bis weit in den Westen und Osten.«

»Was bist du? Ein entlaufener Priester?«

Jakob spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Die Haut um seine Nase fing an zu jucken. Er war nicht entlaufen. Er hatte es lediglich vorgezogen, nicht mehr ins Kloster zurückzukehren, nachdem sein Vater ihn für eine Weile als Ersatz für den verschwundenen Rudolf zurückgeholt hatte. Seine erneute Abschiebung dorthin hatte ihn tief gekränkt.

Der Fremde glaubte ins Schwarze getroffen zu haben und grinste. Er zog eine Silbermünze aus seinem Beutel und hielt Richtung Wirt zwei Finger hoch. »Du kannst für mich arbeiten – als Übersetzer. Das ist leicht verdientes Geld.« Jakob sah dem Schimmern der Münze nach, die über die Theke in die gierigen Hände des Wirts kullerte. »Ich bin Sir Guy of Gisborne. Bestelle uns einen Braten. Du siehst verhungert aus.«

In diesem Moment musste sein sonst so flinker Geist ihn verlassen haben, denn er sagte dem Normannen zu, obwohl er es besser hätte wissen müssen. Schließlich vergnügte sich der Mann mit billigen Huren.

Jakobs Pferd stolperte über einen Stein und holte ihn aus der Vergangenheit zurück. Fast wäre er zum zweiten Mal in zwei Tagen aus dem Sattel gefallen, dabei ließ er die Leine des Packpferdes fahren und musste umdrehen, weil der faule Wallach sofort stehen geblieben war. Hoffentlich machte das Tier sich nicht auf und davon.

Gisborne schüttelte den Kopf und hielt an. Er sah zu ihm zurück und seufzte vernehmlich. »Wenn du wirklich mein Knappe werden willst, müssen wir dir unbedingt das Reiten beibringen.«

Jakob platzte der Kragen. »Ich kann reiten. Jedenfalls gut genug für meine Zwecke. Was sagt Euch eigentlich, dass ich Euer Knappe werden will?«

Der Normanne hob die rechte Augenbraue. »Wärst du sonst bei mir? Du hast die holde Sieglind gerettet. Du hast für Recht und Ordnung gekämpft, während ein Bauer den Kopf eingezogen hätte. Du hast sogar mich in die Schranken verwiesen, als du dachtest, ich würde die Maid im Stich lassen. Behaupte nicht, dein Geist wäre dafür gemacht in Demut vor einem Altar zu knien? Das bist nicht du. Dir fällt es schwer das Knie zu beugen. Und warum ist das so? Weil du in den Apfel der Erkenntnis gebissen hast. Habe ich recht?«