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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich

PHILOSOPHIE

Philosophische Anthropologie

Teil 6:

LEIDEN UND TOD

Von Prof. Dr. Michael Bordt SJ

Meine Damen und Herren,

herzlich willkommen zur letzten Vorlesung über unser Nachdenken über das Wesen des Menschen, die philosophische Anthropologie. Die vergangenen Ausführungen könnten bei Ihnen vielleicht einen unangenehmen Beigeschmack hervorgerufen haben. Ich habe ja versucht dafür zu argumentieren, dass das gelungene Leben darin besteht, dass wir lieben, dass wir tiefe persönliche menschliche Beziehungen haben, und dass wir tätig sind, dass wir etwas tun, was sinnvoll und was für andere Menschen wertvoll ist.

Aber, so könnten Sie nun einwenden, das Leben besteht ja nun wahrlich nicht nur darin, dass unsere Beziehungen immer tiefer und tiefer werden, dass unser Leben immer mehr gelingt, dass unsere Arbeit immer sinnvoller wird, sondern im Gegenteil: Oft ist unsere Lebensrealität ja gerade die, dass Beziehungen zerbrechen, dass wir aus der Arbeit fallen, dass Tätigkeiten sinnentleert werden.

Wir müssen uns also mit dem Scheitern auseinandersetzen, denn unser Leben besteht nicht nur darin, dass Dinge gelingen, dass sie schön sind, sondern ebenso darin, dass Dinge scheitern, dass sie zerbrechen. Was heißt das für unsere Überlegungen zum gelungenen Leben und zum Wesen des Menschen? Bleibt, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir es uns wünschen, wenn Beziehungen zerbrechen, wenn Tätigkeiten nicht gelingen, als Alternative nur die Antwort: Gut, dann ist unser Leben eben nicht gelungen, dann ist es gescheitert, und dann müssen wir notwendig unzufrieden mit unserem Leben sein?

Leiden und Scheitern

Ich möchte damit beginnen, Ihnen noch einmal eine wichtige begriffliche Differenzierung in Erinnerung zu rufen. Wir haben ja unterschieden zwischen dem gelebten Leben, das wir haben, und der Einstellung zu diesem gelebten Leben. Die Einstellung zum gelebten Leben, haben wir, wenn das gelebte Leben ein gelungenes Leben ist, Zufriedenheit genannt. Wenn die Dinge in unserem Leben gelingen, dann sind wir zufrieden mit unserem Leben.

Nun kann man noch einmal unterscheiden zwischen dem gelungenen Leben und dem geglückten Leben. Nicht dem glücklichen Leben, sondern dem geglückten Leben. Wir könnten sagen: Damit unser Leben wirklich glückt, und damit wir sagen können, unser Leben ist geglückt, gehört mehr dazu, als dass unser Leben nur gelungen ist. Dafür, ob unser Leben gelingt oder nicht gelingt, sind wir oft selber verantwortlich. Aber zum geglückten Leben muss noch mehr hinzukommen. So etwas wie ein glücklicher Zufall, dass wir mal die richtigen Menschen genau in der richtigen Situation treffe, oder dass wir in den Unsicherheiten, die schwierige Entscheidungen mit sich bringen, doch eine Entscheidung treffen, die sich dann im Nachhinein als die richtige Entscheidung herausstellt.

Wir Menschen können nicht bewirken, dass unser Leben glückt oder geglückt ist. Das liegt nicht in unserer Macht. Aber, so können wir fragen, liegt es auch nicht in unserer Macht, dass unser Leben gelungen ist? Denn, was ist, wenn Dinge in unserem Leben passieren, die wir uns so nicht gewünscht haben? Müssen wir dann notgedrungen unzufrieden mit unserem Leben sein?

Eine Art der Erklärung ergibt sich aus dem, was wir im zweiten Kapitel über das gute Leben gesagt haben: Ein Leben ist dann gut, wenn es unseren Wünschen und Interessen entspricht. Was, wenn nun aber nicht eintritt, was wir uns von unserem Leben wünschen, um dadurch glücklich zu werden? Das bedeutet natürlich noch nicht, dass wir dadurch schon unglücklich werden. Denn es könnte ja sein, dass der Wunsch ganz unaufgeklärt und falsch gewesen ist. Wir könnten uns darin geirrt haben, dass uns die Erfüllung dieses Wunsches tatsächlich glücklich gemacht hätte. Das haben wir in der zweiten Folge dieser Reihe hinlänglich bedacht.

Diese Art und die Struktur der Erklärung ist interessant. Sie wurde von vielen Philosophen hervorgebracht, um Leiden und Scheitern zu erklären. Im zehnten Buch der ‚Gesetze’, der ‚Nomoi’, bringt Platon folgenden Mythos, der erklären soll, warum Menschen fälschlicherweise der Auffassung sind, Gott könne zornig sein: