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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

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3.

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6.

7.

8.

9.

10.

Verena Themsen: Die Rede des Maghan

Kommentar

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Leseprobe Perry Rhodan-Buch 125 - Fels der Einsamkeit

Vorwort

1.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2744

 

An Arkons Wurzeln

 

Sie verbergen sich zwischen Zeugen der Vergangenheit – und erlangen Einblick in die Zukunft der Galaxis

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, das behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.

Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan in der Galaxis Larhatoon, der Heimat der Laren, die vor über eineinhalb Jahrtausenden als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße herrschten.

In der Milchstraße regiert indessen nur noch formal das Galaktikum, die eigentliche Politik machen die Atopischen Richter. Einer der ersten Befehle lautete, das Arkonsystem komplett an die Naats zurückzugeben. Ein beispielloser Exodus der Arkoniden ist die Folge – und dieser reicht bis AN ARKONS WURZELN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Pellindor da Shamonay – Der junge Adlige dringt in Arkons Vergangenheit vor.

Gissilin – Unter den Häusern der Toten hütet die seltsame Arkonidin Brisantes.

Chuv und Phörn – Der Richter und sein Sekretär empfangen den Vizeimperator auf Naat.

Ai Coulonn – Als Kontra-Historikerin will die Onryonin die Wahrheit erforschen.

1.

Ein beschissener Tag

 

Ein gleißender Strahl schlug in die Wand ein und schleuderte metallische Tröpfchen und Splitter auf Pellindor da Shamonay zu. Schmerz schoss ihm durch die Wange. Die plötzliche Hitze und der Metalldampf ließen ihn husten und würgen. Sein Magen krampfte.

»Poshdreck!«, fluchte er, während er über den Kratzer tastete, den ein Metallspan auf seiner Wange gerissen hatte. Er spürte Blut. Sein bereits schmerzhaft rasendes Herz legte noch einen Zahn zu. »Verdammter Poshdreck ...!«

Langsam wurde ihm ernsthaft schlecht. Er atmete tief durch und kämpfte darum, sich für einen Moment von der unmittelbaren Gefahr abzulenken.

Verdammt, Rafir, warum bist du nicht hier? Dir wäre ganz bestimmt etwas eingefallen, irgendein blöder Spruch, der uns über die absurde Komik hätte lachen lassen, die du in all dem gefunden hättest.

Aber Rafir war nicht da. Die Chancen standen nicht schlecht, dass er ihn niemals wiedersehen würde.

War ja klar gewesen, dass ein Tag, der so beschissen begonnen hatte, nicht mehr besser werden würde.

 

*

 

»Es ist alles vorbei.«

Rafir da Amonte schüttelte die kragenlangen Strähnen aus dem Gesicht, lehnte den Kopf gegen das Geländer der Brücke im Inneren des Trichterbaus und starrte hinunter in die Tiefe.

Pellindor da Shamonay musterte die schwarz gefärbten Strähnen im weißen, asymmetrisch geschnittenen Haar seines Freundes – eine Längenmischung zwischen Bostich und Hozarius, wie Rafir gern betonte, um den Konservativen ihre eigenen Worte in den Hals zurückzuschieben. Die Haare und die auf seine Schläfen aufgemalten schwarzen Unglücksfalter waren unübersehbare Zeichen seiner Rebellion gegen das starre Korsett des Hochadels, in das er hineingeboren worden war. Rafirs Großvater Alhos Ta-Amonte, hochedler Ta-Fürst dritter Klasse, hatte bei ihrer Ankunft beinahe einen Herzstillstand erlitten. Dem folgenden Gewittersturm hatte Rafir ebenso laut entgegengebrüllt.

Mittlerweile brüllte Rafir nicht mehr. Er hatte aufgegeben – nicht gegenüber seinem Großvater, sondern gegenüber den Onryonen. Seine ganze Haltung, die seit der Ankunft im Khasurn seiner Familie voller unterdrückter Aggressivität gewesen war, hatte ihre Spannung verloren.

»Das ist doch Blödsinn, Rafir«, erwiderte Pellindor. »Es ist nicht vorbei, solange wir hier noch aushalten. Und selbst danach ist es nicht vorbei. Wir sind so schnell nicht unterzukriegen!«

Rafir schnaubte. »Und wozu das Ganze? Um dieses verstaubte, überalterte Gebilde aufrechtzuerhalten, in dem wir leben? Wenn es nach mir ginge, wären wir hier schon weg. Lieber gestern als heute.«

»Aber das hier ist unsere Heimat! Seit Zehntausenden von Jahren ist Arkon das Zentrum unserer Kultur! So was kann man nicht einfach aufgeben, nur weil ein paar dahergelaufene Schwarzhäute sich als Universumspolizei aufspielen und glauben, jeden herumschubsen zu dürfen!«

Rafir drehte den Kopf. Die goldenen Sprenkel in seinen roten Iriden fingen Pellindors Blick.

»Und wer will ihnen sagen, dass sie das nicht dürfen? Unser Imperator, den sie irgendwohin verschleppt haben? Unser Vizeimperator, der schon längst mit ihnen unter einer Decke steckt? Unsere Flotte, die keinen längeren Schritt tun kann, ohne von deren Linearraumtorpedos zerfetzt zu werden?« Der junge Hochadlige schüttelte den Kopf.

»Vergiss es, Pellindor. Ich sage dir, es ist vorbei, und es ist gut so.«

»Ich verstehe dich nicht, Rafir. Wie kannst du so kampflos aufgeben? Gerade du?«

Mit einer Kopfbewegung wies der Sohn des Khasurn-Erben nach unten, zu den tieferen Ebenen des Khasurn-Baus. Überall waren Männer und Frauen aller Altersklassen zu sehen, manche in ihren alten Flottenuniformen, als würde ihnen das mehr Schutz gegen die Invasoren gewähren. Auch Waffen wurden offen getragen; alles vom modernsten Strahler bis zum traditionellen Dagorschwert.

Alle auf Arkon anwesenden Familienmitglieder und Freunde des Khasurns Amonte hatten sich in diesem Haus gesammelt, um gemeinsam mit dem Hochfürsten den Widerstand zu zelebrieren, während anderswo auf der Wohnwelt Gos'Ranton Siedlung um Siedlung, Khasurn um Khasurn von den Onryonen geräumt wurde. Es waren sicher drei oder vier Dutzend Leute.

»Sieh sie dir an, unsere Kämpfer«, sagte Rafir. »Abgehalfterte Flotten- und Armeeoffiziere kommandieren Bürokraten, Intriganten, Schöngeister und Faulenzer. Glaubst du, sie werden etwas anderes erreichen, als sich selbst in den Tod zu treiben?«

»Immer noch besser als kampflos aufzugeben!«, erwiderte Pellindor hitzig. »Verdammt noch mal, Rafir, wie kannst du wegen irgendwelcher blöden Konventionen dermaßen in Wut verfallen und dann, wenn es wirklich zählt, einfach alles geschehen lassen? Wie kann es dir so wenig bedeuten, dass diese Leute uns unsere Heimat stehlen wollen und dabei auch noch frech behaupten, das Recht sei auf ihrer Seite? Die Naats sollen dieses System bekommen! Ausgerechnet! Ohne uns wären die Naats ein Nichts, eine Randnotiz der Geschichte, wenn überhaupt!«

»Ich gönne es ihnen«, sagte Rafir mit einem Achselzucken. »Sollen sie mit dem dreiköpfigen Monster Tiga Ranton und den restlichen Planeten anfangen, was sie wollen. Es ist nicht meine Heimat. Meine Heimat erschaffe ich mir selbst, im Messingtraum. Genauso wie ich mir dort selbst die Familie suche, die ich will.«

Mit einem Ruck stand Rafir auf. Pellindor starrte ihn an.

»Das meinst du nicht ernst. Wir haben immer über die Messingträumer gelacht! Du hast sie feige genannt, weil sie sich in Traumwelten flüchten, anstatt die Welt zu ändern, in der sie leben.«

»Ich bin klüger geworden. Ich habe keine Lust mehr, meinen Kopf an Wänden einzurennen, die selbst dann starr bleiben, wenn der Desintegrator vor ihnen steht. Das hier ist vorbei. Es wird uns weggenommen werden, sobald die Onryonen dazu Lust haben. Im Messingtraum habe ich eine Heimat, die ich überallhin mitnehmen kann.«

»Das ist doch keine Heimat! Das sind doch nur ... Hirngespinste!«

»Wenn du im Messingtraum bist, ist es so real wie das hier. In mancher Hinsicht sogar realer, denn dort haben Lügen und Illusionen nicht lange Bestand – sie fliegen entweder auf oder werden zur Wahrheit. Also urteile nicht darüber, solange du es nicht kennst.«

Für einen Moment entdeckte Pellindor eine Spur der alten Schärfe in Rafirs Stimme. Die Spannung wich jedoch so schnell, wie sie gekommen war. Der Freund wandte sich ab und hob eine Hand so schwerfällig, als hinge ein Gewicht an ihr.

»Man sieht sich – oder auch nicht. Geh mit Großvaters Speichelleckern spielen, wenn du an ihre idiotischen Parolen glaubst. Ich gehe träumen, bis sie uns endlich hier wegholen.«

»Rafir! Nein! Rafir, bleib hier!«

Pellindor rief seinem Freund nach, bis dieser in einem Gang verschwand.

»Verdammt!«, murmelte er und zog sich am Geländer hoch. »Verdammt, verdammt, verdammt! Und wer darf das jetzt wieder deinem Großvater stecken? Ich natürlich ...«

Vielleicht würde der Ta-Fürst seinen Enkel wieder zur Vernunft bringen. Bei dem Gedanken lachte Pellindor auf.

Wem mache ich was vor? Er ist der Letzte, auf den Rafir hören würde. Es ist meine Aufgabe, ihn in der Spur zu halten. War meine Aufgabe. Der einzige Grund, warum ich im Anwesen eines hochadligen Geschlechts geduldet wurde. Und ich habe es vergeigt.

Pellindor schloss die Augen.

Typisch Shamonay.

 

*

 

Pellindor fand den Hausherren auf dem Dachgarten des Haupttrichterbaus. Allmählich konnte man dem Ta-Fürsten seine 164 Lebensjahre ansehen, auch wenn er weiter ungebrochenen Stolz ausstrahlte.

Nachdem ein Sekretär Pellindor angekündigt und sich dann zurückgezogen hatte, salutierte er wie üblich respektvoll vor dem Höhergestellten, und wie üblich ließ Ta-Amonte ihn danach länger stehen, als es die Höflichkeit eigentlich gegenüber einem anderen Adligen zuließ. Schließlich winkte er ihn jedoch heran.

»Shamonay.«

»Hochedler. Ich komme eben von Rafir.«

Ta-Amonte hob die Brauen. Pellindor sah von ihm zu dem Orbton, dieser wiederum zu dem Fürsten, der ihn mit einem kurzen Wink der Hand entließ. Manchmal fand Pellindor die Vielzahl stummer Gespräche in diesem Khasurn anstrengend, aber diesmal war er dankbar für jedes Wort, das ihm erspart blieb.

»Was treibt mein Enkel?«, fragte Ta-Amonte, als der Offizier außer Hörweite war.

»Er hat sich den Messingträumern angeschlossen. Er will unter der Haube bleiben, bis alles vorbei ist. Ich konnte ihn nicht davon abhalten.«

Pellindor straffte sich innerlich gegen die erwartete harsche Erwiderung. Doch sie blieb aus.

»Gut«, sagte Ta-Amonte stattdessen. »So hört er wenigstens auf, defätistische Aufrufe zu streuen. Er hätte zwar bei den zu erwartenden Kämpfen an meine Seite gehört, aber ich schätze, seine Fertigkeiten auf diesem Gebiet hätten sich ohnehin als enttäuschend erwiesen, wie so vieles.«

Ungläubig starrte Pellindor den Fürsten an. Dieser erwiderte seinen Blick aus blassroten Augen. »Sonst noch etwas, Shamonay?«

»Ich will statt Rafir an Eurer Seite kämpfen.« Es war Pellindor herausgerutscht, ehe er recht darüber nachgedacht hatte, was er da sagte.

Die Lippen des Fürsten wurden schmal. »Du willst den Platz meines Enkels an meiner Seite einnehmen?«, fragte er gefährlich leise. »Du?«

»So habe ich das nicht gemeint«, beeilte Pellindor sich zu sagen. »Ich meinte ... ich möchte für Euch kämpfen. Für uns alle. Für Arkon.« Er reckte sich und legte die Faust an die Brust.

»Glaubst du, ich merke nicht, wie du dich bei mir einzuschmeicheln versuchst?«, erwiderte der Fürst kalt. »Du magst meinen nutzlosen Enkel umgarnt haben, aber mit mir wird dir das nicht gelingen!

Ich weiß, wo deinesgleichen hingehört, und das ist sicher nicht an die Seite eines Hochedlen. Wenn das alles hier vorbei ist, werde ich dafür sorgen, dass du dir für immer alle Flausen aus dem Kopf schlägst, eines Tages über Rafir aus deinem Loch zu steigen, sei es als sein Freund oder als was auch immer du ihm sonst noch dienst.«

Pellindor brauchte einen Moment, um zu verstehen, was der Fürst andeutete. Als er es tat, verschlug es ihm den Atem. »Hochedler ...«

»Halt den Mund! Für mich wirst du niemals mehr sein als der Dreck, den Rafir unter seinen Stiefeln mitschleppt – etwas, das eben manchmal ins Haus gelangt, egal wie gute Vorkehrungen man dagegen trifft, und das man wegkehrt, sobald es endlich abgefallen ist.«

Mit einem Ruck wandte der Fürst sich von ihm ab. Pellindor starrte auf dessen Rücken und musste das irre Verlangen unterdrücken, die nächste Ziervase zu nehmen und dem Patriarchen über den Kopf zu ziehen.

Stattdessen atmete er tief durch, zwang sich, die Fäuste wieder zu öffnen, und sagte: »Ihr verkennt die Dinge, Hochedler. Ich will einfach nur das Beste für meinen Freund. Nachdem ich ihn nicht davon abhalten konnte, sich in die Messingwelt zurückzuziehen, muss ich ihn zumindest schützen, wenn es zu Kämpfen kommen sollte. Ich bitte also um eine Waffe. Ich bin ein guter Schütze. Meine Ergebnisse auf der Akademie waren makellos.«

Der Fürst drehte den Kopf und machte eine schnelle Handbewegung. Das Linsenfeld zur Betrachtung der Umgebung verschob sich und holte einen Landstrich heran, der auf der anderen Seite des Golfes von Khou lag. Hinter einem Palmenwald stieg dicker schwarzer Rauch auf.

»Das dort war der Stammsitz der Kentigmilan«, sagte er. »Sie hatten ebenfalls Widerstand geschworen. Unsere Feinde kommen, und sie kommen nicht in Frieden. Wenn du also wirklich etwas tun willst, geh zu einem der Offiziere und lass dich ausrüsten.«

Pellindor sah auf das Bild in der Linse und schluckte. Er nickte. »Danke, Hochedler. Ich werde tun, was ich kann.«

Alhos Ta-Amonte wandte sich wieder ab, ohne zu erkennen zu geben, ob er die Worte gehört hatte. Mühsam löste Pellindor den Blick vom Bild des Rauchs über dem anderen Khasurn, verbeugte sich zum Abschied und machte sich auf den Weg nach unten.

Nicht einmal zwei Tontas später waren sie da.

2.

Zeit des Wartens

 

Im Holo ging die weißblaue Sonne Arkon auf.

Erst war sie nur ein Schemen hinter den letzten Ausläufern des sich öffnenden Kristallschirms. Dann nahm die Leuchtkraft zu, bis in der Strukturlücke die volle Helligkeit des Sterns sichtbar war, unter dem vor 132 Jahren Tormanac da Hozarius das Licht der Welt erblickt hatte.

Der Vizeimperator öffnete eine Verbindung zur Zentrale. »Kommandant Coltoier?«

»Hochedler Zarlt.« Eine Einblendung mit Kommandant Sanai Coltoier öffnete sich im Umgebungsholo. Der Zaliter legte die Hand an die Brust und neigte den Kopf mit dem bis auf einen Seitenzopf kurz geschnittenen kupferfarbenen Haar. »Wir haben eben den Kristallschirm passiert. Der Einflug wurde anstandslos gewährt.«

Tormanac seufzte. Anderthalb Pragos würde die GOS'TUSSAN brauchen, um ihr Ziel zu erreichen, sollte die Genehmigung verwehrt werden. Nicht, dass es nicht genug Arbeit gab, die Tormanac genauso gut während der Reise erledigen konnte. Aber er zog es vor, möglichst schnell zu wissen, ob sein Ziel erreichbar war.

»Kommandant Coltoier nennt dich stets nur beim Titel Zarlt«, erklang eine tiefe Stimme hinter ihm. Die Worte wurden langsam und sorgfältig artikuliert. »Was kann man daraus schließen?«

»Dass es der Titel ist, der in seinen Augen die höhere Bedeutung hat«, antwortete Tormanac ohne Zögern. »Dass er als Zaliter mich als Zarlt anerkennt, obwohl ich dieses Amt quasi als Dreingabe führe, zeigt echten Respekt und Loyalität. «

»Wem dient er loyal – dem Zarlt, dem Vizeimperator oder Tormanac da Hozarius?«

Tormanac drehte sich mit dem Sessel. »Ich schätze, allen dreien, aber mit unterschiedlicher Gewichtung. Genau wissen werde ich es erst, wenn seine Loyalität auf die Probe gestellt wurde. Als Kommandant des Flaggschiffes sollte er allerdings nicht so bald in die Verlegenheit kommen, in dieser Hinsicht zu differenzieren. Ich habe nicht vor, irgendwelche Zaliter anzugreifen.«

Vor anderthalb Jahren hatte Tormanac die THANTUR-LOK XIII abgegeben, um stattdessen die GOS'TUSSAN II zu übernehmen, die nach umfangreichen Reparaturen wieder aus der Werft gekommen war. Die Mannschaft war längst anderen Kommandos zugeteilt worden. Manche hatten mit der Kommandantin den Abschied genommen. Nach der Überführung war auf Zalit eine komplett neue Crew an Bord gegangen.

»Wie empfinden andere wohl den Umstand, dass du das Schiff des Imperators befehligst, ohne Imperator zu sein?«

Tormanacs Gegenüber war Martuul, ein Naat: Säulenartige Beine trugen einen massigen Körper, der anderthalb mal so groß war wie der selbst nicht kleine Vizeimperator. Drei Augen saßen in dem haarlosen Kugelkopf, das dritte am Ende einer tiefen senkrechten Hautfalte, die genau in der Mitte zwischen den beiden Seitenaugen verlief. Schmale Lippen bedeckten ein gelbliches Gebiss, das mit seinen Fangzähnen nicht weniger bedrohlich wirkte als die restliche Statur. Die Atemöffnungen waren verborgen, die Knorpelohren ebenfalls kaum zu sehen.

Die überlangen Arme, deren krallenartige Finger bis zu den Knien herabhingen, waren ebenso auf Kampf ausgelegt wie die restliche Statur. Naats waren die geborenen Soldaten, und als solche hatten die Arkoniden sie über Jahrtausende an vorderster Front in die Schlacht geworfen. Ihre Fähigkeiten dabei wurden so hoch geschätzt, dass sie sogar den Kern der traditionellen Imperatorengarde stellten und es ein Statussymbol im Hochadel war, mindestens einen Naat als Leibwächter zu haben.

Nur wenige hatten allerdings je akzeptiert, was Tormanac wusste: dass es Naats gab, die einen Verstand hatten, der an Schärfe dem der besten Arkoniden gleichkam oder gar übertraf. Es war leicht gewesen, sie als tumbe Kampfmaschinen abzustempeln. Aber das waren sie nicht. Das war eine der ersten Lektionen gewesen, die Tormanac gelernt hatte, als Aktakul ihm Ghlesduul zur Seite gestellt hatte. Seither hütete er sich so gut er konnte davor, andere zu unterschätzen.

Martuul war leider nicht Ghlesduul, der seit zwanzig Jahren tot war und in einer Kryo-Gruft ruhte. Martuul würde und sollte niemals wie Ghlesduul sein. Tormanac brauchte aber einen absolut loyalen Gesprächspartner, mit dessen Hilfe er seine Gedanken schärfen konnte, als Ersatz für den Extrasinn, der sich aus ungeklärten Gründen nach der ARK SUMMIA nicht hatte aktivieren lassen.

Es hatte eine Weile gedauert, dem Leibwächter dies klarzumachen. Seither wurde Martuul immer besser darin, die kleinen Lücken aufzuspüren, jene Dinge im toten Winkel, die Tormanac aus dem Blick verloren hatte. Er war bodenständiger als Ghlesduul, direkter, aber nicht zu direkt.

»Du fragst nach der Signalwirkung meines Handelns. Ich denke, es vermittelt Kontinuität und Sicherheit. Ich scheue nicht davor zurück, den weitergereichten Stab aufzunehmen. Gleichzeitig wird niemand bei mir Bemühungen um den Kristallthron feststellen. Meine Konzentration liegt darauf, das arkonidische Volk in die neue Zeit zu führen, die vor ihm liegt. Für persönlichen Ehrgeiz bleibt kein Raum.«

Martuul senkte den Kopf ein Stück. »Wie lange?«

Wie lange willst du dieses Spiel noch spielen? Wie lange warten und die zurückweisen, die einen neuen Imperator fordern? Wie lange im Schatten eines Mannes bleiben, der nicht mehr da ist und de facto seit Jahrzehnten nicht für Arkon da war, sondern nur noch für das Galaktikum? Wie lange, bis du dem, was schon lange Tatsache ist, den Namen gibst, den es verdient?

Tormanac drehte den Sessel wieder zum Holoschirm.

»So lange, bis wieder Sicherheit herrscht.« Er sah auf seine Hände hinunter, die um so viel älter aussahen, als sie es sollten. Als Imperator wäre es mit Sicherheit unmöglich, seinen Zustand lange zu verheimlichen.

Aber falls je die Wahrheit ans Licht käme, wäre er die längste Zeit an der Macht gewesen.

Die Folge wäre Chaos. Die Arkoniden führerlos, ausgerechnet während der Zeit des Umbruchs, der Zeit, in der sie den Kern ihrer Macht neu definieren mussten. Eine Katastrophe, die er nicht riskieren durfte. Darum wusste außer seinem Leibarzt niemand von seiner Krankheit. Morbus Khesdar ließ seinen Körper vorzeitig verfallen und verursachte immer häufigere und länger anhaltende Aussetzer seines Denkens. Aber selbst Martuul, der bereits Pausen miterlebt hatte, kannte bisher nicht das volle Ausmaß des Problems.

Nichts, was ich tue, ist wirklich richtig. Alles trägt den Kern entweder des Verrats oder des Versagens in sich. Wo ist der Ausweg aus dieser Lage? Was übersehe ich?

Er wünschte sich verzweifelt Ghlesduul herbei. Sein Blick wanderte zum Tresor auf der anderen Seite der Kabine.

 

*

 

Die Genehmigung kam schließlich, und die GOS'TUSSAN näherte sich mit einer kurzen Etappe dem Planeten Naat, auf dem Richter Chuv sich eingerichtet hatte. Tormanac ließ sofort eine Funkverbindung schalten.

»Zurzeit sind weder der Richter noch sein Sekretär Phörn erreichbar«, beschied der Onryone am anderen Ende dem Vizeimperator. »Du musst dich leider gedulden.«

Tormanac schürzte die Lippen. »Es geht um eine äußerst dringende Angelegenheit. Sorge dafür, dass sie so schnell wie möglich Nachricht von meiner Ankunft erhalten.«

»Ich werde tun, was ich kann.« Ohne weiteres Wort schaltete der Mann ab.

Für einen Moment spürte Tormanac wieder einen Nachhall der Wut, die vor zwei Jahren in ihm gekocht hatte, als die Onryonen ihnen die Macht im eigenen System nahmen. Er streckte die Hand aus, um ...

Er senkte die Hand. Starr blickte er auf das Holo der näheren Systemumgebung.

Ein Gewirr aus Punkten und Linien zeigte die Schiffsbewegungen an. Rot leuchteten die Cluster aus Onryonenschiffen, ihre Raumrudel, die im System patrouillierten. Die blauen arkonidischen Schiffe waren zum Großteil Auswanderer-Fähren, aber es gab auch viele Versorgungsflüge. Sogar Schiffe der Raumnomaden waren dabei, die ihre noch auf Iprasa lebenden Sippen und die Zhy-Famii aufnahmen, die unerwartet wenig Widerstand geleistet hatten.

In Gelb erstrahlten die Schiffe anderer Völker. Überwiegend waren es Raumer der Mehandor; einzelne oder zu Ketten zusammengeschlossene Walzen und Transportplattformen, auf denen ganze Trichterbauten abtransportiert werden konnten. Sie alle steuerten den Kristallschirm an, um ein Vermögen am Auszug der Arkoniden zu verdienen.

Und all diese Punkte waren eben von einem Moment zum anderen gesprungen. Weit gesprungen. Das Muster hatte sich komplett verändert. Tormanacs Mund wurde trocken.

»Wie lange?«, fragte er.

»Vier Millitontas«, antwortete Martuul.

»Vier ...« Das war lang. Viel zu lang. Und die letzte Pause war kaum einen Prago her.

Er konnte es sich nicht mehr leisten, zu warten. Aber er hatte keine andere Wahl, solange Chuv unerreichbar blieb.

Tormanac drückte sich aus dem Sessel hoch.

»Ich lege mich etwas hin«, sagte er. »Sobald Richter Chuv oder Phörn sich meldet, will ich geweckt werden.«

Als er den Tresor passierte, senkte er den Kopf.

3.

Feuerprobe

 

Pellindor schloss den Helm seines Kampfanzuges. Sekunden später konnte er wieder frei atmen. Der von der simplen Medoautomatik injizierte Kreislaufstabilisator tat ebenfalls langsam seine Wirkung.

Verdammt, was mache ich hier nur? Ich bin kein Kämpfer, nur ein Sportschütze! Ich habe noch nie auf etwas geschossen, das lebt oder gar zurückschießt!

Etwas Schweres bewegte sich in der Nähe und brachte den Boden zum Vibrieren. Plötzlich schoss einer der doppelt mannshohen Katsugos an seinem Nebengang vorbei. Ein Thermostrahl schlug in den Schirm des Kampfroboters und brachte ihn zum Flackern. Pellindor wusste, dass er die Ablenkung nutzen sollte, um eigene Schüsse zu versuchen. Aber seine Beine weigerten sich, ihn hochzustemmen, und seine Hände zitterten noch immer.

»So wird das nichts«, murmelte er. »Es geht ums Ganze. Jetzt oder nie ...«

Mit einem Ruck schob er sich an der Wand entlang zur Gangmündung vor, zögerte noch einen Moment und riskierte dann einen Blick um die Ecke.

Der massige Katsugo kämpfte gegen die Onryonengruppe, in die er hineingestürmt war. Sein Schirm war zusammengebrochen, aber offensichtlich erst, als er bereits inmitten seiner Gegner stand. Daher konnten sie nicht auf ihn schießen, ohne ihre eigenen Leute zu gefährden, während er aus allen in seinem Körper installierten Waffen feuerte und mit den Armen gezielte Schläge und Nervenschocks verteilte.

Pellindor hob seinen simplen Jagdthermostrahler. Mit zittriger Hand versuchte er, einen der kämpfenden Onryonen anzuvisieren. Ihre Individualschutzschirme flackerten unter dem wilden Ansturm ihres Gegners. Wenn er den richtigen Moment abpasste ...

Atmen. Tief ein. Langsam aus.

Pellindor schoss, ohne lange nachzudenken. Der Schirm des Onryonen flackerte stärker. In diesem Moment schoss auch der Katsugo. Das Energiefeld brach flackernd zusammen, und der Onryone sackte aus der Zieloptik.

Pellindor zog sich wieder in seine Deckung zurück, wartete, bis sein Herz sich wieder etwas beruhigt hatte, und wiederholte das Manöver. Langsam gewöhnte er sich daran. Mehrfach schoss er auf diese Weise jeweils auf den erstbesten Onryonen, der ihm ins Visier kam.

Vier Schüsse später sah der Katsugo ernsthaft beschädigt aus.

Lange kann das Spiel nicht mehr so weitergehen. Was tun ...

Bevor er seine Gedanken geordnet hatte, erreichte ihn der Explosionsknall. Die Druckwelle schleuderte Schutt und Scherben in seinen Flur und warf ihn zu Boden. Er kroch durch die Staubwolke weiter nach hinten.

Zwei Katsugo-Kampfroboter und ein Haufen zum Großteil unausgebildeter Milizionäre. Hohe Qinshora, was mache ich hier eigentlich?

Als der Staub sich gelegt hatte, robbte er wieder nach vorn, um einen Blick in den verwüsteten Hauptgang zu werfen. Rauch und Staubwolken erschwerten immer noch die Sicht. Irgendwo in den zerborstenen Resten des Katsugos flackerte etwas.

Die Druckwelle hatte den Interngleiter mehrere Meter zurückgeworfen. Wer immer dahinter in Deckung gewesen war, hatte das vermutlich nicht überlebt. Auch sonst war keine Bewegung zu bemerken. Entweder hatte der Roboter alle Gegner bei seinem Untergang mitgerissen, oder sie hatten sich zurückgezogen.

Pellindor atmete mehrfach schnell durch. Dann sprang er auf und rannte geduckt auf den Gang hinaus und neben dem zerstörten Transportband abwärts. Dort unten tobten die heftigsten Kämpfe, und dort unten war der Ta-Fürst. Nur dort konnte er sich beweisen.

Das Gefühl für Zeit hatte Pellindor längst verloren; es mochte nur eine halbe Tonta oder schon ein halber Prago verstrichen sein, seit Alhos Ta-Amonte die ultimative Aufforderung zur Räumung mit einem knappen »Nein« beantwortet und das Feuer auf die Gleiter hatte eröffnen lassen. Die Onryonen hatten mit einer sofortigen Energieabschaltung reagiert und den Kampf aufgenommen.

Durch den Gang hallten die Schritte einer größeren Gruppe. Pellindor schlüpfte in den nächsten Raum. Über die Türsonde beobachtete er, wie eine Gruppe Onryonen vorbeihastete.

Warum sind sie nicht unten und versuchen, den Widerstand in der Eingangsebene zu brechen? Was wollen sie da oben?

Pellindor zog sich tiefer in den Wohnraum zurück und suchte nach der Hygienezelle. Der Kratzer auf seiner Wange juckte wie verrückt. Als er ihn gereinigt und versorgt hatte, rief er den Interkom auf und ließ durch alle optischen Anzeigen aus dem Anwesen wechseln.

Die Verhältnisse im untersten Stockwerk waren chaotisch. Die verbliebenen Katsugos verteidigten den Eingang gegen eine zunehmende Übermacht von Onryonen. Automatische Abwehrgeschütze und in den Gängen stationierte Milizionäre unterstützten sie.

Einzelne Einheiten der Angreifer waren weiter vorgedrungen und hatten Gruppen der Einwohner in Kämpfe verwickelt. Pellindor beobachtete einen dieser Kämpfe mit Kälte im Bauch. Ein Verteidiger nach dem anderen verlor seinen Schirm – soweit sie überhaupt welche gehabt hatten und nicht so wie Pellindor gleich ohne einen in den Kampf geschickt worden waren – und ergab sich oder sank getroffen zusammen.

Pellindor wollte gerade weiterschalten, als ihm ein Detail auffiel – auch die am Boden Liegenden wurden gefesselt. Der Anblick ließ ihn unwillkürlich aufatmen.

»Scheint, als wären sie nur paralysiert«, murmelte er. Gewissensbisse über seine scharfen Schüsse auf die Onryonen regten sich. Aber was konnte er sonst tun? Er hatte nur einen Jagdstrahler, keine umschaltbare Kombiwaffe. Im Krieg musste man sich mit allem verteidigen, was man hatte.

Weitere Bilder erhärteten seinen Eindruck, dass die Onryonen ihren Einsatz anders sahen als die Verteidiger. Sie drängten die Milizionäre in die Enge, ohne mehr als notwendig scharf zu schießen. Mit Schirmen und Kampfrobotern schützten sie sich selbst, bis ihre Gegner handlungsunfähig waren und aufgaben.

Er sichtete die Aufnahmen einer Außenkamera. Die Nebengebäude hatten nicht so viel Widerstand bieten können wie der Haupttrichterbau. Mehrere Arkoniden wurden von dort zu den Gleitern abgeführt. Sobald einer voll war, startete er.