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Philipp Koenig

Glück & Katastrophen

Hollywoods Filmindustrie heute

© 2017 Philipp Koenig

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-7345-9849-4 (Paperback)
IDBN: 978-3-7345-9850-0 (Hardcover)

Autor: Philipp Koenig

Korrektorat: Thomas Hanke

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Über den Autor

Philipp Koenig unterrichtet Philosophie und ist Journalist. Er lebt in Paris. Aktuelle Beiträge und Ergänzungen zu dem vorliegenden Buch finden sie auf seiner Webseite: luckanddisasters.com

Inhalt

„NIEMAND WEIß ETWAS

1. STOFFENTWICKLUNG: OPTIMISMUS IST ALLES

1.1. WILLKOMMEN IN HOLLYWOOD

ASSISTENTEN UND READER

DER PITCH

DIE EXECUTIVES

1.2. DIE HÖLLE DER STOFFENTWICKLUNG

DER ÜBERFLÜSSIGE AUTOR

BEREITS BEKANNT UND TROTZDEM EINZIGARTIG

DIE LETZTE FASSUNG IST NUR PROVISORISCH.

1.3. MARKTFORSCHUNG: DAS ORAKEL SPRICHT

ZUSCHAUERBEFRAGUNGEN

VORURTEILE STATT FAKTEN. DER BECHDEL-TEST ALS BEISPIEL

DIE KONTROLLILLUSION

1.4. ES WAR EINMAL EINE GEWINN- UND VERLUSTRECHNUNG

GRÜNES LICHT

WANN UND WIE MACHT EIN FILM GEWINN?

KREATIVE BUCHHALTUNG: DIE GEWINN- UND VERLUSTRECHNUNG

HITS SIND DIE GRÖßTEN ÜBERRASCHUNGEN

2. „WAS WIR BEI JEDEM FILM VERLIEREN, MACHEN WIR DURCH DAS VOLUMEN WETT!“

2.1. MARKETING: DAS GUTE,DAS SCHLECHTE UND DAS HÄSSLICHE VERKAUFEN

DIE MACHTERGREIFUNG DES FERNSEHENS

DIE KINOPREMIERE DAS OPENING

VIRALES MARKETING

MARKETING VERHINDERT KEINE FLOPS

2.2. DAS STARSYSTEM

AGENTEN

DIE SPEC-SCRIPT-BLASE

STARS MACHEN KEINE HITS

2.3. BRANDING & FRANCHISING

FILME UND SPIELE

TENTPOLES ZERSTÖREN DAS NASH-EQUILIBRIUM

2.4. DAS KINO DER ATTRAKTIONEN

DIE 3D-ILLUSION

DIE MISERE DES VFX

WANN EFFEKTE SINNVOLL SIND

3. DER SHOWDOWN

MADE IN IST DOCH EGAL!

AUßENSEITER ERFINDEN DIE WERKZEUGE

DAS ENDE DER DVD UND DER VERWERTUNGSKETTE

VON ANALOGEN DOLLARS ZU DIGITALEN CENTS

DER WELTMARKT UND CHINA

SPIEL ES NOCH EINMAL

4. ZU DEN FAKTEN

DAS ENDE DES KINOS FINDET NICHT STATT: DIE KAPITALRENDITE

WARUM NIEMAND ETWAS WEIß

DAS ENDE EINES ZYKLUS

ANHANG

FILMLISTE

FACHBEGRIFFE

KURZINFOS ZU DEN STUDIOS

ANMERKUNGEN

„Niemand weiß etwas“

Als Sony 1991 Columbia kaufte, erklärte der Studiochef Peter Guber den neuen Eigentümern das Filmgeschäft und sagte ihnen, dass nur jeder vierte Film ein Hit wird. Daraufhin antworteten die Sony-Manager: „Dann ist es ihre Aufgabe, nur Hits zu machen.“

Das Filmgeschäft könnte so einfach sein. Das Publikum möchte nur Filme sehen, die ihm gefallen, und die Hollywoodstudios wollen nur Filme produzieren, die das Publikum mag. Also brauchen sie nur die Filme zu produzieren, die das Publikum sehen möchte.

Stattdessen machen die Studios jedes Jahr eine große Anzahl von teuren Filmen, für die es gar kein oder nur ein kleines Publikum gibt. Selbst die teuersten Produktionen, die Flagschiffe Hollywoods, werden kommerzielle Flops. Seit über 30 Jahren sind jedes Jahr von den zwölf teuersten Studiofilmen vier Flops. 2015 waren es sogar fünf.

Einen Film zu machen dauert Jahre. Man beginnt mit einem Drehbuch und vielleicht einem Casting und erst mehrere Jahre später kommt der Film ins Kino, wo er hoffentlich den Publikumsgeschmack der Zeit trifft. Aufgrund der hohen Produktionskosten ist es nicht möglich beliebig viele Filme zu produzieren, in der Hoffnung, dass einer Erfolg haben wird. Wer über Filme spricht, muss auch über Geld reden. Ein kleiner Film kostet soviel wie ein mehrstöckiges Gebäude, und für den Preis eines Blockbusters, der Hunderte von Millionen verschlingt, könnte man ein repräsentatives Museum von einem Stararchitekten bauen lassen. Anders als in der Musik, Kunst oder der Literatur ist ein Film immer ein Unternehmen von industriellem Ausmaß. Wenn eine Hollywoodproduktion ein Flop wird, ist das wie ein einstürzender Neubau.

Während Hollywood regelmäßig teure Filme produziert, die keiner sehen möchte, will das Publikum Filme sehen, die nie produziert werden. Wer stand nicht schon einmal vor einem Multiplex-Kino, mit der Lust sich einen Film anzuschauen und fand in dem Angebot keinen, der ihn interessiert hätte? Hollywood weiß nicht, was die Zuschauer sehen möchten - und kann es gar nicht wissen, weil es das Publikum selber nicht weiß. Ein Zuschauer möchte überrascht werden oder mit Spannung einen ungewissen Ausgang verfolgen. Er möchte etwas sehen, was neu und einzigartig ist. Aber er weiß nicht genau was. - Die Situation scheint unlösbar.

Der Drehbuchautor William Goldman hat in seinem Buch Adventures in the Screen Trade die Formel geprägt, die zum Credo der Studioverantwortlichen in Hollywood wurde: „Niemand weiß etwas.“ Niemand in Hollywood macht absichtlich Flops, aber keiner weiß, was ein kommerzieller Erfolg wird. Wenn ein Studio einen neuen Film produziert, ist es jedes Mal davon überzeugt, dass dieser Film ein Erfolg wird. Und immer wieder produzieren sie mehr Flops als Hits. Und keiner weiß warum.

Wie wenig Hollywood seine Filme einschätzen kann, sieht man an dem einheitlichen Ticketpreis an den Kinokassen. Würde man den Wert jedes Films kennen, könnte man die besseren Filme teurer und die schlechteren billiger verkaufen, entsprechend dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, auf dem die Marktwirtschaft beruht. Aber zu dem Zeitpunkt, wo ein Film ins Kino kommt, wissen die Studios nicht, ob er dem Publikum gefällt und ob es eine große oder kleine Nachfrage geben wird. Deswegen gibt es für alle Filme an der Kinokasse einen einheitlichen Ticketpreis.

Durch den Einheitspreis folgt die Filmindustrie dem Modell der Planwirtschaft, wie es in kommunistischen Ländern zu finden ist. Allerdings läge den Filmstudios nichts ferner, als den Sozialismus nach Amerika zu bringen. Viele ihrer leitenden Angestellten haben Ökonomie studiert und sind mit dem neoliberalen Modell ausgebildet worden. Die Executives sind davon überzeugt, dass man den höchsten Profit auf einem freien Markt mit einer freien Preisgestaltung machen kann. Sie überlegen etwa, ob man dynamische Ticketpreise einführen soll, sodass ein Film je nach Datum und Uhrzeit unterschiedlich viel kostet. Und für teurere Filme würden sie gerne höhere Eintritte verlangen. Trotzdem verzichten sie bisher gegen ihre Überzeugung auf dynamische Ticketpreise und vor allem auf verschiedene Preise für unterschiedliche Filme, obwohl es große Unterschiede bei den Produktionskosten gibt. Abgesehen von Ermäßigungen für Kinder spielt es keine Rolle, ob es ein großer oder kleiner, ein anspruchsvoller oder ein Popcornfilm ist, ob er Alt oder Jung anspricht: Das Ticket kostet immer das Gleiche.

Die Verantwortlichen der Studios wissen nicht, wie sie den Preis sonst gestalten sollten. Senken sie den Preis für einen Film, könnte bei den Zuschauern der Eindruck entstehen, dass der Film schlecht sei. Bieten sie einen Film teurer an, gehen sie das Risiko ein, dass die Zuschauer wegbleiben, weil sie seinen Mehrwert nicht erkennen. Ein Zuschauer muss einen Film erst sehen, um ihn beurteilen zu können. Er geht also ein Risiko ein, denn ob ihm der Film gefällt, weiß er erst hinterher. Jeder Film ist anders, und mit jeder Kinokarte kauft sich der Zuschauer ein neues Erlebnis. Filme sind keine Gegenstände, sondern Objekte der Erfahrung, die man erst kennt, nachdem man sie wahrgenommen hat. Die Studios können den Preis ihrer Filme nicht frei gestalten, weil sie nicht wissen, welchen Wert ihr Film für die Zuschauer hat. Wenn ein Film herauskommt, haben sie keine Ahnung, wie hoch seine Einnahmen oder Verluste sein werden. Niemand weiß etwas.

Angesichts des Erfolgs von Star Wars: The Force Awakens könnte man glauben, dass die Filmindustrie in Blüte steht, denn die Einnahmen dieses Films sind phänomenal. Die Kosten sind aber genauso spektakulär. Neben den 4,02 Milliarden US-Dollar, die Disney für die Rechte bezahlt hat, kostete Star Wars: The Force Awakens selbst inklusive Marketing noch einmal 450 Millionen Dollar. Es ist ein Film der Rekorde. Kein Film zuvor hat so viel Geld eingespielt. Zugleich ist diese Episode von Star Wars - inklusive der Marketingkosten - der teuerste Film aller Zeiten. Star Wars: The Force Awakens steht für das heutige Geschäftsmodell in Hollywood: Filme mit Superhelden zu produzieren, die sich an Superlativen übertreffen sollen und immer kostspieliger werden. Disney kann froh über den Erfolg von Star Wars sein, denn es hatte auch den größten Flop des Jahres produziert, Tomorrowland, bei dem es ca. 150 Millionen Dollar verlor. Das sind Verluste, die aus der Bilanz von Disney nicht zu löschen sind. Die Öffentlichkeit hat den Film bereits vergessen. Hollywood ist eine Traumfabrik, und sie verkauft den Traum vom Erfolg. Bei einem Blick hinter die Kulissen entdeckt man, dass der Glamour aus Spanholz und Karton ist. Der zur Schau gestellte Erfolg ist eine Fassade hinter der sich, wie in einer künstlichen Westernstadt, nichts anderes verbirgt als Wüste. Hollywood kämpft heute um sein Überleben.

An Begründungen für den Erfolg von The Force Awakens fehlt es nicht. Was den Studios Kopfzerbrechen bereitet, sind ihre Flops: Sie wissen nicht, warum Tomorrowland ein Fiasko wurde. Es gibt kaum ein Studio, das nicht jedes Jahr wenigstens einen größeren Flop produziert. Gerade im Sommer, wenn die teuersten Filme herausgebracht werden, kommt es immer wieder zu Enttäuschungen. Für die Studios ist es fast schon ein Ritual am Ende des Sommers zu beschwören, dass es nächstes Jahr besser wird. Die Studios werden von einem Komitee aus Führungskräften geleitet, die Executives genannt werden und die Produktion vieler Filme bis in die Details bestimmen. Nichts soll dem Zufall oder den kreativen Intuitionen des Regisseurs überlassen bleiben. Sie versuchen damit nicht so sehr den nächsten Hit zu landen als einen Flop zu vermeiden. Sie wollen auf Nummer sicher gehen und schrecken vor ehrgeizigen Projekten zurück sie träumen nicht von Hitchcock oder Kubrick, sondern von schwarzen Zahlen in ihren Bilanzen.

Für die Executives zählt nur der Profit und nichts als der Profit. Ihr Motto ist nicht mehr ars gratia artis (die Kunst um der Kunst willen), wie es noch über dem Eingang von MGM stand, sondern: ,Gier ist gut’, wie es Gordon Gekko (Michael Douglas) in Wall Street fordert. Ein Film ist für sie zuallererst ein Finanzprodukt, bei dem sich zusätzlich noch Bilder bewegen. Sie müssen den Besitzern der Studios, den Aktionären, Hedgefonds oder Medienmoguln, Antwort stehen und ihnen immer wieder versprechen, alles zu tun, um Fiaskos zu vermeiden. Und jedes Jahr, mit großer Regelmäßigkeit, machen sie etwa die gleiche Anzahl von Flops.

Die gleichen Executives, die die Hits machen, sind für die Misserfolge verantwortlich. Sie wählen alle Projekte nach den gleichen Kriterien aus, benutzen für alle Filme dieselben Arbeitsmethoden. Und am Ende werden ein oder zwei Filme richtige Hits, andere spielen ihre Kosten ein und mehrere machen Minus. Die unterschiedlichen Ergebnisse können sie sich nicht erklären, sie halten trotzdem an ihren Methoden fest. Wenn es ihnen schon nicht gelingt, Pleiten zu verhindern, wollen sie wenigstens den Eindruck erwecken, alles getan zu haben. Ihre Waffen sind Marketing, Branding und aufwendige Spezialeffekte. Damit kann man den Erfolg von Star Wars: The Force Awakens erklären. Gegen die Flops bleiben ihre Methoden aber wirkungslos. Egal wie hoch das Marketingbudget ist, wie bekannt die Brand ist oder wie spektakulär die Spezialeffekte sind - Flops lassen sich damit nicht verhindern. In langen Arbeitstagen versuchen die Executives der Studios immer wieder diese Methoden zu verfeinern und immer wieder scheitern sie.

Die Studios haben mit ihrem Publikum eines gemeinsam: Sie wissen nicht, wie unterhaltsame Filme aussehen sollen. Das Publikum direkt zu befragen, was es will, hilft nicht. Bis Pirates of the Caribbean herauskam, wussten die meisten Zuschauer nicht, dass sie Piratenfilme sehen wollen. Das Publikum entdeckt mit den Filmen erst seinen Geschmack. Deswegen ist der Erfolg von Filmen unberechenbar. Für die Executives wäre es sicherlich hilfreich zu verstehen, warum so viele ihrer Filme kommerziell scheitern. Zu dem Zeitpunkt, wo sie beschließen einen Film zu produzieren und viel Geld in ihn zu investieren, sind sie überzeugt, sich dieses Mal nicht zu irren. Sie glauben alles getan zu haben, damit ihr Film nicht vor leeren Stuhlreihen projiziert wird. Doch das letzte Wort haben immer die Zuschauer. Sie entscheiden zwar nicht, welcher Film produziert wird, aber sie stimmen, wenn ihnen ein Film nicht gefällt, mit ihren Füßen ab, in dem sie einfach fernbleiben.

Hollywood macht eine gute Öffentlichkeitsarbeit, die nicht sichtbar werden lässt, wie seine Filme wirklich gemacht werden. Auch wenn sich die Misserfolge sich nicht aus den Bilanzen der Studios löschen lassen, soll die Öffentlichkeit davon nichts mitbekommen. Nur Erfolgsmeldungen dringen nach außen. Hollywood präsentiert sich als eine harmonische Familie. In Interviews bestätigen alle Beteiligten immer wieder ausdrücklich, wie gut sie miteinander gearbeitet haben. Negative Schlagzeilen gibt es höchstens, wenn ein Star gerade eine Entziehungskur macht. Tatsächlich ist ein Film für jeden Beteiligten eine Erfahrung, die an die Nerven geht. Ständig gibt es Auseinandersetzungen zwischen den Produzenten, den Kreativen und den Studios. Innerhalb der Studios toben die Machtkämpfe und die fertigen Filme sind häufig das Resultat dieser Gefechte. Das Publikum bekommt dann nur Filme zu sehen, die diese Machtkämpfe in den Studios überleben können.

Erst durch einen Blick hinter die Kulissen versteht man, warum Hollywood immer aufwendigere Filme mit einem immer dünneren Erzählfaden macht und Alternativen nicht in Sicht sind. Filme sind das Resultat ihrer Produktionsbedingungen. Betrachtet man die Einspielergebnisse von Star Wars: The Force Awakens mag man sich fragen, warum die Studios nicht mehr solche Filme mit gleichem Erfolg produzieren. Doch die Star Wars-Franchise wurde nicht von den Studios, sondern von George Lucas erschaffen. Die Studios haben keine Ahnung, wie er das gemacht hat, und können deswegen diese erfolgreiche Franchise nicht reproduzieren.

Lucas hat keinen Respekt für die Studios und sieht für sie keine Zukunft. 2013 war er gemeinsam mit Steven Spielberg auf einer Konferenz des Annenberg Media Center der University of Southern California. Spielberg warnte, dass die heute vorherrschenden Filmen mit Superhelden nicht immer erfolgreich sein werden. So wie es eine Epoche für den Western gegeben hat, gibt es eine Zeit für Superhelden, die wie der Western zu Ende gehen wird. Für die Studios wäre das katastrophal, da sie Unsummen in die Produktion von Superheldenfilmen stecken, die erst viele Jahre später herauskommen. Wenn die Nachfrage nach Superhelden abbricht, werden sich die meisten Studios mit gigantischen Schulden wiederfinden. Spielberg konstatierte: „Es wird eine Implosion geben, bei denen drei oder vier oder vielleicht sogar ein halbes Dutzend dieser Mega-Budget Filme auf dem Boden zerschmettern und dadurch wird sich das Paradigma wieder ändern.”1 Die Studios können nur hoffen, dass diese Zukunft nie eintrifft und die weltrettenden Superhelden ihrer Science-Fiction-Filme in fünf oder zehn Jahren genauso gefragt sein werden wie heute. Es ist der Traum, dass alles beim Alten bleibt.

1. Stoffentwicklung: Optimismus ist alles

1.1. Willkommen in Hollywood

Im Großraum von Los Angelos gibt es 13 Millionen Einwohner mit ihren Geschichten die meisten davon sind Drehbücher. L.A. ist eine Stadt, in der sich jeder als Drehbuchautor entpuppen kann: der Taxifahrer, der Kellner oder der Friseur. So sind Produzenten oder Agenten nirgends sicher und können überall ein Script in die Hand gedrückt bekommen. Jedes Jahr werden 30.000 bis 55.000 neue Drehbücher bei der Writers Guild of America registriert. Wer das Schreiben erlernen möchte, hat in den USA die Auswahl zwischen 2500 Filmschulen, die jedes Jahr mehr als 30.000 Absolventen haben. Viele versuchen ihr Glück in Hollywood. Dort treffen sie auf eine noch größere Anzahl von Autodiktaten. Alle schreiben ein oder zumeist mehrere Spec-Scripts, also Drehbücher, die nicht im Auftrag geschrieben werden, sondern von denen die Autoren hoffen, dass sie später von einer Produktion gekauft werden. Die meisten Drehbuchautoren können dabei höchstens erwarten, dass eine unabhängige Produktion eine Option auf ihr Script kauft. Es ist für einen Autor bereits ein Erfolg, wenn er für sein Drehbuch eine Option für 12 Monate verkauft und dafür 25005000 Dollar bekommt. Unbekannte Autoren müssen sich damit abfinden, einer Produktion die Option umsonst abzutreten. Wenn alles gut geht, dauert es oft 4 bis 5 Jahre, bis die Produktion die Finanzierung für ein Drehbuch findet. Wenn sein Drehbuch tatsächlich verfilmt wird, kann der Autor 36.000 Dollar erhalten, den gesetzlich vorgeschriebenen Minimalsatz. Dann gehört er zu den glücklich Auserwählten, denn die große Mehrheit der Drehbücher kommt nicht auf die Leinwand. Kaum ein Drehbuchautor in L.A. kann behaupten, dass eine seiner Geschichten ein Film wurde. Von den 30.000 bis 55.000 Spec-Scripts pro Jahr werden nur 50100 verfilmt, zumeist von den Independents. Die großen Studios entwickeln ihre Drehbücher selber und kaufen heute nur in Ausnahmefällen die Rechte an einem Spec-Script. Auch dann zählt der Autor nur wenig, am Glamour von Hollywood wird er kaum teilhaben. Wenn der Film schließlich fertig wird, ist er vergessen. Immer wieder werden Autoren nicht mal zu der Premiere ihres Films eingeladen.

Blindes Vertrauen in sein eigenes Talent ist dabei eine Voraussetzung, denn wer die Situation realistisch einschätzt, würde es gar nicht erst versuchen. Die meisten, die Drehbücher für das Kino schreiben wollen, sind völlig unvorbereitet auf diese Aufgabe. In Magazinen findet man Geschichten über die wenigen Autoren, die es geschafft haben. Gerne wird erzählt, dass Tarantino in einem Videoverleih angefangen hat. Oft wird vergessen, dass hinter jeder Erfolgsgeschichte harte Arbeit steckt. Von den wenigen, die es geschafft haben, hat jeder über Jahre immer wieder Ablehnungen hinnehmen müssen. Um in Hollywood Erfolg zu haben, darf man nie aufgeben. Aber auch das ist keine Garantie: Über die Mehrzahl der Autoren, die an ihrem Traum verzweifeln, werden keine Geschichten geschrieben.

Die Medien berichten nur über die wenigen Erfolge, die ein naiver Beobachter mit dem Standard verwechseln kann. Dieser sieht ganz anders aus. Die meisten, die eine Karriere als Drehbuchautor anstreben, haben kleine Jobs in der Hoffnung, dass sie irgendwann den Durchbruch schaffen. Wem es gelingt, dass eines seiner Drehbücher verfilmt wird, hat es schwer das nächste zu verkaufen. Das gleiche gilt für auch viele Regisseure und vor allem für Schauspieler. Das Besondere an der Filmindustrie Hollywoods ist es, dass die meisten Filmschaffenden gerade arbeitslos sind. So verfügen die Studios über eine Reservearmee an Autoren, Regisseuren, Schauspielern usw., auf die sie jederzeit zurückgreifen können.

Wer in Hollywood arbeiten möchte, kann keine Forderungen stellen und muss sich anpassen. Von einem Drehbuchautor wird nicht nur verlangt, gut schreiben zu können, er sollte möglichst viele andere Eigenschaften besitzen, die dem Produzenten oder Executive die Arbeit erleichtern sollen. Der Drehbuchautor Michael Lent hat deswegen ein Ratgeberbuch geschrieben, Swimming With Sharks, in dem er Autoren Vorschläge macht, wie sie sich richtig verhalten sollen. Seine Tipps lesen sich wie ein Knigge für Drehbuchautoren. Zunächst muss ein Autor offen für alle neuen Vorschläge sein und sie auch dann nicht ganz ablehnen, wenn er sie für völlig unbrauchbar hält. Ein Drehbuchautor in Hollywood soll immer optimistisch und fröhlich sein. Er kann seine Leidenschaft für das Schreiben vermitteln, lässt aber sein eigenes Ego zu Hause. Es wird von ihm erwartet, dass er sich als angenehmer Mitarbeiter zeigt. Werden von ihm zusätzliche Szenen oder neue Fassungen des Drehbuchs verlangt, so ist er damit selbstverständlich einverstanden und fordert keine weitere Bezahlung. Fristen hält er immer ein. Zu den Qualitäten eines Drehbuchautors gehört also - abgesehen davon, dass er gut schreiben und Geschichten entwickeln kann -, dass er immer versucht, es seinen Auftraggebern recht zu machen, und zwar enthusiastisch, auf eine intelligente und lustige Weise, denn am liebsten arbeitet er mit anderen zusammen, die ihm erklären, wie er seinen Beruf zu machen habe.

Die Studios halten sich ehrgeizige Autoren fern und lehnen grundsätzlich jedes Drehbuch ab, dass ihnen direkt zugeschickt wird. Das hat juristische Gründe : Die Studios haben Angst in einen Copyrightprozess verwickelt zu werden, wenn sie zufällig eine ähnliche Geschichte verfilmen, selbst wenn sie das ihnen zugeschickte Drehbuch gar nicht gelesen haben. Bei jährlich bis zu 50.000 neuen Geschichten ist diese Wahrscheinlichkeit gar nicht so klein. Deswegen lesen sie nur Drehbücher, die von einem Agenten oder Produzenten eingereicht werden. Für einen Autor heißt dass, erst einmal einen Agenten zu finden, der 10% von dem Drehbuchverkauf erhält, denn ohne ihn hat er gar keine Chance. In L.A. gibt es ca. 90 Agenturen. Zur freien Auswahl stehen davon höchstens 60, denn die anderen lesen keine Drehbücher unbekannter Autoren. Die restlichen Agenturen lesen zwar im Prinzip jedes Drehbuch, jedoch nur ca. 1% der Autoren erhalten am Ende einen Vertrag. Ein typischer Agent vertritt ca. 50 Autoren. Am meisten wird er sich natürlich um die Veteranen kümmern. Ein Anfänger ist am schwierigsten zu verkaufen. Wenn man sich überlegt, dass das Drehbuch eines Unbekannten oft für nur 36.000 Dollar verkauft wird und der Agent davon nur 10% erhält, lohnt es sich für ihn auch kaum. Neue Autoren müssen sich selbst um ihre Karriere kümmern, brauchen aber trotzdem einen Agenten, damit ihr Drehbuch überhaupt gelesen wird.

Wer von einem Agenten unter Vertrag genommen wurde, wird schnell feststellen, dass er nicht alleine ist. Die Aussichten, dass sein Werk den Weg durch die Studiobürokratie findet, sind gering. Jedes Studio erhält pro Jahr ca. 5000 Drehbücher. Zunächst werden sie von einem unteren Studioassistenten gelesen, und wenn ein Script positiv aufgenommen wird, was äußerst selten ist, kann es auf dem Tisch eines Executives landen, der sich um die Stoffentwicklung kümmert. Ein typisches Studio hat ein Dutzend solcher Executives. Jeder arbeitet an 2030 Projekten. Die meisten Filme beruhen heute aber auf einer Romanvorlage, einem Videospiel, einem Comic, sie sind Remakes, Fortsetzungen oder Prequels. Nur maximal 34 Filme produziert ein Studio jedes Jahr aus Spec-Scripts. So kämpfen 12 Executives darum, eines der 34 Projekte zu bekommen. Von diesen sind die meisten Drehbücher von Veteranen geschrieben, die bereits auf vergangene Erfolge zurückblicken können. Ein unbekannter Autor ist chancenlos. Wird sein Drehbuch verfilmt, so ist dies vermutlich unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn.

Für diesen Lottogewinner fangen die Probleme erst an. Zunächst wird man ihm sagen, wie sehr das Drehbuch gefallen hat. Vielleicht wird er seinen Erfolg bereits feiern. Dann setzt aber ein Prozess ein, bei dem jeder versuchen wird, Änderungen in das Drehbuch einzufügen und schließlich den Autoren ganz zu verdrängen. Wenn er nicht nachgibt, wird er als ,schwierig’ eingestuft. Der Drehbuchautor Frederic Raphael (Eyes Wide Shut) sagte einmal: „Man sollte besser Spaß an seiner ersten Drehbuchfassung haben. Es sind die letzten vergnüglichen Momente, die man an dem Projekt haben wird.“2

Assistenten und Reader

Jedes Filmprojekt beginnt mit einem Drehbuch, und das Mantra der Studios ist „Geschichte ist König“. Trotzdem gibt es kaum jemanden, der die Zeit hat, Drehbücher zu lesen. Die Studio Executives, die am Ende entscheiden, sind viel zu beschäftigt, um irgendeinen längeren Text zu lesen. Deswegen gibt es extra einen Angestellten, der Drehbücher liest: den Reader.

Er verfasst für seinen Boss ein Coverage, in dem er auf wenigen Seiten beschreibt, worum es in dem Drehbuch geht. Jedes Studio, jede Produktionsfirma hat ihre eigenen Regeln für das Coverage, aber alle sind sich sehr ähnlich. Typischerweise steht am Anfang eine Logline, in dem das Thema oder die Handlung in ein bis zwei Sätzen vorgestellt wird. Darauf folgt eine Zusammenfassung der Handlung von ca. drei Seiten. Anschließend kommt ein Kommentar des Readers, der auf einer Seite seine Meinung zu dem Drehbuch darlegen kann. Am Schluss steht das Wichtigste: die Bewertung. Der Reader kann zwischen vier Empfehlungen wählen: Highly recommended, recommended, consider und pass (sehr empfohlen, empfohlen, in Betracht zu ziehen, abgelehnt). Mehr als 90% der Drehbücher erhalten ein pass und landen sofort im Archiv oder wahrscheinlicher, im Papierkorb.

Die meisten Reader arbeiten freiberuflich und erhalten pro Drehbuch 5060 Dollar. Ein typischer Reader liest 610 Drehbücher pro Woche. Da er kaum Zeit hat, alle ihm zugeteilten Drehbücher sorgfältig zu lesen, befolgen viele die 20-10-10 Regel: Sie lesen die ersten 20 Seiten, um zu wissen, worum es geht, dann 10 Seiten in der Mitte, um eine vage Idee zu haben, wie sich die Situation des Anfangs weiterentwickelt, und die letzten 10 Seiten, um zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht. Dann haben sie genug Gründe gesammelt, um das Drehbuch abzulehnen.

Um Reader zu werden, braucht man keine Qualifikationen. Viele kommen gerade aus dem College und wissen nur wenig über Filme. Sie haben nur die großen Produktionen der letzten Jahre gesehen. Klassiker oder ältere Filme, selbst der 80er oder 90er Jahre kennen sie kaum. Ohne viel Erfahrung dafür, Geschichten zu bewerten, schreiben sie ihr Coverage ganz spontan. Sehr viel mehr als eine Inhaltsangabe wird von ihnen nicht verlangt. Ihr persönlicher Kommentar soll genauso unvoreingenommen sein wie der eines durchschnittlichen Zuschauers. Geben sie einem Drehbuch eine positive Beurteilung, wird sich ohnehin kaum jemand dafür interessieren. Für einen Executive oder Agenten ist es wichtiger zu wissen, ob ein Star oder wenigstens ein bekannter Name an dem Projekt interessiert ist. Erhält ein Drehbuch aber ein schlechtes Coverage, ist es für immer begraben. Ein Reader hat keinen Einfluss darauf, ob ein Drehbuch verfilmt wird. Die einzige Macht, die er hat wie viele andere in der Filmindustrie ist nein zu sagen und ein Projekt abzulehnen. „Sobald sie eine negative Beurteilung im Studio haben, gibt es so gut wie nichts was ein Produzent machen kann, um ein Buch anzubieten und zu sagen: Ich liebe es wirklich und möchte es produzieren,“ klagt der Literaturagent Richard Gottlieb von Trident Media.3

Neben den Readern gibt es die Assistenten der Produzenten, Agenten und Executives – jeder hat einen. Ihre erste Aufgabe ist die eines Sekretärs. Sie sortieren die Post, vor allem die E-Mails, beantworten sie zum großen Teil, führen jeden Tag Hunderte von Telefonaten und kümmern sich um alle Angelegenheiten des Boss. Einige Assistenten helfen auch als Babysitter aus, bringen die dreckige Wäsche weg oder erledigen Einkäufe. Sie lesen für ihn die Drehbücher, schreiben eine kurze Zusammenfassung oder geben ihm ein mündliches Resümee. Ihr langer Arbeitstag beginnt früh morgens und endet erst am Abend. Ein freies Wochenende ist ihnen unbekannt. Wer ganz unten anfängt, muss die Launen der manchmal exzentrischen Chefs ertragen. Von seinem Privatleben kann sich ein Assistent verabschieden. Die Bezahlung, falls vorhanden, ist schlecht. Aber wer diese Grundausbildung durchsteht und nicht aufgibt, kann in Hollywood überleben. Assistenten lernen, wie man sich verhält, welche Argumente man benutzt und welche Prioritäten gesetzt werden. Sie lernen die Sprache des Filmgeschäfts, um erfolgreich verhandeln zu können. Wer ein paar Jahre als Assistent gearbeitet hat, fügt sich perfekt in das Produktionssystem ein.

Assistenten sind bereit ihrem Boss fast jeden Wunsch zu erfüllen und ihm bedingungslos zu dienen, weil sie hoffen, dass sie später seinen Job oder einen ähnlichen haben werden. Viele Agenten, Produzenten oder Studio Executives haben selber als Assistenten angefangen. Kein Assistent sieht seine Stellung als ein Beruf für das Leben an, sondern verfolgt ihn nur provisorisch, bis er eine richtige Stellung in der Industrie findet. Als Assistent beobachtet man, wie die Filmindustrie funktioniert und schließt Kontakte, die später behilflich sein werden. In einer Industrie, in der kaum jemand liest, sind Kontakte alles.

Assistent zu sein ist zwar eine schlecht bezahlte und undankbare Aufgabe, aber die Nachfrage für diese Posten ist groß. Besonders begehrt ist es, für einen bekannten Produzenten, Agenten oder sogar für einen Studio Executive zu arbeiten. Ein typischer Assistent ist weiß und stammt aus der Mittelschicht. Wer schwarz ist oder aus ärmeren Verhältnissen kommt, hat kaum Chancen. Entsprechend gibt es in den Chefetagen auch heute kaum Schwarze oder Angehörige anderer Minderheiten. Viele erhalten finanzielle Unterstützung von zuhause, um es sich leisten zu können dem schlecht oder gar nicht bezahlten Assistentenjob in der teuren Stadt L.A. nachgehen zu können. Die meisten Assistenten haben studiert, einige kommen sogar von der Ivy League, den amerikanischen Eliteuniversitäten. Manche haben Film studiert, aber die Ehrgeizigeren Jura oder Ökonomie.

Vom Filmemachen an sich braucht ein Assistent nur wenig zu verstehen. Gefragt ist seine soziale Intelligenz. Ein Assistent oder Executive bleibt selten länger in einer Firma. Wenn er nicht nach wenigen Jahren arbeitslos sein will, muss er überall Kontakte haben, um immer wieder eine neue Anstellung finden zu können. Je mehr Leute er kennt, umso besser. Jeder kann morgen ein Arbeitskollege sein oder die Person, die jemanden anstellt.

Assistenten sind in Hollywood eine Armee von unsichtbaren Arbeitern, ohne die die Filmindustrie gar nicht funktionieren könnte. Durch sie zirkulieren die Informationen, weiß ihr Boss, was die Konkurrenz macht und an welchen Projekten gearbeitet wird. Die Assistenten sind die Schaltstelle der Kommunikation in Hollywood. Alle Telefonate gehen über sie. Wenn ein Agent mit einem Executive sprechen will, sind es sein Assistent und der Assistent des Executives, die diese Verbindung herstellen, bevor sie das Gespräch an ihre Bosse weiterleiten. Die Assistenten stehen deswegen ständig miteinander in Kontakt. Am meisten tauschen sie Gerüchte aus. Die wichtigsten Werkzeuge sind neben dem Telefon die Tracking Boards. Ein Tracking Board ist eine Internetplattform, auf der sich die Mitglieder über die neusten Gerüchte zu Filmprojekten austauschen. Sie sind ein soziales Netzwerk, in dem nur die Profis des Filmgeschäfts Zugang haben: Agenten, Produzenten, Executives und natürlich ihre Assistenten. Die meisten Tracking Boards sind umsonst, aber man muss empfohlen werden, um Zugang zu erhalten. Auf einem Tracking Board findet man alle Arten von Informationen. Man erfährt, ob für ein neues Projekt Autoren gesucht werden. Coverages zu Drehbüchern lassen sich ebenfalls auf Tracking Boards finden.

Es sind vor allem die Gerüchte, die die Mitglieder interessieren. Ein Drehbuch entwickelt ,Hype’, oder wird schlecht besprochen. Für die Zukunft eines Drehbuchs kann das entscheidend sein. Gerade die jungen Studio Executives, die für die Stoffentwicklung zuständig sind – Creative Executives oder CE – greifen viel auf Tracking Boards zurück. Sieht ein CE, dass ein Drehbuch besonderes Interesse hervorruft, wird er vielleicht versuchen eine Option zu kaufen. Umgekehrt können negative Gerüchte einen CE überzeugen, ein Drehbuch fallen zu lassen. Niemand in Hollywood möchte ein Projekt entwickeln, von dem gesagt wird, dass es nicht gut ist.

Der Pitch

Eine weitere Möglichkeit, ein Drehbuch zu verkaufen, ist ein Pitch. Dabei versucht ein Autor Produzenten oder Executives in 10 – 15 Minuten ein Projekt zu vermitteln. Eine Erzählung, die einen Film von 90 Minuten oder zwei Stunden füllen soll, muss dafür auf wenige Sätze reduziert werden. In der kurzen Zeit kann man natürlich nur den Grundgedanken oder die Situation der Handlung erklären. Früher hat man Referenzen zu anderen Filmen angegeben, beispielsweise „die Geschichte ist King Kong gegen Dinosaurier”, aber solche Vergleiche sind etwas aus der Mode gekommen.

Ein Autor pitcht ein Projekt, das er bereits geschrieben hat oder erst noch schreiben möchte. Executives hören jede Woche Dutzende Pitchs, und deswegen ist es wichtig in wenigen Minuten das eigene Projekt als etwas ganz Besonderes herauszustellen. Bei einem Pitch kommt der Autor in einen Raum und muss so schnell wie möglich die Aufmerksamkeit der Executives gewinnen. Im Idealfall können sie sich dann schon das Poster vorstellen. Der Executive Michael Burns, Vice-Chairman von Lionsgate, erklärt, warum für ihn die kurze Form des Pitchs sinnvoll ist: „Wenn der Film gemacht wird, müssen wir ihn in einem Trailer von 50 oder 30 Sekunden verkaufen, entsprechend der Länge einer TV-Werbung. Wenn jemand ein Projekt nicht in einem angemessenen Zeitrahmen pitchen kann – keine Chance.“4 Bereits die Filmkritikerin Pauline Kael äußerte sich kritisch zu diesem Auswahlprozess: Erst muss ein Autor Wochen, Monate oder Jahre warten, bis er die Chance bekommt, seine Arbeit vorstellen zu können. In wenigen Minuten wird dann über das Schicksal seines Projekts entschieden. „In der Regel gilt, dass je höher die Position eines Executives ist, desto geringer ist seine Aufmerksamkeit. In dieser Atmosphäre der bürokratischen Indifferenz oder Verachtung wird nichts entschieden – alles geschieht in einem bürokratischen Ablauf.“5

Ein schüchterner Drehbuchautor, dem es schwerfällt, eine Erzählung, die ihm nach langer Arbeit ans Herz gewachsen ist, auf wenige Schlagworte zu reduzieren, wird es in Hollywood sehr schwer haben. Ein Autor sollte nicht nur schreiben, sondern obendrein schauspielern können. Seine Leidenschaft für ein Projekt sollte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern er muss sie auch durch Mimik und Gestik vermitteln können und Verhandlungstechniken beherrschen. Nützliche und praktische Hinweise findet man in dem Drehbuchratgeber von Michael Lent: „Hier ist eine alte Hollywood-Maxime, die immer noch gilt: „Wenn Sie ein Ja auf eine Antwort bekommen, müssen sie die Sitzung abkürzen und sie so schnell wie möglich verlassen. Denn ein Ja schnell ein Nein werden kann, wenn Sie etwas Falsches sagen und die Produzenten Zweifel bekommen, ob sie dieselbe Vorstellung von dem Projekt haben.“6 Man muss aber sorgfältig zwischen einem Ja und einem Vielleicht unterscheiden: „Weil niemand weiß, wer morgen eine Idee hat, die eine Million Dollar wert ist, oder – schlimmer noch –, wer psychische Probleme hat, vermeiden sogar die Mogule eindeutig negative Antworten.“7 Deswegen gibt es eine eigene Sprache, die ein Autor beherrschen sollte, um die Executives zu verstehen. Unangenehme Mitteilungen und Ablehnungen werden verschönt umschrieben. Der Drehbuchautor Simon Kinberg (Mr & Mrs Smith, Sherlock Holmes, X-Men) erklärt, dass es für die Stoffentwicklung eine eigene Grammatik gibt, und nennt ein Beispiel: „Es ist ein 'toller erster Entwurf', bedeutet, dass du abgelehnt bist.“8

Studio Executives mögen den Pitch, weil er ihnen eine größere Kontrolle über den ganzen Produktionsprozess erlaubt. Er gibt ihnen das Gefühl, einen Film von der ersten Idee an entwickelt zu haben. Der Autor muss dann mehrere Ideen pitchen, von denen sich der Executive eine aussuchen kann. „Es ist eine Frage der künstlerischen Integrität,“ sagt der Drehbuchautor Joe Eszterhas (Basic Instinct), „Wie können sie an eine Idee glauben, wenn sie acht pitchen?“9

Drehbuchautoren hassen den Pitch, besonders wenn sie das Drehbuch schon geschrieben haben. Sie empfinden es als nicht gerecht, dass ihr 120-Seiten-Drehbuch nach einer Zusammenfassung von wenigen Sätzen beurteilt werden soll. Sie verstehen sich als Autoren, deren Aufgabe es ist, zu schreiben, nicht als Schauspieler oder Verkäufer. „Ich hatte keine Ahnung, dass die Fähigkeit in einen Raum gehen zu können, um sich selber zu verkaufen, ein so wichtiger Teil der Arbeit sein würde,“ sagt die Autorin Guinevere Turner (American Psycho), „Das ist verrückt, denn ein Drehbuch ist bereits eine Beschreibung von etwas. Es ist die Beschreibung eines Films. Die Beschreibung einer Beschreibung zu machen… Für mich ist das völlig verrückt. Aber so bekommt man den Job.“10

Autoren machen immer wieder die Erfahrung, dass sie keinen Einfluss mehr auf ihre Arbeit haben, nachdem sie die Rechte an ein Studio verkauft haben. Von dem Zeitpunkt an, wo sie entscheiden, für ein Studio zu arbeiten, haben sie keine Möglichkeit mehr, sich zu schützen. Wenn ein Studio entscheidet, das Drehbuch komplett umzuschreiben, können sie nur versuchen, selber den Auftrag zu bekommen oder tatenlos zusehen, wie ein anderer Autor alles abändert. „Autoren werden in Hollywood missbraucht“, sagt der Drehbuchautor Bruce Joel Rubin, der für Ghost einen Oscar gewann, „Es ist wirklich grausam, dass Autoren so wenig an den Projekten, die sie schaffen, mitarbeiten können.“11 Für die Studios ist ein Drehbuchautor ersetzbar. Man arbeitet mit ihm so lange zusammen, wie es nützlich erscheint.

Schon in den 80er Jahren schrieb der Filmanwalt Mark Litwak: „Autoren werden bei jeder Gelegenheit ausgebeutet. Ideen werden gestohlen, Drehbücher unnötig umgeschrieben, Anerkennungen gestohlen. Sie sind den Produzenten, Regisseuren und Executives ausgeliefert. Diese sagen ihnen, wann und wie sie schreiben sollen.“12 Anerkannten Drehbuchautoren geht es kaum besser, weil sie oft nur benutzt werden, um einen bekannten Regisseur oder Star für ein Projekt zu interessieren. Anschließend werden sie fallengelassen. „Sie werden alle schlecht behandelt und rechts und links ausgenutzt,“ sagt Mark Litwak, „Es ist traurig, dass selbst die talentiertesten, gefragtesten Autoren der gleichen schlechten Behandlung und Respektlosigkeit ausgeliefert sind, wie ein Anfänger, der nur auf das Geld scharf ist.“13 Drehbuchautoren sind in Hollywood immer schlecht behandelt und miserabel bezahlt worden, aber in den letzten Jahren hat sich diese Situation verschlimmert. Von 2008 bis 2013 sind die durchschnittlichen Einnahmen der Autoren laut der Writers Guild of America um 34% gesunken. Für Autoren wird es immer schwieriger von ihrem Talent zu leben. Der erfolgreiche Drehbuchautor Thomas Lennon (Night at the Museum) sieht das kaum anders: „Die eigentliche Arbeit eines Drehbuchautors ist sich ins Gesicht schlagen zu lassen – die meiste Zeit.“14

Der Autor steht ganz unten in der Hierarchie. Es wäre undenkbar, dass er jemand anderem Hinweise gibt, wie er zu arbeiten habe. Nie würde sich ein Autor trauen einem Regisseur zu sagen, wie er Regie führen oder einem Produzenten, wie er organisieren solle. Umgekehrt findet es jeder normal, sich in die Arbeit eines Autors einzumischen. Geschichten erzählen ist die einzige künstlerische Tätigkeit, bei der jeder überzeugt ist, ein Experte zu sein und es selber machen zu können. Für den Drehbuchlehrer Richard Walter von der UCLA ist Durchhaltevermögen wichtiger als Talent: „Autoren scheitern in Hollywood nicht, sie geben bloß auf. “15

Die Executives

„Ich habe gestern Abend Ihr Drehbuch gelesen. Ich habe gehört, es ist großartig.“ – in Hollywood ist das ein alter Witz. Ein Studio Executive, der gerade ein Drehbuch gelesen hat, wird gefragt, wie ihm das Script gefällt. Er antwortet: „Ich weiß nicht. Ich habe noch mit niemandem darüber geredet.“

In Hollywood sind die wichtigsten Personen die leitenden Angestellten der Studios, die Executives, weil sie entscheiden, welcher Film gemacht wird. Deswegen macht man sich gerne über sie lustig – und nicht nur, weil sie keine Drehbücher lesen. Früher gehörten sie zu den ersten, die Witze über ihre Zunft weitererzählten. „Die Atmosphäre unter den Managern bei United Artists war damals warmherzig und familiär. Daraus entstand eine einzigartige Treue zwischen Filmemachern und Executives“, erinnert sich David V. Picker, der 1969–1973 United Artists leitete und Filme wie Midnight Cowboy oder Last Tango in Paris produzierte. „Lange Zeit wurden die Studios von Menschen geleitet, die hart und eigensinnig waren, aber im Filmgeschäft groß wurden. Sie liebten und verstanden es. Heute ist es kein Filmgeschäft mehr. Es werden Produkte hergestellt, die zufällig Filme sind.“16

Früher arbeiteten die Executives der Studios bei den meisten Filmen mit einem unabhängigen Produzenten zusammen. Zuerst einigte man sich auf ein Projekt, bei dem nur das Drehbuch und vielleicht das Casting feststand. Das Studio legte ein Budget fest. Anschließend kümmerte sich der Produzent um die Organisation der Filmproduktion, während die Executives die Finanzierung sicherstellten und auf die Einhaltung des Budgets achteten. Vor einigen Jahren veröffentlichte das Wirtschaftsmagazin The Economist einen Beitrag, der Ratschläge von Unternehmensberatern für Medienfirmen zusammenfasst. Es wird erklärt, wie im Idealfall eine Traumfabrik zu leiten ist: „Auf dem Papier scheint das Rezept einfach zu sein, um ein erfolgreiches Entertainment-Unternehmen zu führen: Man muss kleine kreative Einheiten innerhalb großer Unternehmen formen, ihnen ihre eigene Identität geben und eine kreative Freiheit gegenüber der Einmischung der Bürokratie gewähren.“ Das hört sich vernünftig an. Wie sollen gute Filme ohne Kreativität entstehen? Wer würde schon behaupten, dass eine Verwaltung Filmemachern vorschreiben soll, was sie zu tun und zu lassen haben? In der Folge verlangt The Economist, dass Executives eines Studios Charaktereigenschaften besitzen sollen, die die Arbeit mit Kreativen erleichtern. Zu den Qualitäten, die sie haben sollten, gehören „die Bereitschaft, große Risiken einzugehen, eine laserschnelle Reaktionsfähigkeit, um auf die wechselhaften Geschmäcker zu reagieren, und ein hohes Selbstvertrauen in die eigenen Instinkte.“ Wenn ein Executive sich in kreative Entscheidungen einmischt, sollte er das mit Vorsicht tun. Roger Fransecky, ein Unternehmensberater der Apogee Gruppe, warnt: „Der Versuchung einzugreifen zu widerstehen, aber gleichzeitig den Ablauf zu kontrollieren, das ist ein schwieriger Balanceakt.“17

Wenn man sich überlegt, auf welche Studio Executives diese Beschreibung passt, fallen einem wahrscheinlich Namen aus vergangenen Epochen ein. Heutige Executives haben eine ganz andere Führungsphilosophie. Als allmählich Konzerne Studios kauften – wie Gulf + Western 1966 Paramount oder Coca Cola 1980 Columbia –, setzte sich in Hollywood ein neues Management durch. Seitdem werden Executives engagiert, die eine Business School besucht haben, aber kaum Kenntnisse vom Handwerk des Filmemachens haben. Für die Konzernleitungen ist es wichtiger, dass die Studio Executives dieselbe Sprache sprechen als sich im Filmgeschäft auszukennen.

„Die alten Hasen waren geborene Spieler. Die neuen Leute werden zum Spielen gezwungen, und sie fühlen sich dabei nicht wohl“, bestätigt Richard Lederer, der 1960-1975 Vizepräsident für weltweites Marketing bei Warner Bros. war, „Sie sind Geschäftsleute und kein guter Geschäftsmann spielt gerne; vielmehr versuchen sie, sich so weit es geht abzusichern.18 Sie versuchen Risiko zu vermeiden, reagieren nicht auf kurzfristige Entwicklungen, sondern planen langfristig. Sie orientieren sich an den Erfolgen von gestern und hoffen, dass sie sich reproduzieren lassen. Entscheidungen werden von einer Bürokratie mit einer strengen Hierarchie gefällt. Auf diese Weise glauben sie, kein Wagnis einzugehen.

Bereits 1980 wird diese Entwicklung von der Filmkritikerin Pauline Kael in einem Beitrag für den New Yorker kritisch durchleuchtet: Why Are Movies So Bad? or The Numbers (Warum sind Filme so schlecht, oder: Die Zahlen). Kael stellt fest, dass die Executives sich allein aufgrund ihrer Position dazu befähigt halten, Projekte zu beurteilen. Das Talent der Executives ist es, die Meinungen ihrer jeweiligen Vorgesetzten zu antizipieren: „In Konferenzen zeigen sie einen sechsten Sinn, um zu erraten, was die mächtigste Person hören will. Und wenn sie etwas Falsches sagen, können sie problemlos den Gang wechseln.“ Weil sich Executives nur für Filme begeistern können, die Geld verdient haben, ernten sie nur Spott von Kael: „Sie könnten genauso gut Krawatten wie Filme verkaufen.“19 Jede Entscheidung sichern sie durch ein Komitee ab. Für den Drehbuchautor Shane Black (Lethal Weapon, Iron Man 3) gibt es nur eine Art von Projekten, die von einem Komitee abgesegnet werden: „Wie können wir Filme machen, bei denen wie absolut sicher sind, dass sie kein Geld verlieren?“20